Gesetzbuch über den Justizvollzug in Baden-Württemberg (Justizvollzugsgesetzbuch - JVollzGB) Buch 2 Untersuchungshaftvollzug (JVollzGB II) Vom 10. November 2009 *
Abschnitt 1 Grundsätze
§ 1 Gestaltung des Vollzugs
(1) Die Untersuchungsgefangenen sind unter Achtung ihrer Grund- und Menschenrechte zu behandeln. Niemand darf unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung unterworfen werden.
(2) Das Leben im Untersuchungshaftvollzug soll den allgemeinen Lebensverhältnissen soweit wie möglich angeglichen werden.
(3) Schädlichen Folgen des Freiheitsentzugs ist entgegenzuwirken. Die Untersuchungsgefangenen sind vor Übergriffen zu schützen. Die Justizvollzugsanstalten bieten den Untersuchungsgefangenen Hilfen zur Verbesserung ihrer sozialen Situation an, soweit dies die besonderen Bedingungen der Untersuchungshaft zulassen.
(4) Bei der Gestaltung des Vollzugs und bei allen Einzelmaßnahmen werden die unterschiedlichen Lebenslagen und Bedürfnisse der Untersuchungsgefangenen, insbesondere im Hinblick auf Geschlecht, Alter, Herkunft, Glauben, Behinderung und sexuelle Identität, berücksichtigt.
§ 2 Stellung der Untersuchungsgefangenen
(1) Untersuchungsgefangene gelten als unschuldig.
(2) Soweit das Gesetz eine besondere Regelung nicht enthält, dürfen den Untersuchungsgefangenen nur Beschränkungen auferlegt werden, die zur Aufrechterhaltung der Sicherheit oder zur Abwendung einer schwerwiegenden Störung der Ordnung der Justizvollzugsanstalt unerlässlich sind.
§ 3 Zuständigkeit
Die nach diesem Gesetz notwendigen Entscheidungen trifft die Justizvollzugsanstalt unter Beachtung der Belange des Strafverfahrens.
Abschnitt 2 Aufnahme, Vollzugsverlauf und Verlegung
§ 4 Aufnahme in die Justizvollzugsanstalt
Bei der Aufnahme werden die Untersuchungsgefangenen über ihre Rechte und Pflichten in einer für sie verständlichen Form unterrichtet. Nach der Aufnahme werden sie alsbald ärztlich untersucht und der Anstaltsleiterin oder dem Anstaltsleiter oder den von diesen beauftragten Bediensteten vorgestellt. Beim Aufnahmeverfahren und bei der ärztlichen Untersuchung dürfen andere Gefangene nicht zugegen sein; Ausnahmen bedürfen der Zustimmung der oder des Untersuchungsgefangenen.
§ 5 Verlegung, Überstellung und Ausantwortung
(1) Untersuchungsgefangene können abweichend vom Vollstreckungsplan in eine andere Justizvollzugsanstalt überstellt oder verlegt werden
1.
aus Gründen der Sicherheit oder Ordnung der Justizvollzugsanstalt, insbesondere, wenn in erhöhtem Maß Fluchtgefahr besteht,
2.
zur besseren Behandlung einer Erkrankung oder zur besseren Versorgung bei Pflege- oder Hilfebedarf, insbesondere in einem Justizvollzugskrankenhaus oder in einer Krankenabteilung einer sonstigen Justizvollzugsanstalt,
3.
aus Gründen der Vollzugsorganisation oder
4.
wenn dies aus sonstigen wichtigen Gründen erforderlich ist.
(2) Die Überstellung oder Verlegung nach Absatz 1 Nummer 1, 3 und 4 bedarf der vorherigen Zustimmung des Gerichts. Vor einer Überstellung oder Verlegung nach Absatz 1 Nummer 2 sind nach Möglichkeit die Staatsanwaltschaft und das Gericht zu unterrichten.
(3) In begründeten Fällen ist das befristete Überlassen von Untersuchungsgefangenen in den Gewahrsam einer Polizei-, Zoll- oder Finanzbehörde (Ausantwortung) zulässig. Die Justizvollzugsanstalt kann zur Durchführung der Ausantwortung Anordnungen treffen. Die Staatsanwaltschaft und das Gericht sind über Ausantwortungsersuchen unverzüglich zu unterrichten.
§ 6 Vorführung und Ausführung
(1) Vorführungen erfolgen auf Grund gerichtlicher oder staatsanwaltschaftlicher Anordnung. Über Vorführungsersuchen in anderen Verfahren als dem der Inhaftierung zu Grunde liegenden, hat die Justizvollzugsanstalt die Staatsanwaltschaft und das Gericht unverzüglich zu unterrichten.
(2) Aus wichtigem Anlass können Untersuchungsgefangene auf ihren Antrag hin auf eigene Kosten ausgeführt werden. Die Justizvollzugsanstalt kann in begründeten Fällen die Kosten der Ausführung in angemessenem Umfang übernehmen.
(3) Untersuchungsgefangene dürfen auch ohne ihren Antrag ausgeführt werden, wenn dies aus besonderen Gründen notwendig ist.
(4) Vor der Ausführung von Untersuchungsgefangenen sind die Staatsanwaltschaft und das Gericht zu unterrichten.
§ 7 Beendigung der Untersuchungshaft
(1) Untersuchungsgefangene sind ausschließlich auf gerichtliche oder staatsanwaltschaftliche Anordnung hin unverzüglich aus der Haft zu entlassen, es sei denn, es ist in anderer Sache eine richterlich angeordnete Freiheitsentziehung zu vollstrecken. Die schriftliche Anordnung ist mit einem Dienstsiegel zu versehen. Im Fall einer fernmündlichen, durch Telefax oder elektronisch übermittelten Anordnung ist deren Echtheit vor der Entlassung zu prüfen.
(2) Aus fürsorgerischen Gründen kann Untersuchungsgefangenen auf Kosten der Justizvollzugsanstalt der freiwillige Verbleib in der Anstalt bis zum Vormittag des zweiten auf den Eingang der Entlassungsanordnung folgenden Werktags gestattet werden. Die oder der Untersuchungsgefangene ist darauf hinzuweisen, dass in diesen Fällen kein Anspruch auf eine Entlassung in der Zeit zwischen 18.00 Uhr und 8.00 Uhr besteht.
(3) Bei Verurteilung zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe, deren Vollstreckung nicht zur Bewährung ausgesetzt wird und die nicht durch Anrechnung der Untersuchungshaft bereits erledigt ist, sind Untersuchungsgefangene mit Rechtskraft des Urteils als Strafgefangene zu behandeln, soweit sich dies schon vor der Aufnahme zum Strafvollzug durchführen lässt. Die Justizvollzugsanstalt ist von dem für die Erteilung der Rechtskraftbescheinigung zuständigen Gericht über den Eintritt der Rechtskraft unverzüglich zu unterrichten. Satz 1 gilt nicht, wenn auf Grund eines anderen Haftbefehls weiterhin Untersuchungshaft zu vollziehen ist.
(4) Absatz 3 gilt bei rechtskräftiger Anordnung einer mit Freiheitsentziehung verbundenen Maßregel der Besserung und Sicherung entsprechend.
Abschnitt 3 Unterbringung und Grundversorgung
§ 8 Unterbringung
(1) Während der Ruhezeit werden Untersuchungsgefangene allein in ihren Hafträumen untergebracht.
(2) Mit ihrer Zustimmung können Untersuchungsgefangene auch während der Ruhezeit gemeinsam untergebracht werden. Auch ohne ihre Zustimmung ist eine gemeinsame Unterbringung ausnahmsweise zulässig, wenn
1.
Untersuchungsgefangene hilfsbedürftig sind oder eine Gefahr für Leben oder Gesundheit Untersuchungsgefangener besteht und die anderen von einer gemeinsamen Unterbringung betroffenen Gefangenen dieser zustimmen oder
2.
dies aus zwingenden Gründen zur Bewältigung besonderer vollzugsorganisatorischer Situationen vorübergehend, längstens bis zu sechs Monate, erforderlich ist.
Unter den Voraussetzungen des Satzes 2 Nummer 1 ist auch eine gemeinsame Unterbringung mit Strafgefangenen zulässig, bis auf andere Weise die Gefahr abgewendet oder der Hilfsbedürftigkeit begegnet werden kann.
(3) Untersuchungsgefangenen soll Gelegenheit gegeben werden, sich außerhalb der Ruhezeit in Gemeinschaft mit anderen Untersuchungsgefangenen aufzuhalten, soweit es die räumlichen, personellen und organisatorischen Verhältnisse der Justizvollzugsanstalt gestatten.
(4) Soweit es die Sicherheit oder Ordnung der Justizvollzugsanstalt erfordert, kann
1.
die gemeinschaftliche Unterbringung während der Ruhezeit ausgeschlossen,
2.
der gemeinschaftliche Aufenthalt außerhalb der Ruhezeit eingeschränkt sowie
3.
die Trennung von einzelnen anderen Gefangenen, insbesondere solchen, die der Täterschaft, Teilnahme, Begünstigung, Strafvereitelung oder Hehlerei bezüglich derselben Tat verdächtig oder bereits abgeurteilt sind oder als Zeuginnen oder Zeugen in Betracht kommen,
angeordnet werden.
§ 9 Ausstattung des Haftraums
Untersuchungsgefangene dürfen ihren Haftraum in angemessenem Umfang mit eigenen Gegenständen ausstatten. Hierdurch dürfen die Übersichtlichkeit des Haftraums sowie die Sicherheit und Ordnung der Justizvollzugsanstalt nicht beeinträchtigt werden. § 40 Absatz 3 gilt entsprechend.
§ 10 Wäsche
(1) Untersuchungsgefangene dürfen eigene Kleidung tragen und eigene Bettwäsche benutzen, sofern sie für Reinigung, Instandhaltung und regelmäßigen Wechsel sorgen. Hierzu dürfen für Untersuchungsgefangene Kleidungsstücke und Bettwäsche in der Justizvollzugsanstalt abgegeben und von dort abgeholt oder von den Gefangenen versandt werden. Die Justizvollzugsanstalt kann anordnen, dass abweichend von Satz 2 Reinigung und Instandhaltung der Wäsche durch ihre Vermittlung auf Kosten der Untersuchungsgefangenen erfolgen.
(2) Untersuchungsgefangene, die keine geeignete eigene Kleidung oder Bettwäsche besitzen, erhalten diese von der Justizvollzugsanstalt.
§ 11 Verpflegung, Einkauf und Fernsehen
(1) Die Verpflegung wird in Übereinstimmung mit den jeweils gültigen Werten für eine ausreichende und ausgewogene Ernährung in Gemeinschaftsverpflegung angeboten. Den Untersuchungsgefangenen soll ermöglicht werden, religiöse Speisevorschriften zu befolgen.
