BBl 2024 1659
CH - Bundesblatt

Botschaft zur Volksinitiative «Für eine gute und bezahlbare familienergänzende Kinderbetreuung für alle (Kita-Initiative)»

Botschaft zur Volksinitiative «Für eine gute und bezahlbare familienergänzende Kinderbetreuung für alle (Kita-Initiative)»
vom 14. Juni 2024
Sehr geehrter Herr Nationalratspräsident Sehr geehrte Frau Ständeratspräsidentin Sehr geehrte Damen und Herren
Mit dieser Botschaft beantragen wir Ihnen, die Volksinitiative «Für eine gute und bezahlbare familienergänzende Kinderbetreuung für alle (Kita-Initiative)» Volk und Ständen zur Abstimmung zu unterbreiten mit der Empfehlung, die Initiative abzulehnen.
Wir versichern Sie, sehr geehrter Herr Nationalratspräsident, sehr geehrte Frau Ständeratspräsidentin, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.
14. Juni 2024 Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Die Bundespräsidentin: Viola Amherd Der Bundeskanzler: Viktor Rossi
Übersicht
Die Volksinitiative «Für eine gute und bezahlbare familienergänzende Kinderbetreuung für alle (Kita-Initiative)» will in der Verfassung den Grundsatz verankern, dass jedes Kind ab dem Alter von drei Monaten bis Ende der Grundschule einen Anspruch auf eine institutionelle familienergänzende Kinder-betreuung hat, sofern die Eltern dieses Angebot in Anspruch nehmen wollen.
Inhalt der Initiative
Die Volksinitiative «Für eine gute und bezahlbare familienergänzende Kinderbetreuung für alle (Kita-Initiative)» will die institutionelle familienergänzende Kinderbetreuung stärken und die Kosten der Eltern auf maximal zehn Prozent ihres Einkommens begrenzen. Während der Bund zwei Drittel der Betreuungskosten übernehmen soll und die Möglichkeit haben soll, Grundsätze festzulegen, sollen die Kantone für das Angebot zuständig bleiben und die Finanzierung der verbleibenden Kosten regeln.
Vorzüge und Mängel der Initiative
Bei Annahme der Initiative würden die Kosten für die institutionelle familienergänzende Kinderbetreuung für viele Eltern sinken, das Angebot würde ausgebaut und die Qualität gestärkt. Positive Auswirkungen wären unter anderem in den Bereichen Fachkräftemangel, Gleichstellung und Chancengerechtigkeit zu erwarten, und es wäre auch eine positive volkswirtschaftliche Bilanz zu erwarten. Eine Annahme der Initiative hätte jedoch Mehrkosten für den Bund in Milliardenhöhe zur Folge. Es würden Fehlanreize gesetzt, die sich negativ auf Effizienz und Kostenentwicklung auswirken können und bestehende Strukturen in Kantonen und Gemeinden würden teilweise übersteuert. Da zu den vom Initiativkomitee vorgeschlagenen Kostenaufteilungen keine volkswirtschaftlichen Modellrechnungen vorliegen, kann keine abschliessende Einschätzung zum Verhältnis von Kosten und Nutzen gemacht werden kann.
Da das Ziel der Initiative im Grundsatz zu unterstützen ist, setzt sich der Bundesrat in der laufenden parlamentarischen Debatte zur parlamentarischen Initiative 21.403 «Überführung der Anstossfinanzierung in eine zeitgemässe Lösung» für die weitere Stärkung der familienergänzenden Kinderbetreuung ein.
Antrag des Bundesrates
Der Bundesrat beantragt den eidgenössischen Räten mit dieser Botschaft, die Volksinitiative «Für eine gute und bezahlbare familienergänzende Kinderbetreuung für alle (Kita-Initiative)» Volk und Ständen ohne direkten Gegenentwurf oder indirekten Gegenvorschlag zur Ablehnung zu empfehlen.
Botschaft

1 Formelle Aspekte und Gültigkeit der Initiative

1.1 Wortlaut der Initiative

Die Volksinitiative «Für eine gute und bezahlbare familienergänzende Kinderbetreuung für alle (Kita-Initiative)» hat den folgenden Wortlaut:
Die Bundesverfassung ¹ wird wie folgt geändert:
Art. 116a
Familienergänzende Betreuung von Kindern
¹ Die Kantone sorgen für ein ausreichendes und bedarfsgerechtes Angebot für die institutionelle familienergänzende Betreuung von Kindern.
² Das Angebot steht allen Kindern ab dem Alter von drei Monaten bis zum Ende des Grundschulunterrichts offen. Es muss dem Kindeswohl und der Vereinbarkeit von Beruf und Familie dienen und den Bedürfnissen der Eltern entsprechend ausgestaltet sein.
³ Die Betreuungspersonen müssen über die notwendige Ausbildung verfügen und entsprechend entlöhnt werden. Ihre Arbeitsbedingungen müssen eine qualitativ gute Betreuung ermöglichen.
⁴ Der Bund trägt zwei Drittel der Kosten. Die Kantone können vorsehen, dass die Eltern sich gemäss ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit ebenfalls an den Kosten beteiligen. Insgesamt darf die Beteiligung der Eltern zehn Prozent ihres Einkommens nicht übersteigen.
⁵ Der Bund kann Grundsätze festlegen.
Art. 197 Ziff. 13
²
13. Übergangsbestimmung zu Art. 116a (Familienergänzende Betreuung von Kindern)
Die Ausführungsbestimmungen zu Artikel 116 a treten spätestens fünf Jahre nach dessen Annahme durch Volk und Stände in Kraft.
¹ SR 101
² Die endgültige Ziffer dieser Übergangsbestimmung wird nach der Volksabstimmung von der Bundeskanzlei festgelegt.

1.2 Zustandekommen und Behandlungsfristen

Die Volksinitiative «Für eine gute und bezahlbare familienergänzende Kinderbetreuung für alle (Kita-Initiative)» wurde am 22. Februar 2022 von der Bundeskanzlei vorgeprüft ³ und am 5. Juli 2023 mit den nötigen Unterschriften eingereicht.
Mit Verfügung vom 21. Juli 2023 stellte die Bundeskanzlei fest, dass die Initiative mit 102 238 gültigen Unterschriften zustande gekommen ist. ⁴
Die Initiative hat die Form des ausgearbeiteten Entwurfs. Der Bundesrat unterbreitet dazu weder einen direkten Gegenentwurf noch einen indirekten Gegenvorschlag. Nach Artikel 97 Absatz 1 Buchstabe a des Parlamentsgesetzes vom 13. Dezember 2002 ⁵ (ParlG) hat der Bundesrat somit spätestens bis zum 5. Juli 2024 einen Beschlussentwurf und eine Botschaft zu unterbreiten. Die Bundesversammlung hat nach Artikel 100 ParlG bis zum 5. Januar 2026 über die Abstimmungsempfehlung zu beschliessen.
³ BBl 2022 526
⁴ BBl 2023 1750
⁵ SR 171.10

1.3 Gültigkeit

Die Initiative erfüllt die Anforderungen an die Gültigkeit nach Artikel 139 Absatz 3 der Bundesverfassung (BV):
a.
Sie ist als vollständig ausgearbeiteter Entwurf formuliert und erfüllt somit die Anforderungen an die Einheit der Form.
b.
Zwischen den einzelnen Teilen der Initiative besteht ein sachlicher Zusammenhang. Die Initiative erfüllt somit die Anforderungen an die Einheit der Materie.
c.
Die Initiative verletzt keine zwingenden Bestimmungen des Völkerrechts. Sie erfüllt somit die Anforderungen an die Vereinbarkeit mit dem Völkerrecht.

2 Ausgangslage für die Entstehung der Initiative

Die Situation von Familien in der Schweiz hat sich in den vergangenen Jahrzehnten stark verändert. Gemäss dem statistischen Sozialbericht Schweiz 2023 ⁶ des Bundesamts für Statistik (BFS) steigt die Zahl der Einpersonenhaushalte, der Paarhaushalte ohne Kinder und der Einelternhaushalte seit 1990 kontinuierlich an. Das durchschnittliche Alter der Mutter zum Zeitpunkt der ersten Geburt, welches 1996 bei 28,2 Jahren lag, betrug 2021 31,2 Jahre. Die Vielfalt der Familienformen und die Mobilität zwischen den Familienformen nehmen zu, während sowohl Lebensgemeinschaften als auch Geburten seltener an eine Ehe geknüpft sind. Die Geburtenhäufigkeit ist in den 60er-Jahren eingebrochen, bewegt sich jedoch seit 2009 bei rund 1,5 Kindern pro Frau und hat im Jahr 2022 mit 1,39 Kindern pro Frau einen Tiefststand erreicht. Von den Frauen im Alter von 25 bis 39 Jahren, die noch keine Kinder haben, die aber Kinder möchten, geben 55 Prozent an, dass die Kinderbetreuungsmöglichkeiten ihren Entscheid für ein Kind stark oder sehr stark beeinflussen (Männer: 41 %). ⁷
Bei der Nutzung der familienergänzenden Kinderbetreuung griffen 2018 38,9 Prozent der Haushalte mit Kindern unter 13 Jahren auf institutionelle familienergänzende Kinderbetreuung zurück. Zu den institutionellen Betreuungsformen werden private und öffentliche Einrichtungen wie Kindertagesstätten, schulergänzende Kinderbetreuung und in Netzwerken zusammengeschlossene Tagesfamilien gezählt. Nicht institutionelle Betreuungsformen wurden von 45,4 Prozent der Haushalte in Anspruch genommen. Mit nicht institutioneller Betreuung sind Privatpersonen wie Grosseltern und andere Personen aus dem familiären und privaten Umfeld, Tagesfamilien, die keiner Organisation angehören, und Nannys gemeint. 31,9 Prozent nutzten keine familienergänzende Betreuung. Dabei gibt es grosse regionale Unterschiede. In französischsprachigen Kantonen, städtischen Kantonen wie Basel-Stadt und Genf sowie Kantonen mit einer Grossstadt wie Zürich nehmen über 70 Prozent der Eltern familienergänzende Kinderbetreuung in Anspruch, hauptsächlich die institutionalisierten Formen, insbesondere die Kindertagesstätten und schulergänzenden Angebote. In eher ländlichen Kantonen der Deutschschweiz und im Tessin kommt mehrheitlich die nicht institutionalisierte Betreuung zum Zug. Dabei greifen die Eltern vor allem auf die Grosseltern zurück.
Berechnungen zur Finanzierung der institutionellen familienergänzenden Kinderbetreuung zeigen, dass die Belastung durch die von den Eltern zu bezahlenden Anteile der Betreuungskosten in den Gemeinden sehr unterschiedlich ausfallen kann. ⁸ In der Mehrheit der Kantone und Gemeinden ist der von den Eltern zu bezahlende Anteil an ihre wirtschaftliche Leistungsfähigkeit gekoppelt. Die Höhe der Elternbeiträge fällt jedoch unterschiedlich aus. Je nach Gemeinde geben Eltern durchschnittlich 3 Prozent (Genf) bis 14 Prozent (Sarnen) ihres Jahreseinkommens für die Betreuung von zwei Vorschulkindern an zwei Tagen pro Woche in einer Kindertagesstätte aus (Erwerbspensum: 140 %, Nettohaushaltseinkommen: 114 000 Fr.). Für einen Einelternhaushalt mit einem durchschnittlichen Einkommen und einem Erwerbspensum von 60 Prozent beträgt die Netto-Belastung mit zwei Kindern in den untersuchten Gemeinden zwischen 5 und 20 Prozent. Die Kosten für Eltern sind im internationalen Vergleich auffallend hoch. ⁹
Angesichts des Wandels, der die gesamte Gesellschaft massgeblich und langfristig betrifft und verändert, ist es von zentraler Bedeutung, dass die Rahmenbedingungen für Familien kontinuierlich an den aktuellsten Erkenntnisstand angepasst werden. Dies betrifft unterschiedliche Politikbereiche. Zahlreiche Aufgaben der Schweizer Familienpolitik liegen in der Kompetenz der Kantone und Gemeinden. Der Bund übernimmt unter anderem im Bereich der Familienzulagen und der Mutterschaftsversicherung unterstützende und ergänzende Aufgaben (Art. 116 BV). Die Aktivitäten des Bundes im Bereich der Finanzhilfen zur Schaffung von Betreuungsplätzen (seit 2003) und für Subventionserhöhungen an Kantone und Gemeinden zum Ausbau der Kinderbetreuung (seit 2018) haben zusätzlich dazu beigetragen, dass Eltern heute häufiger auf eine institutionelle Kinderbetreuung zurückgreifen. Aus der Evaluation dieses Programms ging hervor, dass einige Kantone eine Gesamtstrategie und eine aktive Rolle des Bundes in der gesamten Thematik der familien- und schulergänzenden Betreuung als wünschenswert ansehen. 1⁰ Die Rolle des Bundes ist auch im Zusammenhang mit Fragen rund um die Harmonisierung, die Effizienz und die Wirksamkeit solcher Massnahmen und im Zusammenhang mit dem administrativen Aufwand umstritten.

2.1 Geltendes Recht und aktuelle Massnahmen

2.1.1 Bestimmungen im Bundesrecht

In Bezug auf die Familienpolitik fussen die Aktivitäten des Bundes auf verschiedenen verfassungsrechtlichen Grundlagen. Einerseits besteht eine familienpolitische Verfassungsgrundlage in Artikel 116 BV. Darin kommt dem Bund in Absatz 1 zweiter Satz zum Schutz der Familien eine Kompetenz zu, Massnahmen Dritter zu unterstützen. Die Kompetenz des Bundes nach Artikel 116 Absatz 1 zweiter Satz BV im Bereich des Familienschutzes ist zur Zuständigkeit der Kantone in diesem Bereich parallel, jedoch subsidiär. Absatz 2 von Artikel 116 erteilt dem Bund eine umfassende Gesetzgebungskompetenz im Bereich der Familienzulagen. Gemäss einem Rechtsgutachten des Bundesamts für Justiz vom 13. März 2023 zuhanden der Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur des Ständerates (WBK-S) können Bundesbeiträge an die Kosten der Eltern für die familienergänzende Kinderbetreuung unter Umständen unter den Begriff der Familienzulagen im Sinne von Artikel 116 Absatz 2 BV fallen. 1¹ Das Familienzulagengesetz vom 24. März 2006 ¹2 basiert auf dieser Verfassungsgrundlage. Es bezweckt, die finanzielle Belastung durch ein Kind oder mehrere Kinder teilweise auszugleichen. In einem neueren Gutachten von Mahon und Huruy wird festgestellt, dass die Unterstützungskompetenz des Bundes im Sinne von Artikel 116 Absatz 1 zweiter Satz BV in Verbindung mit den Artikeln 8 Absatz 3 und 110 Absatz 1 BV auch als weitergehend verstanden werden könnte und der Bund, soweit ein Zusammenhang zur Erwerbsarbeit bestünde, auch unabhängig von Leistungen Dritter Massnahmen zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Erwerbstätigkeit ergreifen könnte. ¹3
Im Bereich der Verbesserung der Chancengerechtigkeit für Kinder im Vorschulalter gibt Artikel 67 Absatz 2 BV dem Bund die Kompetenz, in Ergänzung zu kantonalen Massnahmen die ausserschulische Arbeit mit Kindern und Jugendlichen zu unterstützen. Der Begriff «ausserschulisch» ist dabei als «örtlich und zeitlich ausserhalb der Schule» zu verstehen. Es handelt sich bei der Unterstützung der ausserschulischen Arbeit um eine parallele und eine subsidiäre Kompetenz des Bundes. Daneben wird in Artikel 41 Absatz 1 Buchstabe g BV als Sozialziel festgehalten, dass Kinder und Jugendliche in ihrer Entwicklung zu selbstständigen und sozial verantwortlichen Personen zu fördern und in ihrer sozialen, kulturellen und politischen Integration zu unterstützen sind. Diese Norm wendet sich an alle Behörden, ist jedoch aufgrund ihres programmatischen Charakters nicht direkt justiziabel und begründet auch keine Bundeskompetenzen, sondern soll als eine Anweisung an die rechtssetzenden und rechtsanwendenden Behörden verstanden werden. Artikel 11 Absatz 1 BV wiederum verpflichtet als Grundrecht den Staat zu einer positiven Pflicht, die Unversehrtheit der Kinder und Jugendlichen besonders zu wahren und sie in ihrer Entwicklung zu fördern.
Am 3. März 2013 haben Volk und Stände über den Verfassungsartikel über die Familienpolitik abgestimmt (Bundesbeschluss vom 15. Juni 2012 ¹4 über die Familienpolitik). Das Parlament hatte diese neuen Bestimmungen erarbeitet, um die heutige Lücke in der Verfassung zu schliessen. Der Bundesrat hatte die Ergänzung der Verfassung von Anfang an unterstützt. Mit einer Ja-Mehrheit der Volksstimmen von 54,3 Prozent, aber mit 13 ablehnenden gegenüber 10 zustimmenden Ständen wurde der Verfassungsartikel abgelehnt. Der Artikel hätte Bund und Kantone verpflichtet, die Vereinbarkeit von Familienarbeit und Erwerbstätigkeit sowie von Familienarbeit und Ausbildung zu fördern. Die Kantone sollten insbesondere für ein bedarfsgerechtes Angebot an Plätzen für die familien- und schulergänzende Kinderbetreuung sorgen. Für den Fall, dass die Kantone diese Vorgabe nicht genügend erfüllt hätten, hätte der Bund die Kompetenz erhalten, gesamtschweizerische Vorgaben zu erlassen.
In Bezug auf die Politik der frühen Kindheit stützt sich die Kinder- und Jugendpolitik unter anderem auf das UNO-Übereinkommen vom 20. November 1989 ¹5 über die Rechte des Kindes sowie insbesondere auf Artikel 67 Absatz 2 BV.
1¹ Rechtsgutachten des Bundesamts für Justiz im Rahmen der Behandlung der pa. Iv. 21.403 der WBK-N vom 13. März 2023 «Überführung der Anstossfinanzierung in eine zeitgemässe Lösung».
¹2 SR 836.2
¹3 Mahon, P.; Huruy, B. 2021: Die Kompetenzen des Bundes im Bereich familien- und schulergänzende Kinderbetreuung. Rechtsgutachten im Auftrag der Jakobs Foundation; vgl. dazu auch das Rechtsgutachten des Bundesamts für Justiz vom 25. Okt. 2001, VPB 66.1.
¹4 BBl 2012 5923
¹5 SR 0.107

