Bericht des Bundesrates zur Bankenstabilität einschliesslich Evaluation gemäss Artikel 52 des Bankengesetzes
Bericht des Bundesrates zur Bankenstabilität einschliesslich Evaluation gemäss Artikel 52 des Bankengesetzes
vom 10. April 2024
Zusammenfassung
Ausgangslage
Mitte März 2023 spitzte sich die Krise der Credit Suisse akut zu. Der unmittelbar drohende Ausfall dieser global systemrelevanten Bank (G-SIB) wurde u. a. mit Liquiditätshilfe der Schweizerischen Nationalbank (SNB) und der angekündigten Übernahme der Credit Suisse durch die UBS am 19. März 2023 abgewendet. Der Bundesrat und die Finanzdelegation der eidgenössischen Räte ermöglichten diese Lösung durch per Notrecht gewährte staatliche Garantien für die SNB und für die UBS. Der Bundesrat verfolgte dabei das Ziel, die Stabilität des Finanzsystems zu sichern und die Kosten für die Volkswirtschaft und die Steuerzahlenden zu minimieren. Dieses Ziel wurde erreicht. Die gestützt auf Notrecht gewährten Liquiditätshilfe-Darlehen der SNB wurden zurückbezahlt und die staatlichen Garantien im August 2023 aufgehoben.
Das Ausmass und die Dynamik der Krise der Credit Suisse, die nach der UBS-Krise von 2008 erneute Notwendigkeit einer staatlichen Unterstützung einer G-SIB, die Anwendung von Notrecht und der Verbleib einer einzigen, vergrösserten G-SIB verlangen nach einer gründlichen Analyse der Ereignisse sowie einer umfassenden Evaluation des bestehenden «Too-Big-To-Fail»-(TBTF)-Dispositivs. Zahlreiche Vorstösse zur TBTF-Thematik, die im Parlament insbesondere im Nachgang zur Krise der Credit Suisse eingereicht wurden, unterstreichen diesen Analysebedarf.
Inhalt und Aufbau des Berichts
Der Fokus der vorliegenden Aufarbeitung der Krise der Credit Suisse durch den Bundesrat liegt auf der Identifizierung des Handlungsbedarfs, um die Resilienz und Stabilität der systemrelevanten Banken (SIBs) und des Schweizer Finanzplatzes zu stärken und damit die Risiken für die Volkswirtschaft und für die Steuerzahlenden weiter zu minimieren.
Mit dem Bericht werden die Analyseaufträge gemäss der Botschaft vom 29. März 2023 über den Nachtrag IA zum Voranschlag 2023 erfüllt. Im Weiteren werden auch die überwiesenen Postulate der eidgenössischen Räte erfüllt, die sich mit dem TBTF-Dispositiv sowie mit weiteren relevanten Themen befassen, die über die TBTF-Thematik hinausgehen. Schliesslich erfüllt der Bundesrat mit diesem Bericht auch die gesetzliche Pflicht gemäss Artikel 52 des Bankengesetzes, die Regulierung der SIBs regelmässig im internationalen Vergleich zu evaluieren.
Der Bericht beruht auf breit angelegten behördeninternen und -externen Analysen. Er gliedert sich neben einer Einleitung in drei Teile. Teil I des Berichts fasst die Ausgangslage, den Handlungsbedarf und die empfohlenen Massnahmen zusammen. Teil II enthält eine Vertiefung des Hintergrunds und die ausführlichen Analysen, die dem abgeleiteten Handlungsbedarf und den empfohlenen Massnahmen zugrunde liegen. Er präsentiert eine umfassende Würdigung des TBTF-Dispositivs sowie der weiteren Themen im Bereich der guten Unternehmensführung (sog. Corporate Governance) und der Aufsicht, die sich als zentral für die Stabilität des Finanzplatzes erwiesen haben. Teil III enthält unterstützende Materialien.
In den weiteren Ausarbeitungen der Gesetzes- und Verordnungsbestimmungen des TBTF-Dispositivs werden auch die Ergebnisse der laufenden Arbeiten der von den eidgenössischen Räten eingesetzten Parlamentarischen Untersuchungskommission (PUK) «Geschäftsführung der Behörden - CS-Notfusion» zu berücksichtigen sein. Die PUK untersucht Rolle und Handeln der zuständigen Behörden in der Krise der Credit Suisse.
Erkenntnisse und Handlungsbedarf
Für die Schweizer Volkswirtschaft und die Qualität des Wirtschaftsstandorts ist ein stabiler, internationaler und breit aufgestellter Finanzplatz von zentraler Bedeutung. Der Bundesrat hält entsprechend an seiner Finanzplatzstrategie vom 4. Dezember 2020 fest. Dabei erachtet er Stabilität und Resilienz als unerlässliche Eckpfeiler für einen attraktiven, innovativen, global vernetzten und nachhaltigen Finanzplatz. Die Besonderheit einer im Verhältnis zum Bruttoinlandprodukt (BIP) sehr grossen G-SIB verlangt nach klaren, überzeugenden und wirksam umgesetzten regulatorischen Rahmenbedingungen.
Der Bundesrat kommt gestützt auf die Analyse zum Schluss, dass sich viele der national und international eingeführten Massnahmen zur Erhöhung der Finanzstabilität grundsätzlich bewährt haben. Er erachtet auch die bestehende Zielsetzung des TBTF-Dispositivs - die Minderung der Risiken für das schweizerische Finanzsystem, die Gewährleistung volkswirtschaftlich wichtiger Funktionen systemrelevanter Banken und die Vermeidung staatlicher Beihilfen - weiterhin als zielführend und zweckmässig.
Die Analyse zeigt aber auch Lücken im bestehenden Dispositiv und einen klaren Handlungsbedarf für eine Weiterentwicklung und Stärkung des Regelwerks. Konkret geht es um folgende drei Stossrichtungen:
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Stossrichtung 1: Dispositiv im Bereich der Prävention stärken;
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Stossrichtung 2: Liquiditätsdispositiv stärken;
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Stossrichtung 3: Instrumentarium für den Krisenfall erweitern.
Aus diesen drei Stossrichtungen werden sechs Handlungsfelder abgeleitet, für die konkrete Massnahmen vorgeschlagen werden.
Die vorgeschlagenen Massnahmen sollen grundsätzlich gezielt für SIBs und zum Teil spezifisch für G-SIBs eingeführt werden. Einzelne Massnahmen, insbesondere im Bereich der Corporate Governance und des Instrumentariums der Finanzmarktaufsicht (FINMA), betreffen jedoch auch weitere Finanzinstitute.
Die angestrebte Weiterentwicklung soll insgesamt zu einer Stärkung der Eigenverantwortung (von Banken, Bankorganen, aber auch Bankkundinnen und -kunden) führen und nicht zu einer stärkeren Abstützung auf den Staat. Die Umsetzung der Massnahmen soll verhältnismässig und effektiv erfolgen. Das TBTF-Dispositiv soll so praktikabel und international vergleichbar wie möglich bleiben.
Schliesslich ist festzuhalten, dass Krisensituationen naturgemäss unberechenbar bleiben. Die Möglichkeit des Bundesrats, in konkreten Krisensituationen im Landesinteresse und gestützt auf die Bundesverfassung auch notrechtlich zu handeln, kann und soll daher nicht kategorisch ausgeschlossen werden, auch wenn darauf grundsätzlich und wenn immer möglich zu verzichten ist.
Es ist zudem zu vermeiden, mit einer auf eine spezifische Krise zugeschnittenen Regulierung hohe Kosten einzugehen, wenn deren Beitrag an die Prävention und Bewältigung künftiger Krisen unklar ist. Im Zentrum des vorliegenden Berichts stehen daher prinzipienbasierte Massnahmen, die die Resilienz und Stabilität der SIBs und des Finanzplatzes Schweiz insgesamt stärken.
Abgeleitete Handlungsfelder und vorgeschlagene Massnahmen
Stossrichtung 1: Dispositiv im Bereich der Prävention stärken
Die Krise der Credit Suisse war das Resultat wiederholter Vorfälle und Missstände bei der Bank, die sich trotz intensivierter Aufsichts- und Enforcementaktivitäten der FINMA über mehrere Jahre hinzogen und sich letztlich im März 2023 zu einer akuten Vertrauenskrise zuspitzten.
Eine erste grundlegende Stossrichtung der Weiterentwicklung des TBTF-Dispositivs liegt darin, die Prävention zu stärken und die Wahrscheinlichkeit, dass eine SIB in eine derart kritische Lage gerät, zu verringern.
Eigenmittel- und Liquiditätsvorschriften sind entscheidende Elemente der Resilienz und Stabilität einer SIB. Sie können für sich alleine genommen die Resilienz und Stabilität einer SIB aber nicht sicherstellen. Die Institute müssen nebst der Erfüllung konkreter regulatorischer Anforderungen insbesondere ihre langfristige Ausrichtung (z. B. hinsichtlich Strategie, Corporate Governance und Unternehmenskultur) verantwortungsvoll ausgestalten. Diese Eigenverantwortung kann durch Regulierung und Aufsicht nicht ersetzt werden, jedoch können die Anreize für die Corporate Governance weiter gestärkt werden. Je gravierender sich ein unternehmerisches Scheitern eines Finanzinstituts auf die Finanzstabilität, die Volkswirtschaft und die Steuerzahlenden auswirkt, desto relevanter wird die subsidiäre Rolle von Regulierung und Aufsicht.
Der Bundesrat sieht folgende drei Handlungsfelder vor, um das bestehende Dispositiv zu ergänzen und gezielt zu stärken:
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Handlungsfeld 1: Corporate Governance und Aufsicht. Die Corporate Governance von SIBs soll gefördert und die Aufsicht der F INMA gestärkt werden. Konkret sollen u. a. ein Verantwortlichkeitsregime (sog. Senior Managers Regime ) und Massnahmen im Bereich der variablen Vergütungen (z. B. Sperrfristen und Rückforderungsklauseln) eingeführt werden. Damit soll ein angemessenes, verantwortungsvolles Risikomanagement erreicht werden. Zudem soll die FINMA in diesem Bereich u. a. dank zusätzlichen Instrumenten (z. B. über eine erweiterte Auskunfts- und Meldepflicht) wirksamer eingreifen können.
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Handlungsfeld 2: Eigenmittelanforderungen. Die Eigenmittelanforderungen für SIBs sollen insbesondere im Hinblick auf Schwachstellen, die sich in der Krise der Credit Suisse zeigten, gezielt gestärkt werden. Dafür sollen die Eigenmittelanforderungen für SIBs strikter umgesetzt, bei den institutsspezifischen Säule-2-Eigenmittelzuschlägen zukunftsgerichtete Elemente einge führt und die Eigenmittelunterlegungen für ausländische Beteiligungen gestärkt werden. Die Anforderungen sollen sich weiterhin nach internationalen Regeln und der internationalen Praxis richten und der Wettbewerbsfähigkeit Rechnung tragen.
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Handlungsfeld 3: Frühintervention und Stabilisierung. Die Möglichkeiten und Pflichten der FINMA für Frühinterventionen sollen gestärkt und die zu ergreifenden Massnahmen zur Stabilisierung der SIBs ausgebaut werden. Eine angeschlagene Bank soll durch rechtzeitige Massnahmen nach klaren Kriterien möglichst rasch stabilisiert werden. Dabei ist unter anderem auch die Berücksichtigung von Marktindikatoren zur Auslösung von Frühinterventionen zu prüfen.
Stossrichtung 2: Liquiditätsdispositiv stärken
Banken sind anfällig für Liquiditätskrisen, dies aufgrund ihrer Funktion der Fristentransformation, bei der sie einerseits Einlagen annehmen, die jederzeit oder innert kurzer Frist verfügbar sein müssen, und andererseits längerfristige Kredite vergeben. Die Liquiditätsabflüsse im Herbst 2022 und im Frühling 2023 bei der Credit Suisse und im US-Bankensektor zeigten aber bezüglich des Ausmasses und der Geschwindigkeit eine neue Dimension und Komplexität.
Das Dispositiv für SIBs sowie für Banken generell muss dieser erhöhten Dynamik künftig verstärkt Rechnung tragen. Entsprechend wurde das folgende Handlungsfeld identifiziert:
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Handlungsfeld 4: Liquiditätssicherung in der Krise. Die Liquiditätssicherung in der Krise von SIBs und des gesamten Bankensektors soll substanziell ausgebaut werden.
Dabei ist als erste Verteidigungslinie die bankeigene Liquiditätshaltung zu stärken. Dies wird mit den besonderen Liquiditätsanforderungen, die von den SIBs bis Ende 2024 vollständig erfüllt werden müssen, bereits umgesetzt. Gemäss den gesetzlichen Vorgaben werden diese besonderen Liquiditätsanforderungen bis 2026 nochmals auf ihre Wirksamkeit überprüft. Auf internationaler Ebene wird sich die Schweiz dafür einsetzen, dass die Liquiditätskennzahlen und -anforderungen überprüft und im Lichte der Erkenntnisse angepasst werden.
Als zweite Verteidigungslinie ist auch das Potenzial zur Liquiditätsversorgung über die Zentralbank als Kreditgeberin in letzter Instanz (Lender of Last Resort, LoLR) deutlich auszubauen. Im Hinblick auf diese Zielsetzung sollen im Rahmen der Umsetzung des Postulats 23.3445 «Überprüfung des Instrumentariums der SNB» und unter Berücksichtigung des verfassungsmässigen Auftrags der SNB die bestehenden rechtlichen Rahmenbedingungen des LoLR überprüft und ggf. weiterentwickelt werden. Ein wichtiges Element einer Stärkung des LoLR-Dispositivs ist auch eine Ausweitung der Vorbereitungsmassnahmen seitens der Banken u. a. auch mittels neuer Verpflichtungen.
Als dritte Verteidigungslinie ist die Möglichkeit einer staatlichen Liquiditätssicherung (Public Liquidity Backstop, PLB) gesetzlich zu verankern, damit im Bedarfsfall eine Abwicklung - also eine Sanierung oder eine Konkursliquidation mit Weiterführung der systemrelevanten Funktionen gemäss Notfallplanung - mit staatlich garantierter Liquiditätshilfe unterstützt werden kann. Ein PLB gehört international zum Standard-Instrumentarium bei Bankenkrisen. Die Botschaft zum PLB hat der Bundesrat im September 2023 zuhanden des Parlaments verabschiedet.
Stossrichtung 3: Instrumentarium für den Krisenfall erweitern
Das Risiko einer Insolvenz einer Bank kann nie gänzlich eliminiert werden. Im Krisenfall müssen SIBs geordnet aus dem Markt ausscheiden können. Diese Option ist für das Funktionieren des Finanzmarkts und der Volkswirtschaft zentral. Daraus ergibt sich das folgende Handlungsfeld:
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Handlungsfeld 5: Abwicklungsplanung. Die Abwicklungsplanung - und damit die Abwicklungsfähigkeit einer SIB - soll weiter verbessert werden.
Analysen zeigen, dass die Abwicklung namentlich einer G-SIB mit ernst zu nehmenden Risiken verbunden ist, darunter Rechts- und Umsetzungsrisiken auf internationaler wie auch auf nationaler Ebene, die weiter minimiert werden müssen. Vor diesem Hintergrund sollen nicht zuletzt die für eine Abwicklung zur Verfügung stehenden Optionen erweitert und auf verschiedene Krisenszenarien zugeschnittene Abwicklungsstrategien vorbereitet werden. Die Abwicklungsfähigkeit wird darüber hinaus durch gezielte Anforderungen an die Eigenmittel erhöht.
Schliesslich wurde das folgende Handlungsfeld identifiziert:
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Handlungsfeld 6: Krisenorganisation und Zusammenarbeit der Behörden. Die Krisenorganisation und die Zusammenarbeit der Behörden sollen gestärkt werden.
Aus Sicht des Bundesrates hat die Krisenorganisation im Fall der Credit Suisse grundsätzlich funktioniert und zu einer Lösung geführt, welche die Lage rasch stabilisieren konnte. Dennoch ist im Hinblick auf künftige Krisen und unter Berücksichtigung eines internationalen Vergleichs zu prüfen, ob die Rollen und Verantwortlichkeiten weiter zu schärfen sind und die Zusammenarbeit und Beschlussfindung namentlich unter den Behörden FINMA, SNB und dem Eidgenössischen Finanzdepartement (EFD) klarer zu regeln sind. Dabei werden die Ergebnisse der PUK zu berücksichtigen sein.
Ausblick
Aus Sicht des Bundesrats bilden die vorgeschlagenen Massnahmen ein Paket; sie wurden im Hinblick auf die Wirkung, die sie in ihrer Gesamtheit entfalten, gewählt. Mit ihrer Umsetzung wird die Wahrscheinlichkeit einer erneuten Krise einer SIB in der Schweiz signifikant reduziert. Im Fall einer trotzdem eintretenden Krise wird die Stabilisierungs- und Abwicklungsfähigkeit einer SIB deutlich verbessert. Entscheidend dafür wird die konkrete Ausgestaltung der einzelnen Massnahmen sein.
Mit der Umsetzung dieser Massnahmen auf Gesetzes- und Verordnungsstufe stärkt die Schweiz nicht nur ihren eigenen Finanz- und Bankenplatz und damit ihren Wirtschaftsstandort, sondern auch die Stabilität des globalen Finanzsystems. Entsprechend wird sich die Schweiz auch in den zuständigen internationalen Gremien für diese Massnahmen einsetzen.
Aufbau des Berichts
Der Bundesrat präsentiert im vorliegenden Bericht das Massnahmenpaket, das er zur Stärkung der SIBs und der Finanzstabilität zur Umsetzung vorschlägt. Der Bericht ist so aufgebaut, dass nach einer Einleitung die Massnahmen, die der Bundesrat zur Umsetzung empfiehlt, in einem ersten, kompakten und eigenständig lesbaren Teil dargestellt sind. Weiterführende Informationen und die umfassenden Analysen und Herleitungen des Handlungsbedarfs - die ebenfalls Teil des Auftrags sind - folgen im zweiten Teil. Der dritte Teil enthält Verzeichnisse und Übersichten.
Der Bericht ist somit wie folgt aufgebaut:
Teil I beschreibt die Ausgangslage, die wesentlichen Schlussfolgerungen und das vom Bundesrat vorgeschlagene Massnahmenpaket. Kapitel 2 bietet eine Übersicht über das bestehende TBTF-Dispositiv und seine Wirkung im Fall der Credit Suisse. Kapitel 3 präsentiert die Haltung des Bundesrats zu Grundsatzfragen des TBTF-Dispositivs und beschreibt den Handlungsbedarf und die Handlungsfelder. Kapitel 4 enthält die empfohlenen Massnahmen zur Stärkung der Stabilität der SIBs und des Schweizer Finanzplatzes. Teil I enthält somit die wichtigsten Informationen des Berichts und ist eigenständig lesbar.
Teil II enthält umfangreiche Hintergrundinformationen und Analysen und ist entsprechend thematisch gegliedert. Kapitel 5 beschreibt den Verlauf der Krise der Credit Suisse sowie die behördlich unterstützte Übernahme der Credit Suisse durch die UBS. Kapitel 6 befasst sich mit der Definition der Systemrelevanz. Die Kapitel 7-17 nehmen eine umfassende Auslegeordnung und Würdigung vor in Bezug auf das bestehende TBTF-Dispositiv und auf Themen der Corporate Governance und der Aufsicht, die sich für die Stabilität des Finanzplatzes als zentral erwiesen haben. Diese Kapitel beurteilen auch die Wirksamkeit des bestehenden Regelwerks im Fall der Credit Suisse. Es werden mögliche Massnahmen für Anpassungen diskutiert und in Erfüllung von Artikel 52 des Bankengesetzes wird jeweils auch der internationale Vergleich gezogen. Analysiert werden die Themen Eigenmittelanforderungen (Kap. 7), Liquiditätsanforderungen (Kap. 8), Liquiditätshilfe (Kap. 9 und 10), Einlegerschutz (Kap. 11), Stabilisierung (Kap. 12), Abwicklung (Kap. 13), strukturelle Massnahmen (Kap. 14), Corporate Governance (Kap. 15), weitere Themen der Aufsicht (Kap. 16) sowie die institutionellen Zuständigkeiten im Bereich Finanzstabilität (Kap. 17).
Teil III des Berichts enthält unterstützende Materialien, namentlich ein Abbildungs-, ein Tabellen- und ein Boxenverzeichnis sowie eine Übersicht der in Auftrag gegebenen Gutachten und der parlamentarischen Vorstösse. Am Ende des Berichts ist ein Abkürzungsverzeichnis enthalten.
Bericht
Einleitung
Kontext
Die globale Finanzkrise 2007/08 hat gezeigt, dass die Notlage oder der Ausfall einer systemrelevanten Bank ( Systemically Important Bank , SIB) aufgrund der nicht kurzfristig substituierbaren Dienstleistungen der Bank sowie aufgrund von deren Grösse, Marktbedeutung und Vernetzung zu erheblichen Verwerfungen im Finanzsystem und zu bedeutenden volkswirtschaftlichen Schäden führen kann. Aus diesem Grund haben Bundesrat und Parlament im Nachgang zur Finanzkrise im Einklang mit den internationalen Bestrebungen Massnahmen für die Bestimmung und die Regulierung von SIBs getroffen.
Ziele des sogenannten Too-Big-To-Fail -(TBTF)-Dispositivs sind einerseits die Verminderung der Wahrscheinlichkeit des Eintretens und die Abschwächung der Auswirkungen einer Bankenkrise und andererseits die Vermeidung staatlicher Beihilfen zur Rettung von Banken. Zahlreiche Staaten (darunter z. B. Deutschland, Irland, Island, das Vereinigte Königreich [UK] und die USA) hatten im Zuge der Finanzkrise 2007/08 insgesamt geschätzte 3500 Milliarden US-Dollar an Steuergeldern zur Rettung von Banken ausgegeben. ¹
Trotz der national und international ergriffenen Massnahmen geriet im März 2023 mit der Credit Suisse erneut eine Schweizer SIB in eine Notlage. Die Credit Suisse wäre ohne umfassende Massnahmen von ausserhalb der Bank spätestens am 20. März 2023 in einen ungeordneten Konkurs gefallen - mit massiven negativen Auswirkungen auf die Schweizer Volkswirtschaft und die internationalen Finanzmärkte.
Vor diesem Hintergrund leitete der Bundesrat nach Rücksprache mit der Eidgenössischen Finanzmarkaufsicht (FINMA) und der Schweizerischen Nationalbank (SNB) am 16. und 19. März 2023 Massnahmen in die Wege, um hohen Schaden für die Schweizer Volkswirtschaft und die internationale Finanzmarktstabilität abzuwenden. Die durch Massnahmen des Bundes, der FINMA und der SNB unterstützte Übernahme der Credit Suisse durch die UBS führte zu einer raschen Stabilisierung der Lage. Die mit diesen Massnahmen gewährten Risikogarantien des Bundes wurden im August 2023 nach wenigen Monaten beendet.
Das Ausmass der Krise der Credit Suisse, die erneute Notwendigkeit einer staatlichen Unterstützung via Notrecht sowie der Verbleib einer einzigen, vergrösserten global systemrelevanten Bank ( Global Systemically Important Bank, G-SIB) ² in der Schweiz verlangen nach einer umfassenden Analyse und der Identifizierung von Massnahmen für eine weitere Stärkung der Stabilität des Schweizer Finanzplatzes.
Im Fokus der vorliegenden Analyse und des allfälligen Handlungsbedarfs zur Stärkung der Finanzstabilität stehen - wie im bestehenden TBTF-Dispositiv - die SIBs. In einzelnen Bereichen wie beispielsweise der guten Unternehmensführung (sog. Corporate Governance) scheint aufgrund von überwiesenen Postulaten aus dem Parlament, aufgrund von Erkenntnissen aus der Krise der Credit Suisse oder aufgrund der schwierigen Abgrenzung einer Massnahme ein anderer Anwendungsbereich erforderlich. Wo ein solcher anderer Anwendungsbereich vorgesehen ist, wird dies ausdrücklich erwähnt.
¹ Igan et al.,
The Long Shadow of the Global Financial Crisis: Public Interventions in the Financial Sector
, IMF Working Paper WP/19/164, Juli 2019.
² Vereinfachend werden in diesem Bericht der internationale Begriff «G-SIB» sowie der Begriff «international tätige SIB» nach Schweizer Rechtsetzung als Synonyme verwendet, vgl. Kap. 2.2 (insb. Fussnote 19).
Auftrag
Der vorliegende Bericht basiert auf folgenden Aufträgen:
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Auftrag gemäss der Botschaft vom 29. März 2023 ³ über den Nachtrag IA zum Voranschlag 2023: Im Rahmen der Botschaft hat der Bundesrat das Eidgenössische Finanzdepartement (EFD) beauftragt, innert Jahresfrist die Ereignisse, die zur Übernahme der Credit Suisse durch die UBS und zu den ergriffenen staatlichen Massnahmen führten, aufzuarbeiten sowie die bestehende TBTF-Regulierung umfassend zu evaluieren. Diese Aufarbeitung soll unter Einbezug der Departemente, der Bundeskanzlei und externer Gutachten erfolgen sowie Rücksicht nehmen auf allfällige vom Parlament beschlossene Aufarbeitungen, wie diejenige durch die parlamentarische Untersuchungskommission (PUK) «Geschäftsführung der Behörden - CS-Notfusion».
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Parlamentarische Vorstösse: Der vorliegende Bericht nimmt die zahlreichen Fragestellungen und Anliegen aus den parlamentarischen Vorstössen aus dem National- und dem Ständerat zur Schweizer TBTF-Regulierung und zum Fall Credit Suisse auf S. 320 des Berichts enthält eine detaillierte Übersicht dazu. Die folgenden Postulate (Po.), die zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Berichts vom Parlament an den Bundesrat überwiesen sind, werden in diesem Bericht behandelt:
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«Schlanke Werkzeuge, um höchste Finanzmarktkader besser in die Pflicht zu nehmen» (Po. 21.3893 von NR Andrey),
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«Wirksame Sanktionen der Finma gegen fehlbare Finanzinstitute» (Po. 21.4628 von NR Birrer-Heimo),
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«Prüfung einer möglichen Klage gegen die Führungsorgane der Credit Suisse» (Po. 23.3439 der Kommission für Rechtsfragen des Nationalrats [RK-N]),
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«Faktische Anwendbarkeit der Too-big-to-fail-Regulierung auf internationale Grossbanken» (Po. 23.3440 der RK-N),
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«Nachträgliche Genehmigung der dringlichen Verpflichtungskredite für eine Ausfallgarantie des Bundes an die SNB und die Verlustabsicherung an die UBS AG. Aus Sicht der Finanzkommission des Ständerates zu prüfende Fragen» (Po. 23.3441 der Finanzkommission des Ständerats [FK-S]),
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«Nachträgliche Genehmigung der dringlichen Verpflichtungskredite für eine Ausfallgarantie des Bundes an die SNB und die Verlustabsicherung an die UBS AG. Aus Sicht der Finanzkommission des Nationalrates zu prüfende Fragen» (Po. 23.3442 der Finanzkommission des Nationalrats [FK-N]),
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«Zukunft des Finanzplatzes Schweiz» (Po. 23.3443 der Kommission für Wirtschaft und Abgaben des Nationalrats [WAK-N]),
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«Die Too-big-to-fail-Regulierung auf die Situation eines Bankruns und weitere Sachverhalte überprüfen und anpassen» (Po. 23.3446 der WAK-N),
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«Analyse der allfällig massgebenden Faktoren des Credit-Suisse-Versagens» (Po. 23.3447 der WAK-N);
Über die im Nachgang zur Übernahme der Credit Suisse durch die UBS ebenfalls vom Parlament überwiesenen Postulate «Anwendung von Notrecht» (Po. 23.3438 der RK-N), «Zusammenschluss von UBS und CS. Beurteilung der wettbewerbsrechtlichen und volkswirtschaftlichen Bedeutung» (Po. 23.3444 der WAK-N), und «Überprüfung des Instrumentariums der SNB» (Po. 23.3445 der WAK-N) wird der Bundesrat separat Bericht erstatten. Für den Finanzplatz relevante Schlüsse werden in den Folgearbeiten berücksichtigt.
Weitere Vorstösse des Parlaments, auch solche, die zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Berichts im Parlament noch nicht abschliessend behandelt oder beispielsweise infolge Ablehnung in den Räten oder Rückzugs bereits erledigt sind, werden im vorliegenden Bericht ebenfalls behandelt. Sie sind ebenfalls auf S. 320 aufgeführt.
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Auftrag gemäss Artikel 52 BankG: Gemäss Artikel 52 des Bankengesetzes vom 8. November 1934 ⁴ (BankG) prüft der Bundesrat alle zwei Jahre die Bestimmungen für SIBs im Hinblick auf die Vergleichbarkeit und den Grad der Umsetzung der entsprechenden internationalen Standards im Ausland. Er erstattet der Bundesversammlung jeweils darüber Bericht und zeigt den allfälligen Anpassungsbedarf auf Gesetzes- und Verordnungsstufe auf. Der vierte Evaluationsbericht wurde vom Bundesrat am 4. Juni 2021 ⁵ zuhanden des Parlaments verabschiedet. In Erfüllung des aufgeführten gesetzlichen Auftrags dient der vorliegende Bericht auch als fünfte Ausgabe dieser Berichterstattung des Bundesrates.
³
Botschaft über den Nachtrag IA zum Voranschlag 2023
, 29 . März 2023, S. 17.
⁴
SR
952.0
⁵
BBl
2021
1487
Abgrenzung zur PUK
Das Parlament beschloss am 8. Juni 2023 ⁶ die Einsetzung einer Parlamentarischen Untersuchungskommission (PUK) zur Untersuchung der Geschäftsführung der Behörden im Zusammenhang mit der Notfusion der Credit Suisse mit der UBS. Gegenstand der parlamentarischen Untersuchung bildet die Geschäftsführung der letzten Jahre des Bundesrates, der Bundesverwaltung und anderer Träger von Aufgaben des Bundes im Zusammenhang mit der Notfusion der Credit Suisse mit der UBS, soweit diese der parlamentarischen Oberaufsicht unterliegen. Zu untersuchen sind die Rechtmässigkeit, Zweckmässigkeit und Wirksamkeit der Tätigkeit der genannten Behörden und Organe sowie deren Zusammenwirken untereinander und mit Dritten.
Im Hinblick auf künftige Anpassungen des TBTF-Dispositivs werden auch die zum aktuellen Zeitpunkt noch nicht vorliegenden Ergebnisse der PUK mitzuberücksichtigen sein. Dies betrifft insbesondere mögliche Anpassungen des institutionellen Rahmens, der die Zusammenarbeit und die Rollen der Behörden regelt.
⁶
BBl
2023
1369
Vorgehen
Die Arbeiten zum vorliegenden Bericht sind unter der Leitung des EFD und unter Einbezug der SNB, der FINMA, des Staatssekretariats für Wirtschaft (SECO) und weiterer verwaltungsinterner Stellen erfolgt. Der Bundesratsausschuss Finanzfragen, die Finanzdirektorenkonferenz der Kantone und die Kommissionen für Wirtschaft und Abgaben wurden mindestens je zweimal über den Stand der Arbeiten informiert und dazu konsultiert. Mit der Volkswirtschaftsdirektorenkonferenz der Kantone fand ebenfalls ein Austausch statt.
Der Bericht stützt sich auf eine Vielzahl externer Analysen. Dazu zählen:
-
Bericht «Reformbedarf nach dem Untergang der Credit Suisse» der Expertengruppe «Bankenstabilität» ⁷ ;
-
vom EFD in Auftrag gegebene externe Gutachten (vgl. S. 319);
-
Peer-Review des Financial Stability Boards (FSB) zur Schweizer TBTF-Regulierung ⁸ ;
-
Bericht «2023 Bank Failures: Preliminary lessons learnt for resolution» des FSB ⁹ ;
-
Bericht «Report on the 2023 banking turmoil» des Basler Ausschusses für Bankenaufsicht (BCBS) 1⁰ .
Ebenfalls zur Kenntnis genommen wurden Analysen der SNB und der FINMA , die von diesen beiden Behörden unabhängig erarbeitet wurden. Dazu zählen der Bericht zur Finanzstabilität 2023 der SNB und der Bericht der FINMA zu den «Lessons Learned aus der CS-Krise». 1¹
TEIL I Ausgangslage, Handlungsbedarf und empfohlene Massnahmen
⁷ Expertengruppe Bankenstabilität 2023,
Reformbedarf nach dem Untergang der Credit Suisse
, 1. Sept. 2023.
⁸ FSB,
Peer Review of Switzerland
, 29. Febr. 2024.
⁹ FSB,
2023 Bank Failures: Preliminary lessons learnt for resolution
, 10. Okt. 2023.
1⁰ BCBS ,
Report on the 2023 banking turmoil
, Okt. 2023.
1¹ SNB,
Bericht zur Finanzstabilität 2023
, Juni 2023. FINMA ,
Bericht der FINMA zu den Lessons Learned aus der CS-Krise
, 19. Dez. 2023.
Ausgangslage
Bedeutung des Finanzplatzes Schweiz und TBTF-Problematik
Banken, Versicherungen, Finanzmarktinfrastrukturen, Vermögensverwalter und andere Finanzdienstleistungsunternehmen erfüllen fundamentale Funktionen für die Gesellschaft und die Wirtschaft. Konsum, Handel, Investitionen, Risikoabsicherung und Altersvorsorge wären ohne einen gut funktionierenden Finanzsektor nicht möglich.
Die Schweiz verfügt über einen breit aufgestellten und international ausgerichteten Finanzplatz. Teil dieses Finanzplatzes ist ein international bedeutender Bankenplatz. Dieser ist weltweit führend in der grenzüberschreitenden Vermögensverwaltung und stellt gleichzeitig auch die Versorgung der Schweizer Bevölkerung mit Finanzdienstleistungen sicher, namentlich mit dem Einlagen- und Kreditgeschäft sowie dem Zahlungsverkehr.
Der Bankensektor ist für die Schweiz von grosser volkswirtschaftlicher Bedeutung. Er trägt direkt rund 5 Prozent zur Gesamtwertschöpfung in der Schweiz bei, beschäftigte 2022 rund 108 000 Personen und generierte 2021 Unternehmens- und Einkommenssteuern in der Höhe von rund 9 Milliarden Franken. ¹2 Aufgrund der wirtschaftlichen Verflechtung profitieren auch andere Branchen vom Schweizer Finanzsektor, womit seine volkswirtschaftliche Bedeutung weit über diese Kennzahlen hinaus geht.
In seiner Finanzplatzstrategie vom 4. Dezember 2020 ¹3 hat der Bundesrat denn auch seine Ambition festgehalten, dass der Finanzplatz Schweiz auch weiterhin zu den führendenden internationalen Finanzzentren gehören soll. Dabei erachtet er Stabilität und Resilienz als unerlässliche Eckpfeiler für einen attraktiven, innovativen, global vernetzten und nachhaltigen Finanzplatz. ¹4
Im internationalen Vergleich sticht der Schweizer Bankensektor durch seine relative Grösse in Bezug auf die Gesamtwirtschaft sowie die Dominanz einiger weniger Banken hervor. Per Ende 2022 betrugen die Aktiven des gesamten Bankensektors rund 3600 Milliarden Franken - über das Viereinhalbfache des Schweizer Bruttoinlandprodukts (BIP). Dabei machten die Aktiven der fünf grössten Banken rund 60 Prozent aus. Per Ende 2023 betrugen alleine die Aktiven der grössten Bank - der UBS nach Integration der Credit Suisse - mit über 1400 Milliarden Franken rund 180 Prozent des BIPs der Schweiz (siehe Abbildung 2).
Ein bedeutender Finanzplatz mit international tätigen Banken bringt der Schweiz wesentliche Vorteile. ¹5 Grosse, global ausgerichtete Banken leisten nicht nur einen direkten Beitrag zur Wertschöpfung, sondern stärken auch die Versorgung der Realwirtschaft mit Finanzmitteln. Sie bieten eine Anbindung an den globalen Zahlungsverkehr, Währungsabsicherungen, Kapitalmarktdienstleistungen, Exportfinanzierungen sowie Unterstützung bei Unternehmensgründungen, Börsengängen und Fusionen. Grosse international tätige Banken bieten auch wesentliche Dienstleistungen für andere Banken in der Schweiz wie die Wertpapierverwahrung oder die internationale Währungsabwicklung. International tätige Schweizer Banken, die diese Dienstleistungen anbieten, machen die Realwirtschaft unabhängiger von Entscheiden anderer Jurisdiktionen und schützen damit den Zugang der Unternehmen zu diesen Dienstleistungen.
Mit der Grösse und Komplexität von Banken steigen allerdings auch die Risiken in einer Krise und somit die Anforderungen an die Regulierung und Aufsicht. Aufgrund der Grösse und der internationalen Verflechtung des Schweizer Bankensektors sind daher die Rahmenbedingungen zur Gewährleistung der Finanzstabilität für die Schweiz von besonderer Bedeutung.
Dies gilt namentlich für den Umgang mit der sogenannten TBTF-Problematik. Diese besteht darin, dass im Krisenfall bei einer SIB ein Unterbruch der systemrelevanten Funktionen droht und die Finanzstabilität nicht gesichert ist. Damit kann ein Staat eine SIB nur unter Inkaufnahme grösster volkswirtschaftlicher Kosten untergehen lassen. Daher werden SIBs nebst den Anforderungen, die für alle Banken gelten, zusätzlichen regulatorischen Anforderungen unterstellt, dem sogenannten TBTF-Dispositiv.
¹2 SIF,
Finanzstandort Schweiz: Kennzahlen 2023
, 1 . Mai 2023.
¹3 Bericht des Bundesrats,
Weltweit führend, verankert in der Schweiz: Politik für einen zukunftsfähigen Finanzplatz Schweiz
, 4. Dez. 2020.
¹4 Zur Finanzplatzstrategie existieren zwei Umsetzungsstrategien: 1) der Bericht des Bundesrats «
Digital Finance: Handlungsfelder 2022+
» vom 2. Febr. 2022 sowie 2) der Bericht des B undesrats «
Sustainable-Finance Schweiz: Handlungsfelder 2022-2025 für einen führenden nachhaltigen Finanzplatz
» vom 16. Dez. 2022. Mit der Empfehlung zur Annahme der Motion «Ausrichtung der Finanzmittelflüsse gemäss Übereinkommen von Paris stärken» (23.3881 NR Andrey) unterstützt der Bundesrat grundsätzlich die Strategie, die Klimaverträglichkeit von Finanzflüssen anzugehen, dies jenseits der TBTF-Problematik.
¹5 Vgl. auch Expertengruppe Bankenstabilität 2023,
Reformbedarf nach dem Untergang der Credit Suisse
, 1. Sept. 2023.
Überblick zum TBTF-Dispositiv
Sämtliche Banken in der Schweiz unterstehen einer umfassenden Regulierung und werden von der FINMA beaufsichtigt. Die Regulierung und die Aufsicht über Finanzmärkte im Allgemeinen und Banken im Besonderen bezwecken den Gläubiger- und Anlegerschutz sowie den Schutz der Funktionsfähigkeit der Finanzmärkte (vgl. Art. 4 des Finanzmarktaufsichtsgesetzes vom 22. Juni 2007 ¹6 , FINMAG).
Darüber hinaus gilt in der Schweiz für SIBs ein zusätzliches, spezifisches TBTF-Dispositiv, das gemäss Artikel 7 Absatz 2 BankG drei Ziele verfolgt. Es soll:
(1)
Risiken für die Stabilität des schweizerischen Finanzsystems vermindern,
(2)
die Fortführung volkswirtschaftlich wichtiger Funktionen gewährleisten; und
(3)
staatliche Beihilfen vermeiden.
Zur Erreichung dieser Ziele führten Bundesrat und Parlament im Nachgang zur Finanzkrise 2007/08 besondere Bestimmungen für SIBs ein. Die Erarbeitung erfolgte gestützt auf die Empfehlungen der Expertenkommission vom 30. September 2010 ¹7 zur Limitierung von volkswirtschaftlichen Risiken von Grossunternehmen. Entsprechende Bestimmungen traten erstmals am 1. März 2012 ¹8 in Kraft und wurden seither weiterentwickelt. Ihre Einführung, regelmässige Überprüfung und Weiterentwicklung erfolgten unter Berücksichtigung der international anerkannten Standards.
In einem ersten Schritt werden SIBs gemäss den gesetzlichen Vorgaben identifiziert. Die Systemrelevanz einer Bank beurteilt sich nach deren Grösse, Vernetzung mit dem Finanzsystem und der Volkswirtschaft sowie nach der kurzfristigen Substituierbarkeit der erbrachten Dienstleistungen. Zu den systemrelevanten Funktionen zählen namentlich das inländische Einlagen- und Kreditgeschäft sowie der Zahlungsverkehr (Art. 8 BankG). Zuständig für die Bezeichnung der systemrelevanten Banken ist die SNB. Ende 2023 galten die UBS als international tätige SIB ¹9 und die Raiffeisen-Gruppe, die Postfinance und die Zürcher Kantonalbank (ZKB) als nicht international tätige SIBs. 2⁰
SIBs müssen höhere Eigenmittel- und Liquiditätsanforderungen sowie Anforderungen bezüglich der Vorbereitung von Stabilisierungs- und Abwicklungsmassnahmen erfüllen (siehe Box 1 für einzelne Begrifflichkeiten). Mit Stabilisierung (engl. Recovery ) werden Massnahmen der Bank bezeichnet, die bezwecken, die Bank möglichst rasch und aus eigener Kraft aus einer Krise zu führen. Der Begriff Abwicklung ( Resolution ) umfasst einerseits als Primärstrategie die Sanierung - die von der FINMA angeordnete Restrukturierung mit dem Ziel einer zumindest teilweisen Fortführung der Geschäftstätigkeit - und andererseits als Rückfalloption die Konkursliquidation der Bank.
Das TBTF-Dispositiv umfasst konkret folgende Anforderungen:
-
Eigenmittel: SIBs müssen über mehr Eigenmittel als übrige Banken verfügen, um allfällige Verluste im laufenden Betrieb besser abfedern zu können (sog. Going-Concern-Mittel). Diese Anforderungen sind grundsätzlich mit hartem Kernkapital ( Common Equity Tier 1 , CET1) zu erfüllen; ein Teil davon kann auch mit zusätzlichem Kernkapital ( Additional Tier 1, AT1) erfüllt werden. Daneben haben SIBs verlustabsorbierende Mittel für den Abwicklungsfall bereitzustellen (sog. Gone-Concern-Mittel).
Die erhöhten Anforderungen im Going Concern und Gone Concern gelten sowohl bezüglich der risikogewichteten Anforderungen, die in Prozent der risikogewichteten Aktiven ( Risk Weighted Assets , RWA) ausgedrückt werden (sog. RWA-Quote), wie auch für die ungewichtete Höchstverschuldungsquote ( Leverage Ratio , LR). Sowohl die risikogewichteten als auch die Leverage-Ratio-Anforderungen beinhalten zudem progressive Zuschläge für die Grösse und den Marktanteil einer SIB.
-
Liquidität: SIBs müssen im Vergleich zu den übrigen Banken zusätzliche Liquidität halten, um Liquiditätsschocks zu absorbieren und um den Liquiditätsbedarf für eine Sanierung oder Liquidation zu decken. Ergänzend zu den bankeigenen Mitteln kann die SNB als Kreditgeberin in letzter Instanz (sog. Lender of Last Resort, LoLR) Banken im Krisenfall ausserordentliche Liquiditätshilfe ( Emergency Liquidity Assistance , ELA) zur Verfügung stellen. Bisher war die Möglichkeit, mit ELA Liquidität gegen hypothekarische Sicherheiten zu gewähren, nur für SIBs vorgesehen. Diese Möglichkeit wird nun im Zuge einer von der SNB 2019 gestarteten Initiative auf alle Banken ausgeweitet. 2¹ Vom Bundesrat als künftiges zusätzliches Element vorgeschlagen ist zudem eine staatlich garantierte Liquiditätshilfe ( Public Liquidity Backstop , PLB), die bei der Abwicklung einer SIB unter gewissen Voraussetzungen zusätzlich zu ELA als mögliche Liquiditätsquelle zur Verfügung stehen soll.
-
Stabilisierungsplanung: SIBs müssen in einem Stabilisierungsplan darlegen, mit welchen Massnahmen sie sich im Fall einer Krise nachhaltig stabilisieren können, um die Geschäftstätigkeit ohne staatliche Eingriffe fortführen zu können. Die FINMA beurteilt und genehmigt den Stabilisierungsplan.
-
Abwicklungsplanung (Sanierung oder Liquidation mit Notfallplan): Die FINMA legt für jede SIB in einem Abwicklungsplan dar, wie eine von ihr angeordnete Sanierung oder Konkursliquidation durchgeführt werden kann. Dabei liefern die SIBs der FINMA jährlich die dazu notwendigen Informationen. Bei einer Sanierung liegt der Fokus auf der zumindest teilweisen Fortführung der Geschäftstätigkeit der Bank. Dabei kann die FINMA bestimmte Gläubigerforderungen in Aktienkapital der Bank umwandeln (sog. Bail-in ).
Besteht keine begründete Aussicht auf eine Sanierung oder ist die Sanierung als primäre Abwicklungsstrategie nicht erfolgreich, eröffnet die FINMA eine Konkursliquidation mit dem Ziel, die gesamte Gläubigerschaft gleichmässig nach Massgabe ihres Rangs zu bedienen. In diesem Fall kommt zudem die Notfallplanung zum Tragen. Als Teil der Abwicklungsplanung müssen die SIBs daher mit einem Notfallplan den Nachweis erbringen, dass sie ihre jeweiligen systemrelevanten Funktionen in einer Krise ohne Unterbruch weiterführen können.
Box 1 Stabilisierung, Abwicklung, Sanierung, Notfallplan - ausgewählte Begrifflichkeiten - Stabilisierung ( Recovery ): Mit Stabilisierung werden Massnahmen von SIBs bezeichnet, die bezwecken, dass die Bank sich selbst möglichst rasch und aus eigener Kraft aus einer Krise führen kann. Dafür erstellt jede SIB einen sog. Stabilisierungsplan , der von der FINMA zu genehmigen ist. - Abwicklung ( Resolution) : Der Begriff Abwicklung umfasst einerseits die Sanierung einer SIB (siehe unten) und andererseits als Rückfalloption die Konkursliquidation der SIB mit Auslösung ihres Notfallplans (siehe unten). Die FINMA erstellt dafür für jede SIB einen Abwicklungsplan , in dem sie aufzeigt, wie eine von ihr angeordnete Sanierung oder Konkursliquidation durchgeführt werden kann. - Sanierung : Die Sanierung ist das primäre Verfahren der Abwicklung. Es handelt sich um eine von der FINMA angeordnete Restrukturierung einer Bank mit dem Ziel einer zumindest teilweisen Fortführung der Geschäftstätigkeit einer Bank. - Notfallplan: SIBs erstellen einen Schweizer Notfallplan, der Teil der Abwicklungsplanung ist. Darin zeigen SIBs auf, wie sie die für die Schweiz systemrelevanten Funktionen (insb. den Zugang zu Einlagen und zum Zahlungsverkehr) in einer Krise ohne Unterbruch weiterführen können. |
Abbildung 1 stellt die Instrumente, gegliedert nach Phasen der Krise, von der normalen Geschäftstätigkeit bis hin zur Abwicklung einer SIB, dar. Die Instrumente müssen in einer tatsächlichen Krise nicht notwendigerweise in der abgebildeten Abfolge zur Anwendung kommen; so kann beispielsweise eine Liquidation grundsätzlich auch ohne vorherige Sanierung erfolgen.
Die präventiven Instrumente entfalten ihre Wirkung während des normal laufenden Betriebs. Dazu gehören neben Eigenmitteln und Liquidität auch FINMA-Instrumente wie die Gewährsprüfung, eine intensivere Aufsicht bei identifizierten Risiken einer Bank oder gegebenenfalls auch sogenannte Enforcementverfahren gegen die Bank oder ihre Organe, mit denen das Aufsichtsrecht durchgesetzt wird. Die Stabilisierungsphase bezieht sich auf die Zeitspanne zwischen dem normal laufenden Betrieb und den Interventionen der FINMA in der Abwicklungsphase.
Abbildung 1
Instrumente beispielhaft geordnet nach Krisenphasen
[Bild bitte in Originalquelle ansehen]
¹6
SR
956.1
¹7 Expertenkommission zur Limitierung von volkswirtschaftlichen Risiken durch Grossunternehmen,
Schlussbericht
, 30. Sept. 2010.
¹8
AS
2012
811
¹9 Als international tätige SIBs gelten gemäss Art. 124 a der Eigenmittelverordnung (ERV) vom 1. Juni 2012 (
SR
952.03
) die vom FSB bezeichneten G-SIBs. Bei einem Ausscheiden aus der Liste des FSB kann die FINMA eine SIB auch weiterhin als international tätige SIB bezeichnen. Die Credit Suisse und die UBS wurden im Jahr 2011 vom FSB und vom BCBS auf die Liste der global bedeutenden Finanzinstitute gesetzt. Die Credit Suisse schied nach ihrer formalen Übernahme durch die UBS im Juni 2023 aus der Liste des FSB und des BCBS sowie aus der Liste der SIBs in der Schweiz aus. Vgl. FSB,
2023 List of Global Systemically Important Banks (G-SIBs)
, 27. Nov. 2023.
2⁰ Die Definition der SIBs beruht auf deren nationalen Bedeutung. Mit Ausnahme der ZKB sind daher Kantonalbanken nicht erfasst. Aufgrund ihrer hohen regionalen Bedeutung ist jedoch davon auszugehen, dass die Schieflage und insbesondere der Ausfall einer Kantonalbank für deren Trägerkantone kritisch sein kann (vgl. auch Kap.6).
2¹ Vgl. z. B. die Rede von Schlegel,
Ein Pfeiler der Finanzstabilität - Die Rolle der SNB als Kreditgeberin der letzten Instanz
, 9. Nov. 2023.
Wirkung des TBTF-Dispositivs im Fall der Credit Suisse
Die TBTF-Regeln, die 2012 eingeführt und seither schrittweise weiterentwickelt wurden, haben insbesondere die Resilienz der SIBs gestärkt. Die erhöhte Widerstandskraft hat sich beispielsweise im anspruchsvollen wirtschaftlichen Umfeld während der Covid-19-Pandemie oder im Herbst 2022 im Fall der Credit Suisse gezeigt.
Im März 2023 befand sich die Credit Suisse in einer derart akuten Vertrauenskrise, dass sie am 20. März 2023 ohne Gegenmassnahmen von ausserhalb der Bank in einen ungeordneten Konkurs gegangen wäre (vgl. Kap. 5 für eine detaillierte Darstellung). Der Bundesrat verabschiedete am 16. und 19. März 2023 ein Massnahmenpaket, das dies verhinderte und die Übernahme der Credit Suisse durch die UBS - und damit eine rasche Stabilisierung der Finanzmärkte - ermöglichte.
Zum behördlichen Massnahmenpaket gehörten u. a. eine Bundesgarantie an die SNB zur Absicherung von Liquiditätshilfe-Darlehen an die Credit Suisse im Umfang von maximal 100 Milliarden Franken und eine Verlustübernahmegarantie des Bundes an die UBS im Umfang von 9 Milliarden Franken für den Fall, dass bei einem bestimmten Portfolio von abzuwickelnden Aktiven, das die UBS von der Credit Suisse übernahm, ein Verlust von über 5 Milliarden Franken eintreten sollte. Die SNB unterstützte die Übernahme mit umfangreicher Liquiditätshilfe im Umfang von bis zu 168 Milliarden Franken. Diese Liquiditätshilfe wurde in Franken, US-Dollar und Euro gewährt.
Mit der Kombination aus der Übernahme durch die UBS und den staatlichen Begleitmassnahmen konnte das Finanzsystem rasch und nachhaltig stabilisiert werden. Das gewählte Massnahmenpaket erzielte damit die gewünschte Wirkung. Dies wurde auch auf internationaler Ebene anerkannt. Damit wurde jedoch in dieser Krise der Credit Suisse eine andere Lösung als die Umsetzung der vorbereiteten Abwicklungsstrategie gewählt. Diese Tatsache hat auf nationaler und internationaler Ebene kritische Fragen zu den TBTF-Regeln aufgeworfen.
Die teilweise geäusserte Kritik, dass sich die TBTF-Regeln in dieser Krise als wirkungslos erwiesen hätten, erfolgte vor dem dargelegten Hintergrund zwar nicht überraschend, greift jedoch nach Ansicht des Bundesrates aus mehreren Gründen zu kurz:
-
Erstens gilt es in der Krise stets, die unter den spezifischen Umständen geeignetste Handlungsoption zu wählen - unabhängig davon, wie lange und mit welchem Aufwand die einzelnen Optionen vorbereitet worden sind. Unter den entsprechenden Voraussetzungen kann es letztlich auch notwendig sein, von gesetzlich vorbereiteten Optionen abzuweichen. Allein die Verfügbarkeit verschiedener Optionen, die bezüglich ihrer Erfolgsaussichten und Auswirkungen gegeneinander abgewogen werden können, ist in jeder Krise äusserst wertvoll. Dies war auch in der Krise der Credit Suisse der Fall.
-
Zweitens hat das oben beschriebene bestehende TBTF-Dispositiv, das sich nicht auf die Abwicklungsplanung beschränkt, wesentlich zur gewählten Lösung beigetragen. Diese Wirkungsweise wird nachfolgend ausführlicher dargestellt.
-
Schliesslich besteht ein wichtiger Nebeneffekt der TBTF-Regulierung darin, dass die Anreize der Eigenmittelanforderungen zur Grössenreduktion der beiden G-SIBs seit der Finanzkrise 2007/08 beigetragen haben (siehe Abbildung 2). Im Vergleich zum BIP liegen diese Bilanzsummen inzwischen deutlich tiefer als in der damaligen Finanzkrise. Dies gilt auch für die neue UBS, auch wenn diese mit der Übernahme der Credit Suisse wieder deutlich gewachsen ist. Die erfolgte Grössenreduktion der Credit Suisse trug zumindest in der Tendenz zu einer erfolgreichen Krisenbewältigung bei, auch wenn die Bilanzsumme in einer Krise weder der einzige noch der ausschlaggebende Faktor ist.
Konkret lässt sich die Wirkung des bestehenden TBTF-Dispositivs in der Krise der Credit Suisse wie folgt würdigen:
-
Eigenmittel: Die Eigenmittelanforderungen haben die Resilienz der SIBs gestärkt. Dies galt auch für die Credit Suisse, die ohne die zusätzlichen Eigenmittelanforderungen weit weniger Rückschläge hätte bewältigen können. Wie oben dargelegt dürften die progressiven Eigenmittelanforderungen zudem dazu beigetragen haben, dass die Credit Suisse ihre Bilanzsumme deutlich reduziert hatte.
Abbildung 2
Grössenentwicklung der Schweizer G-SIBs im Vergleich zum BIP
0 %
100 %
200 %
300 %
400 %
500 %
600 %
2007
2008
2009
2010
2011
2012
2013
2014
2015
2016
2017
2018
2019
2020
2021
2022
2023
UBS Group AG
CS Group AG
Quellen: BFS,
SECO; eigene Darstellung.
Total Aktiven im Verhältnis zum BIP
Ein weiteres in der Krise angewendetes Instrument des international und in der Schweiz eingeführten TBTF-Regelwerks war die von der Credit Suisse vorgenommene Abschreibung ihrer AT1-Anleihen. Diese war zur Stabilisierung der Credit Suisse und damit für eine erfolgreiche Umsetzung der gewählten Lösung zwingend notwendig. Zudem wurde damit gestützt auf die Vertragsbestimmungen in diesen Anleihen - wie im Regelwerk des Basler Ausschusses und im Schweizer Rechtsrahmen vorgesehen - angesichts der erfolgten staatlichen Unterstützung auch die private Gläubigerschaft an der Krisenbewältigung beteiligt.
Für den Fall, dass die Übernahme durch die UBS nicht umsetzbar gewesen wäre oder dass von den Behörden eine Sanierung als zielführendere Option eingeschätzt worden wäre, wären zudem dank der für den Abwicklungsfall geltenden Anforderungen Mittel in der Höhe von rund 55 Milliarden Franken zur Verfügung gestanden.
Im Übrigen führen die bestehenden TBTF-Eigenmittelanforderungen dazu, dass die vergrösserte UBS künftig auch proportional zu ihrer Bilanzgrösse höhere Eigenmittelanforderungen erfüllen muss.
Die Analyse zeigt aber auch Schwachstellen auf. Die Eigenmittelanforderungen sind grundsätzlich nicht zukunftsgerichteter Natur. Zudem erwies sich namentlich die Kapitalausstattung des Stammhauses (sog. Parent-Bank) 2² , also der Credit Suisse AG, als ein kritischer Punkt, der den Handlungsspielraum der Credit Suisse deutlich begrenzte.
Im Weiteren konnten die AT1-Kapitalinstrumente mit der Abschreibung im Zuge der staatlichen Unterstützung ihre in den Vertragsbestimmungen und gemäss Schweizer Recht und internationalem Standard vorgesehene Rolle zwar erfüllen. Es stellt sich aber die Frage, weshalb sie nicht früher in der Krise ihre vorgesehene verlustabsorbierende Rolle im Going Concern, also im noch laufenden Geschäftsbetrieb, übernehmen konnten (vgl. Kap. 7.5.7).
-
Liquidität: Im Bereich der Liquidität hat sich die Widerstandsfähigkeit der SIBs deutlich verbessert, insbesondere aufgrund der zusätzlichen von der FINMA angeordneten Massnahmen. Dadurch konnte die Credit Suisse z. B. selbst den beispiellosen Abfluss an Kundeneinlagen von 138 Milliarden Franken im vierten Quartal 2022 verkraften. ²3
Allerdings zeigen sich auch im Bereich der Liquidität wichtige Erkenntnisse. Einerseits übertrafen die Höhe und Geschwindigkeit der Abflüsse aus dem massiven Vertrauensverlust gegenüber der Credit Suisse die bisherigen Erfahrungswerte und führten nach einer weiteren Beschleunigung im März 2023 zu einer unmittelbar bevorstehenden Zahlungsunfähigkeit der Grossbank.
In der Krisenbewältigung zeigte sich zudem, dass auch die ausserordentliche Liquiditätshilfe der SNB - die ELA - bei weitem nicht ausreichte. Deshalb musste per Notrecht zusätzliche staatliche Liquiditätshilfe gewährt werden. Dabei hat sich auch das Instrument des PLB, das der Bundesrat bereits vor der Krise zur Einführung vorgeschlagen hat, als notwendig und nützlich erwiesen. Für die Analyse siehe die Kapitel 8-10.
-
Stabilisierungsplanung und -umsetzung: Die Credit Suisse hatte wie im Dispositiv vorgesehen einen Stabilisierungsplan erarbeitet. Dieser bildete eine Grundlage für Massnahmen, um sich in einer Krise aus eigener Kraft zu stabilisieren.
Im Bereich der Stabilisierungsplanung und -umsetzung besteht jedoch noch Verbesserungspotenzial. Die Umsetzung und die Wirkung dieses Elements des TBTF-Dispositivs in der Krise sind - zumindest im konkreten Fall der Credit Suisse - kritisch zu beurteilen. Die von der Bank ergriffenen Stabilisierungsmassnahmen reichten bei weitem nicht aus.
Gründe dafür waren u. a. die mangelnde Vorbereitung der Umsetzung und eine zu geringe Auswirkung der einzelnen umgesetzten Massnahmen auf die Liquiditäts- und Kapitalsituation. Schliesslich fehlte einerseits die Bereitschaft des Credit-Suisse-Managements, den Stabilisierungsplan in seiner Gesamtheit zu aktivieren, sowie andererseits seitens der FINMA die Durchsetzungskraft, dies zu erwirken. Nicht zuletzt fehlte die Einsicht der obersten Führungsorgane betreffend die tatsächliche Lage der Bank oder die Bereitschaft, auf der Basis dieser Einsicht zu handeln. Die Interessen des Managements, der Gläubigerschaft und der Behörden am Fortbestand der Bank bzw. die Haltung zu den zu ergreifenden Massnahmen waren in dieser Phase der Krise nicht deckungsgleich. Für die Analyse siehe Kapitel 12.
-
Abwicklungsplanung (Sanierung oder Liquidation mit Notfallplan): Das TBTF-Dispositiv sieht für den Krisenfall u. a. eine Sanierung der betroffenen SIB vor. Im Fall der Credit Suisse war eine Sanierung am Wochenende vom 18. und 19. März 2023 eine der Optionen. Im Fall einer Sanierung wäre die Credit Suisse auf der Basis des von der FINMA erstellten Sanierungsplans zu restrukturieren und das Geschäftsmodell neu auszurichten gewesen. Auch die Auslösung des Notfallplans für die Schweizer Tochtergesellschaft bei gleichzeitigem Konkurs der Credit-Suisse-Gruppe wurde als Rückfalloption grundsätzlich in Betracht gezogen (vgl. Kap. 5.4).
In der spezifischen Situation von Mitte März 2023 beurteilten die involvierten Behörden ein Sanierungsverfahren im Vergleich zur schliesslich umgesetzten Lösung als mit erheblichen Nachteilen und Risiken verbunden. Der beispiellose Vertrauensverlust in Bezug auf die Credit Suisse war derart umfassend, dass es höchst fraglich war, ob eine erneute Kapitalerhöhung zusammen mit einer weiteren angekündigten Neuausrichtung das notwendige Vertrauen hätte wiederherstellen können.
Obwohl es im Fall der Credit Suisse nicht zu einer Abwicklung kam, hat die Krise zu wichtigen Erkenntnissen in diesem Bereich geführt. Insbesondere hat die Krise der Credit Suisse verdeutlicht, dass die Erfolgsaussichten einer vorbereiteten Abwicklungsstrategie je nach Krisenszenario unterschiedlich sind. Zudem bestehen bei einer Abwicklung erhebliche Unsicherheiten und Risiken (vgl. Kap. 5.4 und 13).
2² Zum Begriff Stammhaus oder Parent-Bank vgl. Box 3.
²3 Credit Suisse Group AG,
Annual Report 2022
, S. 67 und 276 .
Handlungsbedarf
Einschätzung zu Grundsatzfragen des TBTF-Dispositivs
Prinzipien
Die Finanzplatzstrategie des Bundesrats vom 4. Dezember 2020 ²4 , wonach der Finanzplatz Schweiz auch weiterhin zu den führenden international tätigen Finanzzentren gehören will, hat aus Sicht des Bundesrats weiterhin Gültigkeit. Insbesondere bekräftigt der Bundesrat mit dem vorliegenden Bericht erneut das in der Finanzplatzstrategie festgehaltene Ziel, dass die Schweiz ein attraktiver Standort für global tätige Finanzinstitute sein soll (vgl. Kap. 2.1). Der Bericht legt daher den Fokus auf optimale regulatorische Rahmenbedingungen und Aufsichtsinstrumente zur Stärkung der Stabilität und Resilienz als zentrale Eckpfeiler für einen innovativen, global vernetzten und nachhaltigen Finanzplatz.
