BBl 2024 1107
CH - Bundesblatt

Botschaft zur Änderung des Asylgesetzes (Sicherheit und Betrieb in den Zentren des Bundes)

Botschaft zur Änderung des Asylgesetzes (Sicherheit und Betrieb in den Zentren des Bundes)
vom 24. April 2024
Sehr geehrter Herr Nationalratspräsident Sehr geehrte Frau Ständeratspräsidentin Sehr geehrte Damen und Herren
Mit dieser Botschaft unterbreiten wir Ihnen, mit dem Antrag auf Zustimmung, den Entwurf einer Änderung des Asylgesetzes vom 26. Juni 1998.
Wir versichern Sie, sehr geehrter Herr Nationalratspräsident, sehr geehrte Frau Ständeratspräsidentin, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.
24. April 2024 Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Die Bundespräsidentin: Viola Amherd Der Bundeskanzler: Viktor Rossi
Übersicht
Hauptziel der vorgeschlagenen Gesetzesänderung ist es, die Aufgaben und Befugnisse des Staatssekretariats für Migration (SEM) im Bereich der Unterbringung, Betreuung und der Sicherheit in den Zentren des Bundes und der Unterkünfte an den Flughäfen sowie die Möglichkeit, entsprechende Aufgaben an Dritte zu übertragen, im Asylgesetz (AsylG) umfassend zu regeln. Zudem sollen die Grundzüge des Disziplinarwesens neu im AsylG festgehalten werden.
Ausgangslage
Im Frühling 2021 haben einzelne Medien und Nichtregierungsorganisationen den Vorwurf erhoben, in den Zentren des Bundes komme es zu Gewaltanwendung durch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Sicherheitsdienste. Im Auftrag des Staatssekretariats für Migration (SEM) hat deshalb Alt-Bundesrichter Niklaus Oberholzer die Gewährleistung der Sicherheit in den Zentren des Bundes untersucht. In seinem Bericht vom 30. September 2021 kommt er zum Schluss, dass in den Zentren des Bundes keine systematische Gewalt angewandt wird und die Grund- und Menschenrechte eingehalten werden. Er empfiehlt jedoch Verbesserungen im Sicherheits- und Disziplinarbereich, welche teilweise auch Änderungen im AsylG notwendig machen. Diese sind Gegenstand der vorliegenden Vorlage. Dabei werden auch zwei aktuelle Urteile des Bundesgerichtes und des Bundesstrafgerichtes berücksichtigt, welche sich ebenfalls mit Fragestellungen zum Bericht Oberholzer auseinandergesetzt haben.
Inhalt der Vorlage
Im AsylG soll ein neuer Abschnitt «Betrieb der Zentren des Bundes und der Unterkünfte an den Flughäfen» eingefügt werden. Dieser soll insbesondere Regelungen zu den Aufgaben des SEM beim Betrieb der Zentren des Bundes und der Unterkünfte an den Flughäfen (Art. 25 E-AsylG) enthalten. Dabei soll explizit geregelt werden, in welchen Bereichen das SEM zur Gewährung der Sicherheit und Ordnung polizeilichen Zwang respektive polizeiliche Massnahmen unter Anwendung des Zwangsanwendungsgesetzes ergreifen kann. Zudem sollen die möglichen Disziplinarmassnahmen sowie die Grundzüge des Verfahrens bei deren Anordnung auf Gesetzesstufe geregelt werden (Art. 25a E-AsylG). Zur Abwehr einer ernsten, unmittelbaren und nicht anders abwendbaren Gefahr soll eine betroffene Person auf Anordnung des SEM für maximal zwei Stunden festgehalten werden können, wenn sie andere Personen erheblich gefährdet, sich selbst gefährdet oder einen grösseren Sachschaden zu verursachen droht (Art. 25b E-AsylG). Diese Regelung, welche heute in der Verordnung des EJPD über den Betrieb von Zentren des Bundes und Unterkünften an den Flughäfen (VO-EJPD) enthalten ist, soll neu im AsylG geregelt werden. Auch soll eine hinreichend bestimmte gesetzliche Grundlage geschaffen werden, die es dem SEM erlaubt, Aufgaben im Bereich Betreuung und Unterbringung sowie zur Gewährleistung von Sicherheit und Ordnung durch Vertrag auf Dritte zu übertragen (Art. 25c E-AsylG). Zudem soll der Bund durch Vereinbarung Aufgaben im Bereich der Sicherheit und Ordnung auch an die zuständigen kantonalen Polizeibehörden delegieren können (Art. 25d E-AsylG). Schliesslich soll neu auf Gesetzesstufe geregelt werden, dass das SEM Asylsuchende und ihre mitgeführten Sachen auch auf verfahrensrelevante Unterlagen und Beweismittel sowie alkoholische Getränke hin durchsuchen kann (Art. 9 Abs. 1 E-AsylG). Dies entspricht der bereits heute geltenden Regelung in Artikel 4 VO-EJPD. Die aufgegriffenen Objekte sollen falls notwendig neu sichergestellt werden können.
Die Änderungen führen grundsätzlich zu keinen wesentlichen neuen finanziellen und personellen Auswirkungen auf den Bund, die Kantone und die Gemeinden.
Botschaft

1 Ausgangslage

1.1 Handlungsbedarf und Ziele

Im Frühling 2021 haben einzelne Medien und Nichtregierungsorganisationen den Vorwurf erhoben, in den Zentren des Bundes komme es zu Gewaltanwendung durch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Sicherheitsdienste. Im Auftrag des Staatssekretariats für Migration (SEM) hat deshalb Herr Alt-Bundesrichter Niklaus Oberholzer die Gewährleistung der Sicherheit in den Zentren des Bundes untersucht. In seinem Bericht vom 30. September 2021 ¹ (Bericht Oberholzer) kommt er zum Schluss, dass in den Zentren des Bundes keine systematische Gewalt angewandt wird und dass die Grund- und Menschenrechte eingehalten werden. Er empfiehlt jedoch Verbesserungen im Sicherheits- und Disziplinarbereich. So wird u. a. empfohlen, die sich mit dem Disziplinarwesen ergebenden Rechtsfragen zu klären und gegebenenfalls eine vollständige Überarbeitung des Disziplinarrechts in der Verordnung des EJPD vom 4. Dezember 2018 ² über den Betrieb von Zentren des Bundes und Unterkünften an den Flughäfen (im Folgenden: VO-EJPD) vorzusehen. Dabei sollen die Grundsätze des Disziplinarrechts im Asylgesetz vom 26. Juni 1998 ³ (AsylG) geregelt werden (vgl. Bericht Oberholzer Empfehlung 9). Des Weiteren sei der Einsatz von Sicherheitsräumen im Kontext mit einer Neuorganisation der Sicherheitsdienste in den Zentren des Bundes und der Anwendbarkeit des Zwangsanwendungsgesetzes vom 20. März 2008 ⁴ (ZAG) zu klären (vgl. Bericht Oberholzer Empfehlung 11). Schliesslich sei eine Regelung bezüglich der Voraussetzungen und der Modalitäten von Sicherheitsräumen im AsylG zu prüfen (vgl. Bericht Oberholzer Empfehlung 11).
Das SEM hat den Bericht Oberholzer am 11. Oktober 2021 zustimmend zur Kenntnis genommen und das im Bericht skizzierte Vorgehen zur Prüfung und Umsetzung der entsprechenden Empfehlungen genehmigt. Das SEM hat ein entsprechendes Umsetzungsprojekt gestartet. Um die Situation im Sicherheitsbereich in den Zentren des Bundes und auch in den Unterkünften an den Flughäfen möglichst rasch und zielgerichtet zu verbessern, hat das SEM kurzfristig bereits Massnahmen ergriffen. So wurden insbesondere einzelne interne Abläufe angepasst, die Präsenz des SEM im Sicherheits- und Betreuungsbereich ausgebaut und die Weisungen des SEM im Sicherheitsbereich, insbesondere bezüglich der Durchsuchung von Asylsuchenden in den Zentren des Bundes und den Unterkünften an den Flughäfen, angepasst.
Im Rahmen dieser kurzfristigen Massnahmen wurde ferner gestützt auf das geltende Recht die VO-EJPD angepasst. Die entsprechenden Anpassungen sind am 15. Januar 2023 in Kraft getreten. Sie beinhalten eine neue Verordnungsbestimmung zur vorübergehenden Festhaltung zur Abwendung unmittelbarer Gefahr (Art. 29 a VO-EJPD) und verschiedene Ergänzungen bzw. Klarstellungen im Bereich der Durchsuchung von Asylsuchenden und Schutzbedürftigen in den Zentren des Bundes und den Unterkünften an den Flughäfen.
Ein Teil der im Bericht Oberholzer vorgeschlagenen Massnahmen ist jedoch nur längerfristig umsetzbar, da diese Massnahmen eine fundierte Analyse der konkreten Abläufe im Sicherheits- und Disziplinarbereich sowie der notwendigen rechtlichen Grundlagen notwendig machen. Die entsprechenden Anpassungen auf Gesetzesstufe bilden Gegenstand dieser Vorlage. Dabei werden auch zwei aktuelle Urteile berücksichtigt, in welchen sich das Bundesgericht (BGer) und das Bundesstrafgericht unter anderem auch mit Fragestellungen bezüglich der Empfehlungen aus dem Bericht Oberholzer auseinandergesetzt haben ⁵ .
Mit dem Ziel, die Anzahl der Eskalationen in den Zentren des Bundes so weit als möglich zu reduzieren, hat das SEM bereits eine Reihe von weiteren Massnahmen umgesetzt. So wurde ein umfassendes Gewaltpräventionskonzept erarbeitet, das in allen Zentren des Bundes umgesetzt worden ist, um allfälligen Gewaltsituationen effizient vorbeugen zu können. Darin werden Risikofaktoren zur Entstehung von Gewalt in den Zentren des Bundes beschrieben, und es wird für jedes Zentrum des Bundes definiert, mit welchen Massnahmen diesen Faktoren präventiv begegnet werden kann. Weiter werden in den Zentren des Bundes seit dem vierten Quartal 2021 zusätzliche Betreuerinnen und Betreuer für die Konfliktprävention eingesetzt, die aktiv und auf der Basis von gegenseitigem Respekt und Wertschätzung auf Asylsuchende zugehen, um Konflikte zu vermeiden oder zumindest zu deeskalieren. Dadurch soll ein möglichst gewaltfreier Betrieb der Zentren des Bundes ermöglicht werden. Diese Massnahmen wirken sich positiv auf die Situation in den Zentren des Bundes aus. Seit Anfang 2021 hat die Anzahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle in den Zentren des Bundes abgenommen. Aktuell sind diese gegenüber dem Jahr 2021 um 20 Prozent gesunken (Stand Ende Jahr 2023).
Eine weitere Massnahme ist die Schaffung einer Meldestelle im Rahmen eines Pilotprojektes, welches am 1. November 2022 in den Bundeasylzentren Basel und Zürich gestartet wurde. Die Meldestellen werden durch das Schweizerische Arbeiterhilfswerk (SAH) betrieben. Im Pilotprojekt ist die Meldestelle als Anlaufstelle für Asylsuchende sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Zentren des Bundes konzipiert. Die Betroffenen sollen alle Anliegen im Bereich der Unterbringung, der Betreuung sowie der Gewährleistung der Sicherheit und Ordnung bei dieser Stelle deponieren oder auch Beanstandungen über das Verhalten von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern vorbringen können. Zudem berät die Meldestelle auch Personen und vermittelt diese soweit erforderlich an weitere Fach- und Beratungsstellen oder andere Behörden. Das Pilotprojekt dauerte 18 Monate und wird durch ein externes Monitoring begleitet. Die im Rahmen dieses Pilotprojektes geprüfte Meldestelle ist jedoch nicht als unabhängige Meldestelle konzipiert, da hierfür eine gesetzliche Grundlage nötig wäre. Auch wenn das SEM das SAH mit dem Betrieb der beiden Meldestellen beauftragt hat, unterstehen diese administrativ weiterhin dem SEM. Die Unabhängigkeit soll jedoch dadurch sichergestellt werden, dass die Meldestelle ihre Aufgaben auf operativer Ebene so weit wie möglich selbstständig erfüllen kann. Sollte sich im Pilotprojekt zeigen, dass sich eine solche Meldestelle positiv auf die Sicherheit in den Zentren des Bundes auswirkt, soll die Schaffung einer unabhängigen Meldestelle auf Gesetzesstufe geprüft werden. Um sicherzustellen, dass eine entsprechende Gesetzesanpassung auf evidenzbasierten und effizienzorientierten Kriterien beruht, gilt es jedoch zunächst die Finalisierung und Auswertung des Pilotprojekts abzuwarten.
¹ Bericht über die Abklärung von Vorwürfen im Bereich der Sicherheit in den Bundesasylzentren erstattet im Auftrag des SEM vom 30. September 2021.
² SR 142.311.23
³ SR 142.31
⁴ SR 364
⁵ BGE 148 II 218 vom 17. Dezember 2021 E. 5.3 f. / BStGer CA. 2022.9. Erw. 3.2.2-3.2.5.

1.2 Verhältnis zur Legislaturplanung und zur Finanzplanung sowie zu Strategien des Bundesrates

Die Vorlage ist in der Botschaft vom 24. Januar 2024 ⁶ über die Legislaturplanung 2023 - 2027 und im Entwurf des Bundesbeschlusses ⁷ über die Legislaturplanung 2023-2027 angekündigt.
⁶ BBl 2024 525
⁷ BBl 2024 526

2 Vorverfahren, insbesondere Vernehmlassungsverfahren

2.1 Generelle Bemerkungen

Das Vernehmlassungsverfahren zur Änderung des Asylgesetzes «Sicherheit und Betrieb in den Zentren des Bundes» dauerte vom 25. Januar 2023 bis zum 3. Mai 2023 ⁸ . Insgesamt sind 76 Stellungnahmen eingegangen. Stellung genommen haben alle Kantone, fünf politische Parteien (Die Mitte, EVP, Grüne, SP, SVP), das Bundesverwaltungsgericht (BVGer) sowie 44 weitere interessierte Kreise. Sieben Vernehmlassungsteilnehmende haben ausdrücklich auf eine Stellungnahme verzichtet (BGer, Konferenz der Integrationsdelegierten, Schweizerischer Arbeitgeberverband, Schweizerischer Gemeindeverband, Schweizerisches Polizei-Institut, Schweizerische Vereinigung der Richterinnen und Richter, Verband Schweizerischer Arbeitsmarktbehörden).
Die Mehrheit der Kantone begrüsst die vorgeschlagenen Änderungen, und es werden nur wenige Anpassungsvorschläge eingebracht. Von den Parteien, die eine Stellungnahme eingereicht haben, unterstützen Die Mitte und die SVP die Vorlage vorbehaltslos. Die SP begrüsst das Vorhaben des Bundes, die Empfehlungen von Alt-Bundesrichter Oberholzer umzusetzen und die Bereiche Unterbringung, Betreuung, Sicherheit und das Disziplinarwesen umfassend im AsylG zu regeln. Sie weist u. a. auch darauf hin, dass in der Vorlage fast ausschliesslich Massnahmen vorgesehen seien, welche bei den Asylsuchenden ansetzen und nicht auch bei den Mitarbeitenden der Zentren des Bundes, insbesondere im Sicherheitsbereich. Auch die Grünen unterstützen die Vorlage, bemängeln jedoch, dass der Bundesrat die Gelegenheit nicht genutzt habe, um auch Lösungen bei der Behandlung von unbegleiteten minderjährigen Asylsuchenden vorzuschlagen. Die EVP begrüsst die Vorlage im Grundsatz, lehnt jedoch die in der Vernehmlassung vorgeschlagene Regelungen zur Seelsorge in den Zentren des Bundes ab (vgl. Art. 25 c Abs. 2 Bst. b VE-AsylG).
Von den weiteren Vernehmlassungsteilnehmenden unterstützen die Konferenz der kantonalen Justiz- und Polizeidirektorinnen und -direktoren (KKJPD), die Konferenz der Kantonalen Polizeikommandantinnen und -kommandanten der Schweiz (KKPKS) und die Vereinigung der Kantonalen Migrationsbehörden (VKM) die Vorlage ausdrücklich und bringen keine Änderungsvorschläge ein. Weitere interessierte Kreise unterstützen die Vorlage im Grundsatz, bringen jedoch Änderungsvorschläge ein. In einigen Stellungnahmen wird dabei darauf hingewiesen, dass der Fokus der Vorlage zu stark auf Sicherheitsaspekte ausgerichtet sei und zu wenig auf die Bedürfnisse der Asylsuchenden (u. a. Centres sociaux protestants [CSP], Schweizerische Flüchtlingshilfe [SFH]). Die meisten Änderungsvorschläge betreffen die Durchsuchung (Art. 9 VE-AsylG), die Disziplinarmassnahmen (Art. 25 a VE-AsylG), die vorübergehende Festhaltung zur Abwendung unmittelbarer Gefahr (Art. 25 b VE-AsylG) sowie die Delegation von Aufgaben des SEM an Dritte (Art. 25 c VE-AsylG). Die religiösen und kirchlichen Organisationen äussern sich im Rahmen der Vernehmlassung fast ausschliesslich zur vorgeschlagenen Regelung zur Seelsorge in den Zentren des Bundes (Art. 25 c Abs. 2 Bst. b VE-AsylG). Sie äussern sich insbesondere kritisch, dass ihnen Aufgaben im Bereich der Sicherheit übertragen werden sollen sowie zur vorgeschlagenen Abgeltung. Weitere Vernehmlassungsteilnehmende lehnen die Vorlage grundsätzlich ab, weil diese nicht erlaube, die ihrer Ansicht nach systematische Gewalt in den Zentren des Bundes zu verhindern (grundrechte.ch., Jesuiten-Flüchtlingsdienst Schweiz [JRS], National Coalition Building Institute [NCBI], Solinetz Schweiz, Solinetz Luzern, Solinetz Zürich, Solidarité sans frontières [Sosf]). Sie bringen jedoch ebenfalls Änderungsvorschläge ein.
⁸ ww.admin.ch > Bundesrecht > Vernehmlassungen > Abgeschlossene Vernehmlassungen > 2023 > Eidgenössisches Justiz- und Polizeidepartement