2.1.2 Branchen- und betriebsspezifische Bestimmungen

In Bezug auf die Bewilligung für die familienergänzende Kinderbetreuung sowie bezüglich der Aufsicht werden auf Bundesebene einzig in der Pflegekinderverordnung vom 19. Oktober 1977 ¹6 Vorgaben zur Wahrung des Kindswohls gemacht (Art. 1 a ). Die Verordnung stellt für die Bereiche Familienpflege Tagespflege, Heimpflege und Dienstleistungsangebote in der Familienpflege Minimalanforderungen auf. Es handelt sich um eine Art Rahmen- oder Grundsatzgesetzgebung. Den Kantonen ist es freigestellt, weitergehende Bestimmungen zu erlassen. Von dieser Möglichkeit haben die Kantone in unterschiedlichem Mass Gebrauch gemacht. Die Zuständigkeit für die Bewilligungen sowie für die Aufsicht über die betreffenden Pflegeeltern liegt in jedem Fall bei den Kantonen oder Gemeinden. In den Erlassen der Aufsichts- oder Bewilligungsbehörde können weitere Vorgaben beispielsweise zur Qualität wie Anforderungen an das Fachpersonal oder an den Betreuungsschlüssel vorgesehen werden. In Bezug auf die Arbeitsbedingungen des Personals gelten zudem die Bestimmungen des Arbeitsrechts ¹7 und des Obligationenrechts ¹8 . Darüber hinaus steht es den entsprechenden Verbänden frei, die Arbeitsbedingungen beispielsweise im Rahmen eines Gesamtarbeitsvertrags zu verhandeln oder über die Zertifizierung von Anbietenden Qualitätsmerkmale zu etablieren.
¹6 SR 211.222.338
¹7 SR 822
¹8 SR 220

2.1.3 Bisherige Unterstützungsleistungen des Bundes

Der Bund richtet im Rahmen des bis Dezember 2024 befristeten Impulsprogramms seit zwanzig Jahren finanzielle Beiträge an die Schaffung von neuen Betreuungsplätzen für Kinder aus. Eine Verlängerung bis Ende 2026 wird im Rahmen der parlamentarischen Initiative (pa. Iv.) 23.478 ¹9 geprüft, welche an die Inkraftsetzung der pa. Iv. 21.403 2⁰ geknüpft ist. Die Bilanz des Impulsprogramms ist positiv. Seit Inkrafttreten wurden 4160 Gesuche bewilligt und damit die Schaffung von 76 562 neuen Betreuungsplätzen unterstützt (Stand 1. Febr. 2024). Davon sind 45 217 Plätze im Vorschulbereich und 31 345 Plätze in der schulergänzenden Betreuung. Dafür sind vom Bund Verpflichtungen in der Höhe von 476 Millionen Franken eingegangen worden (ohne Durchführungskosten).
Seit Juli 2018 kann der Bund durch zwei zusätzlich im Bundesgesetz vom 4. Oktober 2002 2¹ über Finanzhilfen für familienergänzende Kinderbetreuung (KBFHG) eingeführte Instrumente jene Kantone und Gemeinden mit Finanzhilfen unterstützen, welche die Subventionen erhöhen und so die Kosten der Eltern für die familienergänzende Kinderbetreuung senken. Zudem kann er Projekte fördern, mit denen Betreuungsangebote besser auf die Bedürfnisse der Eltern ausgerichtet werden. Bisher haben 17 Kantone ein Gesuch für Subventionserhöhungen eingereicht, mit denen Finanzhilfen in der Höhe von rund 138,3 Millionen Franken beantragt werden.
Bei beiden Finanzhilfen ist nicht auszuschliessen, dass ein gewisser Teil der Bundesmittel in Massnahmen geflossen ist, die auch ohne Bundesunterstützung umgesetzt worden wären (Mitnahmeeffekte).
¹9 «Verlängerung der Bundesbeiträge an die familienergänzende Kinderbetreuung bis Ende des Jahres 2026».
2⁰ «Überführung der Anstossfinanzierung in eine zeitgemässe Lösung».
2¹ SR 861

2.1.4 Parlamentarische Initiative 21.403 «Überführung der Anstossfinanzierung in eine zeitgemässe Lösung»

Die pa. Iv. 21.403 der WBK-N («Überführung der Anstossfinanzierung in eine zeitgemässe Lösung») möchte eine unbefristete Nachfolgelösung für das KBFHG schaffen, welche die Vereinbarkeit von Familie und Erwerbstätigkeit oder Ausbildung sowie die Chancengerechtigkeit für Kinder im Vorschulalter verbessert. Die WBK-N schlug erstens vor, dass sich der Bund künftig dauerhaft an den Kosten der Eltern für die familienergänzende Kinderbetreuung beteiligen soll. Laut ihrem Entwurf soll für jedes Kind von der Geburt bis zum Ende der obligatorischen Schulzeit Anspruch auf einen Bundesbeitrag bestehen, sofern es institutionell betreut wird. Der Bundesbeitrag beliefe sich während den ersten vier Jahren nach Inkraftsetzung des Gesetzes auf 20 Prozent der durchschnittlichen Kosten eines familienergänzenden Betreuungsplatzes. Danach soll der Bundesrat den Bundesbeitrag pro Kanton in Abhängigkeit von dessen finanziellem Engagement für die familienergänzende Kinderbetreuung festlegen. Die WBK-N sieht zweitens Programmvereinbarungen des Bundes mit den Kantonen vor. Der Bund soll den Kantonen auf der Grundlage dieser Programmvereinbarungen globale Finanzhilfen zur Weiterentwicklung der familienergänzenden Kinderbetreuung und für Massnahmen zur Weiterentwicklung ihrer Politik der frühen Förderung von Kindern gewähren.
In seiner Stellungnahme vom 15. Februar 2023 2² teilte der Bundesrat die Auffassung, dass die familienergänzende Kinderbetreuung weiterhin gefördert werden müsse und dass die öffentliche Hand die Eltern finanziell stärker entlasten müsse, dies insbesondere auch im Kontext des Fachkräftemangels. Einen Bundesbeitrag zur Senkung der Kosten der Eltern lehnte der Bundesrat jedoch grundsätzlich ab, da dies Sache der Kantone sei und sich auch die Arbeitgeber in geeigneter Form am Ausbau der familienergänzenden Kinderbetreuung beteiligen sollten.
Der Bundesrat beantragte, dass der Entwurf in folgenden Punkten anzupassen sei, sollte das Parlament auf die Vorlage eintreten: Der Zweck des Gesetzes sei auf die Senkung der Kosten der Eltern für die familienergänzende Kinderbetreuung zu beschränken; der Anspruch auf den Bundesbeitrag sei an einen kumulierten Mindestbeschäftigungsgrad zu knüpfen; der Geltungsbereich des Gesetzes sei einzuschränken auf die institutionelle familienergänzende Kinderbetreuung ab der Geburt bis zum Ende der obligatorischen Schulzeit der Primarstufe. Zudem sei die Höhe des Bundesbeitrages auf zehn Prozent der durchschnittlichen Kosten eines Betreuungsplatzes in der Schweiz festzulegen. Da die Kantone und Gemeinden in erster Linie für die familienergänzende Kinderbetreuung und die frühe Förderung von Kindern zuständig sind, sei auf Programmvereinbarungen zu verzichten. Auch auf die Erstellung einer Statistik sei zu verzichten und es sei eine Gegenfinanzierung über eine finanzielle Beteiligung der Kantone einzuführen. Hier wäre eine Senkung des Kantonsanteils an der direkten Bundessteuer von derzeit 21,2 Prozent auf neu 20,5 Prozent vorgeschlagen worden. Diese hätte die Nettobelastung des Bundes für den Bundesbeitrag im Einführungsjahr auf 160 Millionen Franken reduziert. Wäre die Nettobelastung des Bundes auf über 200 Millionen Franken jährlich gestiegen, wäre die Gegenfinanzierung durch die Kantone durch eine weitere Senkung des Kantonalanteils einmalig anzupassen gewesen.
Der Entwurf des Bundesgesetzes über die Unterstützung der familienergänzenden Kinderbetreuung und der Kantone in ihrer Politik der frühen Förderung von Kindern wurde in der Frühlingssession 2023 vom Nationalrat mit 107 zu 79 Stimmen und bei 5 Enthaltungen angenommen.
Anschliessend beriet die WBK-S die Vorlage. Sie verfolgt einen konzeptionell anderen Ansatz zur Entlastung der Eltern. Eltern, die einer Erwerbstätigkeit nachgehen, sollen über eine Betreuungszulage als ergänzendes Element zu den Familienzulagen entlastet werden. Eine Finanzierung durch den Bund ist nicht vorgesehen. Für die WBK-S stehen dabei insbesondere drei Aspekte im Vordergrund. Sie will mit einer vermehrten Integration von Eltern in die Arbeitswelt wirtschaftliche Ziele erreichen. Darum legt sie Wert auf eine explizitere Anbindung der möglichen Entlastung der Eltern an die Erwerbstätigkeit. Es ist der Kommission ausserdem ein Anliegen, den Bundeshaushalt nicht übermässig mit einer stark gebundenen neuen Leistung zu belasten, weshalb die Finanzierung analog zu den anderen Formen von Familienzulagen über Arbeitgeber- und allenfalls über Arbeitnehmerbeiträge laufen soll. Sie hat zudem bezüglich eines Bundesbeitrags, wie der Nationalrat ihn vorsieht, erhebliche Bedenken in Bezug auf mögliche Mitnahmeeffekte und aufwändige Durchführungsstrukturen, die sowohl auf Bundes- als auch auf Kantons- und allenfalls Gemeindeebene aufgebaut werden müssten. Die WBK-S unterstützt das Ziel, die Kosten für die Eltern zu reduzieren, sowie grundsätzlich auch die Meinung des Nationalrats betreffend Förderung der familienergänzenden Kinderbetreuung in den Kantonen über Programmvereinbarungen. Sie sieht hierfür drei Förderbereiche vor: die Lückenschliessung, die Schaffung von ausreichend Betreuungsstrukturen für Kinder mit Behinderungen und die Förderung der kantonalen Politiken zur frühen Förderung. Die vorliegende Vorlage bietet in diesen Bereichen entscheidende Vorteile im Bereich der Effizienz und der Effektivität. Die WBK-S verabschiedete zu diesem Geschäft am 15. Februar 2024 den Zusatzbericht und eröffnete die Vernehmlassung am 6. März 2024.
Die Ziele, die die Kita-Initiative verfolgt, sind bereits weitgehend in den Entwürfen enthalten, die aus der pa. Iv. 21.403 hervorgegangen sind. So sollen die Kosten der Eltern für die institutionelle familienergänzende Kinderbetreuung gesenkt, Angebotslücken geschlossen und aus Sicht des Nationalrats auch die Qualität des Angebots der familienergänzenden Kinderbetreuung verbessert und das Angebot besser auf die Bedürfnisse der Eltern abgestimmt werden. Die Entwürfe aufgrund der pa. Iv. 21.403 unterscheiden sich zur Volksinitiative insbesondere dadurch, dass eine deutlich niedrigere Beteiligung durch den Bund oder, in der Variante der WBK-S, keine Bundesbeteiligung vorgesehen ist, dass die Finanzierung anders ausgestaltet ist und dass basierend auf der bestehenden Kompetenzordnung keine Vorgaben zu Ausbildung und Arbeitsbedingungen des Fachpersonals sowie zur Qualität an sich auf Bundesebene gemacht werden.
2² BBl 2023 598

2.2 Regelungen der Kinderbetreuungskosten in den Nachbarstaaten

Am 8. Dezember 2022 hat der Rat der Europäischen Union (EU) die «Empfehlung zu frühkindlicher Betreuung, Bildung und Erziehung: die Barcelona-Ziele für 2030» ²3 verabschiedet. Damit sollen die EU-Mitgliedstaaten - unter Berücksichtigung der nationalen Gegebenheiten - dazu angehalten werden, die Teilnahme an zugänglicher, bezahlbarer und hochwertiger frühkindlicher Betreuung, Bildung und Erziehung (FBBE) zu erhöhen, um die Erwerbsbeteiligung von Frauen zu erleichtern und zu fördern und gleichzeitig die soziale und kognitive Entwicklung sowie den Bildungserfolg von Kindern, speziell von besonders schutzbedürftigen und benachteiligten Kindern, zu unterstützen. Den EU-Mitgliedstaaten wird insbesondere empfohlen, FBBE-Angebote einzurichten und damit sicherzustellen, dass bis 2030 mindestens 45 Prozent der Kinder unter drei Jahren und mindestens 96 Prozent der Kinder zwischen drei Jahren und dem gesetzlichen Einschulungsalter an FBBE teilnehmen. Die Empfehlung deckt auch qualitative Aspekte wie das Betreuungsverhältnis, die Gruppengrösse, die territoriale Verteilung des FBBE-Angebots sowie die Arbeitsbedingungen und die Qualifikation des Personals ab. In Bezug auf die Erschwinglichkeit und die Zugänglichkeit werden die Mitgliedstaaten angehalten, den Selbstkostenanteil für Eltern zu begrenzen und für Eltern mit untypischen Arbeitszeiten Lösungen zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Privatleben bereitzustellen. Für die Schweiz ist die EU-Empfehlung nicht verbindlich, die Kita-Initiative geht jedoch in die Richtung der darin enthaltenen Massnahmen.
Die vier grossen Nachbarländer der Schweiz sind als Mitgliedstaaten der EU eingeladen, die Empfehlung umzusetzen und die Europäische Kommission bis Juni 2024 über die getroffenen Massnahmen zu informieren.
Deutschland ist das einzige Nachbarland, das seit August 2013 für Kinder zwischen einem Jahr und dem Schuleintritt (mit ca. 6 Jahren) einen gesetzlich festgelegten Anspruch auf familienergänzende Kinderbetreuung vorsieht. Zuvor bestand seit 1996 bereits eine Regelung für Kinder ab drei Jahren bis zum Schuleintritt. Der Anspruch ist auf nationaler Ebene verankert, für die Umsetzung sind die Bundesländer zuständig. In einigen Bundesländern ist der Anspruch auf eine bestimmte Stundenzahl (4 bis 10 Stunden pro Tag) begrenzt. Zudem kann er vom Beschäftigungsgrad der Eltern abhängen; an das Einkommen der Eltern ist der Anspruch hingegen nicht geknüpft.
Die familienergänzende Kinderbetreuung wird bei unseren Nachbarn hauptsächlich durch die öffentliche Hand und die Eltern finanziert. Deutschland fördert auf nationaler Ebene die quantitative und die qualitative Weiterentwicklung der familienergänzenden Kinderbetreuung über Investitionsprogramme, die unter anderem zur Schaffung zusätzlicher Betreuungsplätze geführt haben. Für die weitere Finanzierung der Betreuungseinrichtungen sind hauptsächlich die Bundesländer zuständig, die diese autonom regeln. Dadurch unterscheiden sich die Regelungen je nach Region teilweise stark. ²4 Um die regionalen Unterschiede abzuschwächen, wurde 2019 ein Bundesgesetz ²5 in Kraft gesetzt, das die Pflicht einführt, bei der Festlegung der Elternbeiträge bestimmte Kriterien wie das Einkommen der Eltern, die Anzahl Kinder oder die Betreuungszeit zu berücksichtigen. In den vergangenen Jahren haben die Bundesländer immer mehr Massnahmen zur finanziellen Entlastung der Eltern getroffen. Auch in Österreich sind hauptsächlich die Bundesländer und die Gemeinden für die Finanzierung der familienergänzenden Kinderbetreuung verantwortlich. Durch spezifische Beihilfen an die Bundesländer beteiligt sich der Bund an der Finanzierung bestimmter Entwicklungsprojekte oder beispielsweise an der frühen sprachlichen Förderung. Der Elternbeitrag hängt vom Einkommen und von der Grösse der Familie ab. In einigen Bundesländern und für einige Altersgruppen ist der Besuch von Bildungs- und Betreuungseinrichtungen kostenlos. In Frankreich werden die Familienleistungen aus Sozialversicherungsmitteln (Arbeitgeberbeiträge, allgemeiner Sozialbeitrag und Abgaben) finanziert. Die Familienausgleichskassen (Caisses d’allocations familiales, Caf) tragen durch Betriebskostenzuschüsse an die Betreuungseinrichtungen für Kleinkinder (Etablissements d’accueil du jeune enfant, EAJE) zum Ausbau des Betreuungsangebots bei. Die Zuschüsse decken 66 Prozent der Selbstkosten pro Stunde für die Kinderbetreuung (bis zu einer jährlich festgelegten Obergrenze) und senken damit die Betreuungskosten zulasten der Eltern erheblich. In Italien beteiligen sich die drei Staatsebenen (Zentralstaat, Regionen und Gemeinden) an der Finanzierung der Kinderkrippen. Die finanzielle Unterstützung durch den Zentralstaat erfolgt über einen Fonds (Fondo asili nido e scuole dell’infanzia), aus dem jährlich 200 Millionen Euro direkt an die Gemeinden fliessen. Der Fonds unterstützt insbesondere Projekte für den Bau, die Umstrukturierung, die Sicherung sowie die Neugestaltung von Kinderkrippen und Kindergärten. Die Priorität liegt dabei auf Einrichtungen in benachteiligten Landesgebieten sowie auf innovativen Projekten für neue Betreuungs- und Bildungsangebote, die in Bezug auf Struktur und Organisation flexibel und breit auf die Bedürfnisse von Familien ausgerichtet sind. Die Krippenkosten der Eltern richten sich nach dem Einkommen der Eltern, wobei es Obergrenzen gibt.
In Deutschland gibt es grundsätzlich keine spezifischen Direkthilfen für Eltern; ²6 die Betreuungskosten können jedoch von den Steuern abgezogen werden. Auch in Österreich gibt es keine Direkthilfe, abgesehen von einigen Sonderfällen, zu denen beispielsweise Kinderbetreuungszuschüsse zur (Wieder-)Aufnahme einer unselbstständigen Erwerbstätigkeit zählen. Anzumerken ist, dass Zulagen, die die Arbeitgeber allenfalls an Arbeitnehmende mit Kindern entrichten, bis zu einem bestimmten Betrag steuerfrei sind. In Frankreich hingegen erhalten Eltern eine Betreuungszulage im Rahmen des Betreuungsgelds für Kleinkinder (complément de libre choix du mode de garde, CMG), mit der ein Teil der Betreuungsausgaben für Kinder unter 6 Jahren finanziert werden kann. Die Höhe der Zulage hängt von der Anzahl und vom Alter der Kinder, vom Haushaltseinkommen und von der gewählten Betreuungsform (Tagesmutter, Betreuung im eigenen Zuhause, Kinderkrippe, Verein oder zugelassenes Unternehmen) ab. Grundsätzlich verbleiben mindestens 15 Prozent der Betreuungskosten bei den Eltern. In Italien erhalten Eltern, deren Kind in einer öffentlichen oder privaten Kinderkrippe betreut wird, einen Zuschuss an die Betreuungskosten (bonus asilo nido). Die Höhe des Zuschusses richtet sich nach dem Einkommen der Eltern, darf die tatsächlich von den Eltern getragenen Betreuungskosten aber nicht übersteigen.
Die Qualität der Kinderbetreuung ist in allen Nachbarländern geregelt. In Frankreich enthält das Gesetz über das öffentliche Gesundheitswesen (Code de la santé publique) Bestimmungen zum verfügbaren Raum sowie zu folgenden Themen: Gebäudenormen, Sicherheit, Räume und deren Zweck, Hygiene, nötige Unterlagen (Bau-/Einrichtungsprojekt, pädagogisches Projekt, Betriebsordnung). Zudem gibt es eine nationale Charta für die Kleinkindbetreuung, die die zehn wichtigsten Grundsätze für eine hochwertige Betreuung aufführt und für alle Betreuungsformen gilt. ²7 In Österreich sind die Ausbildungsnormen für das Fachpersonal auf nationaler Ebene und die anderen Qualitätsaspekte auf Ebene der Bundesländer geregelt. Die Mindestlöhne des Personals von privaten Einrichtungen sind in Gesamtarbeitsverträgen und diejenigen des Personals von öffentlichen Einrichtungen in den Gesetzen der einzelnen Bundesländer festgelegt. Auch in Deutschland werden die nationalen Bestimmungen durch länderspezifische Bestimmungen ergänzt, wobei für die Umsetzung der familienergänzenden Kinderbetreuung hauptsächlich die Bundesländer zuständig sind. So wurde insbesondere der Gemeinsame Rahmen der Länder für die frühe Bildung in Kindertageseinrichtungen ²8 verabschiedet. In der Praxis bestehen bei den zentralen Qualitätsfaktoren dennoch grosse Unterschiede zwischen den Ländern. Beispielsweise variiert das Betreuungsverhältnis (Personal/Kinder) je nach Region stark: 2022 reichte das Betreuungsverhältnis bei den Kindern unter drei Jahren von 1:3 bis 1:5,8. Der Bund setzt sich daher vermehrt für die Qualität ein und will deutschlandweite Normen insbesondere für das Betreuungsverhältnis, für die sprachliche Bildung und Förderung sowie für ein auf die Bedürfnisse von Kindern ausgerichtetes Angebot festlegen. In den letzten Jahren haben die Tarifpartner im sozialen und pädagogischen Bereich für den öffentlichen Dienst deutliche Lohnverbesserungen für die Erzieherinnen und Erzieher erzielt. In Italien sind die Qualitätsnormen sowohl auf nationaler als auch auf regionaler Ebene geregelt. Demnach benötigt das Erziehungspersonal gemäss einem Gesetz aus dem Jahr 2017 nun einen Universitätsabschluss in Erziehungs- und Bildungswissenschaften mit einer spezifischen Ausrichtung auf Kleinkindererziehung. Der Lohn wird in Kollektivverhandlungen festgelegt.
²3 Abrufbar unter https://eur-lex.europa.eu
(2022/C 484/01).
²4 In einigen Bundesländern fallen für die Eltern keine oder nur sehr geringe Betreuungskosten an, während die Eltern anderer Bundesländer für einen Vollzeitplatz für Kinder unter drei Jahren weit über 300 Euro bezahlen.
²5 Gesetz zur Weiterentwicklung der Qualität und zur Verbesserung der Teilhabe in Tageseinrichtungen und in der Kindertagespflege, sog. «Gute-KiTa-Gesetz».
²6 In Bayern erhalten alle Eltern mit Kindern in einer bestimmten Altersgruppe eine Zulage in der Höhe von 100 Euro pro Monat.
²7 «Charte nationale pour l’accueil du jeune enfant» (nationale Charta für die Kleinkindbetreuung); abrufbar unter
https://solidarites.gouv.fr > Accueil > Actualités, presse, publications.
²8 Gemeinsamer Rahmen der Länder für die frühe Bildung in Kindertageseinrichtungen (Beschluss der JMK vom 13./14.5.2004 und Beschluss der KMK vom 3./4.6.2004 i. d. F. vom 6.5.2021 (JFMK) und 24.3.2022 (KMK)); abrufbar unter
www.kmk.org > Dokumentation / Statistik > Beschlüsse und Veröffentlichungen > Allgemeine Bildung > Frühkindliche Bildung.
⁶ Abrufbar unter: www.bfs.admin.ch > Bundesamt für Statistik > Statistiken finden > Soziale Sicherheit > Analysen und Verläufe im System der sozialen Sicherheit.
⁷ Bundesamt für Statistik 2023: Erhebung zu Familien und Generationen. Abrufbar unter
www.bfs.admin.ch > Statistiken finden > Bevölkerung > Erhebung zu Familien und Generationen.
⁸ Stern, S. et al. 2021: Finanzierung der institutionellen Kinderbetreuung und Elterntarife. Bericht, S. 93-95.
⁹ Unicef 2021: Where do rich countries stand on childcare? UNICEF Office of Research - Innocenti, S. 19.
1⁰ Stern, S. et al. 2022: Evaluation Finanzhilfen für familienergänzende Kinderbetreuung: Wirkungen der Finanzhilfen für Subventionserhöhungen in Kantonen und Gemeinden, S. 21.