Dazu strebt der Bundesrat auf Basis der Analysen dieses Berichts eine Stärkung und Weiterentwicklung des TBTF-Dispositivs an. Diese soll vor allem zur Stärkung der Eigenverantwortung (von Banken, Bankorganen, aber auch Bankkundinnen und Bankkunden) führen und nicht zu einer stärkeren Abstützung auf den Staat, namentlich auf staatliche Beihilfen.
Der Finanzplatz soll in erster Linie von der Eigenverantwortung der Finanzinstitute, ihrer Organe, Investorinnen und Investoren sowie der Kundinnen und Kunden getragen sein. Je gravierender sich ein unternehmerisches Scheitern eines Finanzinstituts auf die Finanzstabilität, die Volkswirtschaft und die Steuerzahlenden auswirkt, desto relevanter wird jedoch die subsidiäre Rolle von Regulierung und Aufsicht.
Die empfohlene Stärkung und Weiterentwicklung des TBTF-Dispositivs soll verhältnismässig und effektiv erfolgen (vgl. Kap. 4.1). Das TBTF-Dispositiv soll dabei so praktikabel und international vergleichbar wie möglich bleiben.
Schliesslich ist festzuhalten, dass kein Ausbau regulatorischer Anforderungen Krisen gänzlich verhindern kann. Krisensituationen sind unberechenbar - sie können nicht in allen Details antizipiert werden. Selbst eine weitere Verstärkung des TBTF-Dispositivs kann nicht jeder Eventualität vorbeugen.
Die Schweiz verfolgt eine liberale, prinzipienbasierte Regulierung. Ergänzt wird diese liberale Regulierung durch die Möglichkeit, über Notrecht nicht vorhersehbare Einzelfälle zu lösen. Dies schafft Handlungsfähigkeit in der Krise und ermöglicht eine zielgerichtete, optimale Lösung im Einzelfall.
Zur Bewältigung von Krisen sollen Vorkehrungen im ordentlichen Recht getroffen werden (krisenfeste Gesetzgebung). Gleichzeitig braucht es aber auch künftig Instrumente, die der Exekutive Spielräume zur Reaktion auf Krisen eröffnen. Die Möglichkeit des Bundesrats, in konkreten Krisensituationen im Landesinteresse und gestützt auf die Bundesverfassung auch notrechtlich zu handeln, kann und soll daher nicht kategorisch ausgeschlossen werden, auch wenn darauf grundsätzlich und wenn immer möglich zu verzichten ist.
²4 Bericht des Bundesrats,
Weltweit führend, verankert in der Schweiz: Politik für einen zukunftsfähigen Finanzplatz Schweiz
, 4. Dez. 2020.
Zielsetzung des TBTF-Dispositivs
Der Bundesrat erachtet die bestehenden Zielsetzungen des TBTF-Dispositivs (vgl. Kap. 2.2) - namentlich die Verminderung der Risiken für das schweizerische Finanzsystem, die Gewährleistung der volkswirtschaftlich wichtigen Funktionen der SIBs und die Vermeidung staatlicher Beihilfen - als weiterhin wichtig und zweckmässig.
Die Krise der Credit Suisse hat allerdings verdeutlicht, dass zwischen den Zielsetzungen im Krisenfall Widersprüche bestehen. Insbesondere kann im Krisenfall ein Zielkonflikt zwischen dem Aufrechterhalten der Finanzstabilität und der Fortführung volkswirtschaftlich wichtiger Funktionen (bzw. der Vermeidung sehr hoher Kosten für die Steuerzahlenden) einerseits und der Vermeidung staatlicher Beihilfen andererseits bestehen. In der Krise der Credit Suisse wurden zur Erreichung des ersten und zweiten Ziels Abstriche beim dritten Ziel gemacht. Der Grund dafür liegt darin, dass staatliche Beihilfen in Form von Risikogarantien in einer Krise - im Sinne von Stabilitäts- und Vertrauensbildung - entscheidend sein können für die Vermeidung von gravierenden volkswirtschaftlichen Folgen.
Dennoch soll das dritte Ziel - die Vermeidung von staatlichen Beihilfen - als wichtiger ordnungspolitischer Grundsatz beibehalten werden. Ebenso wie allfällige Risiken für die Steuerzahlenden sind auch Fehlanreize zu minimieren, die dazu führen, dass aufgrund von expliziten oder impliziten Garantien übermässige Risiken eingegangen werden (sog. Moral Hazard ).
Insgesamt bestätigt der Bericht folglich die Ziele des bestehenden TBTF-Dispositivs.
Systemrelevanz
Die Basis der TBTF-Regulierung bildet eine angemessene Definition der Systemrelevanz und darauf gestützt die Kriterien zur Bezeichnung von SIBs. Vor dem Hintergrund, dass die US-Bankenkrise 2023 aufgezeigt hat, dass auch der Ausfall von nicht systemrelevanten Banken im Krisenfall Finanzstabilitätsbedenken auslösen kann, stellt sich die Frage, ob die aktuell gültige Definition von Systemrelevanz und die Kriterien für die Bezeichnung von SIBs noch angemessen sind. Der Bundesrat kommt in seiner Analyse gemäss Kapitel 6 zum Schluss, dass diesbezüglich kein Anpassungsbedarf besteht.
Fazit
Basierend auf der umfassenden Analyse des Berichts kommt der Bundesrat bezüglich der Grundsatzfragen im Zusammenhang mit dem TBTF-Dispositiv zu folgenden Feststellungen:
-
Die bisherige Finanzplatzstrategie des Bundesrats hat weiterhin Gültigkeit (siehe Kap. 2.1 und 3.1.1);
-
Die Ziele des TBTF-Dispositivs werden bestätigt und sollen unverändert beibehalten werden (siehe Kap. 2.2 und 3.1.2);
-
Ebenfalls bestätigt werden die Definition der Systemrelevanz und die Kriterien zur Bezeichnung von SIBs gemäss den Artikeln 7 und 8 BankG. Sie sollen unverändert beibehalten werden (siehe Kap. 3.1.3 und 6).
Diese Feststellungen sind für die künftige Ausrichtung der TBTF-Regulierung zentral.
Stossrichtungen und Ableitung der Handlungsfelder
Aufgrund der umfassenden Analyse und der Erfahrungen aus der Krise der Credit Suisse sieht der Bundesrat einen klaren Handlungsbedarf für eine Stärkung und Weiterentwicklung des TBTF-Dispositivs mit drei Stossrichtungen:
Erstens muss das Dispositiv im Bereich der Prävention gestärkt werden, um die Wahrscheinlichkeit einer Bankenkrise weiter zu senken. Anforderungen an SIBs sollen daher, wo zielführend, verschärft und deren Durchsetzung und die Aufsicht verbessert werden.
Zweitens muss das Liquiditätsdispositiv weiter gestärkt werden. Der Fall Credit Suisse hat die herausragende Bedeutung der Liquiditätsversorgung im Krisenfall unterstrichen. Sie hat zudem Liquiditätsabflüsse in bisher unbekanntem Ausmass und noch nie gesehener Geschwindigkeit gezeigt, die im TBTF-Dispositiv zu berücksichtigen sind.
Drittens ist das Instrumentarium für den Krisenfall zu erweitern. Der Krisenfall kann auch künftig nicht ausgeschlossen werden. Die im Fall der Credit Suisse gewählte Übernahmelösung durch eine Schweizer Bank stünde bei einer Notlage der UBS voraussichtlich nicht mehr zur Verfügung. Zudem muss nach der Nicht-Anwendung der im TBTF-Dispositiv vorgesehenen Abwicklung der Credit Suisse die Glaubwürdigkeit dieser Pläne in Bezug auf ihre Funktionsfähigkeit gestärkt werden.
Die nachfolgenden Abschnitte vertiefen diese drei Stossrichtungen und beschreiben sechs vom Bundesrat identifizierte Handlungsfelder.
Während der Fokus des vorliegenden Berichts auf den SIBs und dem TBTF-Dispositiv liegt, wird für alle Massnahmen der Geltungsbereich separat analysiert, begründet und festgelegt.
Dispositiv im Bereich der Prävention stärken
Die Krise der Credit Suisse war das Resultat wiederholter Vorfälle und Missstände bei der Bank, die sich trotz intensivierter Aufsichts- und Enforcementaktivitäten der FINMA über mehrere Jahre hinzogen und letztlich dazu führten, dass die Bank im März 2023 einen Konkurs nicht mehr aus eigener Kraft abwenden konnte.
Eigenmittel- und Liquiditätsanforderungen erhöhen zwar die Resilienz und Stabilität einer SIB, genügen für sich alleine genommen aber nicht für die Vermeidung einer Krise. SIBs müssen nebst der Erfüllung dieser und anderer regulatorischer Anforderungen insbesondere ihre langfristige Ausrichtung (z. B. hinsichtlich Strategie, Corporate Governance und Unternehmenskultur) verantwortungsvoll ausgestalten. Diese Eigenverantwortung soll durch klare Anforderungen im Bereich der Corporate Governance und deren Durchsetzung seitens der Aufsicht von der Unternehmensführung eingefordert werden.
Eine erste und grundlegende Stossrichtung liegt daher darin, die Wahrscheinlichkeit zu verringern, dass eine SIB durch Missmanagement in eine kritische Lage gerät. Zur Stärkung der Prävention identifiziert der Bundesrat drei Handlungsfelder:
-
Handlungsfeld 1: Corporate Governance und Aufsicht. Erstens soll die Corporate Governance insb. von SIBs gefördert und die Aufsicht der FINMA gestärkt werden. Damit soll einerseits ein angemessenes, verantwortungsvolles Risikomanagement erreicht werden. Andererseits soll die FINMA über klarere Aufgaben und Kompetenzen verfügen, um in diesem Bereich wirksam einzugreifen. Entsprechende Massnahmen hätten auch im Fall Credit Suisse nützen können. Sie sind auf eine langfristige Entwicklung der Banken ausgerichtet.
-
Handlungsfeld 2: Eigenmittelanforderungen. Zweitens sollen mit gezielten Anpassungen die Eigenmittelanforderungen und damit die Kapitalbasis von SIBs quantitativ und qualitativ gestärkt werden. Insbesondere sollen Schwachstellen, die sich in der Krise der Credit Suisse zeigten, gezielt behoben werden. Dafür sollen die Eigenmittelanforderungen strikter umgesetzt sowie namentlich für SIBs gezielt verschärft und bei den institutsspezifischen Säule-2-Eigenmittelzuschlägen zukunftsgerichtete Elemente eingeführt werden. Die Anforderungen sollen sich weiterhin nach internationalen Regeln und der internationalen Praxis richten, dies in einer sorgfältigen Gewichtung erreichter Stabilität und Wettbewerbsfähigkeit. Der besonderen Situation der Schweiz mit einer sehr grossen G-SIB im Vergleich zum BIP ist Rechnung zu tragen.
-
Handlungsfeld 3: Frühintervention und Stabilisierung. Drittens sollen im Bereich von Frühinterventionen die Möglichkeiten und Aufgaben der FINMA sowie die Anwendbarkeit von Massnahmen der FINMA gestärkt und die zu ergreifenden Massnahmen zur Stabilisierung der SIBs ausgebaut werden. Eine angeschlagene Bank soll sich durch rechtzeitige und zielführende Massnahmen im laufenden Geschäftsbetrieb (Going Concern) wieder stabilisieren. Bei Bedarf soll die FINMA frühzeitig eingreifen und die nötigen Massnahmen durchsetzen können.
Bei der Anpassung der Regulierung zur Stärkung der Aufsicht und der Frühinterventionen durch die FINMA werden auch allfällige Einschätzungen der PUK zur bisherigen Ausschöpfung der bestehenden gesetzlichen Grundlagen zu berücksichtigen sein.
Liquiditätsdispositiv stärken
Eine zweite zentrale Stossrichtung betrifft die Bewältigung des Ausmasses und der Geschwindigkeit möglicher Liquiditätsabflüsse in einer Krise. Banken sind aufgrund ihrer Funktion der Fristentransformation, bei der sie einerseits kurzfristige Einlagen annehmen und andererseits längerfristige Kredite gewähren, anfällig für Liquiditätskrisen.
Die Liquiditätsabflüsse im Herbst 2022 und im Frühling 2023 sowohl bei der Credit Suisse als auch im US-Bankensektor zeigten sowohl bezüglich des Ausmasses als auch der Geschwindigkeit eine bislang neue Dimension. Das hohe Tempo, die enorme Ausdehnung und die nicht immer faktenbasierte Informationsverbreitung über digitale Kanäle, gepaart mit den Möglichkeiten des digitalen Bankings, erhöhen die zentrale Bedeutung eines starken Vertrauens in das Bankensystem und einer ausreichenden Liquiditätsversorgung als wesentliches Element desselben. Das TBTF-Dispositiv muss künftig verstärkt auch Szenarien mit äusserst hohen und raschen Liquiditätsabflüssen Rechnung tragen. Daraus leitet sich das folgende Handlungsfeld ab:
-
Handlungsfeld 4: Liquiditätssicherung in der Krise. Es gilt somit, die Liquiditätssicherung in der Krise von SIBs und des gesamten Bankensektors substanziell auszubauen.
Dabei sind zunächst als erste Verteidigungslinie die bankeigenen Liquiditätsquellen zu stärken. Dies wird mit den im Juni 2022 vom Bundesrat verabschiedeten besonderen Liquiditätsanforderungen für SIBs, die bis Ende 2024 vollständig erfüllt werden müssen, bereits umgesetzt. ²5 Aufgrund der jüngsten Erfahrungen mit hohen Liquiditätsabflüssen gilt es zudem auf internationaler Ebene die global verwendeten Liquiditätskennzahlen und -anforderungen zu überprüfen und anzupassen. Als zweite und dritte Verteidigungslinie ist das Potenzial zur Liquiditätsversorgung über die SNB als Kreditgeberin in letzter Instanz, das heisst als LoLR, deutlich auszubauen und die Möglichkeit einer staatlichen Liquiditätssicherung in Form des PLB im ordentlichen Recht einzuführen.
Die Liquiditätssicherung ist einerseits ein unerlässliches Instrument zur Bewältigung einer Krise. Gleichzeitig hat sie auch eine präventive Wirkung. Je glaubwürdiger im Markt bekannt ist, dass die notwendige Liquidität in einer Krise - insbesondere durch bankeigene Liquiditätsquellen, aber auch durch die Zentralbank und notfalls einen PLB - gewährleistet werden kann, desto höher das Vertrauen in die Bank. Dies reduziert wiederum die Eintrittswahrscheinlichkeit oder das Ausmass einer Krise.
²5
AS
2022
359
Instrumentarium für den Krisenfall erweitern
Das Risiko einer Insolvenz einer SIB kann nie gänzlich ausgeschlossen werden. Im Krisenfall müssen SIBs geordnet aus dem Markt ausscheiden können - dies ist für das Funktionieren eines Marktes zentral. Als weitere Schlussfolgerung bleiben daher aus Sicht des Bundesrates auch die Abwicklungsplanung sowie eine gute Krisenorganisation der Behörden zentrale und unverzichtbare Instrumente der Krisenbewältigung, die es zu stärken gilt. Damit ergibt sich das folgende Handlungsfeld:
-
Handlungsfeld 5: Abwicklungsplanung. Die Instrumente und Optionen in der Abwicklungsplanung sollen erweitert werden, um die Vorbereitung einer Sanierung oder einer Konkursliquidation mit Weiterführung der systemrelevanten Funktionen gemäss Notfallplanung weiter zu verbessern.
Um die Abwicklungsplanung - und damit die Abwicklungsfähigkeit einer SIB - weiter zu verbessern, sollen die mit einer Abwicklung verbundenen, unter Umständen erheblichen Risiken, darunter Rechtsrisiken auf internationaler wie auch auf nationaler Ebene, weiter minimiert werden. Zudem sollen die für eine Abwicklung zur Verfügung stehenden Optionen erweitert und auf verschiedene Krisenszenarien zugeschnittene Abwicklungsstrategien vorbereitet werden.
Schliesslich wurde das folgende Handlungsfeld identifiziert:
-
Handlungsfeld 6: Krisenorganisation und Zusammenarbeit der Behörden. Auch die Krisenorganisation und die Zusammenarbeit der Behörden sollen gestärkt werden.
Aus Sicht des Bundesrates hat die Krisenorganisation im Fall der Credit Suisse grundsätzlich funktioniert und zu einer Lösung geführt, welche die Lage rasch stabilisieren konnte. Dennoch ist es im Hinblick auf künftige Krisen und unter Berücksichtigung eines internationalen Vergleichs sinnvoll zu prüfen, ob und inwiefern die Rollen und Verantwortlichkeiten weiter zu schärfen sind und die institutionelle Aufstellung und Aufgabenzuteilung, die Zusammenarbeit und Beschlussfindung namentlich unter den Behörden FINMA, SNB und EFD klarer und effizienter zu regeln sind. Dabei werden die Ergebnisse der PUK zu berücksichtigen sein.
Vorgeschlagenes Massnahmenpaket
Kriterien und Übersicht über die Massnahmen
Der Bundesrat schlägt das im Folgenden dargestellte Massnahmenpaket vor. Folgende Kriterien sind für die Auswahl massgeblich:
-
Wirksamkeit: Die Massnahmen sollen effektiv sein und einen wesentlichen Beitrag zur Stärkung der Finanzstabilität leisten, nicht nur rückblickend auf den jüngsten Krisenfall, sondern mit Wirksamkeit in diversen Szenarien. Sie sollen insbesondere als Qualitätsmerkmal des Finanzplatzes Schweiz dessen Stabilität als eine seiner Stärken sichern.
-
Verhältnismässigkeit: Die Massnahmen müssen geeignet und notwendig sein für die Zielerreichung und sollen ein vorteilhaftes Verhältnis aufweisen zwischen der erwünschten Wirkung für die Finanzstabilität und der Schwere des Eingriffs in die wirtschaftliche Freiheit der betroffenen Institute.
-
Fokussierung: Die vorgeschlagenen Massnahmen sollen möglichst präzise auf die TBTF-Problematik zugeschnitten sein und nebst den SIBs nur dann weitere Institute betreffen, wenn dies für eine sinnvolle Umsetzung angezeigt ist, z. B. in Bezug auf die Wettbewerbsfähigkeit oder die allgemeine Stärkung der Stabilität des Banken- oder Finanzsektors. Unerwünschte Nebeneffekte sollen vermieden werden. Keine Massnahme ist an einen anderen als den Finanzsektor gerichtet.
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Einbettung in den internationalen Kontext: Die Massnahmen sollen sich in die internationalen Rahmenbedingungen einbetten und die internationalen Arbeiten berücksichtigen bzw. diese vorantreiben.
Die nachfolgenden Abschnitte fassen die vom Bundesrat vorgeschlagenen Massnahmen geordnet nach den sechs Handlungsfeldern zusammen.
Tabelle 1 gibt eine Übersicht über die im Bericht eingehend geprüften Massnahmen, auch wenn nicht alle zur Umsetzung empfohlen werden. Die Tabelle enthält namentlich folgende Angaben:
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Vorschlag zur Umsetzung: ja, prüfen, nein. Manche der geprüften Massnahmen werden direkt zur Umsetzung empfohlen. Andere Massnahmen scheinen sinnvoll, setzen jedoch eine vertiefte Prüfung voraus, z. B. die Berücksichtigung allfälliger Resultate der PUK oder Arbeiten und Kooperation auf internationaler Ebene. Weitere mögliche Massnahmen werden nach der vorliegenden eingehenden Analyse nicht zur Umsetzung empfohlen.
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Vorschlag zum Geltungsbereich der Massnahme: SIBs, alle Banken, alle Finanzinstitute. Während die meisten Massnahmen gezielt auf SIBs ausgerichtet sind, betreffen einzelne Massnahmen den gesamten Bankensektor oder sogar weitere Finanzinstitute, wenn sie die Stabilität des Finanzplatzes unter Berücksichtigung der oben genannten Kriterien insgesamt stärken oder eine Eingrenzung auf SIBs nicht zweckmässig und schwer zu begründen wäre (z. B. Bussenkompetenz).
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Stufe der Umsetzung: Gesetz, Verordnung, internationale Standards. Die entsprechend gekennzeichneten Massnahmen bedürfen einer Anpassung auf Gesetzesstufe. Massnahmen auf Verordnungsstufe bedürfen eines weniger aufwändigen Prozesses und können somit kurzfristiger umgesetzt werden. Im Fall der Massnahme 12 betrifft die Stufe der Umsetzung eine Erwartung des Bundesrats an die FINMA und somit nicht die Anpassung von regulatorischen Rahmenbedingungen. Einzelne Massnahmen müssen sinnvollerweise auf internationaler Ebene vorangetrieben werden. Sie werden in Box 2 dargestellt.
Für weiterführende Informationen zu sämtlichen analysierten Massnahmen, einschliesslich zu weiteren nicht zur Umsetzung empfohlenen Massnahmen, wird auf die entsprechenden Kapitel im Teil II des Berichts verwiesen.
Tabelle 1
Massnahmenpaket
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Massnahme | Vorschlag zur Umsetzung | Geltungsbereich | Stufe | Kapitel | ||
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Corporate Governance & Aufsicht | 1 | Anforderungen an die Corporate Governance konkretisieren mittels Schärfung der rechtlichen Grundlagen (z. B. zu Anforderungen an Verwaltungsrat und Verantwortlichkeit für Unternehmenskultur) | Ja | SIBs Für weitere Banken prüfen | Gesetz | 15.2.4 |
2 | Verantwortlichkeitsregime einführen zur klareren Zuordnung von Verantwortlichkeiten (proportionale Umsetzung: mindestens für Verwaltungsrat und Geschäftsleitung, ggf. auch für weitere Stufen) | Ja | SIBs Für weitere Banken prüfen | Gesetz | 15.3.4 | |
3 | Rechtliche Grundlagen und Anforderungen an Vergütungssysteme stärken, insb. Ausgestaltung variabler Vergütungen, Rückforderungsklauseln (sog. Clawbacks ) und Sperrfristen | Ja | SIBs Für weitere Banken prüfen | Gesetz | 15.4.4 | |
4 | Pekuniäre Verwaltungssanktionen der FINMA gegen beaufsichtigte juristische Personen einführen | Prüfen | Finanzinstitute | Gesetz | 16.3.4.1 | |
5 | Umfassende Information der Öffentlichkeit über Verfahren der Aufsicht einführen | Ja | Finanzinstitute | Gesetz | 16.2.4 | |
6 | Berufsverbot an Tätigkeitsverbot angleichen und bestehendes Instrument der Gewinne inziehung auf weitere natürliche Personen ausweiten | Ja | Finanzinstitute | Gesetz | 16.4.1.4, 16.4.2.4 | |
7 | Institutsgewähr auf Gesetzesstufe verankern und rechtliche Grundlagen bei Organmutationen stärken | Ja | Banken | Gesetz | 16.4.3.4 | |
8 | Informationsbeschaffung der FINMA erleichtern mittels Erweiterung der Auskunfts- und Meldepflicht | Ja | Finanzinstitute | Gesetz | 16.4.4.4 | |
Corporate Governance & Aufsicht | 9 | Durchsetzung der Aufsicht stärken durch Verkürzung der Verfahrensdauer (z. B. sofortige Vollstreckbarkeit von FINMA-Verfügungen) | Prüfen | SIBs | Gesetz | 16.6.4 |
10 | Duale Aufsicht stärken durch strengere Vorgaben beim Einsatz der Prüfgesellschaften (z. B. Anforderungen an die Unabhängigkeit und Direktmandatierung) | Prüfen | Finanzinstitute | Gesetz | 16.5.4 | |
11 | Duale Aufsicht abschaffen (Verzicht auf Einsatz von Prüfgesellschaften und Ausbau der FINMA) | Prüfen | SIBs | Gesetz | 16.5.4 | |
12 | Angemessene Ressourcenausstattung der FINMA sicherstellen (im Rahmen bisheriger Finanzierungsstruktur und unter Berücksichtigung der PUK-Ergebnisse) | Ja | FINMA | Erwartung des Bundesrats gegenüber der FINMA | 16.8 | |
13 | Zuständigkeit des FINMA-Verwaltungsrats für Geschäfte von grosser Tragweite anpassen, unter Einbezug der PUK-Ergebnisse | Prüfen | FINMA | Gesetz | 16.7.3 | |
Eigenmittelanforderungen | 14 | Zukunftsgerichtete Elemente bei institutsspezifischen Säule-2 - Eigenmittelzuschlägen einführen (insb. basierend auf Stresstests, geeignete Form der Offenlegung der Resultate zu prüfen) | Ja | SIBs | Verordnung | 7.5.2 |
15 | Eigenmittelunterlegung für ausländische Beteiligungen - und damit für Stammhäuser (sog. Parent-Banken) - innerhalb einer Finanzgruppe stärken | Ja | SIBs | Verordnung | 7.5.1 | |
16 | Progressive Komponente der Eigenmittelanforderungen erhöhen (sowohl bei der Leverage Ratio als auch bei der RWA-Quote) | Nein | SIBs | Verordnung | 7.5.4 | |
17 | Eigenmittelanforderungen mittels höherer Leverage Ratio generell erhöhen | Nein | SIBs | Verordnung | 7.5.3, 7.5.5 | |
18 | Regulatorische Vorgaben bzgl. der vorsichtigen Bewertung und der Werthaltigkeit von bestimmten Bilanzpositionen schärfen | Ja | Banken | Verordnung | 7.5.6 | |
19 | Risikotragende Funktion der AT1-Kapitalinstrumente im Going Concern stärken (z. B. klare Kriterien für Aussetzen von Coupon-Zahlungen) | Ja | Banken | Verordnung / internationale Standards | 7.5.7 | |
20 | AT1-Kapitalinstrumente abschaffen oder regulatorisch nur noch Wandlungen und keine Instrumente mit Forderungsverzicht (sog. Write-off - Instrumente) zulassen | Nein | Banken | Verordnung | 7.5.7 | |
21 | Ausnahme für TBTF-Kapitalinstrumente von der Verrechnungssteuer weiterführen | Ja | SIBs | Gesetz | 7.5.8 | |
Frühintervention & Stabilisierung | 22 | Frühinterventionen der Aufsicht stärken durch rechtliche Verankerung von Massnahmen, Anwendbarkeit und Zeitpunkt | Ja | Banken | Gesetz | 12.4.2 |
23 | Stabilisierungsplanung stärken durch klarere regulatorische Anforderungen und Kriterien | Ja | SIBs | Verordnung | 12.4.1 | |
Liquiditätssicherung in der Krise | 24 | In den Arbeiten zu den internationalen Standards sich für eine kritische Überprüfung der Liquiditätsanforderungen (LCR, NSFR) für alle Banken einsetzen | Ja | Banken | Internationale Standards | 8.5.1 |
25 | Anforderungen an die Informationsbereitstellung gegenüber der Aufsicht zur Liquiditätslage schärfen | Ja | Banken | Verordnung | 8.5.3 | |
26 | Regulatorische Rückzugsbeschränkungen für Einlagen von Bankkundinnen und -kunden einführen | Nein | Banken | Verordnung | 8.5.1 | |
27 | Die Diversifikation von Finanzierungsquellen erleichtern mittels Einführung eines Gesetzes für gedeckte Schuldverschreibungen (sog. Covered-Bond-Gesetz ) , unter Berücksichtigung der Auswirkungen auf den LoLR und den PLB | Prüfen | Banken | Gesetz | 8.5.2 | |
28 | Im Hinblick auf eine deutliche Ausweitung des Potenzials zur Liquiditätsversorgung über den LoLR die rechtlichen Rahmenbedingungen überprüfen und ggf. anpassen, inkl. der Einführung von Anforderungen an Banken zur Vorbereitung von Sicherheiten | Ja | Banken | Gesetz | 9.4 | |
29 | Instrument des PLB für SIBs im ordentlichen Recht einführen | Ja | SIBs | Gesetz | 10.4.1 | |
30 | Einlegerschutz ausweiten und stärken (z. B. Erhöhung der Limiten der Einlagensicherung, Einführung subsidiärer staatlicher Garantien) | Nein | Banken | Gesetz | 11.4 | |
Abwicklungsplanung | 31 | Optionen für die Abwicklung erweitern (z. B. «geordnete Abwicklung») | Ja | SIBs | Gesetz | 13.4.1 |
32 | Regulatorische Anforderung eines Abwicklungsplans für Stammhäuser (sog. Parent-Banken) einführen | Ja | SIBs | Gesetz | 13.4.2 | |
33 | Rechtssicherheit bei der Umwandlung von Fremd- in Eigenkapital im Rahmen einer Sanierung (sog. Bail-in ) insb. auf internationaler Ebene erhöhen bzw. sich dafür einsetzen | Ja | SIBs | Internationale Standards | 13.4.4 | |
34 | Abwicklungsfonds schaffen zur Finanzierung einer Abwicklung | Nein | SIBs | Gesetz | 13.4.6 | |
35 | Rechtliche Grundlage für temporäre Staatsbeteiligung (TPO) als Ultima-Ratio-Instrument einführen | Nein | SIBs | Gesetz | 13.4.5 | |
36 | Grundlegende Einschränkungen hinsichtlich der Gruppenstruktur (z. B. Trennbankensystem oder Grössenbeschränkungen) einführen | Nein | Banken | Gesetz | 14.4.3, 14.4.4 | |
Krisenorganisation & Zusammenarbeit | 37 | Verantwortlichkeiten, Zuständigkeiten und Zusammenarbeit unter den Behörden in einer Krise optimieren | Prüfen | FINMA, SNB, EFD | Gesetz | 17.4 |
Box 2 Auf internationaler Ebene umzusetzende Massnahmen Auf Basis der Erfahrungen rund um die Credit Suisse und der jüngsten Analysearbeiten setzt sich die Schweiz auch international für die Weiterentwicklung der Standards ein. Diese Box beschreibt die betroffenen Massnahmen. Eigenmittelanforderungen : Im BCBS soll darauf hingewirkt werden, dass 1) die verlusttragende Funktion von AT1-Kapital im laufenden Betrieb gestärkt wird und 2) mehr Transparenz bezüglich der Kapitalisierung von Stammhäusern hergestellt wird. Liquiditätsanforderungen : Im BCBS soll sich die Schweiz dafür einsetzen, dass die Liquiditätskennzahlen den Lehren aus der Bankenkrise 2023 Rechnung tragen. Die Liquiditätsstandards sollen dahingehend angepasst werden, dass bei der LCR die Resilienz der Bank während einer Krise und bei der NSFR die Stabilität der Finanzierungsstruktur gestärkt werden.- LCR: Insbesondere Verschärfung der angenommenen Abflussfaktoren und Stärkung der Pufferfunktion der LCR.- NSFR: Anpassung der Gewichtungsfaktoren der verfügbaren stabilen Finanzierung in Bezug auf Kundeneinlagen, um Anreize für Fristenverlängerungen und stabile Einlagen zu schaffen. Abwicklung : Für die erfolgreiche Umsetzung eines Bail-in, das heisst einer Umwandlung von Fremd- in Eigenkapital im Rahmen eines Sanierungsverfahrens, bei einer G-SIB sind die international geltenden Standards sowie die Ausgestaltung der Rechtssysteme in relevanten Jurisdiktionen entscheidend. Im FSB sowie durch bilaterale Abstimmung soll daher die Rechtssicherheit eines Bail-in erhöht werden. Dazu soll insbesondere 1) die Problematik bei einem grenzüberschreitenden Bail-in entschärft und 2) die Transparenz bzgl. Besitz von Bail-in-Bonds erhöht werden. Bail-in-Bonds sind Schuldinstrumente, die eigens zum Zweck der Verlustabsorption im Fall eines Bail-in ausgegeben wurden.Die Schweiz schliesst sich den vom FSB vorgeschlagenen Folgearbeiten zur Krise vom März 2023 grundsätzlich an und wird diese in ihrer Arbeit im FSB priorisieren. |
Massnahmen nach Handlungsfeld
Die Nummerierung der Massnahmen bezieht sich auf Tabelle 1. Für jede Massnahme verweist die letzte Spalte der Tabelle auf das zugrunde liegende Analysekapitel in Teil II des Berichts.
Corporate Governance und Aufsicht
Ausgangslage und Zielsetzung
Wie die jüngsten Bankenkrisen verdeutlicht haben, können Mängel im Bereich der Corporate Governance zentrale Ursachen von Bankenkrisen sein, insbesondere Mängel beim Risikomanagement und bei der Unternehmenskultur (z. B. übermässiger Risikoappetit oder fehlende Verantwortungskultur).
Die Definition und Einhaltung von Corporate-Governance-Grundsätzen ist Aufgabe der Unternehmensführung. Verantwortungsvolles, vorbildliches und langfristig ausgerichtetes unternehmerisches Handeln kann und soll nicht durch Regulierung und Aufsicht garantiert werden müssen. Je gravierender sich ein unternehmerisches Scheitern eines Finanzinstituts auf die Finanzstabilität, die Volkswirtschaft und die Steuerzahlenden auswirkt, desto relevanter wird aber die subsidiäre Rolle von Regulierung und Aufsicht. Im Fall der Credit Suisse hat sich gezeigt, dass die FINMA Mängel bei der Corporate Governance nicht oder nicht genügend wirksam zu unterbinden vermochte. Hinzu kommt, dass es mehrere Jahre dauern kann, bis der Rechtsweg zur Überprüfung von Entscheiden der FINMA abgeschlossen ist.
Vor diesem Hintergrund sollen insbesondere bei SIBs die Anreize zur guten Unternehmensführung verstärkt werden, indem die Verantwortlichkeiten klarer zugeteilt und die Anforderungen an die Vergütungssysteme neugestaltet werden. Die Aufsicht soll gestärkt und ihre Durchsetzungskraft erhöht werden, damit sie die Eigenverantwortung einfordern, besser auf die Risikokultur von Banken einwirken und Fehlverhalten effektiver verhindern bzw. sanktionieren kann. Die ausführliche Analyse zu diesen Themen befindet sich in den Kapiteln 15 und 16.
Bei der Umsetzung ist auf die Proportionalität zu achten: Die Anforderungen sollen sich stark nach der Grösse, der Komplexität und dem Risikoprofil von Banken unterscheiden.
Vorgeschlagene Massnahmen
Massnahme 1: Die Anforderungen an die Corporate Governance der SIBs und ggf. aller Banken sollen konkretisiert werden.
Damit erhalten die Anforderungen an die Corporate Governance von Banken einen zeitgemässen Normierungsrahmen, der gleichzeitig die Aufsicht darüber klärt.
Die Anforderungen sollen die Grundlage für eine angemessene Steuerung und Kontrolle der Geschäftstätigkeit sicherstellen. Im Fokus sind bei Banken das Risikomanagement, die interne Kontrolle und die allgemeine Unternehmenskultur. Eine starke Rolle kommt dabei dem Verwaltungsrat und der Geschäftsleitung zu. Konkretisierungen sollen etwa zum Fachwissen im Verwaltungsrat, zur Rolle des Verwaltungsratspräsidiums sowie zur Verantwortlichkeit für die Unternehmenskultur erfolgen.
Massnahme 2: Namentlich für SIBs soll ein schlankes Verantwortlichkeitsregime (Senior Managers Regime) eingeführt werden .
Ein Senior Managers Regime weist den höchsten Führungsebenen konkrete Verantwortlichkeiten zu und vereinfacht es der FINMA, einzelnen Personen Fehlverhalten zuzuordnen und sie zur Verantwortung zu ziehen.
Massnahme 3: Die rechtlichen Grundlagen für Anforderungen und Eingriffe im Bereich der Vergütungen bei SIBs und ggf. allen Banken sollen gestärkt werden.
Die Anforderungen müssen zur Vermeidung von Fehlanreizen sicherstellen, dass die Vergütungssysteme eng auf den langfristigen wirtschaftlichen Erfolg eines Instituts ausgerichtet sind und keine diesem Erfolg abträgliche Risikonahme attraktiv werden lassen. Die FINMA muss die Anforderungen durchsetzen können. Zielführend sind z. B. eine Regelung zu Sperrfristen für variable Vergütungsbestandteile, die Bindung von variablen Vergütungen an Kriterien des langfristigen wirtschaftlichen Erfolgs sowie die Einführung von griffigen Rückforderungsklauseln (Clawbacks) , auf deren Grundlage bereits ausgerichtete Vergütungsbestandteile zurückgefordert werden können. ²6 Eine Limitierung oder ein Verbot variabler Vergütungen hingegen wird nicht als zielführend eingeschätzt; die empirische Evidenz ²7 zeigt diesbezüglich Nachteile auf (insb. höhere Fixgehälter als Nebeneffekt).
Bei den Massnahmen 1-3 - insbesondere beim Verantwortlichkeitsregime - stehen aufgrund der weitreichenden Folgen eines allfälligen unternehmerischen Scheiterns die SIBs im Zentrum. Bei allen drei Massnahmen soll jedoch im Rahmen der Umsetzung geprüft werden, inwiefern eine proportional gestaltete Umsetzung für weitere Kategorien von Banken oder für sämtliche Banken angemessen ist.
Massnahme 4 : Die Einführung pekuniärer Verwaltungssanktionen (sog. Bussen) der FINMA gegen juristische Personen ist zu prüfen.
Mit diesem international verbreiteten Instrument kann die FINMA Verletzungen von Aufsichtsrecht auf Ebene Institut sanktionieren. Bei einer Einführung dieser Sank-tionskompetenz besteht allerdings ein Risiko, dass die Mitwirkungspflichten der Beaufsichtigten gegenüber der FINMA beeinträchtigt werden, was die FINMA in ihrer Aufsichtstätigkeit schwächen würde. Vor einer Umsetzung dieser Massnahme sind daher vertiefte Abklärungen nötig.
Bussen der FINMA gegen natürliche Personen hingegen werden zum jetzigen Zeitpunkt nicht zur Umsetzung empfohlen; die Priorität soll auf den Prüfarbeiten zu den Verwaltungsbussen gegen juristische Personen liegen. Bei einer Bussenkompetenz der FINMA gegen Individuen besteht die Gefahr, dass solche Bussen die Abklärungen der Aufsicht bei Enforcementverfahren beeinträchtigen und damit die Effektivität der Aufsicht signifikant schwächen würden. Die Wirkung dieser Massnahme wäre entsprechend kontraproduktiv. Weiter könnten mögliche Bussen der FINMA gegen Individuen wirkungslos bleiben, da sie zu noch höheren Vergütungen führen oder durch Versicherungslösungen finanziert werden könnten und damit ihre Anreizwirkung verlieren. Die FINMA verfügt zudem mit dem Berufs- und dem Tätigkeitsverbot, dem Gewährsentzug und der Einziehung unrechtmässig erworbener Gewinne bereits über Sanktionsinstrumente gegenüber Individuen mit einschneidender Wirkung.
Massnahmen 5-8: Zur Stärkung der Aufsicht sollen 1) der Grundsatz einer standardmässigen Orientierung der Öffentlichkeit über Enforcementverfahren eingeführt, 2) die Instrumente des Berufsverbots und der Gewinneinziehung angepasst, 3) bei Banken die Institutsgewähr und die Pflicht zur Bewilligung von Organmutationen gesetzlich verankert sowie 4) die Informationsbeschaffung der FINMA gegenüber Beaufsichtigten erleichtert werden.
Die FINMA soll lediglich in Ausnahmefällen vom Grundsatz einer Orientierung der Öffentlichkeit über abgeschlossene Enforcementverfahren abweichen, z. B. aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes oder aufgrund anderer laufender Verfahren. Darüber hinaus soll die FINMA gesetzlich ermächtigt werden, über Abklärungen und Verfahrenseröffnungen zu informieren. Diese Massnahme entfaltet insbesondere eine präventive Wirkung. Finanzinstitute und die höchsten Kader müssen davon ausgehen, dass Verletzungen von Aufsichtsrecht veröffentlicht werden. Dies setzt Anreize, dafür zu sorgen, dass Aufsichtsrecht eingehalten wird, und fördert die individuelle Verantwortlichkeit.
Eine Angleichung des Berufsverbots nach Artikel 33 FINMAG an das Tätigkeitsverbot nach Artikel 33 a FINMAG ermöglicht es der FINMA, ein Berufsverbot auch bei einer schweren Verletzung institutsinterner Vorschriften zu verhängen. Die Möglichkeiten zur Gewinneinziehung sind zudem auf weitere natürliche Personen neben denjenigen in leitender Stellung (Art. 35 FINMAG) auszudehnen.
Die gesetzliche Verankerung der Institutsgewähr und der Pflicht zur vorgängigen Bewilligung von Organmutationen vollzieht für Banken nach, was in anderen Sektoren schon eingeführt ist, und unterstützt die Aufsichtstätigkeit der FINMA.
Schliesslich soll der Adressatenkreis der Auskunfts- und Meldepflicht nach Artikel 29 FINMAG ausgeweitet werden, damit die FINMA besser an Informationen zur Abklärung möglicher Verletzungen des Aufsichtsrechts gelangen kann. Die Analyse zeigt zwar Handlungsbedarf beim fehlenden Schutz von Whistleblowern. Die erneute Ablehnung einer Regelung durch den Nationalrat im Rahmen der Motion Noser (23.3844) zeigt jedoch, dass weiterhin keine im Schweizer Parlament kompromissfähige Lösung in Sicht ist, weshalb eine entsprechende Massnahme allein im Finanzmarktrecht nicht zur Umsetzung empfohlen wird.
Massnahme 9: Eine Verkürzung der Verfahrensdauer zur Umsetzung aufsichtsrechtlicher Entscheide ist zu prüfen .
Da insbesondere bei SIBs eine rasche Durchsetzung gewisser Verfügungen der FINMA für die Sicherung der Finanzstabilität entscheidend sein kann, sind für diesen Fall soweit möglich Anpassungen im Verwaltungsverfahrensrecht zwecks Verkürzung solcher Verfahren anzustreben. Da Anpassungen zur Verkürzung der Verfahrensdauer stark in das Verwaltungsverfahrensrecht eingreifen, sind die Abklärungen dazu noch weiter zu vertiefen.
Massnahmen 10 und 11: Zur Stärkung des dualen Aufsichtssystems sind strengere Vorgaben beim Einsatz von Prüfgesellschaften zu prüfen .
Das duale Aufsichtssystem im Finanzmarktbereich beinhaltet den Einsatz von Prüfgesellschaften. Anzustreben sind hier stärkere Kontrollmechanismen, z. B. über höhere Anforderungen an die Unabhängigkeit der Prüfgesellschaften. Eine Direktmandatierung der Prüfgesellschaften durch die FINMA könnte die Unabhängigkeit der Prüfgesellschaften erhöhen, brächte aber auch Nachteile mit sich (mögliche Ausschreibung nach den Regeln des öffentlichen Beschaffungswesens, Operationalisierung der Auswahl bei der FINMA), die es vor der Umsetzung dieser Massnahme weiter zu vertiefen gilt.
Darüber hinaus soll für die SIBs das System der dualen Aufsicht insgesamt überprüft werden. Die Abschaffung des dualen Systems für SIBs könnte die Wirksamkeit und Effizienz der FINMA und somit die direkte Aufsicht der FINMA stärken, was im Fall von SIBs besonders relevant ist.
Massnahmen 12 und 13: Die FINMA muss über eine angemessene Ressourcenausstattung verfügen , und die Zuständigkeit des FINMA -Verwaltungsrats für Geschäfte grosser Tragweite ist zu prüfen.
Es obliegt der FINMA, die Ressourcen für ihre Aufgabenerfüllung zu bestimmen und zu beschaffen. Der Bundesrat erachtet es als zentral, dass sich die FINMA unter Berücksichtigung der empfohlenen Erweiterung des Instrumentariums und im Rahmen der geltenden Finanzierungsstrukturen mit der angemessenen, erforderlichen Anzahl und Qualität an Personal ausstattet. Zudem können allfällige Ergebnisse der PUK Hinweise darauf geben, inwiefern Massnahmen zur Ressourcenausstattung nötig sind.
Gemäss dem FINMAG ist der FINMA-Verwaltungsrat für «Geschäfte von grosser Tragweite» zuständig. Mit Blick auf die Effektivität der Aufsicht sollen die Vor- und Nachteile der aktuellen Arbeitsteilung zwischen Verwaltungsrat und Geschäftsleitung geprüft werden. Auch in diesem Bereich sind allfällige Ergebnisse der PUK einzubeziehen.
²6 Gutachten Ruigrok und Lin, S. 36.
²7 Ammann et al.,
Reformbedarf in der Regulierung von «
Too Big to Fail
»-Banken
, 19. Mai 2023, S. 35; Gutachten Ruigrok und Lin, S. 4.
Eigenmittelanforderungen
Ausgangslage und Zielsetzung
Die TBTF-Eigenmittelanforderungen haben sich grundsätzlich bewährt, aber es bestehen einzelne Schwachstellen, die u. a. auch die Krise der Credit Suisse aufzeigte. Dazu zählen die mangelnde zukunftsgerichtete Perspektive der Anforderungen, eine vergleichsweise knappe Kapitalisierung der Stammhäuser in internationalen Finanzgruppen sowie ein unzureichender Beitrag von AT1-Instrumenten zur Stabilisierung einer SIB vor Erreichen des Zeitpunkts drohender Insolvenz ( Point of non-viability, PONV). Zentral sind auch die Qualität und Transparenz der Eigenmittelanforderungen und deren konsequente Umsetzung. Ferner hat die Bedeutung der mildernden Anreizwirkung der zu haltenden Eigenmittel auf das Wachstum einer Bank in der neuen Ausgangslage mit nur noch einer G-SIB zugenommen.
Aus Sicht des Bundesrates sind die obgenannten kritischen Punkte mit einer Verschärfung der Eigenmittelanforderungen möglichst effektiv und wo möglich in den internationalen Kontext eingebettet anzugehen. Die ausführliche Analyse zu den Eigenmittelanforderungen befindet sich in Kapitel 7.
Vorgeschlagene Massnahmen
Massnahmen 14-17: Die Eigenmittelanforderungen für SIBs sollen gezielt gestärkt werden.
Erstens soll für SIBs der institutsspezifische Eigenmittelzuschlag (sog. Säule-2-Zuschlag) um zukunftsgerichtete Elemente erweitert und von der FINMA basierend auf Stresstests und der laufenden Aufsicht regelmässig festgelegt werden. Bei der Festlegung der Säule-2-Zuschläge sollen Elemente wie Profitabilität und Risikoprofil des Geschäftsmodells, marktbasierte Indikatoren (z. B. Marktkapitalisierung, Ratings und Aufschläge für Kreditausfall-Swaps) und allenfalls Faktoren der Unternehmensführung (z. B. Komplexität und Corporate Governance) berücksichtigt werden. Die geeignete Form der Offenlegung der Resultate der Stresstests ist zu prüfen.
Zweitens sollen bei SIBs die Eigenmittelanforderungen für das Stammhaus (Parent-Bank) gezielt gestärkt werden, indem ausländische Beteiligungen mit mehr Eigenmittel unterlegt werden müssen. Diese Massnahme soll in einer Krise den Handlungsspielraum erhöhen. Bei ungenügender Eigenmittelunterlegung wirkt sich eine Veräusserung ausländischer Beteiligungen mit Verlust negativ auf die Eigenmittelausstattung aus, was die Umsetzung von entsprechenden Stabilisierungsmassnahmen behindern kann. Dies gilt analog bei allfälligen sog. Ring-Fencing-Massnahmen ausländischer Behörden wie beispielsweise höheren regulatorischen Anforderungen oder Mittelabflussbeschränkungen gegenüber Tochtergesellschaften oder Niederlassungen einer Schweizer Bank im Ausland. Die ausreichende Eigenmittelunterlegung ausländischer Beteiligungen wirkt dieser Problematik gezielt entgegen. Ferner sorgt die Massnahme bei hohem Wachstum einer SIB im Ausland für eine starke Eigenmittelunterlegung. Während die Massnahme für alle SIBs einzuführen ist, trifft sie de facto nur international tätige SIBs mit komplexen Strukturen und grossen ausländischen Beteiligungen. Sie führt zu einer höheren ungewichteten Eigenmittelquote (Leverage Ratio) für das Stammhaus sowie für die gesamte Finanzgruppe. Auch international soll mehr Transparenz über die Kapitalausstattung von Stammhäusern geschaffen werden.
Auf eine Erhöhung der progressiven Komponente der Eigenmittelanforderungen für SIBs soll hingegen verzichtet werden. Einerseits wirkt die geltende progressive Komponente bereits heute stark. Andererseits führen die oben dargelegten Massnahmen insbesondere bei international ausgerichteten SIBs bereits zu einer deutlichen und gezielt wirkenden Erhöhung der Eigenmittel, während eine Verschärfung der progressiven Komponente eine undifferenzierte Auswirkung auf sämtliche Einheiten der Finanzgruppe in der Schweiz hätte.
Auch eine generelle Erhöhung der Leverage-Ratio-Anforderung, wie sie verschiedentlich vorgeschlagen wurde, wird nicht empfohlen. Dabei würden die von SIBs eingegangenen Risiken nicht angemessen berücksichtigt. Zudem führen bereits die oben dargelegten Massnahmen zu höheren Eigenmittelanforderungen, jedoch auf sehr risikoorientierte und gezielte Weise. Eine massive Erhöhung der Leverage-Ratio-Anforderung liesse sich zudem kaum auf SIBs begrenzen, sondern müsste sich aus Gründen der Schaffung fairer Wettbewerbsbedingungen (sog. Level Playing Field ) auf sämtliche Banken auswirken.
Massnahmen 18-20: Die Kapitalbasis der SIBs soll qualitativ gezielt gestärkt werden.
Insbesondere soll die regulatorische Behandlung von in Krisen nicht hinreichend werthaltigen Aktiven (z. B. aktivierte Informatikkosten, latente Steueransprüche) sowie von schwer zu bewertenden Fair-Value-Positionen (solche ohne aktuelle Marktpreise oder beobachtbare Bewertungsparameter) überprüft und verschärft werden. Schliesslich sind die geltenden Eigenmittelanforderungen für SIBs konsequent durchzusetzen (z. B. bei sog. regulatorischen Filtern).
Weiter soll die risikotragende Funktion der AT1-Instrumente im laufenden Geschäftsbetrieb gestärkt werden, d. h. bevor die betroffene Bank in einer Krise an den Zeitpunkt drohender Insolvenz gelangt. Noch klarer zu regeln sind etwa das Aussetzen von Coupon-Zahlungen und Rückkäufen. Ferner ist eine Erhöhung der auslösenden Trigger zu prüfen, bei denen AT1-Instrumente als Eigenmittel angerechnet werden können. Dies würde den gemäss internationalem Standard beabsichtigten Zweck von AT1-Kapital als Going-Concern-Kapital stärken. Diese Klärungen zu AT1-Instrumenten sollen auch auf internationaler Ebene eingebracht werden.
Auf eine generelle Abschaffung der AT1-Instrumente und deren Ersatz durch hartes Kernkapital soll hingegen verzichtet werden, solange dies nicht auf internationaler Ebene angestrebt wird. Ebenso soll darauf verzichtet werden, als AT1-Kapital regulatorisch nur noch Wandlungsinstrumente zuzulassen und nicht mehr Instrumente, die einen Forderungsverzicht vorsehen, also abgeschrieben werden (sog. Write-off - Instrumente). Bei einer einseitigen Abschaffung oder Anpassung der AT1-Instrumente würden die Schweizer Eigenmittelanforderungen grundlegend vom internationalen Regelwerk abweichen, mit entsprechenden Nachteilen.
Massnahme 21: TBTF-Kapitalinstrumente sollen weiterhin von der Verrechnungssteuer ausgenommen werden.
Die geltende Ausnahme für TBTF-Kapitalinstrumente von der Verrechnungssteuer stellt sicher, dass Banken diese zu wettbewerbsfähigen Bedingungen aus der Schweiz hinaus emittieren können. Sie soll weitergeführt werden (siehe Kap. 7.5.8.2) .
Frühintervention und Stabilisierung
Ausgangslage und Zielsetzung
Je fortgeschrittener die Krise einer Bank ist, desto schwieriger wird es, die Bank erfolgreich zu stabilisieren. Deshalb sind klare Kriterien und damit verbundene Massnahmen der Bank oder Interventionsmöglichkeiten der FINMA von entscheidender Bedeutung. Im konkreten Fall der Credit Suisse zeigte sich, dass die Wirkung des von der Bank vorbereiteten Stabilisierungsplans in der spezifischen Situation ungenügend war und auch die aufsichtsrechtlichen Interventionen der FINMA die Lage nicht zu stabilisieren vermochten.
Um die Wahrscheinlichkeit zu verringern, dass eine SIB an den kritischen Punkt der drohenden Insolvenz, den PONV, gelangt, sollen daher sowohl die Fähigkeiten der Banken, sich zu stabilisieren, als auch die Möglichkeiten und die Anwendbarkeit frühzeitiger Interventionen seitens der FINMA erweitert und gestärkt werden. Die ausführliche Analyse zu diesen Themen befindet sich in Kapitel 12.
Vorgeschlagene Massnahmen
Massnahme 22: Die Möglichkeiten und Pflichten in Bezug auf Frühinterventionen durch die FINMA bei Banken sollen ausgebaut und gesetzlich klarer geregelt werden.
Das BankG sieht Massnahmen vor - z. B. Weisungen an Organe der Bank erteilen oder Organe ersetzen -, welche die FINMA bereits heute als Schutzmassnahmen ergreifen kann, wenn begründete Besorgnis besteht, dass eine Bank überschuldet ist oder Liquiditätsprobleme hat, oder wenn die Bank die Eigenmittelvorschriften nicht mehr erfüllt. Künftig soll die FINMA solche Massnahmen im Rahmen der Stabilisierung oder bereits früher nach klaren Kriterien ergreifen können. Dazu kommen Massnahmen, die im allgemeinen FINMA-Instrumentarium aufgeführt sind, sowie das Auslösen weiterer Massnahmen aus dem Stabilisierungsplan. Auch die Versicherungsregulierung enthält z. B. in Artikel 51 des Versicherungsaufsichtsgesetzes vom 17. Dezember 2004 ²8 (VAG) Schutzmassnahmen, welche die FINMA vornehmen kann, wenn regulatorische Anforderungen verletzt sind oder die Interessen der Versicherten nicht gewahrt sind.
Die Auslöser bzw. der Zeitpunkt für Frühinterventionen soll neu möglichst klar definiert werden. Dabei ist auch die Anwendung von Marktindikatoren und Stresstests zur Auslösung von Frühinterventionen zu prüfen und ggf. die Definition des PONV sowie die Abgrenzung der Stabilisierungsphase zu präzisieren.
Massnahme 23: Die Fähigkeiten der SIBs, sich in einer Krise selber zu stabilisieren, sollen gestärkt und die Anforderungen rechtlich verankert werden.
Sowohl für die Ausarbeitung des Stabilisierungsplans durch die Bank als auch für die Genehmigung durch die FINMA sollen in der Bankenverordnung vom 30. April 2014 ²9 (BankV) konkrete Anforderungen festgehalten werden (z. B. bezüglich der Auslösung des Stabilisierungsplans, des Umfangs und der Umsetzbarkeit der Stabilisierungsmassnahmen).
Dabei soll die Bank nachweisen müssen, dass sie die Anforderungen an den Stabilisierungsplan erfüllt (analog den Bestimmungen zum Notfallplan). Zudem soll die FINMA analog zum Notfallplan Massnahmen zur Behebung allfälliger Mängel ergreifen können (z. B. mittels Eigenmittel- oder Liquiditätszuschlägen).
²8
SR
961.01
²9
SR
952.02
Liquiditätssicherung in der Krise
Ausgangslage und Zielsetzung
Die beispiellosen Abflüsse bei der Credit Suisse sowie bei einzelnen Banken in den USA haben die Bedeutung einer umfassenden Liquiditätssicherung in einer Krise verdeutlicht. Sofort weit verbreitbare Informationen können insbesondere bei einer Bank, die schon in einer Krise ist, zu rasanten und sehr hohen Liquiditätsabflüssen führen.
Der Fall Credit Suisse zeigte die Faktoren auf, die den Umfang der Liquiditätsbereitstellung durch die Zentralbank als Kreditgeberin in letzter Instanz beeinflussen (ungenügender Umfang an vorbereiteten Sicherheiten, Problematik des Stigmas im Markt, Sicherheiten innerhalb der Gruppe nicht am richtigen Ort). Nicht zuletzt fehlte das Instrument eines PLB für SIBs im ordentlichen Recht, wobei eine entsprechende Vorlage bereits in Ausarbeitung war.
Ausreichende Liquidität in einer Krise dient nicht nur dem Überleben einer SIB, sondern ist auch zentraler Bestandteil einer Sanierung oder Konkursliquidation.
Ein gesetzlich geregeltes Gesamtpaket zur ausreichenden Liquidität zwecks Prävention und Sicherung der Liquidität in der Krise ist daher ein zentrales Instrument des TBTF-Dispositivs. Dazu gehören die Stärkung der Liquiditätssicherung durch SIBs, der deutliche Ausbau des Potenzials zur Liquiditätsversorgung über den LoLR sowie subsidiär und als Ultima Ratio die Möglichkeit der Gewährung staatlicher Garantien mittels PLB. Der PLB ist als vertrauensbildendes Instrument zu Zeiten digitaler und ungefilterter Sofortinformation sowie digitaler Echtzeit-Bankdienstleistungen zentral.
Die ausführliche Analyse zur Liquiditätssicherung befindet sich in den Kapiteln 8-10.
Vorgeschlagene Massnahmen
Massnahmen 24-27: Bezüglich der Liquiditätsanforderungen sollen 1) auf internationaler Ebene die Standards für Liquiditätsanforderungen kritisch überprüft, 2) auf nationaler Ebene die Anforderungen an die Informationsbereitstellung durch die Banken verschärft und 3) die Einführung eines Gesetzes über gedeckte Schuldverschreibungen (sog. Covered-Bond-Gesetz) geprüft werden. Auf regulatorische Rückzugsbeschränkungen für Einlagen soll verzichtet werden.
Mit der jüngsten Revision der Liquiditätsverordnung vom 30. November 2012 3⁰ (LiqV) wurden in der Schweiz die Liquiditätsanforderungen an SIBs deutlich erhöht (sog. erste Verteidigungslinie ). Die Stärkung der bankeigenen Liquiditätshaltung wird mit den besonderen Liquiditätsanforderungen, die von den SIBs bis Ende 2024 vollständig erfüllt werden müssen, bereits umgesetzt und gemäss Vorgaben in der LiqV bis Ende 2026 nochmals überprüft. 3¹ Darüber hinaus sollen sich die Schweizer Behörden dafür einsetzen, dass die für alle Banken geltenden internationalen Standards zu Liquiditätsanforderungen überprüft und im Lichte der Erkenntnisse gestärkt werden. Kritisch zu prüfen sind etwa die Abflussfaktoren der Quote für kurzfristige Liquidität ( Liquidity Coverage Ratio, LCR) sowie gewisse Gewichtungsfaktoren der Finanzierungsquote ( Net Stable Funding Ratio, NSFR). Eine einheitliche Berechnung dieser Kennzahlen ist wichtig für die internationale Vergleichbarkeit und im Hinblick auf faire Wettbewerbungsbedingungen für alle Banken . Zudem wäre eine einseitig striktere Ausgestaltung der LCR-Berechnung im Vergleich zum internationalen Standard für Schweizer Banken insbesondere in einer Krise problematisch, da Schweizer Banken bei gleicher Liquiditätsausstattung eine tiefere LCR ausweisen (und vom Markt kritischer beurteilt) würden.
Auf nationaler Ebene sind die Anforderungen an die Bereitstellung von Liquiditätsinformationen der Banken für die Aufsicht weiter zu schärfen. Zeitnahe und qualitativ verlässliche Daten sind für die Behörden zur frühzeitigen Erkennung und Bewältigung einer Liquiditätskrise eine zentrale Voraussetzung.
Für die Erleichterung der Diversifikation von Finanzierungsquellen ist zu prüfen, ob die Einführung eines Gesetzes für gedeckte Schuldverschreibungen angemessen und zielführend ist, insbesondere unter Betrachtung des bereits bestehenden Pfandbriefgesetzes vom 25. Juni 1930 3² (PfG). Dabei gilt es zu berücksichtigen, dass ein solches Gesetz zu keinen neuen oder zusätzlichen Risiken für den Staat bzw. die Steuerzahlenden führt. Namentlich zu beachten wären dabei die Interdependenzen zwischen gedeckten Schuldverschreibungen und den Massnahmen im Bereich des LoLR sowie dem vorgesehenen PLB.
Auf die Einführung von regulatorischen Rückzugsbeschränkungen für Einlagen zur Reduktion von Abflüssen in einer Krise soll hingegen verzichtet werden, da dies einem zu starken Eingriff in die Bezugsmöglichkeiten der Bankkundinnen und -kunden sowie ins Geschäftsmodell der Banken entspräche. Einlegerinnen und Einleger sollen nicht per Regulierung an eine Bank gebunden werden. Zudem kann die Einführung von Rückzugsbeschränkungen dazu führen, dass Bankkundinnen und -kunden während einer Krise aufgrund der beschränkt abziehbaren Einlagensumme noch misstrauischer gegenüber der betroffenen Bank werden und den Einlagenabzug mit möglichem krisenverstärkendem Effekt zeitlich vorverlagern.
Massnahme 28: Im Hinblick auf eine deutliche Ausweitung des Potenzials zur Liquiditätsversorgung über den LoLR sollen die rechtlichen Rahmenbedingungen überprüft und ggf. angepasst werden .
Durch den Einsatz der ordentlichen und ausserordentlichen Liquiditätsfazilitäten soll der Liquiditätsbedarf in einer Krise möglichst umfassend und effizient abgedeckt werden. Im Rahmen des Auftrags des Parlaments an den Bundesrat gemäss dem Postulat 23.3445 «Überprüfung des Instrumentariums der SNB» soll vertieft geprüft werden, wie und inwiefern das Potenzial zur Liquiditätsversorgung über den LoLR zielgerichtet erweitert werden kann, unter Berücksichtigung des verfassungsmässigen Auftrags der SNB sowie der neuen Wechselwirkungen zwischen den Fazilitäten und der geplanten PLB-Einführung. Dabei gilt es, die bestehenden rechtlichen Rahmenbedingungen für den LoLR zu überprüfen und ggf. anzupassen sowie die Einführung neuer oder die Anpassung bestehender Fazilitäten zu berücksichtigen. Eine wichtige Erkenntnis aus der Analyse ist auch, dass unter Berücksichtigung von Kosten-Nutzen-Aspekten eine regulatorische Verpflichtung für Banken zur Vorbereitung von Liquiditätsbezügen über den LoLR eingeführt werden sollte.