(2) Untersuchungsgefangene können aus einem von der Justizvollzugsanstalt vermittelten Angebot Waren kaufen sowie auf eigene Kosten fernsehen. Hierzu können sie monatlich einen Betrag verwenden, der im Regelfall den 20-fachen Tagessatz der Eckvergütung nicht übersteigen soll. Erhalten Untersuchungsgefangene Bezüge nach diesem Gesetz, soll der Betrag nach Satz 2 den 30-fachen Tagessatz der Eckvergütung nicht übersteigen. Das Warenangebot ist auf die Bedürfnisse der Untersuchungsgefangenen abzustimmen. Gegenstände, die die Sicherheit oder Ordnung der Justizvollzugsanstalt gefährden, sind vom Verkauf ausgeschlossen. Der Einkauf kann in Form eines Listeneinkaufs durchgeführt werden.
(3) In begründeten Ausnahmefällen, insbesondere wenn ein zugelassener Artikel sonst nicht beschafft werden kann, kann die Justizvollzugsanstalt einen Einkauf über andere sichere Bezugsquellen gestatten.
Abschnitt 4 Verkehr mit der Außenwelt
§ 12 Pflege sozialer Beziehungen
(1) Untersuchungsgefangene haben das Recht, mit Personen außerhalb der Justizvollzugsanstalt im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften zu verkehren. Der Kontakt zu Angehörigen und Personen, von denen ein günstiger Einfluss auf die Untersuchungsgefangenen erwartet werden kann, wird gefördert.
(2) Untersuchungsgefangene dürfen regelmäßig Besuch empfangen. Die Gesamtdauer beträgt mindestens eine Stunde im Monat.
(3) Besuche sollen darüber hinaus zugelassen werden, wenn sie persönlichen, rechtlichen oder geschäftlichen Angelegenheiten dienen, die von den Untersuchungsgefangenen weder schriftlich erledigt, noch durch Dritte wahrgenommen oder bis zur Entlassung aufgeschoben werden können.
(4) Aus Gründen der Sicherheit oder Ordnung der Justizvollzugsanstalt kann ein Besuch davon abhängig gemacht werden, dass sich die Besucherin oder der Besucher durchsuchen oder mit technischen Mitteln oder sonstigen Hilfsmitteln auf verbotene Gegenstände absuchen lässt. Aus den gleichen Gründen kann die Anzahl der gleichzeitig zu einem Besuch zugelassenen Personen beschränkt werden.
§ 13 Verbot von Besuchen
Die Anstaltsleiterin oder der Anstaltsleiter kann Besuche untersagen, wenn die Sicherheit oder Ordnung der Justizvollzugsanstalt gefährdet würde.
§ 14 Überwachung von Besuchen
(1) Besuche dürfen aus Gründen der Sicherheit oder Ordnung der Justizvollzugsanstalt überwacht werden, es sei denn, es liegen im Einzelfall Erkenntnisse dafür vor, dass es der Überwachung nicht bedarf. Die Unterhaltung darf überwacht werden, soweit dies im Einzelfall aus diesen Gründen erforderlich ist.
(2) Die optische Überwachung von Besuchen kann durch technische Hilfsmittel erfolgen. Auf eine Überwachung nach Satz 1 sind die Untersuchungsgefangenen und ihre Besucher vorher hinzuweisen. Zur Verhinderung der Übergabe von Gegenständen können besondere Vorkehrungen, insbesondere durch Tischaufsätze oder Trennscheiben, getroffen werden, wenn bei der oder dem Untersuchungsgefangenen verbotene Gegenstände gefunden wurden oder sonst konkrete Anhaltspunkte vorliegen, dass es zu einer verbotenen Übergabe von Gegenständen kommt.
(3) Gegenstände dürfen beim Besuch nur mit Zustimmung der Justizvollzugsanstalt übergeben werden. Untersuchungsgefangenen dürfen Nahrungs- und Genussmittel in geringer Menge übergeben werden. Die Justizvollzugsanstalt kann anordnen, dass die Nahrungs- und Genussmittel durch ihre Vermittlung beschafft werden.
(4) Ein Besuch darf abgebrochen werden, wenn Untersuchungsgefangene oder ihre Besucherinnen oder Besucher gegen Vorschriften dieses Gesetzes oder aufgrund dieses Gesetzes getroffene Anordnungen trotz Ermahnung verstoßen. Einer Ermahnung bedarf es nicht, wenn es unerlässlich ist, den Besuch sofort abzubrechen.
§ 15 Besuche bestimmter Personen
(1) Besuche von Verteidigern sowie von Rechtsanwälten und Notaren in einer die Untersuchungsgefangene oder den Untersuchungsgefangenen betreffenden Rechtssache sind zu gestatten. Die Justizvollzugsanstalt kann die Modalitäten der Besuche entsprechend ihren organisatorischen Möglichkeiten regeln. Der Besuch kann davon abhängig gemacht werden, dass sich die Besucher vorher aus Gründen der Sicherheit oder Ordnung der Justizvollzugsanstalt durchsuchen oder mit technischen Mitteln oder sonstigen Hilfsmitteln auf verbotene Gegenstände absuchen lassen. Eine Kenntnisnahme von dem gedanklichen Inhalt der von Verteidigern mitgeführten Schriftstücke und sonstigen Unterlagen ist unzulässig.
(2) Besuche von Verteidigern werden nicht überwacht. Zur Übergabe von Schriftstücken und sonstigen Unterlagen bedürfen Verteidiger, Rechtsanwälte oder Notare keiner Erlaubnis, sofern diese unmittelbar der Vorbereitung oder Durchführung der Verteidigung oder der Erledigung einer die Untersuchungsgefangene oder den Untersuchungsgefangenen betreffenden Rechtssache dienen. Beim Besuch von Rechtsanwälten und Notaren kann die Übergabe von Schriftstücken oder sonstigen Unterlagen aus Gründen der Sicherheit oder Ordnung der Justizvollzugsanstalt von der Erlaubnis abhängig gemacht werden.
(3) § 148
Abs. 2 und § 148 a
StPO bleiben unberührt.
§ 16 Recht auf Schriftwechsel
(1) Untersuchungsgefangene haben das Recht, unbeschränkt Schreiben abzusenden und zu empfangen.
(2) Die Anstaltsleiterin oder der Anstaltsleiter kann den Schriftwechsel mit bestimmten Personen untersagen, wenn die Sicherheit oder Ordnung der Justizvollzugsanstalt gefährdet würde.
(3) Die Kosten des Schriftwechsels tragen die Untersuchungsgefangenen. Sind sie dazu nicht in der Lage, kann die Justizvollzugsanstalt die Kosten in begründeten Fällen in angemessenem Umfang übernehmen.
§ 17 Überwachung des Schriftwechsels
(1) Der Schriftwechsel der Untersuchungsgefangenen darf überwacht werden, soweit dies aus Gründen der Sicherheit oder Ordnung der Justizvollzugsanstalt erforderlich ist.
(2) Der Schriftwechsel der Untersuchungsgefangenen mit ihren Verteidigern wird nicht überwacht. Die Schreiben dürfen, ohne sie zu öffnen, auf verbotene Gegenstände untersucht werden. § 148
Abs. 2 und § 148 a
StPO bleiben unberührt.
(3) Absatz 2 gilt entsprechend für Schreiben von Untersuchungsgefangenen an
1.
die Volksvertretungen des Bundes und der Länder sowie an deren Mitglieder,
2.
das Europäische Parlament und dessen Mitglieder,
3.
den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte,
4.
den Europäischen Ausschuss zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe,
5.
die Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder sowie die Aufsichtsbehörden nach § 40
Bundesdatenschutzgesetz,
6.
den Europäischen Datenschutzbeauftragten,
7.
den Bürgerbeauftragten des Landes,
8.
den Europäischen Bürgerbeauftragten,
9.
den Menschenrechtsausschuss der Vereinten Nationen sowie
10.
den Ausschuss der Vereinten Nationen gegen Folter, den zugehörigen Unterausschuss zur Verhütung von Folter und die entsprechenden nationalen Präventionsmechanismen,
wenn die Schreiben an die Anschriften dieser Stellen gerichtet sind und den Absender zutreffend angeben. Schreiben der in Satz 1 genannten Stellen, die an Untersuchungsgefangene gerichtet sind, dürfen nicht überwacht werden, wenn die Identität des Absenders zweifelsfrei feststeht.
§ 18 Weiterleitung und Aufbewahrung von Schreiben
(1) Untersuchungsgefangene haben Absendung und Empfang ihrer Schreiben durch die Justizvollzugsanstalt vermitteln zu lassen, soweit nichts anderes gestattet ist.
(2) Eingehende und ausgehende Schreiben sind unverzüglich weiterzuleiten.
(3) Untersuchungsgefangene haben eingehende Schreiben unverschlossen zu verwahren, sofern nichts anderes gestattet wird. Die Schreiben können auch verschlossen zur Habe gegeben werden.
§ 19 Anhalten von Schreiben
(1) Schreiben können angehalten werden, wenn
1.
die Sicherheit oder Ordnung einer Justizvollzugsanstalt gefährdet würde,
2.
die Weitergabe in Kenntnis ihres Inhalts einen Straf- oder Bußgeldtatbestand verwirklichen würde,
3.
sie grob unrichtige oder erheblich entstellende Darstellungen von Anstaltsverhältnissen enthalten,
4.
sie grobe Beleidigungen enthalten oder
5.
sie in Geheimschrift, unlesbar, unverständlich oder ohne zwingenden Grund in einer fremden Sprache abgefasst sind; ein zwingender Grund zur Abfassung eines Schreibens in fremder Sprache liegt in der Regel nicht vor bei einem Schriftwechsel zwischen deutschen Gefangenen und Dritten, die die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen oder ihren Lebensmittelpunkt im Geltungsbereich des Grundgesetzes haben.
(2) Eingehende Schreiben können angehalten und durch Fotokopien ersetzt werden, wenn der Verdacht besteht, dass von ihrer Beschaffenheit eine Gesundheitsgefahr ausgeht.
(3) Ausgehenden Schreiben, die unrichtige Darstellungen enthalten, kann ein Begleitschreiben beigefügt werden, wenn die oder der Untersuchungsgefangene auf der Absendung besteht.
(4) Ist ein Schreiben angehalten worden, wird dies der oder dem Untersuchungsgefangenen mitgeteilt. Hiervon kann vorübergehend abgesehen werden, wenn dies die Sicherheit oder Ordnung der Justizvollzugsanstalt erfordert. Angehaltene Schreiben werden an die Absenderin oder den Absender zurückgegeben oder, sofern dies unmöglich oder aus besonderen Gründen untunlich ist, behördlich verwahrt.