3 Ziele und Inhalt der Initiative

3.1 Ziele der Initiative

Die Kita-Initiative fordert ein ausreichendes und bedarfsgerechtes sowie ein qualitativ hochwertiges Angebot für die institutionelle familienergänzende Betreuung von Kindern. Zusammengefasst sind es fünf Hauptargumente, die das Komitee für die Kita-Initiative anführt: ²9 Stärkung der Gleichstellung der Geschlechter, mehr Chancengerechtigkeit für Kinder, Stärkung der Wahlfreiheit der Eltern bei der Aufteilung der Erwerbs- und Familienarbeit, gute Arbeitsbedingungen für die Angestellten in der Kinderbetreuung sowie positive volkswirtschaftliche Auswirkungen. 3⁰
Das Initiativkomitee führt aus, dass gute und bezahlbare Kinderbetreuung eine wesentliche Voraussetzung für die Gleichstellung sei, weil sie einen Beitrag zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Erwerbstätigkeit oder Ausbildung leiste. Auch für die Chancengerechtigkeit spiele sie eine entscheidende Rolle und ermögliche Kindern aus sozial und finanziell benachteiligten Familien Bildungsgerechtigkeit und Integration. Aktuell sei die Wahlfreiheit der Eltern aufgrund der ortsabhängig teilweise sehr hohen Kosten und aufgrund fehlender passender Plätze eingeschränkt und müsse gestärkt werden.
Weiteren Handlungsbedarf sieht das Initiativkomitee bei Ausbildung, Arbeitsbedingungen und Lohn. Es argumentiert, dass nach dem Gleichstellungsgesetz vom 24. März 1995 3¹ der Umstand, dass eine Tätigkeit überwiegend oder fast ausschliesslich von Frauen ausgeübt wird, nicht zu einem niedrigeren Lohn als bei anderen, gleichwertigen Tätigkeiten führen dürfe. Seit Jahren wachse die Nachfrage nach Betreuungsplätzen, dennoch würden nicht genügend Fachpersonen ausgebildet. Dazu gehört gemäss dem Initiativkomitee auch, dass zu wenige und zu wenig gut ausgebildete Betreuungspersonen für zu viele Kinder zuständig seien. Die Kita-Initiative sieht daher Vorgaben zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen vor.
Bezüglich der Mitfinanzierung der familienergänzenden Kinderbetreuung durch die öffentliche Hand gibt das Initiativkomitee zu bedenken, dass die Schweiz heute das europäische Schlusslicht bilde. Im Durchschnitt gäben die OECD-Länder für die Altersgruppe der 0- bis 3-Jährigen 0,8 Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP) aus, die skandinavischen Länder bis zu 2 Prozent und die Schweiz bloss 0,1 Prozent. Die Investitionen würden zu zusätzlichen Steuereinnahmen führen, dem Fachkräftemangel entgegenwirken und die Sozial- und Bildungsausgaben senken. Darum zahle sich die Kita-Initiative volkswirtschaftlich aus.
²9 Vgl . www.gute-kitas.ch > Um was geht’s? > Weiterführende Informationen > Juristische Erläuterungen.
3⁰ Idem.
3¹ SR 151.1

3.2 Inhalt der vorgeschlagenen Regelung

Die Volksinitiative will in der Verfassung den Grundsatz verankern, dass jedes Kind ab dem Alter von drei Monaten bis zum Ende des Grundschulunterrichts einen An-spruch auf eine institutionelle familienergänzende Kinderbetreuung hat, sofern die Eltern dieses Angebot in Anspruch nehmen wollen. Die Kantone werden verpflichtet, die Angebote bereitzustellen (Abs. 1 und 2). Der Bund soll zwei Drittel der Kosten der institutionellen familienergänzenden Kinderbetreuung übernehmen. Falls die Kantone für das verbleibende Drittel der Kosten Elternbeiträge erheben möchten, müssten diese nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Eltern festgelegt werden, dürften jedoch zehn Prozent des Einkommens nicht übersteigen (Abs. 4). Der Bund kann Grundsätze zum bereitzustellenden Angebot festlegen, beispielswese Mindestrichtlinien zur Qualität der Betreuung, zu den Arbeitsbedingungen und zu weiteren Anforderungen (Abs. 5). Mit der Koppelung der Beiträge an maximal 10 Prozent des Einkommens der Eltern soll die familienergänzende Kinderbetreuung für alle bezahlbar werden. Verfassungsrechtliche Vorgaben, die in der Gesetzgebung zu konkretisieren sind, betreffen auch Ausbildung, Lohn und Arbeitsbedingungen, welche verbessert werden sollen (Abs. 3).

3.3 Auslegung und Erläuterung des Initiativtextes

Die Initiantinnen und Initianten schlagen vor, die Bundesverfassung um einen neuen Artikel 116 a zu erweitern. Ausserdem soll in Artikel 197 Ziffer 13 eine Übergangsbestimmung eingefügt werden.
Art. 116a
Artikel 116 a bezieht sich, wie in Absatz 1 ausgeführt wird, auf die institutionelle familienergänzende Kinderbetreuung.
Abs. 1
Absatz 1 stellt in erster Linie eine an die Kantone gerichtete Vorgabe dar. Die Kantone sollen für eine ausreichende, allen zugängliche und bedarfsgerechte institutionelle familienergänzende Kinderbetreuung sorgen. Daraus leitet sich jedoch kein Rechtsanspruch auf einen Platz in der institutionellen familienergänzenden Kinderbetreuung ab und keine Verpflichtung zur Nutzung des Angebots.
Abs. 2
Die Volksinitiative sieht in Absatz 2 vor, dass das Betreuungsangebot Kindern ab dem Alter von drei Monaten bis zum Grundschulabschluss offensteht. Dabei erfolgt der Abschluss frühestens nach neun Schuljahren 3² und umfasst nach der neueren Rechtsprechung die Zeit vom Kindergarten bis und mit Sekundarstufe I 3³ , welche typischerweise mit der neunten Klasse endet.
Abs. 3
Bei den Hinweisen zu Ausbildung, Lohn und Arbeitsbedingungen handelt es sich um verfassungsrechtliche Vorgaben, die in der Gesetzgebung zu konkretisieren sind. Die Initiantinnen und Initianten gehen davon aus, dass die Gewährleistung guter Arbeits- und Betreuungsbedingungen einen Betreuungsschlüssel verlangt, bei dem Schulabgängerinnen und Schulabgänger im Praktikum und Lernende nicht eingerechnet werden. Bezüglich den vom Initiativkomitee genannten Qualitätsfaktoren gehen die Empfehlungen der Konferenz der kantonalen Sozialdirektorinnen und -direktoren (SODK) und der Schweizerischen Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK) vom 15. November 2022 ³4 zur Qualität und zur Finanzierung der familien- und schulergänzenden Kinderbetreuung weiter ins Detail (Kap. 3.3 und 3.4). So unterscheiden sie zwischen fachlich qualifizierten Betreuungspersonen, Betreuungspersonen ohne Fachqualifikation und Unterstützungspersonen und fordern, dass der Anteil an Betreuungspersonen mit Fachqualifikation am gesamten Betreuungspersonal bei mindestens 60 Prozent liegen sollte, dass jedoch ein Wert von 80 Prozent anzustreben sei. Diese Empfehlungen wären im Gesetzgebungsprozess zu berücksichtigen.
Abs. 4
Absatz 4 besagt, dass der Bund zwei Drittel der Kosten der institutionellen familienergänzenden Betreuung von Kindern trägt. Der Initiativtext fordert, dass die Kantone für das entsprechende Angebot sorgen. Sie können die Eltern gemäss ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit in die Finanzierung des letzten Drittels der Kosten einbeziehen. Dies schliesst nicht aus, dass die Kantone weitere Akteure wie die Arbeitgeber in die Finanzierung einbeziehen. ³5 In ihrer Rolle könnte es den Kantonen zufallen, dass sie die Bundesbeiträge von zwei Dritteln der Gesamtkosten der institutionellen familienergänzenden Kinderbetreuung beim Bund in Rechnung stellen. Im Gesetzgebungsprozess könnten bei der Ausgestaltung der Finanzierungsstrukturen die Empfehlungen der SODK und der EDK vom 15. November 2022 und die Empfehlungen der Eidgenössischen Kommission für Familienfragen (EKFF) vom August 2021 ³6 berücksichtigt werden. Es kann aus Absatz 4 kein Anrecht der Eltern auf direkte Beitragszahlungen abgeleitet werden.
Dass die Beteiligung der Eltern zehn Prozent ihres Einkommens nicht übersteigen darf, lässt aufgrund der Situation in den Kantonen einen gewissen Spielraum zu. So zeigen Berechnungen zur Finanzierung der institutionellen familienergänzenden Kinderbetreuung, dass die Belastung durch Betreuungskosten für einen durchschnittlichen Schweizer Familienhaushalt mit einem Erwerbspensum von 140 Prozent in 10 von 13 untersuchten Gemeinden bereits heute unter 10 Prozent liegt (vgl. auch Ziff. 2). ³7 Familien können daher von der Initiative stärker profitieren, wenn an ihrem Wohnort die Beteiligung der öffentlichen Hand tief ist, wenn sie viele Betreuungsstunden in Anspruch nehmen oder wenn sie aufgrund eines hohen Einkommens bisher nicht von Subventionen profitieren konnten. Der Begriff des Einkommens der Eltern wäre näher zu definieren.
Auch wenn Absatz 4 Satz 1 dem Bund expressis verbis keine Gesetzgebungskompetenz zuweist, wird diese dem Bund implizit über die vorgesehene Bundesfinanzierung übertragen. So ist die Gesetzgebungskompetenz in Bezug auf das Verfahren zur Gewährung dieser Finanzierung nicht nur auf Grundsätze beschränkt.
Abs. 5
Gemäss Absatz 5 kann der Bund Grundsätze festlegen. Das Initiativkomitee sieht in dieser Bestimmung eine subsidiäre Regelungszuständigkeit im Falle, dass die Kantone ihren verfassungsrechtlichen Auftrag nicht erfüllen würden oder erfüllen könnten. ³8 Dieser Auslegung ist nicht zuzustimmen. Anders als in den Artikeln 62 Absatz 4 und 63 a Absatz 5 BV sieht Absatz 5 des Initiativtextes keine Bedingung vor, die erfüllt sein muss, bevor der Bund tätig werden darf. Absatz 5 weist dem Bund somit eine neue Gesetzgebungskompetenz in Bezug auf die Grundsätze zu. Diese gilt auch für das Verfahren der Gewährung von Bundesmitteln (vgl. auch Ziff. 4.2.6).
3² BGE 129 I 35 E. 7.4
3³ BGE 140 I 153 E. 2.3.1
³4 Abrufbar unter www.sodk.ch > Dokumentation > Empfehlungen > 17. November 2022.
³5 Insgesamt ist die Akteurlandschaft im Kanton VD am stärksten diversifiziert, wo sich zusätzlich zu Arbeitgebern (45 %), zu Gemeinden (4 %) und zum Kanton (50 %) auch noch die Loterie Romande gemäss der gesetzlichen Grundlage mit 1 % an der Finanzierung beteiligt; vgl. Stern, S. et al. 2021: Finanzierung der institutionellen Kinderbetreuung und Elterntarife. Bericht, S. 58.
³6 Kinderbetreuung finanzieren und Elterntarife gestalten. Empfehlungen an Politik und Behörden auf nationaler, kantonaler und kommunaler Ebene; abrufbar unter
https://ekff.admin.ch > Dossiers > Familienergänzende Kinderbetreuung > Publikationen zum Thema Kinderbetreuung.
³7 Stern, S. et al. 2021: Finanzierung der institutionellen Kinderbetreuung und Elterntarife. Bericht, S. 93-95.
³8 Vgl . www.gute-kitas.ch > Um was geht’s? > Weiterführende Informationen > Juristische Erläuterungen.

4 Würdigung der Initiative

4.1 Würdigung der Anliegen der Initiative

Familien sind ein tragender Pfeiler unserer Gesellschaft. Sie erbringen unersetzliche und unentgeltliche Leistungen bei der Förderung und Erziehung der Kinder sowie bei der Unterstützung und Pflege der Angehörigen. Sie leisten damit einen wichtigen Beitrag zur Beziehung zwischen den Generationen und stärken den gesellschaftlichen Zusammenhalt.
Die Familienpolitik in der Schweiz richtet sich - wie viele andere Politikbereiche - nach den Grundsätzen von Föderalismus und Subsidiarität. Das heisst: Zuständig sind hauptsächlich die Kantone und die Gemeinden. Der Bund sieht die Familienpolitik als wichtiges sozialpolitisches Feld und hat, gestützt auf die heutige Verfassungsgrundlage, bereits verschiedene Massnahmen zugunsten der Familien getroffen (vgl. Ziff. 2.1.3 und 2.1.4).
Massnahmen für eine verbesserte Vereinbarkeit von Familie und Erwerbstätigkeit oder Ausbildung sind erforderlich und zielgerecht zu unterstützen. Die Verfügbarkeit von für die Eltern finanzierbaren familienergänzenden Kinderbetreuungsplätzen, die bessere Abstimmung des Angebots auf die Bedürfnisse der Eltern sowie eine gute Qualität der Angebote sind entscheidende Voraussetzungen, damit Eltern familienergänzende Betreuungsangebote tatsächlich in Anspruch nehmen können und damit diese Massnahmen ihre Wirkungen entfalten können.
Eine entscheidende Rolle spielt dabei auch, dass das Angebot am richtigen Ort, zur richtigen Zeit in der richtigen Form und im richtigen Umfang bereitgestellt werden kann. Dabei spielen die kommunalen und kantonalen Strukturen eine zentrale Rolle. Die von der Initiative vorgesehenen Massnahmen übersteuern diese Strukturen und setzen gravierende Fehlanreize. Wie weiter unten aufgezeigt wird, schiessen die Vorschläge des Initiativkomitees weit über das Ziel hinaus. Gleichzeitig lassen sie zu wenig Spielraum für den Einbezug verschiedener Akteure in die Finanzierung und die Ausgestaltung von Massnahmen insbesondere zur gezielten Erhöhung der Arbeitsmarktbeteiligung von Frauen.
Mit dem Entwurf der WBK-S, der aus der parlamentarischen Debatte zur pa. Iv. 21.403 hervorgegangenen ist, liegt ein Lösungsvorschlag vor, der ohne die gravierenden Nachteile der Initiative auskommt und die föderale Aufgabenteilung respektiert. Er bietet einen grösseren Spielraum für eine Ausgestaltung entsprechend den Gegebenheiten und insbesondere bezüglich einer Optimierung in den Bereichen Mitnahmeeffekte, Durchführung und Finanzierung. Das Konzept für die Betreuungszulage nach Massgabe des Familienzulagengesetzes gemäss dem Vorschlag der WBK-S verzichtet dabei ganz auf einen finanziellen Einbezug des Bundes.