2.2 Durchsuchung (Art. 9 VE-AsylG)

Die Kantone begrüssen diese Änderung und haben nur wenige Anpassungsvorschläge. Die Parteien sind grundsätzlich damit einverstanden, die Durchsuchung ausführlich im AsylG zu regeln. Grüne, EVP und SP bringen jedoch verschiedene Änderungsvorschläge ein. Auch die Mehrheit der weiteren Vernehmlassungsteilnehmenden begrüsst eine grundsätzliche Regelung zur Durchsuchung und bringt mehrere Anpassungsvorschläge ein.
Mehrere Vernehmlassungsteilnehmende verlangen, dass im AsylG nur bei einem konkreten Verdacht eine Durchsuchung vorgesehen werden soll (u. a. Kanton GE, SP, Nationale Kommission zur Verhütung von Folter [NKVF], Flüchtlingskommissariat der Vereinten Nationen Büro für die Schweiz und Liechtenstein [UNHCR]), beziehungsweise dass eine körperliche Durchsuchung (z. B. durch Abtasten) nur bei einem konkreten Verdacht erfolgen soll (u. a. NKVF sowie sinngemäss SP).
Weiter fordern einige Teilnehmende, dass bei minderjährigen Asylsuchenden auf eine Durchsuchung zu verzichten sei (u. a. EVP, SP, NKVF, UNHCR). Zudem wird gefordert, dass bei der Durchsuchung die Wahl des Geschlechts der durchsuchenden Person möglich sein soll (u. a. SP, Amnesty International [AI], AvenirSocial, CSP).
Auf Kritik stösst bei einigen Parteien und mehreren Organisationen die Möglichkeit, Asylsuchende auf Identitätsdokumente und verfahrensrelevante Dokumente zu durchsuchen und diese Dokumente sicherzustellen (u. a. EVP, GRÜNE, SP, AI, AsyLex, AvenirSocial, Hilfswerk der Evangelischen Kirchen Schweiz [HEKS], SFH, UNHCR).
Weitere Forderungen bestehen bezüglich der Anwesenheit von medizinischem Personal bei einer körperlichen Durchsuchung (u. a. SP, CSP, grundrechte.ch, JRS, NCBI, Save the Children, Solinetz Schweiz) und der genauen Bezeichnung der für die Durchsuchung zuständigen Behörde anstelle der generellen Bezeichnung «zuständige Behörde» (BVGer).
Schliesslich wird von verschiedener Seite gefordert, dass die Sicherstellung von Dokumenten und Gegenständen protokolliert werden müsse (u. a. AI, AsyLex, HEKS, SFH, UNHCR) und dass hinsichtlich der Sicherstellung von Dokumenten oder z. B. von Beweismitteln eine Verfügung zu erlassen sei (z. B. AI, AsyLex).
Haltung des Bundesrates
Der Bundesrat weist darauf hin, dass der Gewährleistung der Sicherheit von Asylsuchenden und Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den Zentren des Bundes, in den Unterkünften an den Flughäfen und in den kantonalen Unterkünften eine hohe Priorität einzuräumen ist. Um diese Sicherheit genügend zu gewährleisten, ist es notwendig, an der generellen Möglichkeit der Durchsuchung von Asylsuchenden festzuhalten. Der Bundesrat lehnt es daher ab, die Durchsuchung nur dann vorzusehen, wenn ein konkreter Verdacht besteht. Aus den erwähnten Gründen lehnt der Bundesrat auch einen generellen Ausschluss der Durchsuchung von minderjährigen Asylsuchenden im AsylG ab. Bereits heute ist aber in den Weisungen des SEM vorgesehen, dass Minderjährige bis zu zwölf Jahren von einer Durchsuchung ausgenommen sind. Bei Verdacht auf unerlaubte oder gefährliche Gegenstände werden die Eltern beigezogen. Sollten weitere Verdachtsmomente bestehen, kann die Polizei hinzugezogen werden. In Bezug auf die unbegleiteten minderjährigen Asylsuchenden bis zu zwölf Jahren ist in der Praxis sicherzustellen, dass die Vertrauensperson oder eine Betreuungsperson bei einer notwendigen Durchsuchung anwesend ist (Art. 17 Abs. 3 AsylG und Art. 7 Abs. 2 und 3 der Asylverordnung 1 vom 11. August 1999 ⁹ über Verfahrensfragen [AsylV1]). Der Bundesrat schlägt zudem eine Regelung vor, wonach den Interessen von minderjährigen Asylsuchenden bei der Dursuchung angemessen Rechnung zu tragen ist (vgl. Art. 9 Abs. 3 E-AsylG). Das EJPD kann dazu auch Ausführungsbestimmungen erlassen (vgl. Art. 25 e Bst. g E-AsylG). Eine Regelung im AsylG, wonach das Geschlecht der durchsuchenden Person frei wählbar sein soll, erachtet der Bundesrat als in der Praxis kaum umsetzbar. Bereits heute sieht das AsylG vor, dass Asylsuchende nur von Personen gleichen Geschlechts durchsucht werden dürfen (vgl. Art. 9 Abs. 2 AsylG). Auch das ZAG enthält eine solche Regelung (Art. 20 Abs. 1 ZAG).
Zu den Anliegen bezüglich der Durchsuchung nach Identitätsdokumenten und verfahrensrelevanter Dokumente sowie deren Sicherstellung, kann ausgeführt werden, dass dies schon nach geltendem Recht möglich ist und dass sich dieses Vorgehen in der Praxis bewährt hat. Zudem sind Asylsuchende bereits heute u. a. verpflichtet, Reise- und Identitätsdokumente abzugeben und allfällige Beweismittel unverzüglich einzureichen (Art. 8 Abs. 1 Bst. b und d AsylG). Die Regelung, welche heute in Artikel 4 VO-EJPD enthalten ist, soll aus Transparenzgründen neu in einer umfassenden Bestimmung zur Durchsuchung im AsylG aufgenommen werden. Eine Sicherstellung von Dokumenten oder Gegenständen wird bereits heute protokolliert, bzw. registriert.
Die geforderte grundsätzliche Anwesenheit von medizinischem Personal bei der körperlichen Durchsuchung von Asylsuchenden geht weiter als die Vorgaben des ZAG, wonach ausschliesslich Untersuchungen im Intimbereich durch eine Ärztin oder einen Arzt erfolgen müssen (Art. 20 Abs. 4 ZAG).
Die Ausstellung einer Verfügung bei einer vorübergehenden Sicherstellung von Dokumenten und Gegenständen lehnt der Bundesrat ab. Eine betroffene Person kann jedoch auf der Grundlage von Artikel 25 a des Verwaltungsverfahrensgesetz vom 20. Dezember 1968 1⁰ (VwVG) eine Verfügung verlangen. Schliesslich soll das Anliegen des BVGer zur Klarstellung der für die Durchsuchung zuständigen Behörde aufgenommen werden. Neu soll im AsylG festgehalten werden, dass das SEM in den Zentren des Bundes und in den Unterkünften an den Flughafen die zuständige Behörde für die Durchsuchung ist (vgl. Art. 9 Abs. 1 E-AsylG).
⁹ SR 142.311
1⁰ SR 172.021

2.3 Betrieb der Zentren des Bundes und der Unterkünfte an den Flughäfen (Art. 25 VE-AsylG)

Die Kantone begrüssen diese Änderung und haben nur wenige Anpassungsvorschläge. Auch die Parteien sind grundsätzlich damit einverstanden, dass im AsylG neu eine umfassende Regelung zum Betrieb der Zentren des Bundes und der Unterkünfte an den Flughäfen aufgenommen werden soll. Grüne, EVP und SP bringen jedoch verschiedene Änderungsvorschläge ein. Auch die Mehrheit der weiteren Vernehmlassungsteilnehmenden begrüsst eine solche Regelung im AsylG. Es werden jedoch zahlreiche Anpassungsvorschläge vorgebracht.
Der Kanton OW möchte, dass sich die polizeilichen Kompetenzen des SEM auf den Umkreis der entsprechenden Unterkunft des Bundes beschränken. Der Kanton ZG wünscht eine Klarstellung, wonach der Einsatz von Waffen nicht grundsätzlich untersagt werden soll, insbesondere durch die Polizei und in Notsituationen.
Andere Vernehmlassungsteilnehmende möchten, dass neben den Waffen bestimmte Hilfsmittel wie z. B. Diensthunde oder Handschellen bei der Anwendung von Zwang ausgenommen werden sollen (u. a. Grüne, SP, CSP, HEKS, NKVF, SFH, Schweizerisches Rotes Kreuz [SRK], UNHCR).
Weitere Teilnehmende möchten, dass die Gesundheitsversorgung und/oder die Beschäftigung der Asylsuchenden explizit in Artikel 25 VE-AsylG erwähnt werden (u. a. Grüne, SP SFH, Solinetz Schweiz, Stadt Zürich).
Ausserdem wird vorgeschlagen, dass bei einer Zwangsanwendung immer ein Bericht zu erstellen sei (u. a. EVP, Grüne, SP, AI, AsyLex, Grundrechte.ch, HEKS, Ordre des avocats de Genève [ODAGE]) und dass eine Beschwerdemöglichkeit vorgesehen werden soll (u. a. AsyLex, CSP).
Zudem möchten einige Teilnehmende, dass im Rahmen der Durchsuchung sowie beim Vollzug von Disziplinarmassnahmen kein Zwang angewendet wird (u. a. GRÜNE, SP, AI, CSP, NCBI, UNHCR). Schliesslich wird gefordert, dass die Einhaltung des Verhältnimässigkeitsprinzips bei der Anwendung von polizeilichem Zwang und polizeilichen Massnahmen explizit im AsylG verankert wird (u. a. AI, AsyLex, NCBI, SFH, Plattform «Zivilgesellschaft in Asyl- und Bundeszentren» [ZiAB]).
Haltung des Bundesrates
Artikel 25 Absatz 3 VE-AsylG sieht bereits vor, dass Waffen seitens des SEM nicht zur Anwendung gelangen dürfen. Diese Regelung soll beibehalten werden (vgl. Art. 25 Abs. 3 E-AsylG). Für den Einsatz von Waffen durch kantonale Polizeibehörden im Rahmen eines polizeilichen Einsatzes in einem Zentrum des Bundes finden die entsprechenden kantonalen Regelungen Anwendung. Die Kompetenzen zur Anwendung von Zwang durch das SEM sind auf die entsprechende Unterkunft beschränkt.
Was den Einsatz von Hilfsmitteln nach Artikel 14 ZAG anbelangt, so sollen diese ausschliesslich zur Wahrung der Sicherheit und unter Beachtung des Verhältnismässigkeitsprinzip zur Anwendung gelangen. Im Interesse der Sicherheit erachtet es der Bundesrat daher nicht als sinnvoll, von vornherein gewisse Hilfsmittel gesetzlich auszuschliessen. Auch bei der Anwendung dieser Hilfsmittel sind die Regelungen des ZAG vollumfänglich zu beachten.
Eine explizite Erwähnung der Gesundheitsversorgung und der Beschäftigung von Asylsuchenden in Artikel 25 E-AsylG ist nicht notwendig. Bereits Artikel 80 Absatz 1 AsylG sieht die Zuständigkeit des Bundes für die Gesundheitsversorgung in den Zentren des Bundes vor, und die Beschäftigung der Asylsuchenden ist bereits Bestandteil der Betreuung, welche in Artikel 25 E-AsylG ausdrücklich erwähnt wird. Zudem sind die in Artikel 25 Absatz 1 E-AsylG aufgezählten Tätigkeiten des SEM (Unterbringung, Betreuung, Gewährleistung von Sicherheit und Ordnung) nicht abschliessend.
Bereits heute erfolgt bei jeder Intervention des Sicherheitspersonals, bzw. bei jeder Anwendung von polizeilichem Zwang und polizeilichen Massnahmen in den Zentren des Bundes und in den Unterkünften an den Flughäfen, eine Berichterstattung in Form eines schriftlichen Rapports. Der Bundesrat schlägt vor, diese Berichterstattung in der VO-EJPD zu regeln. Die Anwendung von polizeilichem Zwang und polizeilichen Massnahmen bildet einen Realakt, bei welchem gestützt auf Artikel 25 a VwVG eine Feststellungsverfügung verlangt werden kann und gegen welche innerhalb von 30 Tagen der Beschwerdeweg an das BVGer offensteht.
Neu soll die Beachtung des Verhältnismässigkeitsprinzips in Artikel 25 Absatz 2 E-AsylG explizit aufgenommen werden. Damit soll klargestellt werden, dass Zwang bei der Durchsuchung, beim Vollzug der Disziplinarmassnahmen, bei der Gefahrenabwehr und bei der vorübergehenden Festhaltung nur dann angewendet wird, wenn dies erforderlich ist.
Der Bundesrat hat Verständnis für das Anliegen des Kantons OW, wonach polizeilicher Zwang und polizeiliche Massnahmen auf die Unterkunft und auf den Umkreis der entsprechenden Unterkunft des Bundes begrenzt werden sollen. Da sich bereits aus dem Titel und Absatz 1 von Artikel 25 E-AsylG klar ergibt, dass sich die Regelung nur auf die Zentren des Bundes und auf die Unterkünfte an den Flughafen beschränkt, erachtet der Bundesrat diesen Zusatz in Absatz 2 nicht als notwendig.

2.4 Disziplinarmassnahmen (Art. 25

a

VE-AsylG)