Zur Erhöhung des Potenzials zur Liquiditätsversorgung gehört auch der Ausbau des Zugangs zu Fazilitäten ausländischer Zentralbanken. Schliesslich soll die Transferierbarkeit von Liquiditätshilfen innerhalb einer Bankengruppe gestärkt werden.
Zur Reduktion des Stigma-Problems sollen zudem Anpassungen bei den Offenlegungspflichten von Banken und SNB geprüft werden, wobei die entsprechenden Vorschriften im Ausland mitzuberücksichtigen sind.
Massnahme 29: Der PLB für SIBs soll explizit im Gesetz verankert werden.
Dabei soll die Möglichkeit einer Beanspruchung des PLB, wie in der Botschaft des Bundesrates an das Parlament vorgesehen, nur im Rahmen einer Sanierung bestehen und von den SIBs mit einer regelmässig zu entrichtenden Ex-ante-Pauschale abgegolten werden. 3³
Eine Ausweitung des PLB auf nicht systemrelevante Banken erachtet der Bundesrat nicht als zielführend. Von nicht systemrelevanten Banken gehen im Vergleich zu SIBs aufgrund ihrer geringeren Grösse und Vernetzung mit dem Finanzsystem sowie der besseren Substituierbarkeit der erbrachten Dienstleistungen geringere Risiken für die Finanzstabilität aus. Entsprechend unterliegen sie nicht den regulatorischen Zusatzanforderungen für SIBs. Hingegen soll das Potenzial zur Liquiditätsversorgung über den LoLR in der Schweiz auf alle Banken ausgeweitet werden, womit die Relevanz eines PLB für kleinere Banken weiter reduziert wird.
Massnahme 30: Auf eine Ausweitung des Einlegerschutzes soll verzichtet werden .
Die Analyse zeigt auf, dass durch Massnahmen wie beispielsweise eine Ausweitung der Einlagensicherung der Einlegerschutz zwar grundsätzlich gestärkt werden könnte. Die erwähnten Möglichkeiten waren bereits im Hinblick auf die am 1. Januar 2023 in Kraft getretenen Anpassungen des BankG in Bezug auf die Einlagensicherung und die Insolvenz ³4 bekannt, wurden vom Gesetzgeber aber bewusst nicht berücksichtigt.
Zudem sind Anpassungen beim Einlegerschutz keine gezielte Massnahme zur Entschärfung der TBTF-Problematik. Das vorrangige Ziel des TBTF-Dispositivs bleibt die Sicherstellung der Weiterführung der systemrelevanten Funktionen und damit der Zugriff der Einleger auf ihre Guthaben. Bei dieser Zielsetzung kommt somit die Einlagensicherung nicht zum Tragen. In Bezug auf die Einlagensicherung kann daher mit hohen Kosten lediglich eine geringe Entschärfung der TBTF-Problematik erzielt werden. Aus diesem Grund soll zugunsten anderer Massnahmen auf Anpassungen beim Einlegerschutz verzichtet werden.
3⁰
SR
952.06
3¹
AS
2022
359
3²
SR
211.423.4
3³
BBl
2023
2165
³4
AS
2022
732
Abwicklungsplanung
Ausgangslage und Zielsetzung
Die Krise der Credit Suisse hat verdeutlicht, dass die Erfolgsaussichten einer Abwicklungsstrategie (d. h. der Strategie für eine Sanierung oder Konkursliquidation mit Weiterführung der systemrelevanten Funktionen gemäss Notfallplanung) je nach Krisenszenario unterschiedlich beurteilt werden können. Je flexibler und variantenreicher die vorbereiteten Strategien, je umfassender das Instrumentarium und je klarer die verbleibenden Hindernisse beseitigt sind, desto grösser sind die Erfolgschancen und damit die Umsetzbarkeit einer Abwicklung einzuschätzen.
Es gilt somit, verbleibende Unsicherheiten, Risiken und Hindernisse für eine Abwicklung zu minimieren und die für eine Krise vorbereiteten Varianten und Instrumente zu erweitern, um zu gewährleisten, dass eine Abwicklung auch in unterschiedlichsten Krisenszenarien ein glaubwürdiges und zu vertretbaren Risiken umsetzbares Instrument ist. Insbesondere an der Abwicklungsfähigkeit der einzig verbleibenden G-SIB der Schweiz dürfen keine Zweifel bestehen. Die ausführliche Analyse zur Abwicklungsplanung befindet sich in Kapitel 13.
Vorgeschlagene Massnahmen
Massnahmen 31-34: Insbesondere für G-SIBs sollen 1) verschiedene Strategien zur Abwicklung ausgearbeitet und rechtlich abgesichert werden, 2) das Erfordernis eines Abwicklungsplans für das Stammhaus eingeführt werden und 3) die Rechtsicherheit bei der Umwandlung von Fremd- in Eigenkapital im Rahmen einer Sanierung (sog. Bail-in) erhöht werden.
Für eine Erweiterung der Optionen für eine Sanierung braucht es neben Vorbereitungsarbeiten der FINMA rechtliche Anpassungen, namentlich um die Rechtssicherheit zu erhöhen für eine Variante der «geordneten Abwicklung», d. h. einer Sanierung mit der Absicht, eine SIB nicht am Leben zu erhalten, sondern über einen Zeithorizont von wenigen Jahren herunterzufahren. Abwicklungsstrategien sind regelmässig unter Berücksichtigung des sich verändernden Geschäftsmodells und des Umfelds zu aktualisieren und soweit möglich regelmässig im Voraus zu testen, und es ist das Zusammenspiel der Behörden zu überprüfen und in die Tests einzubeziehen. Auf nationaler Ebene sei hier etwa die Liquiditätsgewährung inkl. eines möglichen PLB genannt.
Zudem sollen international tätige SIBs in einem Abwicklungsplan aufzeigen müssen, wie ein allfälliges Stammhaus über einen Zeitraum von wenigen Jahren abgewickelt werden kann. Damit soll das TBTF-Ziel der Finanzstabilität sichergestellt werden, während der Notfallplan das Ziel der Weiterführung der systemrelevanten Funktionen abdeckt. Im Rahmen dieses Abwicklungsplans sollen auch die gruppeninternen Verflechtungen mit Blick auf die Abwicklungsfähigkeit weiter reduziert werden können und damit eine für die Abwicklung wichtige «Clean Holding» angestrebt werden, das heisst eine oberste Einheit ohne finanzielle Verpflichtungen, die ein Hindernis für eine Abwicklung darstellen.
Auf internationaler Ebene soll die Rechtssicherheit bei einem Bail-in, das heisst der Umwandlung von Fremd- in Eigenkapital im Rahmen einer Sanierung, weiter erhöht werden. Dies betrifft auch Fragen des ausländischen Rechts, auf die die Schweiz nur sehr beschränkt einwirken kann.
Die Schaffung eines Abwicklungsfonds wird aufgrund der stark konzentrierten Struktur der schweizerischen Bankenlandschaft nicht zur Umsetzung empfohlen.
Massnahme 35: Auf die Einführung einer Rechtsgrundlage für eine temporäre Staatsbeteiligung zur Weiterführung der systemrelevanten Funktionen soll verzichtet werden.
Die Möglichkeit einer temporären Staatsbeteiligung ( Temporary Public Ownership, TPO) ist im FSB-Standard vorgesehen und ihre Anwendung stellte im Fall der Credit Suisse eine der geprüften Optionen dar. Eine TPO wäre in einer Krise als Ultima-Ratio-Instrument auszugestalten. Ihr potenzieller Anwendungszweck wäre auf die Weiterführung der systemrelevanten Funktionen in der Schweiz zu beschränken. Allerdings würden damit sowohl für SIBs als auch für die Behörden substanzielle Fehlanreize gesetzt und zu hohe Risiken für den Staat geschaffen. Für den Fall, dass die Umsetzung des Notfallplans zusätzliche Liquidität erfordert, ist zudem bereits die Einführung eines PLB als Ultima-Ratio-Instrument vorgesehen.
Massnahme 36: Auf grundlegende Einschränkungen hinsichtlich der Gruppenstruktur der Banken (z. B. Trennbankensystem oder Grössenbeschränkungen) soll verzichtet werden .
Für die Stabilisierung oder Abwicklung einer Bank sind die finanziellen und operativen Verflechtungen innerhalb einer Finanzgruppe eine Herausforderung. Diese sind im Rahmen der Massnahmen zur Stabilisierung und Abwicklung (z. B. Abwicklungsplan für das Stammhaus) sowie bei den Eigenmittelmassnahmen (z. B. Anpassung der Eigenmittelunterlegung für ausländische Beteiligungen) anzugehen. Wie z. B. der Konkurs der reinen Investmentbank Lehman Brothers illustriert, sind auch Trennbanken nicht gefeit gegen Krisen. Grundlegende strukturelle Massnahmen stellen zudem nach Ansicht des Bundesrates einen unverhältnismässigen Eingriff in die Wirtschaftsfreiheit dar.
Krisenorganisation und Zusammenarbeit der Behörden
Ausgangslage und Zielsetzung
Agieren und reagieren, also auch das behördenseitige Eingreifen, in einer Krise geschieht unter hoher Unsicherheit. Zentral sind eine gute Krisenorganisation, klare Aufgaben, die Zuordnung und Übernahme von Verantwortung und eine effektive Zusammenarbeit der Behörden.
Ziel ist es, die nötigen Massnahmen zur richtigen Zeit zu treffen. Dazu sind optimale Strukturen und Spielregeln notwendig, die ausserhalb der Krise festgelegt, aufgebaut und gepflegt werden (z. B. ein effizienter Informationsaustausch und vertrauensbildende Zusammenarbeit). Mehr zu diesen Themen befindet sich in Kapitel 17.
Vorgeschlagene Massnahme
Massnahme 37: Es soll geprüft werden, wie die Zusammenarbeit und die Entscheidungsprozesse der Behörden klarer geregelt und gestärkt werden können.
Verschiedene Gutachten schlagen Änderungen am bestehenden institutionellen Rahmen der Aufsicht, der Abwicklung und des Krisenmanagements bezüglich SIBs vor. Zu den Vorschlägen gehören u. a. ein näheres Zusammenrücken von makro- und mikroprudenzieller Aufsicht über die SIBs, indem die Aufsicht über die SIBs von der SNB wahrgenommen wird, und eine Stärkung der behördlichen Zusammenarbeit in der Krise, beispielsweise durch die Schaffung eines Stabilitätsrats. Die Arbeiten der PUK sind bei der Beurteilung und Ausgestaltung dieser Massnahme einzubeziehen.
Weiteres Vorgehen und Ausblick auf die Umsetzung der Massnahmen
Das im vorliegenden Bericht vorgeschlagene Massnahmenpaket beinhaltet Anpassungen auf Gesetzes- und Verordnungsstufe. Aus Sicht des Bundesrates gilt es, die Umsetzung des Massnahmenpakets rasch anzugehen. In der konkreten Ausarbeitung werden relevante Ergebnisse der PUK miteinbezogen.
Zur raschen Umsetzung sieht der Bundesrat ein gestaffeltes Vorgehen in zwei Paketen vor. Ein erstes Paket enthält Anpassungen auf Verordnungsstufe, die durch den Bundesrat verabschiedet werden können. In einem zweiten Paket wird eine Botschaft mit Anpassungen auf Gesetzesstufe ausgearbeitet. Zur Einführung eines PLB, der Bestandteil des Massnahmenpakets ist, hat der Bundesrat dem Parlament bereits eine Botschaft unterbreitet. ³5
Aus Sicht des Bundesrats sind die vorgeschlagenen Massnahmen als Gesamtpaket zu betrachten, welches das bestehende TBTF-Dispositiv gezielt weiterentwickelt und ergänzt.
Die Umsetzung des vorgeschlagenen Gesamtpakets reduziert die Wahrscheinlichkeit einer erneuten Krise einer SIB in der Schweiz signifikant. Die Eigenverantwortung der Banken wird dabei eingefordert. Im Fall einer trotzdem eintretenden Krise wird die Stabilisierungs- und Abwicklungsfähigkeit einer SIB deutlich verbessert.
Mit der Umsetzung dieser Massnahmen stärkt die Schweiz nicht nur ihren eigenen Finanz- und Bankenplatz und damit ihren Wirtschaftsstandort, sondern auch die Stabilität des globalen Finanzsystems. Entsprechend wird sich die Schweiz auch in den zuständigen internationalen Gremien für diese Massnahmen einsetzen.
TEIL II Hintergrund und Analyse
Die nachfolgenden Kapitel des Berichts beinhalten die Hintergrundinformationen und Analysen, die den in Teil I (insb. Kap. 4) vorgeschlagenen Massnahmen zugrunde liegen. Die Analyse beinhaltet nebst einer Darstellung der Krise der Credit Suisse eine umfassende Würdigung des TBTF-Dispositivs sowie der Themen der Corporate Governance und der Aufsicht, die sich für die Stabilität des Finanzplatzes als zentral erwiesen haben und vom Parlament in zahlreichen Vorstössen thematisiert werden.
Während Teil I nach dem identifizierten Handlungsbedarf gegliedert ist, basiert die Reihenfolge der Themen in Teil II auf der analytischen Perspektive einer Auslegeordnung (zuerst zum TBTF-Dispositiv und anschliessend zu weiteren Themen). Konkret werden folgende Themen analysiert: die Definition der Systemrelevanz (Kap. 6), Eigenmittelanforderungen (Kap. 7), Liquiditätsanforderungen (Kap. 8), Liquiditätshilfe (Kap. 9 und 10), Einlegerschutz (Kap. 11), Stabilisierung (Kap. 12), Abwicklung (Kap. 13), strukturelle Massnahmen (Kap. 14), Corporate Governance (Kap. 15), weitere Themen der Aufsicht (Kap. 16) sowie die institutionellen Zuständigkeiten im Bereich Finanzstabilität (Kap. 17).
Die einzelnen Kapitel sind - soweit sinnvoll - einheitlich gegliedert. Sie erläutern zuerst als Ausgangslage die aktuelle Regulierung und beinhalten einen internationalen Vergleich. In der Beurteilung werden allfällige Defizite und entsprechender Handlungsbedarf aufgezeigt. Im Anschluss werden mögliche Massnahmen erläutert und beurteilt. Im Fazit werden die vorgeschlagenen Massnahmen im Gesamtkontext des jeweiligen Themengebiets erläutert.
³5
BBl
2023
2165
Credit Suisse: Krise und Krisenmassnahmen
Entstehung der Krise
Die Krise der Credit Suisse im März 2023 war das Resultat wiederholter Vorfälle und Missstände bei der Bank, die sich über mehrere Jahre hinzogen und sich letztlich im März 2023 zu einer akuten Vertrauenskrise zuspitzten.
Insbesondere ab 2018 stand die Credit Suisse wiederholt im Zentrum von Skandalen und Indiskretionen. Es gab klare Anzeichen für eine mangelhafte Unternehmenskultur, ein unangemessenes Risikomanagement sowie fehlende Durchsetzungskraft und mangelndes Verantwortungsbewusstsein der Leitungsebene. Augenfällige Beispiele dafür sind der Fall Mosambik, die Beschattungsaffäre oder die Fälle Greensill und Archegos (vgl. Kap. 5.2). ³6 Weitere Beispiele sind die zahlreichen ungeplanten Wechsel im Verwaltungsrat und in der Geschäftsleitung der Bank, insbesondere ab 2021, so etwa der Abgang des Verwaltungsratspräsidenten Anfang 2022. Die Credit Suisse kündigte wiederholt eine Restrukturierung mit Risikoreduktion der Investment Bank an, um stabilere Erträge zu erzielen. Diese Restrukturierungspläne wurden jedoch nie überzeugend in Angriff genommen und die Erträge der Bank blieben insgesamt volatil.
All dies hat auf Seiten der Anlegerinnen und Anleger und der Kundinnen und Kunden der Bank zu einem sich stetig vergrössernden Vertrauensverlust geführt. Die Credit Suisse befand sich während mehrerer Jahre in einem sich beschleunigenden Abwärtsstrudel in Bezug auf Reputation und Profitabilität. Dies widerspiegelte sich auch in der Entwicklung des Aktienkurses (vgl. Abbildung 3).
Mit der Ausnahme einer Erhöhung des Ratings um eine Stufe durch Moody’s im Dezember 2020 blieben die langfristigen Kreditratings der Credit-Suisse-Gruppe durch die drei grossen Ratingagenturen Fitch, Moody’s und S&P zwischen 2018 bis Frühling 2022 stabil. Erst im Mai und August 2022 erfolgten mehrere Ratingherabstufungen, namentlich durch Fitch und S&P im Mai 2022 sowie durch Fitch und Moody’s im August 2022. Die Agenturen begründeten die Herabstufungen mit der schwachen Profitabilität der Bank und den Schwächen im Risikomanagement und der Risikokultur der Bank. Als Folge der Herabstufungen verteuerte sich u. a. die Liquiditätsbeschaffung.
Im Juli 2022 gab die Bank einen sofortigen Wechsel ihres CEO und die Einleitung einer umfassenden Anpassung der strategischen Ausrichtung ihrer Investmentbank bekannt, die allerdings erst im Oktober konkret kommuniziert werden sollte. Die Bank stellte dannzumal in Aussicht, Kosten und Risiken der Investment Bank bis 2025 beschleunigt zu reduzieren. Die Pläne wurden vom Markt zwar grundsätzlich begrüsst, die Umsetzungsrisiken wurden aber als hoch eingeschätzt. Mit Verweis auf die Umsetzungsrisiken senkte S&P Anfang November 2022 das langfristige Rating der Credit-Suisse-Gruppe um eine Stufe. Moody’s und Fitch bestätigten im gleichen Zeitraum zwar ihre bisherigen Ratings, betonten dabei jedoch ebenfalls den negativen Ausblick aufgrund der substanziellen Umsetzungsrisiken der Strategieanpassung.
Ab Herbst 2022 geriet die Bank im Bereich der Liquidität unter Druck. Insbesondere im Oktober 2022 führte die zunehmende Vertrauenskrise der Bank zu einem Abfluss von Kundengeldern in historischem Ausmass. In der Zeit zwischen Oktober und Ende Dezember 2022 flossen Kundengelder in Höhe von 138 Milliarden Franken ab. ³7
Abbildung 3
Entwicklung Aktienkurs und CDS der Credit-Suisse-Gruppe
0
200
400
600
800
1000
1200
0
5
10
15
20
25
30
2015
2016
2017
2018
2019
2020
2021
2022
2023
CS Aktienkurs (linke Skala)
CS CDS 5Y senior (rechte Skala)
MSCI World Banks Index (rechte Skala, indexiert)
in CHF
Quelle: FINMA.
Kurs
9.2.23:
CHF 7,3 Mrd.
Jahresverlust
2022
28.2.23:
Publikation
Abschluss
Greensill
-
Verfahren
1.10.22:
Social Media
News
27.10.22:
Plan
Restrukturier
-
ung
Investment Bank
23.11.22: Kapital
-
erhöhung
CHF 4 Mrd.
27.7.22:
Ulrich Körner
neuer CEO und
Ankündigung
Strategie
-
Review
17.1.22:
Rücktritt António
Horta
-
Osório,
Axel Lehmann
neuer VRP
10.2.22:
CHF 1,7 Mrd.
Jahresverlust
2021
5.3.21:
Greensill
29.3.21:
Archegos
30.4.21:
António Horta
-
Osório neuer
VRP
14.2.20:
Rücktritt Tidjane
Thiam, Thomas
Gottstein neuer
CEO
19.10.21:
Publikation
Abschluss
Verfahren
Mosambik
und Spygate
4.11.21:
Plan
Reduktion
Investment
Bank
1.7.15:
Tidjane Thiam
neuer CEO
4.2.16:
CHF 2,9 Mrd.
Jahresverlust
2015
21.10.15:
Plan Reduktion
Investment
Bank und IPO
Schweiz
18.1.17:
US Settlement
Hypotheken
-
Verbriefungen
USD 5,28 Mrd.
14.2.17:
CHF 2,7 Mrd.
Jahresverlust
2016
17.9.18:
Publikation Abschluss
diverse Verfahren i.
Z. m. Geldwäscherei
20.12.19:
FINMA
Untersuchung
Spygate
30.6.20:
Plan Reduktion
Investment Bank
und Wachstum
Wealth
Management
9.3.23:
Verschiebung
Publikation
Geschäftsbericht
10.3.23:
Schliessung
Silicon Valley
Bank
12.3.23:
Schliessung
Signature Bank
15.3.23:
Interview
Präsident Saudi
National Bank
Dank substanzieller Liquiditätspuffer der Bank konnten diese Abflüsse zunächst absorbiert werden. ³8
Zur Finanzierung der geplanten Restrukturierungsmassnahmen gelang der Bank Anfang Dezember 2022 eine Kapitalerhöhung von 4 Milliarden Franken. Die operativen Verluste und die Kosten der Strategieanpassung resultierten aber in einem Jahresverlust von 7,3 Milliarden Franken. Die Restrukturierungsplanung sah mehrere weitere Verlustquartale vor.
Anfang 2023 konnte die Credit Suisse ihre Profitabilitätsvoraussagen weiterhin nicht einhalten. Zudem mehrten sich erneut Hinweise auf eine mangelhafte Governance und Betriebsorganisation. ³9 Dennoch stellte sich eine gewisse Stabilisierung ein, beispielsweise konnte die Bank langfristige Anleihen im Umfang von 4 Milliarden Franken emittieren und ihre Liquiditätspuffer im Januar und Februar 2023 insgesamt wieder leicht aufbauen.
Ab März 2023 reihten sich in rascher Abfolge mehrere negative Entwicklungen aneinander. In den USA erlitten in einem Umfeld steigender Zinsen mehrere Banken substanzielle Verluste. Im Zuge der Ausfälle der amerikanischen Banken Silicon Valley Bank und First Republic Bank sowie der Notlage der Signature Bank kam es zu einer grossen Verunsicherung an den globalen Finanzmärkten. In diesem schwierigen Marktumfeld kamen Negativschlagzeilen der Credit Suisse hinzu. Die Bank verschob am 9. März 2023 aufgrund offener Punkte mit der amerikanischen Börsenaufsicht (SEC) die Publikation ihres Jahresberichts 2022. Dieser wurde schliesslich am 14. März 2023 veröffentlicht. Im Bericht musste die Bank u. a. Vorbehalte zu materiellen Schwächen in der internen Kontrolle über die Finanzberichterstattung einräumen. 4⁰ Am 15. März 2023 verbreitete sich zudem die Aussage des Präsidenten der Hauptaktionärin der Credit Suisse, der Saudi National Bank, dass sie weitere Investitionen in die Bank kategorisch ausschliesse.
Bereits von einem signifikanten Vertrauensverlust geplagt, stiegen die Zweifel an der Überlebensfähigkeit der Credit Suisse sprunghaft an. Der Börsenwert der Bank und der Marktwert von besonders risikotragenden Schuldtiteln wie AT1-Anleihen sanken stark und es kam erneut zu schwerwiegenden Liquiditätsabflüssen. Die Bank befand sich in einer akuten Vertrauenskrise, und ihr drohte unmittelbar nach dem Wochenende vom 18. und 19. März 2023 die Zahlungsunfähigkeit.
³6 Medienmitteilungen der FINMA: -
Mosambik-Kredite: FINMA schliesst Verfahren gegen die Credit Suisse ab
, 19. Okt. 2021; -
Credit Suisse «Beschattungsaffäre»: FINMA stellt schwere Aufsichtsrechts
verletzungen fest
, 19. Okt. 2021; -
FINMA schliesst «Greensill»-Verfahren gegen Credit Suisse ab
, 28. Febr. 2023; -
Archegos: FINMA schliesst Verfahren gegen Credit Suisse ab
, 24. Juli 2023.
³7 Credit Suisse Group AG,
Annual Report 2022
, S. 67 und 276 .
³8 Vgl. FINMA,
Bericht der FINMA zu den Lessons Learned aus der CS-Krise
, 19. Dez. 2023, S. 66 f.
³9 Vgl. z. B. die Medienmitteilung der FINMA,
FINMA schliesst
«Greensill»
-Verfahren gegen Credit Suisse ab
, 28. Febr. 2023.
4⁰ Credit Suisse Group AG,
Annual Report 2022
, S. 50 ff.
Massnahmen der Behörden bis zum 15. März 2023
Aufgrund der Häufung von Problemen bei der Credit Suisse intensivierte die FINMA ihre Aufsichts- und Enforcementaktivitäten ab 2012. Die FINMA führte insgesamt 43 Vorabklärungen für mögliche Enforcementverfahren durch, sprach 9 Rügen aus, erstattete 16 Strafanzeigen und schloss 14 Enforcementverfahren (davon 11 gegen das Institut und 3 gegen natürliche Personen) ab. Von diesen 14 Enforcementverfahren fielen 11 in den Zeitraum ab 2018. 4¹
Wie die FINMA in ihrem Bericht vom 19. Dezember 2023 vertieft darlegt, bezogen sich ihre Interventionen auf verschiedene Problemfelder der Credit Suisse. Beispielsweise rügte sie im Bereich der Führungs- und Risikokultur mehrfach eine mangelnde Transparenz gegenüber der Aufsichtsbehörde, ein ungenügendes Problem- und Risikobewusstsein und eine in Teilen der Organisation unangemessene Unternehmenskultur. Beim Vergütungssystem verlangte die FINMA die Behebung diverser Mängel (wie Fehlanreize) und erreichte eine Reduktion der variablen Vergütungen. Beim Risikomanagement und beim internen Kontrollumfeld ordnete sie Massnahmen an, die in Einzelfällen ins operative Geschäft eingriffen, so etwa mittels vorübergehender Geschäftsrestriktionen oder Reduktion der Ausschüttungen an das Aktionariat. In den Bereichen Eigenmittel und Liquidität stellte die FINMA an die Credit Suisse zusätzliche Anforderungen.
Mit Blick auf die sich zuspitzende Vertrauenskrise verlangte die FINMA ab Oktober 2022 gestützt auf die täglich, wenn auch nicht tagesaktuell, von der Credit Suisse vorgelegten Daten weitere stabilisierende Massnahmen. Diese umfassten sowohl Massnahmen der Credit Suisse im Liquiditätsbereich als auch weitergehende Massnahmen hinsichtlich der Kapitalausstattung und der Eruierung und Vorbereitung weiterer strategischer Optionen für den Fall, dass die ergriffenen Massnahmen nicht ausreichen.
Zu diesem Zeitpunkt war auch die SNB in ständigem Kontakt mit der Credit Suisse, um Varianten für die Vergabe von Liquiditätshilfe im Bedarfsfall zu prüfen.
Nebst diesen Tätigkeiten seitens FINMA und SNB wurde ab August 2022 der Austausch zwischen dem EFD, der SNB und der FINMA zur Credit Suisse intensiviert. Die dafür vorgesehene Krisenorganisation 4² besteht aus zwei Gremien, dem Lenkungsgremium (LG) und dem Ausschuss Finanzkrisen (AF). Das LG ist für die strategische Koordination der Krisenorganisation sowie den Entscheid über allfällige Interventionen zuständig. Es setzt sich zusammen aus dem Vorsteher oder der Vorsteherin des EFD (Leitung des Gremiums), dem Präsidenten oder der Präsidentin des Direktoriums der SNB und dem Präsidenten oder der Präsidentin der FINMA. Der AF ist zuständig für die Koordination der Vorbereitungsmassnahmen und für das Krisenmanagement. Er setzt sich zusammen aus dem Direktor oder der Direktorin der FINMA (im Regelfall Leitung des Gremiums), der Staatsekretärin oder dem Staatssekretär des EFD, dem Vizepräsidenten oder der Vizepräsidentin des Direktoriums der SNB und dem Direktor oder der Direktorin der Eidgenössischen Finanzverwaltung.
Ab Herbst 2022 wurde im AF in regelmässigen Treffen die Lage der Credit Suisse eingeschätzt, insb. mit Blick auf die Liquiditätskennzahlen. Zudem wurden mögliche Massnahmen evaluiert und Handlungsoptionen für den Fall einer Verschärfung der Gesamtsituation vorbereitet (vgl. Kap. 5.4). Insgesamt fanden zwischen August 2022 und März 2023 24 formelle Treffen des AF statt, begleitet von einem Vielfachen an Sitzungen auf technischer Ebene. Der AF rapportierte dabei an sein Entscheidgremium, das LG, das in diesem Zeitraum 14-mal tagte.
Angesichts der hohen Liquiditätsabflüsse diskutierte der AF ab Anfang Oktober 2022 die Opportunität eines kurzfristig umsetzbaren PLB und leitete entsprechende Vorbereitungen ein. Ein PLB wurde dabei als voraussichtlich zentrales Instrument identifiziert, unabhängig von der konkreten Umsetzung eines TBTF-Instruments (Sanierung, Konkursliquidation) oder weiterer Szenarien (Verkauf). Am 11. Januar 2023 entschied das LG, dass die SNB Abklärungen für eine Umsetzung von zusätzlichen Liquiditätshilfe-Darlehen (ELA+) 4³ vornimmt und dass das EFD Aspekte zum Einsatz eines PLB ausserhalb einer Sanierung klärt.
Die Möglichkeit einer vorübergehenden auch teilweisen Verstaatlichung ( Temporary Public Ownership , TPO) der Credit Suisse Schweiz - jedoch nicht der gesamten Credit-Suisse-Gruppe - wurde ab Oktober 2022 im AF ebenfalls diskutiert, aber nicht priorisiert. Am 11. Januar 2023 erteilte das LG dem EFD dazu einen Auftrag zur Prüfung. Sowohl ein PLB als auch eine TPO spielten sowohl bei Überlegungen zur Stabilisierung der Bank als auch zur Bewältigung einer akuten Krise, wie sie sich im März 2023 einstellen sollte, eine Rolle.
Am 15. März 2023 veröffentlichten die FINMA und die SNB eine gemeinsame Stellungnahme. 4⁴ Darin bestätigte die FINMA, dass die Eigenmittel- und Liquiditätsanforderungen der Credit Suisse nach wie vor erfüllt seien. Zudem kündigte die SNB öffentlich an, der Credit Suisse bei Bedarf mittels ELA Liquidität zur Verfügung zu stellen. Die Credit Suisse entschied sich praktisch gleichzeitig, den Markt zu informieren, dass sie die Liquiditätshilfe der SNB ab sofort in Anspruch nehmen werde.
Ab dem 15. März 2023 wurde die Möglichkeit einer Übernahme der Credit Suisse durch die UBS mit letzterer vorbereitet. Zuvor war die Option einer privatwirtschaftlichen Übernahmelösung in allgemeiner Form bereits ab Spätherbst 2022 intensiv unter den Behörden und mit der Credit Suisse diskutiert und vorbereitet worden.
4¹ FINMA,
Bericht der FINMA zu den Lessons Learned aus der CS-Krise
, 19. Dez. 2023, S. 6.
4² EFD, FINMA und SNB,
Memorandum of Understanding
zur tripartiten Zusammenarbeit im Bereich Finanzstabilität und Finanzmarktregulierung zwischen dem EFD, der FINMA und der SNB
, 2. Dez. 2019.
4³ Das «Plus» bezeichnet die über die ordentliche ELA hinausgehenden zusätzlichen Liquiditätshilfe-Darlehen der SNB.
4⁴ Medienmitteilung SNB und FINMA ,
FINMA und SNB nehmen Stellung zu Unsicher
heiten am Markt
, 15. März 2023.
Massnahmen der Behörden ab dem 15. März 2023
Nach Antrag der Credit Suisse am Abend des 15. März 2023 stellte die SNB der Credit Suisse am 16. März 2023 Liquidität mittels ELA und Engpassfinanzierungsfazilität (EFF) ⁴5 im Umfang von 48 Milliarden Franken zur Verfügung.
Aufgrund der existenzbedrohenden Liquiditätssituation der Credit Suisse schuf der Bundesrat am 16. März 2023 mittels notrechtlicher Verordnung («Notverordnung») ⁴6 die Grundlage, durch welche die SNB der Credit Suisse und der UBS ⁴7 ELA+ gewähren konnte. Er führte zudem unter Notrecht die rechtlichen Grundlagen für den PLB ein. Nach Ausschöpfung der ELA-Kapazität gewährte die SNB der Credit Suisse am 17. März 2023 zusätzliche Liquiditätshilfe im Umfang von 20 Milliarden Franken auf Basis von ELA+, ohne welche die Credit Suisse am 17. März 2023 zahlungsunfähig geworden wäre. Die Nutzung des PLB war erst ab dem 19. März 2023 nach Zustimmung der Finanzdelegation der eidgenössischen Räte (FinDel) möglich.
ELA und ELA+ schufen gemeinsam die nötige Liquiditätsausstattung bis zum Wochenende vom 18. und 19. März 2023, an dem die Behörden eine nachhaltige stabilisierende Lösung für die Credit Suisse finalisieren konnten. Zu diesem Zeitpunkt war aufgrund aller beurteilbaren Fakten klar, dass die Credit Suisse aus eigener Kraft das Vertrauen nicht mehr herstellen konnte und ihr ohne staatliche Massnahmen unmittelbar nach dem Wochenende vom 18. und 19. März 2023 die Zahlungsunfähigkeit drohte. Vor diesem Hintergrund überprüften die Behörden an diesem Wochenende intensiv alle zur Verfügung stehenden Optionen (vgl. Kap. 5.4). Die strategische Koordination der Massnahmen am Wochenende vom 18. und 19. März 2023 lag in der Verantwortung des LG.
Die Behörden kamen zum Schluss, dass unter den gegebenen Umständen das Szenario mit der Übernahme der Credit Suisse durch die UBS u. a. das Ziel einer möglichst raschen Marktstabilisierung bei möglichst tiefen Kosten für Staat und Steuerzahlende am besten erreichen konnte (vgl. Kap. 5.4.4). Vor diesem Hintergrund beschloss der Bundesrat am 19. März 2023 weitere notrechtliche Massnahmen (siehe weiter unten). Zusammen mit den Beschlüssen vom 16. März 2023 sicherten diese die Zahlungsfähigkeit der Credit Suisse und ermöglichten deren Übernahme durch die UBS. Die Massnahmen erfolgten zum Schutz der Finanzstabilität und der Schweizer Volkswirtschaft sowie der Steuerzahlenden.
Im Nachgang erliess das EFD Verfügungen im Bereich der Vergütungen, und der Bund - vertreten durch die Vorsteherin des EFD - unterzeichnete einen Garantievertrag mit der UBS.
Tabelle 2 enthält eine zusammenfassende Übersicht der wesentlichen Massnahmen und Handlungen der Bundesbehörden. Im Folgenden werden die Massnahmen ausführlicher beschrieben.
Tabelle 2
Übersicht der wesentlichen Massnahmen und Handlungen der Bundesbehörden im Zusammenhang mit der Krise der Credit Suisse
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Massnahme | Entscheide des Bundesrats 2023 | Entscheide der FinDel | Handlungen EFD/FINMA/SNB |
---|---|---|---|
Ausserordentliche Liquiditätshilfe (ELA) und Engpassfinanzierungsfazilität (EFF) | (bestehende Instrumente) | SNB: Bereitstellung von Liquidität in Höhe von CHF 38 Mrd. über ELA und CHF 10 Mrd. im Rahmen der EFF (16. März 2023) | |
Zusätzliche Liquiditätshilfe-Darlehen (ELA+) | Einführung des Instruments per Verordnung (16. März 2023)Festlegung der Höhe auf CHF 100 Mrd. für Credit Suisse und UBS insgesamt (19. März 2023) | SNB: Bereitstellung von Liquidität über ELA+ in Höhe von CHF 20 Mrd. (17. März 2023) und CHF 30 Mrd. (20. März 2023) | |
Liquiditätshilfe-Darlehen der SNB mit Ausfallgarantie des Bundes (PLB) | Einführung des Instruments per Verordnung (16. März 2023)Antrag an FinDel zu einem Verpflichtungskredit über CHF 100 Mrd. (16. März 2023) | Zustimmung zu Verpflichtungskredit von CHF 100 Mrd. (19. März 2023) | EFD: Abschluss eines Garantievertrags im Namen des Bundes zugunsten der SNB über maximal CHF 100 Mrd. (19. März 2023)SNB: Bereitstellung von Liquidität im Rahmen des PLB in Höhe der beantragten CHF 70 Mrd. (20. März 2023)Aufhebung des Vertrags per 11. August 2023 |
Gewährung einer Garantie zur Verlustabsicherung | Einführung des Instruments per Verordnung (19. März 2023)Antrag an FinDel zu einem Verpflichtungskredit über CHF 9 Mrd. (19. März 2023) | Zustimmung zu Verpflichtungskredit von CHF 9 Mrd. (19. März 2023) | EFD: Abschluss eines Garantievertrags mit der UBS im Namen des Bundes über CHF 9 Mrd. (9. Juni 2023)Aufhebung des Vertrags per 11. August 2023 |
Abweichungen vom Fusionsgesetz | Einführung spezifischer Abweichungen per Verordnung (19. März 2023) | ||
Genehmigung des Zusammenschlusses | (bestehende Regel) | FINMA: Bewilligung des Zusammenschlusses anstelle der WEKO | |
Abschreibung AT1-Instrumente | Bestätigung im Rahmen der Verordnung (19. März 2023) der bestehenden Möglichkeit zur Abschreibung der AT1-Instrumente gestützt auf bestehendes Recht und die vertraglichen Klauseln | FINMA: Verfügungen an Credit Suisse zur rechtzeitigen Abschreibung der AT1-Instrumente (die Abschreibung selbst erfolgte demgegenüber durch die Credit Suisse) | |
Verfügung des EFD im Bereich der Vergütungen | Art. 10 a BankG: Bundesrat ordnet Massnahmen im Bereich der Vergütungen an (bestehendes Recht)Präzisierung per Verordnung, dass EFD eine Verfügung erlässt (16. März 2023) | EFD: Verfügung an Credit Suisse: vorläufige Sistierung variabler Lohnbestandteile (21. März 2023)EFD: Verfügung an Credit Suisse zur Streichung bzw. Kürzung variabler Lohnbestandteile (23. Mai 2023)EFD: Verfügung an UBS zur Anreizsetzung für die Verwertung der Aktiven der Credit Suisse (23. Mai 2023) | |
Risikoreduktion bei Ausfallgarantie | Anforderung an SNB und FINMA für Risikoreduktion per Verordnung (16. März 2023) | ||
Zugang nach dem Öffentlichkeitsgesetz vom 17. Dezember 2004 ⁴8 (BGÖ) | Ausschluss per Verordnung (16. März 2023) des Zugangs nach dem BGÖ zu Informationen und Daten |
Der Bundesrat hat mittels der Notverordnung folgende Instrumente zur Stärkung der Liquiditätsausstattung geschaffen:
-
Zusätzliche Liquiditätshilfe-Darlehen mit Konkursprivileg (ELA+, eingeführt am 16. März 2023): Der SNB wurde ermöglicht, einer Bank, die systemrelevant oder Teil einer systemrelevanten Finanzgruppe ist, Darlehen zusätzlich zur schon bestehenden Möglichkeit von ELA zu gewähren. Diese zusätzlichen Liquiditätshilfe-Darlehen in Form von ELA+ waren über ein Konkursprivileg zugunsten der SNB gesichert. Die Höhe der maximal auszahlbaren zusätzlichen Liquiditätshilfe-Darlehen wurde vom Bundesrat festgelegt, dazu konsultierte er vorgängig die SNB. Im vorliegenden Fall legte er die Höhe für UBS und Credit Suisse gemeinsam auf insgesamt 100 Milliarden Franken fest. Die Credit Suisse bezog am 17. März 2023 ELA+ in Höhe von 20 Milliarden Franken und am 20. März 2023 weitere 30 Milliarden Franken. Die UBS informierte am 11. August 2023 über die erfolgte vollständige Rückzahlung der von der Credit Suisse über ELA+ gezogenen Darlehen. ⁴9
-
Liquiditätshilfe-Darlehen der SNB mit Ausfallgarantie des Bundes (PLB, eingeführt am 16. und 19. März 2023): Mit den PLB-Darlehen wurde der Credit Suisse über Liquiditätshilfe-Darlehen mit Ausfallgarantie des Bundes zusätzliche Liquidität durch die SNB bereitgestellt. Diese Darlehen waren mit einem Konkursprivileg ausgestattet. Der Bundesrat beschloss am 16. März 2023, bei der FinDel einen dringlichen Verpflichtungskredit von 100 Milliarden Franken für die Errichtung der Ausfallgarantie zugunsten der SNB zu beantragen. Die FinDel hiess den entsprechenden Antrag am 19. März 2023 gut. Im Anschluss gewährte die SNB der Credit Suisse im Rahmen des PLB am 20. März 2023 Liquidität in Höhe von 70 Milliarden Franken. Die Credit Suisse zahlte per Ende Mai 2023 die PLB-Darlehen vollständig zurück. Die Rahmenkreditvereinbarung zwischen der SNB und der Credit Suisse wurde per 11. August 2023 aufgelöst. 5⁰
Von diesen neu geschaffenen Instrumenten abzugrenzen ist die bereits seit längerem etablierte EFF der SNB sowie die ELA. Mittels ELA kann die SNB bei Bedarf allen SIBs gegen Sicherheiten (Hypotheken und Wertschriften) Liquidität zur Verfügung stellen. Am 16. März 2023 hatte die Credit Suisse von der SNB über die EFF und ELA Liquiditätshilfe im Umfang von 48 Milliarden Franken erhalten. Diese Liquiditätshilfe war nicht Teil der notrechtlichen Massnahmen des Bundesrats, sondern gehört zum bestehenden Instrumentarium der SNB, bildete aber gleichermassen Teil des Gesamtpakets. Zusammen schufen die drei Liquiditäts-Instrumente (ELA, ELA+ und PLB) ausreichend Mittel, um die Zahlungsfähigkeit der Credit Suisse während der Übernahme der UBS zu gewährleisten und die Fortführung der systemrelevanten Funktionen erfolgreich sicherzustellen.
Im Zusammenhang mit der Übernahme der Credit Suisse durch die UBS wurden weitere Massnahmen ergriffen:
-
Gewährung einer Garantie zur Verlustabsicherung (eingeführt am 19. März 2023): Mit der Übernahme erwarb die UBS auch ein Portfolio an Aktiven der Credit Suisse, das nicht zum Kerngeschäft der UBS passte und sich nicht in das Geschäfts- und Risikoprofil der UBS einfügen liess. Die in diesem Portfolio enthaltenen Werte sollen über die Zeit abgewickelt werden. Deren Risiken konnten innerhalb von vier Tagen im März 2023 nicht ausreichend beurteilt werden. Im Rahmen der Übernahme erklärte sich der Bund bereit, einen Teil allfälliger Verluste aus der Verwertung dieser Aktiven mitzutragen. Grundlage dafür war Artikel 14 a der Notverordnung. Bei allfälligen realisierten Verlusten aus der Abwicklung dieser Aktiven hätte die UBS die ersten 5 Milliarden Franken übernehmen müssen. Der Bund hätte bei Überschreitung dieses Betrags weitere Verluste von maximal 9 Milliarden Franken übernommen. Das EFD und die UBS unterzeichneten am 9. Juni 2023 den Garantievertrag, der die Eckwerte für die allfällige Inanspruchnahme der Garantie detailliert festhielt. 5¹ Der Vertrag wurde am 11. August 2023 beendet. 5²
-
Abweichungen vom Fusionsgesetz: Die Notverordnung sah in Artikel 10 a einzelne Ausnahmen vom Fusionsgesetz vom 3. Oktober 2003 5³ (FusG) vor. Insbesondere bedurfte es aufgrund dieser Ausnahmen bei der Übernahme der Credit Suisse durch die UBS mittels Fusion keiner Beschlüsse der Generalversammlungen der beiden beteiligten Finanzgruppen. Das Abwarten der Generalversammlungen der beiden Gesellschaften hätte das Ziel der sofortigen Stabilisierung vereitelt. Die sofortige Stabilisierung war nötig und im Interesse des Landes, um einen grossen volkswirtschaftlichen Schaden abzuwenden - nicht nur für den Finanzplatz, sondern auch für den Werkplatz.
-
Genehmigung des Zusammenschlusses: Die FINMA bewilligte gestützt auf die bestehenden gesetzlichen Regelungen in Artikel 10 Absatz 3 i. V. m. Artikel 32 Absatz 2 des Kartellgesetzes vom 6. Oktober 1995 5⁴ (KG) anstelle der Wettbewerbskommission den vorläufigen Vollzug des Zusammenschlusses.
-
Abschreibung von AT1-Instrumenten: Die von der Credit Suisse ausgegebenen AT1-Instrumente sahen vertraglich vor, dass sie im Fall eines Trigger-Ereignisses, insbesondere bei der Gewährung ausserordentlicher staatlicher Unterstützung, vollständig abgeschrieben werden. Gestützt auf diese vertragliche Grundlage, geltendes Recht sowie die Notverordnung des Bundesrats vom 16. März 2023 wies die FINMA die Credit Suisse an, die AT1-Anleihen abzuschreiben. Die Credit Suisse nahm im Anschluss die Abschreibung in Übereinstimmung mit den vertraglichen Grundlagen vor. Damit beteiligten sich private Investoren mit einem Nominalwert von ca. 16 Milliarden Franken an den Risiken der Übernahme, wobei der Marktwert dieser Anleihen kurz vor der Abschreibung nur noch knapp einen Drittel des Nominalwerts betrug. Dieser Beitrag war nicht nur eine Auswirkung der vertraglichen Bestimmungen, sondern auch materiell unerlässlich zur Stabilisierung der Credit Suisse und um die nationale und internationale Finanzstabilität zu gewährleisten und Schaden von der Schweizer Volkswirtschaft abzuwenden.
-
Massnahmen im Bereich der Vergütungen: Der Bundesrat stellte am 16. März 2023 in der Notverordnung klar, dass das EFD für Massnahmen nach Artikel 10 a BankG im Bereich der Vergütungen zuständig ist. Das EFD sistierte am 21. März 2023 per Verfügung an die Credit Suisse vorläufig gewisse variable Vergütungen der Credit Suisse an ihre Mitarbeitenden. 5⁵ Am 23. Mai 2023 erliess das EFD eine definitive Verfügung an die Credit Suisse und wies sie an, alle ausstehenden variablen Vergütungen der drei obersten Führungsebenen der Credit Suisse zu streichen bzw. um 50 oder 25 Prozent zu kürzen. ⁵6 Zudem verpflichtete es gleichentags die UBS, das Vergütungssystem für Mitarbeitende, die für die Verwertung der von der Bundesgarantie betroffenen Aktiven zuständig sind, so zu gestalten, dass dieses einen Anreiz bietet, die Verwertung möglichst verlustarm umzusetzen.
-
Risikoreduktion durch SNB und FINMA: Die FINMA und die SNB hatten gemäss Artikel 7 der Notverordnung soweit möglich dafür zu sorgen, dass die Risiken des Bundes aus einer Ausfallgarantie für Liquiditätshilfe-Darlehen reduziert werden.
-
Zugang zu Daten und Informationen nach dem BGÖ: Der Bundesrat hatte in Artikel 6 Absatz 3 der Notverordnung den Zugang zu Daten und Informationen nach dem BGÖ ausgeschlossen, um das Risiko einzudämmen, dass der Informationsfluss zwischen den Beteiligten beeinträchtigt worden wäre. Mit der Verordnungsrevision vom 15. September 2023 hat der Bundesrat den BGÖ-Ausschluss ersatzlos gestrichen.
⁴5 Für eine detaillierte Begriffserklärung vgl. Kap. 9.1.2.
⁴6 Verordnung vom 16. März 2023 über zusätzliche Liquiditätshilfe-Darlehen und die Gewährung von Ausfallgarantien des Bundes für Liquiditätshilfe-Darlehen der Schweizerischen Nationalbank an systemrelevante Banken,
SR
952.3
.
⁴7 Selbst wenn die Übernahme der Credit Suisse durch die UBS nicht stattgefunden hätte, sollte die UBS angesichts der zu erwartenden Marktreaktionen ebenfalls auf diese Liquidität zurückgreifen können. Sie wurde von der UBS jedoch nie beansprucht.
⁴8
SR
152.3
⁴9 Medienmitteilung der UBS,
UBS Group AG hat den Garantievertrag und
Public
Liquidity
Backstop
freiwillig beendet; Credit Suisse AG hat ELA+ Darlehen vollständig zurückbezahlt
, 11. Aug. 2023.
5⁰ Medienmitteilung des EFD,
CS/UBS: Sämtliche Garantien des Bundes beendet
,
11. Aug. 2023.
5¹ Medienmitteilung des Bundesrats,
Bund und UBS unterzeichnen Vertrag zu Verlustgarantie
, 9. Juni 2023.
5² Medienmitteilung des EFD,
CS/UBS: Sämtliche Garantien des Bundes beendet
, 11. Aug. 2023.
5³
SR
221.301
5⁴
SR
251
5⁵ Medienmitteilung des EFD,
Bundesrat trifft Entscheide zu variablen Vergütungen bei der Credit Suisse
, 21. März 2023.
⁵6 Medienmitteilung des EFD,
EFD verfügt Massnahmen bei CS und UBS im Vergütungs
bereich
, 23. Mai 2023.
Nicht gewählte Handlungsoptionen am 19. März 2023
Ab Spätsommer 2022 und insbesondere ab Oktober 2022 wurde der behördliche Austausch im Rahmen des AF und im LG intensiviert (vgl. Kap. 5.2). Dabei wurden verschiedene Handlungsoptionen vorbereitet, die nachfolgend festgehalten werden.
Zu beachten ist, dass bei all diesen Optionen auf Notrecht basierende Liquiditätshilfen durch die SNB und den Bund hätten bereitgestellt werden müssen, analog zu den effektiv getroffenen Liquiditätsmassnahmen (vgl. Kap. 5.3).
Einleitung eines Sanierungsverfahrens
Die Option einer Sanierung ist ein zentrales Element der TBTF-Regulierung (vgl. Kap. 13.1). So kann die FINMA, wenn die Voraussetzungen gemäss Artikel 25 Absatz 1 BankG erfüllt sind, ein Sanierungsverfahren einleiten. Bedingung ist gemäss Artikel 28 Absatz 1 BankG, dass begründete Aussicht auf eine erfolgreiche Sanierung der Bank oder auf die Weiterführung einzelner Bankdienstleistungen besteht.
Eine Sanierung sieht Restrukturierungsmassnahmen vor, die eine Neuausrichtung der Bank beinhalten und in der Folge von der Bank umzusetzen sind. Typischerweise sehen die Restrukturierungsmassnahmen eine Redimensionierung der Grösse und der Breite der Geschäftstätigkeit vor, die glaubhaft eine langfristig sinnvolle Neuausrichtung der Bank darstellen sollen.
Um diese Restrukturierungsmassnahmen innert kurzer Zeit umsetzen zu können, sind Eigenmittelmassnahmen nötig. Bei diesen sind das Aktienkapital und die AT1-Instrumente auf null abzuschreiben. Sodann sind die Bail-in-Bonds ganz oder teilweise in Aktien umzuwandeln, womit die entsprechenden Gläubigerinnen und Gläubiger neu 100 Prozent der Bank besitzen. Die Governance-Massnahmen sehen den Ersatz des Verwaltungsratspräsidenten oder der -präsidentin durch eine Person, die das Vertrauen in eine nachhaltige Sanierung stärkt, vor. Ausserdem ist für eine vertrauenswürdige und handlungsfähige Geschäftsleitung zu sorgen sowie für den Einsatz eines oder einer Sanierungsbeauftragten und die Suspendierung der Aktionärsrechte während einer gewissen Zeit. ⁵7
In der spezifischen Situation von Mitte März 2023 sahen die Behörden ein Sanierungsverfahren der Credit Suisse im Vergleich zur Alternative einer Übernahme durch die UBS mit erheblichen Nachteilen verbunden. So wurden die Erfolgsaussichten im Vergleich zur umgesetzten Lösung als deutlich ungewisser eingeschätzt. Der massive Vertrauensverlust in Bezug auf die Credit Suisse vor dem Wochenende vom 18. und 19. März 2023 war derart umfassend, dass als höchst fraglich beurteilt wurde, ob eine erneute Kapitalerhöhung und der Einsatz eines Sanierungsbeauftragten und eines neuen Verwaltungsratspräsidenten genügten, um das notwendige Vertrauen wieder herzustellen.
Insbesondere war unklar, ob die im Sanierungsplan vorgesehene Neuausrichtung der Bank die Märkte und die Kundinnen und Kunden der Bank am Montagmorgen hätte überzeugen können, nachdem das Vertrauen in die Bank zuvor über Monate, wenn nicht Jahre, geschädigt worden war und sämtliche angekündigten Massnahmen keine genügende Wirkung entfaltet hatten. Die für die Sanierung vorgesehene Neuausrichtung hätte im Grunde eine konsequente Umsetzung der bereits seit Sommer 2022 angekündigten Strategie dargestellt, deren Ankündigung und lancierte Umsetzung in den vorangegangenen Monaten offensichtlich nicht die erwünschte Trendumkehr erwirken konnten. Zudem wäre die Bank im konkreten Fall am Montagmorgen auf Stufe der Geschäftsleitung unverändert aufgestellt gewesen. Die Gefahr einer sofortigen adversen Marktreaktion und der rasch nötigen Einleitung einer Liquidation wurden als relevant eingestuft. Bei einer Übernahme durch die UBS, die eine solche Neuausrichtung bereits erfolgreich bewältigt hatte, wurde die erwünschte vertrauensbildende Wirkung hingegen als deutlich wahrscheinlicher beurteilt.
Bei der Umsetzung einer Sanierung der Credit Suisse, und insbesondere des damit verbundenen Bail-in, hätten zudem Rechts- und Umsetzungsrisiken bestanden, insbesondere auf internationaler Ebene. ⁵8 Auch in diesem Fall wären auf Notrecht gestützte und umfangreiche staatliche Massnahmen (namentlich PLB oder TPO) notwendig gewesen (vgl. Kap. 5.4.3).
Insgesamt war eine Sanierung einer G-SIB im März 2023 - einem Zeitpunkt grosser Unsicherheit auf den Finanzmärkten - mit grossen Risiken verbunden. Hätte sich die Sanierung als nicht erfolgreich erwiesen, wäre über die Gruppe der Konkurs eröffnet worden, bei gleichzeitiger Auslösung des Notfallplans.
⁵7 Die FINMA beschreibt den von ihr am 19. März 2023 finalisierten Sanierungsplan in ihrem
Bericht der FINMA zu den Lessons Learned aus der CS-Krise
vom 19. Dez. 2023 , S. 75 ff.
⁵8 Vgl. Kap. 13.1.4 sowie FINMA,
Bericht der FINMA zu den Lessons Learned aus der CS
-Krise
,
19. Dez. 2023, S. 76 f.
Konkursliquidation der Finanzgruppe und Aktivierung des Schweizer Notfallplans
Die TBTF-Regulierung sieht vor, dass bei drohender Insolvenz einer SIB eine Konkursliquidation eröffnet werden kann (Art. 25 Abs. 1 Bst. c BankG). Dabei wäre über jede einzelne rechtliche Einheit der Finanzgruppe der Konkurs verhängt worden, mit Ausnahme der Credit Suisse Schweiz AG, in der die systemrelevanten Funktionen angesiedelt sind. Die Schweizer Einheit wäre nach Aktivierung des Notfallplans (vgl. Art. 9 Abs. 2 Bst. d BankG) zumindest für eine begrenzte Zeit - z. B. bis ein Käufer gefunden worden wäre - weiterzuführen gewesen.
Der mit Auslösung des Notfallplans einhergehende Konkurs der Gruppe hätte voraussichtlich zu einer massiven Destabilisierung der Märkte geführt. Es wäre zudem höchst unsicher gewesen, ob die abgetrennte Schweizer Bank in dieser Situation das Vertrauen der Märkte hätte zurückgewinnen können und überlebensfähig gewesen wäre. Entsprechend ist diese Option subsidiär zu einer Sanierung der Gruppe zu betrachten - sie kommt nur zum Tragen, wenn eine Sanierung der Gruppe keine Aussicht auf Erfolg hat oder bereits gescheitert ist (Ultima Ratio). Für eine detailliertere Analyse dieser Option siehe Kap. 13.1.7.
Vorübergehende Verstaatlichung der Credit Suisse
Das EFD hatte auch eine vorübergehende Verstaatlichung ( Temporary Public Ownership , TPO) der gesamten Credit-Suisse-Gruppe ⁵9 als Alternative geprüft. Eine solche ist im Schweizer TBTF-Dispositiv nicht vorgesehen.
Bei einer Verstaatlichung hätte der Bundesrat mit Notrecht beschlossen, dass die Eidgenossenschaft zur Alleinaktionärin der Credit Suisse wird. Dies wäre ein deutlich weitergehender staatlicher Eingriff gewesen als die Unterstützung der Übernahme der Credit Suisse durch die UBS. Der Bund hätte dabei die Verantwortung für die Führung und für sämtliche Risiken der Grossbank mit ihren weltweiten Tätigkeiten übernommen.
Diese Option stand in den vorbereiteten Arbeiten aus ordnungspolitischen Gründen sowie aus Risikoüberlegungen angesichts der möglichen gravierenden Folgen für die Steuerzahlenden nicht im Vordergrund. Angesichts der kritischen Lage rund um das Wochenende vom 18. und 19. März 2023 wurde aber auch diese Lösung als Option geprüft. Für eine detailliertere Analyse dieser Option siehe Kap. 13.1.10.
⁵9 Ab Herbst 2022 wurde im LG auch eine staatliche Kapitalbeteiligung bei der Credit Suisse diskutiert, jedoch verworfen.
Fazit
Am Wochenende vom 18. und 19. März 2023 standen drei Optionen im Zentrum zur Lösung der akuten Probleme der Credit Suisse: eine Übernahme durch die UBS, die in der TBTF-Regulierung vorgesehenen Szenarien der Sanierung bzw. der Konkursliquidation mit Aktivierung des Notfallplans sowie eine allfällige Übernahme durch den Staat. Ohne behördliche Massnahmen hätte der Credit Suisse bei Börseneröffnung am Montag, 20. März 2023, die Zahlungsunfähigkeit gedroht.
In sorgfältiger Abwägung der Vor- und Nachteile sowie der Chancen und Risiken kamen der Bundesrat und die beteiligten Behörden zum Schluss, dass unter den gegebenen Umständen die behördlich unterstützte Übernahme der Credit Suisse durch die UBS die Ziele, v. a. die möglichst rasche Marktstabilisierung, und damit auch die Eindämmung der volkswirtschaftlichen Kosten und Folgen für die Steuerzahlenden am besten erreichen konnte.
Definition und Bedeutung von Systemrelevanz
In der Schweiz werden die Systemrelevanz und die Kriterien zur Bezeichnung von SIBs in den Artikeln 7 und 8 BankG festgehalten. SIBs werden gemäss Artikel 7 Absatz 1 BankG als Banken definiert, deren Ausfall die Schweizer Volkswirtschaft und das schweizerische Finanzsystem erheblich schädigen würde. Gemäss Artikel 8 Absatz 2 BankG beurteilt sich die Systemrelevanz einer Bank nach deren Grösse, deren Vernetzung mit dem Finanzsystem und der Volkswirtschaft sowie der kurzfristigen Substituierbarkeit der von der Bank erbrachten Dienstleistungen.
Die heutige im Gesetz verankerte Definition von Systemrelevanz entspricht dem internationalen Standard gemäss BCBS. 6⁰ Auch liegen keine neuen Erkenntnisse vor, die die in der Schweiz verwendete Definition grundlegend in Frage stellen würden. 6¹ Die Definition von Systemrelevanz ist daher aus Sicht des Bundesrates weiterhin zweckmässig.
Die US-Bankenkrise von März bis Mai 2023 hat allerdings aufgezeigt, dass auch der Ausfall von nicht systemrelevanten Banken Finanzstabilitätsbedenken auslösen kann. Dies wirft die Frage auf, wie die Systemrelevanz von Banken vor diesem Hintergrund einzuordnen ist.
Die US-Behörden haben im Rahmen der Bankenkrise 2023 keine nicht systemrelevante Bank als systemrelevant bezeichnet. Stattdessen wurde eine nationale Ausnahmeregelung für systemische Risiken beansprucht mit dem Ziel, das Risiko eines möglichen Flächenbrandes einzudämmen, der durch Ansteckungseffekte hätte ausgelöst werden können. 6²
Scheitern mehrere nicht systemrelevante Banken auf einmal bzw. in enger Folge aufeinander, kann das Ausmass der sich verstärkenden Krise die Finanzstabilität gefährden, obwohl jede einzelne Bank für sich nicht als SIB bezeichnet ist. Man kann also unterscheiden zwischen der vorgängig definierten Systemrelevanz einer SIB und einer Gefährdung der Finanzstabilität in einem spezifischen Krisenfall durch nicht systemrelevante Banken.
Der Ausfall einer Bank wird erst dann volkswirtschaftlich untragbar, wenn das Institut eine bestimmte Grösse und Vernetzung mit dem Finanzsystem sowie der Volkswirtschaft überschreitet und gleichzeitig die kurzfristige Substituierbarkeit der von der Bank erbrachten Dienstleistungen nicht gegeben ist. Da nicht systemrelevante Banken diese Bedingungen per Definition nicht erfüllen, sollen sie - wie andere Unternehmen auch - im Extremfall Konkurs gehen, ohne dass daraus eine Gefahr für die Volkswirtschaft entsteht.
Mit der Bezeichnung als SIB gehen im Rahmen des TBTF-Dispositivs bedeutende zusätzliche Anforderungen, z. B. in Bezug auf Eigenmittel, Liquidität und Notfallplanung, einher (vgl. Art. 9 BankG). Ausserdem hat die Krise der Credit Suisse verdeutlicht, dass den Behörden im Fall von SIBs bestimmte zusätzliche Instrumente (wie z. B. der PLB) zur Verfügung stehen müssen. Eine Ausdehnung sämtlicher für SIBs geltenden zusätzlichen regulatorischen Anforderungen auf weitere Banken liefe dem Grundgedanken der Proportionalität bei der Regulierung zuwider.
Auch die Frage, ob gewisse TBTF-Instrumente wie der PLB auf nicht systemrelevante Banken ausgedehnt werden sollten, ist zu verneinen 6³ : Die Gefährdung der Finanzstabilität in einem spezifischen Krisenfall durch mehrere nicht systemrelevante Banken kann demnach nur im Einzelfall beurteilt und nicht durch eine Ausweitung des TBTF-Dispositivs zielführend gelöst werden. Das TBTF-Instrumentarium, wie z. B. der PLB, wurde in dieser Form für SIBs geschaffen, mit entsprechenden regulatorischen Anforderungen, und nicht für den Krisenfall von nicht systemrelevanten Banken konzipiert.
Mit der Einlagensicherung besteht zudem ein Instrument, um die Auswirkungen eines Konkurses auf die Einleger insbesondere von nicht systemrelevanten Banken zu begrenzen.