4.2 Auswirkungen der Initiative bei einer Annahme

4.2.1 Arbeitsmarktbeteiligung und Fachkräftemangel

Sowohl hinsichtlich der Arbeitsmarktbeteiligung als auch der Aufgabenteilung in Familien hinsichtlich Familienarbeit und Erwerbstätigkeit bestehen in der Schweiz auffallend grosse Unterschiede zwischen den Geschlechtern. ³9 Im internationalen Vergleich zählt die Erwerbsquote der Frauen in der Schweiz mit zu den höchsten, deren Erwerbspensen sind indessen tief. Auf Vollzeitäquivalente umgerechnet entspricht die Erwerbsquote der 15- bis 64-jährigen Frauen 60 Prozent, diejenige der Männer 83,5 Prozent. 4⁰ Seit 1991 ist der Anteil der Mütter mit einem Pensum zwischen 50 Prozent und 89 Prozent stark angestiegen, während der Anteil der Mütter mit einem Pensum von weniger als 50 Prozent gesunken ist. 4¹ Die geschlechtsspezifischen Unterschiede bei der Beschäftigung in Vollzeitäquivalenten gehören jedoch zu den grössten in der OECD. 4² Als Grund für die tiefen Erwerbspensen wird insbesondere die Betreuung von Kindern und Angehörigen genannt. Tatsächlich beeinflussen Kinder im Haushalt die Rollenteilung von Frauen und Männern stark: Während 78 Prozent der erwerbstätigen Mütter mit Kindern unter 25 Jahren Teilzeit arbeiten, macht dieser Anteil bei den Vätern nur 12 Prozent aus. 4³ Dies entspricht dem positiven Zusammenhang zwischen dem Anteil der institutionell betreuten 0- bis 3-jährigen Kinder und der Erwerbstätigkeit von Frauen, der in den OECD-Ländern festgestellt werden kann. 4⁴ Das Erwerbsverhalten von Müttern und Vätern hat wirtschaftliche, sozialpolitische und gleichstellungspolitische Konsequenzen (vgl. Ziff. 4.2.3).
Die primären Unterschiede zwischen Frauen und Männern bezüglich Erwerbspensum entstehen nach der Geburt des ersten Kindes und bleiben langfristig bestehen. ⁴5 In der Schweiz sind 71 Prozent der Frauen vor der Geburt des ersten Kindes mit einem hohen Beschäftigungsgrad erwerbstätig (90-100 %). ⁴6 Auch unterscheiden sich die Vollzeitäquivalente von Frauen und Männern im Alter von 25 Jahren kaum. ⁴7 Nach der Geburt des ersten Kindes reduzieren drei von vier Frauen ihren Beschäftigungsgrad auf weniger als 70 Prozent oder sind nicht mehr erwerbstätig. Trotz allem zeigt sich auch bei Paaren ohne Kinder und Einpersonenhaushalten ohne Kinder die Tendenz, dass Frauen im Schnitt ein tieferes Erwerbspensum aufweisen als Männer. Auswertungen des Bundesamts für Statistik für das Jahr 2020 zeigen, dass Frauen (12,5 %) deutlich häufiger unterbeschäftigt sind als Männer (3 %), wobei Mütter mit Partner (15,2 %) und vor allem alleinlebende Mütter (16,6 %) die höchste Unterbeschäftigungsquote aufweisen. ⁴8 Da Frauen häufiger Teilzeit arbeiten, ist die Unterbeschäftigung bei ihnen generell stärker verbreitet als bei Männern. Mütter, die bei der Familiengründung ihre Erwerbstätigkeit aufgeben oder ihr Erwerbspensum reduzieren, stehen dem Arbeitsmarkt nicht mehr oder nur noch eingeschränkt zur Verfügung. Eine Rolle spielen dabei die Verfügbarkeit von familienergänzenden Betreuungsangeboten sowie die Kinderbetreuungskosten für Eltern, die in der Schweiz zu den höchsten in Europa zählen und häufig einen Grossteil des zweiten Familieneinkommens verbrauchen, was hohe Erwerbsbarrieren v. a. für Mütter bedeutet. Allerdings ist die Einkommensdifferenz vor der Geburt des Kindes nicht der primäre Treiber der späteren Arbeitsaufteilung: Auch bei Paaren, in denen vor der Geburt des ersten Kindes die Frau mehr verdient als ihr Partner, reduziert in den allermeisten Fällen die Frau nach der Geburt ihre Erwerbstätigkeit. ⁴9 Eine Umfrage untersuchte Beweggründe für die fehlende oder nur beschränkte Wiederaufnahme einer Erwerbstätigkeit nach Mutterschaft: Insbesondere die fehlende finanzielle Notwendigkeit eines zusätzlichen Erwerbseinkommens, die Arbeitsbedingungen sowie die Kosten der externen Kinderbetreuung wurden genannt. 5⁰
Die Möglichkeit zur Teilzeitarbeit sowie gute Rahmenbedingungen gewinnen gerade auch mit Blick auf den Fachkräftemangel an Bedeutung. Sie haben einen massgeblichen Einfluss darauf, ob eine Person überhaupt eine Erwerbstätigkeit ausübt, da sie die Vereinbarkeit beeinflussen. Bisher nahm das Arbeitsangebot in der Schweiz weiter zu, während sich der Trend zur Teilzeitarbeit fortsetzte. Dies zeigt, dass Teilzeitarbeit und eine zusätzliche Ausschöpfung des Arbeitskräftepotenzials sich nicht widersprechen. Ohne die Möglichkeit zur Teilzeitarbeit müsste mit einer tieferen Präsenz insbesondere von Frauen im Arbeitsmarkt gerechnet werden.
Der Schweizer Arbeitsmarkt hat einen hohen Bedarf an Fachkräften. 5¹ Dass Stellen nicht besetzt werden können, könnte zu einem jährlichen Verlust von bis zu 0,66 Prozent des BIP oder fünf Milliarden Franken führen. 5² Die Zuwanderung von ausländischen Fachkräften spielt bei der Deckung der Nachfrage nach Fachkräften eine wesentliche Rolle. Insbesondere aufgrund des demografischen Wandels, mit welchem auch andere Länder Europas zunehmend konfrontiert sind, nimmt der internationale Wettbewerb um die benötigten Fachkräfte zu. Der Bundesrat verfolgt das Ziel, das inländische Arbeitskräftepotenzial auszuschöpfen.
Die Literatur zum Effekt von Kosten und Verfügbarkeit von externer Kinderbetreuung auf die Erwerbstätigkeit und die Löhne von Müttern zeigt gemischte Ergebnisse mit einer Tendenz zu gesamthaft positiven Effekten. Die Stärke der Effekte ist im Aggregat als moderat einzustufen.
Für die Schweiz schätzt eine Studie des Wirtschaftsforschungsinstituts BAK Economics im Auftrag der Jacobs Foundation im Rahmen eines Gesamtmodells den Effekt eines beispielhaften Investitionsprogramms, welches eine Ausweitung der externen frühkindlichen Betreuung um 21 000 Plätze vorsieht. Die makroökonomischen Simulationsrechnungen zeigen einen Anstieg des angebotenen Arbeitsvolumens um rund 9700 Vollzeitstellen oder rund 0,2 Prozent der Beschäftigung in der Schweiz an. 5³ Akademische Studien für die Schweiz lassen darauf schliessen, dass das Angebot an familienergänzender Kinderbetreuung und die Erwerbspartizipation von Müttern positiv assoziiert sind. 5⁴ Eine Studie aus dem Kanton Neuenburg zeigt, dass eine Erhöhung des Angebots an familienergänzender Kinderbetreuung um einen Prozentpunkt mit einem Anstieg der Erwerbstätigenquote der Mütter um 0,8 Prozentpunkte einhergeht. 5⁵ Zudem senkt ein ausreichendes Angebot die Zahl der familienbedingten Unterbrechungen der beruflichen Laufbahn. Eine Studie der Universität Basel mit Schweizer Administrativdaten zeigt, dass die Verfügbarkeit von Kinderbetreuung das Einkommen von Müttern in einkommensschwachen Familien erhöht, die Anspruch auf Subventionen haben. ⁵6 Die Studie findet jedoch keinen Anstieg der Arbeitsmarktbindung von Müttern in Familien mit höherem Einkommen. Besonders zentral ist die Verfügbarkeit zum Zeitpunkt der ersten Geburt: Nur wenn ein Zugang zu institutioneller Kinderbetreuung im Jahr der Geburt gewährleistet ist, wird ein positiver Effekt auf die Erwerbseinkommen von Müttern festgestellt. Wenn dies erst zu einem späteren Zeitpunkt der Fall ist, sieht man keinen Effekt. Gemäss einer Studie von Ecoplan im Auftrag des Staatssekretariats für Wirtschaft würden erwerbstätige Frauen mit Kindern ihr Pensum vor allem erhöhen, wenn es finanziell notwendig wäre und wenn die Kosten für familienergänzende Kinderbetreuung tiefer ausfallen würden. ⁵7 Eine Elternbefragung aus dem Jahr 2017 zeigt, dass ein grosser Teil der Eltern trotz familienergänzendem Betreuungsbedarf auf die institutionelle Betreuung verzichtet, weil diese als zu teuer beurteilt wird: Im Vorschulbereich belief sich dieser Anteil auf 43 Prozent, im schulergänzenden Bereich auf 25 Prozent. ⁵8 Insbesondere Mütter werden dadurch vom Arbeitsmarkt abgehalten oder am Ausbau ihrer Erwerbstätigkeit gehindert.
Die internationale wissenschaftliche Literatur kann sich stärker auf kausale Erkenntnisse berufen. ⁵9 In einer Übersicht hält Roth fest, dass einige Studien nur für Untergruppen Auswirkungen ausmachen können, wie für alleinerziehende Mütter oder weniger qualifizierte Mütter. Andere Studien finden deutlichere Auswirkungen und belegen einen Anstieg der Erwerbsbeteiligung von Müttern und der geleisteten Arbeitsstunden. Eine weitere Reihe von Studien geht von einer starken Ausweitung der Kinderbetreuungsangebote aus, ohne dass sich die Verfügbarkeit oder die Inanspruchnahme erhöht, und findet keine oder nur sehr bescheidene Auswirkungen auf die Beschäftigung oder das Einkommen der Mütter.
Kleven et al. untersuchen den Effekt der Ausweitung des Angebots an öffentlicher Kinderbetreuung in Österreich auf die Einkommenseinbussen bei Mutterschaft (sog. child penalty). 6⁰ Sie kommen zum Ergebnis, dass der starke Ausbau öffentlicher Betreuungsangebote für Kinder im Vorschulalter sich nicht in einer Reduktion des child penalty niedergeschlagen hat. Eine mögliche Erklärung für den fehlenden Effekt sieht die Studie in einer Substitution von privater durch öffentliche Kinderbetreuung sowie in Präferenzen und Normen.
Der Entscheid, ob und in welchem Ausmass insbesondere Mütter erwerbstätig sind, hängt von einer Vielzahl von Faktoren ab. Ein ausreichendes Angebot an institutioneller familienergänzender Kinderbetreuung ist von Bedeutung, 6¹ wobei die Qualität des Angebots ein wesentlicher Aspekt ist. Ob das Angebot bei Geburt des ersten Kindes verfügbar ist, der Umfang an Erwerbstätigkeit vor der Familiengründung und die bisherige Nutzung eines institutionellen Angebots spielen eine wichtige Rolle. Auch flexible Beschäftigungsformen sowie eine sich wirtschaftlich lohnende und steuerlich neutrale Teilzeitarbeit für beide Geschlechter sind Teil der Rahmenbedingungen für eine bessere Vereinbarkeit. 6² Auf der individuellen Ebene hat das familiäre Umfeld in der Schweiz einen grossen Einfluss auf die Vereinbarkeit. Auch Präferenzen und soziale Normen spielen eine wichtige Rolle. 6³ Diese werden wiederum durch Institutionen geprägt. So zeigt eine Studie für die Schweiz, dass eine Ausweitung der schulexternen Betreuung mittelfristig die Zustimmung zu Massnahmen zur Förderung der Erwerbstätigkeit von Müttern erhöht. 6⁴
Eine entscheidende Rolle spielt die Aufteilung der bezahlten und der unbezahlten Arbeit unter den Elternteilen bei der Familiengründung. Diese wirkt sich langfristig auf die Arbeitsmarktbeteiligung beider Eltern und ihre Löhne aus. In der Schweiz beginnen Mütter häufig nicht sofort nach dem Ende des bezahlten Mutterschaftsurlaubs wieder zu arbeiten, sondern die Wiederaufnahme erfolgt im Durchschnitt rund sechs Monate nach der Geburt. 6⁵ Hier ist die Förderung des Verbleibs im Arbeitsmarkt besonders wichtig. Sie stärkt die Vereinbarkeit und senkt die Rekrutierungskosten von Unternehmen. 6⁶ Dabei spielen neben den Betreuungsmöglichkeiten unter anderem auch die Regelungen zum geburtsbezogenen Urlaub eine Rolle. ⁶7
Betrachtet man die zunehmend grösseren Distanzen zwischen Wohn- und Arbeitsort - unter anderem aufgrund der Tendenz zum vermehrten Homeoffice -, so wird deutlich, dass Wirtschaftsstandorte wie der Grossraum Zürich oder die Genferseeregion zunehmend davon abhängig werden, wie Eltern in entfernteren Gebieten die Betreuung ihrer Kinder mit ihrer Erwerbstätigkeit vereinbaren können. Während die institutionelle familienergänzende Kinderbetreuung am Wohnort bereitgestellt wird, kann der Nutzen dieser Leistung ausserhalb der Wohngemeinde oder des Wohnkantons anfallen. Die Bedeutung von kantonsübergreifenden Investitionen und verstärkter Innovation auch im Bereich der Standortattraktivität nimmt damit zu.
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass es nicht nur zu tieferen Betreuungskosten für Eltern und zu einer steigenden Inanspruchnahme der institutionellen Kinderbetreuung kommen dürfte, sondern dass auch die Arbeitsmarktbeteiligung der Mütter im Fall einer Annahme der Initiative wahrscheinlich steigen würde. Die Kita-Initiative stellt jedoch nicht gezielt den Aspekt der Arbeitsmarktbeteiligung in den Vordergrund. So sieht sie keine Mechanismen vor, die die beträchtlichen Mitnahmeeffekte verhindern und gezielt zur Erhöhung der Arbeitsmarktbeteiligung von Müttern beitragen können. Die in Absatz 4 der Volksinitiative festgelegten Vorgaben zur Finanzierung lassen dem Gesetzgeber nur noch einen kleinen Spielraum bei der Definition von Anspruchsvoraussetzungen für den Bezug von Leistungen wie beispielsweise den Nachweis einer Erwerbstätigkeit oder Ausbildung. Auch der Einbezug der Arbeitgeber in die Finanzierung entsprechend ihrem Nutzen wäre nur noch bedingt möglich.
³9 Bundesrat 2023: Stellungnahme des Bundesrates vom 15. Februar 2023 zu 21.403 Parlamentarische Initiative. Überführung der Anstossfinanzierung in eine zeitgemässe Lösung, S. 4. BBl 2023 598 .
4⁰ Bundesamt für Statistik 2023: Schweizerische Arbeitskräfteerhebung. Abrufbar unter:
www.bfs.admin.ch > Statistiken finden > Arbeit und Erwerb > Erwerbstätigkeit und Arbeitszeit > Erwerbsquoten in Vollzeitäquivalenten nach Geschlecht, Nationalität, Altersgruppen, Familientyp.
4¹ Bundesamt für Statistik 2022: Schweizerische Arbeitskräfteerhebung (SAKE). Mütter auf dem Arbeitsmarkt im Jahr 2021.
4² OECD 2024: Economic Surveys: Switzerland 2024, S. 55. Abrufbar unter:
www.oecd -ilibrary.org .
4³ Bundesamt für Statistik 2021: Familien in der Schweiz. Statistischer Bericht, S. 26. Abrufbar unter:
www.bfs.admin.ch > Statistiken finden > Bevölkerung > Familien.
4⁴ OECD 2023: Education at a Glance 2023. OECD Indicators, OECD Publishing, S. 169 Abrufbar unter:
www.oecd.org > Topics > Education.
⁴5 Kleven, H. et al. 2019: «Child Penalties across Countries: Evidence and Explanations.» AEA Papers and Proceedings, 109: 122-26.
⁴6 Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur des Nationalrates 2022: Informationen des Bundesamtes für Sozialversicherungen (BSV) zum Zusammenhang von familienergänzender Kinderbetreuung und der Erwerbstätigkeit von Müttern. Abrufbar unter:
www.parlament.ch > 22-46 KoG Familienergänzende Kinderbetreuung und Beschäftigungsgrad: Information zu Korrelation.
⁴7 Bundesamt für Statistik 2021: Erwerbsquote und Erwerbsquoten in Vollzeitäquivalenten (VZÄ) nach Geschlecht, Nationalität und Alter. Abrufbar unter:
www.bfs.admin.ch > Statistiken finden > Kataloge und Datenbanken.
⁴8 Bundesamt für Statistik, Unterbeschäftigungsquoten nach Geschlecht und Familiensituation (2010-2020). Abrufbar unter
www.bfs.admin.ch . Als Unterbeschäftigte gelten gemäss BFS erwerbstätige Personen, die eine übliche Arbeitszeit von weniger als 90 % der betriebsüblichen Arbeitszeit aufweisen, die mehr arbeiten möchten und die innerhalb von drei Monaten für eine Arbeit mit erhöhtem Pensum verfügbar wären.
⁴9 Krapf, M. et al. 2020: The Effect of Childcare on Parental Earnings Trajectories. CESifo Working Paper No. 8764. Abrufbar unter
www.ssrn.com .
5⁰ Ecoplan 2023: Studie zum Wiedereinstieg und Verbleib von Frauen mit Kindern in der Erwerbstätigkeit. Auftraggeberin: Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO).
5¹ Siehe zu den folgenden Ausführungen die Informationen zur Fachkräftepolitik auf der SECO-Website, abrufbar
www.seco.admin.ch > Publikationen & Dienstleistungen > Publikationen > Arbeit > Arbeitsmarktanalyse > Fachkräftebedarf > Indikatorensystem Arbeitskräftesituation.
5² Hartmann, I. et al. 2023: Gender Intelligence Report. Universität St. Gallen; Advance. Abrufbar unter
www.advance-hsg-report.ch .
5³ BAK Economics 2020: Volkswirtschaftliches Gesamtmodell für die Analyse zur «Politik der frühen Kindheit». Bericht im Auftrag der Jacobs Foundation Basel.
5⁴ Vgl. u. a. Stadelmann-Steffen, I. 2011: Dimensions of Family Policy and Female Labor Market Participation: Analyzing Group-Specific Policy Effects. Governance 24. S. 331-357. Article; Felfe, C. et al. 2013: Familienergänzende Kinderbetreuung und Gleichstellung. Zürich/St. Gallen: Infras und Universität St. Gallen (Institut SEW). Bericht; Infras 2018: Kinderbetreuung und Erwerbstätigkeit: Was sich Eltern wünschen. Zürich: Jacobs Foundation. Bericht; Jeanrenaud, C., Macuglia, J. 2021: La politique d’accueil extrafamilial du Canton et de la Ville de Neuchâtel: effets sur l’activité professionnelle et le revenu des mères de jeunes enfants, estimation du retour fiscal. Université de Neuchâtel: Institut de recherches économiques; Hermann, M. et al. 2021: Frauen in freien Berufen: Studie des SVFB zum unausgeschöpften Potenzial hochqualifizierter Frauen. Bericht.
5⁵ Jeanrenaud, C., Macuglia, J. 2021: La politique d’accueil extrafamilial du Canton et de la Ville de Neuchâtel: effets sur l’activité professionnelle et le revenu des mères de jeunes enfants, estimation du retour fiscal. Université de Neuchâtel: Institut de recherches économiques.
⁵6 Krapf, M. et al. 2020: The Effect of Childcare on Parental Earnings Trajectories. CESifo Working Paper No. 8764. Abrufbar unter
www.ssrn.com .
⁵7 Ecoplan 2023: Studie zum Wiedereinstieg und Verbleib von Frauen mit Kindern in der Erwerbstätigkeit. Auftraggeberin: SECO.
⁵8 Bieri, O. et al. 2017: Evaluation «Anstossfinanzierung». Entspricht das bestehende Angebot an familienergänzender Kinderbetreuung der Nachfrage? Abrufbar unter
www.bsv.admin.ch > Sucheingabe.
⁵9 Roth, A. 2019: Gender norms, institutions, and labor market decisions. Three essays in gender and family economics. Dissertation, S. 12-13.
6⁰ Kleven, H. et al. 2019: Child Penalties across Countries: Evidence and Explanations. AEA Papers and Proceedings 109. S. 122-26.
6¹ Olivetti, C & Petrongolo, B 2017: The Economic Consequences of Family Policies: Lessons from a Century of Legislation in High-Income Countries. Journal of Economic Perspectives 31. S. 205-230.
6² Bundesrat 2021: Gleichstellungsstrategie 2030, S. 8. Abrufbar unter
www.gleichstellung2030.ch .
6³ Kleven, H. et al. 2019: Child Penalties across Countries: Evidence and Explanations. AEA Papers and Proceedings 109. S. 122-26.
6⁴ Roth, A. 2020: How the provision of childcare affects attitudes towards maternal employment. Swiss J Economics Statistics 156, S. 17.
6⁵ Bundesamt für Statistik 2021: Familien in der Schweiz. Statistischer Bericht. S. 30.
6⁶ Brenøe, A. A. et al. 2023: Is Parental Leave Costly for Firms and Coworkers? Equality of Opportunity Research Series #11.
⁶7 Eidgenössische Kommission für Familienfragen 2022: Elternzeit - Worauf wartet die Schweiz? Positionspapier Nr. 1 November 2022.