Die Kantone begrüssen diese Änderung und haben nur wenige Anpassungsvorschläge. Die Parteien sind grundsätzlich damit einverstanden, dass die Disziplinarmassnahmen neu im AsylG aufgenommen werden sollen. Grüne, EVP und SP bringen verschiedene Änderungsvorschläge ein. Auch die Mehrheit der weiteren Vernehmlassungsteilnehmenden begrüsst eine entsprechende grundsätzliche Regelung auf Gesetzesstufe. Es werden jedoch zahlreiche Anpassungsvorschläge vorgebracht.
Der Kanton TI fordert, dass das SEM auch für Fehlverhalten ausserhalb der Zentren des Bundes Disziplinarmassnahmen anordnen kann. Der Kanton FR wünscht eine Ergänzung in Artikel 25 a Absatz 1 VE-AsylG, wonach auch bei einer Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung vom SEM Disziplinarmassnahmen angeordnet werden können.
Der Kanton SO und weitere Vernehmlassungsteilnehmende möchten, dass die Verweigerung der Teilnahme an Beschäftigungsprogrammen nicht als Disziplinarmassnahme vorgesehen wird (u. a. Aumônerie genevoise œcuménique auprès de requérants d’asile et de réfugiés [Agora], AsyLex, AvenirSocial, CSP, Grundrechte.ch, HEKS, NKVF, SFH, SRK, ODAGE).
In Übereinstimmung mit weiteren Vernehmlassungsteilnehmenden (u. a. AsyLex, CSP, HEKS, NKVF, ODAGE), lehnen EVP, GRÜNE und SP die Einschränkung der Sozialhilfeleistungen als Disziplinarmassnahme ab. Auch die Möglichkeit, Asylsuchende für bis zu 72 Stunden aus allgemein zugänglichen Räumen der Zentren des Bundes auszuschliessen, wird von verschiedenen Teilnehmenden (u. a. AI, Agora, Conseil cantonal de pastorale œcuménique auprès des personnes réfugiées / Église catholique Vaud [COER], Église réformée évangélique du canton de Neuchâtel [EREN] oder Grundrechte.ch) als unverhältnismässig erachtet. Dabei wird jedoch teilweise betont, dass zumindest der Kontakt mit der Rechtsvertretung gewährleistet sein muss.
Mehrere Vernehmlassungsteilnehmende fordern zudem, dass Disziplinarmassnahmen nur bei Erwachsenen angeordnet werden sollen (u. a. SP, AI, Église protestante de Genève [EPG], Save the Children, SFH, Solinetz Schweiz, Sosf). Das UNHCR empfiehlt, dass bei Minderjährigen pädagogische Massnahmen vorzuziehen seien. Dies sei im AsylG explizit vorzusehen. Auch die NKVF spricht sich für pädagogische Massnahmen aus.
Der Kanton VD und weitere Vernehmlassungsteilnehmende fordern, dass bei der Anordnung einer Disziplinarmassnahme eine Verfügung zu erlassen sei (u. a. AsyLex, Agora, Église catholique NE, Internationale Organisation für Migration [IOM], JRS, Flüchtlingsparlament, NKVF, SFH, und SRK). Die Eidgenössische Migrationskommission [EKM] und das UNHCR fordern, dass die Dauer der Disziplinarmassnahmen gesetzlich geregelt wird. Viele der Teilnehmenden äussern sich zudem zum Beschwerdeverfahren und verlangen teilweise eine Verlängerung der Beschwerdefrist (u. a. AsyLex, HEKS, ODAGE, SFH, SRK und Sosf). Des Weiteren soll bei allen Disziplinarmassnahmen eine unabhängige Beschwerdeinstanz vorgesehen werden (u. a. EVP, SP, AI, AvenirSocial, CSP, Grundrechte.ch, HEKS, ODAGE SFH, und SRK). Einige der Vernehmlassungsteilnehmenden möchten, dass das BVGer bei bestimmten Disziplinarmassnahmen als Beschwerdeinstanz vorgesehen wird (u. a. Agora, EREN, NKVF, SFH und SRK). Auch das BVGer erachtet eine klare Regelung des Rechtsweges an das BVGer auf Gesetzesstufe als wünschenswert. Es soll klar festgelegt werden, welche Disziplinarmassnahmen vor dem BVGer angefochten werden können. Das BVGer möchte zudem, dass der Begriff «Disziplinarbeschwerde» durch den klareren Begriff «Beschwerde gegen eine Disziplinarmassnahme» ersetzt werde. Mehrere Teilnehmende betonen die Wichtigkeit, dass die Betroffenen über die Disziplinarmassnahmen sowie über die Beschwerdemöglichkeiten informiert werden (u. a. AI, Agora, EPG, JRS und das SRK). In Bezug auf die Beschwerdemöglichkeiten bei Zuweisungen in ein besonderes Zentrum (Art. 24 a AsylG), verweist das BVGer auf seine Rechtsprechung (Urteil F-1389/2019 vom 20. April 2020, BVGE 2020 VI/10). Die NKVF fordert, dass eine Zwischenverfügung bei einer solchen Zuweisung selbständig beim BVGer anfechtbar sein soll (ähnlich u. a. HEKS, ODAGE und SFH).
Mehrere Vernehmlassungsteilnehmende fordern schliesslich, dass auch im Disziplinarverfahren ein unentgeltlicher Rechtsschutz gewährleistet werden soll (u. a. Agora, CSP, EKM, SFH und SRK).
Haltung des Bundesrates
Der Bundesrat hat Verständnis für die Anliegen der Kantone FR und TI und schlägt eine Ergänzung in Artikel 25 a Absatz 1 E-AsylG vor. Neu sollen Disziplinarmassnahmen auch bei einer Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung «in unmittelbarer Nähe» der Zentren des Bundes und der Unterkünfte an den Flughäfen angeordnet werden können (vgl. hierzu Erläuterungen zu Art. 25 a Abs. 1 E-AsylG). Eine weitergehende Regelung erachtet der Bundesrat als nicht verhältnismässig.
Zur Forderung der Streichung von gewissen Disziplinarmassnahmen, beispielsweise des Ausschlusses von Beschäftigungsprogrammen, kann Folgendes ausgeführt werden: Es ist wichtig, dass Disziplinarmassnahmen einzelfallgerecht und verhältnismässig angeordnet werden können. Aus diesem Grund sollen bei leichtem Fehlverhalten auch entsprechend mildere Disziplinarmassnahmen vorgesehen werden können. Im AsylG sollen deshalb auch Disziplinarmassnahmen wie der Taschengeldentzug oder der Ausschluss aus Beschäftigungsprogrammen, welche zeitlich befristet angeordnet werden, vorgesehen werden. Hinsichtlich der Beschäftigungsprogramme in den Zentren des Bundes kann zudem ausgeführt werden, dass grundsätzlich kein Anspruch auf die Teilnahme an einem bestimmten Beschäftigungsprogramm besteht (vgl. Art. 10 Abs. 3 VO-EJPD). Dasselbe gilt für die Ausrichtung von Taschengeld (vgl. Art. 12 VO-EJPD).
Die Einschränkung der Sozialhilfe ist bereits im geltenden Recht vorgesehen (vgl. Art. 83 Abs. 1 Bst. g AsylG) und hat sich sowohl auf kantonaler Ebene als auch auf Bundesebene bewährt. Sie kann erst nach einer entsprechenden Vorwarnung angeordnet werden. Neu soll die Einschränkung der Sozialhilfe aus Gründen der Transparenz und besseren Nachvollziehbarkeit auch bei der Regelung zu den Disziplinarmassnahmen im AsylG explizit aufgeführt werden.
Hinsichtlich des Ausschlusses aus den allgemein zugänglichen Räumen der Zentren des Bundes und der Unterkünfte an den Flughäfen für höchstens 72 Stunden (Art. 25 a Abs. 3 Bst. d E-AsylG) schlägt der Bundesrat eine Präzisierung im AsylG vor, wonach den betroffenen Personen ein separater Raum zur Verfügung gestellt und der Zugang zur Rechtsberatung und -vertretung gewährleistet werden soll.
Bezüglich der Anordnung von Disziplinarmassnahmen bei minderjährigen Asylsuchenden schlägt der Bundesrat, eine Regelung vor, wonach den Interessen von minderjährigen Asylsuchenden bei der Anordnung von Disziplinarmassnahmen angemessen Rechnung zu tragen ist (vgl. Art. 25 a Abs. 2 E-AsylG). Zudem soll im AsylG eine Regelung vorgesehen werden, wonach auf Verordnungsstufe der Vorrang pädagogischer Massnahmen bei minderjährigen Personen präzisiert werden soll (Art. 25 e Bst. g E-AsylG). Einen generellen Ausschluss der Anordnung von Disziplinarmassnahmen bei minderjährigen Asylsuchenden lehnt der Bundesrat hingegen ab.
Auch das Anliegen nach dem Erlass einer Verfügung bei der Anordnung von Disziplinarmassnahmen erachtet der Bundesrat als berechtigt. Neben der Zuweisung in ein besonderes Zentrum (Zwischenverfügung) soll neu auch bei allen anderen Disziplinarmassnahmen eine Formular-Verfügung erlassen werden (vgl. Art. 25 a Abs. 4 E-AsylG). Die asylsuchende Person kann innerhalb von drei Tagen eine Beschwerde bei der Beschwerdeinstanz des SEM einreichen. Gegen diesen Entscheid kann sie, sofern ein schutzwürdiges Interesse besteht, eine Beschwerde beim BVGer einreichen (vgl. Art. 25 a Abs. 5 E-AsylG). Die kurze Beschwerdefrist von drei Tagen für die Beschwerde an das SEM erachtet der Bundesrat als angemessen, weil die formellen Anforderungen an die Einreichung einer entsprechenden Beschwerde relativ niedrig sind (Formularbeschwerde). Die Einzelheiten zum entsprechenden Beschwerdeverfahren sollen wie bis anhin auf Verordnungsstufe geregelt werden (vgl. Art. 29 VO-EJPD).
Zur Anfechtbarkeit der Zwischenverfügung betreffend die Zuweisung in ein Besonderes Zentrum nach Artikel 24 a AsylG schlägt der Bundesrat vor, die Rechtsprechung des BVGer im AsylG zu verankern (vgl. Art. 25 a Abs. 6 i.V. mit Art. 107 Abs. 3 E-AsylG).
Zur Forderung, dass die Dauer der jeweiligen Disziplinarmassnahme im AsylG festzulegen ist, kann ausgeführt werden, dass der Gesetzesentwurf bereits vorsieht, dass jede Disziplinarmassnahme zu befristen ist (Art. 25 a Abs. 1 E-AsylG). Auf Verordnungsstufe können zu den einzelnen Massnahmen jeweils noch eine Maximaldauer vorgesehen werden.
Neu schlägt der Bundesrat vor, dass die Asylsuchenden nach Eintritt in das Zentrum des Bundes oder die Unterkunft am Flughafen über mögliche Massnahmen, insbesondere über das Disziplinarwesen, orientiert werden. Diese Orientierung soll auch die einzelnen Disziplinarmassnahmen und den jeweiligen Beschwerdeweg umfassen (Art. 25 Abs. 4 E-AsylG).
Schliesslich lehnt der Bundesrat die Gewährleistung eines umfassenden Rechtsschutzes für das Disziplinarverfahren ab, weil ein Disziplinarverfahren, beispielsweise auch ein Strafverfahren, unabhängig vom eigentlichen Asylverfahren betrachtet werden muss. Wie bis anhin soll jedoch die Rechtvertretung in den Zentren des Bundes über die jeweilige Anordnung von Disziplinarmassnahmen informiert werden (vgl. Art. 26 Abs. 4 VO-EJPD).

2.5 Vorübergehende Festhaltung zur Abwendung unmittelbarer Gefahr (Art. 25

b

VE-AsylG)

Grundsätzlich begrüssen alle Kantone diese Änderung und haben nur wenige Bemerkungen (u. a. zur Umsetzung der vorübergehenden Festhaltung in der Praxis und zum Verhältnis dieser Massnahme insbesondere zur polizeilichen Festhaltung). Die Mehrheit der Parteien und der weiteren Vernehmlassungsteilnehmenden begrüssen, dass die vorübergehende Festhaltung neu im AsylG und nicht mehr auf Verordnungsstufe geregelt wird, und bringen verschiedene Anpassungsvorschläge ein. EVP und SP sowie weitere Teilnehmende (u. a. HEKS, SFH, SRK, ZiAB) stehen der vorübergehenden Festhaltung grundsätzlich kritisch gegenüber.
Verschiedene Kantone erachten es als in der Praxis nicht umsetzbar, dass die Polizeibehörden unmittelbar vor der Anordnung einer vorübergehenden Festhaltung informiert werden müssen. Sie schlagen vor, dass eine entsprechende Information erst im Anschluss an die Festhaltung erfolgen solle (u. a. Kantone TG, ZG, ZH). Die Kantone GL, OW und TI erachten die Maximaldauer von zwei Stunden für die Anordnung einer vorübergehenden Festhaltung als zu kurz. Der Kanton SO weist darauf hin, dass die Dauer der vorübergehenden Festhaltung keine präjudizielle Wirkung auf andere Arten des Freiheitsentzugs hat und nicht an die Maximaldauer anderer Haftarten angerechnet werden dürfe (so u. a. auch KKJPD, KKPKS).
Mehrere Vernehmlassungsteilnehmende verlangen, dass minderjährige Asylsuchende grundsätzlich von der Anordnung einer vorübergehenden Festhaltung ausgenommen werden sollen und nicht nur die unter 15-jährigen Personen (u. a. Kanton GE, AI, Asylex, AvenirSocial, CSP, EKM, HEKS, IOM, JRS, SFH SRK).
Weiter wird von verschiedener Seite gefordert, dass der Grundsatz der Verhältnismässigkeit im AsylG ausdrücklich geregelt werden soll (u. a. AI, CSP, Grundrechte.ch, HEKS, IOM, JRS, NCBI, ODAGE). In diesem Zusammenhang verlangen einige Vernehmlassungsteilnehmende auch, dass mit einer betroffenen Person vor der Anordnung einer vorübergehenden Festhaltung ein Gespräch geführt werden solle (u. a. AvenirSocial, Grundrechte.ch, JRS, NCBI, Sosf).
Des Weiteren soll im AsylG die Möglichkeit vorgesehen werden, die Anordnung einer vorübergehenden Festhaltung auf Gesuch hin nachträglich richterlich überprüfen zu lassen (u. a. HEKS, SFH, UNHCR).
Hinsichtlich der Ausbildung der zuständigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei der Umsetzung der vorübergehenden Festhaltung werden von verschiedener Seite Präzisierungen im AsylG gefordert. So müsse insbesondere die Ausbildung besonders auf die Anwendung von Zwang ausgerichtet sein (u. a. AvenirSocial, IOM, JRS, NCBI, Sosf).
Haltung des Bundesrates
Der Bundesrat kann die Einwände der Kantone hinsichtlich des Zeitpunkts der Information der Polizeibehörden nachvollziehen. Er weist jedoch darauf hin, dass die vorgängige Information der Polizeibehörden bereits der geltenden Praxis entspricht und sich bewährt hat. Die vorgängige (bzw. gleichzeitige) Information der Polizeibehörden bildet eine Voraussetzung dafür, dass eine Festhaltung angeordnet werden kann.
Die Festhaltung soll bis zum Eintreffen der Polizei, bzw. maximal zwei Stunden dauern. Eine längere Dauer erachtet der Bundesrat in Anbetracht der Tatsache, dass es sich um eine vorübergehende Massnahme bis zum Eintreffen der Polizei handelt und der unmittelbaren Gefahrenabwehr dient, als nicht verhältnismässig. Da die vorübergehende Festhaltung keine Massnahme zur Strafverfolgung darstellt, soll sie nicht an die Dauer einer polizeilichen Anhaltung oder einer polizeilichen Festnahme angerechnet werden (vgl. Erläuterungen zu Art. 25 b Abs. 2 E-AsylG).
Nach Ansicht des Bundesrates soll an der Altersgrenze von 15 Jahren festgehalten werden. Diese Altersgrenze entspricht derjenigen im Ausländer- und Integrationsgesetz vom 16. Dezember 2005 1¹ (AIG) bei der Anordnung der ausländerrechtlichen Administrativhaft (vgl. Art. 80 Abs. 4 AIG).
Zur Klarstellung, dass auch bei einer vorübergehenden Festhaltung in einer Gefahrensituation der Grundsatz der Verhältnismässigkeit zu beachten ist, schlägt der Bundesrat eine entsprechende Ergänzung vor (vgl. Art. 25 b Abs. 1 Bst. a E-AsylG). Ein vorgängiges Gespräch mit der betroffenen Person erachtet der Bundesrat aufgrund der jeweiligen Dringlichkeit in solchen «Notwehrsituationen» als nicht umsetzbar. In entsprechenden Gefahrensituationen muss sehr schnell gehandelt werden, um eine Gefährdung anderer Personen oder grösseren Sachschaden zu verhindern.
Eine gesetzlich verankerte, nachträgliche Beschwerdemöglichkeit für die vorübergehende Festhaltung lehnt der Bundesrat ab. Die Anordnung einer vorübergehenden Festhaltung stellt einen Realakt dar, welcher in die Grundrechte der betroffenen Personen eingreift. Aus diesem Grund haben die Betroffenen die Möglichkeit, vom SEM eine anfechtbare Verfügung zu verlangen (vgl. Art. 25 a VwVG; vgl dazu auch Erläuterungen zu Art. 25 b Abs. 1 E-AsylG).
Hinsichtlich der Forderung nach einer Regelung zur spezifischen Ausbildung von Personen, die eine kurzfristige Festhaltung vollziehen, verweist der Bundesrat auf die entsprechenden Bestimmungen des ZAG (insbesondere Art. 29 und 30 ZAG) sowie auf die entsprechenden Bestimmungen dieser Vorlage zur Ausbildung, zu den Qualitätsstandards und zur Aufsicht des SEM im Rahmen der Übertragung von Aufgaben an Dritte (vgl. Art. 25 c Abs. 3-5 E-AsylG).
1¹ SR 142.20

2.6 Übertragung von Aufgaben an Dritte (Art. 25

c

VE-AsylG)