Neben der nationalen und internationalen Finanzstabilität können in einem spezifischen Krisenfall auch regionale wirtschaftliche Risiken auftreten. In diesem Zusammenhang sind insbesondere die Kantonalbanken zu erwähnen, die im jeweiligen Kanton teilweise über einen substanziellen Marktanteil verfügen. Bei 14 von 24 Kantonalbanken überstieg im Jahr 2021 die jeweilige Bilanzsumme das jährliche BIP des Trägerkantons. Die Kantone tragen hier je nach Marksituation und Ausgestaltung der kantonalen Staatsgarantie substanzielle Risiken.
Im FSB werden die Arbeiten zu Themen, die mit der Systemrelevanz zusammenhängen, weiter fortgeführt. Die Schweiz wird sich aktiv in die Diskussion einbringen.
6⁰ Die aktuellste Ausgabe findet sich unter BCBS (2023):
SCO40 - Global Systemically Important Banks
, Version effective as of 9 Nov. 2021.
6¹ Vgl. auch Kurzgutachten Brunetti, Kap. 1.
6² Kurzgutachten Brunetti, S. 12.
6³ Bezüglich des von einem PLB abzudeckenden Bankenkreises vgl. Kap. 10.3.2.
Eigenmittelanforderungen
Einleitung
Die Eigenmittelanforderungen definieren, wie viel Eigenmittel Banken mindestens halten müssen, um Verlustrisiken aus ihrer Geschäftstätigkeit angemessen zu unterlegen. Die Eigenmittelanforderungen sollen sicherstellen, dass eine Bank auch bei substanziellen Verlusten nicht insolvent wird. Für SIBs gelten im Vergleich zu den übrigen Banken seit 2012 erhöhte Anforderungen. Diese teilen sich auf in Going-Concern-Mittel zur Abfederung von Verlusten im laufenden Betrieb und in zusätzliche verlustabsorbierende Mittel (Gone-Concern-Mittel) für den Abwicklungsfall.
Die Eigenmittelanforderungen gibt es in zwei Ausprägungen: einerseits risikoorientiert, als Anforderung in Prozent der risikogewichteten Aktiven, und andererseits als ungewichtete Höchstverschuldungsquote ( Leverage Ratio , LR). Zudem werden die Anforderungen in Mindesteigenmittel und zusätzlich zu erfüllende Eigenmittelpuffer aufgeteilt.
Die Bank muss bei Unterschreitung der Eigenmittelpuffer aufzeigen, mit welchen Massnahmen und innert welcher Frist diese Puffer wieder aufgebaut werden.
Die Anforderungen an die SIBs beinhalten zudem - sowohl für die risikogewichtete Anforderung als auch für die LR - progressive Zuschläge für die Grösse und den Marktanteil einer SIB.
Die Anforderungen müssen von den Instituten durch anrechenbare Eigenmittel in unterschiedlicher Qualität erfüllt werden. Von höchster Qualität ist das harte Kernkapital (CET1), das u. a. das einbezahlte Gesellschaftskapital umfasst. Das zusätzliche Kernkapital (AT1) stellt bilanztechnisch zwar Fremdkapital dar, wird aus regulatorischer Sicht jedoch als Eigenkapital angerechnet, das ebenfalls Verluste im Going Concern trägt. Zusätzlich müssen die SIBs verlustabsorbierende Mittel für den Abwicklungsfall halten (Gone-Concern-Mittel, etwa in Form von Bail-in Bonds). Die Total Loss Absorbing Capacity (TLAC) bezeichnet die gesamte Verlusttragfähigkeit und entspricht der Summe der Going- und Gone-Concern-Mittel. Sie umfasst sämtliches Eigen- und Fremdkapital, das im Fall einer Sanierung oder Konkursliquidation einer SIB zur Verlusttragung und Rekapitalisierung beigezogen werden kann.
Ausgangslage
Die ersten schweizerischen Eigenmittelanforderungen speziell für SIBs wurden am 1. März 2012 auf Stufe des Bankengesetzes und am 1. Juni 2012 auf Stufe der Eigenmittelverordnung (ERV) 6⁴ erlassen. Seither erfolgten drei wesentliche Revisionen:
1)
Mit Inkrafttreten auf den 1. Juli 2016 wurden insbesondere die LR-Anforderung verschärft und eine formell separate Anforderung an zusätzliche verlustabsorbierende Mittel für SIBs eingeführt.
2)
Bei der Revision per 1. Januar 2019 erfolgten für alle Banken auf Stufe Einzelinstitut der Wechsel vom Abzug von zu konsolidierenden Beteiligungen vom regulatorischen Kapital hin zu einer Risikogewichtung von Beteiligungen 6⁵ und die Festlegung der quantitativen Anforderungen an zusätzliche verlustabsorbierende Mittel für nicht international tätige SIBs.
3)
Schliesslich wurde auf den 1. Januar 2023 in der BankV hinsichtlich der quantitativen Anforderungen an zusätzliche verlustabsorbierende Mittel für international tätige SIBs ein Systemwechsel vollzogen. Vorher konnte die FINMA die Anforderungen an die zusätzlichen verlustabsorbierenden Mittel reduzieren, wenn die SIBs nachweisen konnten, dass Massnahmen ihre Sanier- und Liquidierbarkeit mit hoher Wahrscheinlichkeit verbessern (Rabattsystem). Neu wurde der FINMA stattdessen die Möglichkeit eingeräumt, bei Hindernissen für die Sanier- und Liquidierbarkeit einen Zuschlag auf die Anforderung an die zusätzlichen verlustabsorbierenden Mittel zu erheben.
TBTF-Eigenmittelanforderungen gültig von 2012-2016
Die ERV vom 1. Juni 2012 führte in den Artikeln 124-135 erstmals besondere Bestimmungen für SIBs ein. Die risikogewichteten Anforderungen, die in Prozent der risikogewichteten Aktiven ( Risk-Weighted Assets , RWA) ausgedrückt werden, unterteilten sich in eine Basisanforderung, einen Eigenmittelpuffer und eine progressive Komponente.
Ergänzt wurden diese Anforderungen durch Anforderungen bezüglich dem für alle Banken geltenden sogenannten antizyklischen Puffer (AZP). Zu jenem Zeitpunkt neu und vorerst nur für SIBs wurde zusätzlich eine ungewichtete LR-Anforderung eingeführt. 6⁶
In quantitativer und qualitativer Hinsicht bestanden die risikogewichteten Anforderungen aus der Summe von:
-
Basisanforderung: 4,5 Prozent der RWA, zu halten in Form harten Kernkapitals ⁶7 ;
-
Eigenmittelpuffer: 8,5 Prozent der RWA, mindestens 5,5 Prozent zu halten in Form harten Kernkapitals und höchstens 3 Prozent in Form von Wandlungskapital ⁶8 , dessen vertraglich definiertes, auslösendes Ereignis (sog. Trigger) eintritt, wenn das harte Kernkapital 7 Prozent der risikogewichteten Positionen unterschreitet; und
-
progressive Komponente: variable Anforderung von mindestens 1 Prozent der RWA, zu halten in Form von Wandlungskapital mit einem auslösenden Trigger von 5 Prozent.
Die progressive Komponente bestand aus zwei separaten Zuschlägen für den Anteil ⁶9 am Schweizer Markt und für die Gesamtgrösse der Finanzgruppe abzüglich einer durch die FINMA festzulegenden Erleichterung für Massnahmen zur Verbesserung der globalen Sanier- und Liquidierbarkeit der Finanzgruppe. Die Höhe der progressiven Komponente betrug mindestens 1 Prozent der RWA.
Somit betrugen die risikogewichteten Anforderungen (4,5 + 8,5 + 1) mindestens 14 Prozent der RWA, zuzüglich der Anforderungen bezüglich dem AZP. 7⁰ Die LR-Anforderung betrug mindestens 3,36 Prozent des Gesamtengagements. 7¹
Es stellte sich bald heraus, dass die früh eingeführte TBTF-Regulierung der Schweiz in zwei Punkten vom internationalen Standard des BCBS abwich:
-
Wandlungskapital musste international die Qualität von AT1 aufweisen, während die ERV ursprünglich auch Tier 2 7² gestattete; und
-
der tiefste mögliche Trigger für Wandlungskapital wurde international bei 5,125 Prozent CET1 festgelegt, während Wandlungskapital mit tiefem Trigger in der Schweiz einen Satz von mindestens 5 Prozent CET1 voraussetzte.
6⁶ Die Einführung einer ungewichteten LR-Anforderung auch für nicht systemrelevante Banken erfolgte auf den 1. Jan. 2018.
⁶7 Die Anforderung bezüglich dem AZP ist ebenfalls mit hartem Kernkapital zu erfüllen.
⁶8 Wandlungskapital konnte in jener ersten schweizerischen TBTF-Regulierung sowohl das Ergänzungskapital (Tier 2) als auch das zusätzliche Kernkapital (Additional Tier 1, AT1) darstellen (Art. 127 Abs. 3 ERV «mindestens die Voraussetzungen von Ergänzungskapital erfüllt»).
⁶9 Gemessen am höheren Anteil von entweder Spareinlagen oder unterjährigen Krediten.
7⁰ Unter der Annahme, dass die progressive Komponente dem Mindesterfordernis von 1 Prozent RWA entspricht.
7¹ Damals wurde die LR-Anforderung als 24 Prozent der Prozentsätze der risikogewichteten Anforderungen (ohne AZP) ausgedrückt. Daraus resultiert eine Anforderung von mindestens 3, 36 Prozent des Gesamtengagements (24 % x 14 %). Das Gesamtengagement für die Berechnung der Leverage Ratio setzt sich aus Bilanzpositionen, Derivaten, Wertpapierfinanzierungsgeschäften und Ausserbilanzpositionen zusammen.
7² AT1 ist ein ewiges Schuldinstrument mit einzig der Kündigungsoption der Bank (d.h. der Anlegerin oder dem Anleger kommt analog zu hartem Kernkapital kein Recht auf Rückzahlung zu). Dagegen weist Tier 2 eine beschränkte Laufzeit auf, die allenfalls ebenfalls noch durch eine Option der Bank verkürzt werden kann.
TBTF-Anforderungen ab 1. Juli 2016
Die Revision der Bestimmungen ab Mitte Jahr 2016 umfasste eine Reihe von Änderungen. Konzeptionell wurde neu unterschieden zwischen zwei Anforderungen:
-
Anforderungen an Eigenmittel zur ordentlichen Weiterführung der Bank (international als Going-Concern-Anforderungen bezeichnet); und
-
Anforderungen an zusätzliche verlustabsorbierende Mittel (Gone-Concern-Anforderungen).
Bezüglich der Anforderungen an Eigenmittel zur ordentlichen Weiterführung der Bank wurde:
-
die LR-Anforderung auf 4,5 Prozent festgelegt;
-
die erforderliche Kapitalqualität auf hartes Kernkapital und AT1-Instrumente mit Trigger von mindestens 7 Prozent CET1 erhöht (Tier 2 somit gestrichen);
-
die Summe der risikogewichteten Anforderungen bezüglich der Mindesteigenmittel und des Eigenmittelpuffers auf 12,86 Prozent RWA festgelegt; und
-
die progressive Komponente neu für die G-SIBs so kalibriert, dass zum Zeitpunkt der Kalibrierung für beide G-SIBs weitere Anforderungen von je 1,44 Prozent RWA bzw. 0,5 Prozent LR resultierten, gesamthaft somit 14,3 Prozent RWA bzw. 5 Prozent LR.
Die Anforderungen an die zusätzlichen verlustabsorbierenden Mittel (Gone-Concern-Anforderungen) galten nur für G-SIBs und waren grundsätzlich gleich hoch wie die Anforderungen an die Eigenmittel zur ordentlichen Weiterführung der Bank (Going-Concern-Anforderungen).
Erfüllt werden konnten diese Anforderungen an die zusätzlichen verlustabsorbierenden Mittel neu durch Bail-in-Bonds gemäss dem internationalen Standard des Financial Stability Board (FSB) zu verlustabsorbierenden Mitteln. 7³ Die Gone-Concern-Anforderungen reduzierten sich um sogenannte Rabatte für Massnahmen zur Verbesserung der globalen Sanier- und Liquidierbarkeit der Finanzgruppe.
Daraus resultierte theoretisch - d. h. jeweils vor Rabatten - für beide G-SIBs eine Gesamtanforderung von 28,6 Prozent RWA bzw. 10 Prozent LR.
Für die SIBs hatte die neue Regelung zur Folge, dass (unter Einräumung von Übergangsbestimmungen 7⁴ ):
-
die international nicht existenten Instrumente des Wandlungskapitals mit tiefem Trigger (5 Prozent CET1) die Anrechenbarkeit als Going-Concern-Mittel verloren; und
-
Wandlungskapital in der Qualität von Tier 2 zur Erfüllung der Anforderungen an Eigenmittel zur ordentlichen Weiterführung der Bank für SIBs aufgegeben wurde.
7³ Medienmitteilung des FSB,
FSB issues final Total Loss-Absorbing Capacity standard for global systemically important banks
, 9. Nov. 2015.
7⁴ Grundsätzlich bis längstens 31. Dez. 2019, mit Abweichungen je nach konkreter Ausgestaltung des Eigenmittel-Instruments.
Anpassung der TBTF-Regulierung 2018 und 2019
Risikogewichtung von Beteiligungen im Finanzbereich
Artikel 32 ERV verlangte bis zu dieser Anpassung der ERV per 2019 für alle Banken in der Einzelinstitutsbetrachtung den Abzug der gehaltenen, auf Gruppenstufe zu konsolidierenden Beteiligungen im Finanzbereich vom harten Kernkapital. Die Umsetzung dieser strikten Regel stellte für die Credit Suisse und die UBS eine grosse Herausforderung dar, da sie mit 75 bzw. 45 Milliarden Franken über sehr hohe Beteiligungswerte verfügten. Daher hatte die FINMA Erleichterungen gemäss Artikel 125 ERV gewährt, sodass der vollständige Beteiligungsabzug gar nie zum Tragen kam. Die ERV-Anpassung mit Inkraftsetzung am 1. Januar 2019 führte für alle Banken stattdessen eine auf einer Risikogewichtung basierende Eigenmittelunterlegung von zu konsolidierenden Beteiligungen ein.
Die FINMA gewährte beiden G-SIBs eine 10-jährige Übergangsregelung bis 1. Januar 2028. Dabei steigt die Risikogewichtung für Schweizer Beteiligungen jährlich um 5 Prozentpunkte von einem ursprünglichen Risikogewicht von 200 Prozent auf die finalen 250 Prozent. Bei den ausländischen Beteiligungen steigt sie jährlich um 20 Prozentpunkte von 200 Prozent auf die finalen 400 Prozent. Nach fünfmaligem Anstieg betrug die Risikogewichtung im Jahr 2023 entsprechend 225 Prozent für Schweizer Beteiligungen bzw. 300 Prozent für ausländische Beteiligungen.
G-SIBs müssen diesen Mechanismus quartalsweise in den sogenannten « Regulatory Disclosures Subsidiaries» offenlegen. Der jährliche zusätzliche Eigenmittelbedarf jeder Bank kann somit präzis errechnet werden. Die Übergangsregelung hatte bei der Credit Suisse einen jährlichen zusätzlichen Eigenmittelbedarf von deutlich mehr als einer Milliarde Franken an hartem Kernkapital bewirkt.
Mit der Umstellung auf das - weniger strenge - System der Risikogewichtung der Beteiligungen konnten die Erleichterungen nach Artikel 125 ERV gestrichen werden. Artikel 125 sah bis dahin vor, dass die FINMA der Bank Eigenmittelerleichterungen auf Stufe Einzelinstitut gewährt, wenn als Folge der Erfüllung der (ordentlichen) Anforderungen auf Stufe Einzelinstitut eine Übererfüllung der Anforderungen auf Stufe Finanzgruppe resultierte. Wenn die Anforderung sowohl auf Stufe Einzelinstitut als auch auf Stufe der Gruppe in gleicher Höhe gegolten hätte, wäre es aufgrund der Eigenmittelunterlegung der gruppeninternen Positionen zu einem solchen Überschiessen der Anforderung auf Gruppenstufe gekommen. 7⁵ Die G-SIBs hatten bereits 2011 in der Kommission für Wirtschaft und Abgaben des Ständerats (WAK-S) vorgebracht, dass sich ohne Erleichterung, d. h. bei einer einheitlichen risikogewichteten Gesamtanforderung auf Stufe Einzelinstitut und auf Stufe Gruppe (19 Prozent 7⁶ ) de facto auf Gruppenstufe eine Anforderungshöhe von 26 Prozent im Fall der Credit Suisse und 23 Prozent im Fall der UBS ergeben hätte. 7⁷ Der 2012 geschaffene und politisch gewollte Artikel 125 ERV zu den Erleichterungen wurde erst mit der Änderung der TBTF-Regulierung 2019 aufgehoben.
7⁵ Auf Stufe Einzelinstitut müssen konzerninterne Forderungen mit Eigenmitteln unterlegt werden (zudem bewirken sie eine Verlängerung der aggregierten Bilanz). Auf konsolidierter Stufe fallen solche Forderungen/Verpflichtungen weg und müssen entsprechend nicht mit Eigenmitteln unterlegt werden.
7⁶ Eine risikogewichtete Eigenmittelunterlegung von insgesamt 19 Prozent wurde im Schlussbericht der Expertenkommission zur Limitierung von volkswirtschaftlichen Risiken durch Grossunternehmen vom 20. Sept. 2010 vorgeschlagen.
7⁷ Schöchli, «
26 statt 19
Prozent?
», NZZ-Artikel, 12. Mai 2011.
Spezifizierung der Gone-Concern-Anforderungen nicht international tätiger SIBs
Seit 2019 sieht die ERV auch für die nicht international tätigen SIBs Anforderungen an die zusätzlich verlustabsorbierenden Mittel (Gone-Concern-Anforderungen) vor. Diese spiegeln die Anforderungen an die Eigenmittel zur ordentlichen Weiterführung der Bank (Going-Concern-Anforderungen) zu 40 Prozent.
Zudem legte die FINMA als Kriterium für einen umsetzbaren Notfallplan eine hinreichend hohe Rekapitalisierungskapazität fest. Per Anfang 2023 erfüllten zwei der drei nicht international tätigen SIBs diese Anforderung. ⁷8
⁷8 Medienmitteilung der FINMA,
FINMA beurteilt erneut die Recovery- und Resolution-Pläne der systemrelevanten Institute
, 26. April 2023.
Ersatz des Rabattsystems für G-SIBs ab 1. Januar 2023
Mit der Revision der BankV auf den 1. Januar 2023 wurde das bisherige Rabattsystem für die Verbesserung der Sanier- und Liquidierbarkeit der G-SIBs durch ein neues Anreizsystem ersetzt. Die G-SIBs hatten den maximal möglichen Rabatt erreicht, womit die Anreizwirkung des Rabattsystems erschöpft war. Die Systemumstellung führte zu verschiedenen Anpassungen in der ERV.
Einerseits wurde die Gone-Concern-Anforderung, die bisher einer 100-prozentigen Spiegelung der Going-Concern-Anforderung abzüglich eines Rabatts entsprach, durch eine fixe, 75-prozentige Spiegelung der Going-Concern-Anforderung ersetzt. Die 75-prozentige Spiegelung als Untergrenze stellt sicher, dass die seit dem 1. Januar 2022 geltenden Anforderungen aus dem TLAC-Standard ⁷9 des FSB eingehalten werden.
Andererseits kann die FINMA neu ergänzende zusätzliche verlustabsorbierende Mittel verlangen, wenn sie Hindernisse in der Sanier- und Liquidierbarkeit feststellt. Damit haben die Banken Anreize, die Sanier- und Liquidierbarkeit aufrechtzuerhalten. Dies gilt auf Stufe der Finanzgruppe und des Stammhauses. Die Schweizer Einheit als Trägerin der systemrelevanten Funktionen untersteht den Anforderungen bezüglich Notfallplanung.
⁷9 FSB, Total Loss-Absorbing Capacity standard for global systemically important banks , 9. Nov. 2015.
Gegenwärtige Anforderungen für SIBs
Die UBS wies im Jahr 2022 eine Going-Concern-Anforderung von insgesamt 14,3 Prozent RWA und 5 Prozent LR aus (ohne antizyklischen Kapitalpuffer und Säule-2-Zuschlag). 8⁰ Diese Anforderung beinhaltet Zuschläge je für den Marktanteil und für die dem Gesamtengagement entsprechende Grösse der Bank, die noch auf den Verhältnissen vor der Übernahme beruhen, von je 0,72 Prozent (RWA) bzw. 0,25 Prozent (LR).
Aufgrund der neuen Grösse der UBS würden die Zuschläge für den Marktanteil 8¹ 1,44 Prozent (RWA) bzw. 0,5 Prozent (LR) sowie für das Gesamtengagement 1,44 Prozent (RWA) bzw. 0,5 Prozent (LR) betragen. Insgesamt ergäbe das neu einen verdoppelten Zuschlag von 2,88 Prozent (RWA) bzw. 1 Prozent (LR). Damit beträgt die Going-Concern-Anforderung neu 15,74 Prozent RWA und 5,5 Prozent LR. Die FINMA hat der UBS eine Übergangsfrist bis ins Jahr 2030 gewährt, um die vollen, aufgrund der Übernahme erhöhten Anforderungen gemäss ERV zu erfüllen.
Von den drei nicht international tätigen SIBs hatte bisher aufgrund der Spareinlagen einzig die Raiffeisen-Gruppe einen Zuschlag für den Marktanteil einzuhalten. Ansonsten unterscheiden sich die Anforderungen dieser drei Institute nicht. Die Anforderungen an zusätzliche verlustabsorbierende Mittel für die nicht international tätigen SIBs betragen gemäss einer Übergangsbestimmung der ERV (Art. 148 j Bst. e) im Jahr 2023 3,2 Prozent RWA und 1,05 Prozent LR.
Am 29. November 2023 hat der Bundesrat die Änderung der ERV zur Umsetzung der finalen Basel-III-Standards mit Inkrafttreten am 1. Januar 2025 angenommen. 8² Die Reform hat insbesondere zum Ziel, dass risikoreichere Positionen mit mehr Eigenmitteln beziehungsweise weniger risikoreiche Positionen mit weniger Eigenmitteln unterlegt werden müssen. Tabelle 3 zeigt die per Ende 2026 gültigen Eigenmittelanforderungen für die SIBs.
Tabelle 3
Eigenmittel-Anforderungen für die SIBs per Ende 2026
[Bild bitte in Originalquelle ansehen]
8⁰ UBS,
UBS-Ergebnis 3. Quartal 2023
, 7 . Nov. 2023, S. 42.
8¹ Es wird die Annahme getroffen, dass sich die UBS in M5 gemäss Anhang 9 ERV befindet. Die genaue Berechnung der FINMA ist dem EFD nicht bekannt.
8²
AS
2024
13
6⁴
SR
952.03
6⁵ Die beiden G-SIBs (Credit Suisse und UBS) mussten die Beteiligungen bereits ab 2017 aufgrund von Einzelfallverfügungen der FINMA risikogewichten.
Internationaler Vergleich
Eigenmittelanforderungen für die UBS und ausländische Vergleichsbanken
Die Eigenmittelanforderungen werden nachfolgend sowohl bezüglich der RWA als auch bezüglich der LR verglichen (vgl. Abbildung 4 und Abbildung 5). Die Abbildungen vergleichen den internationalen BCBS-Standard mit den Anforderungen für die UBS und die Credit Suisse vor der Übernahme sowie mit den Anforderungen für die UBS nach der Übernahme, die hypothetisch - d. h. unter Annahme gleichbleibender Grösse und Marktanteile - ab 2030 nach Ablauf der Übergangsfrist gelten. Der Vergleich enthält zudem die Anforderungen in der EU, im UK und in den USA anhand von mit der UBS vergleichbaren Banken 8³ (EU: Deutsche Bank; UK: Barclays; USA: Morgan Stanley). Gemäss Einteilung der G-SIBs durch das FSB in verschiedene Kategorien sind Deutsche Bank und Barclays wie die UBS in Bucket 2 und Morgan Stanley ist in Bucket 1 . 8⁴
Zu den Abbildungen gilt es Folgendes anzumerken:
-
Total Capital bildet die Going-Concern-Anforderungen ab. TLAC (bzw. MREL) veranschaulicht die gesamthaft verlustabsorbierenden Mittel, bestehend aus den Going-Concern- und den Gone-Concern-Mitteln;
-
Die Anforderungen basieren auf veröffentlichten Zahlen per 1. Quartal 2023. Es sind keine Anforderungen bzgl. antizyklischer Puffer enthalten;
-
Der internationale BCBS-Standard wird für Banken mit vergleichbarem Geschäftsmodell und in vergleichbarer Grösse wie die UBS und die Credit Suisse gezeigt.
Der Vergleich zeigt, dass die Schweizer Going-Concern-Anforderungen inkl. Puffer ( Total Capital ) für die beiden G-SIBs vor der Übernahme etwas tiefer lagen als die entsprechenden Anforderungen im Ausland. Auch der Anteil, der in CET1 gehalten werden muss, ist etwas tiefer. Gegenüber ausländischen Vergleichsbanken können die Schweizer G-SIBs zur Erfüllung der Pufferanforderungen hingegen mehr AT1-Instrumente verwenden.
Im Bereich der Gone-Concern-Anforderungen für G-SIBs erfüllt die Schweiz den internationalen TLAC-Mindeststandard. Der Vergleich zeigt, dass die EU und das UK unter Berücksichtigung der Pufferanforderungen ähnlich hohe, die USA jedoch etwas tiefere Anforderungen haben.
Abbildung 4
Internationaler Vergleich der risikogewichteten Eigenmittelanforderungen für die Schweizer G-SIBs und vergleichbare Banken in der EU, im UK und in den USA per 1. März 2023
CET1
-
Minimum
(4,5 %)
CET1
-
Minimum
(4,5 %)
CET1
-
Minimum
(4,5 %)
CET1
-
Minimum
(4,5 %)
CET1
-
Minimum
(4,5 %)
CET1
-
Minimum
(4,5 %)
CET1
-
Minimum
(4,5 %)
CET1
-
Puffer
(3,5 %)
CET1
-
Puffer
(4,8 %)
CET1
-
Puffer
(5,5 %)
CET1
-
Puffer
(6,95 %)
CET1
-
Puffer
(6,2 %)
CET1
-
Puffer
(6,4 %)
CET1
-
Puffer
(8,8 %)
AT1 (1,5 %)
AT1 (3,5 %)
AT1 (3,5 %)
AT1 (3,5 %)
AT1
(2,7 %)
AT1
(2,3 %)
AT1 (1,5 %)
AT1
-
Puffer (0,8 %)
AT1
-
Puffer (0,8 %)
AT1
-
Puffer (0,8 %)
0 %
5 %
10 %
15 %
20 %
25 %
30 %
BCBS-Standard
(CS/UBS)
Credit Suisse
UBS
UBS (2030)
Deutsche Bank
Barclays
Morgan Stanley
Total CET1
Total Tier 1
Total Capital
TLAC/MREL (inkl. Pufferanforderungen)
Quelle: FINMA,
eigene Darstellung.
RWA
-
Quote (in Prozent)
Abbildung 5
Internationaler Vergleich der Anforderungen an die Leverage Ratio für die Schweizer G-SIBs und vergleichbare Banken in der EU, im UK und in den USA per 1. März 2023
CET1
-
Minimum
(1,5 %)
CET1
-
Minimun
(1,5 %)
CET1
-
Minimum
(1,5 %)
CET1
-
Minimum
(2,4 %)
CET1
-
Puffer
(1,75%)
CET1
-
Puffer
(2 %)
CET1
-
Puffer
(2,5 %)
CET1
-
Puffer (0,5 %)
T1
-
Minimum
(3 %)
AT1
-
Minimum
(1,5 %)
AT1
-
Minimum
(1,5 %)
AT1
-
Minimum
(1,5 %)
T1
-
Minimum
(3 %)
AT1
-
Minimum
(0,8 %)
T1
-
Minimum
(3 %)
T1
-
Puffer (0,5 %)
T1
-
Puffer (0,75 %)
T1
-
Puffer
(2 %)
0 %
2 %
4 %
6 %
8 %
10 %
12 %
BCBS-Standard
(CS/UBS)
Credit Suisse
UBS
UBS (2030)
Deutsche Bank
Barclays
Morgan Stanley
Total Tier 1
TLAC (inkl. Pufferanforderungen)
Leverage Ratio (in Prozent)
Quelle: FINMA,
eigene Darstellung.
Nach dem Zusammenschluss mit der Credit Suisse wird die UBS aufgrund der Verdoppelung der Zuschläge für Marktanteil und Gesamtengagement künftig, wenn die Übergangsfrist bis 2030 abgeschlossen ist, ähnlich hohe Going-Concern-Anforderungen und insgesamt deutlich höhere TLAC-Anforderungen als die ausländischen Vergleichsbanken haben.
Im Gegensatz zu den risikogewichteten Anforderungen sind die risikoungewichteten LR-Anforderungen in der Schweiz höher als die entsprechenden Anforderungen für die ausländischen Vergleichsbanken.
8³ Dies entspricht dem Vorgehen bei den bisherigen Berichten gemäss Art. 52 BankG.
8⁴ FSB,
2023 List of Global Systemically Important Banks (G-SIBs)
, 27. Nov. 2023.
Eigenmittelanforderungen für die Parent-Banken
Einordnung im internationalen Kontext
Im Vergleich zu ausländischen Vergleichsbanken steht die Parent-Bank (auch Stammhaus genannt) bei den Schweizer G-SIBs aus zwei Gründen besonders im Fokus:
-
Einerseits war bzw. ist die Bedeutung ausländischer Tochtergesellschaften bei den beiden Parent-Banken im Verhältnis zum Gesamtkonzern hoch. Wesentliche Anteile der Geschäftsaktivitäten, der Risiken, der Erträge und auch des Kapitals liegen in den Tochtergesellschaften in den USA sowie (im Fall der Credit Suisse) im UK. Auch andere G-SIBs haben Tochtergesellschaften ausserhalb ihrer Heimat-Jurisdiktion. Diese sind jedoch verhältnismässig kleiner als bei den beiden Schweizer Instituten.
-
Andererseits betreiben die Parent-Banken selber in grossem Umfang auch Bankgeschäfte und sind keine reinen Holdinggesellschaften. Andere Jurisdiktionen (z. B. USA oder UK) sehen diesbezüglich Einschränkungen vor (siehe Ausführungen zur Clean Holding in Kap. 14.4.2).
Parent-Anforderungen gemäss ERV im Vergleich zum Basler Mindeststandard
Der Basler Mindeststandard kennt keine expliziten Vorgaben für die Eigenmittelanforderungen für Parent-Banken internationaler Bankkonzerne. Aus den allgemeinen Vorgaben des Mindeststandards zur Behandlung von nichtkonsolidierten Beteiligungen lassen sich jedoch Ansätze ableiten. Grundsätzlich sind demnach die Investments in Beteiligungspapiere (CET1, AT1 oder Bail-in-Kapital) von der entsprechenden Kapitalkomponente der Parent-Bank abzuziehen. 8⁵ Aktienkapital (CET1) von Tochtergesellschaften kann unter Umständen bis zu einem Schwellenwert von 10 Prozent des Kernkapitals der Parent-Bank zu 250 Prozent risikogewichtet werden. 8⁶
Das FSB sieht für Parent-Banken internationaler Bankkonzerne einen Abzug von internen TLAC-Instrumenten bzw. einen gleichwertig strengen aufsichtsrechtlichen Ansatz vor. Dies impliziert u. a. einen Kapitalabzug für Beteiligungen. 8⁷
Die Vorgaben des Basler Mindeststandards bildeten die Grundlage für das Parent-Eigenmittel-Regime in der Schweiz. Die Höhe der prozentualen Eigenmittelanforderungen der Parent-Banken entsprechen gemäss Artikel 124 ERV den prozentualen Anforderungen der obersten Stufe der Finanzgruppe. Die Berechnung der erforderlichen Eigenmittel für Parent-Banken unterscheidet sich von der Gruppenbetrachtung vor allem bei der Behandlung der gruppeninternen Positionen. Während bei den Parent-Banken als Einzelinstitute alle gruppeninternen Beteiligungen und Positionen (Ausleihungen und Verpflichtungen) auf der Bilanz ausgewiesen sind, entfallen in der Gruppenbetrachtung alle gruppeninternen Beteiligungen und Positionen sowie damit verbundenes Eigenkapital. Die Bilanz ist in der Gruppenbetrachtung daher kürzer, womit die Berechnungsbasis für die erforderlichen Eigenmittel und damit die Eigenmittelanforderungen kleiner ausfallen.
Damit überstiegen die kombinierten Einzelinstitutsanforderungen die Gruppenanforderungen, worauf die FINMA basierend auf dem damaligen Artikel 125 ERV Erleichterungen gewährte (siehe Kap. 7.2.3.1). Diese Erleichterungen mussten allerdings sehr umfassend gewährt werden, um ein Überschiessen der kombinierten Einzelinstitutsanforderungen über die Gruppenanforderungen hinaus zu verhindern. Dies führte vor dem Wegfall von Artikel 125 ERV dazu, dass die Erleichterungen bei der Credit Suisse faktisch für sämtliche Beteiligungen galten.
Wie in Kapitel 7.2.3.1 dargestellt, wurde im Jahr 2018 eine reine Risikogewichtung für Beteiligungen mit Phase-In bis 1. Januar 2028 eingeführt. Für ausländische Beteiligungen steigt die Risikogewichtung dadurch kontinuierlich auf 400 Prozent, für inländische Beteiligungen auf 250 Prozent. In Kombination mit den besonderen Anforderungen für SIBs führt dies dazu, dass die beiden Parent-Banken ihre Beteiligungen zu rund 60 Prozent mit Eigenmitteln unterlegen müssen (nach Ablauf der Übergangsfristen; siehe Box 3).
Box 3 Eigenmittelunterlegung für Tochtergesellschaften Eine Bank muss gemäss den Eigenmittelvorschriften ihre Geschäftstätigkeit (insbesondere deren Aktiven) mit Eigenmitteln unterlegen. Die Höhe der erforderlichen Eigenmittel wird dabei risikobasiert ermittelt (sog. Risk-Weighted Assets , RWA). Dieser Grundsatz gilt sowohl für die Gruppe (Konzernabschluss) als auch für jede einzelne Einheit der Gruppe, die über eine Banklizenz verfügt (namentlich die Parent-Bank, auch Stammhaus oder Muttergesellschaft genannt, sowie die Tochtergesellschaften im In- und Ausland). Gruppenstrukturen enthalten diverse finanzielle Verflechtungen zwischen den Einheiten in der Form von gruppeninternen Positionen, die für die Eigenmittelunterlegung eine Rolle spielen. Hervorzuheben sind die Beteiligungen auf Stufe Parent-Bank, die eine wichtige Quelle der Eigenmittel auf Stufe der Tochtereinheiten darstellen.Konzernstruktur G-SIBs SchweizSowohl die UBS als auch die Credit Suisse hat bzw. hatte eine Struktur der Bankgruppe, bei der zuoberst eine Konzerngesellschaft (Holding) steht (vgl. Abbildung 7 und Abbildung 9 sowie Kap. 14). Gleich darunter besteht in beiden Fällen mit der Parent-Bank eine zentrale Einheit, die einerseits direkt Bankgeschäfte betreibt und andererseits Beteiligungen an diversen Tochtergesellschaften im In- und Ausland hält. Die Schweizer Einheit, welche die systemrelevanten Funktionen in der Schweiz betreibt, ist eine dieser Tochtergesellschaften. Heutige Regelung einer teilweisen Eigenmittelunterlegung Am Beispiel einer Bankengruppe, die unterhalb der obersten Konzerngesellschaft aus einer Parent-Bank und einer von ihr vollständig gehaltenen ausländischen Tochtergesellschaft besteht, wird nachfolgend vereinfacht die aktuell geltende regulatorische Eigenmittelunterlegung erklärt.Die ausländische Tochtergesellschaft muss ihre Geschäftstätigkeit mit Eigenmitteln unterlegen; dafür massgebend sind die regulatorischen Eigenmittelanforderungen des Landes der Tochtergesellschaft. Diese Eigenmittel der Tochtergesellschaft stammen im Wesentlichen von der Parent-Bank und sind bei letzterer auf der Aktivseite als Beteiligung verbucht (vgl. nachfolgende Darstellung). [Bild bitte in Originalquelle ansehen]Die Parent-Bank muss gemäss den heute geltenden Anforderungen eine Beteiligung an einer ausländischen Tochtergesellschaft zu ca. 60 Prozent mit Eigenmitteln unterlegen. Diese Grösse ergibt sich aus der Multiplikation des Risikogewichts für Beteiligungen (400 Prozent, vgl. Kap. 7.2.3.1) mit der Eigenmittelanforderung in Prozent der RWA (Sockelanforderung von 12,86 Prozent plus progressive Zuschläge; hier im Beispiel: 15 Prozent). Die restlichen 40 Prozent der Eigenmittel für die ausländische Tochtergesellschaft können mittels Fremdkapital refinanziert werden.Somit muss auf Basis der heute geltenden Eigenmittelanforderungen ein Aktivum in der Tochtergesellschaft mit insgesamt deutlich weniger Eigenmitteln unterlegt werden, als wenn das gleiche Aktivum in der Parent-Bank selbst verbucht wäre. Die heute geltenden Anforderungen ermöglichen ein sogenanntes Double Leveraging , bei dem gruppeninterne Eigenmittel teilweise mit Fremdkapital finanziert werden. |
Erhöhung der Eigenmittelunterlegung für Beteiligungen Eine Anpassung der Eigenmittelunterlegung für Beteiligungen, wie in Kapitel 7.5.1 erläutert und vom Bundesrat vorgeschlagen (Massnahme 15), erhöht die Kapitalisierung der Parent-Bank und vermindert die Anreize für komplexe Firmenstrukturen. Die nachfolgende Darstellung zeigt die Erhöhung der Eigenmittelunterlegung beispielhaft anhand einer vollständigen, das heisst 100-prozentigen Unterlegung der Beteiligungen auf der Aktivseite der Parent-Bank. Eine solche vollständige Unterlegung lässt sich mit einem sogenannten Beteiligungsabzug sicherstellen. Dabei wird der Wert der Beteiligungen von den anrechenbaren Eigenmitteln der Parent-Bank abgezogen. Gleichzeitig werden die Beteiligungen nicht mehr risikogewichtet und erhöhen damit nicht die RWA. Alternativ ist eine vollständige Eigenmittelunterlegung der Beteiligungen an den ausländischen Tochtergesellschaften auch mit einer Erhöhung der Risikogewichte für die Eigenmittelunterlegung solcher Beteiligungen zu erreichen.[Bild bitte in Originalquelle ansehen] |
Eigenmittelanforderung auf Gruppenstufe (konsolidierter Stufe ) und Überschiessen Eigenmittelanforderungen für gruppeninterne Positionen wie Beteiligungen auf Stufe der Parent-Bank führen zum Effekt des «Überschiessens» auf Gruppenstufe. Dieser Effekt, der im Vergleich zu den Anforderungen auf der Gruppenstufe zu deutlich höheren ausgewiesenen Kapitalquoten führt, ist relevant und steigt mit höheren Anforderungen sowie mit komplexeren Konzernstrukturen. Das Überschiessen ist somit eine bewusste Konsequenz der Regulierung. Anhand des obigen Beispiels wird nachfolgend das Phänomen des Überschiessens erläutert und mit fiktiven Zahlen untermalt.Bei der Berechnung der Eigenmittelanforderungen der Gruppe - das heisst auf konsolidierter Basis - werden die Aktiven und Passiven von Parent-Bank und Tochtergesellschaft(en) zusammengefasst. Dabei werden gruppeninterne Forderungen und Verbindlichkeiten verrechnet. Ebenso entfallen in einer konsolidierten Bilanz die Beteiligungen auf der Aktivseite der Parent-Bank. Da damit die Summe der Aktiven reduziert wird, verkleinern sich auch die gemäss Eigenmittelverordnung erforderlichen Eigenmittel der konsolidierten Bankengruppe im Vergleich zur Summe der erforderlichen Eigenmittel von Parent-Bank und Tochtergesellschaften. Insgesamt ist die Summe der Eigenmittelanforderungen der einzelnen Rechtseinheiten somit grösser als die Eigenmittelanforderung, die für die konsolidierte Bilanz der Gruppe gilt. Dieses Phänomen wird als «Überschiessen» der Eigenmittelanforderung bei der Gruppe bezeichnet.Die Erfüllung der Anforderungen in den einzelnen Einheiten der Bankengruppe vor Konsolidierung führt automatisch zu einer Übererfüllung der konsolidierten Anforderung auf Gruppenstufe. Dieser Effekt besteht grundsätzlich bereits heute und steigt mit einer erhöhten oder vollständigen Unterlegung von Beteiligungen oder bei einer Vergrösserung der Tochtergesellschaften.[Bild bitte in Originalquelle ansehen]* Das anhand der Beteiligungen schematisch dargestellte Prinzip gilt ebenfalls für gruppeninterne Forderungen. Je höher die Eigenmittelanforderungen für entsprechende gruppeninterne Forderungen, desto höher das Überschiessen.Die obenstehende Beispielbilanz weist risikogewichtete Aktiven von 1000 Milliarden Franken aus. Bei einer RWA-Anforderung von 15 Prozent ergeben sich daher auf Gruppenstufe erforderliche Eigenmittel von 150 Milliarden Franken. Da jedoch die Parent-Bank für die Beteiligung an der Tochter regulatorische Eigenmittel in der Höhe von 20 Milliarden Franken vorhalten muss, die auf der konsolidierten Bilanz nicht ersichtlich sind, entsprechen die tatsächlich erforderlichen Eigenmittel der Gruppe 170 Milliarden Franken. Stellt man diese ins Verhältnis zu den risikogewichteten Aktiven von 1000 Milliarden Franken, ergibt sich eine Kapitalquote von 17 Prozent. Dadurch überschiesst die RWA-Quote auf Gruppenstufe um 2 Prozent oder 20 Milliarden Franken. |
8⁵ BIZ, Basel Framework, Definition of Capital,
CAP 30.30
.
8⁶ BIZ, Basel Framework, Definition of Capital,
CAP 30.31 ff
.
8⁷ FSB, Guiding Principles on the Internal Total Loss-absorbing Capacity of G-SIBs (‹Internal TLAC›), 6. Juli 2017, S. 13, namentlich Principle 10: « To avoid possible double counting, authorities should consider applying an internal TLAC deduction approach or an equivalently robust supervisory approach ».
Beurteilung
Positive Wirkungen in der Krise
Höhe der Eigenmittelanforderungen und Anforderungen an die Kapitalqualität
Die Eigenmittelanforderungen an Schweizer SIBs richten sich nach den internationalen Standards. Wie Abbildung 4 und Abbildung 5 zeigen, gelten für die Schweizer G-SIB sogar tendenziell höhere Anforderungen als für die G-SIBs anderer Jurisdiktionen. Die besonderen Anforderungen für Schweizer G-SIBs und die damit einhergehenden Eigenmittelpuffer auf Gruppenstufe haben die Resilienz der beiden Grossbanken erhöht. 8⁸ Dank diesen Puffern konnte etwa die Credit Suisse über längere Zeit mehrere Rückschläge und erhebliche Verluste überstehen. Zudem war eine starke Kapitalisierung der UBS eine zwingende Voraussetzung für die Übernahme der Credit Suisse.
Gleichzeitig strebte die Credit Suisse und strebt die UBS in Bezug auf das CET1 regelmässig höhere Quoten an, als von der Regulierung minimal verlangt wird. ⁸9 Damit tragen sie auch Markterwartungen in Bezug auf eine adäquate CET1-Kapitalisierung von G-SIBs Rechnung. Um diese Erwartungen und die damit verbundenen eigenen CET1-Ziele trotz einer Reihe von schlechten Quartalsergebnissen erfüllen zu können, begrenzte die Credit Suisse u. a. die Dividendenausschüttungen, stellte die Aktienrückkäufe ein und führte im Jahr 2022 eine Kapitalerhöhung durch. Diese sollte auch zur Finanzierung des Umstrukturierungsplans beitragen.
8⁸ Für die Credit Suisse wurde von der FINMA aufgrund von Stresstestergebnissen ein höheres Kernkapitalziel als die regulatorische Anforderung festgelegt.
⁸9 Per Q1 2023 wies die UBS eine CET1-Quote von 13, 9 Prozent aus, bei einer Anforderung von 10 Prozent (nicht berücksichtigt sind dabei Anforderungen im Zusammenhang mit dem antizyklischen Kapitalpuffer). Per Q4 2022 nannte sie eine CET1-Quote von 13 Prozent als Ziel. Die Credit Suisse wies per Q1 2022 eine CET1-Quote von 13, 8 Prozent aus, ebenfalls bei einer damaligen Anforderung von 10 Prozent (wiederum ohne Berücksichtigung der Anforderungen im Zusammenhang mit dem antizyklischen Kapitalpuffer und ohne Berücksichtigung eines Säule-2-Zuschlags von damals 0, 67 Prozent). Im Rahmen ihrer strategischen Transformation hatte die Credit Suisse kommuniziert, für den Zeitraum 2023-2025 eine CET1-Quote von mindestens 13 Prozent und ab 2026 von mindestens 13, 5 Prozent anzustreben (bei einer damaligen CET1-Anforderung von 9, 3 Prozent und einer CET1-Quote von 12, 6 Prozent).
Progressive Komponente
Sowohl die risikogewichteten als auch die risikoungewichteten Eigenmittelanforderungen der SIBs beinhalten eine progressive Komponente, bestehend aus Zuschlägen für den Marktanteil in der Schweiz und für die Gesamtgrösse der Finanzgruppe. Diese Komponenten dürften klar dazu beigetragen haben, dass die Schweizer G-SIBs in den vergangenen Jahren ihre Bilanzsumme deutlich reduziert haben (vgl. Abbildung 2). Damit hat dieses Instrument zur Reduktion der TBTF-Problematik beigetragen.
Die progressive Komponente zeigt auch bei der Übernahme der Credit Suisse durch die UBS eine substanzielle Wirkung. Durch den Zusammenschluss der zwei G-SIBs ergibt sich aufgrund der progressiven Komponente für die UBS eine voraussichtliche Erhöhung der TLAC-Anforderungen um 10 Prozent (vgl. Abbildung 4 und Abbildung 5), die sie nach Ablauf der von der FINMA gewährten Übergangsfrist bis 2030 erfüllen muss.
AT1-Kapital
Mit der Abschreibung der AT1-Instrumente der Credit Suisse, die im Fall einer staatlichen Unterstützung in den vertraglichen Bestimmungen dieser Instrumente vorgesehen ist, wurde ein wichtiges - mit dem TBTF-Regelwerk sowie auch auf internationaler Ebene in den Basel-III-Standards eingeführtes - Instrument angewendet.
Die Abschreibung der Instrumente erfolgte durch die Credit Suisse und diente zwei wichtigen Zielsetzungen, für die dieses Instrument im TBTF-Rechtsrahmen eingeführt worden war. Einerseits leisteten damit im Rahmen einer erfolgten staatlichen Unterstützung einer SIB auch private Risikokapitalgeber einen Beitrag zur Stabilisierung der Credit Suisse. Andererseits war die damit verbundene Schaffung von hartem Kernkapital entscheidend, um den Spielraum zu schaffen, der für die Absorption der anhaltenden Verluste der Credit Suisse und damit für die Umsetzung der Massnahmen zur Sicherung der nationalen und internationalen Finanzstabilität zwingend erforderlich war.
Bail-in-Kapazität
Mit der bestehenden Bail-in-Kapazität hätte das CET1 der Credit Suisse mittels eines (Teil-)Bail-in weiter erhöht werden können, wenn die Behörden eine Sanierung als zielführendste Option eingeschätzt hätten oder wenn die Lösung einer Übernahme durch die UBS gescheitert wäre. Ein ausreichendes Volumen an Bail-in-Kapazität (Gone Concern) ist eine notwendige (jedoch keine hinreichende) Voraussetzung für eine erfolgreiche Sanierung einer SIB.
Anforderungen an die Offenlegung
Die Anforderungen an die Offenlegung der Eigenmittelkennzahlen haben grundsätzlich einen disziplinierenden Effekt hinsichtlich der Ausschüttungspolitik, da die Banken einen Puffer über den regulatorischen Anforderungen aufzeigen wollen. In Krisenzeiten kann sich dieser Effekt jedoch in Form von höheren Refinanzierungszuschlägen oder erhöhter Kursvolatilität auch negativ manifestieren, wenn er die Aussicht auf ausschüttbare Gewinne stark einschränkt.
Lehren und Handlungsbedarf aus der Krise
Eigenmittelkennzahlen sind Point -in -Time -Betrachtungen
Die Erfüllung der regulatorischen Eigenmittelkennzahlen garantiert per se noch nicht das Vertrauen in die Bank. 9⁰ Ein kritisches Element ist dabei, dass die regulatorischen Kennzahlen die Kapitalausstattung einer Bank basierend auf regulatorischen Definitionen nur exakt zu einem bestimmten Zeitpunkt abbilden, teilweise schwierig zu interpretieren und nur eingeschränkt zukunftsgerichtet sind.
Vor diesem Hintergrund scheint der Fokus auf regulatorische Kennzahlen zu eng, da stärker zukunftsgerichtete Elemente (z. B. Marktkapitalisierung, Prämien für Credit Default Swaps [CDS], Profitabilität, Stresstests, Unternehmensführung, Geschäftsmodell) und die darin enthaltenen Informationen nicht berücksichtigt werden. Dies ist insbesondere dann relevant, wenn solche Faktoren im Vergleich zu den regulatorischen Kennzahlen unterschiedliche Signale in Bezug auf die Widerstandskraft eines Instituts anzeigen.
Die FINMA hat zwar im Fall der Credit Suisse Zuschläge beruhend auf einer vorausschauenden Betrachtung des Risikoprofils verlangt, welche die Eigenmittelanforderungen erhöht haben. Allerdings fehlen klare Regeln für institutsspezifische Zuschläge, die ihre Wirkung sofort entfalten und nicht durch langjährige Rechtsstreitigkeiten verzögert werden können. Dies im Gegensatz zum Liquiditätsbereich, der institutsspezifische Zuschläge seit der jüngsten Revision der LiqV ausdrücklich vorsieht.
Weiter sollten in diesem Rahmen auch erhöhte Risiken einer SIB, die sich aus einem schwachen Risikomanagement oder schwacher Unternehmensführung ergeben, durch erhöhte Eigenmittel abgedeckt werden können.
9⁰ Auch die Expertengruppe Bankenstabilität 2023 kommt zum Schluss, dass im Fall der Credit Suisse trotz Einhaltung der regulatorischen Kennzahlen berechtigte Vermutungen kursierten, dass die Bank weniger gut kapitalisiert sei, als die aggregierten Zahlen dies anzeigen. Vgl.
Reformbedarf nach dem Untergang der Credit Suisse
, 1. Sept. 2023, S. 70.
Kapitalisierung der Parent-Banken als kritische Schwachstelle
Der Fokus für die Kalibrierung der Eigenmittelanforderungen lag lange auf der konsolidierten Gruppe, um international faire Wettbewerbsbedingungen sicherzustellen (vgl. Kap. 7.2.3.1 zu Art. 125 ERV). Das Einzelinstitut muss die Eigenmittelanforderungen zwar ebenfalls erfüllen, doch dabei waren und sind bislang insbesondere für die Parent-Banken verschiedene Erleichterungen vorgesehen.
Als Erleichterung sieht die Regulierung z. B. vor, dass Beteiligungen der Parent-Bank nicht vollständig mit Eigenmitteln unterlegt werden müssen (vgl. Box 3). 9¹ Dadurch können die Banken durch die Verschiebung von Geschäftsaktivitäten in Tochtergesellschaften Eigenmittel einsparen. Konkret können die in der Tochtergesellschaft benötigten Eigenmittel auf der Parent-Bank teilweise durch günstigeres Fremdkapital finanziert werden. Aufgrund der komplexen vertikalen Konzernstruktur der beiden Schweizer Grossbanken sind solche Erleichterungen i. d. R. nicht im Fokus der Öffentlichkeit. In Nicht-Krisenzeiten sind sie zudem weniger problematisch, da tendenziell die Gruppe als Ganzes betrachtet wird. In Krisenzeiten kann sich der Fokus jedoch schnell von der Gruppe auf Einzelinstitute verschieben und die Kapitalisierung dieser Einheiten in den Vordergrund rücken. Muss die Parent-Bank im ungünstigen Fall Verluste einer Tochtergesellschaft auffangen, sind diese nur teilweise mit eigenen Mitteln gedeckt.
Insbesondere bei einer globalen Grossbank wie der Credit Suisse führten die komplexe Konzernstruktur und die gewährten Erleichterungen zu einer strukturell schwach kapitalisierten Parent-Bank, die keine Quelle der Stärke für die Gruppe war, sondern eine Schwäche. Dies wurde auch vom Markt zunehmend verstanden.
In der Krise der Credit Suisse, in der insbesondere die ausländischen Beteiligungen neu bewertet und infolgedessen stark abgeschrieben werden mussten, führte auch die nur teilweise Eigenmittelunterlegung der ausländischen Beteiligungen zu einer kritischen Einschränkung des strategischen Spielraums. Veräusserungen von ausländischen Beteiligungen waren, selbst wenn sie für die Stabilisierung wünschbar und in einer Krise befreiend gewesen wären, wegen kaum tragbarer Folgen für die Kapitalausstattung der Parent-Bank unmöglich. So hätte der Verkauf von ausländischen Geschäftsbereichen zu weiteren Abschreibungen auf Beteiligungen geführt. Da diese Beteiligungen in der Parent-Bank jedoch nicht vollständig mit Eigenmitteln unterlegt waren, hätte ein solcher Abschreiber rasch zu einer Unterschreitung der Kapitalanforderungen der Parent-Bank geführt.
Denselben Effekt hätten auch allfällige Ring-Fencing-Massnahmen ausländischer Behörden gehabt. Hätten sich ausländische Behörden entschieden, die lokalen Tochtergesellschaften von der Gruppe abzutrennen und herunterzufahren, anstatt eine Sanierung der gesamten Gruppe unter Führung der FINMA zu unterstützen, wären diese Beteiligungen in der Bilanz der Parent-Bank mit hoher Wahrscheinlichkeit wertlos geworden und es hätte für die Parent-Bank ein Verlust in Höhe der Beteiligungen resultiert. Da die Parent-Bank jedoch nur für einen Teil der Beteiligungen Eigenmittel vorhalten musste, wäre in der Parent-Bank eine substanzielle Kapitallücke entstanden. Im Konkurs der Parent-Bank (z. B. bei der Auslösung des Notfallplans) hätten Kunden und Gläubiger der Parent-Bank im Konkursverfahren hohe Verluste getragen, während jene der Tochtergesellschaften bessergestellt gewesen wären.
Verschachtelte Konzernstrukturen ermöglichen auch das sogenannte Double Leveraging , das zu einer ungesunden «Optimierung» der Kapitalsituation führen kann. Beispielsweise kann Fremdkapital extern aufgenommen und intern als Eigenkapital weitergegeben werden. Die Double-Leverage-Ratio, die dieses Verhältnis misst, wird dadurch erhöht. Die FINMA konnte zwar eine Vereinbarung mit der Credit Suisse treffen, um das Double Leveraging einzuschränken, aber es fehlen klare Bestimmungen auf Gesetzes- oder Verordnungsstufe, die diese Optimierung einschränken oder verbieten.
9¹ Ursprünglich war eine vollständige Eigenmittelunterlegung von Beteiligungen in der ERV vorgesehen, indem Beteiligungen vom Kapital abgezogen werden mussten (damaliger Art. 32 Bst. j ERV). Da Credit Suisse und UBS mit 75 bzw. 45 Milliarden Franken über sehr hohe Beteiligungswerte verfügten, stellte die Umsetzung dieser strikten Regel für sie eine grosse Herausforderung dar. Daher hatte die FINMA Erleichterungen gemäss Artikel 125 ERV gewährt, so dass der vollständige Beteiligungsabzug gar nie zum Tragen kam. Mit der Revision von 2018 und dem Inkrafttreten der neuen ERV per 1. Januar 2019 wechselte man auf eine Risikogewichtung der Beteiligungen anstelle des Abzugs (siehe Anhang 4, Ziffer 1.6 und 1.7 ERV). Die Risikogewichtung führte dazu, dass Beteiligungen mit weniger Eigenmitteln unterlegt werden müssen (gemäss damaligen Schätzungen zu rund 50 Prozent nach Ablauf der Übergangsfrist). Auf internationaler Ebene empfiehlt das FSB eine vollständige Unterlegung von internem TLAC mit externem TLAC bzw. eine entsprechende Abzugsmethode (vgl. Kap. 7.3.2.2).
Vorsichtige Bewertung und Werthaltigkeit von Bilanzpositionen
Die Verlusttragfähigkeit des harten Kernkapitals ist für die Marktteilnehmer ggf. nicht hinreichend transparent, da sie von aufsichtsrechtlichen Bewertungsstandards und regulatorischen Filtern beeinflusst wird. Dies ist für eine Reihe von Vermögenswerten in der Bilanz von Banken relevant, wie Beteiligungen, Software, latente Steueransprüche ( Deferred Tax Assets ), bis zur Fälligkeit gehaltene ( Held-to-Maturity ) Vermögenswerte und andere Aktiven.
Zusätzlich bestehen Unsicherheiten bezüglich schwer zu bewertender Fair-Value-Positionen (solche ohne aktuelle Marktpreise oder beobachtbare Bewertungsparameter). Hier sieht der Basler Mindeststandard sogenannte Prudent Valuation Adjustments (PVAs) vor. Die Bewertungsanpassungen der UBS bei solchen Positionen nach der Übernahme der Credit Suisse zeigen den hohen Ermessensspielraum der Banken. So hat die UBS bei der Übernahme Korrekturen an den Fair-Value-Positionen der Credit Suisse vorgenommen, die das CET1 um 2,2 Milliarden Franken reduzierten. Diese Korrekturen waren weit höher als die PVAs von 271 Millionen Franken, welche die Credit Suisse per Ende 2022 ausgewiesen hatte.
Die UBS hat bei der Übernahme der Credit Suisse die buchhalterischen Rückstellungen für Rechtsrisiken um 4,5 Milliarden US-Dollar erhöht und den Wert von Software um 2 Milliarden US-Dollar reduziert. Auch bei den von der Credit Suisse erworbenen Kreditzusagen und Garantien nahm die UBS bei der Übernahme Wertanpassungen von 4,5 Milliarden US-Dollar vor. Insgesamt haben solche Bewertungsanpassungen bei der Übernahme das CET1 um 16,8 Milliarden US-Dollar reduziert. Dabei handelt es sich zum grössten Teil um Wertanpassungen, die im Zuge der Fusion, aufgrund der Zusammenlegung zweier Bankkonzerne, notwendig wurden. 9²
In der EU existieren starrere Regeln für die Berechnung der PVAs als in der Schweiz. So müssen grosse Banken in der EU seit 2014 PVAs gemäss dem Core Approach berechnen. Dabei müssen bei Unsicherheit über den Fair Value einer Position die PVAs so kalibriert werden, dass eine vorsichtige Bewertung mit 90 Prozent Sicherheit gegeben ist. Aufgrund dieser strikteren Regeln weisen die europäischen Vergleichsbanken auch relativ hohe PVAs aus. Bei HSBC, Barclays, Deutsche Bank, Société Générale und BNP Paribas lag der Median dieser Anpassungen per Ende 2022 bei 1,6 Milliarden US-Dollar.
Im Bereich der Anrechenbarkeit von Software existieren in der EU ebenfalls striktere Regeln als in der Schweiz. So dürfen EU-Banken ihre auf der Bilanz aktivierte Software zwar als CET1 anrechnen, müssen diese aber für die Eigenmittelberechnung innerhalb von maximal drei Jahren vollständig abschreiben, unabhängig von der buchhalterischen Behandlung. Für die Schweizer Banken sind diesbezüglich einzig die buchhalterischen Standards massgebend.
Solche Unterschiede sind vor dem Hintergrund des hohen Verschuldungsgrads der Banken besonders relevant. Bei einer Leverage Ratio von 5-6 Prozent wirken sich selbst kleine Bewertungskorrekturen stark auf die Kapitalsituation einer Bank aus.
9² Diese Zahl beinhaltet bereits eine Kompensation von 5 Milliarden US-Dollar, welche die FINMA hauptsächlich für zinsbedingte Wertkorrekturen bei Krediten gewährt hat. Diese Kompensation muss die UBS bis zum 30. Juni 2027 vollständig und linear auf null zurückführen. So hat die UBS im Zuge der Fusion die von der Credit Suisse nach dem Rechnungslegungsstandard US GAAP bilanzierten Vermögenswerte und Verbindlichkeiten auf den von der UBS verwendeten Rechnungslegungsstandard IFRS umgestellt. Bei einem Unternehmenszusammenschluss hat der Erwerber (gemäss IF RS 3 «Unternehmenszusammenschlüsse») alle identifizierbaren übernommenen Vermögenswerte und Verbindlichkeiten, einschliesslich Eventualverbindlichkeiten, zu ihrem jeweiligen Fair Value zum Erwerbszeitpunkt bzw. am Vollzugsdatum zu erfassen. Konkret führte dies zu Anpassungen in der Bewertung von Vermögenswerten und Verbindlichkeiten ( Fair Value Adjustments ) von -14, 7 Milliarden US-Dollar, zu zusätzlichen Rückstellungen für mögliche Abflüsse aus Rechtsstreitigkeiten sowie regulatorischen oder ähnlichen Angelegenheiten von -4, 5 Milliarden US-Dollar, zu Wertkorrekturen bei immateriellen Vermögenswerten von -0, 9 Milliarden US-Dollar sowie zu Fair Value Adjustment s bei nicht finanziellen Vermögenswerten und Verbindlichkeiten von -0, 6 Milliarden US-Dollar. Hinzu kommen Bewertungsanpassungen infolge der Umstellung des Rechnungslegungsstandards von US GAAP auf IFRS in der Höhe von -4, 1 Milliarden US-Dollar. Insgesamt ergaben sich aus der Fusion netto Wertkorrekturen im handelsrechtlichen Eigenkapital von -24, 8 Milliarden US-Dollar. Das regulatorische harte Kernkapital sank um -16, 8 Milliarden US-Dollar.