4.2.2 Auswirkungen aus volkswirtschaftlicher Sicht

Das Forschungsbüro Infras und das Schweizerische Institut für Empirische Wirtschaftsforschung der Universität St. Gallen werteten im Auftrag der Jacobs Foundation 15 Studien aus dem In- und Ausland betreffend den volkswirtschaftlichen Nutzen von Investitionen im Bereich der Politik der frühen Kindheit aus. ⁶8 Die Studien aus dem Ausland lassen sich zwar nur bedingt auf die Schweiz übertragen. Trotzdem lässt die Auswertung die Annahme zu, dass aus volkswirtschaftlicher Perspektive ein Nutzen der Angebote im Bereich der Politik der frühen Kindheit, insbesondere der institutionellen familienergänzenden Kinderbetreuung, hinsichtlich Humankapital sowie Kosteneinsparungen bei Unternehmen und der öffentlichen Hand, resultiert. Das Humankapital wird durch Verbesserungen bei Schulerfolg und Arbeitsmarktchancen vor allem für Kinder aus bildungsfernen Familien sowie durch die Steigerung der Erwerbstätigkeit der Mütter (Knowhow, Löhne und Karrierechancen) erhöht. Gemäss Modellrechnungen beläuft sich die Lohnzunahme auf 2,4 Prozent pro zusätzliches Jahr Berufserfahrung. ⁶9 Dem erhöhten Gehalt würde gleichzeitig aus volkswirtschaftlicher Sicht eine gesteigerte Produktivität gegenüberstehen. 7⁰ Von der erhöhten Erwerbstätigkeit der Mütter profitieren Unternehmen, indem sie die Personalwiederbeschaffungskosten senken können. Investitionen verschiedener Akteure in die Grund-, Aus- und Weiterbildung zahlen sich ausserdem auf der individuellen, der gesellschaftlichen und der wirtschaftlichen Ebene stärker aus.
Mehreinnahmen beziehungsweise Einsparungen bei der öffentlichen Hand sind unter anderem durch höhere Steuereinnahmen und Lohnbeiträge bei erhöhter Erwerbstätigkeit der beiden Eltern zu erwarten. So wird das Sozialhilferisiko von Eltern bei Trennung und Arbeitslosigkeit eines Elternteils reduziert, das Risiko von Kindern, später sozialhilfeabhängig zu werden, sinkt und höhere Renten reduzieren die Ausgaben im Bereich der Ergänzungsleistungen. 7¹
Investitionen in die frühe Kindheit gelten als eine der direktesten Möglichkeiten zur Steigerung von schulischen Leistungen. 7² Fryer fasst die Erkenntnisse aus 44 internationalen Studien zusammen, welche sich mit den kausalen Effekten frühkindlicher Förderungsmassnahmen befassen. 7³ Die aggregierten Effekte all dieser Studien sind statistisch signifikant. Investitionen in die frühe Kindheit führen im Durchschnitt zu einer relevanten messbaren Leistungssteigerung. Das maskiert jedoch die Tatsache, dass sich im Einzelnen bei den meisten gemessenen Effekten keine Wirkung nachweisen liess. Von den 64 gemessenen Effekten waren 21 statistisch signifikant. Nicht alle Investitionen wirken also gleichermassen.
Insbesondere benachteiligte Kinder profitieren von frühkindlicher Förderung. 7⁴ Ein Bericht des Wirtschaftsforschungsinstituts BAK Economics im Auftrag der Jacobs Foundation 7⁵ verglich 2020 verschiedene Studien, die in der Schweiz und im Ausland Auswirkungen des Ausbaus von Kindertagesstätten und der Betreuung in Tagesfamilien sowie von begleitenden Förderprogrammen für benachteiligte Kinder auf Eltern, Kinder, Unternehmen und Staat evaluieren.
Die Gesamtausgaben für die Betreuung in Kindertagesstätten und Tagesfamilien belaufen sich gemäss einem Whitepaper der Jacobs Foundation aus dem Jahr 2018 zur Vereinbarkeit in der Schweiz im Jahr 2016 auf rund 0,32 Prozent des BIP. 7⁶ Betrachtet man nur die Ausgaben der öffentlichen Hand, so lagen diese bei rund 0,1 Prozent des BIP. 7⁷ Im Fall einer Annahme der Initiative wäre im ersten Jahr auf Bundesebene mit Ausgaben von 2,3 Milliarden ⁷8 oder 0,3 Prozent des BIP ⁷9 zu rechnen. Dazu kämen Kosten gemäss der kantonalen Gesetzgebung.
Wie sich höhere Ausgaben für die institutionelle familienergänzende Kinderbetreuung auf den Staatshaushalt und das BIP in der Schweiz auswirken würden, hat ein White Paper auf Basis der Berechnungen von BAK Economics aufgezeigt. 8⁰ Dabei wird angenommen, dass die Investitionen zur Hälfte über eine Erhöhung der Einkommenssteuer und zur Hälfte in Form von befristeten Staatsschulden getätigt werden. Der Bericht kommt zum Schluss, dass Investitionen in den Ausbau dieser Angebote eine positive volkswirtschaftliche Nettorendite aufweisen. Das langfristige Produktivitätswachstum erhöht neben dem BIP den Wohlstand und die Wettbewerbsfähigkeit der Schweiz.
Die von der Initiative vorgesehenen Massnahmen zielen in erster Linie auf die Reduktion der Kosten der institutionellen familienergänzenden Kinderbetreuung und auf die Steigerung ihrer Qualität. Für Massnahmen in diesem Bereich konnten positive volkswirtschaftliche Auswirkungen belegt werden. Allerdings liegen zu den vom Initiativkomitee vorgeschlagenen Kostenaufteilungen keine volkswirtschaftlichen Modellrechnungen vor, sodass keine abschliessende Einschätzung zum Verhältnis von Kosten und Nutzen gemacht werden kann. Im von der Initiative vorgesehenen Mechanismus müsste der Bund zukünftig Kosten tragen, die derzeit bereits teilweise durch die Kantone und Gemeinden getragen werden. In dem Umfang, in dem ausschliesslich bestehende Kosten umgelagert werden (Mitnahmeeffekte), entsteht kaum volkswirtschaftlicher Nutzen.
⁶8 Infras und Schweizerisches Institut für Empirische Wirtschaftsforschung der Universität St. Gallen. 2016: Whitepaper zu den Kosten und Nutzen einer Politik der frühen Kindheit. Zürich und St. Gallen, S. 20, 40 ff. Abrufbar unter www.jacobsfoundation.org .
⁶9 BAK Economics AG. 2020: Volkswirtschaftliches Gesamtmodell für die Analyse zur Politik der frühen Kindheit. Bericht im Auftrag der Jacobs Foundation, Basel: BAK Economics AG. Abrufbar unter
www.bak-economics.com > News & Insights > Reports and studies, S. 3.
7⁰ Ein Ausbau der familienergänzenden Kinderbetreuung kommt auch Eltern zugute, die eine Ausbildung absolvieren. Eine Ausbildung hat ausserdem positive Rückwirkungen auf das gesamtwirtschaftliche Produktivitätsniveau.
7¹ Heckman, J. 2008: Role of Income and Family Influence on Child Outcomes. Annals of the New York Academy of Sciences, 1136(1). S. 307-323.
7² Heckman, J. 2008: Role of income and Family Influence on Child Outcomes. Annals of the New York Academy of Sciences 1136(1). S. 307-323.
7³ Fryer, R., Roland, G. 2017: The Production of Human Capital in Developed Countries: Evidence from 196 Randomized Field Experiments. In: Handbook of Field Experiments. Vol. 2. Amsterdam: North-Holland, S. 95-322.
7⁴ Heckman, J. 2013: Invest in Early Childhood Development: Reduce Deficits, Strengthen the Economy. Zusammenfassung auf
https://heckmanequation.org .
7⁵ BAK Economics 2020: Volkswirtschaftliches Gesamtmodell für die Analyse zur Politik der frühen Kindheit. Bericht im Auftrag der Jacobs Foundation. Basel, Kapitel 5 Abrufbar unter
www.bak-economics.com > News & Insights > Reports and studies.
7⁶ Jacobs Foundation 2018: Kinderbetreuung und Erwerbstätigkeit. Was sich Eltern wünschen. S. 79. Abrufbar unter
www.infras.ch > Themen > Projektarchiv.
7⁷ Der Anteil der kantonalen Subventionen für familienergänzende Kinderbetreuung liegt im Grossteil der Kantone unter 0, 1 % des kantonalen BIP. Vier Kantone geben mehr als 0, 2 % des BIP aus (BE, BS, FR und ZH). Im Kanton VD liegt der Wert bei 0, 6 % des BIP. Siehe dazu Stern, S. et al. 2022: Evaluation Finanzhilfen für familienergänzende Kinderbetreuung: Wirkungen der Finanzhilfen für Subventionserhöhungen in Kantonen und Gemeinden. Bern: BSV. Beiträge zur Sozialen Sicherheit. Forschungsbericht Nr. 8/22.
⁷8 Berechnung des BSV, gestützt auf Daten der SILC-2021 und eine angepasste Version der Modellrechnung der Pa. Iv. 21.403.
⁷9 Informationen zum BIP 2022 abrufbar unter www.bfs.admin.ch
> Statistiken finden > Volkswirtschaft > Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung > Bruttoinlandprodukt.
8⁰ Balthasar, A., Ritz, M. 2020: Whitepaper zur Investition in die frühe Kindheit: Fokus Volkswirtschaftlicher Nutzen. Jacobs Foundation.