Die vorgeschlagene Regelung wird von allen Kantonen begrüsst. Auch die Parteien äussern sich grundsätzlich zustimmend dazu. Die SP steht der Übertragung von Aufgaben an Dritte, welche unter das Gewaltmonopol des Staates fallen, grundsätzlich kritisch gegenüber. Die Mehrheit der weiteren Vernehmlassungsteilnehmenden begrüsst die vorgeschlagene Regelung im Grundsatz. Auch hier erachten aber einige der Teilnehmenden die Übertragung von Sicherheitsaufgaben an Dritte u. a. aufgrund des Gewaltmonopols des Staates als kritisch (u. a. AsyLex, HEKS, SFH).
Der Kanton GE findet, dass nur unterstützende Massnahmen an Dritte delegiert werden sollten. Er fordert zudem eine stärkere Präsenz des SEM in den Zentren des Bundes, insbesondere im Sicherheitsbereich. Verschiedene Teilnehmende lehnen grundsätzlich den Einbezug von privaten Sicherheitsunternehmen bei staatlichen Aufgaben ab (u. a. AvenirSocial, Grundrechte.ch, JRS, NKVF, NCBI, SGB).
Mehrere Vernehmlassungsteilnehmende verlangen eine abschliessende Aufzählung, derjenigen Aufgaben, welche an Dritte durch das SEM delegiert werden sollen. Der Begriff «insbesondere» in Artikel 25 c Absatz 1 VE-AsylG solle gestrichen werden (u. a. Grüne, CSP).
Die vorgeschlagenen Anforderungen an diejenigen Dritte, die im Auftrag des SEM im Betreuungs- und Sicherheitsbereich tätig sein sollen (z. B. hinsichtlich Qualität, Ausbildungsstand oder Aufsichtsstruktur, vgl. Art. 25 c Abs. 3 VE-AsylG) sind nach Ansicht verschiedener Vernehmlassungsteilnehmender zu wenig ausführlich (u. a. AI, SFH, SP). Einige Teilnehmende fordern, dass diesbezüglich zumindest auf Verordnungsstufe weitere Präzisierungen erfolgen (u. a. ODAGE, SFH). Das UNHCR empfiehlt, dass Artikel 25 c Absatz 6 VE-AsylG präzisiert werden soll. Das ZAG soll nur bei denjenigen Massnahmen anwendbar sein, bei welchen effektiv eine Anwendung von Zwang in Frage kommt, bzw. soll auf Artikel 25 Absatz 2 VE-AsylG verwiesen werden (so auch CSP).
Weitere Vernehmlassungsteilnehmende beantragen eine Ergänzung, damit das SEM die Ausbildungskosten der beauftragten Dritten übernehmen kann (u. a. HEKS, SFH, vgl. Art. 25 c Abs. 3 und 7 VE-AsylG).
Haltung des Bundesrates
Um die Sicherheit in den Zentren des Bundes und in den Unterkünften an den Flughäfen wirksam gewährleisten zu können, ist es notwendig, dass das SEM im Sicherheitsbereich spezialisierten Dritten entsprechende Aufgaben übertragen kann. Ohne eine solche Delegation müssten die Aufgaben im Sicherheitsbereich durch speziell ausgebildetes Bundespersonal wahrgenommen werden, was erhebliche Zusatzkosten in Millionenhöhe zur Folge hätte. Da bei einer Delegation von Aufgaben im Sicherheitsbereich erhöhte Anforderungen bestehen, enthält die vorgeschlagene Regelung präzise Anforderungen (z. B. bezüglich der Qualität und den Anforderungen an die Rekrutierung und Ausbildung des entsprechenden Personals, vgl. Art. 25 c Abs. 3-5 E-AsylG). Schliesslich soll im AsylG klar festgehalten werden, dass bei der Anwendung von polizeilichem Zwang und polizeilichen Massnahmen das ZAG anwendbar und der Einsatz von Waffen untersagt ist (vgl. Art. 25 c Abs. 6 E-AsylG).
Die Forderung nach einer abschliessenden Aufzählung der delegierbaren Aufgaben an Dritte im Bereich der Unterbringung und Betreuung lehnt der Bundesrat ab. Es ist wichtig auch in Zukunft die notwendige Flexibilität bei neuen Aufgaben in diesen Bereichen gewährleisten zu können. Hingegen soll für die Delegation von Aufgaben im Rahmen der Gewährleistung der Sicherheit und Ordnung eine abschliessende Regelung vorgesehen werden.
Der Bundesrat teilt die Auffassung verschiedener Vernehmlassungsteilnehmender, dass Dritte, die im Auftrag des Bundes in den Bereichen Unterbringung, Betreuung und Sicherheit tätig sind, hohe Qualitätsstandards, insbesondere hinsichtlich der Aus- und Weiterbildung, erfüllen müssen. Er ist jedoch der Ansicht, dass es ausreichend ist, die entsprechenden Grundzüge auf Gesetzesstufe zu regeln. Weitere Vorgaben zur Ausbildung im Sicherheitsbereich, aber auch zu den Qualitätsstandards oder zum Controlling können auf Verordnungsstufe geregelt werden (vgl. Art. 25 e E-AsylG).
Der Bundesrat hat Verständnis für das Anliegen einiger Teilnehmender, dass das ZAG nur dann Anwendung finden soll, wenn es sich um polizeiliche Massnahmen handelt. Der Verweis auf Aufgaben nach Artikel 25 c Absatz 2 E-AsylG soll deshalb gestrichen werden. Bei einer Übertragung von Aufgaben an Dritte richtet sich die Anwendung von Zwang nach Artikel 25 Absatz 3 E-AsylG. Die Regelung in 25 c Absatz 6 E-AsylG dient lediglich der Klarstellung.
Zum Anliegen bezüglich der Ausbildungskosten der beauftragten Dritten weist der Bundesrat auf die vorgeschlagenen Regelungen in den Absätzen 3, 5 und 7 hin. Demnach wird die Tragung der notwendigen Ausbildungskosten durch Vertrag geregelt.

2.7 Seelsorgliche Tätigkeiten (Art. 25

c

Abs. 2 Bst. d und Art. 25

c

Abs. 7 zweiter Satz VE-AsylG)

Die Kantone, die Mitte sowie GRÜNE und die SVP bringen keine Einwände gegen die vorgeschlagene Regelung vor. Die EVP, die SP und eine klare Mehrheit der interessierten Kreise lehnen diese ab und schlagen eine neue Regelung im AsylG vor.
Für die EVP und die SP kann der Gesetzgeber weder den Zweck der seelsorglichen Tätigkeit definieren noch Seelsorgerinnen und Seelsorgern in den Zentren des Bundes Aufgaben zuweisen. Die EVP unterstützt die von den Landeskirchen geäusserte Meinung, wonach die Seelsorge keine Vertrauensbeziehung aufbauen kann, wenn ihre Funktion in den Bereich der Sicherheitsaufgaben fällt bzw. einer staatlichen Sicherheits- und Ordnungsaufgabe zuzuordnen ist. Die vorgeschlagene Regelung erscheine zudem diskriminierend, da sie die Komplexität der Finanzierung der seelsorglichen Tätigkeit in den Kantonen nicht berücksichtige. Die EVP und die Landeskirchen weisen beispielsweise darauf hin, dass die evangelischen Kirchen von TI und VS bzw. die römisch-katholische Kirche in BL und BS nur über geringe Steuereinnahmen aufgrund einer geringen Anzahl von Gemeindemitgliedern verfügen. Dies hindere sie daran, auf ihrem Kantonsgebiet selbst Seelsorgeaufgaben in den Zentren des Bundes zu übernehmen.
Viele Teilnehmende sind auch gegen die Erwähnung der Seelsorgetätigkeit in einer Bestimmung zur Gewährleistung von Sicherheit und Ordnung in den Zentren des Bundes, da eine solche Tätigkeit unabhängig ausgeübt werden können muss (so z. B. AI, Heilsarmee, Asylex, AvenirSocial, CSP, HEKS, JRS, NCBI, Solinetz, Schweiz, Sosf, ZiAB).
Die Föderation Islamischer Dachorganisationen Schweiz [FIDS] begrüsst die neue Regelung sowie die Entschädigung der Religionsgemeinschaften, die keine Kirchensteuer erheben können. Sie schlägt zudem eine Finanzierung über Pauschalen vor.
Die Landeskirchen (Agora, Christkatholische Kirche der Schweiz, COER, Église catholique Neuchâtel, Église évangélique réformée du canton de Fribourg, EREN, EPG, Graubünden reformiert, Römisch-katholische Kirche BL [KCR-BL], Reformierte Kirche Kanton Luzern, Schweizerische Evangelische Allianz [SEA], Evangelisch-reformierte Kirche Schweiz [EKS], Schweizer Bischofskonferenz [SBK], Römisch-Katholische Zentralkonferenz der Schweiz [RKZ]) und der Verband Schweizerischer Jüdischer Fürsorgen (VSJF) begrüssen zwar den Stellenwert der Seelsorge im Gesetzesentwurf und betonen die Relevanz der Arbeit, die in den Zentren des Bundes von den Seelsorgerinnen und Seelsorgern geleistet wird. Sie lehnen jedoch die in Artikel 25 c Absatz 2 Buchstabe b und Absatz 7 VE-AsylG vorgeschlagene Regelung ab. Diese führe zu einer Ungleichbehandlung der Religionsgemeinschaften und verletze die Pflicht des Staates zur religiösen Neutralität. Sie empfehlen, die Kriterien für die Finanzierung von Seelsorgeaktivitäten auf Verordnungs- oder Weisungsebene festzulegen.
Haltung des Bundesrates
Die Seelsorge hat in den Zentren des Bundes einen hohen Stellenwert, da sie ein bewährtes Instrument zur interkulturellen Vermittlung und zum friedlichen Zusammenleben im Alltag darstellt. Sie leistet einen zentralen Beitrag zur Gewaltprävention (vgl. auch Erläuterungen zu Art. 25 Abs. 5 E-AsylG).
Der Bundesrat teilt die Auffassung, dass die Seelsorge, unabhängig davon, ob sie von privatrechtlichen Religionsgemeinschaften oder öffentlich-rechtlich anerkannten Kirchen ausgeübt wird, an sich keine staatliche Aufgabe zur Gewährleistung von Sicherheit und Ordnung ist und als solche nicht an Dritte delegiert werden kann. Die Tätigkeit der Seelsorge muss daher aus Artikel 25 c Absatz 2 Buchstabe b VE-AsylG gestrichen werden.
Der Bundesrat teilt auch die Ansicht, dass die Entschädigung nur von Religionsgemeinschaften, die keine Kirchensteuer erheben dürfen, diskriminierend sein kann, insbesondere gegenüber öffentlich-rechtlich anerkannten Kirchen, die nicht über genügend finanzielle Mittel verfügen, um eine Seelsorgetätigkeit in den Zentren des Bundes oder in den Unterkünften an den Flughäfen zu übernehmen. Die vorgeschlagene Form der Entschädigung ist deshalb ebenfalls aus Artikel 25 c Absatz 7 VE-AsylG zu streichen.
Aufgrund der positiven Erfahrungen mit der seelsorglichen Tätigkeit in den Zentren des Bundes schlägt der Bundesrat vor, im AsylG eine explizite gesetzliche Grundlage für diese Tätigkeit zu verankern. Damit soll sichergestellt werden, dass alle Religionsgemeinschaften Zugang zu den Zentren des Bundes und den Unterkünften an den Flughäfen haben, um Asylsuchenden seelsorgliche Beratung und Betreuung anzubieten. Unabhängig von der Möglichkeit, Kirchensteuern zu erheben, kann der Bund durch Vereinbarung und auf der Grundlage kostengünstiger Lösungen Beiträge für die Ausübung der seelsorglichen Tätigkeit ausrichten (vgl. Art. 25 Abs. 5 E-AsylG).
Da der Bund eine Entschädigung auf der Grundlage einer Vereinbarung zwischen dem SEM und der betreffenden Religionsgemeinschaft leisten kann, lehnt der Bundesrat den Vorschlag ab, die Kriterien für die Finanzierung der Seelsorgeaktivitäten auf Verordnungsstufe zu regeln.

2.8 Generelle Ausführungsbestimmungen (Art. 25

d

VE-AsylG)

Grundsätzlich treffen die generellen Ausführungsbestimmungen auf Zustimmung, und es werden nur wenige Bemerkungen dazu vorgebracht.
So schlägt der Kanton FR vor, die Ausführungsbestimmungen dahingehend zu ergänzen, dass das EJPD auch Regelungen zur Weitergabe von personenbezogenen Daten an polizeiliche Behörden zwecks Aufklärung von Verbrechen oder Vergehen erlassen kann. Der Kanton ZG schlägt vor, die Regelung zu den Ausführungsbestimmungen als «Kann-Vorschrift» auszugestalten. Zudem wird vorgeschlagen, in Artikel 25 d VE-AsylG weitere Bereiche aufzuführen (z. B. die Aus- und Weiterbildung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Sicherheits- oder Betreuungsbereich und das Verfahren bei der vorübergehenden Festhaltung [u. a. Grüne, SFH]).
Haltung des Bundesrates
Der Bundesrat teilt die Auffassung des Kantons ZG, Artikel 25 d VE-AsylG sei als Kann-Bestimmung auszugestalten. Dies ermöglicht die notwendige Flexibilität, auch in anderen Bereichen Ausführungsbestimmungen zu erlassen (vgl. Art. 25 e E-AsylG). Zu den Anliegen der Grünen und der SFH weist der Bundesrat darauf hin, dass die vorgeschlagene Bestimmung nicht abschliessend ist und dass auch weitere Bereiche in der VO-EJPD geregelt werden können, welche nicht in der entsprechen Aufzählung enthalten sind. Zum Anliegen des Kantons FR kann darauf hingewiesen werden, dass eine entsprechende Grundlage für die Weiterleitung von Informationen an die Polizeibehörden in der VO-EJPD nicht notwendig ist, da sich eine solche Verpflichtung der Bundesangestellten bereits aus Artikel 22 a des Bundespersonalgesetzes vom 24. März 2000 ¹2 ergibt.
¹2 SR 172.220.1

2.9 Weitere Bemerkungen

Meldestelle
Von verschiedener Seite wird die im erläuternden Bericht erwähnte Meldestelle im Rahmen eines Pilotprojekts grundsätzlich begrüsst (u. a. Kanton GE, Kanton VD, AI, FIDS). Einige Teilnehmende fordern, dass eine entsprechende gesetzliche Grundlage für eine unabhängige Meldestelle so rasch als möglich geschaffen werden soll (u. a. CSP, Stadt Zürich, ZiAB). Weitere Teilnehmende fordern, dass eine solche Meldestelle auch als Beschwerdestelle vorgesehen werden könnte, z. B. bei Fragen in Zusammenhang mit Gewaltanwendung oder der Verhängung von Disziplinarmassnahmen durch das SEM (u. a. Grundrechte.ch, ODAGE).
Haltung des Bundesrates
Das SEM hat, wie bereits erwähnt (vgl. Ziffer 1.1), im November 2022 ein Pilotprojekt zu einer Meldestelle als Anlaufstelle für Asylsuchende sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Zentren des Bundes gestartet. Der Bundesrat weist darauf hin, dass das aktuelle Pilotprojekt nicht als Beschwerdeinstanz ausgestaltet ist, sondern als eine Meldestelle für Asylsuchende und Mitarbeitende in den Zentren des Bundes. Diese Meldestelle ist Anlaufstelle insbesondere bei Problemen im Bereich Unterbringung, Betreuung, Sicherheit oder Verhalten der Mitarbeitenden. Die Resultate der Pilotphase gilt es vorerst abzuwarten. Der Bundesrat erachtet deshalb eine entsprechende Regelung zum heutigen Zeitpunkt als verfrüht.
Haftungsfragen
Der Verband Schweizerischer Sicherheitsdienstleistungs-Unternehmen (VSSU) wünscht eine Klärung bezüglich allfälliger Ansprüche Geschädigter auf Schadenersatz und Genugtuung. Insbesondere müsse geklärt werden, gegen wen solche Ansprüche geltend gemacht werden können, wenn Dritte gestützt die vorgeschlagenen Regelungen im AsylG Aufgaben des Bundes im Sicherheitsbereich wahrnehmen und dabei Schäden verursachen. Allenfalls soll eine spezialgesetzliche Reglung im AsylG vorgesehen werden.
Haltung des Bundesrates
Der Bundesrat erachtet eine solche spezialgesetzliche Regelung nicht als notwendig. In einem entsprechenden Schadensfall kommen die Regelungen des Verantwortlichkeitsgesetzes vom 14. März 1958 ¹3 (VG), insbesondere Artikel 19 VG (Verantwortlichkeit der mit Aufgaben des Bundes betrauten besonderen Organisationen und ihres Personals) zur Anwendung.
Übertragung von Aufgaben an die Kantone
Teilweise wird ausgeführt, dass die vorgeschlagenen Regelungen z. B. bei der Regelung der verschiedenen Aufgaben im Sicherheitsbereich oder bei der Ausgestaltung der einzelnen Massnahmen noch detaillierter ausgeführt werden sollen (sinngemäss z. B. HEKS, UNHCR). Die SFH weist in diesem Zusammenhang u. a. darauf hin, dass in einem Rechtsstaat die Behördenpraxis auf gesetzlichen Grundlagen beruhen muss und im Rahmen dieser Gesetzesgrundlagen ein klarer gesetzlicher Rahmen zu schaffen ist.
Haltung des Bundesrates
Der Bundesrat hat Verständnis für dieses Anliegen. Gerade im Sicherheitsbereich ist es unerlässlich, transparente Regelungen vorzusehen, in welchen die Aufgaben und Zuständigkeiten klar geregelt werden. Aus diesem Grunde sollen in verschiedenen Bestimmungen Präzisierungen vorgenommen werden. Dies gilt z. B. für Artikel 25 Absatz 2 E-AsylG, in welchem präzisiert werden soll, wann konkret polizeilicher Zwang und polizeiliche Massnahmen angewendet oder angeordnet werden können. Des Weiteren wurde in verschiedenen Bestimmungen explizit festgehalten, dass den Interessen Minderjähriger angemessen Rechnung zu tragen ist (vgl. Art. 9 Abs. 3, Art. 25 a Abs. 2, Art. 25 b Abs. 5, Art. 25 e Bst. g E-AsylG).
Auch im Hinblick auf die Gewährleistung der Sicherheit am Flughafen sollen Präzisierungen vorgenommen werden. So wurde gegenüber dem Vernehmlassungsentwurf klarer geregelt, welche Disziplinar- oder Sicherheitsmassnahmen nur in den Zentren des Bundes und nicht im Flughafenverfahren zur Anwendung kommen können. Dies gilt insbesondere für den Ausschluss aus allen für Asylsuchende allgemein zugänglichen Räumen (vgl. Art. 25 a Abs. 3 Bst. d E-AsylG) sowie für die vorübergehende Festhaltung zur Abwendung unmittelbarer Gefahr in den Zentren des Bundes (Art. 25 b E-AsylG). Asylsuchende können im Rahmen des Flughafenverfahrens nur an dem ihnen zugewiesenen Ort innerhalb des Flughafens untergebracht werden. Zur Abwendung einer unmittelbaren Gefahr kann die Flughafenpolizei nötigenfalls vor Ort rasch eingreifen (vgl. hierzu auch Erläuterungen zu Art. 25 a Abs. 3 Bst. d und Art. 25 b E-AsylG).
Zudem soll neu explizit im AsylG vorgesehen werden, dass Aufgaben im Sicherheitsbereich in den Zentren des Bundes oder am Flughafen per Vertrag auf die zuständigen kantonalen Polizeibehörden übertragen werden können (Art. 25 d E-AsylG). Dies gilt bereits heute für die Flughafenunterbringung, bei welchem die Flughafenpolizei mit Aufgaben im Sicherheitsbereich betraut wird (vgl. Erläuterungen zu Art. 25 d E-AsylG).
¹3 SR 170.32