(5) Schreiben, deren Überwachung ausgeschlossen ist, dürfen nicht angehalten werden.
§ 20 Telefongespräche
(1) Untersuchungsgefangenen kann gestattet werden, zu telefonieren.
(2) Im Übrigen gelten für Telefonate die für den Besuch geltenden Vorschriften mit Ausnahme von § 12 Abs. 2 entsprechend. Die Überwachung der Unterhaltung ist den Gesprächspartnern der Untersuchungsgefangenen unmittelbar nach Herstellung der Verbindung von der Justizvollzugsanstalt oder den Untersuchungsgefangenen mitzuteilen. Die Untersuchungsgefangenen sind rechtzeitig vor Beginn des Telefongesprächs über die beabsichtigte Überwachung und die Mitteilungspflicht zu unterrichten.
(3) Die Kosten der Telefongespräche tragen die Untersuchungsgefangenen. Sind sie dazu nicht in der Lage, kann die Justizvollzugsanstalt die Kosten in begründeten Fällen in angemessenem Umfang übernehmen.
§ 20a Andere Formen der Telekommunikation
Die Zulassung anderer Formen der Telekommunikation im Sinne des Telekommunikationsgesetzes in der Anstalt bedarf der Zustimmung der Aufsichtsbehörde. Nach Zulassung kann die Anstaltsleiterin oder der Anstaltsleiter den Untersuchungsgefangenen gestatten, diese Formen auf ihre Kosten zu nutzen. Eine Gestattung ist ausgeschlossen, wenn hierdurch die Sicherheit ,oder Ordnung der Anstalt gefährdet wäre. Im Übrigen finden die Bestimmungen dieses Abschnitts entsprechende Anwendung, soweit die andere Form der Telekommunikation dem Wesen der dort geregelten Kommunikationsform entspricht.
§ 21 Pakete
(1) Der Empfang von Paketen bedarf der vorherigen Erlaubnis der Justizvollzugsanstalt. Für den Ausschluss von Gegenständen gilt § 11 Abs. 2 Satz 5 entsprechend. Pakete mit Nahrungs- und Genussmitteln sind ausgeschlossen.
(2) Pakete sind in Gegenwart der oder des Untersuchungsgefangenen zu öffnen. Ausgeschlossene Gegenstände können zur Habe der oder des Untersuchungsgefangenen genommen oder an die Absenderin oder den Absender zurückgesandt werden. Nicht ausgehändigte Gegenstände, durch die bei der Aufbewahrung Personen verletzt oder Sachschäden verursacht werden können oder die verderblich sind, dürfen vernichtet werden. Die hiernach getroffenen Maßnahmen werden der oder dem Untersuchungsgefangenen eröffnet.
(3) Untersuchungsgefangenen kann gestattet werden, Pakete zu versenden. Der Inhalt kann aus Gründen der Sicherheit oder Ordnung der Justizvollzugsanstalt überprüft werden.
(4) Die Kosten des Paketverkehrs tragen die Untersuchungsgefangenen. Die Justizvollzugsanstalt kann die Kosten in begründeten Fällen in angemessenem Umfang übernehmen.
Abschnitt 5 Religionsausübung
§ 22 Seelsorge
(1) Untersuchungsgefangenen darf religiöse Betreuung durch eine Seelsorgerin oder einen Seelsorger ihrer Religionsgemeinschaft nicht versagt werden. Ihnen ist auf Wunsch zu helfen, mit einer Seelsorgerin oder einem Seelsorger in Verbindung zu treten. Das Beicht- und Seelsorgegeheimnis ist unverletzlich.
(2) Untersuchungsgefangene dürfen grundlegende religiöse Schriften besitzen. Diese dürfen ihnen nur bei grobem Missbrauch entzogen werden.
(3) Untersuchungsgefangenen sind Gegenstände des religiösen Gebrauchs in angemessenem Umfang zu belassen.
§ 23 Religiöse Veranstaltungen
(1) Untersuchungsgefangene haben das Recht, am Gottesdienst und an anderen religiösen Veranstaltungen ihres Bekenntnisses teilzunehmen.
(2) Untersuchungsgefangene werden zu dem Gottesdienst oder zu religiösen Veranstaltungen einer anderen Religionsgemeinschaft zugelassen, wenn deren Seelsorgerin oder Seelsorger zustimmt.
(3) Untersuchungsgefangene können von der Teilnahme am Gottesdienst oder anderen religiösen Veranstaltungen ausgeschlossen werden, wenn dies aus überwiegenden Gründen der Sicherheit oder Ordnung der Justizvollzugsanstalt geboten ist; die Seelsorgerin oder der Seelsorger soll vorher gehört werden.
§ 24 Weltanschauungsgemeinschaften
Für Angehörige weltanschaulicher Bekenntnisse gelten die §§ 22 und 23 entsprechend.
Abschnitt 6 Gesundheitsfürsorge
§ 25 Gesundheitsschutz und Aufenthalt im Freien
(1) Die Justizvollzugsanstalt kann Anordnungen zum Gesundheitsschutz und zur Hygiene treffen.
(2) Untersuchungsgefangenen wird täglich mindestens eine Stunde Aufenthalt im Freien ermöglicht, wenn die Witterung dem nicht zwingend entgegensteht.
§ 26 Anspruch auf medizinische Leistung
(1) Untersuchungsgefangene haben einen Anspruch auf notwendige, ausreichende und zweckmäßige medizinische Versorgung unter Beachtung des Grundsatzes der Wirtschaftlichkeit. Der Anspruch umfasst Untersuchungen zur Früherkennung von Krankheiten und Vorsorgeleistungen. Die Beurteilung der Notwendigkeit orientiert sich an der Versorgung der gesetzlich Versicherten. Leistungen zur medizinischen Rehabilitation und ergänzende Leistungen werden erbracht, soweit die Belange des Vollzugs dem nicht entgegenstehen.
(2) Der Anspruch nach Absatz 1 umfasst nicht die Versorgung mit Hilfsmitteln (§ 33
des Fünften Buchs Sozialgesetzbuch).
(3) An den Kosten für medizinische Leistungen können die Untersuchungsgefangenen in angemessenem Umfang beteiligt werden, höchstens jedoch bis zum Umfang der Beteiligung gesetzlich Versicherter. Kosten für Zahnersatz einschließlich Zahnkronen und Suprakonstruktionen werden nicht übernommen.
(4) Über Ausnahmen von Absatz 2 und Absatz 3 Satz 2 in besonderen Fällen entscheidet die Anstaltsleiterin oder der Anstaltsleiter mit Zustimmung der Aufsichtsbehörde und nach Anhörung der Ärztin oder des Arztes.
§ 27 Krankenhausbehandlung außerhalb vollzuglicher Einrichtungen
(1) Soweit eine Verlegung oder Überstellung nach § 5 Absatz 1 Nummer 2 nicht ausreicht, können Untersuchungsgefangene für die notwendige Dauer einer Behandlung oder Versorgung in ein Krankenhaus außerhalb des Justizvollzugs gebracht werden. Ambulante Behandlungen und Untersuchungen in einem Krankenhaus außerhalb des Justizvollzugs, die zur Prüfung der besseren Behandlung einer Erkrankung oder zur besseren Versorgung bei Pflege- oder Hilfebedarf in einem Justizvollzugskrankenhaus erforderlich sind, bleiben unberührt. Eine möglichst rasche Rückverlegung in ein Justizvollzugskrankenhaus oder eine sonstige Justizvollzugsanstalt ist anzustreben.
(2) Vor der Verbringung sind nach Möglichkeit die Staatsanwaltschaft und das Gericht zu unterrichten.
§ 28 Leistungen bei Schwangerschaft und Mutterschaft
(1) Auf den gesundheitlichen Zustand einer schwangeren Untersuchungsgefangenen oder einer Untersuchungsgefangenen, die unlängst entbunden hat, ist Rücksicht zu nehmen. Die Vorschriften des Mutterschutzgesetzes über die Gestaltung des Arbeitsplatzes und über das Bestehen von Beschäftigungsverboten gelten entsprechend.
(2) Die Untersuchungsgefangene hat während der Schwangerschaft sowie bei und nach der Entbindung Anspruch auf ärztliche Betreuung einschließlich der Untersuchungen zur Feststellung der Schwangerschaft und zur Schwangerenvorsorge sowie auf Hebammenhilfe. Die ärztliche Betreuung umfasst die Beratung der Schwangeren zur Bedeutung der Mundgesundheit für Mutter und Kind einschließlich des Zusammenhangs zwischen Ernährung und Krankheitsrisiko sowie die Einschätzung oder Bestimmung des Übertragungsrisikos von Karies.
(3) Bei Schwangerschaftsbeschwerden und im Zusammenhang mit der Entbindung werden Arznei-, Verbands- und Heilmittel geleistet.
§ 29 Entbindung und Geburtsanzeige
(1) Eine schwangere Untersuchungsgefangene ist zur Entbindung in ein Krankenhaus außerhalb des Vollzugs zu bringen. Ist dies aus besonderen Gründen nicht angezeigt, ist die Entbindung in einer Justizvollzugsanstalt mit Entbindungsabteilung vorzunehmen. Bei der Entbindung wird Hilfe durch eine Hebamme und falls erforderlich durch eine Ärztin oder einen Arzt gewährt.
(2) In der Anzeige der Geburt an das Standesamt dürfen die Justizvollzugsanstalt als Geburtsstätte des Kindes, das Verhältnis der anzeigenden Person zur Justizvollzugsanstalt und die Gefangenschaft der Mutter nicht vermerkt sein.
§ 30 Wahlärztliche Behandlung
(1) Die Justizvollzugsanstalt soll nach Anhörung der Anstaltsärztin oder des Anstaltsarztes Untersuchungsgefangenen auf ihren Antrag hin gestatten, sich nach eigener Wahl und auf eigene Kosten ärztlich behandeln zu lassen. Die Behandlung soll in der Justizvollzugsanstalt stattfinden.
(2) Die Erlaubnis kann versagt werden, wenn Untersuchungsgefangene die gewählte Ärztin oder den gewählten Arzt sowie den ärztlichen Dienst der Justizvollzugsanstalt nicht wechselseitig von der Schweigepflicht entbinden oder wenn es die Sicherheit oder Ordnung der Justizvollzugsanstalt erfordert.
§ 31 Benachrichtigung bei Erkrankung oder Todesfall
(1) Erkranken Untersuchungsgefangene schwer, ist eine Angehörige oder ein Angehöriger, eine Vertrauensperson oder eine gesetzliche Vertreterin oder ein gesetzlicher Vertreter unverzüglich zu benachrichtigen. Hiervon kann auf Wunsch der oder des Untersuchungsgefangenen abgesehen werden. Im Fall des Todes von Untersuchungsgefangenen, ist eine der in Satz 1 genannten Personen unverzüglich zu benachrichtigen.