4.2.3 Auswirkungen auf Gleichstellung, Vereinbarkeit, Armutsrisiko und Chancengerechtigkeit

Gleichstellung der Geschlechter
Die Initiative will sicherstellen, dass die familienergänzende Kinderbetreuung für alle Familien in der Schweiz zugänglich und bezahlbar ist. Dabei ist die Förderung der Gleichstellung eine zentrale Zielsetzung des Initiativkomitees. Zusätzlich will die Initiative die Arbeitsbedingungen der Betreuungsfachpersonen verbessern.
2018 geben 60,5 Prozent der Frauen im Alter von 18 bis 64 Jahren an, dass sie wegen Betreuungspflichten für Kinder unter 15 Jahren das Arbeitspensum reduziert haben. 8¹ Dieser Anteil lag bei den Männern bei 14,4 Prozent. Auf Vollzeitäquivalente umgerechnet gehen Frauen in der Schweiz mit 60 Prozent deutlich weniger seltener bezahlter Arbeit nach als Männer mit 83,5 Prozent (vgl. Ziff. 4.2.1). 8² Im Vergleich der Familienmodelle fällt der hohe Anteil des männlichen Ernährermodells in der Schweiz auf, das von 37,9 Prozent der Familien gelebt wird. Während das Arbeitspensum des Manns dabei über 90 Prozent liegt und das der Frau unter 50 Prozent, kümmert sie sich um Kinder und Haushalt. In Deutschland (18,9 %) wird das männliche Ernährermodell von halb so vielen Familien gelebt und in Schweden ist es noch seltener (15 %). 8³
Der durchschnittliche Lohnunterschied zwischen Frauen und Männern lag 2020 bei 18,0 Prozent (davon bleiben 47,8 % mit den beobachteten Variablen unerklärt; privater und öffentlicher Sektor zusammen). 8⁴ Werden unbezahlte Arbeit und bezahlte Erwerbsarbeit zusammen betrachtet, so arbeiten Mütter praktisch gleich viel wie Väter. Allerdings ist festzuhalten, dass Frauen rund 66 Prozent ihrer Arbeit in Form von unbezahlter Arbeit leisten und 34 Prozent in Form von Erwerbsarbeit. Bei den Männern sind die Anteile gerade umgekehrt. 8⁵ Gemäss der monetären Schätzung entsprach die von Frauen geleistete unbezahlte Arbeit im Jahr 2016 einem Betrag von 315 Milliarden Franken. Diese Unterschiede lassen sich mit dem Gender Overall Earnings Gap (GOEG) beziffern, der bezahlte und unbezahlte Arbeit berücksichtigt. Für das Jahr 2018 betrug er 43,2 Prozent. 8⁶ Frauen verfügen also über fast die Hälfte weniger Einkommen als Männer, obwohl sie ungefähr gleich viele Stunden arbeiten. Die Summe der jährlichen Einkommenslücke der Frauen beläuft sich auf mehr als 100 Milliarden Franken pro Jahr. Diese Aussagen sind allerdings vor dem Hintergrund zu betrachten, dass Ehepaare in der Regel eine ökonomische Einheit bilden und das Haushaltseinkommen zusammenlegen.
Insbesondere die Mutterschaftsstrafe (sog. child penalty) ist in der Schweiz vergleichsweise ausgeprägt. Diese durchschnittliche Lohneinbusse von Müttern im Vergleich zu Frauen ohne Kinder beträgt auch zehn Jahre nach der Geburt noch bis zu 68 Prozent. 8⁷ Die wichtigsten Treiber der Mutterschaftsstrafe sind Erwerbsunterbrüche, der Umstieg auf eine schlechter bezahlte Erwerbstätigkeit sowie Reduktionen des Pensums. Beim letzten Punkt spielt auch die überproportionale Entlohnung bei Jobs eine wichtige Rolle, die ständige Verfügbarkeit und lange Arbeitszeiten erfordern und nicht mit einem Teilzeitpensum vereinbar sind. Diese Unterschiede äussern sich in der Folge auch im Gender Pension Gap. 8⁸ Der prozentuale Unterschied der durchschnittlichen Renten zwischen Frauen und Männern ab 65 Jahren lag 2020 bei 34,6 Prozent und damit deutlich über dem europäischen Durchschnitt von 27,6 Prozent. ⁸9 Dabei gilt es zu beachten, dass die geschlechtsspezifischen Rentenunterschiede stark nach Zivilstand variieren. Der Gender Pension Gap ist bei verheirateten Rentenbeziehenden am stärksten ausgeprägt (46,9 %). Bei den geschiedenen Rentenbeziehenden, wo die während der Ehe erworbenen Ansprüche der 2. Säule bei einer Scheidung grundsätzlich hälftig geteilt werden, liegt diese viel tiefer (17,5 %), und bei ledigen Rentenbeziehenden ist kein statistisch signifikanter Gender Pension Gap zu identifizieren. Wie in Ziffer 4.2.1 dargelegt wäre durch die Annahme der vorliegenden Initiative eine moderate Senkung der Mutterschaftsstrafe zu erwarten. Gleichzeitig würde auch die Einkommensungleichheit innerhalb des Haushalts um rund 10 Prozent abnehmen. 9⁰
Aus der Perspektive der Gleichstellung sind auch die Arbeitsbedingungen im Bereich der entgeltlichen Kinderbetreuung relevant. Unter den Personen, die 2019 einen EFZ Fachfrau/-mann Betreuung erlangten, lag der Frauenanteil bei 84 Prozent. 9¹ Gleichzeitig schreibt gemäss einer Umfrage von kibesuisse, dem Verband für Kinderbetreuung in der Schweiz, jede dritte Kindertagesstätte Verluste und die Austrittsquote von Mitarbeitenden in der familienergänzenden Bildung und Betreuung liegt mit 30 Prozent dreimal höher als üblich. 9² Hinzu kommt, dass häufig nicht qualifizierte Betreuungspersonen - meist Jugendliche im Rahmen eines Praktikums - eingesetzt werden, um die Elterntarife marktfähig zu halten. So beginnt nur ein Viertel der Lernenden Fachmann/-frau Betreuung EFZ ihre Lehre ohne einen Zwischenschritt, wie beispielsweise ein Praktikum, direkt nach der obligatorischen Schule. 9³ Bei den anderen EFZ-Ausbildungen sind es im Durchschnitt die Hälfte der Lernenden.
Aus der Perspektive der Gleichstellung setzt die Initiative an einem zentralen Punkt an, indem sie die institutionelle Kinderbetreuung aufwerten und professionalisieren will (siehe zu den Auswirkungen auf die Arbeitsmarktbeteiligung Ziff. 4.2.1). So kann eine grössere Anzahl Kinder institutionell betreut werden. Dadurch wird bei den Eltern ein grosses Potenzial an Fachkräften frei. Dies kann dazu beitragen, dass die wirtschaftliche Unabhängigkeit von Frauen und ihre Aufstiegschancen in Führungspositionen gestärkt werden. So ist auch in der Gleichstellungsstrategie 2030, die der Bundesrat 2021 verabschiedet hat, die familienergänzende Kinderbetreuung aufgeführt. 9⁴ Bei Annahme der Initiative sind positive Auswirkungen im Bereich Gleichstellung sehr wahrscheinlich. In der Verantwortung stehen in der Schweiz jedoch in erster Linie die Kantone und Gemeinden, welche in diesem Bereich unterschiedliche Massnahmen, abhängig von den lokalen Begebenheiten, vorsehen.
Vereinbarkeit von Familie und Erwerbstätigkeit
Dass Frauen und Männer von Rahmenbedingungen profitieren, die die Vereinbarkeit begünstigen, wurde vom Bundesrat verschiedentlich festgehalten. 9⁵ Die Gleichstellungsstrategie 2030 hat zum Ziel, dass Haushalts- und Familienaufgaben zwischen den Geschlechtern ausgewogener verteilt sein sollen; insbesondere durch eine stärkere Beteiligung der Männer an der unbezahlten Arbeit. So wurde 2018 in sieben von zehn Haushalten mit Kindern die Hausarbeit hauptsächlich von den Müttern erledigt. Wie in Ziffer 4.2.1 (Arbeitsmarktbeteiligung und Fachkräftemangel) ausgeführt, sind die Kosten für Kinderbetreuung in der Schweiz im internationalen Vergleich abhängig von der Wohngemeinde hoch. Diese Kosten stellen auch eines der zentralen Hindernisse für die Vereinbarkeit von Familie und Erwerbstätigkeit oder Ausbildung dar. 9⁶
Die Initiative sieht eine Senkung der institutionellen familienergänzenden Kinderbetreuungskosten auf maximal 10 Prozent des Einkommens der Eltern vor. Das Angebot, für das die Kantone sorgen müssen, muss «der Vereinbarkeit von Familie und Beruf dienen». Dass die Annahme der Initiative eine Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Erwerbstätigkeit zur Folge hätte, ist wahrscheinlich. Im Rahmen seiner Zuständigkeiten hat der Bund verschiedene weitere Instrumente zur Verbesserung der Vereinbarkeit geschaffen. Dazu zählen die unter Ziffer 2.1.3 aufgeführten Massnahmen, die Einführung eines Vaterschaftsurlaubs oder Urlaubs des anderen Elternteils und die Unterstützung für pflegende Angehörige.
Auswirkungen auf das Armutsrisiko
Im Jahr 2021 waren in der Schweiz rund 8,7 Prozent der Bevölkerung von Einkommensarmut betroffen (2007: 9,3 %; 2013: 5,9 %). 9⁷ Über alle Haushalte hinweg gesehen fällt auf, dass Einelternhaushalte sowie Paarhaushalte mit drei oder mehr Kindern die vergleichsweise niedrigsten Lebensstandards erreichen. 2021 litten 6,4 Prozent aller Kinder unter Deprivation. Nach einer Trennung verschlechtert sich die wirtschaftliche Situation von Müttern mit Kindern unter 25 Jahren markant, während es bei den Vätern wenig Veränderung gibt. 9⁸ Unmittelbar nach der Trennung ist rund die Hälfte (47 %) aller Mütter in einer wirtschaftlich prekären Situation. 9⁹ Auch zwei Jahre nach der Trennung verfügt noch jede vierte Mutter nur über geringe oder sehr geringe finanzielle Mittel. Dass eine Trennung mit einem hohen finanziellen Risiko für Frauen verbunden ist, kann sich negativ auf viele weitere Bereiche auswirken wie die psychische und die somatische Gesundheit.
Gemäss dem Statistischen Bericht 2021 «Familien in der Schweiz» des Bundesamts für Statistik ist das deutlich erhöhte Armutsrisiko von Alleinerziehenden darauf zurückzuführen, dass es für Eltern in Einelternhaushalten mit minderjährigen Kindern schwierig ist, Familienpflichten und Erwerbsarbeit unter einen Hut zu bringen. 10⁰ Einelternfamilien und Paare mit einem oder mehreren Kindern in der Sozialhilfe sind deutlich häufiger erwerbstätig (je über 42 %) als andere Haushaltstypen (unter 29 %). 1⁰1 Der Unicef-Bericht «Child Poverty in the Midst of Wealth» verzeichnete zwischen 2012 und 2021 einen Anstieg der Kinder in der Schweiz, deren Familie von Armut betroffen beziehungsweise bedroht ist. 1⁰2 In seinen Empfehlungen verweist er auf die Europäische Garantie für Kinder, welche für alle von Armut bedrohten Kinder in der EU kostenlose frühkindliche Betreuung, Bildung und Erziehung vorsieht. 1⁰3 Gemäss OECD-Länderbericht sind Kinder zwischen null und zwei Jahren aus dem Drittel der Haushalte mit den niedrigsten Einkommen in der Schweiz in der institutionellen familienergänzenden Kinderbetreuung untervertreten (20 % vs. 60 % aus dem Drittel der Haushalte mit den höchsten Einkommen). 1⁰4 Das Ergebnis ordnet sich in bestehende Untersuchungen ein, die zeigen, dass sozial benachteiligte Familien Angebote der frühen Förderung weniger oft nutzen als andere Familien. 1⁰5 Diese Werte zu korrigieren wäre im Sinne der Chancengerechtigkeit und des gesellschaftlichen Zusammenhalts von zentraler Bedeutung. 1⁰6
Dass Frauen in der Schweiz den grösseren Teil der unbezahlten Arbeit leisten und gleichzeitig mit ihrer bezahlten Arbeit deutlich tiefere Einkommen erwirtschaften (vgl. «Gleichstellung der Geschlechter»), geht mit einem erhöhten Armutsrisiko einher. 1⁰7 Die Einkommensunterschiede werden zwar in einem gemeinsamen Haushalt durch ein Zusammenführen aller Einkommen relativiert. 1⁰8 Das Armutsrisiko von Frauen und ihre wirtschaftliche Selbstständigkeit werden jedoch insbesondere nach einer Trennung nachhaltig beeinträchtigt.
Es ist wahrscheinlich, dass die Initiative für einen Teil der kurz-, mittel- und langfristig von Armut bedrohten Menschen in der Schweiz positive Auswirkungen hätte. Es bleibt jedoch den Kantonen überlassen, ob von Armut bedrohte Familien auch in Zukunft bis zu zehn Prozent ihres Haushaltseinkommens für die institutionelle familienergänzende Kinderbetreuung bezahlen. Der in Artikel 116 a Absatz 4 vorgesehene Mechanismus im Initiativtext schliesst gleichzeitig einen höheren Finanzierungsanteil wirtschaftlich besser gestellter Familien aus. Wie sich die Initiative bei einer Annahme konkret auf das Armutsrisiko auswirkt, bleibt damit abhängig von der Umsetzung durch den Gesetzgeber. Damit armutsgefährdete Personen im Sinne einer nachhaltigen wirtschaftlichen Selbstständigkeit gezielt unterstützt werden können, könnten Vorschläge aus den Empfehlungen der SODK/EDK und der EKFF berücksichtigt werden. 1⁰9 So können insbesondere durch eine lineare Ausgestaltung der Tarif- und Finanzierungssysteme negative Erwerbsanreize verhindert werden.
Chancengerechtigkeit
In einem 2018 veröffentlichten Bericht 11⁰ betonte der Bundesrat, dass sich Investitionen in die frühe Kindheit auch aus makroökonomischer Sicht lohnen. Er hielt fest, dass geförderte Kinder über bessere kognitive, soziale und sprachliche Kompetenzen verfügen. Sie sind seltener krank, zeigen bessere Schulleistungen und sind später erfolgreicher auf dem Arbeitsmarkt. Angebote der frühen Förderung entlasten somit das Sozial-, Gesundheits- und Bildungswesen. Je früher Massnahmen zur frühen Förderung von Kindern zum Tragen kommen, desto höher ist der wirtschaftliche Nutzen. Schätzungen zufolge sind rund 10 Prozent der Kinder in der Schweiz in ihrer Entwicklung benachteiligt. 11¹
Ein gleichwertiger Zugang zu institutioneller familienergänzender Kinderbetreuung erhöht die Chancengerechtigkeit hinsichtlich verschiedener Faktoren. Verschiedene internationale Studien heben die Vorteile hervor, die qualitativ hochwertige Betreuungs- und Unterstützungsangebote für Kinder im Vorschulalter haben. 1¹2 Im Rahmen der familienergänzenden Kinderbetreuung werden die Kinder in ihrer sozialen, emotionalen, kognitiven, körperlichen und psychischen Entwicklung unterstützt. 1¹3 Auf die Bedeutung dieses Angebots und auf die Wichtigkeit, weitere Förderangebote zu etablieren, wies der Bundesrat auch in seinem Bericht von 2021 zur frühen Kindheit hin. 1¹4
Der Anteil der unter 3-jährigen Kinder, die 30 Stunden oder mehr pro Woche institutionell betreut werden, beläuft sich in der Schweiz auf 6 Prozent im Vergleich zu durchschnittlich 19 Prozent in der EU. 1¹5 Die flächendeckende Verfügbarkeit von bezahlbaren, qualitativ hochwertigen und barrierefreien institutionellen familienergänzenden Kinderbetreuungsangeboten würde dazu beitragen, dass Kinder von der Geburt an ihre Möglichkeiten voll ausschöpfen können - unabhängig von ihrer Herkunft, ihrem Wohnort oder dem Einkommen ihrer Eltern. Verschiedene Leistungserhebungen zeigen, dass Schülerinnen und Schüler, die fremdsprachig sind oder aus bildungsfernen Familien stammen, ein grösseres Risiko haben, in der Schule schlechter abzuschneiden als ihre Mitschülerinnen und Mitschüler. 1¹6 Zwischen 2012 und 2022 hat sich der Leistungsunterschied in Mathematik zwischen den oberen und den unteren 25 Prozent der Schülerinnen und Schüler in Bezug auf den sozioökonomischen Status in der Schweiz gemäss der PISA-Studie 2022 vergrössert. 1¹7
Eine besondere Rolle spielt die Initiative für Kinder mit Behinderungen 1¹8 . Ob sie im Vorschulalter eine familienergänzende Betreuung in Anspruch nehmen können, ist heute massgeblich vom Wohnort abhängig. 1¹9 Zusätzlich spielt auch der effektive Mehraufwand bei der Betreuung eine substanzielle Rolle. Eine Analyse von Procap schätzt, dass von den 9000 in der Schweiz lebenden Kindern mit Behinderungen im Vorschulalter ungefähr 6750 Kinder mit moderatem Aufwand in reguläre Kindertagesstätten integriert werden könnten (erhöhter Betreuungsfaktor von 1,5). Bei etwa 2250 Kindern wäre dem Bericht zufolge mit einem erhöhten Mehraufwand zu rechnen. Ein entsprechendes Angebot würden gemäss Procap etwa 3000 Kinder besuchen, davon etwa 750 Kinder mit einem deutlich erhöhten Betreuungsbedarf. Von den befragten Eltern ist mehr als die Hälfte (54 %) der Meinung, das bestehende Angebot in der Region decke den Bedarf an Betreuung des Kindes mit Behinderungen nicht oder eher nicht ab. 12⁰ Knapp drei von vier Befragten beurteilt die Suche nach geeigneten Betreuungsangeboten aufgrund der Behinderungen des Kindes als erschwert und die Angebotssituation als schlechter gestaltet. Wenn die Förderung des Kindes, die Nähe zum Wohnort sowie die diskriminierungsfreie Finanzierung der Betreuungskosten gewährleistet wären, geben 74 Prozent der Eltern an, dass sie ein Betreuungsangebot für ihr Kind mit Behinderung in Anspruch nehmen würden. Im Durchschnitt gehen 59 Prozent der Mütter mit einem pflegebedürftigen Haushaltsmitglied zwischen 0 und 17 Jahren einer Erwerbstätigkeit nach; bei Vätern hingegen lässt sich kein Unterschied in der Erwerbstätigkeit feststellen. 12¹ Zum Vergleich gingen schweizweit über 80 Prozent der Frauen mit Kindern unter 15 Jahren 2022 einer Erwerbstätigkeit nach. ¹22
Die Initiative fordert, dass das Angebot an institutioneller familienergänzender Kinderbetreuung allen Kindern offensteht. Der gleichwertige Zugang für Kinder mit Behinderungen wurde in wenigen Kantonen und Gemeinden über verschiedene Modelle teilweise realisiert. Ein systematisch ausgebautes Angebot für alle Kinder im Vorschulbereich mit Behinderungen boten 2021 die Kantone Basel-Stadt, Genf, Waadt und Zug sowie die Stadt Zürich. ¹23 Da die Initiative die Kostengrenze an das Einkommen der Eltern knüpft, ist eine höhere Kostenbeteiligung aufgrund des erhöhten Betreuungsaufwands durch die Initiative per se nicht ausgeschlossen.
Eine Investition in die frühkindliche Bildung, Betreuung und Erziehung, in dem Ausmass, wie vom Initiativekomitee vorgesehen, würde die Chancengerechtigkeit im Vorschulbereich stärken, das Bildungssystem entlasten und den Einfluss des sozioökonomischen Hintergrunds auf den Bildungsweg von Kindern reduzieren.
8¹ Abrufbar unter www.bfs.admin.ch > Statistiken finden > Wirtschaftliche und soziale Situation der Bevölkerung > Gleichstellung von Frau und Mann.
8² Bundesamt für Statistik 2023: Erwerbsquoten in Vollzeitäquivalenten nach Geschlecht, Nationalität, Altersgruppen, Familientyp. Abrufbar unter:
www.bfs.admin.ch > Statistiken finden > Arbeit und Erwerb > Erwerbstätigkeit und Arbeitszeit > Erwerbsbevölkerung, Erwerbsbeteiligung > Erwerbsbeteiligung.
8³ Lütolf, M., Lüssi P. 2023: Egalitäre Vereinbarkeitspolitik - Das Familienreferenzmodell der Zukunft, In: EKFF 2023: Familien und Familienpolitik in der Schweiz - Herausforderungen im Jahr 2040. Sechs Diskussionsbeiträge, S. 15.
8⁴ Bundesamt für Statistik 2022: Medienmitteilung. Der Lohnunterschied zwischen den Geschlechtern hat sich im Jahr 2020 insgesamt verringert. Abrufbar unter
www.bfs.admin.ch > Aktuell > Medienmitteilungen.
8⁵ Bundesamt für Statistik 2021: Durchschnittlicher Aufwand für Erwerbsarbeit, Haus- und Familienarbeit und Freiwilligenarbeit nach Geschlecht und Familiensituation. Abrufbar unter
www.bfs.admin.ch > Statistiken finden > Kataloge und Datenbanken.
8⁶ Bundesamt für Statistik: Gesamter geschlechtsspezifischer Erwerbseinkommensunterschied (GOEG). Abrufbar unter
www.bfs.admin.ch > Statistiken finden > Wirtschaftliche und soziale Situation der Bevölkerung > Gleichstellung von Frau und Mann > Einkommen > Gesamter geschlechtsspezifischer Erwerbseinkommensunterschied. Eidgenössische Kommission für Frauenfragen 2023: Zeitschrift Frauenfragen 45. Jahrgang, S. 70.
8⁷ S. Bischof et al. 2023: Die wirtschaftliche Situation von Familien in der Schweiz. Die Bedeutung von Geburten sowie Trennungen und Scheidungen, S. 51-52.
8⁸ Bundesamt für Statistik 2023: Website Pension gap. Abrufbar unter
www.bfs.admin.ch > Statistiken finden > Wirtschaftliche und soziale Situation der Bevölkerung > Gleichstellung von Frau und Mann > Einkommen > Pension gap.
⁸9 Bundesrat 2022: Erfassung des Gender Overall Earnings Gap und anderer Indikatoren zu geschlechterspezifischen Einkommensunterschieden. Abrufbar unter
www.parlament.ch > 19.4132 > Bericht in Erfüllung eines Postulats, S. 18.
9⁰ Krapf, M. et al. 2020: The Effect of Childcare on Parental Earnings Trajectories. CESifo Working Paper No. 8764. Abrufbar unter
www.ssrn.com .
9¹ Bundesamt für Statistik 2021: Demos 1/2021 Frauen, S. 13. Abrufbar unter
www.bfs.admin.ch > Kataloge und Datenbanken > Publikationen.
9² Kibesuisse 2023: Umfrage in Kita-Branche: Ungenügende Finanzierung ist die Achillesferse. Medienmitteilung. Abrufbar unter
www.kibesuisse.ch > News.
9³ Savoir Social 2023: Umfrage Praktika vor Lehrbeginn Fachmann*frau Betreuung Auswertungsbericht 2022, S. 4.
9⁴ Bundesrat 2021: Gleichstellungsstrategie 2030. Abrufbar unter
www.gleichstellung2030.ch .
9⁵ Bundesrat 2021: Gleichstellungsstrategie 2030. Abrufbar unter
www.gleichstellung2030.ch .
9⁶ Jacobs Foundation 2018: Kinderbetreuung und Erwerbstätigkeit. Was sich Eltern wünschen. Abrufbar unter
www.infras.ch > Themen > Projektarchiv.
9⁷ Bundesamt für Statistik 2023: Statistischer Sozialbericht, S. 58.
9⁸ Eidgenössische Kommission für Frauenfragen 2023: Zeitschrift Frauenfragen. Geld, S. 80 f.
9⁹ Bischof, S. et al. 2023: Die wirtschaftliche Situation von Familien in der Schweiz. Bedeutung von Geburten und Scheidungen/Trennungen, S. 122. Abrufbar unter
www.buerobass.ch/kernbereiche/projekte/familienpolitik
.
10⁰ Bundesamt für Statistik 2021: Familien in der Schweiz. Statistischer Bericht 2021. S. 53.
1⁰1 Bundesamt für Statistik 2023: WSH: Sozialhilfebeziehende der wirtschaftlichen Sozialhilfe von 15 bis 64 Jahren nach Erwerbssituation und nach Struktur der Unterstützungseinheit. Abrufbar unter
www.bfs.admin.ch > Statistiken finden > Soziale Sicherheit > Sozialhilfebeziehende im Jahr 2022.
1⁰2 Unicef 2023: Innocenti Report Card 18: Child poverty in the midst of wealth.
1⁰3 European Commission 2021: Study on the economic implementing framework of a possible EU Child Guarantee scheme including its financial foundation. Final Report.
1⁰4 OECD 2024: Economic Surveys: Switzerland 2024, S. 58.
1⁰5 Walter-Laager, C., Meier Magistretti, C. 2016: Literaturstudie und Good-Practice-Kriterien zur Ausgestaltung von Angeboten der frühen Förderung für Kinder aus sozial benachteiligten Familien. Stern, S. et al. 2019: Angebote der frühen Kindheit in der Stadt Zürich: Situationsanalyse und Handlungsbedarf. Bischof, S. et al. 2023: Die wirtschaftliche Situation von Familien in der Schweiz. Die Bedeutung von Geburten sowie Trennung und Scheidung. Hg. v. Bundesamt für Sozialversicherungen.
1⁰6 Balthasar, A., Ritz, M. 2020: Whitepaper zur Investition in die frühe Kindheit: Fokus Volkswirtschaftlicher Nutzen. Jacobs Foundation, S. 16.
1⁰7 Bundesrat 2022: Erfassung des Gender Overall Earnings Gap und anderer Indikatoren zu geschlechterspezifischen Einkommensunterschieden. Abrufbar unter
www.parlament.ch > 19.4132 > Bericht in Erfüllung eines Postulats, S. 4.
1⁰8 Eidgenössische Kommission für Frauenfragen 2023: Zeitschrift Frauenfragen 45. Jahrgang, S. 17.
1⁰9 SODK, EDK 2022: Empfehlungen zur Qualität und Finanzierung der Familien- und Schulergänzenden Kinderbetreuung; Eidgenössische Kommission für Familienfragen 2021: Kinderbetreuung finanzieren und Elterntarife gestalten. Empfehlungen an Politik und Behörden auf nationaler, kantonaler und kommunaler Ebene.
11⁰ Bundesrat 2018: Ergebnisse des Nationalen Programms zur Prävention und Bekämpfung von Armut 2014-2018. Bericht des Bundesrates zum Nationalen Programm sowie in Erfüllung der Motion 14.3890 der Sozialdemokratischen Fraktion vom 25. September 2014. Abrufbar unter www.parlament.ch; Stern, S. et al. 2019: Für eine Politik der frühen Kindheit. Eine Investition in die Zukunft. Frühkindliche Bildung, Betreuung und Erziehung / Frühe Förderung in der Schweiz, Zürich: Infras.
11¹ Stern, S. et al. 2016: Whitepaper zu den Kosten und Nutzen einer Politik der frühen Kindheit, Infras; Universität St. Gallen.
1¹2 Bundesrat 2018: Ergebnisse Nationales Programm Prävention und Bekämpfung von Armut 2014-2018, Bericht des Bundesrats zum Nationalen Programm sowie in Erfüllung der Motion 14.3890.
1¹3 Wurstmann Seiler, C., Simoni, H. 2016: Orientierungsrahmen für frühkindliche Bildung, Betreuung und Erziehung in der Schweiz. Zürich. S. 25 ff.
1¹4 Bundesrat, 2021: Politik der frühen Kindheit. Auslegeordnung und Entwicklungsmöglichkeiten auf Bundesebene. Bericht des Bundesrats in Erfüllung der Postulate 19.3417 der Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur des Nationalrats und 19.3262 Gugger.
1¹5 Bundesamt für Statistik 2021: Familien in der Schweiz. Statistischer Bericht 2021, S. 88.
1¹6 Schweizerische Koordinationsstelle für Bildungsforschung 2023: Bildungsbericht Schweiz, S. 86-87.
1¹7 OECD 2023: Ländernotiz für die Schweiz (auf Englisch), S. 5. Abrufbar unter
www.oecd.org/pisa > PISA 2022 Results > Country/economy-specific Overviews > Switzerland.
1¹8 Gemeint sind im Folgenden Kinder mit Behinderungen im Sinne des Behindertengleichstellungsgesetzes. Relevant für die Betreuungskosten ist jedoch nicht der Grad der Behinderung sondern der effektive Betreuungsmehraufwand in einem bestimmten Betreuungssetting.
1¹9 Im Folgenden: Fischer, A. et al. 2021: Familienergänzende Betreuung für Kinder mit Behinderungen. Eine Analyse der Nachfrage, des Angebots und der Finanzierungsmechanismen - für Kinder mit Behinderungen im Vorschulalter in der Schweiz. Procap Schweiz, S. 18 und 57 .
12⁰ Fischer, A. et al. 2021: Familienergänzende Betreuung für Kinder mit Behinderungen. Eine Analyse der Nachfrage, des Angebots und der Finanzierungsmechanismen - für Kinder mit Behinderungen im Vorschulalter in der Schweiz. Procap Schweiz, S. 19-20.
12¹ Bundesamt für Statistik 2016: Spezialauswertung aus dem Modul unbezahlte Arbeit der Jahre 2010, 2013 und 2016 (nicht öffentlich).
¹22 Bundesamt für Statistik 2023: Schweizerische Arbeitskräfteerhebung (SAKE).
¹23 Fischer, A. et al. 2021: Familienergänzende Betreuung für Kinder mit Behinderungen. Eine Analyse der Nachfrage, des Angebots und der Finanzierungsmechanismen - für Kinder mit Behinderungen im Vorschulalter in der Schweiz. Procap Schweiz, S. 36.