3 Rechtsvergleich, insbesondere mit dem europäischen Recht

Die EU-Gesetzgebung umfasst eine Richtlinie zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen ¹4 . Gemäss dieser Richtlinie ergreifen die Mitgliedstaaten geeignete Massnahmen, um Gewalt, Aggressionen und geschlechtsspezifische Aggressionen, einschliesslich sexueller Gewalt und Belästigung, in den Unterbringungszentren zu verhindern (vgl. Art. 18 Abs. 4 der Richtlinie). Sie können Sanktionen für schwere Verstösse gegen die Regeln der Unterkünfte und für besonders gewalttätiges Verhalten festlegen (vgl. Art. 20 Abs. 4 der Richtlinie). Die Entscheidungen werden auf Einzelfallbasis, objektiv und unparteiisch getroffen und unter Berücksichtigung der besonderen Situation der betroffenen Person und unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismässigkeit begründet (vgl. Art. 20 Abs. 5 der Richtlinie). Obwohl diese EU-Richtlinie für die Schweiz nicht bindend ist, geht die Änderung des AsylG in die Richtung der Verpflichtung der EU-Mitgliedstaaten. Dabei sollen Massnahmen zur Verhinderung von Gewalt in den Zentren und zur Gewährleistung der Sicherheit innerhalb der Zentren getroffen werden.
¹4 Richtlinie 2013/33/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen (Neufassung), ABl. L 180 vom 29.6.2013, S. 96

4 Grundzüge der Vorlage

Im AsylG soll ein neuer Abschnitt «Betrieb der Zentren des Bundes und der Unterkünfte an den Flughäfen» eingefügt und die geltende Regelung zum Betrieb der Zentren des Bundes (Art. 24 b AsylG) aufgehoben werden (vgl. E-AsylG 2 b . Abschnitt). Dieser neue Abschnitt soll insbesondere folgende Regelungen enthalten:
Aufgaben des SEM beim Betrieb der Zentren des Bundes und der Unterkünfte an den Flughäfen (Art. 25 E
-
AsylG)
Neu sollen die wichtigsten Aufgaben des SEM, die dieses in den Zentren des Bundes und in den Unterkünften an den Flughäfen wahrnimmt (z. B. Unterbringung und Betreuung der Asylsuchenden, die Gewährleistung der Sicherheit und Ordnung), ausführlich geregelt werden (Abs. 1). Auch soll neu explizit im AsylG festgehalten werden, in welchen Bereichen das SEM zur Gewährung der Sicherheit und Ordnung polizeilichen Zwang respektive polizeiliche Massnahmen ergreifen kann (Abs. 2). Namentlich soll das SEM bei der Durchsuchung, beim Vollzug von Disziplinarmassnahmen, bei der Gefahrenabwehr sowie bei der vorübergehenden Festhaltung zur Abwendung unmittelbarer Gefahr polizeilichen Zwang und polizeiliche Massnahmen anwenden oder anordnen können. Bei diesen Massnahmen soll das ZAG anwendbar sein; der Einsatz von Waffen soll jedoch explizit untersagt werden (Abs. 3). Das ZAG regelt die Grundsätze der Anwendung polizeilichen Zwangs und polizeilicher Massnahmen im Zuständigkeitsbereich des Bundes (z. B. Art der Zwangsmassnahmen, Verhältnismässigkeit). Da die Seelsorge zu einem konfliktfreien Zusammenleben in den Zentren des Bundes und in den Unterkünften an den Flughäfen beiträgt, soll Seelsorgerinnen und Seelsorgern aller Religionsgemeinschaften generell Zugang gewährt werden. Zudem kann das SEM neu finanzielle Beiträge für deren seelsorglichen Tätigkeiten ausrichten (vgl. hierzu auch Erläuterungen zu Art. 25 Abs. 5 E-AsylG).
Disziplinarmassnahmen (Art. 25a E-AsylG)
Neu sollen die Disziplinarmassnahmen abschliessend auf Gesetzesstufe verankert werden (bisher 5. Abschnitt in der VO-EJPD). Auch die Grundzüge des Verfahrens bei der Anordnung einer Disziplinarmassnahme sollen neu auf Gesetzesstufe geregelt werden.
Vorübergehende Festhaltung zur Abwendung unmittelbarer Gefahr (Art. 25b E-AsylG)
Zur Abwehr einer ernsten, unmittelbaren und nicht anders abwendbaren Gefahr soll eine betroffene Person auf Anordnung des SEM für maximal zwei Stunden festgehalten werden können, wenn sie andere Personen (z. B. Asylsuchende, Mitarbeitende des SEM oder Dritte) erheblich gefährdet, sich selbst gefährdet oder einen grösseren Sachschaden zu verursachen droht (Abs. 1). Eine solche Festhaltung setzt eine vorgängige Meldung bei der Polizei sowie falls notwendig, bei anderen zuständigen Stellen voraus (Abs. 2). Die Anordnung einer vorübergehenden Festhaltung soll bei Kindern und Jugendlichen unter 15 Jahren ausgeschlossen sein (Abs. 5). Das SEM soll zudem sicherstellen, dass die mit der Anordnung oder Durchführung der vorübergehenden Festhaltung betrauten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eine geeignete Ausbildung erhalten (Abs. 4). Diese Regelung, welche heute - im Sinne einer Übergangslösung - in Artikel 29 a VO-EJPD vorgesehen ist, soll neu im AsylG aufgenommen werden.
Übertragung von Aufgaben im Bereich der Betreuung und Unterbringung sowie der Sicherheit und Ordnung in den Zentren des Bundes und an den Flughäfen (Art. 25c und Art. 25d E-AsylG).
Es soll eine hinreichend bestimmte gesetzliche Grundlage geschaffen werden, die es dem SEM erlaubt, Aufgaben im Bereich Betreuung und Unterbringung (z. B. Sicherstellung der Grundversorgung und medizinischen Versorgung, Informationsvermittlung und Beschäftigung der Asylsuchenden) sowie zur Gewährleistung von Sicherheit und Ordnung durch Vertrag auf Dritte zu übertragen (vgl. Art. 25 c E-AsylG). Bei diesen Dritten kann es sich auch um kantonale Polizeibehörden handeln (vgl. Art. 25 d E-AsylG). Mit den vorgeschlagenen Regelungen soll auch der Rechtsprechung des BGer Rechnung getragen werden, gemäss welcher bei einer Delegation von Aufgaben im Sicherheitsbereich eine genügend spezifische gesetzliche Grundlage notwendig ist, in welcher u. a. die ausgelagerten Aufgaben, die Anforderungen an die beauftragten Dritten und deren Kompetenzen auf Gesetzesstufe geregelt werden müssen. Dabei lässt das BGer explizit die Frage offen, ob eine Delegation von Aufgaben im Sicherheitsbereich an Dritte verfassungsrechtlich zulässig ist. Ohne eine solche Delegation müssten die Aufgaben im Sicherheitsbereich durch Bundespersonal wahrgenommen werden. Dies würde zusätzliche Kosten in Millionenhöhe zur Folge haben. Vor diesem Hintergrund soll die vom BGer explizit festgestellte Lücke im AsylG nun geschlossen werden.
Die zu delegierenden Tätigkeiten im Bereich Sicherheit und Ordnung an Dritte werden abschliessend in Artikel 25 c Absatz 2 aufgeführt. Sie umfassen z. B. Zutritts-, Austritts- und Besucherkontrollen, Durchsuchung von Personen und Sachen und die Unterstützung beim Vollzug von Disziplinarmassnahmen sowie die Durchführung administrativer Tätigkeiten (Abs. 2 Bst. a, c, d und e). Ebenfalls darunter fallen Massnahmen zur Verbesserung und Förderung des Zusammenlebens, insbesondere zur Konfliktprävention in den Unterkünften.
Weitere Anpassungen im AsylG
Zur Gewährleistung der Sicherheit und Ordnung oder zur Durchführung der Asylverfahren und der Vermögenswertabnahmen soll das SEM Asylsuchende und ihre mitgeführten Sachen durchsuchen können (Art. 9 Abs. 1 E-AsylG). Die vorgeschlagene Regelung entspricht weitgehend der geltenden Bestimmung in Artikel 4 VO-EJPD. Die im Rahmen einer Durchsuchung aufgegriffenen Objekte (z. B. unerlaubte Betäubungsmittel und weitere psychotrope Stoffe, Waffen oder gefährliche Gegenstände) sollen falls notwendig neu sichergestellt werden können (Art. 9 Abs. 2 E-AsylG).