(2) Dem Wunsch von Untersuchungsgefangenen, auch andere Personen zu benachrichtigen, soll nach Möglichkeit entsprochen werden.
Abschnitt 7 Soziale Hilfe
§ 32 Soziale Hilfe
(1) Untersuchungsgefangenen wird die soziale Hilfe der Justizvollzugsanstalt angeboten, um ihre persönlichen Schwierigkeiten zu lösen und sie in die Lage zu versetzen, ihre Angelegenheiten selbst zu regeln. Bei der Aufnahme wird ihnen geholfen, die notwendigen Maßnahmen für hilfsbedürftige Angehörige zu veranlassen und ihre Habe außerhalb der Justizvollzugsanstalt sicherzustellen. Ihnen soll während des Vollzugs geholfen werden, soziale Beziehungen aufrechtzuerhalten, Arbeitsplatz und Wohnung zu erhalten und für Unterhaltsberechtigte zu sorgen. Angebote zur Vermeidung oder Bewältigung persönlicher Krisen sind vorzusehen.
(2) Die Beratung soll die Benennung von Stellen und Einrichtungen außerhalb der Justizvollzugsanstalt umfassen, die sich um eine Vermeidung der weiteren Untersuchungshaft bemühen oder Hilfen in besonderen sozialen oder gesundheitlichen Problemlagen anbieten. Auf Wunsch sind Untersuchungsgefangenen Einrichtungen und Organisationen zu benennen, die sie in ihrem Bemühen unterstützen können, einen Ausgleich mit dem Tatopfer zu erreichen.
§ 33 Entlassungsbeihilfe
(1) Untersuchungsgefangene erhalten, soweit ihre eigenen Mittel nicht ausreichen, bei ihrer Entlassung aus der Haft von der Justizvollzugsanstalt eine Beihilfe zu den Reisekosten sowie erforderlichenfalls ausreichende Kleidung. Bedürftige Untersuchungsgefangene erhalten darüber hinaus eine Beihilfe, die sie in die Lage versetzt, ohne Inanspruchnahme fremder Hilfe ihren notwendigen Lebensunterhalt zu bestreiten, bis sie ihn voraussichtlich anderweitig decken können (Überbrückungsbeihilfe). Die Justizvollzugsanstalt kann die Überbrückungsbeihilfe ganz oder teilweise der Bewährungshilfe oder einer mit der Entlassenenbetreuung befassten Stelle überweisen, die darüber entscheidet, wie das Geld nach der Entlassung an die Untersuchungsgefangenen ausbezahlt wird. Die Bewährungshilfe und die mit der Entlassenenbetreuung befasste Stelle sind verpflichtet, die Überbrückungsbeihilfe von ihrem Vermögen gesondert zu halten.
(2) Der Anspruch auf Beihilfe zu den Reisekosten und die ausgezahlte Reisebeihilfe sind unpfändbar. Für den Anspruch auf Überbrückungsbeihilfe und für Bargeld nach Auszahlung einer Überbrückungsbeihilfe an Untersuchungsgefangene gilt § 52 Abs. 4 Satz 1 und 3, Abs. 5 des Dritten Buchs entsprechend.
Abschnitt 8 Beschäftigung und Vergütung
§ 34 Arbeit, Bildungsmaßnahmen und Selbstbeschäftigung
(1) Untersuchungsgefangene sind nicht zur Arbeit verpflichtet.
(2) Die Justizvollzugsanstalt soll Untersuchungsgefangenen nach Möglichkeit wirtschaftlich ergiebige Arbeit anbieten und dabei ihre Fähigkeiten und Neigungen nach Möglichkeit berücksichtigen. Untersuchungsgefangene können auch zu Hilfstätigkeiten in der Justizvollzugsanstalt herangezogen werden.
(3) Gehen Untersuchungsgefangene einer Arbeit oder Hilfstätigkeit nach, dürfen sie diese nicht zur Unzeit niederlegen.
(4) Geeigneten Untersuchungsgefangenen soll nach Möglichkeit Gelegenheit zum Erwerb oder zur Verbesserung schulischer oder beruflicher Kenntnisse gegeben werden, soweit es die besonderen Bedingungen der Untersuchungshaft zulassen. Aus dem Zeugnis über eine Bildungsmaßnahme darf die Inhaftierung einer Teilnehmerin oder eines Teilnehmers nicht erkennbar sein.
(5) Untersuchungsgefangenen kann gestattet werden, sich selbst zu beschäftigen.
§ 35 Arbeitsentgelt
(1) Üben Untersuchungsgefangene eine angebotene Arbeit oder Hilfstätigkeit aus, so erhalten sie ein Arbeitsentgelt. Der Bemessung des Arbeitsentgelts sind fünf Prozent der Bezugsgröße nach § 18
des Vierten Buchs Sozialgesetzbuch zu Grunde zu legen (Eckvergütung). Ein Tagessatz ist der zweihundertfünfzigste Teil der Eckvergütung; das Arbeitsentgelt kann nach einem Stundensatz bemessen werden.
(2) Das Arbeitsentgelt kann je nach Leistung der Untersuchungsgefangenen und der Art der Arbeit gestuft werden. 75 Prozent der Eckvergütung dürfen nur dann unterschritten werden, wenn die Arbeitsleistung der oder des Untersuchungsgefangenen den Mindestanforderungen nicht genügt.
(3) Die Höhe des Arbeitsentgelts ist den Untersuchungsgefangenen schriftlich bekannt zu geben.
(4) Das Justizministerium wird ermächtigt, zur Durchführung von Absatz 1 und 2 sowie § 75 Abs. 4, im Einvernehmen mit dem Finanzministerium, die Vergütungsstufen und die Höhe der Vergütung in den einzelnen Vergütungsstufen einschließlich der Gewährung von Zulagen durch Rechtsverordnung zu regeln.
Abschnitt 9 Gelder, Haftkosten- und Arbeitslosenversicherungsbeiträge
§ 36 Haftkostenbeitrag
Nach rechtskräftiger Verurteilung von Untersuchungsgefangenen sind die nach den gleichen Grundsätzen wie die Haftkostenbeiträge von Strafgefangenen zu ermittelnden Kosten der Untersuchungshaft umgehend an die Vollstreckungsbehörde mitzuteilen. Die Kostenermittlung unterbleibt, wenn auf eine Rechtsfolge nach dem Jugendgerichtsgesetz erkannt ist. Sind zu Jugendstrafe verurteilte Untersuchungsgefangene vom Jugendstrafvollzug ausgenommen, findet Satz 1 Anwendung.
§ 36a Taschengeld
Untersuchungsgefangenen, die ohne Verschulden kein Arbeitsentgelt und keine Ausbildungsbeihilfe erhalten, wird im ersten Monat des Vollzugs ein angemessenes Taschengeld zur Verwendung für den Einkauf gewährt, falls sie bedürftig sind. Gehen den Untersuchungsgefangenen im Lauf des ersten Monats des Vollzugs Gelder zu, wird hiervon zum Ausgleich ein Betrag bis zur Höhe des gewährten Taschengeldes einbehalten.
§ 37 Sondergeld
(1) Für Untersuchungsgefangene kann monatlich ein Betrag in angemessener Höhe einbezahlt werden, der als Sondergeld gutzuschreiben ist und für den Einkauf oder anderweitig verwendet werden kann.
(2) Über Absatz 1 hinaus kann Sondergeld in angemessener Höhe für folgende Zwecke eingezahlt werden:
1.
Maßnahmen der Eingliederung, insbesondere Kosten der Gesundheitsfürsorge und der Aus- und Fortbildung sowie
2.
Maßnahmen zur Pflege sozialer Beziehungen, insbesondere Telefonkosten.
(3) Soweit das Guthaben des Sondergelds nach Absatz 1 die Summe von drei Monatseinzahlungen übersteigt, ist es dem Eigengeld zuzuschreiben. Sondergeld im Sinne von Absatz 2 ist dem Eigengeld zuzuschreiben, wenn es zum bezeichneten Zweck nicht eingesetzt werden kann und eine Rückerstattung an die Einzahler nicht möglich ist.
(4) Der Anspruch auf Auszahlung des Sondergelds nach Absatz 1 und 2 ist unpfändbar.
§ 38 Einbehaltung von Beitragsteilen
Soweit die Justizvollzugsanstalt Beiträge zur Bundesagentur für Arbeit zu entrichten hat, kann sie von dem Arbeitsentgelt einen Betrag einbehalten, der dem Anteil der oder des Untersuchungsgefangenen am Beitrag entsprechen würde, wenn sie oder er diese Bezüge als Arbeitnehmer erhielte.
Abschnitt 10 Freizeit
§ 39 Allgemeines
Untersuchungsgefangenen ist Gelegenheit zu geben, sich in ihrer Freizeit zu beschäftigen. Insbesondere sollen Sportmöglichkeiten, Freizeitgruppen, Gemeinschaftsveranstaltungen, Veranstaltungen zur Weiterbildung und die Benutzung einer Anstaltsbücherei angeboten werden.
§ 40 Besitz von Gegenständen zur Freizeitbeschäftigung
(1) Untersuchungsgefangene dürfen in angemessenem Umfang Gegenstände zur Freizeitbeschäftigung besitzen. Die Angemessenheit des Umfangs kann auch an der in der Justizvollzugsanstalt verfügbaren Kapazität für Haftraumkontrollen und am Wert eines Gegenstands ausgerichtet werden.
(2) Absatz 1 Satz 1 gilt nicht, wenn der Besitz, die Überlassung oder die Benutzung eines Gegenstands
1.
mit Strafe oder Geldbuße bedroht wäre,
2.
die Sicherheit oder Ordnung der Justizvollzugsanstalt gefährden würde oder
3.
die Überprüfung des Gegenstands auf eine mögliche missbräuchliche Verwendung mit vertretbarem Aufwand von der Justizvollzugsanstalt nicht leistbar wäre.
(3) Die Zulassung von bestimmten Gerätetypen, insbesondere der elektronischen Unterhaltungsmedien, durch die Justizvollzugsanstalt kann der Zustimmung der Aufsichtsbehörde vorbehalten sein. Die Aufsichtsbehörde kann allgemeine Richtlinien für die Gerätebeschaffenheit erlassen. Eine ohne Zustimmung nach Satz 1 erfolgte Zulassung kann zurückgenommen werden.
(4) Die Erlaubnis kann unter den Voraussetzungen des Absatzes 2 widerrufen werden.