4.2.4 Finanzielle und personelle Auswirkungen für den Bund

Die Initiative konzentriert sich auf die institutionelle familienergänzende Kinderbetreuung. Sie betrifft daher grundsätzlich die gleichen Familien wie der Gesetzesentwurf der WBK-N für eine Nachfolgelösung im Bereich der Finanzhilfen (pa. Iv. 21.403). Das Modell, das zur Berechnung der Kosten verwendet wurde, kann in angepasster Form verwendet werden, um die Kosten der Initiative zu schätzen; die Zielgruppe wird jedoch auf Kinder im Alter von drei Monaten bis Ende des Grundschulunterrichts festgelegt. Der Hauptunterschied besteht in der Höhe der Beteiligung des Bundes, da sie nun zwei Drittel der Gesamtkosten ausmacht. Auf Basis der bestehenden Berechnungen könnten sich die geschätzten jährlichen Kosten für den Bund im ersten Jahr auf etwa 2,3 Milliarden Franken belaufen. ¹24 Für die Finanzierung müsste Steuersubstrat aufgewendet werden, was entweder bestehende Ausgaben verdrängen oder die Steuerlast erhöhen würde.
Weitere finanzielle Auswirkungen sind zu erwarten im Zusammenhang mit folgenden Faktoren, welche zu Kostensteigerungen, gegebenenfalls auch zu Effizienzsteigerungen führen könnten:
-
Erhöhung der Nachfrage aufgrund des veränderten Angebots (z. B. geringere Betreuungskosten, Ausbau des Angebots);
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Auswirkungen der Veränderungen der Qualität der Betreuung auf den Vollkostenansatz (z. B. Betreuungsschlüssel, erweiterte Öffnungszeiten);
-
Auswirkungen von wegfallenden Hindernissen für die Inanspruchnahme (jedes Kind hat einen Anspruch auf familienergänzende Kinderbetreuung);
-
Sicherstellung eines gleichen Zugangs für alle Kinder (z. B. Kinder mit Behinderungen).
Es ist aufgrund der genannten Punkte, deren Ausmass stark variieren kann, damit zu rechnen, dass die Kostenfolge für den Bund deutlich höher ausfallen könnte, als auf Basis der bestehenden Berechnungen angenommen.
Die personellen Auswirkungen der Volksinitiative auf Bundesebene sind zum jetzigen Zeitpunkt schwer abzuschätzen, da insbesondere die Parameter der Aufsicht nicht definiert sind. Die benötigten Ressourcen sind zudem abhängig von den weiteren durch den Gesetzgeber zu bestimmenden Parametern für die Umsetzung der Initiative. Der Bund kann vorgeben, dass die Kantone ihm ihre Abrechnungen und Kontrollsysteme vorzulegen haben und beispielsweise jährlich oder halbjährlich die Zahlung der anfallenden Bundesbeiträge an die Kantone auslösen. In diesem Fall und sofern der Bundesgesetzgeber nicht noch weitere Massnahmen vorsieht, würden für die Umsetzung der Initiative auf Bundesebene gemäss aktueller Schätzung zusätzlich zum bestehenden Personalkörper drei bis vier Vollzeitäquivalente ausreichen. Der Personalressourcenbedarf und dessen Finanzierung wäre im Fall einer Annahme der Volksinitiative auf Basis der konkreten Umsetzungsmodalitäten nochmals im Detail zu prüfen. Es ist zu prüfen, in welcher Form der Informationsaustausch mit den Kantonen realisiert werden kann und welche Vorgaben der Bund beispielsweise zur Einheitlichkeit der zu liefernden Daten macht. Daraus folgt der Bedarf des Bundes an Informations- und Kommunikationstechnologien.
¹24 Berechnung des BSV, gestützt auf Daten der SILC-2021 und eine angepasste Version der Modellrechnung der pa. Iv. 21.403.

4.2.5 Finanzielle und personelle Auswirkungen für Kantone und Gemeinden

Die finanziellen und personellen Auswirkungen für Kantone und Gemeinden sind abhängig vom bestehenden kantonalen und kommunalen Recht im Bereich der familienergänzenden institutionellen Kinderbetreuung und davon, wie ein Kanton die neuen Anforderungen umsetzt und über welche Instanzen Abrechnung und Kontrolle abgewickelt werden. Es ist mit Anpassungen der kantonalen Gesetzgebung und je nach Umsetzungsform und bestehenden Strukturen auch mit der Schaffung neuer Behörden zu rechnen. Ebenso dürfte eine Annahme der Initiative dazu führen, dass die Kantone aufgrund der Möglichkeit, die Subventionen in diesem Bereich zu senken, auf Kosten des Bundeshaushalts finanziell tendenziell wesentlich entlastet würden.
Relevant ist auch die Frage, inwiefern Bund, Kantone, Gemeinden, Eltern, Arbeitgeber und allenfalls weitere Parteien in einem Kanton bisher in die Finanzierung der institutionellen familienergänzenden Kinderbetreuung einbezogen wurden und wie sie im Rahmen der Umsetzung der Kita-Initiative neu in die Finanzierung des verbleibenden Drittels der Kinderbetreuungskosten eingebunden würden. Sollten die Eltern in die Finanzierung einbezogen werden, müsste ihr Einkommen zur Berechnung ihres Beitrags erhoben werden, da dieser zehn Prozent des Einkommens nicht übersteigen darf. Der Aufwand zur Feststellung der Maximalkosten für die Familien abhängig von ihrem Einkommen über alle Erwerbsmodelle (z. B. Selbstständigkeit) und Familienkonstellationen (z. B. Patchworkfamilie) hinweg kann abhängig von den Gesetzesgrundlagen und der Umsetzung hoch ausfallen. Mindestens Bund und Kantone wären in die Finanzierung eingebunden, allenfalls auch weitere Parteien. Auch hier müsste für die Finanzierung Steuersubstrat aufgewendet werden, was entweder bestehende Ausgaben verdrängen oder aber die Steuerlast erhöhen würde. Der sichere Informationsaustausch zum Zweck von Abrechnung und Kontrolle müsste gewährleistet sein. Hierfür werden geeignete digital basierte Durchführungs- und Controllinginstrumente aufgebaut und angewendet werden müssen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass besonders schützenswerte Personendaten, beispielsweise zu Gesundheit oder Massnahmen der sozialen Hilfe, betroffen sein könnten.

4.2.6 Auswirkungen auf Kompetenzen Bund, Kantone und Gemeinden

Für den Bund hätte die Initiative eine neue Verpflichtung zur Finanzierung in der Höhe von zwei Dritteln der Kosten im Bereich der institutionellen familienergänzenden Kinderbetreuung zur Folge (Art. 116 a Abs. 4 BV). Dies gilt auch dort, wo diese Kosten aktuell nicht nur von den Eltern, sondern auch von Kantonen, Gemeinden, Arbeitgebern und weiteren Akteuren getragen werden. So trugen Eltern in den letzten Jahren in den Kantonen Genf, Waadt und Neuenburg durchschnittlich nur zwischen 20 und 40 Prozent der Kosten. Im Kanton St. Gallen trugen sie 63 Prozent, im Kanton Zürich 72 Prozent und im Kanton Thurgau durchschnittlich rund 90 Prozent der Kosten der institutionellen familienergänzenden Kinderbetreuung. ¹25 Durch die Verlagerung von zwei Dritteln der Lasten, die derzeit bereits von verschiedenen Akteuren getragen werden, hin zum Bund, ist mit ausgeprägten Mitnahmeeffekten zu rechnen. Dies umso mehr, da der Bundesbeitrag nicht an bestimmte Bedingungen geknüpft werden könnte. Zudem setzt die Initiative massive und kostenintensive Fehlanreize. Dass die entsprechenden Aufgaben am richtigen Ort, zur richtigen Zeit und im richtigen Umfang bereitgestellt werden, wäre deutlich schwieriger sicherzustellen. Dies gilt für diejenigen, die das Angebot nutzen, als auch für diejenigen, die es planen und kontrollieren und erst recht für diejenigen, die dafür hauptsächlich bezahlen.
Aufteilung der Kosten für die institutionelle familienergänzende Kinderbetreuung
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Bisher Vorschlag Initiative
2/3 der Kosten 1/3 der Kosten
Kostenträger Eltern, Gemeinden, Kantone, Bund, Arbeitgeber und weitere Akteure Weitere Beteiligung des Bundes in Diskussion (vgl. pa. Iv. 21.403) Bund Eltern mit maximal 10 Prozent ihres Einkommens, Gemeinden, Kantone, Arbeitgeber und weitere Akteure
Regelungskompetenz Kantonale und kommunale Regelungen Der Bund kann Grundsätze festlegen. Die Kantone definieren und steuern Angebot, Qualität und Finanzierung gemäss Vorgaben der Initiative.
Artikel 116 a Absatz 5 BV erteilt dem Bund eine neue Kompetenz zur Grundsatzgesetzgebung in diesem Bereich. Es handelt sich um eine konkurrierende und fakultative Gesetzgebungskompetenz; dem Bundesgesetzgeber steht es frei, die Kompetenz auszuüben oder auf sie zu verzichten. Die Gesetzgebungskompetenz geht zum einen weiter als das geltende Recht (Art. 116 Abs. 1 zweiter Satz BV), da sie eine direkte Regelung der kantonalen Leistungen ermöglicht. Zum andern ist sie aber auch enger gefasst, da sie auf Grundsätze beschränkt ist, während das geltende Recht dem Bundesgesetzgeber eine abschliessende Regelung der Finanzhilfen des Bundes an die kantonalen Massnahmen zum Schutz der Familie erlaubt.
Für die Kantone hätte die Initiative eine Einschränkung ihrer Autonomie bei der Regelung und Finanzierung der institutionellen familienergänzenden Kinderbetreuung zur Folge. Artikel 116 a Absatz 1 würde die Kantone verpflichten, im Bereich der institutionellen familienergänzenden Kinderbetreuung Gesetze zu erlassen. Gleichzeitig wäre ein sehr hoher Bundesanteil von zwei Dritteln bei der Finanzierung in einem Zuständigkeitsbereich der Kantone vorgesehen. Artikel 116 a Absätze 1-3 enthalten Vorgaben an die Kantone, die diese bei der Gesetzgebung beachten müssten. Zudem würde Artikel 116 a Absatz 4 den Handlungsspielraum der Kantone bei der Finanzierung der institutionellen familienergänzenden Kinderbetreuung einschränken. Demnach können die Kantone vorsehen, dass die Eltern sich gemäss ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit an den Kosten beteiligen, wobei die Beteiligung der Eltern dem Initiativtext zufolge zehn Prozent ihres Einkommens nicht übersteigen darf. Im Vergleich zwischen 13 Gemeinden und bezogen auf ein durchschnittliches Haushaltseinkommen (Beschäftigungsgrad 140 %, Details in Ziff. 2) wurden die Betreuungskosten für einen Paarhaushalt 2021 auf zwischen 3 und 14 Prozent des Nettojahreseinkommens geschätzt. ¹26 Indem der Bund in einem ersten Schritt zwei Drittel der Kosten für die institutionelle familienergänzende Kinderbetreuung übernähme, würden noch weniger Eltern als heute schon mehr als 10 Prozent ihres Einkommens für die Kinderbetreuung ausgeben. Dadurch bleibt den Kantonen mehr Spielraum bei der Ausgestaltung der Finanzierung des verbleibenden Drittels der Betreuungskosten.
Obwohl der Bund Grundsätze festlegen kann, würde der Grundsatz der fiskalischen Äquivalenz in Frage gestellt, da sich die Gesetzgebungskompetenz des Bundes nach Artikel 116 a Absatz 5 BV auf Grundsätze beschränkt. Eine umfassende und insbesondere eine ausschliessliche Kompetenz sind damit klar ausgeschlossen. Die Anwendung des Prinzips der fiskalischen Äquivalenz ist jedoch aufgrund des über die Direktbetroffenen hinaus und breit über das Gebiet der Schweiz streuenden Nutzens erschwert. ¹27 Hinzu kommt, dass es sich in Zusammenhang mit der Bereitstellung bedeutsamer Rechtsgüter wie Gleichheit oder Gerechtigkeit nur eingeschränkt anwenden lässt.
In Bezug auf die Aufsichts- und Bewilligungskompetenz, wofür derzeit mehrheitlich die Kantone zuständig sind, sieht die Initiative nicht per se eine Änderung vor. Der Bund ist gemäss Absatz 5 jedoch frei, Grundsätze festzulegen. Die Initiative sieht eine Verfassungsgrundlage für die Qualität der Betreuung durch Vorgaben zur Qualifikation und zu den Arbeitsbedingungen der Betreuungspersonen vor. Zuständig für die Umsetzung sollen gemäss dem Initiativkomitee die Kantone bleiben. ¹28
¹25 Stern, S. et al. 2021: Finanzierung der institutionellen Kinderbetreuung und Elterntarife, Bericht, Infras und Evaluanda AG, S. 59.
¹26 Stern, S. et al. 2021: Finanzierung der institutionellen Kinderbetreuung und Elterntarife, Bericht, Infras und Evaluanda AG, S. 93-95.
¹27 Bundesrat 2014: Einhaltung der Grundsätze der Neugestaltung des Finanzausgleichs und der Aufgabenteilung zwischen Bund und Kantonen (NFA). Bericht des Bundesrates vom 12. Sept. 2014 in Erfüllung des Postulats 12.3412 (Stadler Markus) vom 29. Mai 2012.
¹28 Vgl . www.gute-kitas.ch > Um was geht’s? > Weiterführende Informationen > Juristische Erläuterungen

4.3 Vorzüge und Mängel der Initiative

4.3.1 Familienpolitische Ziele

Es wird anerkannt, dass die Initiative ein familienpolitisches Kernanliegen angehen will. Die Notwendigkeit der Verbesserung der Vereinbarkeit insbesondere im Hinblick auf den Fachkräftemangel ist politisch grossmehrheitlich anerkannt. Auf internationaler Ebene hat die Schweiz auch von der UNO im Jahr 2019 die Empfehlung erhalten, sich u. a. durch die Erhöhung der öffentlichen Finanzierung für Krippen und die Einführung einer Kinderbetreuungszulage verstärkt dafür einzusetzen, dass verfügbare, zugängliche und erschwingliche Kinderbetreuungsdienste angeboten werden. ¹29 Massnahmen sind sind ferner angesichts der Herausforderungen im Bereich der Gleichstellung, der Armutsprävention und der Chancengerechtigkeit in der frühen Kindheit angezeigt. In diesen Bereichen spielen die Kosten der institutionellen familienergänzenden Kinderbetreuung sowie das Angebot und dessen Qualität eine entscheidende Rolle. Auch mit Blick auf die bisherigen vom Bund geförderten Massnahmen wäre die Senkung der Kosten ein Aspekt, den der Bundesrat unterstützen könnte - dies jedoch unter Berücksichtigung der Anliegen des Bundes, indem auf die Belastung des Finanzhaushalts im Grundsatz verzichtet würde. Zu vermeiden sind Fehlanreize, die sich negativ auf Effizienz und Kostenentwicklung auswirken können. Auch ist darauf zu achten, dass aus einer Gesamtsicht ein bestmögliches Kosten-Nutzen-Verhältnis angestrebt wird. Ebenso sind Finanzierungsformen zu wählen, welche die unterschiedlichen Finanzierungssysteme in den Kantonen nicht tangieren und gleichzeitig Mitnahmeeffekte möglichst verhindern. Bestehende Strukturen in Kantonen und Gemeinden sind insbesondere im Hinblick auf eine effiziente Durchführung zu berücksichtigen. Insbesondere betreffend die Bekämpfung des Arbeitskräftemangels bekräftigt der Bundesrat seine Ansicht, dass eine stärkere Rolle der Arbeitgeber wünschenswert wäre. Wie verschiedentlich festgehalten, sähe der Bundesrat namentlich auch die Arbeitgeber in der Pflicht, ihren Teil zur Reduktion der Kosten beizutragen.
¹29 Vgl. Abschliessende Bemerkungen des Ausschusses für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte zum vierten periodischen Bericht der Schweiz vom (18.10.2019). Abrufbar unter
www.seco.admin.ch > Arbeit > Internationale Arbeitsfragen > UNO.