5 Erläuterungen zu einzelnen Artikeln

Art. 9
Durchsuchung
Neu soll auf Gesetzesstufe ausdrücklich geregelt werden, dass Asylsuchende und ihre mitgeführten Sachen auch auf verfahrensrelevante Unterlagen und Beweismittel sowie alkoholische Getränke hin durchsucht werden können. Zweck dieser Durchsuchung ist die Gewährleistung der Sicherheit und Ordnung in den Zentren des Bundes sowie in den Unterkünften an den Flughäfen, die Durchführung der Asylverfahren und der Vermögenswertabnahmen (Abs. 1). Die betroffenen Personen können zur Erfüllung mehrerer dieser Zwecke durchsucht werden. Die vorgeschlagene Regelung entspricht weitgehend dem geltenden Artikel 4 VO-EJPD. Mit dem Ziel, die Zuständigkeit klar zu regeln, sieht Absatz 1 vor, dass das SEM für die Durchsuchung zuständig ist. Das SEM kann diese Aufgabe durch Vertrag auch an Dritte übertragen (Art. 25 c Abs. 2 Bst. c und Art. 25 d Abs. 3 E-AsylG).
Neu sollen die im Rahmen einer Durchsuchung aufgegriffenen Objekte falls notwendig sichergestellt werden (Abs. 2). So kann es z. B. durch den Konsum von alkoholischen Getränken und Betäubungsmitteln oder weiterer Stoffe (vgl. Art. 2 Betäubungsmittelgesetz vom 3. Oktober 1951 ¹5 ) vermehrt zu Störungen des Betriebs in den Zentren des Bundes kommen. Dies gilt auch für Waffen oder gefährliche Gegenstände. Dabei sollen auch Taschenmesser und ähnliche Gegenstände, die nach dem Waffengesetz vom 20. Juni 1997 ¹6 nicht als «gefährliche Gegenstände» gelten, mitumfasst sein. Unter den Begriff Waffen sollen auch Waffenzubehör sowie Waffenbestandteile fallen. Nur so kann dem Ziel der Gewährleistung der Sicherheit in den Zentren des Bundes und den Unterkünften an den Flughäfen angemessen Rechnung getragen werden.
Die Notwendigkeit zur Sicherstellung der vorerwähnten Objekte liegt insbesondere dann vor, wenn damit die Sicherheit und Ordnung in den Zentren des Bundes und in den Unterkünften an den Flughäfen gewahrt werden kann (vgl. Abs. 2).
Da Reise- und Identitätspapiere sowie verfahrensrelevante Unterlagen und Beweismittel von Asylsuchenden für die Ermittlung des Sachverhaltes im Rahmen des Asyl- und Wegweisungsverfahrens notwendig sind, sollen diese ebenfalls neu sichergestellt und zu den Akten genommen werden können. Sobald die betroffene Person über eine Aufenthalts- oder Niederlassungsbewilligung verfügt, sind beispielsweise die Reise- und Identitätspapiere zurückzugeben (Art. 2 b Abs. 3 AsylV1).
Die vorgeschlagene Regelung in Absatz 3, wonach Asylsuchende nur von Personen gleichen Geschlechts durchsucht werden dürfen, entspricht unverändert der geltenden Regelung in Artikel 4 Absatz 6 VO-EJPD. Aufgrund der besonderen Schutzbedürftigkeit von Minderjährigen soll neu zusätzlich vorgesehen werden, dass den Interessen von minderjährigen Asylsuchenden bei der Durchsuchung angemessen Rechnung getragen werden muss. Damit soll auch in der Praxis sichergestellt werden, dass bei einer Durchsuchung das Kindeswohl stets zu berücksichtigen ist (vgl. Art. 11 Abs. 1 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft [BV] ¹7 ). Dies hat beispielsweise zur Folge, dass Durchsuchungen von begleiteten Minderjährigen möglichst in Anwesenheit ihrer gesetzlichen Vertreter erfolgen sollen.
Für Asylsuchende in kantonalen Unterbringungsstrukturen (z. B. Kollektivunterkünfte) gelten die Absätze 1 und 2 sinngemäss (vgl. Abs. 4). Nicht unter die kantonale Unterbringungsstrukturen fallen kantonal oder kommunal geführte Zentren des Bundes (vgl. Art. 24 d AsylG). Da auch in den kantonalen Unterbringungsstrukturen die völker- und verfassungsrechtlichen Vorgaben bei der Durchsuchung von Minderjährigen und Personen gleichen Geschlechts vollumfänglich zu berücksichtigen sind, erübrigt es sich, in Absatz 4 einen entsprechenden Verweis auf Absatz 3 anzubringen.
Besucherinnen und Besucher eines Zentrums des Bundes oder einer Unterkunft an einem Flughafen und deren mitgeführten Sachen können ebenfalls durch das Sicherheitspersonal auf gefährliche Gegenstände und Alkohol hin durchsucht werden. Da die Durchsuchung nur mit dem Einverständnis der betroffenen Personen erfolgt und diese ihre Zustimmung verweigern können (vgl. Art. 16 Abs. 3 VO-EJPD), reicht eine Regelung auf Verordnungsstufe aus. Wird die Zustimmung verweigert und kann eine Gefährdung der Sicherheit und Ordnung in einem Zentrum des Bundes oder einer Unterkunft an einem Flughafen nicht ausgeschlossen werden, wird der Zutritt zum Gebäude verwehrt.
Art. 24b
Die geltende Regelung von Artikel 24 b AsylG enthält Regelungen zum Betrieb der Zentren des Bundes. Zum «Betrieb der Zentren des Bundes und der Unterkünfte an den Flughäfen» soll ein neuer Abschnitt 2 b im AsylG aufgenommen werden. Artikel 24 b AsylG kann deshalb aufgehoben werden.
Art. 24d Abs. 6 erster Satz
Artikel 24 d AsylG regelt die Unterbringung von Asylsuchenden in kantonalen und kommunalen Zentren. Die Bestimmungen des neuen Abschnitts 2 b «Betrieb der Zentren des Bundes und der Unterkünfte an den Flughäfen» sollen auch auf diese Zentren sinngemäss Anwendung finden. In Absatz 6 soll deshalb ein entsprechender Verweis aufgenommen werden.
Gliederungstitel nach Artikel 24e
2b. Abschnitt: Betrieb der Zentren des Bundes und der Unterkünfte an den Flughäfen
Unter dem 2. Kapitel des AsylG soll ein neuer Abschnitt 2 b «Betrieb der Zentren des Bundes und der Unterkünfte an den Flughäfen» eingefügt werden. Dieser neue Abschnitt soll insbesondere folgende Regelungen enthalten:
-
Regelung zum Betrieb der Zentren des Bundes und der Unterkünfte an den Flughäfen (Art. 25 E-AsylG);
-
Regelung zu allfälligen Disziplinarmassnahmen, welche heute lediglich in der VO-EJPD verankert sind (Art. 25 a E-AsylG);
-
Regelung zur vorübergehenden Festhaltung zur Abwendung unmittelbarer Gefahr (Art. 25 b E-AsylG, bisher Art. 29 a VO-EJPD);
-
Regelung zur Übertragung von Aufgaben im Bereich der Betreuung und Unterbringung sowie der Sicherheit und Ordnung in den Zentren des Bundes und an den Flughäfen (Art. 25 c E-AsylG und Art. 25 d E-AsylG).
Art. 25
Betrieb der Zentren des Bundes und der Unterkünfte an den Flughäfen
Abs. 1
Neu sollen die wichtigsten Aufgaben des SEM, die dieses in den Zentren des Bundes und in den Unterkünften an den Flughäfen wahrnimmt (z. B. Unterbringung und Betreuung der Asylsuchenden, die Gewährleistung der Sicherheit und Ordnung), geregelt werden. Hierbei handelt es sich nicht um eine abschliessende Aufzählung.
Neben der Unterbringung der Asylsuchenden (Abs. 1 Bst. a) fällt auch deren Betreuung (Abs. 1 Bst. b) unter die Aufgaben des SEM. Diese umfasst insbesondere die Grundversorgung in den Bereichen Unterbringung, Verpflegung, Hygiene und Bekleidung. Zusätzlich ist im Rahmen der Betreuung auch die Informationsvermittlung an die Asylsuchenden, deren Beschäftigung sowie der Zugang zur medizinischen Versorgung und zu präventiven Angeboten (Gewaltprävention, Förderung der psychischen Gesundheit) sicherzustellen ¹8 .
Die Gewährleistung der Sicherheit und Ordnung (Abs. 1 Bst. c) erfolgt beispielsweise durch Zutritt- und Austrittskontrollen, die Intervention bei Notfällen sowie die Durchführung von Personendurchsuchungen.
Zur Übertragung von Aufgaben an die Flughafenpolizei siehe Erläuterungen zu Artikel 25 d E-AsylG.
Abs. 2
Zur Gewährleistung der Sicherheit und Ordnung soll das SEM verschiedene Massnahmen ergreifen können. Neben den bereits heute bestehenden Möglichkeiten der Durchsuchung von asylsuchenden Personen (siehe Erläuterungen zu Art. 9 E-AsylG) sowie der Anordnung von Disziplinarmassnahmen (siehe Erläuterungen zu Art. 25 a E-AsylG) soll neu auch eine vorübergehende Festhaltung zur Abwendung unmittelbarer Gefahr möglich sein (siehe Erläuterungen zu Art. 25 b E-AsylG). Im Rahmen der erwähnten Massnahmen sowie zur Gefahrenabwehr soll das SEM, soweit dies aufgrund der zu schützenden Rechtsgüter gerechtfertigt ist und die beabsichtigten Massnahmen verhältnismässig sind (vgl. Art. 36 Abs. 2 und 3 BV), auch polizeilichen Zwang und polizeiliche Massnahmen anwenden oder anordnen können (vgl. hierzu auch die Erläuterungen zu Abs. 3). Bei der Anwendung von Zwang und beim Vollzug der Disziplinarmassnahmen sind stets die jeweiligen konkreten Umstände angemessen zu berücksichtigen. Zudem muss insbesondere das Alter, das Geschlecht und der Gesundheitszustand (inkl. der psychischen Gesundheit) der betroffenen Person berücksichtigt werden.
Abs. 3
Bedarf es zur Gewährleistung der Sicherheit und Ordnung in den Zentren des Bundes oder in den Unterkünften an den Flughäfen polizeilichen Zwang oder polizeiliche Massnahmen, soll grundsätzlich das ZAG Anwendung finden. Durch den Verweis auf das ZAG soll eine entsprechende explizite gesetzliche Grundlage geschaffen werden. Nicht anwendbar sind hingegen die im ZAG enthaltenen Regelungen bezüglich des Einsatzes von Waffen (vgl. Art. 5 Bst. c ZAG). Dieser soll bei der Gewährleistung der Sicherheit und Ordnung ausdrücklich untersagt werden. So ist der Gebrauch der im ZAG definierten Waffen (Schlagstöcke und Abwehrstöcke, Reizstoffe, Feuerwaffen und nicht tödlich wirkende Destabilisierungsgeräte, vgl. Art. 15 ZAG) nicht erlaubt. Hingegen fällt der Einsatz von Hilfsmitteln (z. B. natürliche oder synthetische Pfefferpräparate oder Diensthunde, vgl. Art. 6 der Zwangsanwendungsverordnung vom 12. November 2008 ¹9 ) nicht unter dieses Verbot.
Abs. 4
Im Interesse transparenter Verfahrensabläufe soll das SEM die betroffenen Asylsuchenden bei Eintritt in ein Zentrum des Bundes oder in eine Unterkunft am Flughafen über mögliche Disziplinarmassnahmen und Massnahmen zur Gewährleistung der Sicherheit orientieren.
Abs. 5
Im Winter 2020/2021 kam es u. a. innerhalb und ausserhalb der Zentren des Bundes vermehrt zu tätlichen Auseinandersetzungen unter Asylsuchenden. Auch haben Asylsuchende teilweise ihre Mitwirkungspflicht verletzt, so z. B. durch Nichterscheinen an vereinbarten Gesprächen oder vorübergehendes Untertauchen. Dies erschwerte die Durchführung der Asylverfahren.
Aus diesem Grund hat das SEM verschiedene Massnahmen ergriffen. So wurde bereits im Januar 2021 ein Pilotprojekt für eine «Muslimische Seelsorge in den Bundesasylzentren» gestartet, welches bis zum 31. Dezember 2022 befristet war. Das SEM hat dieses Projekt auf seine Wirksamkeit in der Praxis hin evaluiert. 2⁰ Im Rahmen der entsprechenden Evaluationsberichte wurde festgestellt, dass bei den Asylsuchenden, bei den Mitarbeitenden des SEM und den Leistungserbringern Sicherheit und Betreuung in den Zentren des Bundes eine hohe Nachfrage für muslimische Seelsorgende besteht. Die muslimische Seelsorge wurde als ein wichtiges Mittel zur Gestaltung des Zusammenlebens und des Alltags in den Zentren des Bundes anerkannt. Auch wurde festgestellt, dass die muslimische Seelsorge aufgrund der persönlichen Gespräche mit muslimischen Asylsuchenden oder Asylsuchenden aus muslimischen Herkunftsländern wesentlich zur interkulturellen Vermittlung beitragen kann. Durch den Einsatz von muslimischen Seelsorgenden konnte das persönliche Wohlbefinden der Asylsuchenden in den Zentren des Bundes verbessert und damit auch ein wichtiger Beitrag zur Gewaltprävention geleistet werden. Aufgrund dieser positiven Erfahrungen soll im AsylG neu der Zugang für Seelsorgerinnen und Seelsorger aller Religionsgemeinschaften zu den Zentren des Bundes und den Unterkünften an den Flughäfen gewährleistet werden. Die seelsorglichen Tätigkeiten sollen das Zusammenleben in den Unterkünften fördern und verbessern und damit zur Konfliktprävention beitragen. Die entsprechenden Tätigkeiten können sowohl durch privatrechtlich organisierte Religionsgemeinschaften als auch durch die öffentlich-rechtlich anerkannten Landeskirchen der Schweiz wahrgenommen werden. Der Bund kann für die Seelsorge per Vertrag finanzielle Beiträge ausrichten.
Art. 25a
Disziplinarmassnahmen
Die vorliegende Regelung entspricht grundsätzlich den geltenden Regelungen im 5. Abschnitt «Disziplinarmassnahmen und Verfahren» der VO-EJPD. Diese sollen künftig mit gewissen Anpassungen auf Gesetzesstufe verankert werden.
Abs. 1
Die geltende Regelung sieht vor, dass Asylsuchende und Schutzbedürftige, welche in den Zentren des Bundes untergebracht sind, vom SEM mit Disziplinarmassnahmen sanktioniert werden können, wenn sie ihre Pflichten (Einhaltung der Hausordnung, Mithilfe bei Hausarbeiten und Anwesenheitspflicht, vgl. Art. 24 Abs. 1 Bst. a i.V.m. Art. 21 ff VO-EJPD) verletzen oder die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährden (Art. 24 Abs. 1 Bst. b VO-EJPD). Neu soll diese Regelung mit bestimmten Präzisierungen auf Gesetzesstufe gehoben werden. Es soll festgehalten werden, dass Disziplinarmassnahmen dann befristet angeordnet werden können, wenn die betroffene Person durch ihr pflichtwidriges Verhalten den ordnungsgemässen Betrieb eines Zentrums des Bundes oder einer Unterkunft an einem Flughafen stört. Ein solches Verhalten liegt beispielsweise vor, wenn eine betroffene Person die Hausordnung des Zentrums des Bundes verletzt oder obligatorische Hausarbeiten nicht verrichtet, wenn sie ihrer Anwesenheitspflicht nicht nachkommt oder weitere ihr nach dem Asylgesetz oder den Asylverordnungen obliegende Pflichten, welche für den Betrieb des Zentrums wichtig sind, nicht erfüllt. Zudem sollen Disziplinarmassnahmen auch dann angeordnet werden können, wenn Asylsuchende in unmittelbarer Nähe eines Zentrums des Bundes die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährden. Diese Präzisierung soll explizit im AsylG neu aufgenommen werden. Durch ein Fehlverhalten in unmittelbarer Nähe eines Zentrums wird auch der ordnungsgemässe Betrieb des Zentrums beeinträchtigt. Ein solches Fehlverhalten kann sich negativ auf die unmittelbare Umgebung eines Zentrums und damit auf dessen Akzeptanz auswirken. Bei einem strafrechtlich relevanten Verhalten obliegt es den kantonalen Strafverfolgungsbehörden, gegen die betroffenen Personen vorzugehen. Die Anordnung von Disziplinarmassnahmen durch das SEM ersetzt also die Tätigkeit der Strafverfolgungsbehörden nicht.
Die entsprechenden Regelungen zu den Disziplinarmassnahmen sollen sinngemäss auch Anwendung auf Schutzbedürftige finden. (vgl. Art. 72 E-AsyG; Verweis auf neuen 2 b. Abschnitt des 2. Kapitels).
Abs. 2
Aufgrund der besonderen Schutzbedürftigkeit von Minderjährigen soll ihren Interessen auch bei der Anordnung von Disziplinarmassnahmen gegen sie oder ihre Eltern angemessen Rechnung getragen werden. Damit soll auch in der Praxis sichergestellt werden, dass bei der Durchführung der entsprechenden Massnahmen das Kindeswohl stets zu berücksichtigen ist (vgl. Art. 11 Abs. 1 BV).
Zudem soll das EJPD auf Verordnungsstufe vorsehen können, wie das Kindeswohl im Rahmen der Sicherheitsgewährleistung in den Zentren des Bundes eingehend gewahrt werden kann, zum Beispiel durch den Vorrang pädagogischer Massnahmen (vgl. Art. 25 e Bst. g E-AsylG).
Abs. 3
Die bisherige Regelung über die Disziplinarmassnahmen in der VO-EJPD (Art. 25 VO-EJPD) sollen neu abschliessend auf Gesetzesstufe geregelt werden. Diese sollen im Grundsatz mit gewissen Anpassungen übernommen werden.
Neu soll im AsylG auch die Verweigerung der Teilnahme an Beschäftigungsprogrammen als Disziplinarmassnahme vorgesehen werden (Bst. b). Hingegen soll die Verweigerung des Ausgangs (vgl. Art. 25 Abs. 1 Bst. b VO-EJPD) nicht im AsylG aufgenommen werden. Diese Massnahme kam bis anhin in der Praxis nicht zur Anwendung, da sich die betroffenen Personen aufgrund der Ausgangsverweigerung weiterhin in den Zentren des Bundes aufhalten würden. Dadurch besteht die Gefahr, dass es zu weiteren Eskalationen in den Zentren des Bundes kommen könnte. Auch die Verweigerung von Fahrausweisen für den öffentlichen Verkehr (vgl. Art. 25 Abs. 1 Bst. c VO-EJPD) soll neu nicht mehr als Disziplinarmassnahme angeordnet werden können. Es besteht kein rechtlicher Anspruch auf die Gewährung eines Fahrausweises für den öffentlichen Verkehr, weshalb in den meisten Zentren des Bundes in der Regel keine Fahrausweise abgegeben werden.
Wie bereits heute sollen Asylsuchende mit einem Verbot belegt werden können, bestimmte Räume zu betreten, die für Asylsuchende sonst allgemein zugänglich sind. Dabei verbleiben die Betroffenen zwar in den Zentren des Bundes, dürfen aber spezifische Räumlichkeiten, wie z. B. den gemeinschaftlichen Aufenthaltsraum oder den Sportraum, nicht betreten (Bst. a; vgl. Art. 25 Abs. 1 Bst. a VO-EJPD). Zudem sollen betroffene Asylsuchende auch aus allen allgemein zugänglichen Räumlichkeiten eines Zentrums des Bundes für neu maximal 72 Stunden ausgeschlossen werden können (Bst. d). Sie werden in einem separaten Trakt oder Gebäude auf dem Gelände des Zentrums des Bundes untergebracht. Dort werden die notwendige Infrastruktur und Betreuung (z. B. Nahrung, Heizung, medizinische Versorgung) wie in einem Zentrum des Bundes sichergestellt. Der Zugang zur Rechtsberatung und -vertretung ist zu gewährleisten. Diese Massnahme ersetzt die bisherige Disziplinarmassnahme eines Ausschlusses aus der Unterkunft für 24 Stunden (Art. 25 Abs. 1 Bst. e VO-EJPD). Damit kann den berechtigten Interessen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung am Standort der Zentren besser Rechnung getragen werden.
Der zeitlich eingeschränkte Ausschluss aus allgemein zugänglichen Räumen soll im Gegensatz zu den übrigen Disziplinarmassnahmen (vgl. Abs. 3 Bst. a-c, e) nur in den Zentren des Bundes Anwendung finden. An den Flughäfen stehen keine entsprechenden alternativen Räumlichkeiten zur Verfügung.
Zudem soll die bisherige Regelung über die Nichtgewährung von Taschengeld (Bst. c; Art. 25 Abs. 1 Bst. d VO-EJPD) ebenfalls im AsylG übernommen werden. Neu soll zusätzlich vorgesehen werden, dass die Einschränkung von Sozialhilfeleistungen, welche bereits heute im AsylG vorgesehen ist (Art. 83 Abs. 1 Bst. g, h und k AsylG), neu ebenfalls als Disziplinarmassnahme angeordnet werden kann. Diese Massnahme hat sich sowohl auf kantonaler Ebene als auch auf Bundesebene bewährt.
Schliesslich soll auch die Zuweisung in ein besonderes Zentrum (Art. 25 Abs. 1 Bst. f VO-EJPD) ebenfalls neu auf Gesetzesstufe gehoben werden (Bst. e).
Abs. 4
Die Grundzüge des Verfahrens für die Anordnung von Disziplinarmassnahmen sollen neu ebenfalls auf Gesetzesstufe verankert werden.
Das SEM stellt den erheblichen Sachverhalt im Hinblick auf die Anordnung einer Disziplinarmassnahme von Amtes wegen fest und gewährt den betroffenen Personen das rechtliche Gehör. Bei Disziplinarmassnahmen nach Absatz 3 Buchstaben a-d E-AsylG soll die Massnahme künftig mittels eines Formulars schriftlich eröffnet werden. In diesem Formular werden der Sachverhalt, die angeordneten Massnahmen, die Begründung und die Rechtsmittelbelehrung festgehalten. Falls notwendig, können mit diesem Formular der Sachverhalt und die Begründung ausführlich dargelegt werden. Bei Anordnung einer Zuweisung in ein besonderes Zentrum nach Artikel 24 a AsylG (Abs. 3 Bst. e E-AsylG) erlässt das SEM wie bis anhin eine Zwischenverfügung. Zur Zwischenverfügung bei der Zuweisung in ein besonderes Zentrum siehe die Erläuterungen zu Artikel 107 Absatz 3 E-AsylG.
Die geltende VO-EJPD enthält zahlreiche Regelungen zum Disziplinarverfahren (Art. 24 Abs. 2, 26, 27 VO-EJPD). Auch künftig kann das EJPD notwendige Ausführungsbestimmungen zum Disziplinarverfahren in der VO-EJPD erlassen (vgl. Art. 25 e Bst. f E-AsylG).
Abs. 5 und 6
Die betroffenen Personen sollen innerhalb von drei Tagen nach Kenntnisnahme der Anordnung der Disziplinarmassnahmen nach Absatz 3 Buchstaben a-d eine Beschwerde bei der Beschwerdeinstanz des SEM einreichen können. Gegen den Entscheid der Beschwerdeinstanz SEM kann innerhalb von dreissig Tagen eine Beschwerde an das BVGer geführt werden (Art. 105 AsylG und Art. 50 Abs. 1 VWVG), sofern die asylsuchende Person ein schutzwürdiges Interesse hat. Sowohl die Beschwerde an das SEM als auch diejenige an das BVGer haben keine aufschiebende Wirkung. Dies bedeutet, dass die entsprechenden Disziplinarmassnahmen unverzüglich angeordnet und vollzogen werden können, wenn die entsprechenden Voraussetzungen nach Absatz 1 erfüllt sind. Beim Beschwerdeverfahren bezüglich der Anordnung von Disziplinarmassnahmen nach Absatz 3 Buchstaben a-d handelt es sich um ein eigenständiges Verfahren. Das Asylverfahren kann unabhängig von einer Beschwerde wegen Disziplinarmassnahmen weitergeführt und vollzogen werden.
Bei einer Zuweisung in ein besonderes Zentrum nach Artikel 24 a AsylG (vgl. Abs. 3 Bst. e E-AsylG) richtet sich die Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht nach Artikel 107 Absatz 3 E-AsylG (vgl. Erläuterungen zu Art. 107 Abs. 3 E-AsylG).
Art. 25b