§ 41 Hörfunk und Fernsehen
(1) Der Besitz von Hörfunk- und Fernsehgeräten ist nach Maßgabe von § 40 zulässig.
(2) Die Justizvollzugsanstalt kann den Betrieb von Empfangsanlagen und die Ausgabe von Hörfunk- und Fernsehgeräten einem Dritten übertragen. Sofern sie hiervon Gebrauch macht, können Untersuchungsgefangene nicht den Besitz eigener Geräte verlangen.
(3) Die Justizvollzugsanstalt entscheidet über die Einspeisung einzelner Rundfunk- und Fernsehprogramme in die Empfangsanlage. Vor der Entscheidung soll die Gefangenenmitverantwortung gehört werden.
(4) Der Empfang von Bezahlfernsehen und der Einsatz von zusätzlichen Empfangseinrichtungen im Haftraum sind nicht statthaft.
§ 42 Zeitungen und Zeitschriften
Untersuchungsgefangene dürfen Zeitungen und Zeitschriften in angemessenem Umfang durch Vermittlung der Justizvollzugsanstalt beziehen. § 40 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 und 4 gilt entsprechend.
Abschnitt 11 Sicherheit und Ordnung
§ 43 Grundsatz
(1) Das Verantwortungsbewusstsein der Untersuchungsgefangenen für ein geordnetes Zusammenleben in der Justizvollzugsanstalt ist zu wecken und zu fördern.
(2) Die Pflichten und Beschränkungen, die Untersuchungsgefangenen zur Aufrechterhaltung der Sicherheit oder Ordnung der Justizvollzugsanstalt auferlegt werden, sind so zu wählen, dass sie in einem angemessenen Verhältnis zu ihrem Zweck stehen und die Untersuchungsgefangenen nicht mehr und nicht länger als notwendig beeinträchtigen.
§ 44 Verhaltensvorschriften
(1) Die Untersuchungsgefangenen haben sich nach der Tageseinteilung der Justizvollzugsanstalt (Arbeitszeit, Freizeit, Ruhezeit) zu richten. Sie dürfen durch ihr Verhalten gegenüber Vollzugsbediensteten, Mitgefangenen und anderen Personen das geordnete Zusammenleben nicht stören.
(2) Die Untersuchungsgefangenen haben die Anordnungen der Vollzugsbediensteten zu befolgen, auch wenn sie sich durch sie beschwert fühlen. Einen ihnen zugewiesenen Bereich dürfen sie nicht ohne Erlaubnis verlassen.
(3) Die Untersuchungsgefangenen haben ihren Haftraum und die ihnen von der Justizvollzugsanstalt überlassenen Sachen in Ordnung zu halten und schonend zu behandeln.
(4) Die Untersuchungsgefangenen haben Umstände, die eine Gefahr für das Leben oder eine erhebliche Gefahr für die Gesundheit einer Person bedeuten, unverzüglich zu melden.
§ 45 Persönlicher Gewahrsam und Eigengeld
(1) Die Untersuchungsgefangenen dürfen nur Sachen in Gewahrsam haben oder annehmen, die ihnen von der Justizvollzugsanstalt, in der sie untergebracht sind, oder mit deren Zustimmung überlassen werden. Ohne Zustimmung dürfen sie Sachen weder abgeben noch annehmen, außer solche von geringem Wert. Die Justizvollzugsanstalt kann Abgabe, Annahme und den Gewahrsam auch dieser Sachen von ihrer Zustimmung abhängig machen.
(2) Eingebrachte Sachen, die die Untersuchungsgefangenen nicht in Gewahrsam haben dürfen, sind für sie aufzubewahren, sofern dies nach Art und Umfang möglich ist. Eingebrachtes Geld wird als Eigengeld gutgeschrieben. Untersuchungsgefangenen wird Gelegenheit gegeben, ihre Sachen, die sie während des Vollzugs und für die Entlassung nicht benötigen, abzusenden oder über das Eigengeld zu verfügen.
(3) Weigern sich Untersuchungsgefangene, eingebrachte Gegenstände, deren Aufbewahrung nach Art oder Umfang nicht möglich ist, aus der Justizvollzugsanstalt zu verbringen, so ist die Justizvollzugsanstalt berechtigt, diese auf Kosten der oder des Untersuchungsgefangenen entfernen zu lassen.
(4) Aufzeichnungen und andere Gegenstände, die Kenntnisse über Sicherungsvorkehrungen einer Justizvollzugsanstalt vermitteln, dürfen vernichtet oder unbrauchbar gemacht werden.
§ 46 Durchsuchung und Kontrollen auf Suchtmittelmissbrauch
(1) Untersuchungsgefangene, ihre Sachen und die Hafträume dürfen durchsucht werden. Die Durchsuchung männlicher Untersuchungsgefangener darf nur von Männern, die Durchsuchung weiblicher Untersuchungsgefangener nur von Frauen vorgenommen werden; dies gilt nicht für das Absuchen der Untersuchungsgefangenen mit technischen Mitteln oder mit sonstigen Hilfsmitteln. Das Schamgefühl ist zu schonen.
(2) Nur auf Anordnung der Anstaltsleiterin oder des Anstaltsleiters oder bei Gefahr im Verzug ist es im Einzelfall zulässig, eine mit einer Entkleidung verbundene körperliche Durchsuchung vorzunehmen. Sie darf bei männlichen Untersuchungsgefangenen nur in Gegenwart von Männern, bei weiblichen Untersuchungsgefangenen nur in Gegenwart von Frauen erfolgen. Sie ist in einem geschlossenen Raum durchzuführen. Andere Gefangene dürfen nicht anwesend sein.
(3) Die Anstaltsleiterin oder der Anstaltsleiter kann allgemein anordnen, dass Untersuchungsgefangene bei der Aufnahme, nach Besuchen und nach jeder Abwesenheit von der Justizvollzugsanstalt nach Absatz 2 durchsucht werden können.
(4) Untersuchungsgefangene können Suchtmittelkontrollen unterzogen werden, wenn der Verdacht besteht, dass sie Suchtmittel besitzen oder konsumieren. Eine Suchtmittelkontrolle kann auch allgemein angeordnet werden, wenn dies zur Aufrechterhaltung der Sicherheit oder Ordnung der Anstalt oder zur Gesundheitsvorsorge geboten ist. Die ergriffenen Maßnahmen dürfen nicht mit einem körperlichen Eingriff verbunden sein. Bei Untersuchungsgefangenen, die die Mitwirkung an der Durchführung der Kontrolle verweigern, ist in der Regel davon auszugehen, dass Suchtmittelfreiheit nicht gegeben ist.
§ 47 Besondere Sicherungsmaßnahmen
(1) Gegen Untersuchungsgefangene können besondere Sicherungsmaßnahmen angeordnet werden, wenn nach ihrem Verhalten oder auf Grund ihres seelischen Zustands in erhöhtem Maß die Gefahr der Entweichung, von Gewalttätigkeiten gegen Personen oder Sachen, der Selbsttötung oder der Selbstverletzung besteht.
(2) Besondere Sicherungsmaßnahmen sind:
1.
der Entzug oder die Vorenthaltung von Gegenständen,
2.
die Beobachtung, auch mit technischen Hilfsmitteln,
3.
die Absonderung von anderen Gefangenen,
4.
der Entzug oder die Beschränkung des Aufenthalts im Freien,
5.
die Unterbringung in einem besonders gesicherten Haftraum ohne gefährdende Gegenstände und
6.
die Fesselung und die Fixierung.
(3) Maßnahmen nach Absatz 2 Nr. 1, 3 bis 5 sind auch zulässig, wenn die Gefahr einer Befreiung oder einer erheblichen Störung der Anstaltsordnung anders nicht vermieden oder behoben werden kann.
(4) Bei einer Ausführung, Vorführung oder beim Transport ist die Fesselung auch dann zulässig, wenn aus anderen Gründen als denen des Absatzes 1 die Gefahr der Entweichung besteht.
(5) Besondere Sicherungsmaßnahmen dürfen nur soweit aufrechterhalten werden, wie es ihr Zweck erfordert.
§ 48 Einzelhaft
(1) Die unausgesetzte Absonderung Untersuchungsgefangener (Einzelhaft) ist nur zulässig, wenn dies aus Gründen, die in der Person der oder des Untersuchungsgefangenen liegen, unerlässlich ist.
(2) Einzelhaft von mehr als drei Monaten Gesamtdauer in einem Jahr bedarf der Zustimmung der Aufsichtsbehörde. Diese Frist wird nicht dadurch unterbrochen, dass Untersuchungsgefangene am Gottesdienst oder am gemeinschaftlichen Aufenthalt im Freien teilnehmen.
§ 49 Fesselung und Fixierung
(1) In der Regel dürfen Fesseln nur an den Händen, an den Füßen oder an den Händen und den Füßen angelegt werden. Im Interesse der oder des Untersuchungsgefangenen kann eine andere Art der Fesselung angeordnet werden. Die Fesselung wird zeitweise gelockert oder aufgehoben, soweit dies notwendig ist.
(2) Eine Fesselung, durch die die Bewegungsfreiheit der oder des Untersuchungsgefangenen weitgehend oder vollständig aufgehoben wird (Fixierung), ist nur zulässig, wenn und solange eine gegenwärtige erhebliche Gefahr von Gewalttätigkeiten gegen Personen oder Sachen, der Selbsttötung oder der Selbstverletzung besteht und die Fixierung zur Abwehr dieser Gefahr unerlässlich ist. Bei Fixierungen ist insbesondere eine ständige und unmittelbare Überwachung sicherzustellen. Anordnung, Gründe, Dauer und Art der Überwachung sowie Beendigung der Fixierung sind zu dokumentieren. Nach Beendigung der Fixierung ist, sobald es der Zustand der oder des Untersuchungsgefangenen zulässt, eine zu dokumentierende Nachbesprechung durchzuführen, in der insbesondere die Gründe für die Fixierung zu nennen sind. Nach Beendigung der Fixierung sind die Untersuchungsgefangenen darüber zu belehren, dass sie die Zulässigkeit der durchgeführten Fixierung gerichtlich überprüfen lassen können. Für die verfahrensrechtliche Ausgestaltung der Fixierung insbesondere der richterlichen Entscheidung gilt § 61 Absatz 3 entsprechend.
§ 50 Anordnung besonderer Sicherungsmaßnahmen
(1) Besondere Sicherungsmaßnahmen ordnet die Anstaltsleiterin oder der Anstaltsleiter an. Bei Gefahr im Verzug können auch andere Bedienstete der Justizvollzugsanstalt die Maßnahmen vorläufig anordnen. Die Entscheidung der Anstaltsleiterin oder des Anstaltsleiters ist unverzüglich einzuholen.