Verlustabsorbierende Rolle von AT1 im Going Concern
Anleihen von Banken können regulatorisch nur unter einer Reihe von strengen Voraussetzungen als AT1 und damit zur Erfüllung der Eigenmittelanforderungen angerechnet werden. Diese Voraussetzungen sind in der Schweiz - in strikter Anlehnung an den BCBS-Standard - in der ERV rechtlich verankert. Damit eine Anleihe regulatorisch als AT1 gilt, muss nebst zahlreichen weiteren Voraussetzungen gemäss den Artikeln 27 und 29 ERV sichergestellt sein:
-
dass die Laufzeit der Anleihe unbefristet ist und die Bank keine Erwartungen auf eine Rückzahlung weckt (Art. 27 Abs. 1 Bst. b ERV); und
-
dass vertraglich festgelegt ist, dass spätestens bei Inanspruchnahme einer Hilfeleistung der öffentlichen Hand oder wenn die FINMA es zur Vermeidung einer Insolvenz anordnet, bei Write-off-Instrumenten eine Abschreibung bzw. bei Wandlungsinstrumenten eine Wandlung in Aktien erfolgt.
Wie der BCBS in seinen Erkenntnissen zu den Bankenkrisen von 2023 darlegt 9³ , hat sich auf internationaler Ebene jedoch eine Marktpraxis entwickelt, bei der die gemäss regulatorischen Anforderungen ewig laufenden Anleihen regelmässig oder gar bei der erstmöglichen Gelegenheit zurückbezahlt und ersetzt werden. Dies hat zu falschen Markterwartungen geführt, die sich einer Krise fatal auswirken können.
So wollte die Credit Suisse z. B. vermeiden, ein negatives Signal an die Märkte auszusenden, indem sie Instrumente auch bei ungünstigen Bedingungen nicht zum frühestmöglichen Zeitpunkt zurückrief und durch teurere ersetzte. Ebenso verzichtete die Credit Suisse wegen der befürchteten Marktreaktion auf eine Aufschiebung von Coupon-Zahlungen, obwohl dies vertraglich zulässig gewesen wäre und in der Stabilisierungsphase einen wichtigen Beitrag zur Entschärfung der angespannten Liquiditätslage geleistet hätte und diese Möglichkeit in den Vertragsdokumenten verbindlich geregelt ist.
Somit konnten die AT1-Kapitalinstrumente im frühen Verlauf der Krise und namentlich im Jahr 2022 ihren vorgesehenen Beitrag zur Stabilisierung der Bank im laufenden Betrieb nicht ausreichend leisten. Im Gegenteil, sie haben - aufgrund der Erwartungen der Marktteilnehmer - den finanziellen Druck auf die Bank noch erhöht. Es ist davon auszugehen, dass dieses Problem nicht spezifisch die Credit Suisse betraf, sondern sich auch in künftigen Krisen stellen wird und daher international anzugehen ist (vgl. dazu auch die Erkenntnisse des BCBS).
AT1-Instrumente können beim Eintreten eines auslösenden Trigger-Ereignisses nach Wahl des Emittenten eine Abschreibung oder eine Umwandlung in Eigenkapital vorsehen, was in den vertraglichen Bestimmungen der AT1-Instrumente im Rahmen deren Emission festgelegt wird. Die Credit Suisse hatte sich - wohl unter Berücksichtigung der Marktpräferenzen - für die Ausgabe von Write-off-Instrumenten entschieden. Im März 2023 waren sämtliche ihrer ausstehenden AT1-Anleihen solcher Natur. Den Investoren war bewusst oder musste bewusst sein, dass die Instrumente der Credit Suisse eine vollständige Abschreibung vorsehen. Die Vertragsbedingungen der Credit-Suisse-AT1-Anleihen wiesen mehrfach auf diesen Umstand und die hohen Risiken hin. Ein Teil der AT1-Investoren zeigte sich jedoch trotz der deutlichen Risikoprämien zur Entschädigung des hohen Risikos überrascht, dass die Anleihen unter bestimmten Umständen - wie in den Vertragsbedingungen im Einklang mit den regulatorischen Anforderungen an AT1-Kapital festgehalten - Verluste auffangen müssen.
Ein weiterer Aspekt, der bei der Krise der Credit Suisse weniger im Vordergrund stand, ist die Schwelle der CET1-Quote, bei deren Unterschreitung gemäss vertraglichen Bestimmungen «automatisch» eine Abschreibung oder Wandlung der Anleihen erfolgt. Gemäss ERV muss diese Schwelle - im Einklang mit dem BCBS-Standard - mindestens bei einer CET1-Quote von 5,125 Prozent liegen. Bei den AT1-Anleihen der Credit Suisse lag die Schwelle für die kritische CET1-Quote zum Teil bei 5,125 und zum Teil bei 7 Prozent.
Die Märkte scheinen jedoch eine höhere CET1-Quote vorauszusetzen und könnten das Vertrauen in eine G-SIB bereits bei einer deutlich höheren CET1-Quote entziehen. Der Fall der Credit Suisse zeigte in der Tat exemplarisch, dass einer G-SIB bei mangelndem Vertrauen bereits bei einer weit höheren CET1-Quote der Konkurs drohen kann. Vor diesem Hintergrund drängt sich auf internationaler Ebene eine kritische Überprüfung der regulatorischen Anforderungen an AT1-Kapital auf.
9³ BCBS,
Report on the 2023 banking turmoil
, 5. Okt. 2023.
Mögliche Massnahmen
Eigenmittelunterlegung für ausländische Beteiligungen - und damit für Parent-Banken - innerhalb einer Finanzgruppe stärken
In Bezug auf die Kapitalisierung der Parent-Bank (Stammhaus) ist die Behandlung von auf Gruppenstufe zu konsolidierenden Tochtergesellschaften von zentraler Bedeutung. Eine mögliche Eigenmittelmassnahme ist, die Eigenmittelunterlegung von sämtlichen oder spezifisch von ausländischen Beteiligungen anzupassen, um die Parent-Bank zu stärken.
Die strengste und weitreichendste Variante zur Stärkung der Parent-Bank wäre, wie bereits einmal im TBTF-Dispositiv vorgesehen, ein vollständiger Abzug der Beteiligungen von den anrechenbaren Eigenmitteln. Dies würde bei konsequenter Umsetzung zu einer vollständigen Unterlegung von Beteiligungen mit Eigenmitteln führen. Alternativ könnte eine gleichwertige oder teilweise Stärkung der Kapitalisierung durch eine Erhöhung der Risikogewichte der Beteiligungen erreicht werden.
Diese Massnahme und eine entsprechende Stärkung der Parent-Bank weist mehrere zentrale Vorteile auf:
-
Sie gewährleistet, dass Kapital, das an Tochtergesellschaften weitergeben wird, nicht oder zu einem wesentlich kleineren Anteil gleichzeitig als Kapital für andere Risiken auf Stufe der Parent-Bank dienen kann. Dies erhöht den strategischen Spielraum in einer Krise, indem bei Bedarf Beteiligungen, die deutlich an Wert verloren haben, ohne gravierende Kapitalfolgen für die Parent-Bank veräussert werden können. Dies ist insbesondere bei ausländischen Beteiligungen eine wesentliche Auswirkung, was für eine gezielte Erhöhung der Eigenmittelunterlegung von ausländischen Beteiligungen spricht. Gleichzeitig könnten damit auch die Auswirkungen allfälliger Ring-Fencing-Massnahmen 9⁴ ausländischer Behörden auf die Eigenmittel der Parent-Bank gemildert werden.
-
Eine erhöhte Eigenmittelunterlegung von Beteiligungen schafft Anreize für komplex strukturierte Banken, interne Verflechtungen abzubauen und gegebenenfalls die Konzernstruktur anzupassen. Solche Anpassungen erhöhen die Erfolgswahrscheinlichkeit einer Sanierung zusätzlich. Diese im TBTF-Dispositiv erwünschte Wirkung ergibt sich wiederum insbesondere bei einer gezielten Umsetzung der Verschärfung in Bezug auf ausländische Beteiligungen. In einer Krise muss deren Werthaltigkeit angezweifelt werden aufgrund der hohen Wahrscheinlichkeit von Ring Fencing oder gar einer Abwicklung durch lokale Aufsichtsbehörden. Werden diese Beteiligungen als in einer Krise wertlos betrachtet, muss die Parent-Bank einen Verlust in der Höhe dieser Beteiligungen tragen können. Ansonsten würden im Konkurs der Parent-Bank (z. B. bei der Auslösung des Notfallplans) deren Kunden und Gläubiger im Konkursverfahren hohe Verluste tragen, während jene der Tochtergesellschaften bessergestellt gewesen wären. Daher drängt sich ein Abzug von den anrechenbaren Eigenmitteln oder eine entsprechende Erhöhung der Risikogewichte für ausländische Beteiligungen auf.
-
Wie in den Kapiteln 7.2.3.1 und 7.3.2.2 dargelegt, kann dies auf Stufe der Finanzgruppe zu einem hohen Überschiessen der Anforderungen führen, die bei einer rein konsolidierten Konzernbetrachtung einzuhalten sind (vgl. auch Box 3). In der Vergangenheit wurden deswegen Erleichterungen gewährt, damit Schweizer G-SIBs auf Gruppenstufe nicht deutlich mehr Eigenmittel halten müssen als andere G-SIBs. Diese Güterabwägung ist nach den gemachten Erfahrungen in der Krise der Credit Suisse erneut vorzunehmen.
-
Die Massnahme wäre für alle SIBs einzuführen. Mit Fokus auf ausländische Beteiligungen trifft sie aber faktisch sehr gezielt SIBs mit hohem Engagement im Ausland, d. h. Parent-Banken von G-SIBs. Die Einschränkung auf SIBs zieht jedoch aus Wettbewerbssicht den Nachteil mit sich, dass eine Ungleichbehandlung von SIBs und nicht systemrelevanten Banken mit hohem Engagement im Ausland eingeführt wird.
Eine vollständige Unterlegung mit Eigenmitteln kann mit einem Abzug der (ausländischen) Beteiligungen von den regulatorischen Eigenmitteln oder durch eine entsprechende Erhöhung der Risikogewichtung solcher Beteiligungen erreicht werden. Bei der letztgenannten Variante kann die Erhöhung graduell gewählt werden. Eine Kalibrierung der Risikogewichte, die zu einer 100-prozentigen Unterlegung der Beteiligungen führt, ist eine ähnlich starke Massnahme wie ein Systemwechsel zu einem vollständigen Abzug. In diesem Fall ist vertieft zu prüfen, welches System die grösseren Vorzüge hat.
Auch international setzt sich die Schweiz für die Schaffung von mehr Transparenz über die Kapitalausstattung von Parent-Banken ein.
9⁴ Ring Fencing tritt auf, wenn ausländische Aufsichtsbehörden (z. B. mangels Vertrauens in die Stabilität der Bank) höhere regulatorische Anforderungen für in ihrem Land domizilierte Rechtseinheiten der G-SIBs anordnen oder die Übertragbarkeit von Kapital und Liquidität einschränken.
Berücksichtigung zukunftsgerichteter Elemente in institutsspezifischen Säule-2-Eigenmittelzuschlägen
Eine weitere mögliche Massnahme ist, in den gesetzlichen Grundlagen explizit eine Kompetenz der FINMA für ein systematisches Festlegen von institutsspezifischen Säule-2-Eigenmittelzuschlägen, die zukunftsgerichtete Elemente beinhalten, festzuhalten. Die FINMA überprüft in einem solchen neuen System regelmässig, basierend auf Stresstests und der laufenden Aufsicht, ob die Eigenmittelanforderungen für SIBs gemäss ERV ausreichen oder ob zusätzliche Anforderungen in Form von institutsspezifischen Säule-2-Eigenmittelzuschlägen notwendig sind. Dabei berücksichtigt sie z. B.:
-
unternehmensspezifische Faktoren wie Geschäftsmodell, Unternehmensführung, Komplexität und Abwicklungsfähigkeit;
-
Elemente wie Profitabilität, Stresstests, strategische Pläne und aktuelles und künftiges Risikoprofil (inklusiv Schwachstellen oder Mängeln im Risikomanagement);
-
marktbasierte Indikatoren wie Marktkapitalisierung, CDS-Prämien und Ratings.
Diese Massnahme weist mehrere evidente Vorteile auf. Sie bringt ein zukunftsgerichtetes Element in das System der Eigenmittelunterlegung und soll die Rechtssicherheit bzgl. der Umsetzung durch die FINMA erhöhen. Sie ist bankenspezifisch, risikoorientiert und verhältnismässig umsetzbar und bettet sich in den internationalen Regulierungs- und Aufsichtsrahmen ein.
In Bezug auf die zukunftsgerichteten Stresstests stellt die Veröffentlichung der Resultate einen wichtigen, noch zu vertiefenden Aspekt dar. Während die Veröffentlichung grundsätzlich einen disziplinierenden Effekt ausübt, kann die Veröffentlichung negativer Ergebnisse aber krisenverstärkende Effekte mit sich bringen. Im besonders heiklen Liquiditätsbereich wurde bei der Einführung der TBTF-Anforderungen aufgrund dieser Überlegung auf die Notwendigkeit einer Veröffentlichung der bankindividuellen Zuschläge verzichtet.
Generelle Erhöhung der Sockelanforderung (LR oder RWA-Quote)
Eine weitere mögliche Massnahme ist eine allgemeine, deutliche Erhöhung der Eigenmittelanforderungen. Unter anderem in parlamentarischen Vorstössen 9⁵ wurde etwa angeregt, die LR-Anforderung für G-SIBs deutlich anzuheben. Eine Alternative ist eine Erhöhung der risikogewichteten Sockelanforderung (Mindesteigenmittel und Eigenmittelpuffer).
Die Leverage Ratio ist zusätzlich zu den risikogewichteten Eigenmittelanforderungen als einfaches Mass zur Begrenzung der Verschuldung konzipiert (sog. Backstop ). Sie ist jedoch nicht als grundsätzlich bindendes Mass vorgesehen, da sie die von der Bank eingegangenen Risiken nicht detailliert berücksichtigt. Eine alleinige massive Erhöhung der LR-Anforderungen würde das bestehende System aushebeln. Sie müsste daher mit einer deutlichen Erhöhung der risikogewichteten Eigenmittelanforderungen kombiniert werden.
Der Vorteil dieser Massnahme wäre, dass jede Erhöhung der Anforderungen an die Eigenmittel für SIBs grundsätzlich deren Widerstandsfähigkeit stärkt. Allfällige Verluste können besser aufgefangen werden, wodurch sich die Konkurswahrscheinlichkeit für die SIB reduziert. Damit verringert sich die Eintrittswahrscheinlichkeit einer von einer Schweizer SIB (mit-)verursachten Finanzkrise, die die Finanzmarktstabilität gefährdet und potenziell schwerwiegende Folgen für die Volkswirtschaft hat.
Gleichzeitig ist in Betracht zu ziehen, dass Schweizer SIBs je nach Geschäftsfeld im Wettbewerb zu aus- und inländischen Banken stehen. Da Eigenmittelanforderungen auch mit Kosten für die Bank verbunden sind, muss bei der Ausgestaltung der Anforderungen auch auf die Verhältnismässigkeit geachtet werden. Ein abschliessendes Urteil über die genauen Auswirkungen erhöhter Eigenmittelanforderungen ist schwierig.
Grundsätzlich stehen Kosten, die bei den betroffenen Banken und ihrer Kundschaft anfallen, dem Nutzen einer höheren Finanzstabilität gegenüber. Aufgrund der überwiegend positiven Effekte auf die Finanzstabilität erachten Ammann et al. in ihrem Gutachten 9⁶ eine massvolle, aber doch substanzielle Erhöhung der Anforderungen als zielgerichtete, gut verständliche und transparente Lösung. Im Gegensatz dazu drängen sich für die Expertengruppe «Bankenstabilität» keine erhöhten Anforderungen auf.
Gegen eine generelle Erhöhung der Eigenmittelanforderungen spricht, dass sie im Vergleich zu anderen möglichen Massnahmen zur Erhöhung der Eigenmittel weniger zielgerichtet das TBTF-Dispositiv stärkt. Eine massive Erhöhung der Eigenmittelanforderungen müsste aufgrund der Auswirkungen auf den Wettbewerb und der Verhältnismässigkeit nebst den SIBs auch weitere Bankenkategorien umfassen. Die Eigenmittelanforderungen für den Schweizer Bankensektor insgesamt werden aber aufgrund der Umsetzung der finalen Basel-III-Standards bereits grundlegend revidiert und risikosensitiver gestaltet. Eine weitere generelle Überarbeitung der Eigenmittelregulierung für alle Banken in einem Schweizer Alleingang drängt sich vor diesem Hintergrund nicht auf. 9⁷
9⁵ Zum Beispiel
Motion 21.3910.
9⁶ Ammann et al.,
Reformbedarf in der Regulierung von «
Too Big to Fail
»-Banken
, S. 46.
9⁷ Expertengruppe Bankenstabilität 2023,
Reformbedarf nach dem Untergang der Credit Suisse
, 1. Sept. 2023, S. 82.
Erhöhung der Eigenmittelanforderungen über eine verschärfte progressive Komponente
Als weitere Massnahme können die progressiven Zuschläge für die Grösse und den Marktanteil einer SIB sowohl in Bezug auf die RWA-Quote als auch in Bezug auf die LR (Art. 129 Abs. 2 bzw. Anhang 9 ERV) erhöht werden. Die Erhöhung der progressiven Komponente wirkt sich bei SIBs und insbesondere G-SIBs - ohne weitere Anpassungen der geltenden Regulierung - sowohl auf die Anforderungen an die Finanzgruppe als auch auf die Anforderungen an jede Einheit der Gruppe in der Schweiz aus.
Durch eine Verstärkung der Progression können Anreize gesetzt werden, dass sich SIBs und insbesondere eine G-SIB tendenziell nicht zu sehr vergrössern bzw. in einem solchen Fall überproportional Eigenmittel aufweisen müssen. Damit können die Risiken für die Schweizer Volkswirtschaft verringert werden. In diesem Sinne wirkt die Massnahme zielgerichteter als eine generelle massive Erhöhung der Eigenmittel.
Allerdings ist festzuhalten, dass die progressiven Zuschläge bereits heute erhebliche Auswirkungen auf die Eigenmittelanforderungen haben. Insgesamt erscheint der Beitrag dieser Massnahme zur Stärkung des TBTF-Dispositivs im Vergleich zu einer höheren Eigenmittelunterlegung von Beteiligungen einer Parent-Bank weniger dringlich und weniger zielgerichtet.
Höhere progressive Zuschläge wirken sich ferner auch auf den Wettbewerb in der Schweiz aus. SIBs und insbesondere Schweizer Tochtergesellschaften von G-SIBs unterliegen auch im nationalen Markt prozentual höheren Anforderungen als andere Banken. Dass die Schweizer Tochtergesellschaft einer G-SIB höheren Anforderungen unterliegt als eine nicht international tätige SIB oder andere national ausgerichtete Banken, lässt sich zwar begründen, aber bei einer weiteren Verschärfung der progressiven Zuschläge sind die Unterschiede unter Umständen nicht mehr vertretbar.
Einfachere, intuitivere Kapitalstruktur
Die risikogewichteten Eigenmittelanforderungen können als weitere Massnahme ganz generell vereinfacht werden. Denkbar sind etwa lediglich zwei Komponenten: Eine Mindestanforderung (z. B. 10 Prozent CET1-Quote) und ein einziger Puffer (mindestens 3 Prozent der RWA in Form von CET1). Dabei wäre sicherzustellen, dass die quantitativen Anforderungen im Vergleich zu heute nicht sinken.
Ein Vorteil dieser Massnahme ist die einfache Nachvollzierbarkeit und Überprüfbarkeit der Einhaltung dieser Anforderungen sowie eine transparente Wiedergabe der Verlustabsorptionsfähigkeit. Ein Nachteil wäre allerdings, dass auf die progressive Komponente verzichtet würde, womit keine Anreize mehr gesetzt würden, dass eine SIB sich tendenziell nicht zu sehr vergrössert bzw. in einem solchen Fall überproportional Eigenmittel aufweisen muss. Ein weiterer Nachteil ist die Abweichung vom internationalen Standard und dadurch eine erschwerte Vergleichbarkeit der Anforderungen. Die Massnahme stellt keine zielgerichtete Stärkung des TBTF-Dispositivs dar. Zudem stellt sich die Frage nach einer geeigneten proportionalen Umsetzung für SIBs im Verhältnis zu den übrigen Banken.
Vorsichtige Bewertung und Werthaltigkeit von Bilanzpositionen
Die Qualität und Transparenz der regulatorischen Eigenmittel kann durch strengere Regeln im Bereich Prudent Valuation Adjustments (PVA) erhöht werden. Die regulatorische Behandlung von in Krisen nicht hinreichend werthaltigen Aktiva wie Software, latenten Steueransprüchen ( Deferred Tax Assets ) und auch stillen Lasten auf bis zur Fälligkeit gehaltenen ( Held-to-Maturity ) Vermögenswerten kann geschärft werden.
Damit zusammenhängend ist bei dieser Massnahme zu prüfen, ob die Vorgaben des BCBS in Bezug auf die vorsichtige Bewertung 9⁸ von den Schweizer Banken genügend vorsichtig umgesetzt werden oder ob es diesbezüglich in der Schweizer Regulierung griffigere Regeln braucht, wie sie z. B. in der EU gelten.
Diese Massnahme trägt einerseits zur Transparenz und damit zum Vertrauen der Märkte in die Eigenmittelausstattung von Banken und insbesondere von SIBs bei. Ein weiterer Vorteil ist, dass in Krisen negative Überraschungen aufgrund von Neubewertungen reduziert werden. Zudem werden in gezielten Bereichen bei Banken, die - wie die Credit Suisse - den Bewertungsspielraum aggressiv ausschöpfen, die Eigenmittel erhöht.
9⁸ BIZ, Basel Framework, Prudent valuation guide,
CAP 50
.
AT1-Instrumente
Risikotragende Funktion im Going Concern stärken
Ziel dieser Massnahme ist es zu gewährleisten, dass AT1-Instrumente wie im internationalen Standard vorgesehen, und besser als heute, ihre risikotragende Funktion im Going Concern erfüllen.
Auf internationaler Ebene kann dies unter anderem durch eine Anpassung der kollektiven Aufsichtspraxis erreicht werden. Wenn das Ersetzen von AT1-Anleihen durch die Emittentin generell nur noch im Ausnahmefall und nicht mehr im Regelfall zugelassen wird, dann werden sich auch die Markterwartungen, wo dies erforderlich ist, anpassen. Dann wird es auch in einer Krise besser möglich sein, auf eine kostspielige Erneuerung dieser Anleihen zu verzichten, ohne damit ein ausserordentliches Signal der Schwäche auszusenden.
Zudem können zukünftig auch in den regulatorischen Anforderungen die Bedingungen dafür weiter präzisiert und geschärft werden, unter welchen Voraussetzungen Anleihen als AT1-Kapital anrechenbar sind. Eine bessere Verlusttragfähigkeit im Going Concern bzw. in einer Stabilisierungsphase könnte etwa gewährleistet werden durch:
-
ein Verbot von Coupon-Zahlungen und von Rückkäufen nach anhaltenden Verlusten gemäss klaren Kriterien (z. B. zwei Quartale in Folge); oder
-
durch eine Erhöhung des Triggers z. B. auf eine CET1-Quote von mindestens 10 Prozent.
Diese Überlegungen sind auch auf internationaler Ebene einzubringen, da eine solche Anpassung idealerweise global umgesetzt wird. Auch der BCBS sieht eine Stärkung der risikotragenden Funktion von AT1-Instrumenten als zentrale Massnahme vor. 9⁹
9⁹ BCBS,
Report on the 2023 banking turmoil
, Okt. 2023.
Nur noch Wandlungsinstrumente zulassen
Zur Entschärfung der teilweise geäusserten Kritik, dass im heutigen Rechtsrahmen unter gewissen Voraussetzungen bei Write-off - AT1-Anleihen nicht die in den meisten anderen Umständen zu erwartende Gläubigerhierarchie zur Anwendung kommt, könnten die regulatorischen Anforderungen so angepasst werden, dass nur noch Wandlungs- und keine Write-off-AT1-Instrumente mehr zugelassen werden. Alternativ kann auch lediglich die FINMA-Praxis angepasst werden.
Mit dieser Massnahme wird jedoch die risikotragende Funktion der AT1-Instrumente nicht gestärkt. Die Massnahme leistet damit keinen entscheidenden Beitrag zur Stärkung des TBTF-Dispositivs. Zudem müssten verschiedene Umsetzungsfragen berücksichtigt werden, namentlich bei Banken in Staatsbesitz. Eine solche Massnahme stellt zudem einen Schweizer Alleingang in Abweichung vom BCBS-Standard dar.
Ersatz von AT1-Anforderungen durch entsprechende CET1-Anforderungen
Diese Massnahme zielt darauf ab, die zur Erfüllung der Going-Concern-Anforderungen erforderliche Kapitalqualität zu erhöhen, während die Höhe und Struktur der bestehenden Eigenmittelanforderungen beibehalten wird. Konkret sollen bei dieser Massnahme die Going-Concern-Anforderungen nur noch mit CET1 erfüllt werden, eine Anrechnung von AT1-Instrumenten ist nicht mehr möglich.
Ein Vorteil dieser Massnahme ist, dass die Anforderungen vereinfacht und transparenter werden. Die dargelegten Kritikpunkte an der Verlusttragfähigkeit von AT1-Instrumenten im Going Concern würden bei der Abschaffung dieser Instrumente naturgemäss entfallen. Durch die höhere Kapitalqualität würde zudem das Vertrauen von Fremdkapitalgebern (inkl. Einlegern) in die Bank steigen. Bezüglich der Kosten von Eigenkapital im Verhältnis zu Fremdkapital vertritt das Gutachten Ammann et al. die Ansicht, dass die Unterschiede vernachlässigbar sind. 10⁰
Mit einer solchen Anpassung würde die Schweiz allerdings grundlegend vom internationalen Standard und der Praxis in anderen Jurisdiktionen abweichen. Die Auswirkungen beträfen den ganzen Bankensektor. Die Vergleichbarkeit der Eigenmittel-Kennzahlen würde erschwert und insbesondere die international tätigen Banken hätten nicht mehr gleich lange Spiesse im Wettbewerb.
10⁰ Ammann et al.,
Reformbedarf in der Regulierung von «
Too Big to Fail
»-Banken
, 19. Mai 2023, S. 42.
Weiterführung der bisherigen steuerlichen Behandlung von Eigen- und Fremdkapital
Exkurs: Steuerliche Behandlung von Eigen- und Fremdkapital
Unternehmen können ihren Finanzierungsbedarf mittels neuem Eigenkapital von aussen (Beteiligungsfinanzierung), aus einbehaltenen Gewinnen von innen (Selbstfinanzierung) oder durch Fremdkapital (Fremdfinanzierung) decken.
Wie diese alternativen Finanzierungswege steuerlich belastet werden, hängt vom Typ des Investors ab. Für ausländische Investoren sowie für diejenigen inländischen Investoren (wie z. B. institutionelle Investoren), die auf Haushaltsebene nicht steuerpflichtig sind, ist einzig die Steuerbelastung auf Unternehmensebene relevant. Demgegenüber spielt für inländische natürliche Personen nicht nur die Vorbelastung durch die Steuern auf Unternehmensebene, sondern zusätzlich auch die Belastung durch die Steuern auf Haushaltsebene eine Rolle.
Tabelle 4 zeigt, durch welche Steuern auf Unternehmens- und auf Haushaltsebene die verschiedenen Finanzierungswege belastet werden.
Auf Unternehmensebene bleibt die Fremdfinanzierung unbelastet, da die Fremdkapitalzinsen als Aufwand von der Bemessungsgrundlage der Gewinnsteuer abgezogen werden können. Erfolgt die Finanzierung mittels Eigenkapital, vermindert sich die Bemessungsgrundlage der Gewinnsteuer hingegen nicht, sodass die Eigenkapitalfinanzierung bei erwirtschafteten Gewinnen durch die Gewinnsteuer belastet wird. Die Kapitalsteuer erhöht diese Belastung noch zusätzlich. Die Emissionsabgabe auf Eigenkapital wird nur auf von aussen zugeführtem Eigenkapital erhoben und belastet daher nur die Beteiligungsfinanzierung, während die Selbstfinanzierung von dieser Abgabe unberührt bleibt.
Tabelle 4
Steuern auf Unternehmens- und Haushaltsebene
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Auf Unternehmensebene ergibt sich somit das Bild, dass die Beteiligungsfinanzierung den teuersten Finanzierungsweg darstellt, gefolgt von der Selbstfinanzierung, wohingegen die Fremdfinanzierung steuerlich weitgehend unbelastet bleibt bzw. gar entlastet wird.
Die Verrechnungssteuer belastet inländische Investoren einzig durch den Zinseffekt zwischen dem Zeitpunkt der Erhebung und dem Zeitpunkt der vollständigen Rückerstattung. Betroffen ist die Beteiligungsfinanzierung durch die Verrechnungssteuer auf Dividenden und die Fremdfinanzierung durch die Verrechnungssteuer auf Zinsen. Bei ausländischen Investoren hängt die Belastung durch die Verrechnungssteuer vom Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) mit dem Partnerstaat ab. Fehlt ein DBA, belastet die Verrechnungssteuer vollumfänglich (35 Prozent). Mit DBAs strebt die Schweiz bei Zinsen eine Nullbesteuerung an, sodass die Verrechnungssteuer bei vielen DBAs vollumfänglich rückforderbar ist und keine Residualsteuer verbleibt. Bei Dividenden wird im Fall von Direktinvestitionen typischerweise ebenfalls keine Residualsteuer erhoben (gewichtige Ausnahme: USA mit Residualsteuer von 5 Prozent). Demgegenüber beträgt die Residualsteuer auf Dividenden aus Portfolioinvestitionen in einem typischen DBA 15 Prozent.
Auf Haushaltsebene belastet die Vermögenssteuer die Finanzierungswege im Wesentlichen gleich. Die Fremdkapitalzinsen werden von der Einkommenssteuer ungeschmälert erfasst, sodass die Einkommenssteuer die Fremdfinanzierung voll belastet. Dies gilt auch für die Beteiligungsfinanzierung, sofern die Investorin oder der Investor nicht von der Teilbesteuerung ausgeschütteter Gewinne profitieren kann. Auch bei der Selbstfinanzierung fallen auf Haushaltsebene Steuern an, da die Einbehaltung von Gewinnen den Wert des Unternehmens steigert. Kapitalgewinne bleiben in der Schweiz im Allgemeinen steuerfrei, sodass die Selbstfinanzierung auf Haushaltsebene typischerweise nur durch die Vermögenssteuer bei der Veräusserung von Beteiligungspapieren belastet wird.
Bei der kumulierten Belastung auf Unternehmens- und Haushaltsebene erweist sich wegen der Steuerfreiheit der Kapitalgewinne die Selbstfinanzierung als die günstigste Finanzierungsform. Für Investorinnen und Investoren, die von der Teilbesteuerung ausgeschütteter Gewinne profitieren (da sie mindestens 10 Prozent des Eigenkapitals halten), ist die zweitgünstigste Finanzierung meist die Beteiligungsfinanzierung. Bei Investoren ohne Teilbesteuerung ist die Reihenfolge anders herum, weil die Fremdfinanzierung meist günstiger ist als die Beteiligungsfinanzierung, aufgrund der Vorbelastung durch die Gewinnsteuer und der ungemilderten Besteuerung der Dividenden.
Tabelle 5 fasst zusammen, welche Finanzierungswege für welche Investorentypen aufgrund der Steuerbelastung vorzuziehen sind. Der jeweils günstigste Finanzierungweg steht dabei an erster Stelle, der ungünstigste an dritter Stelle.
Tabelle 5
Attraktivität der Finanzierungswege nach Investorentyp
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Weiterführung der geltenden Ausnahme von der Verrechnungssteuer
Erträge aus TBTF-Instrumenten (z. B. Bail-in- oder Write-off-Bonds) sind derzeit von der Verrechnungssteuer befreit. SIBs müssen die TBTF-Instrumente gemäss aufsichtsrechtlichen Vorgaben aus einer Einheit mit Sitz in der Schweiz emittieren. Aufgrund des Mittelbedarfs im Vergleich zur Grösse des lokalen Finanzplatzes können bei Weitem nicht sämtliche Mittel bei inländischen Investorinnen und Investoren platziert werden. Die Ausnahme von der Verrechnungssteuer soll sicherstellen, dass Banken TBTF-Instrumente zu wettbewerbsfähigen Bedingungen aus der Schweiz heraus emittieren können. Dies ist zentral, da sich bei einer ungenügenden Möglichkeit zur Mittelbeschaffung negative Auswirkungen auf die Finanzstabilität ergeben können.
Bisher wurde die Ausnahme vom Parlament jeweils befristet erteilt (die aktuelle Frist läuft 2026 aus), da von einer grundsätzlichen Reform der Verrechnungssteuer ausgegangen wurde. Wirtschaftspolitisches Ziel dieser Reform war die Stärkung des Fremdkapitalmarkts. Sämtliche Anlegerinnen und Anleger sollten von der Verrechnungssteuer auf Obligationen befreit sein. Mit dem Inkrafttreten jener Reform wäre eine weitere Verlängerung der Geltungsdauer der Ausnahmen bei der Verrechnungssteuer für Zinsen aus TBTF-Instrumenten hinfällig geworden, da wettbewerbsfähige Rahmenbedingungen für sämtliche Anleihen geschaffen worden wären, so auch für TBTF-Instrumente. In der Volksabstimmung vom 25. September 2022 lehnten die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger die entsprechende Änderung 1⁰1 des Verrechnungssteuergesetzes vom 13. Oktober 1965 jedoch ab.
Somit ist eine unbefristete Verlängerung der Ausnahme nötig, um negative Auswirkungen auf die Finanzstabilität zu verhindern. Die Verlängerung der Privilegierung gegenüber den übrigen Unternehmensobligationen liegt damit im öffentlichen Interesse und ist daher verfassungskonform.
Um zu verhindern, dass es zwischen dem 1. Januar 2027 und dem Inkrafttreten der gesetzlichen Vorlage im Rahmen der vorgeschlagenen Massnahmen im vorliegenden Bericht zu einer Lücke kommt, ist zusätzlich eine zwischenzeitliche Verlängerung der Ausnahme nötig.
1⁰1
BBl
2021
3002
Fazit und vorgeschlagener Massnahmenmix im Bereich Eigenmittelanforderungen
Zunächst stellt sich die Frage, ob aufgrund der Analyse oder neuer Erkenntnisse zum TBTF-Dispositiv im Bereich der Eigenmittelanforderungen überhaupt Handlungsbedarf besteht. Aus Sicht des Bundesrats ist diese Frage aus mehreren Gründen zu bejahen. Auch wenn sich viele Elemente bewährt haben und bei der Krise der Credit Suisse - zumindest auf den ersten Blick - nicht die Kapitalisierung im Zentrum stand, hat sich einerseits die Ausgangslage verändert und andererseits haben sich neue Erkenntnisse ergeben.
Ein sinnvoller Massnahmenmix soll einen wirksamen Beitrag zur Krisenprävention leisten und - nicht zuletzt aus Wettbewerbsüberlegungen - passend in den internationalen Kontext eingebettet sein. Beim Massnahmenmix bezüglich der Eigenmittelanforderungen besteht zudem ein Zielkonflikt zwischen den Kriterien eines guten Kosten-Nutzen-Verhältnisses einerseits und der Allgemeingültigkeit, also der Wirksamkeit in diversen (Krisen-)Szenarien sowie Bankstrukturen, andererseits. Während generell erhöhte Eigenmittelanforderungen durch Anpassung der LR-Anforderungen oder über die risikogewichteten Anforderungen die Widerstandkraft aller Banken allgemein erhöhen, besteht die Gefahr, dass ihr Beitrag zur Stärkung des TBTF-Dispositivs wenig präzise und wenig effizient ist. Zu bevorzugen sind daher Massnahmen, die auf die Stärkung und Transparenz von Eigenmittelanforderungen von SIBs abzielen und auch bei komplexen Bankstrukturen Klarheit und im Krisenfall Handlungsspielraum verschaffen.
Die Krise der Credit Suisse hat verdeutlicht, dass eine SIB zwar die Eigenmittelanforderungen erfüllen, aber dennoch vor dem Konkurs stehen kann. Dies liegt unter anderem daran, dass die Eigenmittelanforderungen nicht zukunftsgerichteter Natur sind. Der Massnahmenmix soll daher ein zukunftsgerichtetes Element einführen, das diverse Faktoren berücksichtigt und thematisch breit aufgestellt ist.
Diese Massnahme ist in den internationalen Rahmen eingebettet und lässt sich sehr risikoorientiert und institutsspezifisch umsetzen, was angesichts der heterogenen Voraussetzungen der Schweizer SIBs sinnvoll erscheint. Konkret sollen basierend auf Stresstests institutsspezifische Eigenmittelzuschläge (Säule-2-Zuschläge) für SIBs ermittelt werden. Durch eine Veröffentlichung der jeweiligen Stressszenarien und Resultate kann mit diesem Instrument auch die Transparenz über die Kapitalisierung der betroffenen Banken erhöht werden. Dieser Stresstest ist neu gesetzlich zu verankern.
Die Analyse hat gezeigt, dass insbesondere bei den Parent-Banken ungenügend Eigenmittel vorhanden sind, damit die Bank in einer Krise effektive Mitigierungsmassnahmen (z. B. Verkauf von insbesondere ausländischen Geschäftseinheiten) umsetzen kann. Zudem ist die Kapitalisierung der Parent-Bank generell und insbesondere im Szenario einer Abwicklung eine Schwachstelle im TBTF-Dispositiv. Die effektivste und zielgerichtetste Massnahme für eine stärkere Kapitalisierung der Parent-Banken ist daher eine deutliche Erhöhung der Risikogewichte für ausländische Beteiligungen innerhalb einer Finanzgruppe oder alternativ ein Beteiligungsabzug für solche Beteiligungen. Damit werden auch Anreize für die Reduktion von konzerninternen Verflechtungen gesetzt und die Erfolgswahrscheinlichkeit für eine Sanierung wird erhöht.
Diese Massnahme ist ein zentrales Element des Massnahmenmix und führt bei strikter Umsetzung zu einer substanziellen Eigenmittelerhöhung insbesondere auf Gruppenstufe von G-SIBs. Bislang wurde im TBTF-Dispositiv aufgrund der potenziell hohen Auswirkungen auf eine strikte Umsetzung dieser Massnahme verzichtet. In der neuen Ausgangslage mit einer einzig verbliebenen, im Verhältnis zum BIP wieder vergrösserten G-SIB ist eine stärkere, womöglich im internationalen Vergleich überdurchschnittliche Eigenmittelausstattung jedoch erwünscht und stellt in der globalen Vermögensverwaltung auch ein Signal der Stärke dar.
Weiter ist als sinnvolle und gezielte Massnahme die Behandlung von in Krisen kaum werthaltigen Aktiva zu prüfen und zu verschärfen. Damit wird die Qualität der Eigenmittelunterlegung insbesondere in Krisen gestärkt.
Die dargelegten Massnahmen führen zu einer erheblichen Erhöhung der Eigenmittel der SIBs und insbesondere der einzig verbleibenden G-SIB. Zu beachten ist dabei, dass die Anforderungen an die UBS bereits aufgrund der heute bestehenden progressiven Zuschläge deutlich zunehmen. Weiter führen bei der UBS die Umsetzung der finalen Basel-III-Standards sowie der Wegfall gewisser der Credit Suisse gewährter Erleichterungen («regulatorische Filter») zu höheren Anforderungen und damit höheren Eigenmitteln.
Aus Gründen der Verhältnismässigkeit, der Einbettung in den internationalen Rahmen, der wirtschaftlichen Umsetzbarkeit sowie einer weniger gezielten Wirkung soll daher auf weitere geprüfte quantitative Massnahmen, wie eine generelle Erhöhung der Leverage-Ratio-Anforderungen oder höhere progressive Zuschläge, verzichtet werden.
Schliesslich stellt sich aufgrund der Analyse die Frage nach allfälligen Massnahmen im Bereich der AT1-Instrumente. Im Einklang mit internationalen Bestrebungen ist in erster Linie die risikotragende Funktion im Going Concern zu stärken, z. B. mittels eines Verbots von Coupon-Zahlungen und Rückkäufen nach anhaltenden Verlusten oder durch eine Erhöhung des Triggers.
Zudem ist die nach 2026 auslaufende Ausnahme von TBTF-Instrumenten von der Verrechnungssteuer zu verlängern, um die Wettbewerbsfähigkeit von Schweizer Emissionen weiterhin sicherzustellen (siehe Kap. 7.5.8.2).
Liquiditätsanforderungen
Einleitung
Zur Sicherstellung der Stabilität einer SIB braucht es neben einer ausreichenden Ausstattung mit Eigenmitteln und zusätzlichen verlustabsorbierenden Mitteln eine ausreichende Liquiditätsausstattung und solide Liquiditätsquellen.
Banken üben mit der sogenannten Fristentransformation eine volkswirtschaftlich wichtige Funktion aus. So stellen sie beispielsweise Haushalten und Unternehmen langfristige Kredite zur Verfügung und investieren dadurch in vergleichsweise illiquide Vermögenswerte. Gleichzeitig nehmen Banken von Kunden Sichteinlagen entgegen, die kurzfristig abziehbar sind. Wenn mehr Einleger als erwartet ihre Sichteinlagen abziehen und es sich dabei um einen insgesamt wesentlichen Betrag handelt, kann dies eine grundsätzlich solvente Bank in Schieflage bringen. Dies weil ihre Vermögenswerte z. B. in Form von vergebenen Krediten langfristig gebunden sind und somit nicht innert kurzer Frist für die Finanzierung der Einlagenabzüge zur Verfügung stehen. Eine Bank ist somit vulnerabel gegenüber Liquiditätsrisiken, weil sie im Krisenfall gezwungen wäre, ihre illiquiden Aktiven unter hohem Verlust zu verkaufen.
Diese Problematik wird in der geltenden Liquiditätsregulierung mittels zweier sogenannter Verteidigungslinien angegangen:
Liquiditätsanforderungen (erste Verteidigungslinie): SIBs sollen - wie alle Banken - ihren Liquiditätsbedarf in der ersten Verteidigungslinie durch ihren eigenen Bestand an liquiden Mitteln und durch Liquiditätsquellen am Markt decken. Daher müssen sie in Erfüllung der in der LiqV verankerten Mindestanforderungen ausreichend Liquidität vorhalten, um Zahlungsverpflichtungen in Stresszeiten nachkommen zu können. SIBs müssen dabei im Vergleich zu den übrigen Banken seit dem 1. Januar 2024 rechtlich geregelte zusätzliche Liquiditätspuffer halten (sog. TBTF-Liquiditätsanforderungen). Damit wird für SIBs die Stärkung der bankeigenen Liquiditätshaltung als erste Verteidigungslinie bereits umgesetzt.
Lender of Last Resort (zweite Verteidigungslinie): Auch mit den erwähnten TBTF-Liquiditätsanforderungen sind Situationen denkbar, in denen die bankeigenen liquiden Mittel nicht ausreichen, um den Liquiditätsbedarf zu decken. In der zweiten Verteidigungslinie kann unter gewissen Voraussetzungen über die ausserordentliche Liquiditätshilfe ( Emergency Liquidity Assistance , ELA) der SNB weitere Liquidität bereitgestellt werden. Die ausserordentliche Liquiditätshilfe steht aber nur gegen ausreichende Sicherheiten zur Verfügung (vgl. Art. 5 Abs. 2 Bst. e i. V. m. Art. 9 Abs. 1 Bst. e des Nationalbankgesetzes vom 3. Okt. 2003 1⁰2 , NBG), wobei der Begriff «ausreichend» in den geltenden gesetzlichen Grundlagen nicht weiter spezifiziert wird. Es liegt an der SNB, die Bedeutung von «ausreichend» zu definieren.
PLB (dritte Verteidigungslinie): Mit der Gesetzesvorlage vom 6. September 2023 1⁰3 soll künftig mit dem PLB eine dritte Verteidigungslinie für SIBs bereitstehen. Diese ist notwendig, weil trotz der ersten beiden Verteidigungslinien nicht ausgeschlossen werden kann, dass Liquiditätsabflüsse bei einer grundsätzlich solventen Bank ein Ausmass annehmen, das die verfügbaren Sicherheiten übersteigt. Insbesondere die zusätzliche Volatilität, die durch das hohe Tempo der digitalen Informationsvermittlung und des digitalen Bankings erzeugt wird, schafft hier neue Herausforderungen. Dadurch könnte einer SIB - auch wenn sie die regulatorischen Eigenmittelanforderungen erfüllt und solvent ist - der Konkurs aufgrund von Liquiditätsproblemen drohen.
Mit dem PLB wird das Ziel verfolgt, das Vertrauen der Marktteilnehmer in die erfolgreiche Fortführung der SIB schon im Voraus zu erhöhen. Ebenso soll mit einem PLB temporär und unter gewissen Voraussetzungen die notwendige Liquidität bereitgestellt werden können, um eine Sanierung oder Liquidation bei Weiterführung der systemrelevanten Funktionen zu ermöglichen.
Diese drei Verteidigungslinien werden im Folgenden separat diskutiert. Zunächst erfolgt eine Vertiefung der Liquiditätsanforderungen. In den darauffolgenden Kapiteln findet eine Diskussion um die Ausgestaltung des LoLR und des PLB statt.
1⁰2
SR
951.11
1⁰3
BBl
2023
2165
Ausgangslage
Als Lehre aus der Finanzkrise 2007/08 wurden in der Schweiz die Liquiditätsanforderungen für alle Banken angepasst und zusätzlich besondere Liquiditätsanforderungen für SIBs eingeführt. Das revidierte Liquiditätsregime trat am 1. Januar 2013 in Kraft. Damit passte die Schweiz zeitnah nach der Finanzkrise die 1988 eingeführten Liquiditätsvorschriften an und führte strengere und risikogerechtere Anforderungen ein. Dies erfolgte, ohne die internationalen Entwicklungen abzuwarten, und führte für alle Banken schliesslich zur Liquiditätsquote ( Liquidity Coverage Ratio , LCR) des BCBS, die in der Schweiz am 1. Januar 2015 in Kraft trat.
Über die für alle Banken hinausgehenden Anforderungen wurde für SIBs das 2013 eingeführte Liquiditätsregime durch ein neues Regulierungskonzept ersetzt, das am 1. Juli 2022 in Kraft trat.
Im Folgenden werden die Liquiditätsanforderungen für SIBs dargelegt. In den darauffolgenden Kapiteln werden diese sowie die für alle Banken geltenden Liquiditätsanforderungen (LCR, NSFR) diskutiert.
Anforderungen für SIBs gültig von 2013 bis 2022
Kernelement des 2013 in der LiqV für SIBs eingeführten Liquiditätsregimes war ein Stressszenario, das eine allgemeine Krise an den Finanzmärkten und gleichzeitig einen Vertrauensverlust der Gläubigerschaft betreffend die Bank umfasste. Die entsprechenden Liquiditätsanforderungen verlangten, dass jede SIB in der Lage ist, die in diesem Szenario geschätzten Abflüsse für ein 7-Tages- sowie ein 30-Tages-Szenario decken zu können. Dafür war insbesondere eine angemessene Reserve erstklassiger liquider Aktiven zu halten. Konzeptionell griff das Regime damit vielen Aspekten der später für alle Banken eingeführten LCR vor. Es wurde dabei jedoch ein grundsätzlich konservativeres Szenario unterstellt, und der Liquiditätspuffer wurde breiter definiert.
Artikel 52 BankG sieht eine periodische Überprüfung der Bestimmungen für SIBs vor. Mit dem Evaluationsbericht vom 3. Juli 2019 1⁰4 gab der Bundesrat dem EFD den Auftrag, eine vertiefte Analyse der Liquiditätsanforderungen für SIBs vorzunehmen. Die Analyse wurde in Zusammenarbeit mit der FINMA und der SNB erstellt und ergab, dass die in der LiqV seit 2013 verankerten besonderen Liquiditätsanforderungen für SIBs unzureichend waren. Sie führten im Vergleich zu der für alle Banken geltenden Anforderung einer LCR von 100 Prozent nicht durchgehend zu einer höheren Liquiditätshaltung. Damit war die vom Bankengesetz verlangte höhere Widerstandsfähigkeit der SIBs gegen Liquiditätsschocks nicht gewährleistet. Insbesondere war der Liquiditätsbedarf einer SIB für den Fall einer Sanierung oder Liquidation nicht angemessen gedeckt.
Die LiqV wurde in der Folge überarbeitet. Per 1. Juli 2022 setzte der Bundesrat ein neues Liquiditätskonzept für SIBs mit angepassten Liquiditätsanforderungen in Kraft, das von den betroffenen Instituten bis Ende 2024 vollständig zu erfüllen ist. 1⁰5 Während der Übergangsfrist von Juli 2022 bis Dezember 2024 dürfen die Liquiditätsanforderungen, die die FINMA im Rahmen der Aufsicht festlegte, nicht unterschritten werden. Die neuen Bestimmungen für SIBs müssen gemäss Artikel 31 c Absatz 3 LiqV bis Ende 2026 auf ihre Wirksamkeit hin überprüft werden.
1⁰4
BBl
2019
5385
1⁰5 Das Konzept sieht Grundanforderungen und institutsspezifische Zusatzanforderungen vor (siehe nachfolgendes Kap.). Die Grundanforderungen müssen seit dem 1. Jan. 2024 erfüllt werden. Für die institutsspezifischen Zusatzanforderungen gilt im Fall eines Liquiditätsaufbaubedarfs eine Übergangsfrist mit schrittweiser Einführung bis zum 31. Dez. 2024. Von der FINMA festgelegte, individuell erhöhte Anforderungen sind bis dahin weiterhin relevant, sofern die Grundanforderungen diese nicht übertreffen.
Angepasste Anforderungen für SIBs in Kraft seit Juli 2022
Das angepasste Regulierungskonzept 1⁰6 für SIBs baut auf der für alle Banken geltenden LCR auf. Insbesondere müssen SIBs für eine 90 (statt 30) Tage dauernde Liquiditätskrise gewappnet sein. Dabei wird von einem 60-tägigen Zusatzszenario ausgegangen, das an den bereits regulatorisch verankerten 30-Tage-Stress der LCR anknüpft.
Über den 30-tägigen Stress der LCR hinausgehend umfasst die angepasste Regulierung Grund- und institutsspezifische Zusatzanforderungen für SIBs.
Die Grundanforderungen decken Risiken ab, die in den für alle Banken geltenden Bestimmungen zu wenig berücksichtigt sind. So wird einerseits von geringeren Zu-flüssen - also von einer Verlängerung - von fällig werdenden Krediten ausgegangen. 1⁰7 Andererseits müssen SIBs genügend anrechenbare Vermögenswerte halten, um den Liquiditätsbedarf aufgrund von Risiken aus einer Anhäufung von Mittelabflüssen unmittelbar ab Kalendertag 31 (Klippenrisiken) und einem Stressszenario mit einem 90-Tage-Horizont zu decken.
Das 60-Tage-Szenario beruht auf der Annahme, dass sich die Situation der betroffenen Bank, nach Feststellung der drohenden Insolvenz (PONV) durch die FINMA am 30. Tag des Stressszenarios und unmittelbar anschliessend ergriffenen Massnahmen der FINMA, allmählich stabilisiert. Die Liquiditätsanforderungen gehen folglich davon aus, dass die betroffene SIB die Krise erfolgreich übersteht und ihre Aktivitäten trotz möglicherweise reduziertem oder geändertem Geschäftsmodell weiterführen kann. Im 60-Tage-Szenario wird dies durch abnehmende Nettomittelabflüsse vom 31. bis zum 90. Tag reflektiert.
Die Anforderungen aus dem 90-Tage-Horizont können über die in der LCR angerechneten qualitativ hochwertigen, liquiden Aktiven (sog. High Quality Liquid Assets , HQLA gemäss Art. 15 LiqV) hinaus mit weiteren, weniger liquiden oder sich nicht unter Kontrolle des zentralen Liquiditätsmanagements befindlichen Wertschriften gedeckt werden. Für diese Vermögenswerte sind allerdings erhöhte Wertabschläge in der LiqV definiert.
Neben den erhöhten Grundanforderungen kann die FINMA zusätzlich institutsspezifische Zuschläge festlegen. Die dabei abzudeckenden Sachverhalte sind in Artikel 25 LiqV nicht abschliessend aufgeführt. Sie umfassen namentlich Risiken, die aus folgenden Sachverhalten entstehen:
-
Bedarf an Innertagesliquidität;
-
Ersteinschusszahlungen ( initial margins ) ;
-
Margenanforderungen bei ausserbörslich gehandelten und über zentrale Gegen-parteien abgewickelten Wertpapierfinanzierungsgeschäften;
-
Rückkauf eigener Schuldinstrumente ( debt buy-back );
-
wesentliche Finanzierung einer Gruppengesellschaft durch Tochtergesellschaften;
-
nicht risikoproportionale Liquiditätsverteilung innerhalb der Finanzgruppe;
-
Liquiditätsbedarf für eine allfällige Sanierung oder Liquidation;
-
ungenügendes Risikomanagement in Bezug auf die Liquidität.
Bei der Bestimmung der Anforderungen berücksichtigt die FINMA u. a. die Schätzungen der Banken zu den einzelnen Sachverhalten. Banken können bei der FINMA beantragen, dass zur Deckung der Zuschläge weitere liquiditätsgenerierende Massnahmen angerechnet werden, mittels derer die Bank im Krisenfall Liquidität beschaffen kann. Diese sogenannten Abschläge dürfen in der Summe nicht höher als die Summe der Zuschläge sein.
Um dem Ziel eines Liquiditätspuffers gerecht zu werden, müssen die neuen TBTF-Liquiditätsanforderungen auf täglicher Basis nicht immer vollständig erfüllt werden. Dafür wird ein rollender Durchschnitt betrachtet. Konkret muss der tägliche Durchschnitt des Liquiditätsbedarfs aus den Anforderungen der gleitenden Dreimonatsperiode, die mit dem Stichtag endet, jederzeit mit dem täglichen Durchschnitt der anrechenbaren Vermögenswerte dieser Periode gedeckt sein.
Damit sollen tägliche bzw. kurzfristige Schwankungen besser aufgefangen werden können. Auf täglicher Basis müssen die Liquiditätsanforderungen jedoch mindestens zu 80 Prozent mit anrechenbaren Vermögenswerten gedeckt sein. Ebenfalls wurde auf die Notwendigkeit einer Offenlegung der zusätzlichen TBTF-Anforderungen verzichtet, um die Nutzbarkeit des Puffers in einer Liquiditätskrise zu erleichtern. 1⁰8
Die revidierten Grundanforderungen müssen seit dem 1. Januar 2024 erfüllt werden. Für die institutsspezifischen Zusatzanforderungen gilt im Fall eines Liquiditätsaufbaubedarfs eine Übergangsfrist bis zum 31. Dezember 2024. Von der FINMA festgelegte, individuell erhöhte Anforderungen sind bis dahin weiterhin relevant, sofern die Grundanforderungen diese nicht übertreffen. Die erhöhten Anforderungen der FINMA waren als vorübergehende Lösung zur Stärkung der Liquidität von SIBs eingeführt worden und stellen u. a. sicher, dass es während der Übergangsfrist vom alten zum neuen Liquiditätsregime nicht zu einer Reduktion der gehaltenen hochliquiden Aktiva kommt. Die neuen Bestimmungen für SIBs müssen gemäss Artikel 31 c Absatz 3 LiqV bis Ende 2026 auf ihre Wirksamkeit hin überprüft werden.
1⁰6 Die neuen Anforderungen für SIBs in der LiqV traten auf den 1. Juli 2022 in Kraft, müssen von diesen aber erst seit dem 1. Jan. 2024 erfüllt werden (
AS
2022
359
). Vgl. Medienmitteilung des Bundesrats,
Bundesrat beschliesst für systemrelevante Banken Änderungen der Liquiditätsverordnung
, 3. Juni 2022.
1⁰7 Dies weil anzunehmen ist, dass die Bank keine Kunden verlieren will und somit ihr Kredit- und Hypothekarportfolio trotz der Krise vollständig weiterführen wird. Zudem kann eine Bank das Kreditvolumen in kurzer Frist nicht ohne negative Auswirkungen auf die Realwirtschaft in hohem Mass reduzieren.
1⁰8 EFD,
Erläuterungen zur Änderung der Liquiditätsverordnung
, 3. Juni 2022, S. 7.
Internationaler Vergleich
Im internationalen Vergleich handelt es sich bei der Schweizer Liquiditätsregulierung für SIBs um strenge Anforderungen. So kennt keine der führenden internationalen Jurisdiktionen wie UK, USA und EU regulatorisch vorgegebene Grundanforderungen ab dem 30. Kalendertag eines Liquiditätsstress-Szenarios. Insbesondere im UK und in der EU liegt der Fokus auf den Modellfähigkeiten zur Schätzung des Liquiditätsbedarfs und nicht darauf, im Voraus einen Puffer aufzubauen. Für den Fall, dass der Bedarf in der Sanierungs- oder Liquidationsphase die vorhandene Liquidität der Banken übersteigt, stehen in diesen Jurisdiktionen Public Liquidity Backstops zur Verfügung.
Im UK gibt es verschiedene sogenannte Säule-2-Zuschläge für Risiken, die durch die LCR nicht abgedeckt sind. Diese Komponente ist dabei mit jener der institutsspezifischen Zuschläge der Schweizer Regulierung vergleichbar. In diesem Rahmen betrachtet die Prudential Regulation Authority (PRA) ebenfalls ein 90-Tage-Stressszenario. 1⁰9 Die Höhe der Zuschläge ist dabei wie in der Schweiz nicht öffentlich.
In den USA verlangen die Vorgaben für den US-Titel I Resolution Plan im Liquiditätsbereich u. a., dass der Liquiditätsbedarf aller operativen Einheiten über eine Abwicklungsperiode von mindestens 60 Tagen nach Eintritt des Konkurses oder behördlicher Abwicklungsmassnahmen modelliert und ein entsprechender Liquiditätspuffer gehalten wird. 11⁰
In der EU erstreckt sich das von der Europäischen Zentralbank (EZB) verwendete Stressszenario bezüglich des erweiterten Zeithorizonts auf 180 Tage. 11¹ Wie im UK kennt auch die EU keine fest definierten regulatorischen Liquiditätsanforderungen für die Phase einer Sanierung oder Liquidation. Die Behörden ermitteln im Aufsichtsprozess allfällige zusätzliche Anforderungen.
Setzt man die von internationalen Banken, die mit den Schweizer G-SIBs vergleichbar sind, per Ende 2022 gehaltenen HQLA ins Verhältnis zum Gesamtengagement (GE) 1¹2 , so kann festgestellt werden, dass die Quoten von Credit Suisse und UBS mit denjenigen der ausländischen G-SIBs vergleichbar waren (siehe Tabelle 6). Zu diesem Zeitpunkt waren allerdings in der Schweiz die neuen Anforderungen für SIBs in der LiqV noch nicht einzuhalten.
So lag die Credit Suisse per Ende 2022 nach dem Stress des vorangegangenen Oktobers bei einem mit Morgan Stanley und der Deutschen Bank vergleichbaren Verhältnis der HQLA 1¹3 zum Gesamtengagement. Lediglich Barclays lag mit einer Quote von 23 Prozent auf dem gleichen Niveau wie UBS. Die Quote der Credit Suisse vor den Oktober-Abflüssen lag mit 27 Prozent deutlich über den dargestellten Werten der Vergleichsbanken per Ende 2022.
Tabelle 6
Internationaler Vergleich der HQLA im Verhältnis zum Gesamtengagement (Stichtag: 31. Dezember 2022)
[Bild bitte in Originalquelle ansehen]
1⁰9 Bank of England Prudential Regulation Authority,
Statement of Policy on Pillar 2 liquidity
, Juni 2019.
11⁰ Der Resolution Liquidity Execution Need (RLEN) umfasst die Minimum Operating Liquidity und den Peak Funding Need . RLEN muss für jeden Tag der Abwicklungsperiode täglich neu berechnet werden. Sobald RLEN durch die vorhandenen Liquiditätsressourcen nicht mehr gedeckt ist, muss das Management auf Holdingstufe die notwendigen Massnahmen treffen. Entsprechend enthält RLEN auch noch einen Management-Puffer. Die US-amerikanischen Intermediate Holding Companies (IHCs) ausländischer Banken unterliegen in ihrer US-Abwicklungsplanung ebenfalls der Pflicht zur Berechnung von RLEN, vgl. Federal Reserve System,
Guidance for Resolution Plan Submissions of Certain Foreign-Based Covered Companies
, 9. Dez. 2020.
11¹ ECB Banking Supervision,
Methodological note on ECB Sensitivity analysis of Liquidity Risk
- Stress Test 2019
, Febr. 2019.
1¹2 Das Gesamtengagement entspricht dem Nenner der Leverage Ratio und besteht aus der Summe der Bilanz- und Ausserbilanzpositionen.
1¹3 Die HQLA beruhen im Fall der Schweiz auf dem gewichteten täglichen Dreimonatsdurchschnitt.
Beurteilung
Positive Wirkungen in der Krise
Höhere Liquiditätsausstattung im Vergleich zu 2007/08
Die Credit Suisse wies gegenüber der Finanzkrise 2007/08 eine deutlich höhere Liquiditätsausstattung aus. Die erhöhte Ausstattung war u. a. auf die bankspezifischen Liquiditätsanforderungen der FINMA zurückzuführen, die gezielt auf bankindividuell erhöhte Liquiditätsrisiken ausgerichtet waren.
Im dritten Quartal 2022 lag die LCR der Credit Suisse auf Gruppenstufe bei 192 Prozent. Dies entsprach gehaltenen HQLA in Höhe von 227 Milliarden Franken. In Relation zur Bilanzsumme von 700 Milliarden Franken entsprach dies 32 Prozent. Mit dieser soliden Liquiditätsausstattung konnte die erste ausserordentliche Welle von Abflüssen vom Oktober 2022 aufgefangen werden. Die LCR verblieb aus Gruppensicht auf einem hohen Niveau, auch im Vergleich mit ausländischen Wettbewerbern.
Per Ende Dezember 2022 lag die LCR schliesslich bei 140 Prozent. Dies entsprach gehaltenen HQLA in Höhe von 120 Milliarden Franken. In Relation zur Bilanzsumme von 531 Milliarden Franken machten die HQLA damit über 20 Prozent der Bilanzsumme aus.
Ein direkter historischer Vergleich mit der Liquiditätssituation der Credit Suisse im Jahr 2007 ist mit Schwierigkeiten verbunden, weil damals noch keine analoge Definition der HQLA vorlag. Dennoch lässt sich ein ungefährer Vergleich folgendermassen vornehmen: Laut Geschäftsbericht standen 2007 bei einer Bilanzsumme von 1360 Milliarden Franken neben flüssigen Mitteln in Höhe von 38 Milliarden Franken noch von Zentralbanken akzeptierte liquide Vermögenswerte von 60 Milliarden Franken zur Verfügung. 1¹4 Dies bedeutete in der Summe liquide Mittel in Höhe von 7 Prozent der Bilanzsumme. Im Geschäftsbericht 2007 führte dies zur Feststellung durch die Credit Suisse, dass der Umfang der liquiden Mittel « weit über den regulatorischen Anforderungen liegt ».