Vorübergehende Festhaltung zur Abwendung unmittelbarer Gefahr in den Zentren des Bundes
Mit Artikel 29 a VO-EJPD wurde eine neue Regelung geschaffen, wonach Asylsuchende in den Unterkünften zur Abwehr einer ernsten, unmittelbaren und nicht anders abwendbaren Gefahr vorübergehend festgehalten werden können. Diese Bestimmung ist seit dem 15. Januar 2023 in Kraft. Sie soll nun neu auf Gesetzesstufe verankert werden und gilt unabhängig von der in der Strafprozessordnung (StPO) 2¹ vorgesehenen polizeilichen Anhaltung (vgl. Art. 215 StPO). Mit der Inkraftsetzung dieser Regelung im AsylG soll die bisherige Regelung in der VO-EJPD aufgehoben werden.
Die vorgeschlagene Regelung soll nur in den Zentren des Bundes und nicht an den Unterkünften im Flughafen zur Anwendung kommen, da sich am Flughafen die Flughafenpolizei stets in unmittelbarer Nähe befindet. Eine vorübergehende Festhaltung nach dem AsylG bis zum Eintreffen der Polizei ist somit nicht notwendig. Die geltende Regelung in der VO-EJPD, wonach die vorübergehende Festhaltung auch am Flughafen vorgesehen werden kann, ist in der Praxis bisher nicht zur Anwendung gekommen.
Abs. 1
In diesem Absatz sollen die Voraussetzungen für eine vorübergehende Festhaltung einer asylsuchenden Person abschliessend definiert werden. Bei der vorübergehenden Festhaltung handelt es sich nicht um eine Disziplinarmassnahme (vgl. Erläuterungen zu Art. 25 a E-AsylG), bei welcher die nachträgliche Sanktionierung eines fehlbaren Verhaltens im Vordergrund steht. Vielmehr handelt es sich um eine polizeiliche Massnahme zur Abwehr einer ernsten, bereits eingetretenen oder unmittelbar drohenden und nicht anders abwendbaren Gefahr. Im Vordergrund steht dabei also die effektive Sicherstellung von Sicherheit und Ordnung.
Eine vorübergehende Festhaltung setzt des Weiteren voraus, dass diese verhältnismässig ist und die betroffene Person andere Personen oder sich selber erheblich gefährdet oder einen grösseren Sachschaden zu verursachen droht (Abs. 1 Bst. a und b).
Bei der erheblichen Gefährdung anderer Personen (Bst. b, Ziff. 1) sind alle Personen zu verstehen, die sich in einem Zentrum des Bundes aufhalten und die sich aufgrund des Verhaltens der betroffenen Person in einer unmittelbaren Gefährdungssituation befinden. Darunter können insbesondere Asylsuchende, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des SEM oder Dritte sowie Besucherinnen und Besucher der Zentren des Bundes fallen. Eine Gefährdungssituation, die eine vorübergehende Festhaltung erforderlich macht, kann sich beispielsweise dann ergeben, wenn eine asylsuchende Person eine andere asylsuchende Person oder auch eine Betreuungsperson physisch anzugreifen versucht und die asylsuchende Person nicht durch alternative, mildere Massnahmen beruhigt werden kann.
Auch bei Gefahr einer erheblichen Selbstgefährdung soll eine vorübergehende Festhaltung einer asylsuchenden Person zu deren Eigenschutz möglich sein (Bst. b, Ziff. 2). Dabei kann es sich um eine Situation handeln, in welcher eine asylsuchende Person droht, sich selber schwer zu verletzen und von diesem Vorhaben nicht anderweitig abgebracht werden kann. Mit einer vorübergehenden Festhaltung ist sichergestellt, dass die betroffene Person geschützt wird, bis die entsprechenden Fachkräfte vor Ort sind und sich um sie kümmern können.
Schliesslich soll eine vorübergehende Festhaltung auch möglich sein, wenn eine asylsuchende Person droht, eine Sache, an der ein fremdes Eigentums-, Gebrauchs- oder Nutzniessungsrecht besteht, zu beschädigen, zu zerstören oder unbrauchbar zu machen (Bst. b, Ziff. 3). Ziel der entsprechenden Regelung ist die Verhinderung grösserer Sachschäden (z. B. Beschädigung von Gebäuden, Einrichtungen oder Fahrzeugen). Ein grösserer Sachschaden liegt ab einer Schadenssumme von 500 Franken vor.
Die Anordnung einer vorübergehenden Festhaltung stellt einen Realakt dar, welcher in die Grundrechte der betroffenen Personen eingreift. Aus diesem Grund haben die Betroffenen die Möglichkeit, vom SEM eine anfechtbare Verfügung zu verlangen (vgl. Art. 25 a VwVG). Die Regelung einer expliziten Beschwerdemöglichkeit auf Gesetzesstufe wäre hier nicht zielführend. Ziel der vorübergehenden Festhaltung ist es, rasch eine Massnahme ergreifen zu können, um eine ernste, unmittelbare und sofortige Gefahr unverzüglich abwenden zu können. Eine vorgängige Beschwerdemöglichkeit steht einem unverzüglichen Handeln bei Vorliegen einer akuten Gefahrensituation klar entgegen.
Abs. 2
Unmittelbar vor der vorübergehenden Festhaltung sollen das SEM oder die vom SEM beauftragen Dritten (vgl. Erläuterungen zu Art. 25 c E-AsylG) die zuständigen Polizeibehörden informieren. Bei Bedarf können zusätzlich weitere Stellen wie beispielsweise die Feuerwehr oder die Sanitätsdienste benachrichtigt werden. Nach erstatteter Meldung kann die betroffene Person bis zum Eintreffen der zuständigen Polizeibehörden oder anderer Stellen für maximal zwei Stunden festgehalten werden. Da diese vorübergehende Festhaltung ausschliesslich der Gefahrenabwehr dient und keine Massnahme zur Strafverfolgung darstellt, soll sie auch nicht an die Dauer einer polizeilichen Anhaltung und insbesondere auch nicht an die Dauer einer polizeilichen Festnahme angerechnet werden (vgl. Art. 219 Abs. 4 StPO).
Abs. 3
Zu Beginn der vorübergehenden Festhaltung soll die asylsuchende Person von Personen gleichen Geschlechts auf gefährliche Gegenstände durchsucht werden. Dadurch soll verhindert werden, dass sich diese selbst gefährdet. Die Durchführung der Durchsuchung richtet sich dabei nach Artikel 9 E-AsylG (vgl. Erläuterungen zu Art. 9 E-AsylG). Damit die Sicherheit und das Wohlbefinden der betroffenen Person während der gesamten Dauer der vorübergehenden Festhaltung gewährleistet werden kann, soll diese überwacht werden. Diese Aufgabe soll durch die Sicherheitsdienste in den Zentren des Bundes wahrgenommen werden.
Abs. 4
Das SEM stellt sicher, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des SEM bzw. der beauftragten Dritten, die mit der Anordnung oder der Durchführung der vorübergehenden Festhaltung betraut sind, eine geeignete Ausbildung erhalten.
Abs. 5
Aufgrund der besonderen Schutzbedürftigkeit von Minderjährigen soll ihren Interessen auch bei der vorübergehenden Festhaltung angemessen Rechnung getragen werden. Um dem Grundsatz des Kindeswohls (Art. 3 des Übereinkommens vom 20. November 1989 2² über die Rechte des Kindes; Kinderrechtskonvention) und dem Prinzip der Verhältnismässigkeit im Einzelfall Rechnung zu tragen, soll zudem vorgesehen werden, dass die Anordnung einer vorübergehenden Festhaltung bei Kindern und Jugendlichen unter 15 Jahren ausgeschlossen ist. Diese Altersgrenze soll analog zu Artikel 80 Absatz 4 AIG festgelegt werden, wonach die Anordnung insbesondere einer Ausschaffungshaft gegenüber Personen unter dieser Altersgrenze ausgeschlossen ist.
Art. 25c
Übertragung von Aufgaben an Dritte
Abs. 1
Es soll eine hinreichend bestimmte formell-gesetzliche Grundlage geschaffen werden, die es dem SEM erlaubt, seine Aufgaben im Bereich Betreuung und Unterbringung von Asylsuchenden durch Vertrag auf Dritte zu übertragen (vgl. Abs. 7). Die in Absatz 1 aufgeführten Aufgaben sind nicht abschliessend.
Vorbemerkungen zu den Abs. 2-4
Mit Urteil BGE 148 II 218 vom 17. Dezember 2021 hat sich das BGer u. a. zur Frage der Übertragung hoheitlicher Sicherheitsaufgaben in den Zentren des Bundes an Dritte geäussert ²3 . Nach Artikel 178 Absatz 3 BV können Verwaltungsaufgaben grundsätzlich gestützt auf eine formell-gesetzliche Grundlage an Organisationen und Personen des öffentlichen oder des privaten Rechts übertragen werden, die ausserhalb der Bundesverwaltung stehen.
Bei der Übertragung hoheitlicher Aufgaben im Sicherheitsbereich in den Zentren des Bundes handelt es sich nicht um eine Übertragung von allgemeinen Verwaltungsaufgaben, da das Gewaltmonopol, welches beim Bund liegt, betroffen ist. Dadurch gelten erhöhte Anforderungen. So braucht es gemäss BGer in der formell-gesetzlichen Grundlage neben den Ausführungen z. B. zum Gegenstand der ausgelagerten Aufgaben, zu den Anforderungen an die beauftragten Dritten und deren Kompetenzen sowie zur Aufsicht über die ausgelagerte Tätigkeit auch Ausführungen zu den Interventionsmitteln, zur Organisation des privaten Sicherheitspersonals und zu den staatlichen Kontroll- bzw. Aufsichtsmechanismen. Das BGer kommt in seinem Urteil zum Schluss, dass im AsylG keine hinreichend bestimmte Gesetzesgrundlage für eine umfassende Übertragung von Sicherheitsaufgaben in einer vom Bund geführten Asylunterkunft an Private besteht. Mit Artikel 25 c Absatz 2 AsylG soll diese Lücke nun geschlossen und eine gesetzliche Grundlage für die Übertragung von Aufgaben an Dritte im Rahmen der Gewährleistung der Sicherheit und Ordnung in den Zentren des Bundes und an den Flughäfen geschaffen werden.
Abs. 2
Es soll eine formell-gesetzliche Grundlage geschaffen werden, um hoheitliche Sicherheitsaufgaben in den Zentren des Bundes und an den Flughäfen auf Dritte zu übertragen. Diese Aufgabenübertragung erfolgt durch einen Vertrag zwischen dem SEM und den Dritten (vgl. Abs. 7). Im Unterschied zu Absatz 1 sind die zu übertragenden Aufgaben im Sicherheitsbereich abschliessend geregelt (vgl. Bst. a-e).
Bei der Durchsuchung von Personen und Sachen (Bst. c) sowie bei der Unterstützung beim Vollzug von Disziplinarmassnahmen und der vorübergehenden Festhaltung zur Abwendung unmittelbarer Gefahr (Bst. d) kann es im Rahmen der Ausführung dieser Aufgaben zu einem Eingriff in die Grundrechte der Betroffenen kommen. Ein solcher Eingriff setzt nach dem erwähnten Urteil BGE 148 II 218 vom 17. Dezember 2021 des BGer eine genaue Umschreibung der Aufgaben auf Gesetzesstufe voraus, welche an Dritte übertragen werden.
Die Überwachung bzw. Kontrolle im Rahmen der Durchsuchung von Personen und Sachen (Bst. c) kann durch patrouillierendes Personal oder durch Videokameras erfolgen. Bei der Unterstützung beim Vollzug von Disziplinarmassnahmen und der vorübergehenden Festhaltung zur Abwendung unmittelbarer Gefahr (Bst. d) können die beauftragten Dritten das SEM z. B. bei der Abführung, Überwachung oder der Begleitung der Asylsuchenden unterstützen. Die Anordnung der Disziplinarmassnahme bzw. der vorübergehenden Festhaltung erfolgt jedoch immer durch Mitarbeitende des SEM (vgl. Art. 25 a Abs. 1 und Art. 25 b Abs. 1). Dritte sollen zudem mit Aufgaben im Bereich der Förderung des Zusammenlebens, insbesondere zur Konfliktprävention, betraut werden können (Abs. 2 Bst. b). Diesbezüglich kann beispielsweise auf die Betreuerinnen und Betreuer für die Konfliktprävention in den Zentren des Bundes verwiesen werden (vgl. dazu Ziffer 1.1).
Auch die Förderung der psychischen Gesundheit in den Zentren des Bundes kann zur Konfliktprävention beitragen. Diese kann ebenfalls Gegenstand der Förderung des Zusammenlebens und der Konfliktprävention in den Zentren des Bundes sein. Der Bund stellt zudem in Zusammenarbeit mit den Standortkantonen der Zentren sicher, dass dort eine angemessene Gesundheitsversorgung gewährleistet ist (Art. 80 Abs. 1 AsylG). Dazu gehören auch Massnahmen zur Förderung der psychischen Gesundheit.
Abs. 3-5
Da bei einer Delegation von Aufgaben im Sicherheitsbereich erhöhte Anforderungen bestehen, beinhalten die Absätze 3-5 Regelungen zu den konkreten Anforderungen, welche die betroffenen Dritten im Hinblick auf die zu übernehmenden Aufgaben zu erfüllen haben.
So müssen die beauftragten Dritten durch geeignete Massnahmen hinsichtlich der Rekrutierung, Ausbildung und Kontrolle ihres Personals Gewähr dafür bieten, dass die übertragenen Aufgaben angemessen und korrekt erfüllt werden. Nur so können sie mit Aufgaben im Sicherheitsbereich betraut werden. Das EJPD kann auf Verordnungsstufe den genauen Inhalt der einzelnen Garantien festlegen (vgl. Art. 25 e E-AsylG). In der VO-EJPD können zudem Ausführungsbestimmungen zu den Grundzügen der Ausbildung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Sicherheitsbereich erlassen werden (vgl. Art. 25 e Bst. e E-AsylG). Falls die Aufgaben an ein privates Sicherheitsunternehmen übertragen werden, muss dieses zusätzlich über eine kantonale Betriebsbewilligung verfügen (Abs. 3). Die Anforderungen sind dabei kantonal unterschiedlich. Im Kanton Zürich müssen bestimmte Voraussetzungen wie z. B. der Abschluss einer Betriebshaftpflichtversicherung erfüllt sein, damit eine Betriebsbewilligung erteilt werden kann.
Bei Aufgaben im Sicherheitsbereich handelt es sich um sensible Tätigkeiten, welche hohe Anforderungen an die Qualität der Betreuungs- und Sicherheitsdienstleistungen erfordern. Es ist Aufgabe des SEM die entsprechenden Qualitätsstandards festzulegen, die beauftragten Dritten zu beaufsichtigen und regelmässige Qualitätskontrollen durchzuführen. Die erforderlichen Qualitätsstandards werden vertraglich zwischen dem SEM und dem beauftragen Dritten geregelt (Abs. 4; vgl. dazu auch Art. 4 der Verordnung vom 24. Juni 2015 ²4 über den Einsatz von privaten Sicherheitsunternehmen für Schutzaufgaben durch Bundesbehörden).
Schliesslich ist es Aufgabe des SEM sicherzustellen, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Sicherheitsunternehmens eine spezifisch auf den Umgang mit asylsuchenden Personen geeignete und abgestimmte Ausbildung erhalten (Abs. 5).
Abs. 6
Die Sätze 1 und 2 entsprechen dem Wortlaut von Artikel 25 Absatz 3 E-AsylG (vgl. Erläuterungen zu Art. 25 Abs. 3 E-AsylG).
Abs. 7
Die in den Absätzen 1 und 2 geregelten Aufgaben werden durch Vertrag zwischen dem SEM und den beauftragten Dritten übertragen. Die durch das SEM im Sicherheitsbereich beauftragten Dritten (vgl. Abs. 2) sollen durch das SEM für deren Aufwendungen für Verwaltungs- und Personalkosten sowie für die übrigen Kosten gestützt auf diese Verträge abgegolten werden.
Wie bereits heute wird die Abgeltung der Kosten der beauftragten Dritten für die Betreuung und Unterbringung von Asylsuchenden in Artikel 80 Absatz 2 AsylG geregelt.
Abs. 8
Die beauftragten Dritten unterstehen derselben Schweigepflicht wie das Bundespersonal. Dies ist erforderlich, da die entsprechenden Aufgaben an Dritte delegiert werden und diese an dieselben Regelungen gebunden sind, die gälten falls das Bundespersonal selbständig handeln würde.
Art. 25d
Übertragung von Aufgaben an die Kantone
Abs. 1
Wie bereits ausgeführt, ist das SEM für die Sicherstellung des Betriebs in den Zentren des Bundes und den Unterkünften an den Flughäfen zuständig (vgl. Art. 25 E-AsylG). Der Betrieb umfasst unter anderem auch die Gewährleistung der Sicherheit und Ordnung in den Zentren des Bundes und in den Unterkünften an den Flughäfen. Gestützt auf diese Kompetenz kann eine Aufgabenübertragung im Bereich der Sicherheit und Ordnung an Dritte (vgl. Art. 25 c Abs. 2 E-AsylG) oder an die Kantone (vgl. Art. 25 d Abs. 1 E-AsylG) erfolgen. Im Rahmen der Übertragung von Aufgaben an die Kantone kann der Bund mit diesen vereinbaren, dass die Polizeibehörden eines Standortkantons eines Zentrums des Bundes oder einer Flughafenunterkunft die Sicherheit und Ordnung in der entsprechenden Unterkunft gewährleisten. Eine solche Vereinbarung existiert bereits heute zwischen der Flughafenpolizei des Kantons ZH und dem Bund. Aus Gründen der Rechtssicherheit soll die Übertragung von Aufgaben an die Kantone explizit im AsylG festgehalten werden. Mit einer solchen Regelung auf Gesetzesstufe soll die Möglichkeit vorgesehen werden, dass bei Bedarf Aufgaben im Sicherheitsbereich anstelle an private Dritten auch auf kantonale Sicherheitsbehörden durch Vertrag übertragen werden können.
Abs. 2
Bei den Disziplinarmassnahmen und der vorübergehenden Festhaltung kann das SEM nur den Vollzug dieser Massnahmen an die zuständige kantonale Behörde übertragen. Die Anordnung der Disziplinarmassnahmen sowie die Anordnung der vorübergehenden Festhaltung bleibt in der alleinigen Zuständigkeit des SEM.
Abs. 3
Für die Durchsuchung von Personen durch kantonale Polizeibehörden gilt Artikel 9 E-AsylG sinngemäss. Damit finden die spezifischen asylgesetzlichen Regelungen bei der Durchsuchung für die kantonalen Polizeibehörden ebenfalls Anwendung.
Sowohl im Rahmen der Gefahrenabwehr, des Vollzugs von Disziplinarmassnahmen oder der vorübergehenden Festhaltung, als auch bei der Durchsuchung von Personen müssen die Regelungen des ZAG durch die zuständigen kantonalen Behörden beachtet werden. Dies gilt auch für den Einsatz von Waffen, welcher stets verhältnismässig sein muss und nicht zulässig ist, wenn andere, mildere Massnahmen zielführend eingesetzt werden können. Vor diesem Hintergrund soll der Einsatz von Waffen für die zuständigen kantonalen Polizeibehörden im Asylgesetz nicht spezifisch untersagt werden. Es ist jedoch jederzeit möglich, den Einsatz von Waffen im jeweiligen Vertrag zwischen dem SEM und den zuständigen Polizeibehörden einzuschränken, z. B. für ein Zentrum des Bundes, in welchem vorwiegend Familien, Minderjährige oder andere vulnerable asylsuchende Personen untergebracht sind.
Abs. 4
Das SEM überträgt die Aufgaben durch Vertrag. Der Bund richtet den Kantonen Beiträge für ihre Tätigkeit nach Absatz 1 aus. Die im Vertrag geregelte Entschädigung wird pauschal festgesetzt. Ausnahmsweise können die Beiträge auch nach Aufwand festgesetzt werden. Dies gilt insbesondere bei einmalig anfallenden Kosten, z. B. bei einer spezifischen Einrichtung des Zentrums für polizeiliche Gegebenheiten.
Art. 25e
Generelle Ausführungsbestimmungen
Diese Regelung ersetzt den geltenden Artikel 24 b Absatz 2 AsylG, welcher aufgehoben werden soll. Neu soll in den Buchstaben a-g definiert werden, in welchen Bereichen beispielsweise Konkretisierungen auf Verordnungsstufe erfolgen können, um ein rasches Verfahren und einen geordneten Betrieb in den Zentren des Bundes und den Unterkünften an den Flughäfen sicherzustellen. Neben Konkretisierungen zu den Beschäftigungsprogrammen, dem Besuchsrecht, den Ausgangsmodalitäten und den Grundzügen der Ausbildung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Sicherheitsbereich sollen dabei insbesondere weitere Ausführungen zur Durchsuchung (vgl. Erläuterungen zu Art. 9 E-AsylG), zu den Disziplinarmassnahmen (vgl. Erläuterungen zu Art. 25 a E-AsylG) und zu Massnahmen im Hinblick auf die Wahrung der Interessen minderjähriger Asylsuchender, insbesondere zum Vorrang pädagogischer Massnahmen, gemacht werden.
Art. 72
Verfahren
Für das Verfahren zur Gewährung des vorübergehenden Schutzes gelten die allgemeinen Verfahrensregeln und die Regeln über das erstinstanzliche Verfahren des Asylgesetzes sinngemäss. Aus diesem Grund sollen deswegen auch die Regelungen unter dem neuen Abschnitt 2 b für Schutzbedürftige gelten.
Art. 107 Abs. 3
Im Urteil F-1389/2019 vom 20. April 2020 (BVGE VI/10) hat das BVGer festgehalten, dass auf eine Beschwerde gegen eine Verfügung betreffend die Zuweisung in ein besonderes Zentrum nach Artikel 24 a AsylG unabhängig vom Asylentscheid einzutreten ist, wenn 30 Tage nach der Zuweisung noch kein Asylentscheid ergangen ist - dies, obwohl eine solche Verfügung gemäss Artikel 24 a AsylG in Verbindung mit Artikel 107 Absatz 1 AsylG nur im Rahmen der Beschwerde gegen den materiellen Asylentscheid anfechtbar wäre. Das BVGer begründete sein Urteil damit, dass nur auf diese Weise das - auch völkerrechtlich verbriefte - Recht der Beschwerdeführenden auf eine wirksame Beschwerde sichergestellt werden könne. Um dieser Rechtsprechung Rechnung zu tragen, soll Artikel 107 AsylG mit einem neuen Absatz 3 entsprechend ergänzt werden. So wird der Entscheid über die Zuweisung in ein besonderes Zentrum des Bundes (vgl. Art. 25 a Abs. 3 Bst. e E-AsylG) selbstständig anfechtbar, wenn die Endverfügung nicht innerhalb von 30 Tagen nach der Zuweisung eröffnet wird. Dies bedeutet, dass die Beschwerdefrist am 31. Tag nach der Eröffnung des Zuweisungsentscheids beginnt.
¹5 SR 812.121
¹6 SR 514.54
¹7 SR 101
¹8 Vgl. hierzu auch der Bericht des Bundesrates vom 25. September 2019 in Erfüllung des Postulates 16.3407, Feri, vom 9. Juni 2016 «Analyse der Situation von Flüchtlingsfrauen. Analyse der Situation von Frauen und Mädchen aus dem Asylbereich in den Bundesasylzentren und in den Kollektivunterkünften der Kanton».
¹9 SR 364.3
2⁰ Muslimische Seelsorge in Bundesasylzentren - Evaluation des Pilotprojekts zuhanden des Staatssekretariats für Migration, 21.1.2022;
www.admin.ch > Dokumentation > Medienmitteilungen > SEM führt muslimische Seelsorge in den Bundesasylzentren weiter.
2¹ SR 312.0
2² SR 0.107
²3 Vgl. hierzu auch das Urteil des Bundesstrafgerichtes vom 14. Juli 2022 CA.2022.9, welches auf das Urteil des BVGer verweist.
²4 SR 124