4.3.2 Finanzierung

Ausgaben in dieser Höhe sind für den Bund derzeit grundsätzlich nicht tragbar. Für den Finanzplan 2027 ist bereits jetzt mit einem strukturellen Defizit von 3 Milliarden Franken zu rechnen. In den nächsten Jahren wird sich das Defizit weiter vergrössern und im Jahr 2030 wird es voraussichtlich 4 Milliarden erreichen. Durch einen Beitrag des Bundes in dieser Höhe würde das strukturelle Defizit bis 2030 auf fast 6,3 Milliarden anwachsen und dazu führen, dass bei anderen wichtigen Bundesaufgaben zusätzliche Einsparungen im gleichen Umfang vorgenommen oder zusätzliche Einnahmen vorgesehen werden müssten.
Zusätzliche Ausgaben von 2,3 Milliarden entsprächen linearen Kürzungen von rund 9,4 Prozent bei den schwach gebundenen Ausgaben ohne diejenigen der Armee (bzw. rund 7,6 %mit der Armee). Angesichts der bereits umgesetzten Sparmassnahmen und der aufgrund bereits vorgesehener Defizite drohenden Sparmassnahmen, ist eine zusätzliche lineare Kürzung in dieser Grössenordnung zum jetzigen Zeitpunkt schwer vorstellbar. Dadurch werden zur Sicherstellung der entsprechenden Finanzierung zusätzliche Einnahmen notwendig. 2,3 Milliarden 13⁰ entsprechen rund 0,7 Mehrwertsteuerprozenten.
13⁰ Berechnung des BSV, gestützt auf Daten der SILC-2021 und eine angepasste Version der Modellrechnung der pa. Iv. 21.403.

4.3.3 Laufende Reformen zur Finanzierung der Kinderbetreuungskosten auf Kantonsebene

Seit 2020 haben mehrere Kantone ihre Gesetzgebung im Bereich der institutionellen familienergänzenden Kinderbetreuung überarbeitet oder sie befinden sich noch im Überarbeitungsprozess, so beispielsweise in den Kantonen Aargau, Bern, Freiburg, Glarus, Neuenburg, Thurgau, Schaffhausen, St. Gallen, Schwyz oder Zürich. Im Kanton Basel-Stadt wurde der kantonalen Volksinitiative «Kinderbetreuung für alle» im September 2023 ein erweiterter Gegenvorschlag entgegengestellt, der nach dem Rückzug der Initiative auf den 1. August 2024 in Kraft gesetzt werden soll.

4.3.4 Fazit

Aufgrund der Herausforderungen im Bereich des gleichen Zugangs und der Finanzierbarkeit der institutionellen familienergänzenden Kinderbetreuung mag die Forderung nach einer Erhöhung der finanziellen Beteiligung der öffentlichen Hand berechtigt erscheinen. Eine solche Erhöhung sollte jedoch im Einklang mit bestehenden Finanzierungs- und Bewilligungssystemen geschehen und in Abstimmung mit den zu erreichenden Zielen ausgestaltet sein. So sind beispielsweise Mechanismen vorzusehen, die gezielt auf die Erhöhung der Erwerbsquote der Frauen hinwirken (vgl. Ziff. 4.2.1). Der Komplexität von Angebotslandschaft und Bedarf wird eine Lösung, die es nicht erlaubt, bei der Finanzierung Bund, Kantone, Gemeinden, Eltern, Arbeitgeber und weitere Akteure entsprechend ihrer Verantwortung und dem für sie zu erwartenden Nutzen einzubeziehen (vgl. Ziff. 4.2.6), nicht gerecht. Die Kosten, die die Initiative auf Bundesebene verursachen würde, sind nicht tragbar, während die Fehlanreize, die sie setzt, massiv sind. Dass Prinzipien der Wirtschaftlichkeit durch die Initiative ausgehebelt werden, würde sich mit hoher Wahrscheinlichkeit negativ auf die Effizienz und die Kostenentwicklung auswirken. Da das Ziel der Initiative jedoch im Grundsatz zu unterstützen ist, setzt sich der Bundesrat in der laufenden parlamentarischen Debatte zur pa. Iv. 21.403 für die weitere Stärkung der familienergänzenden Kinderbetreuung ein (vgl. Ziff. 2.1.4).

4.4 Vereinbarkeit mit internationalen Verpflichtungen der Schweiz

4.4.1 Instrumente der Vereinten Nationen

Mit dem Ausbau der institutionellen familienergänzenden Kinderbetreuung würde die Schweiz klar im Sinne der internationalen Instrumente handeln, an die sie gebunden ist. Gemäss Artikel 18 Absatz 3 des UNO-Übereinkommens vom 20. November 1989 13¹ über die Rechte des Kindes treffen die Vertragsstaaten «alle geeigneten Massnahmen, um sicherzustellen, dass Kinder berufstätiger Eltern das Recht haben, die für sie in Betracht kommenden Kinderbetreuungsdienste und -einrichtungen zu nutzen». Auch das UNO-Übereinkommen vom 18. Dezember 1979 ¹32 zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau sieht in Artikel 11 Absatz 2 Buchstabe c vor, dass die Vertragsstaaten geeignete Massnahmen treffen «zur Förderung der Bereitstellung der erforderlichen unterstützenden Sozialdienste, die es Eltern ermöglichen, ihre Familienpflichten mit ihren beruflichen Aufgaben und mit der Teilnahme am öffentlichen Leben zu vereinbaren, insbesondere durch Förderung der Einrichtung und des Ausbaus eines Netzes von Einrichtungen zur Kinderbetreuung». Die Organe, die die Einhaltung der internationalen Verpflichtungen durch die Schweiz kontrollieren, beanstanden regelmässig ¹33 das unzureichende Angebot trotz der getroffenen Massnahmen sowie die hohen Kinderbetreuungskosten in der Schweiz. Sie empfehlen der Schweiz daher, sich landesweit stärker für verfügbare, bezahlbare und zugängliche Kinderbetreuungsdienste einzusetzen. Zudem wird der Schweiz empfohlen, auf Bundesebene Standards für die Qualität der Kindertagesstätten und ein Monitoring der Umsetzung dieser Standards zu entwickeln.
13¹ SR 0.107
¹32 SR 0.108
¹33 Abschliessende Bemerkungen des UNO-Ausschusses für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte vom 18. November 2019 zum vierten periodischen Bericht der Schweiz über die Umsetzung des Internationalen Paktes über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (UNO-Pakt I), Punkt 40 f. Abschliessende Bemerkungen des UNO-Ausschusses für die Beseitigung der Diskriminierung der Frau vom 1. November 2022 zum sechsten periodischen Bericht der Schweiz über die Umsetzung des Übereinkommens zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau, Punkt 50. Abschliessende Bemerkungen des UNO-Ausschusses für die Rechte des Kindes vom 22. Oktober 2021 zum fünften und sechsten Staatenbericht der Schweiz über die Umsetzung der UNO-Einkommens über die Rechte des Kindes, Punkt 30.

4.4.2 Freizügigkeitsabkommen mit der EU, EFTA-Übereinkommen sowie zweiseitige Sozialversicherungsabkommen

Die EU hat zwecks Erleichterung der Freizügigkeit Regelungen zur Koordinierung der nationalen Systeme der sozialen Sicherheit geschaffen. Die Schweiz nimmt seit dem Inkrafttreten des Abkommens vom 21. Juni 1999 ¹34 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits über die Freizügigkeit (Freizügigkeitsabkommen) am 1. Juni 2002 an diesem Koordinierungssystem teil. Das EU-Recht sieht keine Harmonisierung der einzelstaatlichen Systeme der sozialen Sicherheit vor. Die Mitgliedstaaten können die Einzelheiten ihrer Systeme der sozialen Sicherheit unter Beachtung der europarechtlichen Koordinationsgrundsätze selber festlegen. Dies gilt aufgrund des revidierten EFTA-Übereinkommens vom 4. Januar 1960 ¹35 auch in den Beziehungen zwischen der Schweiz und den übrigen EFTA-Staaten.
Die Schweiz wendet aufgrund des Freizügigkeitsabkommens mit der EU sowie des revidierten EFTA-Übereinkommens die Verordnungen (EG) Nr. 883/2004 ¹36 und 987/2009 ¹37 an. Diese gelten grundsätzlich auch für Familienleistungen (Art. 3 Abs. 1 Bst. j der Verordnung (EG) Nr. 883/2004).
Nach Artikel 4 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 ist die Schweiz verpflichtet, Staatsangehörige eines EU- bzw. EFTA-Staates gleich zu behandeln wie Schweizer Bürgerinnen und Bürger.
Geldleistungen dürfen nicht deshalb verweigert oder gekürzt werden, weil die anspruchsberechtigte Person oder deren Familienangehörige den Wohnsitz im EU-/EFTA-Ausland haben (Art. 7).
Ausserdem gilt das sogenannte Prinzip der Sachverhaltsgleichstellung (Art. 5). Demnach berücksichtigt der zuständige Staat, wenn der Eintritt bestimmter Sachverhalte oder Ereignisse Rechtswirkungen hat, entsprechende Ereignisse oder Sachverhalte so, als seien sie im eigenen Hoheitsgebiet eingetreten.
EU-/EFTA-Staatsangehörigen kann folglich eine Familienleistung im Sinne der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 nicht verweigert oder gekürzt werden, wenn ihr Kind in einem EU- oder EFTA-Staat institutionell betreut wird.
Ob die aufgeführten Koordinierungsbestimmungen auf die neue Leistung Anwendung finden, hängt von deren konkreten Ausgestaltung ab.
Würde eine Zulage geschaffen, die im Sinne eines Ausgleichs von Familienlasten direkt an die anspruchsberechtigten Eltern ausgerichtet wird (Individualleistung), wäre zu prüfen, ob es sich dabei um eine Familienleistung im Sinne des EU-/EFTA-Koordinierungsrechts handelt. Leistungen zum Ausgleich von Familienlasten können u. a. auch staatliche Beiträge zum Familienbudget sein, welche die Kosten für den Unterhalt von Kindern verringern (vgl. Urteil C-802/18 des Europäischen Gerichtshofes). Wäre eine solche Zulage als Familienleistung im Sinne der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 zu qualifizieren, so wäre diese, bei erfüllten Anspruchsvoraussetzungen, auch den EU-/EFTA-Staatsangehörigen zu gewähren, deren Kinder im EU-/EFTA-Ausland institutionell betreut werden.
Es besteht keine Möglichkeit, die Anwendbarkeit des EU-Koordinierungsrechts auf eine solche Leistung durch eine nationale Regelung auszuschliessen. Eine allfällige Beschränkung des Anspruchs auf Personen mit Wohnsitz in der Schweiz würde nur rechtliche Wirkungen für Staatsangehörige von Staaten ausserhalb der EU/EFTA entfalten.
Würde die Umsetzung der Initiative in Form eines Bundesbeitrags an die Kantone zur Finanzierung der Kosten der Einrichtungen für die institutionelle Kinderbetreuung erfolgen (Kollektivleistung), so fiele diese Leistung nicht in den Anwendungsbereich des europäischen Koordinierungsrechts.
Im Rahmen der zweiseitigen Sozialversicherungsabkommen werden die Familienleistungen weitgehend nicht geregelt und es bestünde für Staatsangehörige von Vertragsstaaten und von Nichtvertragsstaaten kein Anspruch auf eine allfällige Zulage für Kinder, die im Ausland institutionell betreut werden.
¹34 SR 0.142.112.681
¹35 SR 0.632.31
¹36 SR 0.831.109.268.1
¹37 SR 0.831.109.268.11

5 Schlussfolgerungen

Der Bundesrat teilt die Auffassung, dass die familienergänzende Kinderbetreuung weiterhin auch von der öffentlichen Hand gefördert werden muss und dass so die Eltern finanziell stärker entlastet werden sollen, dies insbesondere im Kontext des Arbeitskräftemangels. Eine Erhöhung der Beiträge der öffentlichen Hand oder der Arbeitgeber an die Kosten der institutionellen familienergänzenden Kinderbetreuung würde ausserdem die Familien entlasten sowie die Vereinbarkeit, die Gleichstellung und die Chancengerechtigkeit stärken. Es ist mit einer nachhaltigen Stärkung der wirtschaftlichen Selbstständigkeit besonders von armutsgefährdeten Personen zu rechnen. Allerdings liegen zu den vom Initiativkomitee vorgeschlagenen Kostenaufteilungen keine volkswirtschaftlichen Modellrechnungen vor, sodass keine abschliessende Einschätzung zum Kosten-Nutzen-Verhältnis gemacht werden kann.
Das Initiativkomitee schlägt zudem einen starren Mechanismus vor, der Kosten in Milliardenhöhe auf den Bund überwälzen und gravierende Fehlanreize schaffen würde. Eine grossmehrheitliche Kostenübernahme durch den Bund, wenn die Kantone gleichzeitig das Angebot, die Qualität und teilweise auch die Finanzierung definieren und steuern, ist aus Sicht der Effizienz, der Kostenentwicklung und der zielgerichteten Angebotsgestaltung nicht wünschenswert und widerspricht der föderalen Aufgabenteilung. Ausserdem werden bestehende und bewährte Subventionierungs- und Bewilligungssysteme in Kantonen und Gemeinden teilweise übersteuert. Zudem bleibt unklar, ob die Kosten und Nutzen in einem bestmöglichen Verhältnis stehen. Der Bundesrat lehnt die Initiative ab, da sie zwei Drittel der Betreuungskosten an den Bund übertragen und gleichzeitig verhindern würde, dass weitere Akteure entsprechend ihrer Verantwortung und ihrem Nutzen in die Finanzierung einbezogen werden können. Der Bund müsste zukünftig Kosten tragen, die derzeit teilweise in grossem Umfang durch Kantone, Gemeinden, Arbeitgeber und weitere Akteure getragen werden. In dem Umfang, in dem ausschliesslich bestehende Kosten umgelagert werden, entsteht kein volkswirtschaftlicher Nutzen. Ohne zusätzliche Einnahmen oder massive Einschnitte bei bestehenden Aufgaben, die sich ohne Anpassung der entsprechenden Fachgesetze nicht umsetzen lassen, ist die Kita-Initiative nicht finanzierbar. Darüber hinaus würde auch die bundesrechtliche Regelung der Arbeitsbedingungen für einzelne Berufsgruppen in die Kompetenzen der Kantone, Betriebe und Sozialpartner eingreifen.
Der Bund hat in der Vergangenheit nachhaltig zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Erwerbstätigkeit oder Ausbildung beigetragen. Gleich verhält es sich in Bezug auf die frühe Förderung, bei welcher der Bund ebenfalls Massnahmen zur Koordination auf Bundesebene anstrebt und in bestimmten Bereichen gezielte Massnahmen der Kantone unterstützt, so beispielsweise im Rahmen der kantonalen Integrationsprogramme. Es ist in erster Linie an den Kantonen, Gemeinden und Arbeitgebern, die notwendigen weiterführenden Schritte im Bereich der familienergänzenden institutionellen Kinderbetreuung zu unternehmen und ihre Fördermassnahmen für Kinder im Vorschulalter weiter zu entwickeln.
Im Rahmen der laufenden parlamentarischen Beratungen zur pa. Iv. 21.403 (vgl. Ziff. 2.1.4) sind Schritte zur weiteren Stärkung der Bezahlbarkeit und des Angebots der familienergänzenden institutionellen Kinderbetreuung in allen Regionen der Schweiz geplant. Zur Einführung einer neuen Leistung im Sinn des Nationalrats hat sich der Bundesrat bereits geäussert. Sie müsste in jedem Fall zu einem namhaften Teil gegenfinanziert sein, damit der Bundesrat sie unterstützen könnte. Hingegen begrüsst der Bundesrat die Prüfung eines alternativen Modells, wie die WBK-S es vorschlägt, das vorsieht, Eltern mit einer weiteren Familienzulage zu entlasten, wenn ihre Kinder institutionell betreut werden. Zwar könnte eine Erhöhung via Lohnnebenkosten das Arbeitsangebot und die Arbeitsnachfrage allenfalls negativ tangieren. Die Einführung einer Betreuungszulage nach Massgabe des Familienzulagengesetzes, welche ohne eine Kostenverschiebung zum Bund auskommt, hätte jedoch verschiedene Vorteile: Die Betreuungszulage entspricht dem Zweck einer Familienzulage, den Eltern die aufgrund eines oder mehrerer Kinder entstehenden Kosten teilweise auszugleichen. Da Familienzulagen an die Erwerbstätigkeit gebunden sind, würde die Gefahr von Mitnahmeeffekten reduziert. Die von der WBK-S vorgeschlagene Ausgestaltung respektiert zudem die Aufgabenteilung zwischen Bund und Kantonen. Aufgrund der Finanzierung über Arbeitgeber- und allenfalls Arbeitnehmerbeiträge würde der Finanzhaushalt des Bundes nicht zusätzlich belastet; die Finanzierung ist verursachergerechter, weil die Arbeitgeber direkt von einer Stärkung des Fachkräfteangebots profitieren. Da das Ziel der Initiative im Grundsatz zu unterstützen ist, setzt sich der Bundesrat in der laufenden parlamentarischen Debatte zur pa. Iv. 21.403 im Sinne der Version der WBK-S für eine weitere Stärkung der institutionellen familienergänzenden Kinderbetreuung ein (vgl. Ziff. 2.1.4). Aus Sicht des Bundesrats ist sowohl das Anliegen der Kostensenkung wie jenes der Stärkung des Angebots im Erlassentwurf der WBK-S enthalten. Im Unterschied zur Kita-Initiative wäre die finanzielle Belastung des Bundeshaushalts mit dieser Variante deutlich niedriger. Aus diesem Grund verzichtet der Bundesrat auf einen indirekten Gegenvorschlag
.
Ein direkter Gegenentwurf kommt nicht in Frage, da die Finanzierung der institutionellen familienergänzenden Kinderbetreuung mit einer neuen Verfassungsbestimmung, welche zu einer nicht tragbaren Kostenverschiebung von den Kantonen zum Bund führen würde, nicht sinnvoll ist.
Somit überwiegen die Argumente, die für eine Ablehnung der Initiative ohne direkten Gegenentwurf und ohne indirekten Gegenvorschlag sprechen. Der Bundesrat beantragt deshalb den eidgenössischen Räten, die Kita-Initiative Volk und Ständen zur Abstimmung zu unterbreiten mit der Empfehlung, die Initiative abzulehnen, und der Initiative keinen direkten Gegenentwurf oder indirekten Gegenvorschlag entgegenzusetzen.
Bundesrecht
Botschaft zur Volksinitiative «Für eine gute und bezahlbare familienergänzende Kinderbetreuung für alle (Kita Initiative)»
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