(2) Werden Untersuchungsgefangene ärztlich behandelt oder beobachtet oder bildet ihr seelischer Zustand den Anlass der Maßnahme, ist vor der Anordnung besonderer Sicherungsmaßnahmen die Ärztin oder der Arzt zu hören. Ist dies wegen Gefahr im Verzug nicht möglich, wird die Stellungnahme unverzüglich eingeholt.
§ 51 Festnahmerecht
Untersuchungsgefangene, die entwichen sind oder sich sonst ohne Erlaubnis außerhalb der Justizvollzugsanstalt aufhalten, können durch die Justizvollzugsanstalt oder auf ihre Veranlassung hin festgenommen und in die Justizvollzugsanstalt zurückgebracht werden, solange ein unmittelbarer Bezug zum Untersuchungshaftvollzug besteht.
§ 52 Ärztliche Überwachung
(1) Sind Untersuchungsgefangene in einem besonders gesicherten Haftraum untergebracht, gefesselt oder fixiert, sucht sie die Ärztin oder der Arzt alsbald und in der Folge möglichst täglich auf. Dies gilt nicht bei einer Fesselung während einer Ausführung, Vorführung oder eines Transports.
(2) Solange Untersuchungsgefangenen der tägliche Aufenthalt im Freien entzogen wird, ist in regelmäßigen Abständen eine ärztliche Stellungnahme einzuholen.
§ 53 Ersatz von Aufwendungen
(1) Untersuchungsgefangene sind verpflichtet, der Justizvollzugsanstalt Aufwendungen zu ersetzen, die sie durch eine vorsätzliche oder grob fahrlässige Selbstverletzung oder Verletzung anderer Gefangener verursacht haben. Ansprüche aus sonstigen Rechtsvorschriften bleiben unberührt.
(2) Von der Aufrechnung oder Vollstreckung wegen der in Absatz 1 genannten Forderungen ist abzusehen, wenn hierdurch die Wiedereingliederung der oder des Untersuchungsgefangenen behindert würde. Für die in Absatz 1 genannten Forderungen ist der ordentliche Rechtsweg gegeben.
Abschnitt 12 Unmittelbarer Zwang
§ 54 Allgemeine Voraussetzungen
(1) Bedienstete der Justizvollzugsanstalten dürfen unmittelbaren Zwang anwenden, wenn sie Vollzugs- und Sicherungsmaßnahmen rechtmäßig durchführen und der damit verfolgte Zweck auf keine andere Weise erreicht werden kann.
(2) Gegen andere Personen als Untersuchungsgefangene darf unmittelbarer Zwang angewendet werden, wenn sie es, auch mittels technischer Geräte, unternehmen, Untersuchungsgefangene zu befreien, in den Anstaltsbereich widerrechtlich einzudringen, unbefugt Gegenstände in den Anstaltsbereich einzubringen, oder wenn sie sich unbefugt im Anstaltsbereich aufhalten; das Recht zur Anwendung unmittelbaren Zwangs gegen Sachen wird hierdurch nicht eingeschränkt.
(3) Das Recht zur Anwendung unmittelbaren Zwangs auf Grund anderer Regelungen bleibt unberührt.
§ 55 Begriffsbestimmungen
(1) Unmittelbarer Zwang ist die Einwirkung auf Personen oder Sachen durch körperliche Gewalt, ihre Hilfsmittel und durch Waffen.
(2) Körperliche Gewalt ist jede unmittelbare körperliche Einwirkung auf Personen oder Sachen.
(3) Hilfsmittel der körperlichen Gewalt sind namentlich Fesseln.
(4) Waffen sind die dienstlich zugelassenen Hieb- und Schusswaffen sowie Reizstoffe.
§ 56 Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
(1) Unter mehreren möglichen und geeigneten Maßnahmen des unmittelbaren Zwangs sind diejenigen zu wählen, die den Einzelnen und die Allgemeinheit voraussichtlich am wenigsten beeinträchtigen.
(2) Unmittelbarer Zwang unterbleibt, wenn ein durch ihn zu erwartender Schaden erkennbar außer Verhältnis zu dem angestrebten Erfolg steht.
§ 57 Handeln auf Anordnung
(1) Wird unmittelbarer Zwang von Vorgesetzten oder sonst befugten Personen angeordnet, sind Vollzugsbedienstete verpflichtet, ihn anzuwenden, es sei denn, die Anordnung verletzt die Menschenwürde oder ist nicht zu dienstlichen Zwecken erteilt worden.
(2) Die Anordnung darf nicht befolgt werden, wenn dadurch eine Straftat begangen würde. Befolgen Vollzugsbedienstete sie trotzdem, trifft sie eine Schuld nur, wenn sie erkennen oder wenn es nach den ihnen bekannten Umständen offensichtlich ist, dass dadurch eine Straftat begangen wird.
(3) Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der Anordnung haben die Vollzugsbediensteten der anordnenden Person gegenüber vorzubringen, soweit das nach den Umständen möglich ist. Abweichende Vorschriften des allgemeinen Beamtenrechts über die Mitteilung solcher Bedenken an Vorgesetzte sind nicht anzuwenden.
§ 58 Androhung
Unmittelbarer Zwang ist vorher anzudrohen. Die Androhung darf nur dann unterbleiben, wenn die Umstände sie nicht zulassen oder unmittelbarer Zwang sofort angewendet werden muss, um eine rechtswidrige Tat, die den Tatbestand eines Strafgesetzes erfüllt, zu verhindern oder eine gegenwärtige Gefahr abzuwenden.
§ 59 Allgemeine Vorschriften für den Schusswaffengebrauch
(1) Schusswaffen dürfen nur gebraucht werden, wenn andere Maßnahmen des unmittelbaren Zwangs bereits erfolglos waren oder keinen Erfolg versprechen. Gegen Personen ist ihr Gebrauch nur zulässig, wenn der Zweck nicht durch Waffenwirkung gegen Sachen erreicht wird.
(2) Schusswaffen dürfen nur die dazu bestimmten Vollzugsbediensteten gebrauchen. Ihr Gebrauch unterbleibt, wenn dadurch erkennbar Unbeteiligte mit hoher Wahrscheinlichkeit gefährdet würden.
(3) Gegen Personen dürfen Schusswaffen nur gebraucht werden, um sie angriffs- oder fluchtunfähig zu machen. Der Gebrauch ist vorher anzudrohen. Als Androhung gilt auch ein Warnschuss. Ohne Androhung dürfen Schusswaffen nur dann gebraucht werden, wenn dies zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr für Leib oder Leben erforderlich ist.
§ 60 Besondere Vorschriften für den Schusswaffengebrauch
(1) Gegen Untersuchungsgefangene dürfen Schusswaffen gebraucht werden,
1.
wenn sie eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug trotz wiederholter Aufforderung nicht ablegen,
2.
wenn sie eine Gefangenenmeuterei (§ 121
StGB) unternehmen oder
3.
um ihre Flucht zu vereiteln oder um sie wieder zu ergreifen.
(2) Gegen andere Personen dürfen Schusswaffen gebraucht werden, wenn sie es unternehmen, Untersuchungsgefangene gewaltsam zu befreien oder gewaltsam in eine Justizvollzugsanstalt einzudringen.
§ 61 Zwangsmaßnahmen in der Gesundheitsfürsorge
(1) Medizinische Untersuchung, Behandlung und Ernährung sowie eine in diesem Zusammenhang erforderliche Fixierung sind gegen den natürlichen Willen der Untersuchungsgefangenen nur zulässig, soweit sie dazu dienen, eine Lebensgefahr oder eine gegenwärtige erhebliche Gefahr für die Gesundheit
1.
der oder des Untersuchungsgefangenen oder
2.
dritter Personen
abzuwenden. Maßnahmen nach Satz 1 dürfen nur angeordnet werden, wenn
1.
eine Ärztin oder ein Arzt die Untersuchungsgefangenen zuvor, soweit möglich, angemessen aufgeklärt und sie auch über die Gründe, Art, Umfang und Dauer der Maßnahme informiert hat,
2.
eine Ärztin oder ein Arzt erfolglos versucht hat, die auf Vertrauen begründete Zustimmung der Untersuchungsgefangenen zu erreichen,
3.
die Maßnahme Erfolg verspricht und als letztes Mittel eingesetzt wird, wenn mildere Mittel, insbesondere eine weniger eingreifende Behandlung, aussichtslos sind und
4.
die mit der Maßnahme für den Untersuchungsgefangenen verbundenen Belastungen nicht zu dem erwartbaren Nutzen außer Verhältnis steht und der erwartbare Nutzen mögliche Schäden der Nichtbehandlung deutlich feststellbar überwiegt.
Maßnahmen nach Satz 1 Nummer 1 sind darüber hinaus nur zulässig, wenn die oder der Untersuchungsgefangene zur Einsicht in die Notwendigkeit der Maßnahme oder zum Handeln nach dieser Einsicht krankheitsbedingt nicht in der Lage ist.
(2) Maßnahmen nach Absatz 1 Satz 1 dürfen nur auf ärztliche Anordnung und unter ärztlicher Überwachung durchgeführt werden. Bei Fixierungen ist insbesondere eine ständige und unmittelbare Überwachung sicherzustellen. Die Maßnahmen sind zu dokumentieren, einschließlich ihres Zwangscharakters, ihrer Durchsetzungsweise, ihrer maßgeblichen Gründe, der Dauer und Art der Überwachung sowie der Wirkungsüberwachung. Die Maßnahmen sind unverzüglich aufzuheben, wenn die Voraussetzungen für ihre Anordnung weggefallen sind. Eine zu dokumentierende Nachbesprechung durch die behandelnde Ärztin oder den behandelnden Arzt, in der insbesondere die Gründe für die Maßnahme zu nennen sind, muss erfolgen, sobald es der Gesundheitszustand zulässt. Nach Beendigung der Maßnahmen nach Absatz 1 sind die Untersuchungsgefangenen darüber zu belehren, dass sie die Zulässigkeit der durchgeführten Maßnahmen gerichtlich überprüfen lassen können.
(3) Eine Maßnahme nach Absatz 1 ist auf Antrag der Justizvollzugsanstalt nur mit vorheriger richterlicher Entscheidung zulässig. Dies gilt nicht, wenn hierdurch die Behandlung verzögert würde und sich hieraus Nachteile für das Leben oder die Gesundheit der gefährdeten Person ergeben würden (Gefahr im Verzug). Die richterliche Entscheidung ist unverzüglich nachträglich einzuholen. Eine nachträgliche richterliche Entscheidung ist nicht erforderlich, wenn bereits zu Beginn der Maßnahme abzusehen ist, dass die Entscheidung erst nach Wegfall des Grundes der Maßnahme ergehen wird, oder die Maßnahme vor Herbeiführung der Entscheidung tatsächlich beendet und auch keine Wiederholung zu erwarten ist. Handelt es sich um eine lediglich kurzfristige Fixierung, die absehbar die Dauer von einer halben Stunde unterschreitet, ist eine richterliche Entscheidung nicht erforderlich. § 126 Absatz 5
StPO gilt entsprechend.