Insgesamt kann somit festgehalten werden, dass aus einer Liquiditätsperspektive die Widerstandsfähigkeit der Credit Suisse im Jahr 2022 vor den ersten Einlagenabzügen u. a. dank den zusätzlichen FINMA-Massnahmen mit einem mehr als vier Mal so hohen Bestand liquider Aktiva zur Bilanzsumme signifikant höher als 2007 war.
Eine höhere Liquiditätsausstattung führt aus volkswirtschaftlicher Sicht zu einer Stärkung der Finanzmarktstabilität. Das Vertrauen von Investoren in den Wirtschafts-standort Schweiz dürfte demnach steigen und durch die positiven Auswirkungen auf den Zufluss von Kapital und Wissen zur Wertschöpfung sowie zur Schaffung von Arbeitsplätzen beitragen.
1¹4 Credit Suisse Group AG,
Geschäftsbericht 2007
, S. 99 und 178 .
Realistischere Szenarien in TBTF-Liquiditätsvorschriften
Die bereits in der LiqV regulatorisch vorgesehenen TBTF-Komponenten decken wesentliche Risiken ab, die sich bei der Credit Suisse zeigten. Beispielsweise zeigte sich klar, dass eine Liquiditätskrise weitaus länger als 30 Tage dauern oder dass der Bedarf an Innertagesliquidität sehr hohen Schwankungen unterworfen sein kann. Insbesondere der gestiegene Margin-Bedarf zeigte sich zudem auch während der Covid-Krise. Die Tatsache, dass die neuen Liquiditätsvorschriften institutsspezifische Zusatzanforderungen zulassen, erlaubt der FINMA, Lehren aus der aktuellen Krise in die Kalibrierung dieser Anforderungen einfliessen zu lassen.
Strengere Reportingpflichten
Um die Liquiditätssituation einer Bank angemessen beurteilen zu können, sind für die FINMA zeitnahe Informationen essenziell, sowohl hinsichtlich der gehaltenen HQLA als auch der möglichen Abflüsse. Artikel 28 LiqV sieht dafür vor, dass die SIBs ihre Liquiditätssituation monatlich ausweisen und die Angaben dazu jeweils innert 15 Kalendertagen ab dem letzten Kalendertag des Monats einreichen müssen. Zusätzlich sieht Artikel 17 b Absatz 5 LiqV vor, dass die FINMA für Banken, die den geforderten Erfüllungsgrad unterschreiten, untermonatige Meldungen zur LCR mit einer zeitnahen Einreichungsfrist festlegen kann. Dabei kann die FINMA zusätzliche Meldungen zur Liquiditätssituation definieren, die der Dauer und dem Ausmass der LCR-Unterschreitung angemessen sind. Damit die aufgebauten Liquiditätspuffer im Krisenfall eingesetzt werden können, ist gemäss Artikel 26 LiqV unter ausserordentlichen Umständen eine Unterschreitung der besonderen TBTF-Liquiditätsanforderungen für SIBs zulässig.
Die Möglichkeit der Erhöhung der Meldefrequenz bedeutet, dass Banken grundsätzlich dauerhaft Systeme vorzuhalten haben, die eine zeitnahe Ermittlung von Informationen erlauben. Im Fall der G-SIBs müssen jederzeit täglich aktualisierte Informationen mit einer minimalen zeitlichen Verzögerung zur Verfügung stehen, die auch durch ausländische Regulatoren interpretierbar sein müssen. Dafür hat die FINMA mit wichtigen ausländischen Aufsichtsbehörden für G-SIBs ein einheitliches Reporting aufgesetzt (sog. Liquidity Crisis Template ), das in einem Belastungsfall - auch schon vor Unterschreitung regulatorischer Anforderungen - aktiviert werden kann. Dieses Reporting war bereits vor dem Krisenfall der Credit Suisse eingeführt worden, was sich als äusserst hilfreich erwies.
Veröffentlichungsanforderungen für TBTF-Liquiditätszuschläge
Es ist von zentraler Bedeutung, dass die von den Banken in guten Zeiten aufgebauten Liquiditätspuffer für die Bewältigung einer Krise zur Verfügung stehen, ohne dass deren Nutzung zu einem Stigma-Effekt führen könnte. Dies hat auch der Krisenfall der Credit Suisse gezeigt. Im Sinne der Nutzbarkeit von Liquiditätspuffern in einer Krise scheint es deshalb sinnvoll, dass der regulatorische Verzicht auf die Veröffentlichung der aus den TBTF-Zuschlägen stammenden Anforderungen beibehalten wird.
Lehren und Handlungsbedarf aus der Krise
Erhöhte Liquiditätsbestände nicht ausreichend
Die erhöhten Liquiditätsbestände der Credit Suisse waren nicht ausreichend, um den umfassenden Vertrauensverlust und letztlich die drohende Zahlungsunfähigkeit zu verhindern. Auch kürzten Gegenparteien ihre Limiten, während Zahl- und Clearingstellen eine umfangreiche Vorhaltung von Liquidität verlangten.
Vier Feststellungen sind von besonderer Relevanz:
-
Erstens war der notwendige Liquiditätsbedarf mit den aktuellen Funding-Strukturen bei einem akuten Vertrauensverlust höher als bisher angenommen;
-
Zweitens lag der Engpass nicht immer bei den HQLA-Wertpapieren, sondern auch beim Bestand an Bargeld und Zentralbankguthaben;
-
Drittens wurden frühzeitige Massnahmen nicht automatisch ausgelöst, da im Zusammenhang mit der Liquiditätsregulierung keine Schwellenwerte existieren, bei deren Unterschreitung zwingend eine Intervention zu erfolgen hat;
-
Viertens war die Vorbereitung von Notfallliquidität über ausreichende zentralbankfähige Sicherheiten ungenügend (vgl. Kap. 9.4.2).
Ein Teil dieser Erkenntnisse wird mit den deutlich verschärften und bis Dezember 2024 vollständig zu erfüllenden Liquiditätsanforderungen für SIBs bereits berücksichtigt. 1¹5 Darüber hinaus drängt sich - vor dem Hintergrund der weltweit gewonnenen Erkenntnisse - eine weitere Überprüfung und ggf. Stärkung der Liquiditätsausstattung für Banken auf. 1¹6 Zur Wahrung fairer Wettbewerbsbedingungen soll dies unter Berücksichtigung der diesbezüglichen internationalen Regulierungsbestrebungen erfolgen.
Das Gutachten von Ammann et al. kommt demgegenüber zum Schluss, dass es verfehlt wäre, die Liquiditätsanforderungen für SIBs weiter zu erhöhen. 1¹7 Eine Ausstattung der Bank mit Liquidität, die verhelfen würde, einen Bank Run der Einleger auf die Bank zu überstehen, sei betriebswirtschaftlich nicht tragbar und volkswirtschaftlich nicht sinnvoll, weil die Opportunitätskosten für die Bank zu hoch wären und die Kreditvergabefähigkeit stark reduziert wäre. Ein extremer Liquiditätsbedarf müsse deshalb gemäss Gutachten von Ammann et al. mit anderen Mitteln bekämpft oder durch einen Lender of Last Resort gedeckt werden. 1¹8
1¹5 Die neuen Bestimmungen für SIBs müssen gemäss Artikel 31 c Absatz 3 LiqV bis Ende 2026 auf ihre Wirksamkeit hin überprüft werden.
1¹6 Vgl. auch Expertengruppe Bankenstabilität 2023,
Reformbedarf nach dem Untergang der Credit Suisse
, 1. Sept. 2023, S. 41.
1¹7 Ammann et al.,
Reformbedarf in der Regulierung von «
Too Big to Fail
»-Banken
, 19. Mai 2023, S. 40. Kritische Äusserungen gegenüber einer Erhöhung der Liquiditätsanforderungen finden sich auch in Group of Thirty (G30) ,
Bank Failures and Contagion: Lender of Last Resort, Liquidity, and Risk Management
, 9. Jan. 2024, S. 2.
1¹8 Vgl. auch Group of Thirty (G30),
Bank Failures and Contagion: Lender of Last Resort, Liquidity, and Risk Management
, 9. Jan. 2024, S. 2.
Bezug von Notfallliquidität und Massnahmen gemäss Contingency Funding Plan
Mit Blick auf die Notfallliquidität hat die Krise der Credit Suisse gezeigt, dass die verfügbaren Sicherheiten für Notfallliquidität von Zentralbanken bzw. der Zugang zu solcher Liquidität durch die Bank nur unzureichend vorbereitet waren (vgl. auch Ausführungen bezüglich des Lender of Last Resort ). Die Vorbereitung für die Nutzung von Zentralbankfazilitäten der SNB und ausländischer Zentralbanken stellt einen nicht zu vernachlässigenden Schritt dar.
Ebenso reichten liquiditätsgenerierende Massnahmen aus dem Contingency Funding Plan (CFP) nicht aus, um die Liquiditätspuffer nach den starken Abflüssen im Herbst 2022 in ausreichendem Mass wiederherzustellen. So fehlte der Credit Suisse die Möglichkeit, Liquidität zu generieren, weil gewisse vorgesehene Massnahmen nicht umsetzbar waren (Gewinnung von neuen Einlagen), nur begrenzt Wirkung zeigten (Ausgabe von Schuldtiteln), erst mit Verzögerung Erfolg zeigten bzw. zum Schutz der Business Franchise von der Bank nur mit Widerstand verfolgt wurden (Verringerung des Finanzierungsbedarfs, namentlich Kündigung von gewährten Darlehen und somit Reduktion der Aktiven in der Bilanz).
Verfügbarkeit und Übertragbarkeit von Liquidität in der Gruppe
Analog zu den Eigenmitteln folgte im Fall der Credit Suisse der Fokus der Liquiditäts-anforderungen einem zentralen Treasury-Ansatz in Bezug auf die Finanzgruppe. Die wichtigste Einheit war damit das Stammhaus (sog. Parent-Bank), da dort die Liquidität bewirtschaftet und in die Gruppe verteilt wurde. In der Krise zeigte sich, dass auf Stufe Parent-Bank grosse Puffer notwendig und wenig Sicherheiten vorhanden waren. Diese kritische Situation wurde teilweise auch durch Vorsichtsmassnahmen der Bank in Form zusätzlicher Management-Puffer sowie lokal gebundener Liquidität ( trapped liquidity ) verstärkt. Das führte auch dazu, dass auf Stufe Parent-Bank die LCR im idiosynkratischen Stress nicht mehr unter 100 Prozent fallen durfte.
Ebenso war in einzelnen Einheiten eine hohe Liquiditätshaltung für operative Zwecke notwendig, die zwar zum Teil über den Innertagesbedarf gemäss bankinterner Modelle abgedeckt war, aufgrund der in ausländischen Einheiten von den jeweiligen Regulatoren geforderten Liquidität aber zum Teil noch deutlich höher lag. Dabei ist die derzeit im Basler Rahmenwerk vorgesehene und in der Schweizer Umsetzung zugrunde liegende Annahme zu hinterfragen, dass nur jene Liquidität, die aufgrund von lokalen Anforderungen gehalten wird und die aus dem Szenario resultierenden Abflüsse übersteigt, als lokal gebunden von der Gruppen-LCR auszuschliessen ist. Sobald der Stress nicht alle Einheiten in gleichem Masse trifft, besteht dadurch in einzelnen Einheiten Liquidität, die in der Gruppe zwar regulatorisch angerechnet werden kann, aber zur Deckung von Abflüssen nicht am richtigen Ort verfügbar ist und auch nicht einfach innerhalb der Gruppe transferiert werden kann, wie es im Bedarfsfall nötig wäre. Neben lokalen Anforderungen können hier konzerninterne Limiten eine Rolle spielen.
Nutzung von Liquiditätspuffer und Stigma
Hinsichtlich einer Unterschreitung der LCR unter 100 Prozent bestand grosser Respekt vor einem Stigma. Die Credit Suisse war während der Krise der Ansicht, dass die LCR nicht unter 100 Prozent sinken dürfe. Dies weil die Unterschreitung zu zusätzlichen negativen Signalen am Markt hätte führen können (Stigma).
Da die LCR grundsätzlich als Puffer für den Krisenfall entwickelt wurde, ist es problematisch, wenn die LCR-Anforderung aufgrund von tatsächlichen oder vermeintlichen Markterwartungen nicht unterschritten werden kann und dadurch diese Pufferfunktion nicht zum Tragen kommt.
Funktion von LCR und NSFR
Schliesslich ist festzuhalten, dass es, wie im Eigenmittelbereich, die regulatorischen Liquiditätskennzahlen und die hohe Liquiditätshaltung als Point-in-time -Betrachtungen nicht schafften, das nötige Vertrauen der Kunden herzustellen. Die Einhaltung der Liquiditätsvorschriften konnte den Bankensturm nicht verhindern oder stoppen.
Dabei diente insbesondere die NSFR nicht wie vorgesehen als Vorwarnindikator oder als Kennzahl, die hinreichend stabiles Funding nachweisen konnte. Ein Grund dafür dürfte insbesondere in der Fokussierung auf die kurzfristige Kapitalmarktfinanzierung als primäre Risikoquelle in der NSFR liegen. Während diese Finanzierungsform in der NSFR als instabil erachtet wird, ist das Risiko eines Einlagenabzugs in dieser Kennzahl durch zu hohe Stabilitätsannahmen für Kundeneinlagen nicht hinreichend abgebildet.
Unzureichende Abflussraten in der LCR
Die Abflussraten einzelner Einlagen (insbesondere bei grossvolumigen Einlagen) sind in der LCR deutlich tiefer als die beobachteten Werte angesetzt. Zudem wurde ein grosser Anteil der Kundeneinlagen bei der Credit Suisse auf Sicht oder mit kurzen Kündigungsfristen gehalten, was einen entsprechend schnellen Abzug ermöglichte. Mehrere Risikotreiber wie der Innertagesbedarf oder auch der Liquiditätsbedarf für die Sanierung oder Liquidation sind zwar in den neuen TBTF-Anforderungen explizit vorgesehen. Es gab aber weitere Aspekte, die zu einem erhöhten Liquiditätsbedarf geführt haben. Insbesondere war festzustellen, dass die Digitalisierung über soziale Medien und neue Banking-Technologien zu einem beschleunigten Abzugs- und Herdenverhalten führen und eine bereits angeschlagene Bank weiter destabilisieren können.
Fremdwährungsanforderungen nicht ausreichend berücksichtigt
Hinsichtlich der Fremdwährungsanforderungen wurde in der Schweizer LCR bislang stark auf die aggregierte Gesamtsicht über alle Währungen und die Sicht in Franken fokussiert. Die LCR in weiteren wesentlichen Fremdwährungen ist nicht mit einer expliziten Anforderungshöhe verknüpft.
Die Krise der Credit Suisse hat gezeigt, dass aufgrund des erhöhten Liquiditätsbedarfs in US-Dollar die SNB den Banken wiederholt US-Dollar-Liquidität zur Verfügung stellen musste. Dies deutet darauf hin, dass der Anteil der Verbindlichkeiten in US-Dollar, gemessen an den Gesamtverbindlichkeiten einer Bank, z. B. bei der Credit Suisse eine wesentliche Höhe ausgemacht haben dürfte und mit einer spezifischen LCR-Untergrenze in US-Dollar hätte überwacht werden sollen.
Informationsbereitstellung
Datenqualitätsunsicherheiten und Verzögerungen in der Datenbereitstellung stellen im Rahmen einer Krisenbewältigung bedeutende Erschwernisse dar, die es zu verhindern gilt. Insbesondere gewisse spezifische Daten zur Krisenbewältigung, die im Rahmen der täglichen Liquiditätsreportings an die Behörden zu melden sind (z. B. zu Einlagenabflüssen unter dem Tag oder zur Vorhersage der Liquiditätssituation für die kommenden Wochen), müssen eine zuverlässige Qualität aufweisen (vgl. Kap. 12.1.2). Entsprechend könnten in diesem Bereich die regulatorischen Anforderungen geschärft werden.
Mögliche Massnahmen
Die folgenden Kapitel zeigen das Spektrum von möglichen Massnahmen im Bereich Liquidität auf. Diese werden unter Abwägung ihrer individuellen Vor- und Nachteile beurteilt. Die Massnahmen werden aufgrund ihrer Interdependenzen auch als Gesamtheit zusammen mit den Massnahmen der Folgekapitel Lender of Last Resort und Public Liquidity Backstop analysiert. Entsprechend wird in Kapitel 10.4.2 ein Fazit zu den drei Verteidigungslinien im Bereich Liquidität gezogen und ein konkreter Massnahmenmix vorgeschlagen.
Überprüfung der Liquiditätsanforderungen auf internationaler Ebene
Die Umsetzung der jüngst revidierten LiqV trägt dem wesentlichen Handlungsbedarf in Bezug auf die besonderen Liquiditätsanforderungen für SIBs bereits Rechnung und führt zu einer deutlichen Verschärfung und im internationalen Vergleich hohen Liquiditätsanforderungen für SIBs. Für nicht oder nicht ausreichend durch die LCR oder die Grundanforderungen berücksichtigte Liquiditätsrisiken hat die FINMA mit der revidierten LiqV in Bezug auf SIBs zudem die Möglichkeit, institutsspezifische Zuschläge zu erlassen. Die neuen Bestimmungen für SIBs müssen gemäss Artikel 31 c Absatz 3 LiqV bis Ende 2026 auf ihre Wirksamkeit hin überprüft werden.
Eine Überprüfung und weitere Stärkung der Liquiditätsanforderungen im Zusammenhang mit der für alle Banken geltenden LCR und NSFR sind auf internationaler Ebene anzugehen. Die LCR und die NSFR sind als Messgrössen für alle Banken Teil des internationalen Standards der Liquiditätsregulierung. Eine einheitliche Berechnung dieser Kennzahlen ist wichtig für die internationale Vergleichbarkeit und vergleichbare Voraussetzungen zur Schaffung von fairen Wettbewerbsbedingungen. Wenn in einem spezifischen Krisenfall die Höhe der LCR und der NSFR einer Bank den international festgelegten Mindestwert von hundert Prozent unterschreitet, sind negative Marktreaktionen die rasche Folge. Die Beurteilung der Strenge von national festgelegten Faktoren, die für die Erreichung des Mindestwertes zu erfüllen sind, steht dabei in der Regel in der Hektik der Entscheidungsfindung der Märkte nicht im Vordergrund. Strenge nationale Anforderungen können für Banken demnach in unfaire Wettbewerbsbedingungen münden.
Handlungsoptionen im Zusammenhang mit der LCR und der NSFR sind daher im Rahmen einer international abgestimmten Anpassung der internationalen Standards anzugehen. Auch der BCBS sieht eine Überprüfung des Designs und der Operationalisierung der Liquiditätsanforderungen der internationalen Standards nach den Ereignissen von März 2023 als angezeigt. 1¹9
Konkret soll sich die Schweiz in den Arbeiten zu den internationalen Standards für eine kritische Überprüfung der Liquiditätsanforderungen in den folgenden Bereichen einsetzen:
-
Überprüfung der LCR-Abflussfaktoren: Im Bereich der LCR wurde sichtbar, dass die Abflussraten einzelner Einlagekategorien - insbesondere bei grossvolumigen Einlagen - überschritten wurden. Andere Kategorien verzeichneten jedoch tiefere Abflüsse als von der Regulierung vorgesehen. Anpassungen bei einzelnen Kategorien - zum Beispiel Erhöhungen bei grossvolumigen Einlagen - sind denkbar. Mit einer Erhöhung der Abflussfaktoren in der LCR für kurzfristige Finanzierungsquellen werden auch Anreize für die Banken geschaffen, die Kunden mit einer entsprechenden Verzinsung zu längerfristigen Spar- oder Termineinlagen anstelle von Sichteinlagen zu bewegen.
-
Nutzung von Liquiditätspuffern: Die Krise der Credit Suisse hat gezeigt, dass eine Unterschreitung der LCR unter 100 Prozent aufgrund des damit verbundenen Stigmas unrealistisch war und dadurch die Pufferfunktion dieser Kennzahl nicht zum Tragen kommen konnte. Die mit der LCR aufgebaute Liquidität soll in Krisensituationen aber flexibel genutzt werden können, damit Liquiditätsschocks absorbiert und Zahlungsverpflichtungen auch in aussergewöhnlichen Belastungssituationen erfüllt werden können. Dies kann beispielsweise dadurch erreicht werden, dass der LCR-Standard international derart angepasst wird, dass die LCR-Anforderung von 100 Prozent in einen explizit unterschreitbaren Pufferbereich und eine jederzeit einzuhaltende Mindestanforderung aufgeteilt wird.
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Mindestanforderung bezüglich des Anteils an Bargeld und Zentralbankguthaben innerhalb der LCR: Insbesondere wenn eine ausländische Einheit einer Bank keinen Zugang zu den Fazilitäten der entsprechenden Zentralbank hat, kann im Bedarfsfall die Liquidierbarkeit von Vermögenswerten eingeschränkt sein. Im Rahmen der LCR kann eine Mindestanforderung in Bezug auf den Anteil von Bargeld und Zentralbankguthaben an den HQLA risikomindernd wirken. Voraussetzung dafür ist, dass die betroffene Einheit ein Konto bei der entsprechenden Zentralbank hat.
Die Krise der Credit Suisse vom März 2023 hat ebenfalls gezeigt, dass insbesondere ausländische Zahl- und Clearingstellen eine umfangreiche Vorhaltung von Liquidität verlangten. Die Einführung einer effektiven Massnahme in diesem Bereich auf nationaler Ebene scheint aufgrund der Abwicklung von zahlreichen Geschäftsaktivitäten über ausländische Zahl- und Clearingstellen schwierig und müsste international koordiniert erfolgen.
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LCR in wesentlichen Fremdwährungen: Die FINMA kann in begründeten Einzelfällen entsprechend Artikel 17 a Absatz 4 LiqV Untergrenzen für die LCR in wesentlichen Fremdwährungen festlegen. Die Krise der Credit Suisse hat aber gezeigt, dass über Artikel 17 a Absatz 4 LiqV hinausgehend eine regulatorisch festgelegte Untergrenze für die Erfüllung der LCR in wesentlichen Fremdwährungen in Betracht zu ziehen ist. Für die LCR in wesentlichen Fremdwährungen - insbesondere im US-Dollar als wesentlicher Refinanzierungswährung - kann eine bindende Untergrenze eingeführt werden, um Fremdwährungsungleichgewichte zu reduzieren.
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Behandlung der Liquiditätsanforderungen in ausländischen Einheiten: Die derzeitige Anforderung bzgl. der lokalen Gebundenheit ( Trapping ), dass nur jene Liquidität, die aufgrund von lokalen Anforderungen gehalten wird und die aus dem Szenario resultierenden Abflüsse übersteigt, als lokal gebunden zu erfassen ist, unterstellt, dass der Stress sich in allen Einheiten vergleichbar manifestiert. Diese Handhabung sollte hinterfragt werden. Fälle, in denen die Transferierbarkeit der Liquidität innerhalb der Finanzgruppe nicht vollständig gegeben ist, müssten zu einem stärkeren - gegebenenfalls sogar vollständigen - Ausschluss der lokal gehaltenen Liquidität auf Gruppenebene führen. Dies kann wiederum dazu führen, dass die Liquidität der jeweiligen Einheit (oder der in Bezug auf die Gruppenanforderung anteilig nicht anrechenbare Liquiditätsbestand der Einheit) im Extremfall doppelt zu halten wäre - auf Ebene der Einheit und auf Ebene der Gruppe.
-
Schwellenwerte für kurzfristige Finanzierungsquellen in der LCR: Um die Finanzierungsstruktur stabiler zu machen und die Anfälligkeit für Bank Runs zu vermindern, können direkte Vorgaben (Limiten) für die Banken über die maximale Höhe an kurzfristiger Finanzierung oder über Rückzugsbeschränkungen für Einlagen gemacht werden. Dies bedeutet aber einen zu starken Eingriff in die Bezugsmöglichkeiten der Bankkundinnen und -kunden sowie ins Geschäftsmodell der Banken. Einlegerinnen und Einleger sollen nicht per Regulierung an eine Bank gebunden und damit einem Risiko ausgesetzt werden, das sie von sich aus nicht tragen wollen. Die Einführung von Rückzugsbeschränkungen kann überdies dazu führen, dass Bankkundinnen und -kunden während einer Krise aufgrund der beschränkt abziehbaren Einlagensumme noch misstrauischer gegenüber der betroffenen Bank werden und den Einlagenabzug mit möglichem krisenverstärkendem Effekt zeitlich vorverlagern. Die Bank hat die Möglichkeit, über die Ausgestaltung von Produkten wie Spareinlagen die Fristigkeit ihrer Passivseite zu steuern. Statt mit der Vorgabe von Limiten direkt in die Ausgestaltungsmöglichkeiten betreffend die Produkte einzugreifen, kann mit einer geeigneten Regulierung dafür gesorgt werden, dass erwünschte Verhaltensweisen mit entsprechenden Anreizen herbeigeführt werden. So werden in der LCR Finanzierungsquellen mit zeitlichen Fälligkeiten von über 30 Tagen bereits vorteilhaft behandelt. Mit den besonderen Liquiditätsanforderungen wurde für SIBs der Anreiz zu einer langfristigen Finanzierung weiter verstärkt und die Fristigkeit auf über 90 Tage verlängert. Mit der NSFR soll zudem sichergestellt werden, dass die stabile Finanzierung einer Bank über einen einjährigen Zeithorizont gewährleistet ist. Durch spezifische Produktangebote (z. B. bei Sparkonti und Termingeldern) reagieren Banken entsprechend auf diese regulatorischen Anreize.
Vor diesem Hintergrund kann als mögliche Massnahme eine mildere Variante zur Begrenzung von instabiler Finanzierung angedacht werden. In der LCR können Schwellenwerte für einzelne kurzfristige Finanzierungsquellen vorgegeben werden, die von den Banken überschritten werden dürfen, im Fall einer Überschreitung jedoch zu höheren Abflussfaktoren in der LCR führen. So behalten die Banken Flexibilität bei der Finanzierungswahl, erhalten aber Anreize, für eine diversifizierte und damit stabilere Finanzierungsbasis zu sorgen.
-
Anforderung eines Mindestbestands zentralbankfähiger Nicht-HQLA: In einer Krise kann die ausgewiesene LCR massgeblich nur durch die Liquidierung von Nicht-HQLA verbessert werden. Dafür kann die Pflicht für Banken, ein Mindestvolumen an Sicherheiten ELA-fähig zu machen, eingeführt werden.
-
Definition einer Anforderung betreffend das Verhältnis von HQLA zur Bilanzsumme oder zur Leverage Exposure: Eine weniger von Abflussannahmen abhängige und weniger manipulierbare Kenngrösse analog der Leverage Ratio kann auch im Liquiditätsbereich eingeführt werden. Eine solche Kennzahl kann im Verhältnis von HQLA zur Bilanzsumme oder zur Leverage Exposure bestehen.
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Stärkung der Stabilität der Finanzierungsstruktur (ASF-Faktoren der NSFR): Die NSFR hat im Fall der Credit Suisse nicht in ausreichendem Mass eine stabile Finanzierungsstruktur sichergestellt und Probleme in der Finanzierungsstruktur aufgezeigt. Ihre Parametrisierung ist zu stark auf mögliche Probleme des Wholesale Fundings abgestellt und beachtet zu wenig, dass auch Kundeneinlagen nicht immer einen stabilen Charakter besitzen. Available -Stable-Funding (ASF)-Faktoren für Kundeneinlagen - insbesondere im Bereich grossvolumiger Einlagen - können angepasst werden, um einen Anreiz für Fristenverlängerungen und stabile Einlagen zu schaffen.
-
Institutsspezifische Zuschläge bei der NSFR: Mit den revidierten Liquiditätsanforderungen für SIBs, die am 1. Juli 2022 in Kraft getreten sind, hat die FINMA die Möglichkeit, für nicht oder nicht ausreichend durch die LCR und die Grundanforderungen berücksichtigte Liquiditätsrisiken institutsspezifische Zuschläge zu erlassen. Im Rahmen der NSFR fehlt eine vergleichbare Eingriffsmöglichkeit für die FINMA; eine solche kann deshalb im Fall von Risiken in der Finanzierungsstruktur in Erwägung gezogen werden (z. B. bei einer unzureichenden Finanzierungsdiversifikation).
1¹9 BCBS,
Report on the 2023 banking turmoil
, Okt. 2023, S. 24 f.
Erleichterung der Diversifikation von Finanzierungsquellen
Für die Erleichterung der Diversifikation von Finanzierungsquellen kann unter Betrachtung des bereits bestehenden Pfandbriefgesetzes (PfG) die Einführung eines allgemeinen Gesetzes für gedeckte Schuldverschreibungen (sog. Covered Bonds ) geprüft werden. Bei dieser Prüfung ist darauf zu achten, dass es ein solches Gesetz den betroffenen Banken zwar die Diversifikation ihrer Finanzierungsquellen erleichtert, aber gleichzeitig zu keinen neuen oder zusätzlichen Risiken für den Staat bzw. die Steuerzahlenden führt. Namentlich zu berücksichtigen wären dabei Interdependenzen zwischen Covered-Bond-Instrumenten und den Massnahmen im Bereich des LoLR sowie dem vorgesehenen PLB.
Im Rahmen des PfG sind nur Hypotheken als Sicherheit zugelassen. Mit einem Covered-Bond-Gesetz kann zusätzlich berücksichtigt werden, dass über die Hypotheken hinausgehend noch weitere Vermögenswerte, z. B. Unternehmenskredite, für die Aufnahme in den Deckungsstock vorsehbar sind. Banken könnten durch die Emission von Covered Bonds eine weitere langfristige Finanzierungsform nutzen und die Abhängigkeit von Einlagen und der Hilfe der SNB sowie des Bundes in einer Krisensituation reduzieren. Es stellen sich allerdings Fragen zur Abgrenzung zum bestehenden PfG. Durch die Existenz eines Covered-Bond-Gesetzes erlangten Covered Bonds zudem den Status von HQLA, weshalb sie innerhalb des Kreises der potenziellen Käufer für Banken zur Erfüllung von deren Liquiditätsanforderungen attraktiv würden. Dadurch können sich weitere Verflechtungen zwischen Banken ergeben.
Informationsbereitstellung
Zeitnahe und qualitativ verlässliche Daten stellen für die Behörden eine zentrale Voraussetzung zur frühzeitigen Erkennung und Bewältigung einer Liquiditätskrise dar. Obgleich dies bereits jetzt in Artikel 7 LiqV implizit gefordert ist, schafft eine explizite Verankerung der notwendigen Fähigkeiten zur Datenaufarbeitung und -zurverfügungstellung mehr Klarheit und Sicherheit. Ebenfalls können die Möglichkeiten zur zeitnahen Simulierung sich verändernder Szenarien durch die Banken weiter verbessert werden.
Fazit und vorgeschlagener Massnahmenmix betreffend die drei Verteidigungslinien im Bereich Liquidität
Die entsprechenden Ausführungen finden sich in Kapitel 10.4.2.
Lender of Last Resort
Ausgangslage
Definition «Kreditgeber in letzter Instanz»
Die SNB hat u. a. die Aufgaben, den Schweizerfranken-Geldmarkt mit Liquidität zu versorgen (Art. 5 Abs. 2 Bst. a NBG) und zur Stabilität des Finanzsystems beizutragen (Art. 5 Abs. 2 Bst. e NBG). In einer Krise wirkt sie gestützt auf diese Aufträge als Kreditgeberin in letzter Instanz ( Lender of Last Resort , LoLR). 12⁰ Der Rückgriff auf den LoLR ist die zweite Verteidigungslinie, wenn bankeigene liquide Mittel in einer Krise nicht ausreichen, um den Liquiditätsbedarf zu decken.
Als LoLR wird die Funktion von Zentralbanken bezeichnet, in Krisensituationen das Finanzsystem durch Liquiditätshilfe stabil zu halten. Können sich Banken nicht mehr über den Markt refinanzieren, so können Zentralbanken diesen im Rahmen ihrer Funktion als LoLR unter gewissen Voraussetzungen Liquidität gegen Sicherheiten zur Verfügung stellen. In der Schweiz steht als Instrument der ausserordentlichen Liquiditätshilfe die sogenannte Emergency Liquidity Assistance (ELA) im Zentrum.
Der Begriff LoLR kann aber auch weiter gefasst und die LoLR-Funktion nicht auf die Vergabe von ELA beschränkt werden. 12¹ Die LoLR-Funktion kann dabei den angemessenen Einsatz eines breiteren Fazilitätenspektrums einer Zentralbank umfassen, also inklusive ordentlicher Fazilitäten. In der Schweiz stehen zu diesem Zweck die Engpassfinanzierungsfazilität (EFF) und die Innertagsfazilität zur Verfügung. Im Folgenden wird in diesem Bericht unter dem Begriff LoLR die Funktion der Gewährung von Liquiditätshilfe in einer Krise verstanden, unabhängig davon, ob die Hilfe im Rahmen ordentlicher oder ausserordentlicher Fazilitäten erfolgt.
Unbestritten ist, dass eine Zentralbank in ihrer Rolle als Kreditgeberin in letzter Instanz nur subsidiär zum Einsatz kommen soll, wenn die Marktfinanzierung erlischt. Von dieser Rolle abzugrenzen sind die geldpolitischen Operationen, die regelmässig durchgeführt werden.
12⁰ Zum Begriff LoLR vgl. auch das Themendossier auf der Webseite der SNB,
Die Rolle der SNB als Kreditgeberin in letzter Instanz
.
12¹ Gutachten Tucker, S. 30, Fussnote 27.
Ordentliche Liquiditätshilfen der SNB
¹22
¹22 SNB,
Richtlinien der Schweizerischen Nationalbank über das geldpolitische Instrumentarium vom 25. März 2004
(Stand 5. Mai 2023)
, Ziff. 2.2.
Engpassfinanzierungsfazilität
Die SNB stellt im Rahmen der ordentlichen Fazilitäten den Banken zur kurzfristigen Überbrückung von unerwarteten Liquiditätsengpässen eine EFF zur Verfügung. Liquiditätsengpässe treten insbesondere dann auf, wenn erwartete Zahlungen ausbleiben und die benötigten Mittel nicht rechtzeitig am Interbankenmarkt beschaffbar sind. Die EFF kann mittels Repogeschäft zum Sondersatz bis zum nächsten Bankwerktag ( Overnight ) in Anspruch genommen werden. Die Voraussetzung für den Abschluss eines Repogeschäfts zum Sondersatz bildet die Einräumung einer Limite durch die SNB sowie die dauernde Deckung dieser Limite zu mindestens 110 Prozent mit SNB-repofähigen Effekten. Bei diesen Effekten handelt es sich um qualitativ hochwertige, liquide Aktiva (HQLA). ¹23 Die Limite bestimmt den maximal möglichen Liquiditätsbezug durch eine Bank.
¹23 Vgl. Kap. 9.2.5 für mehr Details.
Innertagsfazilität
Im Rahmen der Innertagsfazilität stellt die SNB den Banken während des Tages zinslos Liquidität über Repogeschäfte zur Verfügung, um die Abwicklung des Zahlungsverkehrs und der Devisentransaktionen zu erleichtern. Die Innertagesliquidität muss zu mindestens 110 Prozent mit SNB-repofähigen Sicherheiten gedeckt sein. Die bezogene Liquidität muss spätestens am Ende desselben Bankwerktags zurückbezahlt werden.
Ausserordentliche Liquiditätshilfe: ELA der SNB
Zweck und Ausgestaltung
Wenn der bankeigene Bestand an liquiden Mitteln nicht ausreicht und sich inländische Banken nicht mehr am Markt refinanzieren können, kann ihnen die SNB in Form von ELA Liquidität zur Verfügung stellen. Dies ist notwendig, weil es weder realistisch noch ökonomisch sinnvoll ist, dass Banken eine derart hohe Liquiditätsausstattung halten müssen, dass sie z. B. einen Anlegersturm ( bank run ) jeglicher Grössenordnung ohne Hilfe von aussen überstehen können. ¹24 Während die Eigenvorsorge der Banken im Vordergrund steht, ist somit auch die LoLR-Funktion der Zentralbank aus volkswirtschaftlicher Sicht sinnvoll und notwendig.
ELA ist abzugrenzen von den ordentlichen Fazilitäten der SNB, die mittels HQLA besichert sind. Diese Fazilitäten dienen dem Funktionieren bargeldloser Zahlungssysteme (Art. 5 Abs. 2 Bst. c NBG) und erlauben Banken, kurzfristig den Cash-Bestand zu erhöhen und damit ihren Zahlungsverpflichtungen jederzeit nachzukommen. Dies kann auch in einer Krise sehr nützlich sein.
In einer akuten Krise ist allerdings der Nutzen von Liquiditätshilfe gegen HQLA - d. h. gegen ohnehin hochliquide Aktiven - in der Regel begrenzt und verbessert beispielsweise die auszuweisenden Liquiditätskennzahlen nicht. ¹25 Über die ordentlichen, mit HQLA besicherten Fazilitäten hinausgehend besteht der Zweck von ELA darin, dass die SNB im Krisenfall einer Bank Liquidität gegen weitere Sicherheiten gewähren kann - insbesondere gegen solche, die weniger liquide und marktgängig sind. Es soll verhindert werden, dass solvente Banken nur deshalb zahlungsunfähig werden, weil ihre illiquiden Aktiven nicht rechtzeitig oder nur verbunden mit hohen Kosten verwertet werden können.
Das NBG statuiert den Grundsatz der ausreichenden Besicherung von Darlehen (Art. 9 Abs. 1 Bst. e NBG). Der Rechtsbegriff «ausreichende Sicherheiten» ist im Gesetz unbestimmt und räumt der SNB gemäss Botschaft ¹26 bewusst einen «weitreichenden Ermessensspielraum» ein.
Die Gewährung von ELA wird in den Richtlinien der SNB über das geldpolitische Instrumentarium ¹27 konkretisiert. Für die Gewährung von ELA müssen gemäss Richtlinien der SNB die folgenden Voraussetzungen erfüllt sein:
-
Die kreditersuchende Bank oder Bankengruppe muss für die Stabilität des Finanzsystems von Bedeutung sein. Diese Voraussetzung bezieht sich nicht auf die gesetzliche Definition einer SIB gemäss Artikel 7 BankG. Die SNB kann ELA also auch nicht systemrelevanten Banken gewähren;
-
Die kreditersuchende Bank muss solvent sein; ¹28
-
Die Liquiditätshilfe muss jederzeit vollständig durch ausreichende Sicherheiten gedeckt sein. ¹29
Die SNB kann somit ELA als Instrument einsetzen, um zur Stabilität und Stabilisierung des Finanzplatzes beizutragen. Die SNB verfügt jedoch über keine Weisungsbefugnis, d. h., sie kann einer Bank keine Anordnungen erteilen, ELA vorzubereiten oder zu beziehen. Auch wenn die Bank entsprechende Sicherheiten vorbereitet hat, hat sie in einer Krise keinen Anspruch auf eine Liquiditätshilfe der SNB. Die SNB entscheidet über allfällige Anträge im Einzelfall nach pflichtgemässem Ermessen.
¹24 Vgl. auch Ammann et al.,
Reformbedarf in der Regulierung von «
Too Big to Fail
»-Banken
, 19. Mai 2023, S. 24, sowie Group of Thirty (G30) ,
Bank Failures and
Contagion:
Lender of Last Resort, Liquidity, and Risk Management
, 9. Jan. 2024, S. 2.
¹25 Der begrenzte Nutzen von Liquiditätshilfe gegen HQLA ist darauf zurückzuführen, dass HQLA in der Regel von der Bank selber am Markt monetisiert werden können. Es sind aber auch Szenarien denkbar, in denen die Bank den Zugang zum Markt verliert und diese HQLA für einen Bezug von Liquidität bei der Zentralbank eingesetzt werden können.
¹26
BBl
2002
6097
, S. 6199
¹27 SNB,
Richtlinien der Schweizerischen Nationalbank über das geldpolitische Instrumentarium vom 25. März 2004
(Stand 5. Mai 2023)
, Ziff. 6.
¹28 Die Solvenzbedingung kann durch einen glaubwürdigen Abwicklungsplan ersetzt werden, der die Solvenz der Bank wiederherstellt.
¹29 Art. 9 Abs. 1 Bst. e NBG.
Kreis der ELA-Sicherheiten
Im Vergleich zu den ordentlichen Fazilitäten akzeptiert die SNB im Rahmen der Vergabe von ELA einen erweiterten Kreis an Sicherheiten, insbesondere solche, die nicht als HQLA gelten, also nicht von hoher Qualität oder illiquide sind. 13⁰
Aufgrund ihres hohen Volumens, ihrer Werthaltigkeit und der Standardisierung sind Hypotheken auf Liegenschaften in der Schweiz wichtiger Bestandteil der ELA-Sicherheiten. Die SNB akzeptiert im Rahmen von ELA Hypothekarsicherheiten von privaten Haushalten und Unternehmen mit Belehnungswerten ( Loan to Value ) bis zu 100 Prozent. Der Kreis der akzeptierten Hypotheken ist - entsprechend der Idee einer zweiten Verteidigungslinie - deutlich breiter als jener, der für Pfandbriefe zur Refinanzierung am Markt eingesetzt werden kann. So akzeptiert die SNB auch Gewerbehypotheken (Pfandbriefbanken: nur Wohnhypotheken) und Liegenschaften bis zu einem Belehnungswert von 100 Prozent (Pfandbriefbanken: bis 80 Prozent). 13¹ Hypotheken machen rund 85 Prozent des inländischen Kreditvolumens aus. ¹32
Nebst Hypotheken werden für ELA auch weitere Wertschriften als Sicherheiten akzeptiert, die über HQLA-Wertschriften hinausgehen. Die SNB akzeptiert namentlich Aktien, Verbriefungen (z. B. Mortgage Backed Securities und Asset Backed Securities ) sowie Anleihen mit tieferem Rating oder in anderen Währungen. Zudem sind operative Aspekte wie die Lieferbarkeit an die SNB zu beachten. Mit der Einbindung ausländischer Depotstellen durch die SNB können auch im Ausland verbuchte Wertschriften für ELA eingesetzt werden.
Inländische Kredite, die nicht hypothekarisch gesichert sind (z. B. Kontokorrentkredite an Unternehmen, Investitionskredite etc.), können demgegenüber nicht direkt als Sicherheit verwendet werden, sondern müssen vorgängig verbrieft werden.
Die SNB akzeptiert als Sicherheiten für ELA zudem verbriefte ausländische Kredite. ¹33 Sie akzeptiert hingegen keine direkte (unverbriefte) Übernahme von ausländischen Krediten, dies u. a. aufgrund des Ring-Fencing-Risikos ¹34 beim Ausfall einer Bank sowie der unvorhersehbaren lokalen Rechts- und Verwertungsrisiken.
Zur Berücksichtigung von Wertschwankungsrisiken werden auf allen Sicherheiten-Kategorien Abschläge als Sicherheitspuffer angewandt. (Hypothetisches Beispiel: Eine Hypothekarforderung von 100 ermöglicht die Gewährung von ELA-Liquidität im Umfang von 80, womit der Risikowertabschlag 20 beträgt.) Die Abschläge hängen von der jeweiligen Sicherheit ab und werden von der SNB für jede Sicherheiten-Kategorie separat analysiert und festgelegt. Beispielsweise betragen die Risikowertabschläge für ein gut diversifiziertes Hypothekenportfolio zwischen 10 und 15 Prozent. Diese Abschläge beziehen sich auf die Hypothekarkredite nach Abzug der nicht privilegierten Einlagen der jeweiligen Hypothekarkunden. Der Abzug ist darauf zurückzuführen, dass im Fall eines Ausfalls der Bank Hypothekarkunden mit nicht privilegierten Einlagen gegenüber der SNB eine Verrechnung mit der Hypothekarschuld fordern können. ¹35
13⁰ SNB,
Die Rolle der SNB als Kreditgeberin in letzter Instanz
, Teilfrage 4 «Wie bestimmt die SNB die Sicherheiten für eine ausserordentliche Liquiditätshilfe?».
13¹ Pfandbriefbank,
Pfandbriefbank Pool vom 31. Januar 2022
, Grafiken 4.3 und 4.6 .
¹32 SNB,
Einleitende Bemerkungen des Direktoriums
, Mediengespräch, 21. Sept. 2023, S. 5.
¹33 Bei ausländischen Krediten handelt es sich um Kredite mit ausländischen Kunden oder ausländischen Gerichtsständen oder um Kredite, die im Ausland verbucht sind.
¹34 Mit dem Begriff Ring Fencing werden in diesem Bericht von ausländischen Behörden verhängte höhere regulatorischen Anforderungen oder Mittelabflussbeschränkungen für die Tochtergesellschaft oder Niederlassung einer Schweizer Bank bezeichnet.
¹35 Als privilegierte Einlagen gelten Guthaben bei in- und ausländischen Geschäftsstellen von Schweizer Banken und Wertpapierhäusern bis maximal 100 000 Franken je Gläubiger/-in.
Vorbereitungshandlungen für die Gewährung von ELA
Um dem Notfallcharakter des Instruments zu entsprechen und die Problematik des Moral Hazard zu mildern, kann ELA - im Gegensatz zu den ordentlichen Fazilitäten - nicht einfach bezogen werden, sondern muss von der Bank beantragt und vom Direktorium der SNB genehmigt werden, das nach pflichtgemässem Ermessen entscheidet. Eine der Voraussetzungen für die Gewährung von ELA durch die SNB ist, dass die Bank solvent und überlebensfähig ist bzw. Massnahmen eingeleitet worden sind, die dies wiederherstellen. Bei der Einschätzung der Solvenz im Rahmen eines Antrags benötigt die SNB eine Solvenzbestätigung der FINMA.
Die ELA-Prozesse sind in Memorandums of Understanding (MoUs) ¹36 festgehalten und werden mit allen SIBs regelmässig getestet. Solche MoUs sind bislang mit allen fünf (neu vier) SIBs abgeschlossen worden. Die Tests beinhalten die Einlieferung der Sicherheiten (Wertschriften, Hypotheken), deren Bewirtschaftung (z. B. Substitutionen) sowie die Auszahlung von Liquidität (Franken und Fremdwährung). Um die Tests realitätsnah auszugestalten, sind sie produktiv, d. h., die Sicherheiten werden effektiv bei der SNB eingeliefert und die vorgesehene rechtliche Dokumentation wird eingesetzt. Durch diese Tests stellt die SNB sicher, dass der operativ komplexe und zeitkritische Bezug der ELA im Bedarfsfall wie vorgesehen funktioniert.
Nötige Vorbereitungen seitens der Bank, um Sicherheiten übertragbar zu machen, sind sowohl rechtlicher als auch operativer Natur:
-
Im Rahmen der rechtlichen Vorbereitungen muss die Bank bei Hypotheken z. B. sicherstellen, dass die Kundenverträge eine Abtretung der Hypothek an Dritte zulassen und die zugehörigen Schuldbriefe an Dritte transferiert werden können;
-
Im Rahmen der operativen Vorbereitungen muss die Bank z. B. über IT-Systeme verfügen, welche die zur Besicherung von ELA vorgesehenen Hypotheken selektionieren und sicherstellen können, dass Hypotheken nicht mehrfach zur Besicherung von Geschäften eingesetzt werden.
Bei den Wertschriften müssen die entsprechenden Einlieferungskanäle erstellt und getestet werden.
Diese Vorbereitungsarbeiten können der Bank erhebliche Kosten verursachen und benötigen Zeit, beispielweise wenn eine grosse Anzahl Kundenverträge angepasst oder von der Bank gewährte Kredite verbrieft werden müssen, um diese Sicherheiten transferierbar zu machen. Dementsprechend können diese Vorbereitungen nicht kurzfristig - in einer sich anbahnenden Krise - erfolgen, sondern benötigen längerfristige Planung und Vorbereitung.
¹36 Diese MoUs werden zwischen der SNB und den Banken abgeschlossen und sind nicht öffentlich einsehbar.
Internationaler Vergleich
Einordnung von ELA
Die Begriffe Emergency Lending bzw. Emergency Liquidity Assistance haben nicht in allen Rechtsräumen die gleiche Bedeutung wie in der Schweiz. Beispielsweise ist im Ausland zum Teil auch das Finanzministerium an der Entscheidung betreffend die Gewährung ausserordentlicher Liquidität durch die Zentralbank beteiligt und kann auch Verlustrisiken übernehmen. Wie oben dargelegt kann die Funktion des LoLR im Ausland teilweise auch im Rahmen ordentlicher Fazilitäten wahrgenommen werden.
Übergeordnet lässt sich zur ELA in der Eurozone, im UK, in den USA und in Kanada Folgendes festhalten:
-
In der Eurozone bezeichnet Emergency Liquidity Assistance die Vergabe von Liquidität durch die Zentralbank ausserhalb der ordentlichen Fazilitäten, unter den Bedingungen der Solvenz und ausreichender Deckung. ¹37
-
Im UK kann Emergency Liquidity Assistance auch eine fiskalische Komponente aufweisen. Auf Anweisung und im Auftrag des Finanzministeriums und gegen eine entsprechende Übernahme des Risikos durch den Staat sind Abweichungen von den Grundsätzen der Solvenz und der ausreichenden Deckung möglich. ¹38
-
Voraussetzungen für Emergency Lending ( Federal Reserve Act 13(3) ) in den USA sind Solvenz und ausreichende Besicherung, zudem muss die Fazilität einem breiten Kreis an Teilnehmenden zur Verfügung stehen ( broad based eligbility ). Im März 2023 wurde im Rahmen des Emergency Lending das Bank Term Funding Program eingeführt. Dabei wurde die US-Zentralbank ( Federal Reserve, Fed) durch einen Backstop des Finanzministeriums ( US Treasury ) dafür entschädigt, dass sie auf einen Risikowertabschlag auf die im Programm akzeptierten Sicherheiten verzichtete. ¹39 Fazilitäten nur für ein spezifisches Institut, die Vergabe an insolvente Institute oder die Vergabe ohne ausreichende Deckung sind ausgeschlossen.
-
In Kanada soll ELA unter den Bedingungen der Solvenz und ausreichender Deckung die Behebung eines anhaltenden Liquiditätsengpasses einer Bank unterstützen. Mit ELA können im Gegensatz zu den ordentlichen Fazilitäten umfangreichere und längerfristige Kredite bereitgestellt werden. Auch kann ELA in einer Bankenkrise sowohl in der Stabilisierungsphase als auch im Fall einer Sanierung oder Liquidation mit Weiterführung der systemrelevanten Funktionen eingesetzt werden. 14⁰
¹37 Zudem geschieht dies auf Rechnung der nationalen Zentralbank und nicht des Eurosystems. Die Vergabe unterliegt aber weiter der Kontrolle der EZB, insbesondere im Hinblick auf die geldpolitischen Auswirkungen, vgl. EZB, Erläuterungen zur ELA und Geldpolitik .
¹38 Bank of England, Memorandum of understanding on resolution planning and financial crisis management , S. 7, Nr. 39, Okt. 2017: « Where the Chancellor di-rects the Bank to conduct a support operation, either to the financial system as a whole or to one or more individual firms, the Bank will act as the Treasury’s agent. The Bank will set up a Special Purpose Vehicle (SPV), separate from the Bank’s balance sheet, to effect the support operation. The Bank and the Vehicle will be in-demnified by the Treasury » .
¹39 Medienmitteilung des Board of Governors of the Federal Reserve System,
Federal Reserve Board announces it will make
available additional funding to eligible depository institutions to help assure banks have the ability to meet the needs of all their depositors
, 12. März 2023.
14⁰ Bank of Canada,
Emergency Lending Assistance
.
Kreis bezugsberechtigter Finanzinstitute
Wie bei der SNB wird auch im Ausland die Liquiditätshilfe von Zentralbanken nur an Banken oder Bankeinheiten gewährt, die unter der Aufsicht des entsprechenden Rechtsraumes stehen. 14¹ In den USA kann das Fed mit Einverständnis des Finanzministeriums im Rahmen des Emergency Lending ( Federal Reserve Act 13(3) ) auch Liquiditätshilfe an Nicht-Banken leisten.
14¹ CGFS,
Designing frameworks for central bank liquidity assistance: addressing new challenges
, CGFS Papers No 58 , April 2017, Kap. 4.
Solvenzvoraussetzung
Die Anforderung der Solvenz der Bank ist im Rahmen der Gewährung ausserordentlicher Liquiditätshilfe, die ausserhalb ordentlicher Fazilitäten bezogen wird, Standard bei den Zentralbanken. ¹42 Wie die SNB sehen auch die EZB und die Bank of Canada vor, dass die Solvenzbedingung durch einen Sanierungsplan, der die Solvenz wiederherstellt, ersetzt werden kann. In den USA sind die Möglichkeiten des Fed zur Finanzierung finanziell schwacher Banken hingegen beschränkt. So verlieren beispielsweise solvente, aber finanziell schwache Banken den Zugang zu gewissen ordentlichen Fazilitäten. Stattdessen kommt in den USA der Einlagensicherung (durch die Federal Deposit Insurance Corporation , FDIC) eine stärkere Rolle zu, wobei die FDIC untergehende Banken übernimmt und temporär die nötigen Mittel zur Verfügung stellt.
¹42 CGFS,
Designing frameworks for central bank liquidity assistance: addressing new challenges
, CGFS Papers No 58 , April 2017, Kap. 5 und 6 .
Sicherheiten
Die Anforderung, dass Liquiditätshilfe der Zentralbanken nur gegen Sicherheiten zu gewähren ist, entspricht einem zentralen, international anerkannten Grundsatz der Funktion des LoLR, wobei diese Sicherheiten in einzelnen Regimes auch durch staatliche Verlustgarantien für die Zentralbank ergänzt oder ersetzt werden können. ¹43 Verschiedene ausländische Zentralbanken verfügen über ordentliche Fazilitäten, bei denen Banken im Fall von Engpässen Liquidität gegen einen breiten Kreis von Sicherheiten beziehen können. Mit einem über dem Marktsatz liegenden Zins ist das Pricing dabei in der Regel so ausgestaltet, dass es unter normalen Umständen für die Bank unattraktiv ist, über diese Fazilität Liquidität zu beziehen. Damit werden Anreize geschaffen, sich in normalen Zeiten am Markt zu refinanzieren (Mitigierung von Moral Hazard).
¹43 CGFS,
Designing frameworks for central bank liquidity assistance: addressing new challenges
, CGFS Papers No 58 , April 2017, Kap. 5 und 6 .
Internationaler Vergleich der Fazilitäten
Ein Vergleich der verschiedenen LoLR-Systeme und -Kapazitäten ist anspruchsvoll, weil dies sowohl die Möglichkeiten für Liquiditätshilfe in der Krise über ordentliche Fazilitäten als auch über eine darüber hinausgehende ELA umfasst. Am einfachsten zu vergleichen sind die ordentlichen Fazilitäten, zu denen im Gegensatz zu ELA in der Regel gute öffentliche Informationen vorliegen.
Ein Vergleich der akzeptierten Kredite und Wertschriften der ordentlichen Fazilität der SNB (EFF) mit denjenigen des Eurosystems, der Bank of England , des Fed und der Bank of Canada zeigt, dass bei den genannten ausländischen Zentralbanken ein breiteres Spektrum an Sicherheiten einlieferbar ist (vgl. Tabelle 7). So sind im Rahmen der EFF beispielsweise keine Hypotheken und lediglich HQLA-Wertschriften anrechenbar, wohingegen der Kreis der anrechenbaren Sicherheiten bei ausländischen Zentralbanken mit Krediten und Nicht-HQLA-Wertschriften darüber hinaus reicht. Ausländische Banken haben somit im Gegensatz zu den Schweizer Instituten mehr Möglichkeiten zur Liquiditätsbeschaffung über die ordentlichen Fazilitäten. Ausländische Kredite ¹44 und Aktien werden im Rahmen der ordentlichen Fazilitäten von allen betrachteten Zentralbanken ausgeschlossen.
Tabelle 7
Internationaler Vergleich akzeptierter Sicherheiten; Stand Dezember 2023
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Wenn man den Kreis der im Ausland im Rahmen der ordentlichen Fazilitäten akzeptierten Sicherheiten den Vermögenswerten gegenüberstellt, die von der SNB im Rahmen der ausserordentlichen Fazilität ELA akzeptiert werden, ist das Spektrum der zugelassenen Sicherheiten schwierig zu vergleichen. So sind etwa im Rahmen der Schweizer ELA Aktien zugelassen und die Anforderungen an den Sitz des Emittenten und die Währung einer Wertschrift sind in der Regel grosszügiger. Im Gegensatz zu den ausländischen Zentralbanken akzeptiert die SNB aber nicht hypothekarische Kredite an Unternehmen und Haushalte nur in verbriefter Form.
Erst recht schwierig ist der - letztlich massgeblichere - Vergleich der ausserordentlichen Fazilitäten. Mangels öffentlich verfügbarer Informationen liegen keine Details über die in der EU, im UK und in den USA existierende ELA vor. Entsprechend kann kein vollständiger Vergleich des Ausmasses der Liquiditätsgewährung mittels ELA vorgenommen werden. Auch eine vollständige Gegenüberstellung der von den Zentralbanken angewandten Risikowertabschläge ist mit der verfügbaren Datenlage nicht möglich.
¹44 Dabei handelt es sich um Kredite mit einem ausländischen Kunden oder einem ausländischen Gerichtsstand oder Kredite, die im Ausland verbucht sind.
Beurteilung
Operative Umsetzung von ELA und Bedarf in Fremdwährungen
In der Krise der Credit Suisse ist das Instrument der ELA, das gestützt auf das 2003 totalrevidierte NBG entwickelt wurde, in der Schweiz erstmals eingesetzt worden (für einen ausführlicheren Beschrieb der Krise der Credit Suisse vgl. Kap. 5). Dabei hat sich gezeigt, dass die Prozesse bei der Liquiditätsvergabe im Rahmen der ELA (sowie auch von ELA+ und PLB) wie erwartet anspruchsvoll waren, aber einwandfrei funktionierten, zumal die SNB die Bezüge mit den Banken regelmässig durchgespielt und getestet sowie Kanäle für die Beschaffung von Fremdwährungen geschaffen hatte. ¹45
Die SNB gewährte dabei einen hohen Anteil der Liquiditätshilfe in Fremdwährungen. Dies war nötig geworden, weil die Credit Suisse den Zugang zu den Fremdwährungs-Swap-Märkten verloren hatte. Die Gewährung der Liquiditätshilfe in Fremdwährung konnte erfolgreich umgesetzt werden.
¹45 Die SNB kann Schweizer Franken, aber keine Fremdwährung, schaffen. Falls sie nicht über ausreichend Fremdwährung in ihren Reserven verfügt, muss sie versuchen, diese auf dem Markt oder bei den entsprechenden Zentralbanken zu beschaffen.
Umfang des Liquiditätspotenzials über den LoLR
Angesichts der enormen Abflüsse der Credit Suisse und der von Zahl- und Clearingstellen verlangten umfangreichen Vorhaltung von Liquidität im März 2023 erwiesen sich die EFF und die ELA - in Ergänzung der bankeigenen liquiden Mittel - als nicht ausreichend. Die Lücke musste per Notrecht mittels ELA+ und der Aktivierung eines PLB geschlossen werden. Das per Notrecht und lediglich temporär geschaffene Instrument der ELA+ war, zusammen mit der verfügbaren EFF und der ELA, entscheidend, um die Liquidität der Credit Suisse bis zum Wochenende vom 18. und 19. März 2023 zu sichern und damit die Umsetzung einer Lösung zur Sicherung der Finanzstabilität zu ermöglichen.
Um den Rückgriff auf Notrecht zu vermeiden, wären eine solidere Eigenvorsorge, eine stabilere Finanzierung, ein grösseres Potenzial zur Liquiditätsversorgung über den LoLR sowie die vorgesehene gesetzliche Verankerung des PLB (siehe Kap. 10) nötig gewesen. Unter anderem waren die durch die Credit Suisse im geltenden Dispositiv für einen Bezug von ELA operativ vorbereiteten Sicherheiten nicht ausreichend. So konnte nicht das vollständige anrechenbare Hypothekarvolumen der Schweizer Tochtergesellschaft an die SNB übertragen werden. Auch konnte ein grosses Volumen an Lombardkrediten ¹46 aus der Parent-Bank nicht verwendet werden, da die für die SNB erforderlichen Verbriefungen nicht vorgenommen worden waren.
Die SNB verfügt zudem, wie erwähnt, nicht über eine Weisungsbefugnis, eine Bank zur operativen Vorbereitung von ELA zu verpflichten.
Weiter konnte das hohe Volumen an ausländischen Aktiven auch nicht zum breiteren Bezug von Liquidität mittels ausländischer Zentralbankfazilitäten genutzt werden. Die US-Behörden haben im Nachgang zu den Turbulenzen vom März 2023 die Banken ermutigt, das Discount Window in Contingency-Funding -Plänen stärker einzubeziehen. ¹47
Bei der Beurteilung ist allerdings auch festzuhalten, dass der Liquiditätsbedarf der Credit Suisse über sämtlichen bisherigen Erfahrungswerten lag. Abbildung 6 vergleicht die Hilfe an die Credit Suisse mit anderen Fällen von Liquiditätshilfen durch Zentralbanken, wobei die Hilfe ins Verhältnis zur Bilanz gesetzt wird. ¹48 Durchschnittlich beläuft sich die beanspruchte Hilfe bei diesen Banken auf etwa 6 Prozent der Bilanzsumme. Der Höchstwert betrug knapp 15 Prozent. In vielen Fällen (namentlich bei Hypo Real Estate, Fortis, RBS und HBOS sowie bei der Commercial Paper Funding Facility des Fed ) war die Liquiditätshilfe der Zentralbank ganz oder teilweise durch staatliche Garantien gesichert. Bei Lehman Brothers (6 Prozent der Bilanz) ¹49 und Banco Popular (2 Prozent der Bilanz) wurde ein Mangel an zentralbankfähigen Sicherheiten als einer der Gründe für den nachfolgenden Untergang erachtet.
Die Credit Suisse bezog im Rahmen der EFF und von ELA insgesamt 48 Milliarden Franken, was 9 Prozent der Bilanz entspricht. Berücksichtigt man zusätzlich die mit Notrecht gewährten Darlehen im Rahmen von ELA+ und des PLB, ergeben sich 168 Milliarden Franken, die von der SNB gewährt wurden, bzw. 32 Prozent der Bilanz. Über zwei Drittel der erhaltenen Liquiditätshilfe wurde damit gestützt auf mittels Notrecht geschaffene Instrumente gewährt.