6 Auswirkungen

6.1 Auswirkungen auf den Bund

Die Änderungen führen zu keinen wesentlichen neuen finanziellen und personellen Auswirkungen auf den Bund. Bei vielen der vorgeschlagenen Regelungen handelt es sich um solche, die bereits heute in der VO-EJPD enthalten sind und neu nun präzisiert und auf Gesetzesstufe gehoben werden sollen. Lediglich die neue Regelung zur Möglichkeit, Beiträge an Religionsgemeinschaften für seelsorgerische Tätigkeiten in den Zentren des Bundes auszurichten, wird zu gewissen Mehrkosten führen (vgl. unten).
Asylsuchende und ihre mitgeführten Sachen können bereits nach geltendem Recht durchsucht werden (Art. 9 Abs. 1 AsylG). Diese Regelung soll neu präzisiert werden; sie hat damit keine finanziellen und personellen Auswirkungen (vgl. Erläuterungen zu Art. 9 E-AsylG). Auch mit der expliziten Verankerung der wichtigsten Aufgaben des SEM bei der Sicherstellung des Betriebes in den Zentren des Bundes und den Unterkünften an den Flughäfen auf Gesetzesstufe werden dem SEM keine neuen Aufgaben übertragen (Art. 25 E-AsylG). Dies gilt auch für die neu auf Gesetzesstufe vorgesehene Anordnung von Disziplinarmassnahmen (Art. 25 a E-AsylG). Bereits heute kann das SEM gestützt auf die VO-EJPD entsprechende Massnahmen anordnen (vgl. 5. Abschnitt «Disziplinarmassnahmen und Verfahren» VO-EJPD). Folglich können diese ohne finanzielle und personelle Auswirkungen umgesetzt werden.
Artikel 25 b E-AsylG verankert die heute bereits auf Verordnungsstufe vorgesehene Regelung, wonach Asylsuchende in den Zentren des Bundes zur Abwehr einer ernsten, unmittelbaren und nicht anders abwendbaren Gefahr vorübergehend festgehalten werden können (Art. 29 a VO-EJPD; in Kraft seit 15. Januar 2023). Da es sich um eine bereits bestehende Regelung handelt, hat deren Verankerung im AsylG ebenfalls keine finanziellen und personellen Auswirkungen.
Bei der Aufhebung der bisherigen Regelung von Artikel 24 b AsylG zum Betrieb der Zentren sowie der Anpassung des Verweises in Artikel 24 d Absatz 6 E-AsylG handelt es sich um redaktionelle Anpassungen aufgrund der Aufnahme des neuen Abschnittes 2 b «Betrieb der Zentren des Bundes und der Unterkünfte an den Flughäfen». Entsprechend ergeben sich hier ebenfalls keine Auswirkungen auf das Personal oder die Finanzen. Dies gilt auch für die vorgeschlagene Regelung in Artikel 72 E-AsylG, in welcher ebenfalls lediglich eine redaktionelle Präzisierung vorgenommen werden soll.
Wie bereits heute soll das EJPD gestützt auf Artikel 25 e E-AsylG die Kompetenz erhalten, auf Verordnungsstufe nähere Ausführungen zum Betrieb der Zentren des Bundes und der Unterkünfte am Flughafen festzuhalten. Auch diese Delegationsnorm führt zu keinen neuen finanziellen und personellen Auswirkungen.
Mit der vorgeschlagenen Regelung in Artikel 25 c E-AsylG sollen die Voraussetzungen für die Delegation von bereits heute bestehenden Aufgaben im Bereich Betreuung und Unterbringung von Asylsuchenden sowie der Gewährleistung der Sicherheit und Ordnung in den Zentren des Bundes an Dritte auf Gesetzesstufe verankert werden. Dabei soll neu ausdrücklich auf Gesetzesstufe festgehalten werden, dass die Abgeltung der Aufgaben im Bereich der Gewährleistung von Sicherheit und Ordnung durch beauftragte Dritte wie bisher durch das SEM erfolgt (Art. 25 c Abs. 7 E-AsylG). Auch die Übertragung von Aufgaben an die Kantone soll neu auf Gesetzesstufe geregelt werden (vgl. Art. 25 d E-AsylG). Da diese Aufgabenübertragung per Vertrag erfolgt, soll sie kostenneutral umgesetzt werden. Anstelle einer Entschädigung der beauftragten Dritten sollen die betroffenen kantonalen Behörden vom Bund entschädigt werden.
Neu soll, nach einer vorgängigen Akkreditierung durch das SEM, Seelsorgerinnen und Seelsorgern aller Religionsgemeinschaften - Zugang zu den Zentren des Bundes sowie zu den Unterkünften an den Flughäfen gewährt werden. Das SEM kann diese für deren seelsorgerische Tätigkeiten, falls notwendig, auf vertraglicher Basis mit finanziellen Beiträgen unterstützen (Art. 25 Abs. 5 E-AsylG). Gestützt auf die Evaluation des Pilotprojekts für eine «Muslimische Seelsorge in den Bundesasylzentren» hat sich gezeigt, dass bei den Asylsuchenden, bei den Mitarbeitenden des SEM und den Leistungserbringern Sicherheit und Betreuung insbesondere in den Zentren des Bundes eine hohe Nachfrage für muslimische Seelsorgende besteht. Die jährlichen Kosten für den Einsatz muslimischer Seelsorger in den Zentren des Bundes sowie in den Unterkünften an den Flughäfen werden sich auf rund 0,45 Millionen Franken belaufen. Diese Kosten werden im Budget des SEM aufgefangen.

6.2 Auswirkungen auf Kantone und Gemeinden sowie auf urbane Zentren, Agglomerationen und Berggebiete

Die vorgeschlagenen Gesetzesänderungen haben keine Auswirkungen auf die Kan-tone und Gemeinden. Dies gilt auch für die urbanen Zentren, Agglomerationen und Berggebiete.
Wie bereits ausgeführt, soll die Übertragung von Aufgaben im Sicherheitsbereich auf die Kantone (vgl. Art. 25 d E-AsylG) auf vertraglicher Basis zwischen der zuständigen kantonalen Behörde und dem Bund erfolgen. Bereits heute werden Tätigkeiten im Sicherheitsbereich durch Vertrag vom SEM z. B. auf die Flughafenpolizei des Kantons Zürich übertragen.

7 Rechtliche Aspekte

7.1 Verfassungsmässigkeit

Der Entwurf zur Änderung des AsylG stützt sich auf Artikel 121 Absatz 1 BV (Gesetzgebungskompetenz des Bundes über die Gewährung von Asyl sowie Aufenthalt und Niederlassung von Ausländerinnen und Ausländern).
Die vorgeschlagenen Regelungen berühren grundrechtlich geschützte Rechtspositionen. Die Möglichkeit zur Anwendung von Zwang zur Gewährleistung von Sicherheit und Ordnung in den Zentren des Bundes (Art. 25 Abs. 2 E-AsylG), zur Durchsuchung von Asylsuchenden (Art. 9 E-AsylG), zur vorübergehenden Festhaltung zur Abwendung unmittelbarer Gefahr (Art. 25 b E-AsylG), sowie zur Anordnung von Disziplinarmassnahmen (Art. 25 a E-AsylG) stellen Eingriffe etwa in das Grundrecht der persönlichen Freiheit (Art. 10 BV) und allenfalls weiterer Grundrechte (z. B. Schutz der Privatsphäre, Art. 13 BV) dar. Grundrechtseingriffe sind zulässig, wenn sie einer genügenden gesetzlichen Grundlage basieren, im überwiegenden öffentlichen Interesse stehen und verhältnismässig sind. Diesen Erfordernissen tragen die jeweiligen Rechtsgrundlagen Rechnung. Namentlich ist ausdrücklich gefordert, dass die Anwendung der jeweiligen Massnahmen zur Erreichung der im Gesetz aufgezählten Zwecke erforderlich sein muss (Art. 9 Abs. 2, 25 Abs. 2, 25 b Abs. 1 Bst. a E-AsylG). Darüber hinaus wird ausdrücklich angeordnet, dass den Bedürfnissen von minderjährigen Asylsuchenden Rechnung zu tragen ist (Art. 9 Abs. 3, 25 a Abs. 2, 25 b Abs. 5 E-AsylG)
Für die Übertragung staatlicher Aufgaben an Dritte bedarf es einer formell-gesetzlichen Grundlage (Art. 178 Abs. 3 BV), insbesondere wenn deren Erfüllung hoheitliches Handeln erfordert oder verfassungsmässige Rechte von Personen tangiert. Die vorgeschlagenen Regelungen zur Übertragung von Betreuungs- und Sicherheitsaufgaben (Art. 25 c E-AsylG) entsprechen den Vorgaben, die das Bundesgericht ²5 entwickelt hat. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts sind besonders hohe Anforderungen an die Normdichte der gesetzlichen Grundlage zu stellen, wenn Verwaltungsaufgaben an Private übertragen werden, die das Gewaltmonopol des Staates betreffen. Bei der Auslagerung von Sicherheitsaufgaben wird deshalb gefordert, dass neben einer konzisen und abschliessenden Umschreibung der zu übertragenden Aufgaben auch «die Anforderungen an die Beliehenen, deren Befugnisse und Aufsicht sowie die Rahmenbedingungen der ausgelagerten Tätigkeit» im Gesetz im formellen Sinn geregelt werden ²6 . Diesen Vorgaben trägt die vorgeschlagene Regelung Rechnung.
²5 BGE 144 II 376; BGE 140 II 112; BGE 138 I 196, jeweils m.w.H.
²6 BGE 148 II 218, E. 3.3.3., m.w.H.

7.2 Vereinbarkeit mit internationalen Verpflichtungen der Schweiz

Der Entwurf erfüllt die Anforderungen der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) ²7 , des Internationalen Pakts vom 16. Dezember 1966 ²8 über bürgerliche und politische Rechte (UN-Pakt II) und anderer internationaler Übereinkommen.
²7 SR 0 . 101
²8 SR 0.103.2

7.3 Erlassform

Gemäss Artikel 164 Absatz 1 BV sind alle wichtigen rechtsetzenden Bestimmungen in der Form des Bundesgesetzes zu erlassen. Als wichtige rechtsetzende Bestimmungen sind unter anderem Regelungen zu verstehen, die Rechte und Pflichten von Privaten betreffen und insbesondere ihre verfassungsmässigen Rechte einschränken (Art. 164 Abs. 1 Bst. b und c BV), sowie Regelungen, die die Organisation und das Verfahren der Bundesbehörden betreffen, also insbesondere Zuständigkeitsregelungen sowie Vorschriften zum Rechtsmittelweg (Art. 164 Abs. 1 Bst. g BV). Auch für die Übertragung staatlicher Aufgaben an Dritte bedarf es einer formell-gesetzlichen Grundlage (Art. 178 Abs. 3 BV).

7.4 Unterstellung unter die Ausgabenbremse

Mit der Vorlage werden keine neuen Verpflichtungskredite oder Zahlungsrahmen beschlossen, die einmalige Ausgaben von mehr als 20 Millionen Franken nach sich ziehen. Die Vorlage ist somit nicht der Ausgabenbremse (Art. 159 Abs. 3 Bst. b BV) unterstellt.
Bundesrecht
Botschaft zur Änderung des Asylgesetzes (Sicherheit und Betrieb in den Zentren des Bundes)
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