(4) Zur Gewährleistung des Gesundheitsschutzes und der Hygiene ist die zwangsweise körperliche Untersuchung der Untersuchungsgefangenen über Absatz 1 hinaus zulässig, wenn sie nicht mit einem körperlichen Eingriff verbunden ist. Duldungspflichten der Untersuchungsgefangenen nach Vorschriften anderer Gesetze bleiben unberührt.
Abschnitt 13 Disziplinarmaßnahmen
§ 62 Voraussetzungen
(1) Verstoßen Untersuchungsgefangene schuldhaft gegen Pflichten, die ihnen durch dieses Gesetz oder auf Grund dieses Gesetzes oder durch § 119
StPO oder auf Grund dieser Vorschrift auferlegt sind, können gegen sie, möglichst in engem zeitlichen Zusammenhang mit der Pflichtverletzung, Disziplinarmaßnahmen angeordnet werden.
(2) Von einer Disziplinarmaßnahme wird abgesehen, wenn es genügt, Untersuchungsgefangene zu verwarnen.
(3) Eine Disziplinarmaßnahme ist auch zulässig, wenn wegen derselben Verfehlung ein Straf- oder Bußgeldverfahren eingeleitet wird.
(4) Durch die Anordnung und den Vollzug einer Disziplinarmaßnahme darf die Verteidigung und die Verhandlungsfähigkeit von Untersuchungsgefangenen nicht beeinträchtigt werden. Eine Disziplinarmaßnahme kann ganz oder zum Teil auch während einer der Untersuchungshaft unmittelbar nachfolgenden Untersuchungshaft in anderer Sache oder Strafhaft vollzogen werden.
§ 63 Arten der Disziplinarmaßnahmen
(1) Die zulässigen Disziplinarmaßnahmen sind:
1.
Verweis,
2.
die Beschränkung oder der Entzug der Verfügung über das Sondergeld und des Einkaufs bis zu drei Monaten,
3.
die Beschränkung oder der Entzug des Hörfunk- und Fernsehempfangs bis zu drei Monaten; der gleichzeitige Entzug jedoch nur bis zu zwei Wochen,
4.
die Beschränkung oder der Entzug der Gegenstände für eine Beschäftigung in der Freizeit oder der Teilnahme an gemeinschaftlichen Veranstaltungen bis zu drei Monaten,
5.
die getrennte Unterbringung während der Freizeit bis zu vier Wochen,
6.
der Entzug der Arbeit oder Beschäftigung bis zu vier Wochen unter Wegfall der in diesem Gesetz geregelten Bezüge,
7.
Arrest bis zu vier Wochen.
(2) Arrest darf nur wegen schwerer oder mehrfach wiederholter Verfehlungen verhängt werden.
(3) Mehrere Disziplinarmaßnahmen können miteinander verbunden werden.
§ 64 Vollstreckung und Vollzug der Disziplinarmaßnahmen
(1) Disziplinarmaßnahmen werden in der Regel sofort vollstreckt.
(2) Eine Disziplinarmaßnahme kann ganz oder teilweise bis zu sechs Monaten zur Bewährung ausgesetzt werden.
(3) Wird die Verfügung über das Sondergeld beschränkt oder entzogen, ist das in dieser Zeit anfallende Geld dem Eigengeld hinzuzurechnen.
(4) Arrest wird in Einzelhaft vollzogen. Die Untersuchungsgefangenen können in einem besonderen Arrestraum untergebracht werden, der den Anforderungen entsprechen muss, die an einen zum Aufenthalt bei Tag und Nacht bestimmten Haftraum gestellt werden. Soweit nichts anderes angeordnet wird, ruhen die Befugnisse der Untersuchungsgefangenen aus § 9 Satz 1, § 10 Abs. 1, § 11 Abs. 2 und 3, § 34 Abs. 2, 4 und 5 und §§ 39 bis 42.
§ 65 Disziplinarbefugnis
(1) Disziplinarmaßnahmen ordnet die Anstaltsleiterin oder der Anstaltsleiter an. Bei einer Verfehlung auf dem Weg in eine andere Justizvollzugsanstalt zum Zweck der Verlegung ist die Leiterin oder der Leiter der Bestimmungsanstalt zuständig. Die Befugnis, Disziplinarmaßnahmen nach § 63 anzuordnen, kann nur auf Mitglieder der Anstalts- oder Vollzugsabteilungsleitung übertragen werden.
(2) Die Aufsichtsbehörde entscheidet, wenn sich Verfehlungen von Untersuchungsgefangenen gegen die Anstaltsleiterin oder den Anstaltsleiter richten.
(3) Disziplinarmaßnahmen, die gegen Untersuchungsgefangene in einer anderen Justizvollzugsanstalt oder während einer anderen Haft angeordnet worden sind, werden auf Ersuchen vollstreckt, soweit sie nicht zur Bewährung ausgesetzt sind. § 64 Abs. 2 bleibt unberührt.
§ 66 Disziplinarverfahren
(1) Der Sachverhalt ist zu klären. Die oder der Untersuchungsgefangene wird gehört. Die Erhebungen werden in einer Niederschrift festgelegt; die Einlassung der oder des Untersuchungsgefangenen wird vermerkt.
(2) Bei schweren Verstößen soll sich die Anstaltsleiterin oder der Anstaltsleiter vor der Entscheidung mit Personen besprechen, die an der Betreuung der oder des Untersuchungsgefangenen mitwirken. Vor der Anordnung einer Disziplinarmaßnahme gegen Untersuchungsgefangene ist eine Stellungnahme des ärztlichen oder psychologischen Dienstes einzuholen, wenn hierzu begründeter Anlass besteht.
(3) Die Entscheidung wird der oder dem Untersuchungsgefangenen von der Anstaltsleiterin oder von dem Anstaltsleiter oder im Falle einer Übertragung der Disziplinarbefugnis nach § 65 Abs. 1 Satz 3 von der beauftragten Person mündlich eröffnet und mit einer kurzen Begründung schriftlich abgefasst.
§ 67 Ärztliche Mitwirkung
(1) Bevor der Arrest vollzogen wird, ist eine ärztliche Stellungnahme einzuholen. Während des Arrests steht die oder der Untersuchungsgefangene unter ärztlicher Aufsicht.
(2) Der Vollzug des Arrests unterbleibt oder wird unterbrochen, wenn die Gesundheit der oder des Untersuchungsgefangenen gefährdet würde.
Abschnitt 14 Aufhebung von Maßnahmen, Beschwerderecht und Rechtsbehelfe
§ 67a Aufhebung von Maßnahmen
(1) Die Aufhebung von Maßnahmen zur Regelung einzelner Angelegenheiten auf dem Gebiet des Vollzugs der Untersuchungshaft richtet sich nach den nachfolgenden Absätzen, soweit dieses Gesetz keine abweichende Bestimmung enthält.
(2) Rechtswidrige Maßnahmen können ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden.
(3) Rechtmäßige Maßnahmen können ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit widerrufen werden, wenn
1.
aufgrund nachträglich eingetretener oder bekannt gewordener Umstände die Maßnahmen hätten unterbleiben können,
2.
die Maßnahmen missbraucht werden oder
3.
erteilte Weisungen nicht befolgt werden.
(4) Begünstigende Maßnahmen dürfen nach Absatz 2 oder 3 nur zurückgenommen oder widerrufen werden, wenn die vollzuglichen Interessen an der Aufhebung in Abwägung mit dem schutzwürdigen Vertrauen der Betroffenen auf den Bestand der Maßnahmen überwiegen. Belastende rechtswidrige Maßnahmen sind aufzuheben, soweit hierdurch das Leben oder die Gesundheit einer Person oder die Sicherheit oder Ordnung der Justizvollzugsanstalt nicht gefährdet wird.
§ 68 Beschwerderecht und Rechtsbehelfe
(1) Die Untersuchungsgefangenen haben das Recht, sich mit Wünschen, Anregungen und Beschwerden in Angelegenheiten, die sie selbst betreffen, an die Anstaltsleiterin oder den Anstaltsleiter zu wenden. Regelmäßige Sprechstunden sind einzurichten.
(2) Besichtigen Vertreter der Aufsichtsbehörde die Justizvollzugsanstalt, so ist zu gewährleisten, dass die Untersuchungsgefangenen sich in sie selbst betreffenden Angelegenheiten an diese wenden können.
(3) Die Möglichkeit der Dienstaufsichtsbeschwerde bleibt unberührt. Eingaben, Beschwerden und Dienstaufsichtsbeschwerden, die nach Form oder Inhalt nicht den im Verkehr mit Behörden üblichen Anforderungen entsprechen oder bloße Wiederholungen enthalten, brauchen nicht beschieden zu werden. Die Untersuchungsgefangenen sind entsprechend zu unterrichten. Eine Überprüfung von Amts wegen bleibt unberührt.
(4) Die bundesrechtlichen Vorschriften über den gerichtlichen Rechtsschutz bleiben unberührt.
Abschnitt 15 Junge Untersuchungsgefangene
§ 69 Anwendungsbereich
(1) Auf Untersuchungsgefangene, die zur Tatzeit noch nicht 21 Jahre alt waren und die das 24. Lebensjahr noch nicht vollendet haben (junge Untersuchungsgefangene) finden die Vorschriften dieses Abschnitts ergänzende Anwendung.
(2) Von einer Anwendung der Vorschriften dieses Abschnitts auf volljährige junge Untersuchungsgefangene kann abgesehen werden, wenn eine Vollzugsgestaltung nach § 72 Abs. 2 nicht oder nicht mehr angezeigt ist.
§ 70 Trennungsgrundsätze
(1) Bei jungen Untersuchungsgefangenen erfolgt der Vollzug der Untersuchungshaft nach Möglichkeit in besonderen Justizvollzugsanstalten, anderenfalls in Außenstellen oder in getrennten Abteilungen von Jugendstrafanstalten oder anderen Justizvollzugsanstalten. Sie sind soweit möglich von anderen Gefangenen getrennt zu halten.
(2) Von Absatz 1 darf aus den in § 4 Abs. 7 des Ersten Buchs genannten Gründen abgewichen werden, wenn eine Vollzugsgestaltung nach § 72 Abs. 2 gewährleistet bleibt und die jungen Untersuchungsgefangenen vor schädlichen Einflüssen geschützt sind.