Der Vergleich verdeutlicht, dass der Liquiditätsbedarf der Credit Suisse im historischen Vergleich ausserordentlich hoch war. Die zusätzliche Volatilität, die durch das hohe Tempo der digitalen Informationsvermittlung und des digitalen Bankings erzeugt wird, dürfte das Ausmass möglicher Liquiditätsabflüsse tendenziell erhöhen. Das Dispositiv zum LoLR muss sich - zusammen mit der ersten und der dritten Verteidigungslinie - daher künftig auch auf solche Extremszenarien einstellen.
Abbildung 6
Liquiditätshilfen von Zentralbanken
0
5
10
15
20
25
30
35
Credit Suisse
UBS
Morgan Stanley
Citigroup
Bear Stearns
Lehman Brothers
RBS
HBOS
Hypo Real Estate
Fortis Bank
Banco Popular
Quellen: Daten aus diversen Quellen; eigene Berechnungen.
Prozent der Aktiven
Mit Notrecht gewährt
¹46 In ihrem Jahresbericht 2021 weist die Credit Suisse Group ein Volumen von ca. 50 Milliarden Franken an Lombardkrediten (d. h. mit Wertschriften besicherten Krediten an Private) aus. Weitere mit Wertschriften besicherte Kredite gingen an Unternehmen. Vgl. Credit Suisse Group AG,
Annual Report 2021
.
¹47 Federal Reserve System,
Addendum to the Interagency Policy Statement on Funding and Liquidity Risk Management: Importance of Contingency Funding Plans
, 28. Juli 2023.
¹48 Die Abbildung basiert auf eigenen Berechnungen zu öffentlich bekannten Liquiditätsbezügen gemäss den folgenden Quellen: Federal Reserve (
https://www.federalreserve.gov/newsevents/reform-transaction-data.htm
), Bloomberg (
https://www.bloomberg.com/news/articles/2011-08-21/wall-street-aristocracy-got-1-2-trillion-in-fed-s-secret-loans
), SNB ( Bericht zur Finanzstabilität 2023 und Medienmitteilung vom 8. Nov. 2013 unter
https://www.snb.ch/en/publications/communication/press-releases/2013/pre_20131108
), Ian Plenderleith (
https://www.bankofengland.co.uk/-/media/boe/files/news/2012/november/the-provision-of-emergency-liquidity-assistance-in-2008-9
), Bruegel (
https://www.bruegel.org/blog-post/emergency-liquidity-assistance-new-lease-life-or-kiss-death
), National Bank of Belgium (
https://www.nbb.be/doc/ts/publications/nbbreport/archives/nbb2008art2.pdf
). Generell wurde eine breite Definition für Liquiditätshilfe angewendet: Marktweite Operationen während der globalen Finanzkrise via Auktionen sind beispielsweise angerechnet, wenn entsprechende Angaben für einzelne Bankinstitute verfügbar sind.
¹49 Referat von Bernanke,
Reflections on a Year of Crisis
, 21. Aug. 2009: « Concerted government attempts to find a buyer for the company or to develop an industry solution proved unavailing , and the company’s available collateral fell well short of the amount needed to secure a Federal Reserve loan of sufficient size to meet its funding needs ».
Nutzung von ELA und Stigma-Effekt
Sowohl die SNB (Monatsbilanz, Quartals- und Jahresbericht) als auch die unterstützte Bank (periodische Berichte, börsenrechtliche Ad-hoc-Offenlegungen preissensitiver Informationen) publizieren Informationen, welche die Inanspruchnahme von ELA-Liquidität direkt offenlegen oder zumindest starke Hinweise darauf geben können. Zudem können grosse Bezüge über andere Informationskanäle allenfalls anderen Markteilnehmern auffallen. Grosse Abflüsse (z. B. von Einlagen) sind im Rahmen der periodischen Berichterstattung der Bank auch sichtbar, selbst wenn der Bezug von ELA nicht offengelegt würde. Abgesehen von den gesetzlichen und börsenrechtlichen Vorgaben besteht auch immer die Gefahr eines Informationslecks. ELA-Bezüge können daher höchstens über eine sehr begrenzte Zeit verdeckt gehalten werden.
Das Bekanntwerden eines ELA-Bezugs bei einer Zentralbank kann je nach Situation das Vertrauen in eine Bank stärken oder schwächen: 15⁰
-
Ein Negativeffekt kann entstehen, wenn eine einzelne Bank einen grossen Betrag bezieht und keine weiteren, flankierenden Massnahmen zu ihrer Stärkung getroffen werden oder die getroffenen flankierenden Massnahmen vom Markt und den Einlegern als unzureichend eingeschätzt werden. Die Gewährung von ELA dürfte in diesem Fall vom Markt und den Einlegern als Schwäche aufgefasst werden und damit die Abflüsse und dadurch die Krisensituation der Bank noch verstärken.
-
Von einem Positiveffekt ist auszugehen, wenn die Gewährung von ELA als Reaktion auf ein systemweites Problem erfolgt oder in ein vom Markt und den Einlegern als überzeugend empfundenes Gesamtmassnahmenpaket eingebettet ist, das die Lage der einzelnen Bank verbessert und das Vertrauen wiederherstellt.
Aufgrund von Bedenken, dass ein Liquiditätsbezug im Markt zu einem unpassenden Zeitpunkt bekannt und vom Markt und den Einlegern allenfalls als Schwäche interpretiert werden könnte, zögern Banken, ELA zu beziehen (sog. Stigma-Problem). Zögerndes Verhalten war auch in der Krise der Credit Suisse zu beobachten. Statt ELA zu beziehen, tendieren Banken dazu, Aktiven zu einem ungünstigen Zeitpunkt auf dem Markt zu verwerten und dabei Verluste zu erleiden ( Fire Sales ) oder liquiditätsintensive Stabilisierungsmassnahmen aufzuschieben.
Das Stigma-Problem ist nicht nur bei der Schweizer ELA relevant, sondern tritt auch bei Fazilitäten ausländischer Zentralbanken auf. Eine Umfrage des von US-Banken getragenen Bank Policy Institute kommt zum Schluss, dass sich das Stigma-Problem auch bei Bezügen beim Fed Discount Window manifestiert. 15¹ Diese Einschätzung wird vom ehemaligen Präsidenten des Federal Reserve geteilt. ¹52 Eine Studie des Independent Evaluation Office der Bank of England hält fest, dass ein Discount - Window -Bezug von Banken als eine mit ELA vergleichbare Massnahme betrachtet wird. ¹53
Das Stigma-Problem manifestierte sich in erfolgten Bezügen unter dem Discount Window . Seit Etablierung der Fazilität im Jahr 2008 erfolgte über das Discount Window der Bank of England kein einziger Bezug. ¹54 Beim Fed betrug der maximale Betrag, der während der globalen Finanzkrise in den USA über das Discount Window ausstehend war, ca. 100 Milliarden US-Dollar (weniger als 1 Prozent aller US-Bankaktiven). Ein ähnliches Bild ergibt sich bei der Marginal Lending Facility der EZB. ¹55
Um der Stigma-Thematik zu begegnen, hat das Federal Reserve 2004 die Anforderungen an die Solidität für Liquiditätsbezüge über das Discount Window ( primary credit ) erhöht. Die Erhöhung der Anforderungen erfolgte in der Absicht, zu signalisieren, dass eine Liquiditätsvergabe nur an solide Banken erfolgt, was wiederum das Stigma eines Bezugs reduzieren sollte. Studien der Federal Reserve Bank von New York kommen jedoch zum Schluss, dass das Stigma beim Discount Window weiterbesteht ¹56 und wohl generell bei bilateralen Fazilitäten ein Problem darstellt, selbst wenn es sich um ordentliche Fazilitäten handelt. ¹57
15⁰ Vgl. auch CGFS,
Designing frameworks for central bank liquidity assistance: addressing new challenges
, CGFS Papers No 58, April 2017, Kap. 8.
15¹ Nelson und Waxman,
Bank Treasurers’ Views on Liquidity Requirements and the Discount Window
, Bank Policy Institute, 12. Okt. 2021.
¹52 Referat von Bernanke,
Liquidity provision by the Federal Reserve
, 13. Mai 2008.
¹53 Bank of England Independent Evaluation Office,
Evaluation of the BoE’s approach to providing sterling liquidity
, Jan. 2018, S. 12, Ziff. 2.2: « Our external outreach exercise suggested that firms view it as akin to emergency liquidity assistance, to be used reluctantly in the event of a very severe stress - and possibly only after damaging actions have been taken […]. »
¹54 Bank of England Database, abrufbar unter:
https://www.bankofengland.co.uk/boeapps/database/
¹55 European Central Bank (Statistical Data Warehouse), abrufbar unter:
https://sdw.ecb.europa.eu/
¹56 Armantier et al.,
History of Discount Window Stigma
, Liberty Street Economics, 10. Aug. 2015.
¹57 Lee und Sarkar,
Is there Discount Window Stigma in the United Kingdom?
, Liberty Street Economics , 12. Sept. 2016: « [We] conclude that bilateral lending by central banks may tend to become stigmatized to some extent, no matter how the lending facility is structured .»
Herausforderungen bei G-SIBs
Bei G-SIBs ist die Vergabe von ELA im Vergleich zu nicht international tätigen SIBs mit zusätzlichen Herausforderungen verbunden. So verfügen G-SIBs über komplexe Strukturen und bedeutende ausländische Einheiten. Die für den Bezug von Liquidität von der SNB akzeptierten Sicherheiten sind typischerweise asymmetrisch im Konzern einer G-SIB verteilt ¹58 : Die meisten bei der SNB einlieferbaren Sicherheiten befinden sich in den Schweizer Tochtergesellschaften. Die Stammhäuser haben zwar Zugang zu ELA bei der SNB, verfügen aber im Vergleich zum potenziellen Bedarf gegenwärtig nur in einem sehr begrenzten Ausmass über ELA-fähige Sicherheiten. In einer Krise kann - wie im Fall der Credit Suisse - aber insbesondere auf Stufe der Parent-Bank ein besonders hoher Liquiditätsbedarf entstehen.
Diese Ausgangslage kann zu Herausforderungen bezüglich a) Sicherheiten- und Liquiditätstransfer im Konzern und b) im Ausland verbuchter Aktiven führen, die exemplarisch auch im Fall der Credit Suisse auftraten:
-
Der konzerninterne Transfer von Sicherheiten oder Liquidität birgt Herausforderungen: Gegenparteien der SNB sind die Schweizer Einheiten einer G-SIB, also die Parent-Bank und die Schweizer Tochtergesellschaft. Die Parent-Bank verfügt aber bislang nur in einem sehr begrenzten Ausmass über einsetzbare Sicherheiten. Die Sicherheiten bei der Tochtergesellschaft wiederum können u. a. aufgrund der Vorgaben im Notfallplan (Schutz der systemrelevanten Funktionen in der Schweiz) nur beschränkt in die Parent-Bank und von dort in weitere Konzerneinheiten transferiert werden. Zudem können zusätzliche Einschränkungen auch vom Management erlassen werden, etwa zur Reduktion der Risikoexposition der Schweizer Tochtergesellschaft.
-
Während Wertschriften, die sich im Ausland befinden, auch über ausländische Depotstellen eingeliefert werden können, dürfen nicht hypothekarische Inlandkredite (eine heterogene Mischung aus Wealth-Management-Krediten, Kontokorrentkrediten an Unternehmen und Investitionskrediten) und ausländische Kredite in der Schweiz nicht direkt als Sicherheit verwendet werden. Die SNB akzeptiert diese nur in verbriefter Form, was bedingt, dass die Bank entsprechende Verbriefungsstrukturen vorbereiten muss. Eine weitere Möglichkeit, die Problematik zu entschärfen, führt über den Zugang zu ausländischen Fazilitäten.
¹58 Expertengruppe Bankenstabilität 2023,
Reformbedarf nach dem Untergang der Credit Suisse
, 1. Sept. 2023, S. 49-50.
Wechselwirkung mit erster und dritter Verteidigungslinie
Bei der Liquiditätssicherung durch den LoLR im Rahmen der zweiten Verteidigungslinie stellen sich sowohl gegenüber der ersten als auch der dritten Verteidigungslinie Fragen der Abgrenzung und möglicher Anreizwirkungen.
Gegenüber der ersten Verteidigungslinie, der Absicherung durch bankeigene Mittel, besteht die Gefahr, dass sich Banken zu stark auf den LoLR verlassen und das eigene Liquiditätsmanagement vernachlässigen. Dem wird grundsätzlich mit regulatorischen Anforderungen an die bankeigene Liquidität (Liquiditätsregulierung) und einer über den Marktkosten liegenden Abgeltung für ELA entgegengewirkt. In der Praxis zeigt sich, dass zudem das Stigma ein wesentlicher Hemmfaktor ist, ELA zu nutzen.
Es besteht weiter die Gefahr, dass - zur Erhöhung des für ELA anrechenbaren Volumens an Sicherheiten - die Übertragung von Sicherheiten an die SNB und ausländische Zentralbanken rechtlich (z. B. Kundenverträge) und operativ (z. B. IT-Systeme) nicht genügend vorbereitet wird. Der potenzielle Nutzen in einer Krise wurde von Banken bisher in der Regel zu wenig gewichtet, um die Kosten einer Vorbereitung in Kauf zu nehmen. Die Bank spart damit in ruhigen Zeiten erhebliche Kosten, in Krisenzeiten kann die mangelnde Vorbereitung aber ein stärkeres staatliches Eingreifen erfordern. Dazu ist festzuhalten, dass die Banken bislang - ausser dem potenziellen Nutzen in der Krise - keine ökonomischen Anreize hatten, kostspielige Vorbereitungen vorzunehmen.
Mit den revidierten und bis Ende 2024 vollständig zu erfüllenden Liquiditätsanforderungen für SIBs wurden nun erstmals solche Anreize zur Erhöhung des für ELA akzeptierten Volumens an Sicherheiten eingeführt, indem vorgesehen wurde, dass ein bestimmter Betrag der für ELA vorbereiteten Hypothekarforderungen für die Erfüllung der Liquiditätsanforderungen anrechenbar ist (vgl. Art. 20 a Abs. 3 LiqV). Einen weiteren Anreizmechanismus sieht auch die PLB-Vorlage vor, wonach die von den SIBs zu entrichtende Ex-ante-Pauschale umso tiefer ausfällt, je höher der Umfang der für ELA vorbereiteten Sicherheiten liegt (vgl. Art. 32 c Abs. 4 E-BankG ¹59 ). Es ist davon auszugehen, dass diese Anreize durchaus wirksam sind.
Mit der Einführung eines PLB ergeben sich zudem auch Wechselwirkungen zwischen der zweiten und der dritten Verteidigungslinie. Der Liquiditätsbedarf in einer Krise hängt grundsätzlich vom Umfang und der Struktur der Passivseite der betroffenen SIB sowie vom Ausmass des Vertrauensverlustes ab. Entsprechend wurde der Gesamtbedarf auch im Fall der Credit Suisse durch eine Analyse der Passivseite ermittelt: Der potenzielle Maximalbedarf errechnete sich aus der Summe der Verbindlichkeiten, die kurzfristig abfliessen könnten, und einer zusätzlichen Sicherheitsreserve. Hiervon abgezogen wurde das Potenzial der ELA (und - im Fall des Massnahmenpakets bei der Credit Suisse - der ELA+), um die Höhe des zu gewährenden PLB zu ermitteln.
Diese sich mit dem Instrument des PLB ergebende neue Konstellation bedeutet auch, dass die Höhe der ELA die Aufteilung der insgesamt erforderlichen Liquiditätshilfe zwischen ELA und PLB stark beeinflusst, ohne dass der Bundesrat oder die Finanzdelegation des Parlaments, die für den Entscheid über die Gewährung der für den PLB notwendigen Garantien zuständig sind, darauf einen Einfluss haben.
Demgegenüber ist festzuhalten, dass mit einer höheren ELA-Kapazität nicht nur der Umfang eines allenfalls in der Sanierung benötigten PLB sinkt, sondern dass in einer allfälligen Sanierung auch mehr Aktiven bereits für die Gewährung von ELA beansprucht werden und damit im Konkursfall weniger Substanz für die Deckung der Forderungen aus einem gewährten PLB zu Verfügung stehen würde.
Dennoch ist die Aufteilung einer potenziellen Liquiditätshilfe zwischen zweiter und dritter Verteidigungslinie aus Sicht des Bundesrates kein Nullsummenspiel. Es gibt klare Vorteile für eine höhere zweite Verteidigungslinie - und damit einen tieferen Bedarf für die dritte Verteidigungslinie. Einerseits ist die Umsetzung von ELA in einer Krise operativ vorteilhaft, u. a. weil weniger Akteure einzubinden sind. Vor allem aber ist es aus staatlicher Sicht vorzuziehen, gegen Sicherheiten Liquidität zu gewähren, bevor Garantien gesprochen werden.
Schliesslich kann sich durch eine Ausweitung des LoLR-Potenzials auch das Potenzial zur Liquiditätsgewährung der zweiten und dritten Verteidigungslinie insgesamt erhöhen, weil mehr Sicherheiten für eine Andienung an die SNB vorbereitet werden - und damit im Krisenfall für die Schweizer Behörden zur Verfügung stehen können und nicht bereits durch andere Gläubigerinnen und Gläubiger reserviert wurden. 16⁰
¹59
BBl
2023
2166
16⁰ Diesen Punkt unterstreicht auch Tucker. Er vertritt zudem die Ansicht, dass die Abgrenzung zwischen der zweiten und der dritten Verteidigungslinie aufgrund ihrer Bedeutung vom Gesetzgeber geklärt werden sollte. Gutachten Tucker, S. 93.
ELA für nicht systemrelevante Banken
16¹
16¹ Gutachten Tucker, S. 92, Empfehlung 2.
Die Krisen rund um die Silicon Valley Bank , die Signature Bank und die First Republic Bank in den USA im März 2023 haben gezeigt, dass unter gegebenen Umständen Banken unterschiedlicher Grösse und mit verschiedenen Geschäftsmodellen in Situationen geraten können, in denen sie sehr rasch viel Liquidität benötigen und das Finanzsystem zu destabilisieren vermögen. Vor diesem Hintergrund könnte es auch in der Schweiz Fälle geben, bei denen ELA für nicht systemrelevante Banken einen Beitrag zur Finanzstabilität leisten könnte. ¹62
Die bestehenden gesetzlichen Grundlagen schränken den Kreis von Banken, die grundsätzlich ELA erhalten können, nicht ein. Das NBG erlaubt der SNB Kreditgeschäfte mit «Banken und anderen Finanzmarktteilnehmern». Während ELA bislang für SIBs vorbereitet wurde, wird die SNB mit der Initiative «Liquidität gegen hypothekarische Sicherheiten» künftig allen Banken bei Bedarf Liquidität gegen Hypotheken als Sicherheiten gewähren können. ¹63 Die Initiative wurde 2019 gestartet und die Umsetzung letztes Jahr mit einem Pilotprojekt begonnen. Ende Juli 2023 hat die SNB alle Banken über das Vorhaben orientiert.
Während Hypotheken bei im inländischen Kreditgeschäft aktiven Banken eine sehr bedeutende illiquide Bilanzposition darstellen (85 Prozent aller inländischen Kredite sind Hypotheken ¹64 ), können Banken, die im Verhältnis zur Bilanzgrösse kein oder kein relevantes Hypothekargeschäft betreiben (z. B. Vermögensverwaltungsbanken), von diesem Programm nicht oder nur im geringen Ausmass profitieren.
Für die Erreichung der Prozessbereitschaft muss eine Bank mit ein bis zwei Jahren rechnen. In der Vorbereitungszeit müssen teilnehmende Banken insbesondere interne Prozessanpassungen vornehmen, Übertragungsklauseln in ihre Kundenverträge einfügen und bei ihren Register-Schuldbriefen Gläubigerwechsel durchführen. Eine kurzfristige Umsetzung der Vorbereitungen erst im Bedarfsfall ist nicht machbar. Neben dem Beitrag zur Finanzstabilität soll die Initiative durch die weitere Digitalisierung des hypothekarischen Netzwerks die Effizienz des Bankgeschäfts steigern.
Je mehr Banken diese Fähigkeiten zum Liquiditätsbezug vorbereiten, desto grösser sind die Handlungsmöglichkeiten der SNB im Bedarfsfall. In der Entwicklungsphase und vor der Krise der Credit Suisse haben verschiedene Banken eine Teilnahme als Pilotbank abgelehnt, u. a. mit Verweis auf die Kosten und ihre in eigener Einschätzung hohe Solidität.
¹62 IWF,
Financial Stability Assessment Program Switzerland 2019
, 26 . Juni 2019, Paragraph 70: « The SNB should issue policies and procedures supporting its authority to provide ELA to any bank that is considered systemic and viable under certain circumstances .»
¹63 SNB,
Einleitende Bemerkungen des Direktoriums
, Mediengespräch, 21. Sept. 2023, S. 4.
¹64 SNB,
Einleitende Bemerkungen des Direktoriums
, Mediengespräch, 21. Sept. 2023, S. 5.
Mögliche Massnahmen
Die folgenden Kapitel zeigen das Spektrum von möglichen Massnahmen im Bereich Lender of Last Resort auf. Die Massnahmen werden aufgrund ihrer Interdependenzen auch als Gesamtheit zusammen mit den Massnahmen des Vorkapitels Liquiditätsanforderungen und des Folgekapitels Public Liquidity Backstop analysiert. Entsprechend wird in Kapitel 10.4.2 ein Fazit zu den drei Verteidigungslinien im Bereich Liquidität gezogen und ein konkreter Massnahmenmix vorgeschlagen.
Ausbau des Potenzials zur Liquiditätsversorgung über den LoLR
Eine mögliche Massnahme ist der deutliche Ausbau des Potenzials zur Liquiditätsversorgung durch die SNB als Kreditgeberin in letzter Instanz (LoLR). Im Hinblick auf diese Zielsetzung sollen im Rahmen der Umsetzung des Postulats 23.3445 «Überprüfung des Instrumentariums der SNB» und unter Berücksichtigung des verfassungsmässigen Auftrags der SNB die bestehenden rechtlichen Rahmenbedingungen des LoLR überprüft und ggf. weiterentwickelt werden. Der Auftrag der SNB, den Schweizerfranken-Geldmarkt mit Liquidität zu versorgen und zur Stabilität des Finanzsystems beizutragen, ist dabei mit ihren Aufgaben zur Wahrung der Preisstabilität zu vereinbaren.
Während der Anpassungsbedarf ergebnisoffen zu klären ist, sollen sich die Überlegungen an einigen wichtigen Grundsätzen orientieren:
-
Die Liquiditätsgewährung durch den LoLR erfolgt gegen Sicherheiten;
-
Die Funktion des LoLR soll sowohl den Einsatz ordentlicher als auch ausserordentlicher Fazilitäten berücksichtigen;
-
Die Liquiditätsversorgung über den LoLR soll für die Märkte, weitere in die Aufsicht oder eine allfällige Sanierung involvierte Behörden und betroffene Banken möglichst berechenbar sein;
-
Kosten und Nutzen für die Banken und die SNB sollen in einem guten Verhältnis stehen.
Im Rahmen dieser Massnahme und aufgrund der neuen Wechselwirkungen zwischen den Fazilitäten des LoLR und der geplanten Einführung eines PLB (der PLB wird zur Option, wenn die Fazilitäten des LoLR ausgeschöpft sind) ist neu zu beurteilen, was unter dem Begriff «ausreichende Sicherheiten» nach Artikel 9 Absatz 1 Buchstabe e NBG zu verstehen ist und ob der Begriff allenfalls zu konkretisieren ist (dies nicht zuletzt, wenn daran auch konkrete rechtliche Verpflichtungen geknüpft werden sollen, vgl. Kap. 9.4.2). Unbestritten scheint, dass dem Begriff «ausreichende Sicherheiten» bei der ausserordentlichen Liquiditätshilfe eine andere Bedeutung zukommt als bei den ordentlichen geldpolitischen Operationen. ¹65
Ziel dabei ist, in einer sich anbahnenden Krise den Liquiditätsbedarf frühzeitig auf eine möglichst effektive und effiziente Weise auch gegen Sicherheiten sicherzustellen, die in geringerem Grad marktfähig und liquide sind. Dazu gehört ein Spektrum an Liquiditätsfazilitäten, mittels denen Banken gegen eine breite Palette von Sicherheiten beim LoLR zeitnah Liquidität aufnehmen können.
Die Liquiditätsversorgung durch den LoLR soll daher gemäss Tucker zunächst über ordentliche Fazilitäten erfolgen, in denen auch weniger liquide Sicherheiten verwendet werden können. ¹66 Eine solche Fazilität könnte mit der Einführung von neuen und der Anpassung ¹67 von bestehenden Fazilitäten geschaffen werden. Dadurch wäre die Beanspruchung der eigentlichen ELA erst subsidiär zu den ordentlichen Fazilitäten erforderlich. Bezüge von Liquidität über ordentliche Fazilitäten erfolgen in der Regel auf einer « no-questions-asked »-Basis und sind somit z. B. nicht an Bedingungen bezüglich Begleitmassnahmen geknüpft.
Vor- und Nachteile eines Ausbaus des Potenzials zur Liquiditätsversorgung über den LoLR sind sorgfältig zu prüfen. Breitere Möglichkeiten zum Bezug von Liquidität via Fazilitäten der SNB können der teilweisen Begegnung des Stigma-Problems dienen, ohne dieses zu eliminieren. Ein Ausbau kann auch zusätzliche Anreize für Banken zur Vorbereitung von Sicherheiten generieren. Die frühe und breite Verwendung von Sicherheiten der Bank im Rahmen der Fazilitäten der SNB ist aber auch mit Nachteilen verbunden. So sind mögliche Fehlanreize ( Moral Hazard ) zu berücksichtigen, weil im Fall von hohen Liquiditätsabflüssen, die durch riskante Verhaltensweisen oder Fehlentscheide der Bank bedingt sind, mit dem Rückgriff auf die SNB-Fazilitäten eine Art Versicherung existiert. Es ist daher bei einem solchen Dispositiv auch wichtig, die Abgrenzung zu klären und sicherzustellen, dass auch in einer schweren Krise mit möglichen Sanierungsmassnahmen noch - nebst bankeigenen Mitteln - hinreichend zentralbankfähige Sicherheiten vorhanden sind. Ziel soll sein, dass der PLB möglichst wenig beansprucht wird.
Im Rahmen der Stärkung des LoLR-Potenzials ist auch zu erreichen, dass Banken die potenziell weitreichende Beanspruchung von Liquiditätsfazilitäten zeitlich im Voraus rechtlich und operativ vorbereiten (vgl. Kap. 9.4.2).
Ferner sind auch allfällige Anpassungen an den Zuständigkeiten und Kompetenzen im Bereich der Finanzstabilität zu berücksichtigen, die sich aus der Aufarbeitung der PUK ergeben können. Die Aufgaben des LoLR haben Auswirkungen auf andere Behörden, und es bestehen Abhängigkeitsverhältnisse zwischen den in einer Krise involvierten Behörden. ¹68 , ¹69
¹65 SNB,
Gutachten der SNB zur notenbankrechtlichen Zulässigkeit der Beteiligung der Schweizerischen Nationalbank am Massnahmenpaket zur Stärkung des Finanzsystems
, 13. Okt. 2008, S. 5.
¹66 Gutachten Tucker, S. 70 und 93 .
¹67 Vgl. auch Expertengruppe Bankenstabilität 2023,
Reformbedarf nach dem Untergang der Credit Suisse
, 1. Sept. 2023, S. 45 ff. und 55.
¹68 Gutachten Tucker, S. 55.
¹69 Vgl. auch Kap. 17.
Verpflichtung für Banken zu Vorbereitungsmassnahmen zur Nutzung der Liquiditätsfazilitäten
17⁰
17⁰ Vgl. bezüglich dieser möglichen Massnahme das Gutachten Ammann et al., Ziff. 4.4.2., sowie das Gutachten Tucker, S. 94, Empfehlung 5.
Damit die Liquiditätsversorgung im Notfall rasch erfolgen kann, sind umfassende rechtliche und operative Vorbereitungsarbeiten durch die Banken (z. B. zur Bestellung von Sicherheiten) unumgänglich. Banken müssen die Prozesse zur Beanspruchung von Liquiditätsfazilitäten im Voraus operativ vorbereiten, regelmässig testen und die nötigen Schritte unternehmen, um die Aktiven der Bank in die Form zu bringen, die von der SNB als ausreichende Sicherheit akzeptiert werden kann. Das Potenzial für den Bezug von Liquidität kann mit entsprechenden Vorbereitungshandlungen bedeutend erhöht werden.
Eine Massnahme zur Stärkung und besseren Ausschöpfung des LoLR-Potenzials besteht somit darin, zumindest für SIBs regulatorische Verpflichtungen für solche Vorbereitungsmassnahmen einzuführen. 17¹ Die Expertengruppe «Bankenstabilität» argumentiert, dass regulatorische Grundlagen auszuarbeiten seien, damit die FINMA SIBs anweisen könne, genügend übertragbare und unbelastete Sicherheiten bei der SNB und ausländischen Zentralbanken am richtigen Ort im Konzern bereitzustellen, um bei Bedarf den Zugriff auf zusätzliche liquide Mittel sicherstellen zu können. ¹72
Im Rahmen solcher Verpflichtungen könnte zum Beispiel für SIBs ein Mindestvolumen an vorzubereitenden Sicherheiten vorgeschrieben werden, das sich an den kurzfristigen Verbindlichkeiten abzüglich der über die regulatorische Liquiditätsanforderung hinaus gehaltenen HQLA orientiert.
Die Vorbereitung von Liquiditätshilfen ist für eine Bank mit - unter Umständen erheblichen - Kosten verbunden. Kosten und Nutzen von Vorgaben für Banken müssen dabei in einem sinnvollen Verhältnis stehen. Dies wäre bei einer Umsetzung neuer Verpflichtungen zu beachten. Die Kosten können zudem auch durch die Ausgestaltung der Rahmenbedingungen beeinflusst werden. ¹73 Günstige Rahmenbedingungen in den Kantonen, beispielsweise für koordinierte Massengläubigerwechsel bei Register-Schuldbriefen und Umwandlungen von Papier- in Register-Schuldbriefe, können beispielsweise die Kosten für die Vorbereitung von Hypotheken-ELA reduzieren.
Bei der Einführung von Verpflichtungen für Vorbereitungen sind die heterogenen Geschäftsmodelle der Banken zu beachten - nicht jede Bank ist beispielsweise im inländischen Hypothekargeschäft tätig. Ebenso ist bei einer Einführung regulatorischer Pflichten eine verbesserte Berechenbarkeit der Rahmenbedingungen einer Fazilität und eines möglichen Bezugs - zum Beispiel im Rahmen ordentlicher Fazilitäten - zu erreichen.
Zu beachten ist ferner, dass die Besicherungshöhe auch von der Möglichkeit eines Nettings von Aktiv- und Passivpositionen auf Kundenebene abhängt. Überdies können Aktiven nur einmal belehnt werden. Zum Beispiel kann die Vorgabe eines Mindest-ELA-Volumens damit in Konkurrenz zu Erfordernissen der Einlagensicherung treten. Gemäss Bankengesetz müssen 125 Prozent der privilegierten Einlagen durch inländische Aktiven gedeckt sein. Sicherheiten, die zur Deckung dieses Erfordernisses dienen, können nicht gleichzeitig für Liquiditätsfazilitäten verwendet werden.
17¹ Vgl. auch Group of Thirty (G30),
Bank Failures and Contagion: Lender of Last Resort, Liquidity, and Risk Management
, 9. Jan. 2024, S. 10.
¹72 Expertengruppe Bankenstabilität 2023,
Reformbedarf nach dem Untergang der Credit Suisse
, 1. Sept. 2023, S. 55.
¹73 Im Gutachten von Ammann et al. ist von der Schaffung der institutionellen und technischen Voraussetzungen die Rede, damit ein grösserer Teil der hochwertigen, aber illiquiden Sicherheiten zum Bezug von Liquidität zur Verfügung steht. Vgl. Ammann et al.,
Reformbedarf in der Regulierung von «
Too Big to Fail
»-Banken
, 19. Mai 2023, S. 40.
Ausbau des Zugangs zu Fazilitäten ausländischer Zentralbanken
Ein wichtiger Teil der Aktiven der UBS-Gruppe befindet sich im Ausland. Statt diese Aktiven für die Einlieferung bei der SNB vorzubereiten (z. B. Kredite in verbriefter Form), können diese - nach den Vorgaben der entsprechenden ausländischen Zentralbanken - auch bei ausländischen Zentralbanken eingeliefert werden.
Anreize zur Vorbereitung des Zugangs zu Liquiditätshilfen durch ausländische Zentralbanken können gesetzt werden, indem die Sicherheiten für mögliche Liquiditätsbezüge bei ausländischen Zentralbanken an ein neues Mindest-ELA-Volumen unter bestimmten Voraussetzungen zumindest teilweise angerechnet werden können.
Ein Ausbau des Zugangs kann das gesamte Liquiditätshilfevolumen steigern. Zudem erhöht die direkte Zufuhr von Liquidität im Ausland die Flexibilität in Krisen und geht gezielt das Problem mangelnder Transferierbarkeit von Liquidität zwischen verschiedenen Rechtseinheiten im Konzern («Vor-Ort-Versorgung» der Business -Einheiten) an. Schliesslich kann die Liquidität direkt in der entsprechenden Fremdwährung bezogen werden.
Reduktion des Stigma-Problems
Die in Kapitel 9.3.3 dargelegte Problematik des Stigmas von ELA und generell von Liquiditätshilfen in der Krise stellt für alle Zentralbanken eine wichtige Herausforderung dar und lässt sich nicht grundsätzlich vermeiden. Dennoch sind Massnahmen denkbar mit dem Ziel, die Problematik zumindest etwas zu entschärfen. Dies könnte sich vor allem in Fällen als nützlich erweisen, die weniger gravierend sind als die Vertrauenskrise der Credit Suisse.
Die Expertengruppe «Bankenstabilität» argumentiert, dass eine Zentralbank nach dem Muster der Bank of England zusätzliche Liquidität auf kontinuierlicher Basis zur Verfügung stellen und versuchen sollte, diese Operationen so gängig wie möglich zu machen. ¹74 Ziel ist also, dass der Markt die Nutzung einer Fazilität nicht als ausserordentlich einstuft.
Ein möglicher Bezug von Liquidität über ordentliche Fazilitäten könnte einen Beitrag zur Reduktion des Stigmas leisten. Grundsätzlich sollen - wie erwähnt - die Operationen so gängig wie möglich gemacht werden. Das gilt aber lediglich, wenn das Liquiditätsproblem nicht auf fundamentalen Gründen geschäfts- oder organisationsstrategischer Natur beruht und mittels Liquiditätshilfen gelöst werden kann. Bei fundamentalen Problemen sind Begleitmassnahmen in Abstimmung mit anderen Behörden zwingend. Wie die oben erwähnte Erfahrung im Ausland zeigt, werden z. B. auch Discount-Window -Fazilitäten nur äusserst zurückhaltend benutzt und sind mit Stigma verbunden.
Die Risiken einer Offenlegung von Liquiditätshilfen sind ernst zu nehmen. Eine mögliche Massnahme ist daher die Anpassung der Offenlegungspflichten. Zum Beispiel argumentiert Tucker, dass der Bezug von ELA erst dann veröffentlicht werden sollte, wenn dadurch keine negativen Konsequenzen für die betroffene Bank zu erwarten sind. ¹75 Damit kann ein grösseres Zeitfenster geschaffen werden, um die Ursache der Liquiditätsabflüsse anzugehen.
Damit der Bezug von ELA länger vertraulich gehalten werden kann, braucht es eine entsprechende rechtliche Grundlage in der Schweiz - sowohl für die SNB als auch für die Banken (für die periodische Berichterstattung und für die Ad-hoc-Publizität) - sowie auch Anpassungen auf internationaler Ebene. Bei Anpassungen der Offenlegungspflichten gilt es die Vorteile einer solchen Regelung und das Erfordernis der Markttransparenz gegenüber Investoren abzuwägen. Ebenfalls zu berücksichtigen ist die Rechenschaftsablage der SNB, die jedoch grundsätzlich auch mit einer verzögerten Berichterstattung sichergestellt werden könnte. ¹76
¹74 Expertengruppe Bankenstabilität 2023,
Reformbedarf nach dem Untergang der Credit Suisse
, 1. Sept. 2023, S. 48.
¹75 Gutachten Tucker, S. 74.
¹76 Bei einer allfälligen Änderung der Berichterstattungsvorschriften für die SNB wäre insbesondere zu berücksichtigen, dass namentlich die Jahresrechnung Grundlage für die Gewinnausschüttung an die Kantone sowie den Dividendenbeschluss der Generalversammlung der Aktionäre bildet.
Erhöhte Transferierbarkeit von Liquiditätshilfe innerhalb der Bankengruppe
Auch wenn die Stammhäuser einer G-SIB ihr ELA-Potenzial stärken können, dürften bestehende Asymmetrien innerhalb einer G-SIB damit nicht gänzlich korrigiert werden können. Ein Transfer von Liquidität im Konzern kann solche Ungleichgewichte zu einem gewissen Grad ausgleichen, wobei gemäss Darlegung in Kapitel 9.3.4 in der Praxis Limiten bestehen.
Als Massnahme zur Erhöhung der Transferierbarkeit ist insbesondere die Vorbereitung von besicherten Transaktionen zwischen den Rechtseinheiten denkbar. Gewisse Sicherheiten eignen sich besser für interne Besicherungen als für externe Transaktionen (z. B. wegen Informationsasymmetrien bei komplexen Sicherheiten, Datenschutz und Bankgeheimnis). Damit erhöht sich die Flexibilität im Krisenfall. Gleichzeitig bleibt bei besicherten internen Transaktionen das Risiko für konzerninterne Gegenparteien beschränkt.
Fazit und vorgeschlagener Massnahmenmix betreffend die drei Verteidigungslinien im Bereich Liquidität
Die entsprechenden Ausführungen finden sich in Kapitel 10.4.2.
Public Liquidity Backstop
Ausgangslage
Die Schweiz verfügt nicht über einen gesetzlich verankerten expliziten PLB. Der im Rahmen der Krise der Credit Suisse gestützt auf die Artikel 184 Absatz 3 und Artikel 185 Absatz 3 der Bundesverfassung (BV) ¹77 mittels Notrecht eingeführte PLB zeigte mit Erfolg, wie dieses Instrument zur Vertrauensgewinnung im Rahmen einer Bankenliquiditätskrise beitragen kann. Der PLB ist im entsprechenden internationalen Standard ¹78 vorgesehen und stellt die dritte Verteidigungslinie dar, nachdem die bankeigene Liquidität (erste Verteidigungslinie) und die Liquiditätsversorgung über den LoLR (zweite Verteidigungslinie) ausgeschöpft sind. Trotz der ersten beiden Verteidigungslinien kann nicht ausgeschlossen werden, dass Liquiditätsabflüsse bei einer grundsätzlich solventen Bank die verfügbaren Sicherheiten übersteigen. Notabene die Geschwindigkeit des Abflusses, die durch die digitalen Realitäten stark zugenommen hat, verschärft diese Möglichkeit. Der PLB dient der Ex-ante-Stärkung des Vertrauens der Marktteilnehmer in die erfolgreiche Fortführung einer SIB. Ebenso soll mit einem PLB temporär und unter gewissen Voraussetzungen die notwendige Liquidität bereitgestellt werden können, um eine Sanierung oder Konkursliquidation mit Weiterführung der systemrelevanten Funktionen zu ermöglichen.
Der Bundesrat hat am 6. September 2023 eine Botschaft verabschiedet, um eine staatliche Liquiditätssicherung für SIBs (PLB) einzuführen und das bisherige Schweizer TBTF-Dispositiv im Einklang mit der internationalen Empfehlung zu ergänzen. ¹79 Der entsprechende Gesetzesentwurf wird zum Zeitpunkt des Erscheinens dieses Berichts in den eidgenössischen Räten beraten.
Mit dem PLB kann die SNB einer sich in einer Krise befindenden SIB subsidiär Liquiditätshilfe-Darlehen mit Ausfallgarantie des Bundes gewähren (dritte Verteidigungslinie), nachdem der bankeigene Bestand an liquiden Mitteln und die Refinanzierungsmöglichkeiten der Bank am Markt (erste Verteidigungslinie) sowie die Möglichkeit anderweitiger Liquiditätshilfe der SNB (zweite Verteidigungslinie) ausgeschöpft sind. Zusätzlich zur Subsidiarität ist die Gewährung eines PLB an weitere Voraussetzungen geknüpft: an die Einleitung eines Sanierungsverfahrens, die Solvenz der Bank, das öffentliche Interesse und die Verhältnismässigkeit der staatlichen Intervention.
Es besteht kein Rechtsanspruch auf die Gewährung eines PLB. Weil die erforderliche Liquidität massgeblich von der betroffenen SIB, vom Krisenszenario sowie von weiteren zu ergreifenden Massnahmen abhängt, erfolgt der Entscheid über die Gewährung im Einzelfall. Auch die notwendige Höhe der Ausfallgarantie wird im Einzelfall festgelegt. Zur Gewährung einer Ausfallgarantie unterbreitet der Bundesrat den nötigen Verpflichtungskredit im Dringlichkeitsverfahren der parlamentarischen Finanzdelegation.
Dem Risiko des Bundes soll auf mehrfache Weise begegnet werden:
-
Ex-ante-Pauschale : Zur Abgeltung des Risikos, das der Bund mit der Möglichkeit der Gewährung von Ausfallgarantien an die SNB übernimmt, ist eine von den SIBs zu entrichtende Ex-ante-Pauschale zuhanden des allgemeinen Bundeshaushaltes vorgesehen. Gleichzeitig sollen dadurch Wettbewerbsverzerrungen zwischen SIBs und nicht systemrelevanten Banken entschärft werden. Die Ex-ante-Pauschale ist jährlich geschuldet, unabhängig davon, ob ein Liquiditätshilfe-Darlehen mit Ausfallgarantie des Bundes gewährt wird;
-
Konkursprivileg : Um das Verlustrisiko für den Bund im Fall einer Aktivierung des PLB-Instrumentes zu reduzieren, ist ein Konkursprivileg für die Forderungen der SNB aus vom Bund gesicherten Liquiditätshilfe-Darlehen vorgesehen;
-
Prämien, Zinsen und Kosten für Leistungen Dritter : Dem Bund soll eine Bereitstellungsprämie auf der Ausfallgarantie und dem Bund sowie der SNB eine Risikoprämie auf den tatsächlich beanspruchten Liquiditätshilfe-Darlehen mit Ausfallgarantie zustehen. Auch wird die SNB mit Zinsen für die ihr entstehenden Darlehenskosten entschädigt. Die Höhe der Prämien wird im Einzelfall festgelegt. Allfällige Kosten für Leistungen Dritter werden der SIB direkt auferlegt.
Damit Fehlanreize durch die Gewährung von Liquiditätshilfe-Darlehen der SNB gemindert werden, soll die SIB während der Beanspruchung von Liquiditätshilfe-Darlehen mit Ausfallgarantie nicht nur wie oben erwähnt adäquate Zinsen und Prämien entrichten, sondern auch diversen Auflagen unterliegen, namentlich:
-
einem Dividendenverbot und einem Verbot zur Gewährung und Rückzahlung von Darlehen an die Eigentümer der Konzernobergesellschaft sowie zur Rückerstattung von Kapitaleinlagen; sowie
-
einem Verbot, Handlungen vorzunehmen, die die Rückzahlung von Liquiditäts-hilfe-Darlehen mit Ausfallgarantie verzögern oder gefährden könnten.
Die Verletzung der Auflagen soll strafrechtliche Konsequenzen haben.
Nicht zuletzt wird dem Anreiz zu unerwünschten Verhaltensweisen mit erweiterten Massnahmen im Bereich der Vergütungen entgegengewirkt. Die Rückforderung von bereits ausgerichteten variablen Vergütungen soll inskünftig ausdrücklich möglich sein. Zudem kann die FINMA umfassende Massnahmen gegenüber Organen anordnen (z. B. Wechsel von Verwaltungsrat und Geschäftsführung).
Schon die blosse Existenz der Möglichkeit zur Gewährung eines PLB kann im Markt präventiv wirken und gegebenenfalls einen Ansturm der Einleger auf die Banken verhindern. Die Schaffung dieses Instrumentes kann Vertrauen bei Investoren und Kunden schaffen und dazu beitragen, dass diese auch in einer Krise mit der betreffenden Bank Geschäftsbeziehungen aufrechterhalten beziehungsweise eingehen. Im Fall einer G-SIB wird gleichzeitig das Vertrauen der ausländischen Aufsichtsbehörden in deren Sanierbarkeit gestärkt. Dadurch sinkt die Gefahr, dass ausländische Aufsichtsbehörden höhere regulatorische Anforderungen für in ihrem Land domizilierte Rechtseinheiten der G-SIBs anordnen beziehungsweise die Übertragbarkeit von Kapital und Liquidität einschränken würden (sog. Ring Fencing). Ein explizit geregelter PLB kann somit seine tatsächliche Beanspruchung durch seine blosse Existenz verhindern helfen.
Die Vorlage des Bundesrats vom 6. September 2023 enthält auch Bestimmungen, die über die Einführung des PLB-Konzepts gemäss den Eckwerten des Bundesrates vom 11. März 2022 hinausgehen. Dabei handelt es sich um die Möglichkeit zur Gewährung zusätzlicher Liquiditätshilfe-Darlehen der SNB (ELA+). Diese Darlehen dienten als Überbrückung der kritischen Phase bis zur Gewährung von Liquiditätshilfe-Darlehen mit Ausfallgarantie des Bundes (PLB). Die Geltungsdauer für die Gewährung von ELA+ ist bis am 31. Dezember 2027 befristet.
¹77
SR
101
¹78 FSB,
Guiding Principles on the temporary funding needed to support the orderly resolution of a global systemically important bank (GSIB)
, 18. Aug. 2016.
¹79
BBl
2023
2165
Internationaler Vergleich
Financial Stability Board
Das Financial Stability Board (FSB) legt in den Key Attributes 18⁰ die Grundsätze fest, die für eine wirksame Abwicklung von Banken zentral sind. Das übergeordnete Ziel besteht darin, die Abwicklung - die im Schweizer Kontext der Sanierung oder der Konkursliquidation entspricht - von Banken zu ermöglichen, ohne die Steuerzahlenden Verlusten auszusetzen. In den Key Attributes werden auch die Grundsätze der Liquiditätsversorgung einer G-SIB in der Abwicklung festgelegt. 18¹ Das FSB hat die Grundsätze betreffend Liquiditätsversorgung in den Guiding Principles ¹82 konkretisiert und dabei das Konzept eines PLB eingeführt.
Gemäss den Guiding Principles soll der im Rahmen einer Abwicklung erforderliche Liquiditätsbedarf in erster Linie durch private Liquiditätsquellen gedeckt werden. Die Bereitstellung von Liquidität durch die Behörden erfolgt erst nach Erfüllung bestimmter Voraussetzungen und ist so tief wie möglich zu halten, um das Risiko von Fehlanreizen ( Moral Hazard ) zu minimieren. Der PLB soll gemäss Guiding Principles dann zum Einsatz kommen, wenn er erforderlich und geeignet ist, um die Abwicklungsstrategie umsetzen zu können und damit die Finanzstabilität zu stärken. Er soll das Marktvertrauen fördern und private Gegenparteien dazu bringen, die Bank während der Abwicklung weiterhin mit Liquidität zu versorgen. Zudem soll dem PLB die Glaubwürdigkeit zukommen, dass er den voraussichtlichen Liquiditätsbedarf der Bank in Abwicklung zu decken vermag, die Umsetzung der von der Abwicklungsbehörde bevorzugten Abwicklungsstrategie erlaubt und genügend gross ist, um die Abwicklung mehrerer G-SIBs gleichzeitig zu ermöglichen. Die Liquidität soll nicht länger als nötig zur Verfügung gestellt werden, um bei einer geordneten Abwicklung die kritischen systemrelevanten Funktionen aufrechtzuerhalten, aber ausreichend lange, bis die Bank wieder Zugang zu privaten Liquiditätsquellen findet.
Die Möglichkeit, einen PLB anzuwenden, ist mit dem Risiko von Fehlanreizen verbunden. Der PLB kann eine Bank dazu verleiten, sich im Abwicklungsfall auf die Liquiditätsversorgung durch den PLB zu verlassen und dafür keine Liquiditätsvorsorge zu treffen. Das Risiko von Moral Hazard ist zu minimieren, so etwa durch Subsidiarität in Form von genügend strengen Liquiditätsvorschriften. Der Liquiditätsbedarf der Bank ist in erster Linie durch private Liquiditätsquellen zu decken. Es sollen daher finanzielle Anreize zum raschen Ausstieg aus dem PLB gesetzt werden. Zudem soll vermieden werden, dass der öffentlichen Hand Verluste aus dem PLB erwachsen. Daher sollen Ex-ante- oder Ex-post-Mechanismen zum Ausgleich von allfälligen Verlusten vorgesehen werden.
Die Abwicklungsbehörde erstellt für die G-SIBs in ihrer Jurisdiktion einen Liquiditätsplan als integralen Bestandteil des Abwicklungsplanes. Darin wird der Liquiditätsbedarf im Abwicklungsfall abgeschätzt, und es sind darin die möglichen Liquiditätsquellen zu identifizieren. Die Verfügbarkeit eines PLB wird dabei nebst der Finanzierung über den Privatmarkt und dem weiteren Zugang zu Zentralbankfazilitäten als wichtiges Element zur Sicherung einer genügenden Liquidität erachtet.
18⁰ FSB,
Key Attributes of Effective Resolution Regimes for Financial Institutions
, 15. Okt. 2014.
18¹ FSB,
Key Attributes of Effective Resolution Regimes for Financial Institutions
, 15. Okt. 2014, Ziff. 6.
¹82 FSB,
Guiding Principles on the temporary funding needed to support the orderly resolution of a global systemically important bank (GSIB)
, 18. Aug. 2016.
Europäische Union
Der einheitliche Abwicklungsausschuss ( Single Resolution Board , SRB) ist die zentrale Abwicklungsbehörde innerhalb der EU-Bankenunion. Zusammen mit den nationalen Abwicklungsbehörden bildet er den Einheitlichen Abwicklungsmechanismus ( Single Resolution Mechanism , SRM). Teil davon ist ein Abwicklungsfonds ( Single Resolution Fund , SRF), der allen Banken der EU-Bankenunion für besondere Liquiditätshilfe im Abwicklungsfall zusteht. Der SRF dient dazu, die effektive Anwendung der Abwicklungsmassnahmen sicherzustellen. Der SRF kann sowohl für Liquiditätshilfe als auch für Kapitalmassnahmen (Gewährung von Krediten oder Kauf von Aktiven) eingesetzt werden.
Der SRF wird durch Ex-ante-Beiträge der Banken aus den 21 Mitgliedstaaten der Bankenunion finanziert und wurde von 2016 bis 2023 aufgebaut. ¹83 Ende 2023 wurde die Zielmarke von mindestens einem Prozent der gesicherten Einlagen der Kreditinstitute in allen Mitgliedstaaten der Bankenunion erreicht. Der SRB stellt die Liquiditätshilfe grundsätzlich auf besicherter Basis zur Verfügung. Innerhalb der Bankenunion erfüllt der Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM) die Rolle des Common Backstops . Der ESM kann gewährt werden, wenn die Mittel des SRF zur Umsetzung der Abwicklungsmassnahmen nicht ausreichen. Er führt derzeit ungefähr zu einer Verdoppelung des Umfangs des SRF.
¹83 Vgl. die Angaben bezüglich SRF auf der Webseite des SRB, online abrufbar unter:
https://www.srb.europa.eu/en/single-resolution-fund
.
Vereinigtes Königreich
Im Vereinigten Königreich (UK) gibt das Resolution Liquidity Framework der Bank of England (BoE) die Möglichkeit, Banken, die sich in einer von der BoE geleiteten Abwicklung befinden, im Bedarfsfall mit Liquidität zu versorgen. Dabei handelt es sich um einen PLB in Form von Liquiditätshilfe durch die Zentralbank. Die Aktivierung muss vorab vom Finanzministerium ( HM Treasury ) genehmigt werden. Die Liquiditätshilfe im Rahmen des Resolution Liquidity Framework erfolgt grundsätzlich auf besicherter Basis. Aufgrund des mutmasslichen Umfangs der Liquiditätsunterstützung verlangt die BoE vom HM Treasury zudem eine Schadloserklärung ( Indemnity ). Dies versetzt die BoE in die Lage, einer Bank in Abwicklung so viel Liquidität wie nötig und für so lange wie erforderlich zur Verfügung zu stellen. Allfällige Verluste aus der Liquiditätshilfe werden durch die Branche getragen.
Vereinigte Staaten
In den USA kann bei grossen und komplexen Finanzinstituten die Liquiditätsversorgung einer nach der Strategie der Abwicklungsbehörde ( Federal Deposit Insurance Corporation , FDIC) etablierten Übergangsbank (sog. Bridge Bank ) über einen Orderly Resolution Fund (OLF) erfolgen. Der OLF ist ein beim US Treasury angesiedelter Fonds, bei dem sich die FDIC die für die Abwicklung benötigte Liquidität borgen kann. Technisch gibt die FDIC entweder eine Garantie gegenüber einem privaten Bereitsteller von Liquidität ab (Garantieversprechen gedeckt durch die Möglichkeit des Zugangs zum OLF) oder sie emittiert Obligationen (gedeckt durch die Vermögenswerte der von ihr etablierten Übergangsbank), die vom US Treasury angekauft werden. Die Mittel des OLF sind begrenzt - in den ersten 30 Tagen sind es maximal 10 Prozent der konsolidierten Aktiven, danach bis zu 90 Prozent, falls sich Finanzminister und Abwicklungsbehörde über einen Rückzahlungsplan über max. 60 Monate geeinigt haben. Die FDIC kann Mittel aus dem OLF nur unter sehr strengen Voraussetzungen in Anspruch nehmen. Der Fonds ist nicht vorfinanziert und ist somit kein Ex-ante-Fonds. Die Forderungen aus dem OLF geniessen gegenüber den Forderungen der privaten Gläubigerschaft Vorrang in der Gläubigerhierarchie. Die aus dem OLF bezogenen Mittel müssen aus dem Verkaufserlös der Aktiven der Übergangsbank vollständig zurückbezahlt werden. Im Verlustfall können bestimmte Finanzunternehmen während fünf Jahren für die Rückzahlung herangezogen werden.
Beurteilung
Notwendigkeit der gesetzlichen Verankerung eines PLB
Der Fall der Credit Suisse hat gezeigt, dass die bestehenden Instrumente der ersten und zweiten Verteidigungslinie nicht ausreichend waren, um den Liquiditätsabfluss zu decken. Durch die mittels Notrecht geschaffene Möglichkeit von zusätzlichen Liquiditätshilfe-Darlehen der SNB (ELA+) und Liquiditätshilfe-Darlehen mit Ausfallgarantie des Bundes (PLB) konnte sichergestellt werden, dass die Credit Suisse nicht illiquid geworden ist. Die Liquiditätshilfe-Darlehen führten zu einem Zeitgewinn und stellten die Fortführung der Geschäftstätigkeit der Credit Suisse sicher, damit diese bis zur definitiven Übernahme durch die UBS geordnet weitergeführt und eine Gefährdung der systemrelevanten Funktionen verhindert werden konnte. Nach der Übernahme der Credit Suisse durch die UBS wurden am 11. August 2023 sowohl der Vertrag über die Verlustübernahmegarantie des Bundes als auch der Vertrag mit der SNB über die staatlich garantierten Liquiditätshilfe-Darlehen definitiv beendet. Der Bund musste somit keine Verluste übernehmen und erzielte aus den Garantien Einnahmen in der Höhe von rund 200 Millionen Franken.
Im Fall der Credit Suisse konnten mit dem PLB erhebliche Schäden für die Schweizer Volkswirtschaft und das schweizerische Finanzsystem abgewendet werden. Der Nutzen dieses Instruments ist sonach bereits erwiesen und unterstreicht die Notwendigkeit der gesetzlichen Verankerung des PLB-Instruments. Die Wichtigkeit eines expliziten PLB wird auch im Bericht der Expertengruppe «Bankenstabilität» ¹84 sowie im Gutachten Tucker ¹85 hervorgehoben.
Für den Fall, dass das Parlament die vom Bundesrat verabschiedete PLB-Gesetzesvorlage ablehnen würde, empfiehlt die Expertengruppe «Bankenstabilität» die Einführung eines sogenannten Central Bank Liquidity Backstop (CBLB). ¹86 Dabei handelt es sich um Liquiditätshilfe-Darlehen der SNB ohne Sicherheiten der Bank und ohne staatliche Ausfallgarantie. Mangels Sicherheiten der Bank wäre das Verlustrisiko der SNB somit nicht gedeckt. Die Expertengruppe «Bankenstabilität» erachtet den Unterschied zwischen CBLB und PLB aus ökonomischer Sicht als gering, weil beide Instrumente Kredite der SNB ohne Sicherheiten der Bank darstellen. Während die SNB im Rahmen eines PLB vom Bund eine Ausfallgarantie erhält, gibt es eine solche beim CBLB jedoch nicht. Das ökonomische Risiko würde aber in beiden Fällen vom Staat, also entweder vom Bund oder von der SNB, getragen, was beide Instrumente aus ökonomischer Perspektive vergleichbar macht.
Ordnungspolitisch gibt es zwischen dem PLB und dem CBLB aber bedeutende Unterschiede. Während beim PLB das Parlament die Budgethoheit behält und eine Kontrollfunktion wahrnehmen kann, entzieht sich der CBLB aufgrund der verfassungsrechtlichen Unabhängigkeit der SNB dieser Kontrolle des Parlaments. Die SNB würde mit der Vergabe von unbesicherter Liquidität zudem finanzielle Risiken eingehen und die Grenze zwischen Liquiditäts- und Solvenzhilfe würde verwischt. In Krisensituationen wären die Unabhängigkeit der SNB und deren Geldpolitik tangiert und im Verlustfall die Glaubwürdigkeit und die Handlungsoptionen der SNB gefährdet. Aus diesem Grund ist die Weiterverfolgung eines CBLB-Ansatzes nicht zu empfehlen. Die Expertengruppe «Bankenstabilität» erachtet den CBLB zwar als gangbare Variante, bevorzugt jedoch ebenfalls den PLB.
¹84 Expertengruppe Bankenstabilität 2023,
Reformbedarf nach dem Untergang der Credit Suisse
, 1. Sept. 2023, S. 53 und 81 .
¹85 Gutachten Tucker, S. 71.
¹86 Expertengruppe Bankenstabilität 2023,
Reformbedarf nach dem Untergang der Credit Suisse
, 1. Sept. 2023, S. 53 und 54 .
Abzudeckender Bankenkreis
Die Krisen rund um die Silicon Valley Bank , die Signature Bank und die First Republic Bank in den USA im Frühling 2023 haben gezeigt, dass unter gegebenen Umständen auch die Ausfälle von nicht systemrelevanten Banken die Finanzstabilität gefährden können. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob sich auch in der Schweiz Situationen ergeben könnten, bei denen ein auf nicht systemrelevante Banken erweiterter PLB einen Beitrag zur Finanzstabilität leisten könnte und ob für solche Situationen eine Ausweitung des PLB vorzusehen ist.
Mit der Gesetzesvorlage vom 6. September 2023 sieht der Bundesrat die Einführung eines PLB für SIBs vor. Die Begrenzung auf SIBs liegt darin begründet, dass der Ausfall dieser Banken erhebliche Verwerfungen im Finanzsystem und bedeutende Schäden an der Volkswirtschaft verursachen kann (siehe Kap. 2.2). Eine mögliche Ausweitung des PLB auf nicht systemrelevante Banken und entsprechend auch die Ausdehnung der Definition der Systemrelevanz werden vom Bundesrat nicht empfohlen. ¹87 Zwar sind Situationen vorstellbar, in denen eine Ausweitung einen Beitrag zur Finanzstabilität leisten kann. Eine solche Situation könnte in der Schweiz beispielsweise eintreten, wenn mehrere nicht systemrelevante Banken gleichzeitig in eine Notlage geraten und ihre kumulierten Effekte ein bedeutendes Ausmass annehmen. Gegenüber der Einführung eines PLB für SIBs ist jedoch von tieferem Nutzen und gleichzeitig hohen Kosten auszugehen:
-
Von nicht systemrelevanten Banken gehen im Vergleich zu SIBs aufgrund ihrer geringeren Grösse und Vernetzung mit dem Finanzsystem sowie der besseren Substituierbarkeit der erbrachten Dienstleistungen geringere Risiken für die Finanzstabilität aus.
-
Regulatorisch wird die Stabilität aller Banken in der Schweiz bereits mit Basel-III-Regelungen unterstützt, die sich im Gegensatz zur internationalen Anwendung auf den gesamten Bankensektor beziehen. Die Umsetzung der finalen Basel-III- Standards wurde am 29. November 2023 vom Bundesrat verabschiedet. ¹88 Im Zentrum der nationalen Umsetzung steht, dass risikobehaftete Bereiche im Bankengeschäft mit mehr Eigenmitteln unterlegt werden müssen. Dies reduziert die Krisenanfälligkeit aller Banken und im Fall einer allfälligen Krise das potenzielle Ausmass eines Schadens für das Finanzsystem und die Volkswirtschaft. Zudem wird mit der risikoorientierten Aufsicht der FINMA den unterschiedlichen Grössen, Geschäftsmodellen und Risiken der einzelnen Institute Rechnung getragen.
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Für die Beurteilung des Nutzens einer Ausdehnung des PLB spielt auch das Potenzial zur Liquiditätsversorgung über die SNB als LoLR eine zentrale Rolle. Die SNB kündigte im September 2023 an, dass sie die Möglichkeiten der Liquiditätsversorgung des Bankensektors ausbaut. ¹89 Sie wird künftig allen Banken bei Bedarf Liquidität gegen Hypotheken als Sicherheiten gewähren können. Nicht systemrelevante Banken haben somit künftig die Möglichkeit, ihre Liquiditätssicherung im Krisenfall auch ohne PLB zu verbessern.
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Die Möglichkeit der Beanspruchung eines PLB ist für Banken mit zusätzlichen Kosten verbunden. Zur Entschädigung des Risikos des Bundes für eine allfällige Gewährung eines PLB müssten auch nicht systemrelevante Banken eine Abgeltungspauschale entrichten. Darüber hinaus ist der vom Bundesrat vorgeschlagene PLB als Teil des TBTF-Dispositivs konzipiert. Dies führt dazu, dass alle PLB-berechtigten Banken höhere regulatorische Anforderungen an die Eigenmittel, die Liquidität und die Abwicklungsfähigkeit erfüllen müssen. Eine Ausweitung dieser Anforderungen auf nicht systemrelevante Banken wäre zwecks Minderung des Risikos für den Bund notwendig, würde aber dem Grundgedanken der Proportionalität bei der Regulierung zuwiderlaufen.