(3) Untersuchungsgefangene, die das achtzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet haben (jugendliche Untersuchungsgefangene), dürfen mit jungen Untersuchungsgefangenen, die das achtzehnte Lebensjahr vollendet haben, untergebracht werden, wenn eine gemeinsame Unterbringung dem Wohl der jugendlichen Untersuchungsgefangenen nicht widerspricht. Mit Untersuchungsgefangenen, die das vierundzwanzigste Lebensjahr vollendet haben, dürfen jugendliche Untersuchungsgefangene nur ausnahmsweise untergebracht werden, wenn dies ihrem Wohl dient.
§ 71 Aufgabenwahrnehmung
Mit dem Vollzug der Untersuchungshaft an jungen Untersuchungsgefangenen soll nur betraut werden, wer hierfür geeignet und ausgebildet ist.
§ 72 Gestaltung des Vollzugs
(1) Die Justizvollzugsanstalt soll sich mit der Erforschung der Persönlichkeit junger Untersuchungsgefangener befassen. Die Persönlichkeitserforschung dient der Gestaltung des Untersuchungshaftvollzugs. Sie soll in Zusammenarbeit mit der Jugendgerichtshilfe durchgeführt werden.
(2) Während des Vollzugs der Untersuchungshaft sind die jungen Untersuchungsgefangenen in der Entwicklung ihrer Fähigkeiten und Fertigkeiten sowie in ihrer Bereitschaft zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Lebensführung zu fördern. Hierzu sollen den jungen Untersuchungsgefangenen neben altersgemäßen Bildungs-, Beschäftigungs- und Freizeitmöglichkeiten auch sonstige entwicklungsfördernde Hilfestellungen angeboten werden. Die Bereitschaft zur Annahme der Angebote ist zu wecken und zu fördern. Auf die körperliche, geistige und seelische Entwicklung der jungen Untersuchungsgefangenen ist Rücksicht zu nehmen.
(3) In diesem Buch vorgesehene Beschränkungen können jugendlichen Untersuchungsgefangenen auch auferlegt werden, soweit dies dringend geboten ist, um sie vor einer Gefährdung ihrer Entwicklung zu bewahren.
(4) Die Personensorgeberechtigten sind von der Inhaftierung und dem jeweiligen Aufenthaltsort jugendlicher Untersuchungsgefangener zu unterrichten, sofern sie noch keine Kenntnis darüber haben. Die Personensorgeberechtigten erhalten Gelegenheit, Anregungen und Vorschläge zur Gestaltung des Vollzugs der Untersuchungshaft anzubringen. Diese sollen, soweit sie mit dem Zweck der Untersuchungshaft und der Vollzugsgestaltung nach Absatz 2 vereinbar sind, berücksichtigt werden.
§ 73 Betreuung und Unterbringung
(1) Jungen Untersuchungsgefangenen soll eine ständige Betreuungsperson oder Betreuungsgruppe aus dem Kreis der Vollzugsbediensteten zugeordnet werden.
(2) Junge Untersuchungsgefangene sollen nach Möglichkeit in Wohngruppen untergebracht werden, zu denen neben den Hafträumen zur Unterbringung während der Nachtzeit die für die gemeinsame Benutzung notwendigen weiteren Räume und Einrichtungen gehören.
(3) Junge Untersuchungsgefangene können aus der Wohngruppe ausgeschlossen werden, wenn dies die Sicherheit oder Ordnung der Justizvollzugsanstalt erfordert, sie auf Grund ihres Verhaltens nicht gruppenfähig sind oder sie die Freiräume der Wohngruppe wiederholt missbraucht haben. Eine Wiederaufnahme kann erfolgen, wenn die Gruppenfähigkeit wieder hergestellt ist.
(4) In der Wohngruppe sollen insbesondere Werte, die ein sozialverträgliches Zusammenleben ermöglichen, gewaltfreie Konfliktlösungen, gegenseitige Toleranz und Verantwortung für den eigenen Lebensbereich vermittelt und eingeübt werden.
(5) Während der Ruhezeit werden die jungen Untersuchungsgefangenen einzeln in ihren Hafträumen untergebracht; § 8 bleibt unberührt.
§ 74 Verkehr mit der Außenwelt
(1) Junge Untersuchungsgefangene dürfen im Rahmen der Vorschriften dieses Gesetzes mindestens vier Stunden Besuch im Monat empfangen.
(2) Besuche bei jugendlichen Untersuchungsgefangenen und ihr Schriftwechsel mit einzelnen Personen können außer unter den Voraussetzungen von §§ 13 und 19 Abs. 1 auch unterbunden werden, wenn die Personensorgeberechtigten nicht einverstanden sind.
(3) Der Jugendgerichtshilfe ist der Verkehr mit jungen Untersuchungsgefangenen in demselben Umfang wie einem Verteidiger oder einer Verteidigerin gestattet. Dasselbe gilt in den Fällen, in denen junge Untersuchungsgefangene der Betreuung und Aufsicht von Betreuungshelfern unterstehen, für diese oder, wenn für sie ein Erziehungsbeistand bestellt ist, für die Erziehungsbeistände.
§ 75 Bildung und Arbeit
(1) Schulpflichtige junge Untersuchungsgefangene nehmen in der Justizvollzugsanstalt an Unterricht teil.
(2) Jungen Untersuchungsgefangenen soll die Teilnahme an schulischen und beruflichen Orientierungs-, Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen, speziellen Fördermaßnahmen, insbesondere sozialem Training, Arbeit, arbeitspädagogischer oder sonstiger ihren Fähigkeiten entsprechender Beschäftigung oder Hilfstätigkeiten, angeboten werden.
(3) Jugendliche Untersuchungsgefangene können zur Teilnahme an den in Absatz 2 genannten Maßnahmen verpflichtet werden, soweit dies nach ihrem Entwicklungsstand angezeigt ist und ihre Personensorgeberechtigten nicht widersprechen.
(4) Üben junge Untersuchungsgefangene eine Arbeit, sonstige Beschäftigung oder eine Hilfstätigkeit aus, sind der Bemessung des Arbeitsentgelts neun Prozent der Bezugsgröße nach § 18
des Vierten Buchs Sozialgesetzbuch zu Grunde zu legen. Üben sie eine arbeitstherapeutische Beschäftigung aus, erhalten sie ein Arbeitsentgelt, soweit dies der Art ihrer Beschäftigung und Arbeitsleistung entspricht.
(5) Nehmen junge Untersuchungsgefangene während der Arbeitszeit an einer Berufsausbildung, beruflichen Weiterbildung, an Unterricht, am sozialen Training, an Deutschkursen oder an vergleichbaren Maßnahmen teil, erhalten sie eine Ausbildungsbeihilfe, soweit ihnen keine Leistungen zum Lebensunterhalt zustehen, die freien Personen aus solchem Anlass gewährt werden. Der Nachrang der Sozialhilfe nach § 2
Abs. 2 des Zwölften Buchs Sozialgesetzbuch wird nicht berührt. Für die Bemessung der Ausbildungsbeihilfe gelten § 35 sowie für die Einbehaltung von Beitragsteilen § 38 entsprechend. Nehmen junge Untersuchungsgefangene während der Arbeitszeit stunden- oder tageweise an Maßnahmen nach Satz 1 teil, so erhalten sie in Höhe des ihnen dadurch entgehenden Arbeitsentgelts eine Ausbildungsbeihilfe.
§ 76 Freizeit
Junge Untersuchungsgefangene sind zur Teilnahme und Mitwirkung an Angeboten der Freizeitgestaltung zu motivieren und dabei anzuleiten. Jugendgemäße Angebote zur sportlichen Betätigung, insbesondere während des Aufenthalts im Freien, sind vorzuhalten, um jungen Untersuchungsgefangenen eine sportliche Betätigung von mindestens zwei Stunden wöchentlich zu ermöglichen.
§ 77 Aufenthalt im Freien
Jungen Untersuchungsgefangenen wird an Werktagen ein Aufenthalt im Freien von mindestens einer Stunde, an arbeitsfreien Tagen von mindestens zwei Stunden ermöglicht, wenn die Witterung dem nicht zwingend entgegensteht.
§ 78 Einzelhaft
Einzelhaft von mehr als einer Woche Gesamtdauer in einem Jahr bedarf der Zustimmung der Aufsichtsbehörde. Diese Frist wird nicht dadurch unterbrochen, dass junge Untersuchungsgefangene am Gottesdienst oder am gemeinschaftlichen Aufenthalt im Freien teilnehmen.
§ 79 Schusswaffengebrauch
Um die Flucht oder Entweichung junger Untersuchungsgefangener aus einer Justizvollzugsanstalt, in der überwiegend Jugendliche untergebracht sind, zu vereiteln, dürfen keine Schusswaffen gebraucht werden.
§ 80 Erzieherische Maßnahmen und Disziplinarmaßnahmen
(1) Bei schuldhaften Verstößen junger Untersuchungsgefangener gegen Pflichten, die ihnen durch dieses Gesetz oder auf Grund dieses Gesetzes oder durch § 119
StPO oder auf Grund dieser Vorschrift auferlegt sind, können anstelle von Disziplinarmaßnahmen in möglichst engem zeitlichen Zusammenhang zu der Pflichtverletzung erzieherische Maßnahmen angeordnet werden, die geeignet sind, den jungen Untersuchungsgefangenen ihr Fehlverhalten bewusst zu machen. Es kommen namentlich in Betracht das erzieherische Gespräch, die Konfliktschlichtung, die Verwarnung, die Erteilung von Weisungen und Auflagen sowie beschränkende Anordnungen in Bezug auf die Freizeitgestaltung bis zur Dauer von einer Woche.
(2) Die zulässigen Disziplinarmaßnahmen gegen junge Untersuchungsgefangene sind:
1.
die Beschränkung oder der Entzug der Verfügung über das Sondergeld und des Einkaufs bis zu zwei Monaten,
2.
die Beschränkung oder der Entzug des Hörfunk- und Fernsehempfangs bis zu zwei Monaten; der gleichzeitige Entzug jedoch nur bis zu zwei Wochen,
3.
die Beschränkung oder der Entzug der Gegenstände für eine Beschäftigung in der Freizeit oder der Teilnahme an gemeinschaftlichen Veranstaltungen bis zu zwei Monaten,
4.
die getrennte Unterbringung während der Freizeit bis zu vier Wochen,
5.
der Entzug der zugewiesenen Arbeit oder Beschäftigung bis zu vier Wochen unter Wegfall der in diesem Gesetz geregelten Bezüge,
6.
die Beschränkung des Verkehrs mit Personen außerhalb der Jugendstrafanstalt auf dringende Fälle bis zu drei Monaten,
7.
Arrest bis zu zwei Wochen.
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