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Wettbewerbsverzerrungen zwischen SIBs mit Zugang zum PLB und den restlichen Banken sollen nicht durch eine Ausweitung des PLB geheilt werden, sondern durch die vorgesehene adäquate Ex-ante-Pauschale der SIBs (vgl. 10.3.4). 19⁰
Insgesamt beurteilt der Bundesrat eine Erweiterung des PLB auf nicht systemrelevante Banken als nicht zielführend. Eine staatliche Liquiditätssicherung sollte nur erwogen werden, wenn das öffentliche Interesse und die Finanzmarktstabilität dies erfordern. Für eine (auch eingeschränkte) Ausdehnung des PLB ist aus Sicht des Bundesrats stark fraglich, ob ein ausreichendes öffentliches Interesse als sachliche Rechtfertigung vorliegen würde. Dies wäre zwingend erforderlich, um den resultierenden Eingriff in das Gleichbehandlungsgebot (Art. 8 BV) und die Wirtschaftsfreiheit (Art. 27 i. V. m. Art 94 BV) zu legitimieren. Wie in der Botschaft zum PLB ausgeführt, ist die vorgesehene Einschränkung auf das Kriterium der Systemrelevanz sachlich gerechtfertigt. 19¹
¹87 Vgl. ähnlich Kurzgutachten Brunetti.
¹88
AS
2024
13
¹89 SNB,
Einleitende Bemerkungen, Mediengespräch
, 21. Sept 2023.
19⁰ Kurzgutachten Brunetti, Kap. 1
19¹
BBl
2023
2165
, S. 78 ff.
Sanierung als Voraussetzung
Die Liquiditätshilfe-Darlehen mit Ausfallgarantie des Bundes mussten gemäss Artikel 4 der Notverordnung vom 16. März 2023 «für die Fortführung der Geschäftstätigkeit der Darlehensnehmerin geeignet und erforderlich» sein. Damit konnten diese Darlehen ausserhalb einer Sanierung gewährt werden. Artikel 32 a E-BankG der Gesetzesvorlage vom 6. September 2023 sieht im Gegensatz dazu vor, dass als Voraussetzung für die Vergabe solcher Darlehen die FINMA ein Sanierungsverfahren eingeleitet hat oder ein solches bevorsteht. In einem zukünftigen gleichgearteten Fall wäre auf der Basis der Gesetzesvorlage vom 6. September 2023 ein Vorgehen wie im März 2023 nicht mehr möglich. Die Einschränkung auf die Notwendigkeit einer Sanierung ist sinnvoll, weil diese Voraussetzung einerseits dem internationalen Standard und den vom Bundesrat im März 2022 verabschiedeten PLB-Eckwerten entspricht. Andererseits können die Massnahmen einer staatlichen Unterstützung im Rahmen einer Sanierung besser gesteuert und überwacht werden.
Wettbewerbsverzerrungen
Studien zeigen, dass SIBs weltweit aufgrund ihres TBTF-Status von einer impliziten Staatsgarantie profitieren. ¹92 Weil davon ausgegangen wird, dass SIBs im Krisenfall auf staatliche Unterstützung zählen können, erhalten sie u. a. ein besseres Rating und vergünstigte Fremdkapitalkosten. Es bestehen grosse Diskrepanzen bei der Schätzung der Höhe dieser sogenannten TBTF-Subvention. Beispielsweise kommt der Internationale Währungsfonds (IWF) in einer Studie zum Schluss, dass der Wert der impliziten Staatsgarantie für G-SIBs in der Schweiz, je nach Schätzmethode, zwischen 5 und 18 Milliarden Franken pro Jahr (ratingbasierter Ansatz) bzw. bis zu 45 Milliarden Franken pro Jahr ( Contingent Claims Analysis Approach ) beträgt. ¹93 Der Wert der TBTF-Subvention schwankt im Zeitverlauf und ist in Zeiten grosser Unsicherheit am höchsten, da dann eine staatliche Unterstützung am wahrscheinlichsten wird. Es gibt aber auch Studien, die zu tieferen Werten kommen. So schätzte eine Analyse der Boston Consulting Group den aggregierten Wert für die beiden Schweizer Grossbanken im Jahr 2010 zwischen 2,3 und 3,4 Milliarden Franken pro Jahr. ¹94 Diese Studien zeigen, dass keine präzise Höhe der TBTF-Subvention aus einer impliziten Staatsgarantie beziffert werden kann.
Um mögliche Vorteile aus einer impliziten Staatsgarantie zu kompensieren und mit Blick auf die Finanzstabilität Risiken zu reduzieren, müssen SIBs im Vergleich zu nicht systemrelevanten Banken höhere regulatorische Anforderungen an die Liquidität, die Eigenmittel und die Abwicklungsfähigkeit erfüllen. Der Wert der TBTF-Subvention kann aufgrund der expliziten gesetzlichen Verankerung des PLB weiter zunehmen. Dies kann zugunsten der SIBs bereits vor der Beanspruchung eines PLB eine wettbewerbsverzerrende Wirkung entfalten. Aus den oben genannten Studien lässt sich schliessen, dass eine genaue Quantifizierung einer aus einem PLB entstammenden Wettbewerbsverzerrung nicht möglich ist.
Der Bundesrat hat in der Gesetzesvorlage vom 6. September 2023 eine Ex-ante-Abgeltungspauschale vorgesehen. Diese soll das Verlustrisiko aus der Ausfallgarantie des Bundes im langjährigen Durchschnitt berücksichtigen sowie einen mit der Einführung einer staatlichen Liquiditätssicherung für SIBs entstehenden Wettbewerbsvorteil kompensieren. Die Abgeltungspauschale wurde risikoabhängig konzipiert, sodass dem Risiko der unterschiedlichen Geschäftsmodelle der SIBs und insbesondere der jeweils vorhandenen Liquidität Rechnung getragen wird. Diese Abgeltungspauschale hätte für das Jahr 2022 über alle SIBs gesamthafte Kosten von rund 70-210 Millionen Franken ergeben. ¹95 Unter Ausklammerung des Sonderverlustes der Credit Suisse im Jahr 2022 entspricht dies rund 0,6-1,8 Prozent der Summe aller im Jahr 2022 von den SIBs erwirtschafteten Konzerngewinne vor Steuern. ¹96
Eine vollständige Abgeltung der aus den oben zitierten internationalen Studien resultierenden impliziten Staatsgarantie mit der Abgeltungspauschale ist nicht zweckmässig. Einerseits, weil eine Abwälzung der oben genannten Beträge im Milliardenbereich auf nur vier SIBs praktisch nicht vorstellbar ist, ohne dass sich erhebliche negative Auswirkungen auf die Volkswirtschaft ergeben würden. Andererseits, weil die Einführung einer Abgeltungspauschale nicht zu einem Wettbewerbsnachteil mutieren darf. So müssen SIBs im Vergleich zu nicht systemrelevanten Banken bereits höhere regulatorische Anforderungen erfüllen sowie bei tatsächlicher Beanspruchung eines PLB zusätzlich Prämien und Zinsen entrichten. Nicht zuletzt haben SIBs keinen Rechtsanspruch auf Gewährung eines PLB.
Dem wettbewerbsverzerrenden Wert der impliziten Staatsgarantie soll primär über einen angemessenen regulatorischen Rahmen begegnet werden. Ergänzend zur Abgeltungspauschale ist es somit von zentraler Bedeutung, dass die regulatorischen Bestrebungen die Widerstandsfähigkeit von SIBs sowie geeignete Abwicklungsmassnahmen sicherstellen, um im Fall einer Bankenkrise den Einsatz von Steuergeldern möglichst zu vermeiden (siehe auch Kap. 13.4.4). Eine Studie des IWF deutet darauf hin, dass präventive regulatorische Massnahmen geeignet sind, um den Wert einer staatlichen Subvention von SIBs zu senken. ¹97
Aufgrund der ungenügenden öffentlich verfügbaren Datengrundlage kann kein quantitativ zuverlässiger Vergleich mit den in ausländischen Jurisdiktionen erhobenen Abgeltungen erstellt werden. Auch wäre ein vollständiger Vergleich mit Vorsicht zu geniessen, weil die länderspezifischen Ausgestaltungen von Abgeltungen im Rahmen der nationalen Bankenbesteuerungskonzepte einzuordnen und in Relation zu setzen wären (vgl. als Steuer ausgestaltete Bank Levy im UK). ¹98
¹92 Vgl. z. B. folgende Studien: Allenspach, Reichmann und Rodriguez-Martin,
Are Banks still «Too Big to Fail»?
- A market perspective
, SNB Working Paper 18/2021, Okt. 2021; IWF,
Moving from Liquidity- to Growth-Driven Markets
, Global Financial Stability Report , April 2014, S. 101-132.
¹93 IWF,
Moving from Liquidity- to Growth-Driven Markets
, Global Financial Stability Report , April 2014, S. 114 und 118 .
¹94 Boston Consulting Group, «Too big to fail»: Value of Implicit Government Guarantee in Europe. Studie zitiert in
BBl
2011
4717
, S. 4788.
¹95 Der untere Wert der Kosten-Bandbreite resultiert bei einem Bemessungssatz von 0, 005 Prozent der in Art. 32 c E-BankG definierten Bemessungsgrundlage; der obere Wert basiert auf einem Bemessungssatz von 0, 015 Prozent.
¹96 Als Vergleichsgrösse ist der Fall der ZKB interessant, weil sie sowohl eine SIB ist als auch über eine Staatsgarantie verfügt. Die ZKB entrichtete von 2017 bis 2022 für ihre Staatsgarantie pro Jahr rund 2, 7 Prozent ihrer Gewinne (durchschnittlich 24 Millionen Franken pro Jahr) an den Kanton Zürich. Aus den folgenden Gründen erscheint es angemessen und folgerichtig, dass die Pauschale für die Möglichkeit einer PLB-Beanspruchung im Verhältnis zur Abgeltung für kantonale Staatsgarantien tiefer angesetzt wird: Im Gegensatz zu den Kantonalbanken mit Staatsgarantien sollen SIBs keinen Rechtsanspruch auf Gewährung des PLB erhalten. SIBs müssen ausserdem bei tatsächlicher Beanspruchung eines PLB zusätzlich Prämien und Zinsen entrichten. Zudem deckt der PLB anders als eine kantonale Garantie nicht notwendigerweise alle Kundeneinlagen der betroffenen Bank. Hinzu kommt, dass SIBs im Vergleich zu den anderen (Kantonal-) Banken bereits höhere regulatorische Anforderungen an die Liquidität, die Eigenmittel und die Abwicklungsfähigkeit erfüllen müssen.
¹97 IWF ,
Moving from Liquidity- to Growth-Driven Markets
, Global Financial Stability Report , April 2014, S. 125.
¹98 HM Treasury,
Bank levy - changes to the scope and administration
, Webseite
.
Abgeltung: Ex-ante-Pauschale vs. Ex-post-Entschädigung
Gemäss internationalem Standard soll vermieden werden, dass der öffentlichen Hand Verluste aus dem PLB erwachsen. Daher sollen Konzepte zu staatlichen Liquiditätssicherungen Ex-ante- oder Ex-post-Mechanismen zum Ausgleich von allfälligen Verlusten vorsehen. ¹99 Während bei einem Ex-ante-Mechanismus die Abgeltungspauschale von der betroffenen Bank unabhängig von einem eingetretenen Krisenfall geleistet werden muss, ist im Fall einer Ex-post-Entschädigung eine Abgeltung erst dann geschuldet, wenn der öffentlichen Hand nach abgeschlossenem Konkursverfahren über die betroffene Bank ein Verlust übrigbleibt. Erhoben würde die Ex-post-Entschädigung bei den verbleibenden Banken, nicht also bei der Bank, die den Verlust verursacht hat, da diese im Konkurs liquidiert wird.
Eine Ex-ante-Pauschale berücksichtigt die grundsätzliche Bereitschaft des Bundes, im Krisenfall einer SIB und bei Erfüllung der gesetzlich festgelegten Voraussetzungen eine Ausfallgarantie für Liquiditätshilfe-Darlehen der SNB an die SIB bereitzustellen und zugunsten der Sicherung der Finanzstabilität ein gewisses Verlustrisiko einzugehen. Diese grundsätzliche Bereitschaft des Bundes wirkt bereits vor einem tatsächlichen Krisenfall und hat für sämtliche SIBs einen entsprechenden Wert. Es ist davon auszugehen, dass das Vertrauen von Kunden und Investoren in die Bank gestärkt wird und diese auch in einer Krise bereit sind, mit der betreffenden Bank Geschäftsbeziehungen aufrechtzuerhalten beziehungsweise einzugehen. Dadurch kann gegebenenfalls auch ein Ansturm der Einleger auf die Banken verhindert werden. Es ist zu erwarten, dass eine SIB aufgrund der Existenz des PLB-Instruments und seiner vertrauensfördernden Wirkung am Markt einen Abschlag auf ihren Fremdkapitalkosten geniesst. Diese Aspekte führen zu einer Wettbewerbsverzerrung zugunsten der SIBs. Es erscheint daher gerechtfertigt, dass diese Wettbewerbsverzerrung von den SIBs durch eine entsprechende Pauschale zugunsten des allgemeinen Bundeshaushalts abgegolten wird, unabhängig davon, ob ein Liquiditätshilfe-Darlehen mit Ausfallgarantie des Bundes gewährt wird. Private Unternehmen sollen nicht ohne Gegenleistung von der Risikoübernahmebereitschaft des Bundes profitieren können.
In der Gesetzesvorlage vom 6. September 2023 ist eine von den SIBs zu entrichtende Ex-ante-Abgeltung zugunsten des allgemeinen Bundeshaushalts vorgesehen. Die risikobasierte Ausgestaltung der Pauschale soll SIBs zur Reduktion von Liquiditätsrisiken und von Moral Hazard führen. 20⁰ Dabei soll dem Risiko der unterschiedlichen Geschäftsmodelle der SIBs und insbesondere der jeweils vorhandenen Liquidität Rechnung getragen werden. SIBs, die mit mehr anrechenbaren Eigenmitteln ausgestattet sind und die über viel Liquidität verfügen, werden mit geringerer Wahrscheinlichkeit eine Ausfallgarantie beanspruchen und sollen daher auch eine weniger hohe Pauschale entrichten müssen.
Das PLB-Konzept könnte auch eine Rückzahlung des der öffentlichen Hand nach Durchführung des Konkursverfahrens verbleibenden Verlustes über eine Ex-post-Entschädigung vorsehen. Dies erachtet der Bundesrat allerdings nicht als zielführend. So ist die juristische Umsetzbarkeit einer solchen Entschädigung fraglich, weil für eine Umsetzung in Form einer Abgabe, jedenfalls soweit diese Steuercharakter hätte, keine verfassungsrechtliche Grundlage besteht. Zudem würde diese Massnahme einerseits das Verursacherprinzip verletzen, weil die Kosten nicht von der schadenverursachenden Bank beglichen würden. Andererseits würde eine solche Lösung dem grundsätzlichen Wettbewerbsvorteil der SIBs gegenüber nicht systemrelevanten Banken nicht Rechnung tragen, der mit der Möglichkeit der Beanspruchung eines PLB entsteht. Die Lösung der Ex-post-Entschädigung ist international weit verbreitet (z. B. in den USA, im UK und in der EU). Im Gegensatz zur Schweiz verteilt sich im Ausland die potenziell mögliche Abgeltung in der Regel jedoch auf eine höhere Anzahl an Banken.
¹99 FSB,
Guiding Principles on the temporary funding needed to support the orderly resolution of a global systemically important bank (GSIB)
, 18. Aug. 2016, Ziff. 4.
20⁰ Zur Entschädigung der Risiken von Bund und SNB sowie zur Minderung von Fehlanreizen durch die Gewährung eines PLB soll die SIB gemäss Kap. 10.3.7 zusätzlich während der Beanspruchung des PLB adäquate Zinsen und Prämien entrichten sowie diversen Auflagen unterliegen.
Konkursprivileg
Das Konkursprivileg ist ein Kernelement der Vorlage. Allfällige Forderungen der SNB aus Liquiditätshilfe-Darlehen mit Ausfallgarantie des Bundes werden nachrangig zu den konkursrechtlich privilegierten Forderungen der ersten und der zweiten Gläubigerklasse (z. B. Löhne von Arbeitnehmenden, Sozialversicherungsbeiträge oder privilegierte Einlagen nach Art. 37 a BankG) in die bestehende dritte Klasse nach Artikel 219 Absatz 4 des Bundesgesetzes vom 11. April 1889 2⁰1 über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG) eingereiht. Innerhalb der dritten Klasse werden die Forderungen aus Freizügigkeitskonten in Form der reinen Sparlösung und Spareinlagen auf Konten der gebundenen Selbstvorsorge (Säule 3a), die über den Teil der privilegierten Einlagen von 100 000 Franken hinausgehen, vorrangig zu den PLB-Forderungen zu befriedigen sein. Nachrangig zu den PLB-Forderungen verbleiben somit alle übrigen Forderungen der dritten Klasse.
Ein Konkursprivileg der SNB aus Liquiditätshilfe-Darlehen mit Ausfallgarantie innerhalb der dritten Klasse von Artikel 219 Absatz 4 SchKG hat keine negativen Auswirkungen auf die Einlagensicherung, kann aber den Anteil der befriedigten Forderungen der übrigen Drittklassgläubigerschaft in einem Konkursverfahren schmälern. Da die Unterstützung der SIB mit PLB-Liquidität der erfolgreichen Sanierung der Bank erheblich dient und letztlich in den meisten Anwendungsfällen dazu führen sollte, dass ein Konkurs abgewendet wird, ist jedoch ein PLB - und somit auch die dafür notwendige Privilegierung - im Interesse der gesamten Gläubigerschaft.
2⁰1
SR
281.1
Pflichten der Darlehensnehmerin
Die Aussicht auf Gewährung von Liquiditätshilfe-Darlehen mit Ausfallgarantie kann Fehlanreize ( Moral Hazard ) setzen. Fehlanreize können entgegen den Interessen der Öffentlichkeit zu verantwortungslosem Verhalten durch die Bank führen und dadurch neue Risiken auslösen oder bestehende Risiken verstärken. Damit Fehlanreize durch die Gewährung von Liquiditätshilfe-Darlehen der SNB gemindert werden, soll die SIB während der Beanspruchung von Liquiditätshilfe-Darlehen mit Ausfallgarantie zusätzlich zur Entrichtung von adäquaten Zinsen und Prämien auch diversen Auflagen unterliegen. In der Vorlage sind namentlich ein Dividendenverbot und ein Verbot zur Gewährung und Rückzahlung von Darlehen an die Eigentümer der Konzernobergesellschaft sowie zur Rückerstattung von Kapitaleinlagen vorgesehen. Zudem soll die SIB einem Verbot unterliegen, Handlungen vorzunehmen, die die Rückzahlung von Liquiditätshilfe-Darlehen mit Ausfallgarantie verzögern oder gefährden könnten. Es ist vorgesehen, dass die Verletzung der Auflagen strafrechtliche Konsequenzen haben soll. Dadurch entfalten die vorgesehenen Massnahmen einen noch stärkeren disziplinierenden Charakter zur Minderung von Moral Hazard.
Mögliche Massnahmen
PLB für SIBs im ordentlichen Recht
Die Einführung des PLB-Instruments für SIBs im ordentlichen Recht hat sich im Rahmen der Krise der Credit Suisse als notwendig und zielführend erwiesen. Als mögliche Massnahme ist daher der PLB gesetzlich zu verankern. Eine entsprechende Botschaft hat der Bundesrat am 6. September 2023 zuhanden des Parlaments verabschiedet.
Fazit und vorgeschlagener Massnahmenmix betreffend die drei Verteidigungslinien im Bereich Liquidität
Auch wenn die seit der Finanzkrise 2007/08 getroffenen Massnahmen die Liquiditätsausstattung von Banken erheblich gestärkt haben, was sich auch in der Krise der Credit Suisse lange positiv auswirkte, besteht im Bereich der Liquiditätssicherung Handlungsbedarf. Die Liquiditätsabflüsse bei der Credit Suisse haben ein bislang beispielloses Ausmass gezeigt. Nicht zuletzt aufgrund der Entwicklungen des digitalen Bankings und der raschen Informationsverbreitung muss sich das Dispositiv zur Liquiditätssicherung auch in Zukunft auf solche Extremszenarien einstellen.
Da es weder betriebswirtschaftlich tragbar noch volkswirtschaftlich sinnvoll wäre, für jede SIB oder jede Bank Liquiditätsanforderungen zu erlassen, die bei jedem denkbaren Ansturm der Einlegerinnen und Einleger die Liquidität der Bank garantieren, sollen sämtliche drei Verteidigungslinien der Liquiditätssicherung gestärkt werden. Der nachfolgende liquiditätsbezogene Massnahmenmix wird in der chronologischen Abfolge der Beanspruchung in einer Krise dargelegt.
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Liquiditätsanforderungen (erste Verteidigungslinie): Die Umsetzung der jüngst revidierten LiqV trägt dem wesentlichen Handlungsbedarf in Bezug auf die besonderen Liquiditätsanforderungen für SIBs bereits Rechnung und führt zu einer deutlichen Verschärfung und zu im internationalen Vergleich hohen Liquiditätsanforderungen für SIBs. Allfälligen ungedeckten Liquiditätsrisiken kann mit den in der LiqV für SIBs vorgesehenen institutsspezifischen Zusatzanforderungen gezielt begegnet werden. Auf eine weitere Anpassung der Liquiditätsanforderungen spezifisch für SIBs soll daher auch vor dem Hintergrund, dass die neuen Bestimmungen für SIBs gemäss Vorgaben in der LiqV bis Ende 2026 auf ihre Wirksamkeit hin überprüft werden müssen, verzichtet werden.
Vor dem Hintergrund der jüngsten Erfahrungen sind jedoch die global geltenden Kennzahlen und Anforderungen der Liquiditätsregulierung für alle Banken, die LCR und die NSFR, zu überprüfen und ggf. anzupassen. Weil eine einheitliche Berechnung dieser Kennzahlen wichtig für die internationale Vergleichbarkeit und für das Sicherstellen fairer Wettbewerbsbedingungen ist, sollen die diesbezüglichen Anpassungen international abgestimmt erfolgen. Zu prüfen sind dabei in der LCR insbesondere die Abflussfaktoren, die Stärkung ihrer Pufferfunktion, die Behandlung der Liquiditätsanforderungen in ausländischen Einheiten, Schwellenwerte zur Begrenzung von einzelnen kurzfristigen Finanzierungsquellen und die Einführung einer regulatorisch festgelegten Untergrenze für die Erfüllung der LCR in wesentlichen Fremdwährungen. Im Rahmen der NSFR sind hingegen insbesondere gewisse Gewichtungsfaktoren zu prüfen.
Weil zeitnahe und qualitativ verlässliche Daten zur frühzeitigen Erkennung und Bewältigung einer Liquiditätskrise von zentraler Bedeutung sind, wird zudem in der Liquiditätsregulierung eine weitere Spezifizierung der Anforderungen an die Bereitstellung von Liquiditätsinformationen durch die Banken zur raschen Umsetzung empfohlen. Auf die Einführung von regulatorischen Rückzugsbeschränkungen für Einlagen zur Reduktion von Abflüssen in einer Krise ist zu verzichten, da dies einem zu starken Eingriff ins Geschäftsmodell von Banken und in die Bezugsmöglichkeiten von Bankkundinnen und -kunden entspräche. Für die Erleichterung der Diversifikation von Finanzierungsquellen ist ferner zu prüfen, ob die Einführung eines Covered-Bond-Gesetzes angemessen und zielführend ist, insbesondere unter Betrachtung des bereits bestehenden Pfandbriefgesetzes, der Massnahmen im Bereich des LoLR und des vorgesehenen PLB.
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Lender of Last Resort (zweite Verteidigungslinie): Die bestehenden rechtlichen Grundlagen und Rahmenbedingungen sollen im Rahmen der Umsetzung des Postulat 23.3445 «Überprüfung des Instrumentariums der SNB» überprüft und ggf. präzisiert und weiterentwickelt werden. Ziel ist es, das Potenzial der Liquiditätsversorgung in einer Krise durch den LoLR sowohl über den Einsatz ordentlicher als auch ausserordentlicher Fazilitäten zu erweitern. Dabei sind nebst dem verfassungsmässigen Auftrag der SNB und den gewonnenen Erkenntnissen aus der Krise der Credit Suisse auch die durch die Einführung eines PLB entstehenden Wechselwirkungen, die Einführung neuer oder Anpassung bestehender Fazilitäten sowie allfällige Anpassungen des institutionellen Rahmens, die sich aus den Ergebnissen der PUK ergeben, zu berücksichtigen. Teil einer Stärkung des LoLR-Dispositivs ist auch eine regulatorische Verpflichtung für Banken zur Vorbereitung von Sicherheiten, wobei in der Umsetzung einer solchen Anforderung die heterogenen Geschäftsmodelle von Banken, die Gewährleistung eines guten Kosten-Nutzen-Verhältnisses und die Planbarkeit zu berücksichtigen sind.
Überdies sollen Möglichkeiten zur Reduktion der Stigma-Problematik und für eine erhöhte Transferierbarkeit von Liquiditätshilfe innerhalb einer Bankengruppe geprüft werden. Banken sollen zudem den Zugang zu Fazilitäten ausländischer Zentralbanken soweit möglich ausbauen.
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Public Liquidity Backstop (dritte Verteidigungslinie): Künftig soll mit dem PLB eine dritte Verteidigungslinie für SIBs im ordentlichen Recht bereitstehen. Dabei soll die Möglichkeit einer Beanspruchung des PLB nur in einer Sanierung bestehen und von den SIBs mit einer regelmässig zu entrichtenden Ex-ante-Pauschale abgegolten werden. Zur Reduktion des Risikos für den Bund soll der PLB ein Konkursprivileg für die Forderungen der SNB beinhalten. Zur Milderung von Fehlanreizen sollen SIBs bei einer allfälligen Beanspruchung eines PLB adäquate Zinsen und Prämien entrichten und weiteren Auflagen unterliegen.
Diese Massnahme wurde mit der Botschaft vom 6. September 2023 bereits dem Parlament unterbreitet. Eine Ausweitung des PLB auf nicht systemrelevante Banken wird nicht als zielführend erachtet, u. a. weil nach Ansicht des Bundesrates kein ausreichendes öffentliches Interesse als sachliche Rechtfertigung vorliegen würde. Massnahmen, die über den Gesetzesentwurf zum PLB hinausgehen, wurden keine identifiziert.
Einlegerschutzsystem
Ausgangslage
Das System des Einlegerschutzes 2⁰2 verfolgt zwei grundsätzliche Ziele. Erstens soll es zur Stabilität des Finanzsystems beitragen, indem es das Vertrauen der Einleger in die Sicherheit ihrer Bankeinlagen stärkt und somit während einer Krise die Anreize für einen Bankensturm senkt. Zweitens soll es die Einlegerinnen und Einleger bei einem Bankenausfall vor Verlusten oder einer temporären Nicht-Verfügbarkeit ihrer Einlagen schützen.
Das System des Einlegerschutzes hat in der Schweiz ein dreistufiges Konzept. Die erste Stufe sieht vor, die privilegierten Einlagen aus den liquiden Mitteln der Bank umgehend, d. h. ausserhalb des ordentlichen Liquidationsverfahrens, vollständig oder anteilsmässig auszuzahlen. Gemäss Bankengesetz müssen dazu 125 Prozent der privilegierten Einlagen durch inländische Aktiven gedeckt sein. Als privilegierte Einlagen gelten die bei in- und ausländischen Geschäftsstellen von Schweizer Banken verbuchten Einlagen bis zu einem Maximalbetrag von 100 000 Franken pro privilegierte Einlegerin oder privilegierten Einleger (Art. 37 a BankG, Art. 42 c BankV). Ausgelöst wird das System durch Konkurs oder durch bestimmte Schutzmassnahmen der FINMA.
Falls die liquiden Mittel der Bank für eine sofortige Auszahlung der privilegierten Einlagen nicht ausreichen, kommt in einer zweiten Stufe die Einlagensicherung zum Zug. Diese sichert die Auszahlung derjenigen privilegierten Einlagen, die bei schweizerischen Geschäftsstellen verbucht sind und bei denen es sich nicht um Vorsorgeguthaben handelt (sogenannte gesicherte Einlagen). 2⁰3
Die Einlagensicherung wird durch die Banken in der Form einer Selbstregulierung wahrgenommen (Esisuisse) und mittels Bankbeiträgen im Anwendungsfall finanziert. Die FINMA teilt der Esisuisse den erforderlichen Betrag für die Auszahlung mit, die den entsprechenden Betrag innert sieben Tagen nach Erhalt der Mitteilung der von der FINMA beauftragten Person für die Untersuchung, Sanierung oder Konkursliquidation zur Verfügung stellt. Diese beauftragte Person erstellt einen Auszahlungsplan, ersucht die aus dem Auszahlungsplan ersichtlichen Einlegerinnen und Einleger umgehend um Zahlungsinstruktionen zur Auszahlung der gesicherten Einlagen und löst spätestens am siebten Arbeitstag nach Erhalt der Instruktionen die Zahlung des (verbleibenden) Teils der privilegierten Einlagen aus, die bei inländischen Geschäftsstellen verbucht sind.
Der Beitrag der Esisuisse ist dabei durch eine Systemobergrenze limitiert. Die Obergrenze beträgt 1,6 Prozent der Summe aller gesicherten Einlagen und im Minimum 6 Milliarden Franken. Diese Grenze betrug per Ende 2022 8 Milliarden Franken. Die Esisuisse muss den erforderlichen Betrag innert sieben Tagen zur Verfügung stellen.
Die dritte Stufe sieht ein Konkursprivileg für diejenigen privilegierten Einlagen vor, die in den vorangehenden zwei Stufen nicht ausbezahlt werden konnten. Das Konkursprivileg bedeutet, dass diese Einlagen im Rahmen des ordentlichen Liquidationsverfahrens der zweiten Gläubigerklasse zugewiesen werden. Damit werden sie gegenüber der Gläubigerschaft der 3. Klasse bevorzugt bedient, z. B. gegenüber Anleihegläubigerinnen und -gläubigern. Die Auszahlung dieser Einlagen erfolgt im Rahmen von einer oder mehreren Abschlagsverteilungen oder erst nach Abschluss des Liquidationsverfahrens und kann somit mit Verzögerungen und Verlusten für die Einlegerin oder den Einleger verbunden sein.
Dazu tritt bei einzelnen Kantonalbanken eine Staatsgarantie (beschränkt oder unbeschränkt), was einen zusätzlichen Beitrag zum Einlegerschutz für diese Banken bringt.
2⁰2 In diesem Kap. wird zwischen Einlegerschutz und Einlagensicherung unterschieden. Die Einlagensicherung bezieht sich auf die Aufgaben der Esisuisse, d. h. die allfällige Bereitstellung der Mittel zur Auszahlung der gesicherten Einlagen im Krisenfall. Der Einlegerschutz beinhaltet auch die Einlagensicherung, ist aber breiter gefasst. Er umfasst unter anderem auch die Tätigkeiten der FINMA zur Auszahlung der gesicherten Einlagen und die Konkursregelung in Bezug auf die Einlegerinnen und Einleger (insb. Konkursprivileg).
2⁰3 Privilegiert sind die folgenden Guthaben von Schweizer Banken im In- und Ausland: Privat- und Lohnkonten, Spar- und Anlagekonten, Kontokorrentkonten, Freizügigkeits- und Vorsorgekonten sowie Guthaben auf ausländischen Geschäftsstellen. Gesicherte Einlagen sind eine Untermenge der privilegierten Einlagen und beschränken sich auf Privat- und Lohnkonten, Spar- und Anlagekonten und Kontokorrentkonten, die bei inländischen Geschäftsstellen verbucht sind.
Internationaler Vergleich zur Einlagensicherung
Europäische Union
In der EU haben die Mitgliedstaaten eigene Einlagensicherungen, die der Richtlinie 2014/49/EU 2⁰4 unterliegen. Diese Richtlinie enthält Regelungen und Anforderungen an die nationalen Einlagensicherungen und soll dadurch einen gewissen Grad an Harmonisierung zwischen den Mitgliedstaaten erreichen. Die individuelle Limite beträgt 100 000 Euro pro Einlegerin oder Einleger und Kreditinstitut, zudem darf die Auszahlungsfrist ab 2024 sieben Arbeitstage nicht überschreiten. Die Einlagensicherungssysteme der Mitgliedstaaten müssen zu mindestens 70 Prozent ex ante finanziert sein und dazu einen Deckungsgrad von 0,8 Prozent der gesicherten Einlagen ihrer Mitgliedinstitute aufweisen. Reichen die Mittel der Einlagensicherung nicht aus, müssen die Einlagensicherungssysteme über angemessene alternative Finanzierungsregelungen verfügen.
2⁰4
Richtlinie 2014/49/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. April 2014 über Einlagensicherungssysteme
, ABl. L 173 vom 12.6.2014, S. 149.
Vereinigte Staaten
In den USA wird die Aufgabe der Einlagensicherung durch die staatliche Federal Deposit Insurance Corporation (FDIC) wahrgenommen. Die FDIC sichert Einlagen, beaufsichtigt Finanzinstitute und verfügt über Kompetenzen im Bereich der Sanierung und Abwicklung von Finanzinstituten.
Die individuelle Limite für gesicherte Einlagen beträgt 250 000 US-Dollar pro Kundin oder Kunde, Kontokategorie und Mitgliedinstitut. Die FDIC besitzt einen Deposit Insurance Fund , der durch risikobasierte Prämien der Banken finanziert wird. Dieser hatte per Ende 2022 einen Umfang von 123 Milliarden US-Dollar. Dies entspricht bei aggregierten gesicherten Einlagen von 9 900 Milliarden US-Dollar einem Deckungsgrad von ca. 1,3 Prozent. In der langen Frist strebt die FDIC einen Deckungsgrad von 2,0 Prozent an. Die FDIC verfügt über eine vollumfängliche Garantie der US-Regierung ( Full Faith and Credit ), falls die Mittel des Fonds nicht ausreichen. Die FDIC hat die Möglichkeit, zur Abwendung systemischer Risiken eine breite Palette an Massnahmen zu ergreifen ( Systemic Risk Exception ). Damit konnte die FDIC im März 2023 denn auch sämtliche Einlagen der Silicon Valley Bank garantieren. Während der Finanzkrise 2007/08 hat sie zudem beispielsweise Wachovias Anlagen im Umfang von 312 Milliarden US-Dollar garantiert, um die Übernahme durch Citigroup zu ermöglichen.
Beurteilung
Die Einlagensicherung bietet Einlegerinnen und Einlegern bei Banken und kontoführende Wertpapierhäusern, die von der FINMA bewilligt worden sind, im Konkursverfahren einen erhöhten Schutz. Damit stärkt die Einlagensicherung das Vertrauen in Bankeinlagen in Krisenzeiten und trägt zur Finanzstabilität bei.
Das heutige System weist dabei diverse Grenzen und damit Schwachstellen auf, die nachfolgend dargelegt werden.
Systemobergrenze
Die Einlagensicherung wäre mit ihrer derzeitigen Systemobergrenze wahrscheinlich nicht in der Lage, den Zusammenbruch einer grossen oder mehrerer mittleren oder kleineren Banken zu bewältigen. Insgesamt wiesen per Ende 2022 11 Banken je gesicherte Einlagen von mehr als 8 Milliarden Franken aus. Die gesicherten Einlagen der SIBs waren, einzeln betrachtet, zwischen 4- bis 13-mal höher als die Systemobergrenze.
Wenn die Mittel der Einlagensicherung nicht ausreichen, um im Konkursfall die gesicherten Einlagen vollständig auszuzahlen, verfügen die nicht ausbezahlten gesicherten Einlagen über ein Konkursprivileg und werden der Konkursmasse der Bank zugewiesen. Damit ist die Einlegerin oder der Einleger einem Verlustrisiko ausgesetzt und der Zugriff auf diesen Teil der Einlage bleibt potenziell über längere Zeit blockiert.
Die derzeitige Systemobergrenze sowie die fehlende Regelung für gesicherte Einlagen, die darüber liegen, können die Glaubwürdigkeit der Einlagensicherung beeinträchtigen. Sie kann bei den Einlegern Zweifel auslösen, dass ihre Guthaben bis zur individuellen Limite von 100 000 Franken auch tatsächlich ausbezahlt werden könnten. Diese Schwachstelle ist im Fall von SIBs besonders ausgeprägt, da deren gesicherte Einlagen die Systemobergrenze um ein Mehrfaches übersteigen.
Ex-post-Finanzierung
Die Schweizer Einlagensicherung ist ex post finanziert, d. h., die Beiträge zur Sicherung der Einlagen werden erst nach Eintritt eines Anwendungsfalls erhoben. Dies kann bei den Banken, die einen Beitrag leisten müssen, einen allfälligen, bereits bestehenden Mangel an Liquidität weiter verschärfen. Falls die geleisteten Beiträge zudem abgeschrieben werden müssen, fallen für diese Banken zusätzlich Verluste an. Dies kann zu einer Kettenreaktion führen und weitere Banken in die Zahlungsunfähigkeit oder Insolvenz treiben. Somit entfaltet die Ex-post-Finanzierung eine prozyklische Wirkung, die eine Krise zusätzlich verschärfen und damit negative Auswirkungen auf die Systemstabilität haben kann.
Auszahlungsfrist
Die Auszahlungsfrist beträgt im gegenwärtigen System maximal 14 Tage. Diese Frist setzt sich zusammen aus einer Frist von 7 Tagen für die Esisuisse, um bei ihren Mitgliedbanken die Mittel einzuziehen oder die Verwertung der hinterlegten Vermögenswerte zu veranlassen. Die Esisuisse überweist die Mittel dann an die Konkursverwalterin oder den Konkursverwalter, die oder der wiederum eine Frist von 7 Tagen hat, um die erhaltenen Mittel an die Einleger auszuzahlen.
Gemäss internationalem Standard 2⁰5 sollte die Auszahlungsfrist maximal 7 Tage betragen. Die Krise rund um die Silicon Valley Bank in den USA hat gezeigt, dass auch 7 Tage zu lange sein können, weshalb die FDIC im März 2023 eine Auszahlung am nächsten Tag garantierte.
Die eher lange Auszahlungsfrist des Schweizer Systems ist auf die Ex-post-Finanzierung in Verbindung mit einem aufwändigen Auszahlungsprozedere zurückzuführen.
2⁰5 International Association of Deposit Insurers,
Core Principles for Effective Deposit Insurance Systems
, Nov. 2014.
Beitrag zur Krisenbewältigung
Die Schweizer Einlagensicherung wird erst aktiviert, wenn die Verfügbarkeit der gesicherten Einlagen aufgrund von Konkurs oder durch bestimmte Schutzmassnahmen der FINMA eingeschränkt ist. Die Rolle der Einlagensicherung beschränkt sich dann ausschliesslich auf die Bereitstellung der Mittel zur Auszahlung der gesicherten Einlagen. Im Fall einer SIB ist der Unterbruch der Verfügbarkeit der gesicherten Einlagen im Krisenfall jedoch keine Option, da das inländische Einlagengeschäft als systemrelevante Funktion über einen bestimmten Zeitraum weitergeführt werden muss. SIBs müssen daher im Gegensatz zu den übrigen Banken auch keine Vorbereitungshandlungen (Art. 42 h BankV) treffen, um die Erstellung des Auszahlungsplans, die Kontaktierung der Einlegerinnen und Einleger sowie die Auszahlung zu gewährleisten. Sie müssen jedoch ein Konzept erstellen, das darlegt, wie eine Auszahlung beim Scheitern einer Sanierung erfolgen kann. Der Einsatz der Einlagensicherung ist somit gemäss der TBTF-Zielsetzung, die die Fortführung der volkswirtschaftlich wichtigen Funktionen bezweckt, bei einer Krise einer SIB äusserst unwahrscheinlich.
Individuelle Limite von 100 000 Franken
Es soll gewährleistet werden, dass die Einlegerinnen und Einleger auch im Krisenfall fortlaufend auf ihre Einlagen zugreifen und Zahlungen tätigen können. Gleichzeitig soll mit der Limitierung der gesicherten Einlagen die Marktdisziplin aufrechterhalten werden. Die Limite von 100 000 Franken gilt für alle Kundinnen und Kunden gleichermassen. Zwischen den verschiedenen Kundensegmenten bestehen in der Realität jedoch grosse Unterschiede. So haben Firmenkunden typischerweise wesentlich höhere Guthaben, beispielsweise um Lohnzahlungen oder Investitionsanschaffungen zu tätigen. Da ein Grossteil dieser Guthaben nicht durch die Einlagensicherung gedeckt ist, ist der Anreiz für Firmen grösser, diese im Krisenfall schnell abzuziehen. Dies haben die Fälle der Silicon Valley Bank und der Signature Bank in den USA im März 2023 deutlich gezeigt.
Auch Kunden aus dem Wealth Management verfügen typischerweise über wesentlich höhere Einlagen und reagieren sensitiver auf negative Schlagzeilen über die Stabilität einer Bank. Beispielsweise berichtete die Credit Suisse, dass sie im 1. Quartal 2023 auf Gruppenstufe 61 Milliarden Franken ihrer verwalteten Vermögen ( Assets under Management , AuM) verloren hat. Davon entfielen 47 Milliarden Franken, oder 5 Prozent der AuM, auf das Wealth Management und lediglich 5 Milliarden Franken, oder 1 Prozent der AuM, auf die Schweizer Einheit. Der Grossteil der Abflüsse war auf Einlagenrückzüge zurückzuführen.
Mögliche Massnahmen
Die folgenden Kapitel zeigen das Spektrum von möglichen Massnahmen im Bereich Einlegerschutzsystem auf. Diese können jeweils unter Abwägung ihrer individuellen Vor- und Nachteile beurteilt werden. Die Massnahmen im Themengebiet werden aufgrund ihrer Interdependenzen auch als Gesamtheit analysiert. Entsprechend wird zum Schluss in Kapitel 11.4.7 ein Fazit gezogen.
Einleitung
Wie die Analyse aufzeigt, ist bei einer SIB der Unterbruch der Verfügbarkeit der gesicherten Einlagen im Krisenfall keine Option, da diese über einen bestimmten Zeitraum weitergeführt werden müssen. Ein ausreichend ausgestatteter PLB kann im Bedarfsfall die unterbruchsfreie Auszahlung der Einlagen sicherstellen. Die Einlagensicherung in ihrer aktuellen Ausprägung kann daher bei den SIBs nur subsidiär einen Beitrag zur Verhinderung eines Bankensturms leisten, falls die Einleger an der Weiterführung der systemrelevanten Funktionen zweifeln. Die primäre Rolle im TBTF-Kontext würde die Einlagensicherung bei der Aufrechterhaltung von Vertrauen der Kundinnen und Kunden in eine Bank spielen.
Das vorrangige Ziel des TBTF-Dispositivs in der Krise ist es, die Weiterführung der systemrelevanten Funktionen möglichst ohne staatliche Beihilfen sicherzustellen. Die Analyse oben weist aber auch auf Schwachstellen bei der Einlagensicherung in Bezug auf die nicht systemrelevanten Banken hin. Dabei ist anzumerken, dass diese Schwachstellen und die entsprechenden Massnahmen bereits im Rahmen der Anpassung des BankG bezüglich Einlagensicherung und Insolvenz bekannt waren, jedoch vom Gesetzgeber 2021 nicht umgesetzt wurden.
Staatliche Beihilfen für die Einlagensicherung
Die Beitragspflicht der Banken ist auf 1,6 Prozent der gesamten gesicherten Einlagen beschränkt. Falls dieser Betrag im Anwendungsfall nicht ausreicht, erfolgt lediglich eine anteilsmässige Auszahlung, wodurch sich der gesicherte Betrag von 100 000 Franken deutlich verringern kann. Diese Problematik besteht vornehmlich bei grossen Banken oder im gleichzeitigen Anwendungsfall bei mehreren Banken. Der Bundesrat kann die Anforderungen an die Beitragspflicht anpassen, wenn besondere Umstände dies erfordern (Art. 37 h Abs. 5 BankG). Auf dieser Basis im Anwendungsfall die Beitragspflicht kurzfristig zu erhöhen, wird nicht einfach umzusetzen sein und würde die vorhandene Prozyklizität des Systems noch erhöhen. Die Einführung von staatlichen Beihilfen mit entsprechender risikobasierter Abgeltung wird in diesem Zusammenhang diskutiert. Dies entspricht internationalen Standards sowie den Empfehlungen des IWF. 2⁰6
Um die gesamten gesicherten Einlagen abzusichern, ist aktuell ein Beitrag in der Höhe von 504 Milliarden Franken notwendig. Die entsprechende Garantie wäre in jedem Fall ex ante risikobasiert durch die Banken abzugelten. Eine solche Garantie wirft sodann in verschiedener Hinsicht Fragen auf. Zum einen würde sie nicht mit dem dritten TBTF-Ziel in Einklang stehen, wonach staatliche Beihilfen zu vermeiden sind. Zum andern dürfte eine solche Garantie aber auch nicht ausreichend sein, um das Vertrauen in die betroffene Bank wiederherzustellen, insbesondere weil nur die gesicherten Einlagen abgesichert würden. Es wären weitere Massnahmen notwendig, darunter auch ein paralleler Einsatz eines PLB.
2⁰6 Principle 9 - Sources and uses of funds: The deposit insurer should have readily available funds and all funding mechanisms necessary to ensure prompt reimbursement of depositors’ claims, including assured liquidity funding arrangements. Responsibility for paying the cost of deposit insurance should be borne by banks. Vgl. International Association of Deposit Insurers,
IADI Core Principles for Effective Deposit Insurance Systems
, Nov. 2014, S. 29.
Verkürzung der Auszahlungsfirst
In Bezug auf SIBs kann ein ausreichend ausgestatteter PLB den besseren Schutz vor einem Bankensturm bieten als die Einlagensicherung, da damit eine unterbruchsfreie Auszahlung der Einlagen sichergestellt werden kann. Auch mit einer deutlich verkürzten Auszahlungsfrist bei der Einlagensicherung wird keine vergleichbar beruhigende Wirkung auf die Einleger erzielt.
Erhöhung der individuellen Limite
Die individuelle Limite kann gewissen Einlegern den Anreiz geben, ihre gesamten Einlagen oder den über der Limite bestehenden Anteil im Krisenfall rasch abzuziehen. Wie der Vergleich mit den USA zeigt (vgl. Kap. 11.2.2), wird auch eine deutlich höhere individuelle Limite (USD 250 000) als nicht ausreichend erachtet, wodurch sich die Behörden gezwungen sehen, eine unlimitierte Sicherung auszusprechen, um die erwünschte beruhigende Wirkung zu erzielen. Zudem stellt sich die Frage, inwiefern eine solche Erhöhung zu unerwünschten Fehlanreizen ( Moral Hazard ) führt.
Schaffung eines Ex-ante-Fonds
Um der prozyklischen Wirkung der bestehenden Ex-post-Finanzierung entgegenzuwirken, kann wie in anderen Ländern auch in der Schweiz ein Ex-ante-Fonds eingerichtet werden. Diese Variante wurde im Rahmen früherer Revisionen der Einlagensicherung bereits mehrfach diskutiert und jeweils vom Gesetzgeber verworfen.
Sicherung von Vorsorgegeldern
Verschiedene Vorstösse 2⁰7 haben eine zusätzliche Sicherung von Freizügigkeits- und Säule-3a-Guthaben zur Diskussion gestellt. Der Bundesrat hat dafür bereits im Dezember 2019 in seinem Bericht in Erfüllung des Postulats 17.3634 «Bessere Absicherung der Freizügigkeitsguthaben» verschiedene Lösungsansätze aufgezeigt. Für den Fall eines Bankenkonkurses ist an eine Ausweitung der Einlagensicherung oder an eine Anpassung des bankenrechtlichen Konkursprivilegs zu denken.
Durch einen Einbezug der per Ende 2022 90 Milliarden Franken Vorsorgeguthaben bei den Banken in die Einlagensicherung steigen die gesicherten Einlagen per diesem Stichtag von 504 auf 590 Milliarden Franken an, was einen Anstieg der Systemobergrenze von 8 auf 9,4 Milliarden Franken zur Folge hat. Hinsichtlich des Konkursprivilegs könnte das Vorsorgeguthaben als privilegierte Einlage frühzeitig ausserhalb der Kollokation ausbezahlt oder die Obergrenze von 100 000 Franken für die Konkursprivilegierung aufgehoben werden.
Die letzte Änderung des Bankengesetzes, die am 1. Januar 2023 in Kraft gesetzt wurde, umfasste auch Anpassungen in Bezug auf die Einlagensicherung und das Konkursprivileg, sah aber keine derartige Erweiterung des Einlegerschutzes vor.
Am 6. März 2024 hat das Parlament die Motion 23.3604 «Bessere Absicherung von Freizügigkeits- und Säule-3a-Guthaben» angenommen. Da die Umsetzung das BankG betrifft, plant der Bundesrat diese Motion direkt bei der Revision des BankG im Zuge der TBTF-Arbeiten einzubeziehen.
2⁰7
Motion 23.3604
oder
Postulat 17.3634
.
Fazit und vorgeschlagener Massnahmenmix im Bereich Einlegerschutzsystem
Das Einlegerschutzsystem hat mit Inkrafttreten der jüngsten Revision des Bankengesetzes am 1. Januar 2023 eine grundlegende Änderung erfahren. Im Zuge der Ausarbeitung und parlamentarischen Behandlung dieser Vorlage sowie auch schon bei früheren Reformvorhaben wurden zentrale Aspekte des Einlegerschutzes wie die Systemobergrenze, staatliche Beihilfen, die Finanzierungsform (inkl. Schaffung eines Ex-ante-Fonds), die Prozyklizität des Systems, die Auszahlungsfrist, die individuelle Limite der gesicherten Einlagen sowie eine bessere Absicherung der Freizügigkeitsguthaben diskutiert 2⁰8 . Der Gesetzgeber hat sich entschieden, einzig in Bezug auf die Systemobergrenze, die Auszahlungsfrist und die Finanzierungsform (Hinterlegung von Sicherheiten, aber kein Ex-ante-Fonds) Änderungen vorzunehmen.
Die Vorkommnisse in Zusammenhang mit der Credit Suisse haben gezeigt, dass der Vertrauensverlust und die damit zusammenhängenden hohen Abflüsse von Einlagen kaum auf die Ausgestaltung des Einlegerschutzes zurückzuführen sind, solange dieser nur eine gewisse und eher niedrige Höhe an Einlagen bzw. nicht deren gesamte Höhe garantiert. Auch in der Prävention kann ein nur teilweiser Einlegerschutz die Lage einer Bank in Bezug auf das in sie gesetzte Vertrauen somit nicht wirksam beeinflussen. Das Ziel des TBTF-Dispositivs der Sicherstellung der Weiterführung der systemrelevanten Funktionen und damit des Zugriffs der Einleger auf ihre Guthaben insgesamt ist insofern unabhängig vom Einlegerschutz. Bei SIBs ist es eher unwahrscheinlich, dass die Einlagensicherung überhaupt zum Zug käme, da dazu erst das gesamte Instrumentarium des TBTF-Dispositivs ausgeschöpft werden müsste. Durch Anpassungen bei der Einlagensicherung kann daher lediglich eine äusserst geringe Entschärfung der TBTF-Problematik erzielt werden. Aus den dargelegten Gründen enthält das dargestellte TBTF-Massnamenpaket keine Massnahmen in Bezug auf den Einlegerschutz.
2⁰8 Bericht des Bundesrates,
Bessere Absicherung der Freizügigkeitsguthaben
, 31. Aug. 2017.
Stabilisierung
Ausgangslage
Regulatorische Grundlagen
In der Phase der Stabilisierung (Englisch Recovery ) befindet sich eine Bank in einem frühen Stadium einer Krise, in dem die Lage noch nicht derart bedrohlich ist, dass eine Sanierung oder Konkursliquidation notwendig erscheint. Die Bank befindet sich zwar nicht mehr im normalen Betrieb, kann die Krise aber grundsätzlich noch aus eigener Kraft bewältigen. Im Stabilisierungsplan legen SIBs 2⁰9 dar, mit welchen Massnahmen sie sich im Fall einer Krise nachhaltig so stabilisieren, dass sie die Geschäftstätigkeit ohne staatliche Eingriffe fortführen können (Art. 64 Abs. 1 BankV).
Die FINMA genehmigt den Stabilisierungsplan. Dies ist bei allen SIBs erfolgt. Die Genehmigung fokussiert darauf, dass die Überlegungen der Bank nachvollziehbar und durchdacht sind und dass für grössere Transaktionen (z. B. Verkauf von Beteiligungen oder Tochtergesellschaften) Drehbücher vorliegen, die angewendet werden können. Die Pflicht, Stabilisierungspläne zu erstellen, dient also vor allem dazu, die Bankführung zu zwingen, sich über Krisensituationen Gedanken zu machen. Die Stabilisierungspläne basieren allerdings auf abstrakten strategischen Überlegungen, während sich im Anwendungsfall die Krise sehr spezifisch entwickelt.
Neben dem Stabilisierungsplan verfügen alle Banken über einen internen Contingency Funding Plan (CFP). Bei diesem Dokument handelt es sich um das Notfallkonzept der Bank gemäss Artikel 10 LiqV. Dieser Plan soll sicherstellen, dass die Bank im laufenden Geschäftsbetrieb auf unterschiedlich starke Liquiditäts- und Finanzierungsengpässe erfolgreich reagieren kann. Mit dem Plan werden die Schwerpunktthemen Governance, Eskalationslevel und Verbesserungsoptionen für Liquidität und Finanzierung abgedeckt.
Auch der FINMA stehen im Rahmen ihres Aufsichtsinstrumentariums Massnahmen zur Verfügung, die sie auch in einer Stabilisierungsphase ergreifen kann. Verletzt beispielsweise eine Bank die Bestimmungen des FINMAG oder eines Finanzmarktgesetzes oder bestehen sonstige Missstände, so hat die FINMA die Pflicht, für die Wiederherstellung des ordnungsgemässen Zustandes zu sorgen (Art. 31 FINMAG). Ziel der Norm ist die Wahrung des Anlegerschutzes sowie der Stabilität und Integrität des Finanzmarktes. Solche Massnahmen können durch Verletzung der relevanten Gesetze oder durch sonstige Missstände ausgelöst werden, wobei der FINMA bei der Beurteilung der Missstände ein relativ weiter Spielraum zukommt. 21⁰
Artikel 31 FINMAG stellt eine Generalklausel dar, die es der FINMA im Rahmen der verwaltungsrechtlichen Grundsätze und mit entsprechendem Ermessen erlaubt, spezifische Massnahmen zur Wiederherstellung des ordnungsgemässen Zustandes zu ergreifen. Dafür steht ihr das gesamte Spektrum verwaltungsrechtlicher Massnahmen (auch superprovisorische oder vorsorgliche) zur Verfügung. Zudem kann die FINMA verschiedene verwaltungsrechtliche Sanktionen, namentlich repressive Massnahmen, sowie aufsichtsrechtliche Massnahmen (z. B. nach Art. 32 ff. FINMAG) ergreifen. Schliesslich kann sie ausserhalb des FINMAG weitere Massnahmen verfügen, die sich aus den einzelnen Finanzmarktgesetzen ergeben. 21¹
Als Aufsichtsinstrument gemäss FINMAG kann die FINMA auch eine untersuchungsbeauftragte Person einsetzen, die bei einem Institut einen aufsichtsrechtlich relevanten Sachverhalt abklärt oder von der FINMA angeordnete aufsichtsrechtliche Massnahmen umsetzt (vgl. Art. 36 Abs. 1 FINMAG). Die Einsetzung einer untersuchungsbeauftragten Person kann auch im Rahmen von Schutzmassnahmen gemäss Artikel 26 BankG erfolgen.
Die Kompetenzen des oder der Untersuchungsbeauftragten sind in der Einsetzungsverfügung klar zu umschreiben, wobei beispielsweise nebst einer Kompetenzdelegation für sämtliche Geschäftsaktivitäten auch eine differenzierte Delegation von Kompetenzen erfolgen kann, namentlich betreffend Einflussnahme auf die Geschäftsführung eines Instituts. Selbstverständlich gilt auch für die Tätigkeit eines oder einer Untersuchungsbeauftragen der Grundsatz der Verhältnismässigkeit.
Von diesen Aufsichtsmassnahmen abzugrenzen sind die Schutz- und Abwicklungsmassnahmen (vgl. Kap. 13.1.1). Diese sind in Artikel 25 BankG aufgeführt und kommen erst bei Insolvenzgefahr zur Anwendung. Insolvenzgefahr besteht, wenn begründete Besorgnis besteht, dass eine Bank überschuldet ist oder ernsthafte Liquiditätsprobleme hat, oder wenn die Bank die Eigenmittelvorschriften nach Ablauf einer von der FINMA festgesetzten Frist nicht mehr erfüllt. Schutzmassnahmen können vor oder gleichzeitig mit Sanierungsmassnahmen oder der Liquidation angeordnet werden.
Schutzmassnahmen für insolvenzgefährdete Banken sind im Gesetz einzeln - aber nicht abschliessend - genannt (Art. 26 BankG). Es kann auf den Führungsbereich der Bank Einfluss genommen werden, indem die FINMA den Organen Weisungen erteilt, ihnen die Vertretungsbefugnis ganz oder teilweise entzieht oder sie abberuft. Gezielte Massnahmen sind aber auch im Geschäftsbereich möglich, etwa durch Einschränkung der Geschäftstätigkeit oder des Zahlungsverkehrs oder durch Schliessung der Bank. Auch hat die FINMA die Kompetenz, eine Stundung oder einen Fälligkeitsaufschub anzuordnen.
2⁰9 In der Schweiz sind nur SIBs dazu verpflichtet, einen Stabilisierungsplan zu erstellen. Auf internationaler Ebene (insb. im FSB) wird derzeit über eine allfällige Ausweitung dieser Pflicht auf weitere Banken diskutiert. Das Gleiche gilt für die Abwicklungsplanung.
21⁰ Roth Pellanda und Kopp zu Art. 31 FINMAG in: Watter und Bahar (Hrsg.), Basler Kommentar FINMAG/FinfraG , 3. Aufl., Basel 2019, Rz. 1 und 3 ff.
21¹ Roth Pellanda und Kopp zu Art. 31 FINMAG in: Watter und Bahar (Hrsg.), Basler Kommentar FINMAG/FinfraG , 3. Aufl., Basel 2019, Rz. 6 ff.
Fall Credit Suisse
Der Contingency Funding Plan (CFP) der Credit Suisse Group AG und auch die CFPs der Tochtergesellschaften verfügten über einen Eskalationsansatz. Die CFPs sahen quantitative Auslöser vor, die sich an den regulatorischen Anforderungen in den Bereichen Eigenmittel und Liquidität orientierten und unter Berücksichtigung des Risikoappetits der entsprechenden Gruppeneinheiten feinjustiert waren. Die CFPs sahen drei «Eskalationslevel» vor. Level 3 als höchstes Eskalationslevel war zu aktivieren, wenn die regulatorischen Mindestanforderungen an die Liquidität unterschritten wurden oder interne Säule-2-Puffer aufgebraucht waren. Im Fall der Credit Suisse wurde Eskalationslevel 1 am 3. Oktober 2022 aktiviert, Level 2 am 5. Oktober und Level 3 am 1. November 2022.
Angeordnet durch die FINMA wurde ab dem Erreichen des Eskalationslevels 1 ein täglicher « Liquidity and Funding Call » abgehalten, an dem auch ausländische Aufsichtsbehörden teilnahmen. Diskutiert wurden beispielsweise Liquiditätsprognosen, Refinanzierungsaktivitäten, Kundenverhalten und Mitigierungsmassnahmen. Im Rahmen der Calls kam zum Vorschein, dass die Datenqualität und der Informationsgehalt der Daten der Bank oft ungenügend waren. So entsprachen vor allem die Prognosen und die divisionalen Mitigierungsmassnahmen nicht der Realität und beschönigten den Krisenverlauf fortlaufend.
Im Gegensatz zu den CFPs wurde der Stabilisierungsplan der Credit Suisse nicht aktiviert. Vorab ist zu bemerken, dass der Stabilisierungsplan nicht automatisch, sondern durch einen Entscheid der Geschäftsleitung ausgelöst wird. Die Geschäftsleitung ist im Fall der Überschreitung gewisser Indikatoren verpflichtet, einen positiven oder negativen Entscheid bezüglich Aktivierung zu treffen, so z. B. bei Erreichung des Eskalationslevels 3. Im Fall der Credit Suisse stellte sich heraus, dass die Bankführung, trotz Erreichen der formellen Voraussetzungen, nicht bereit war, den Stabilisierungsplan zu aktivieren. 2¹2
Die Rechtsfolgen im Fall, in dem die Schwelle zur Aktivierung des Stabilisierungsplans erreicht wurde, die Bank jedoch nicht gewillt ist, diesen umzusetzen, sind im Gesetz nicht explizit geregelt. Die FINMA könnte sich jedoch auf die als Generalklausel ausgestaltete Bestimmung von Artikel 31 FINMAG («Wiederherstellung des ordnungsgemässen Zustandes») stützen, die es ihr erlaubt, im Fall von Missständen spezifische, auf die jeweilige Situation zugeschnittene Massnahmen anzuordnen. Darunter könnte auch die Aktivierung des Stabilisierungsplans bzw. die Anordnung zur Durchführung einer im Stabilisierungsplan vorgesehenen Massnahme fallen.
Eine solche Anordnung der FINMA könnte als vorsorgliche Massnahme erfolgen, wenn Gefahr im Verzug ist (Art. 30 Abs. 2 Bst. e des Verwaltungsverfahrensgesetzes vom 20. Dezember 1968 2¹3 , VwVG). In diesem Fall kann auf eine vorgängige Anhörung der betroffenen Bank verzichtet werden. Anzumerken ist, dass die Kompetenz der FINMA nur dazu dienen kann, den Organen der betroffenen Bank vorzuschreiben, alles in ihrer Macht Stehende zu unternehmen, um die entsprechende Stabilisierungsmassnahme erfolgreich umzusetzen. Allfällige Umsetzungshindernisse bleiben bestehen. Wird eine Bank z. B. via Verfügung zum Verkauf eines Aktivums gezwungen, so ist nicht gesichert, dass auch ein Käufer gefunden wird.
Im Fall der Credit Suisse hat die FINMA darauf verzichtet, die Aktivierung des Stabilisierungsplans anzuordnen. Zur Entscheidung der FINMA hat auch die Tatsache beigetragen, dass die Credit Suisse trotz fehlender Aktivierung des Stabilisierungsplans nach Einschätzung der FINMA glaubhaft versuchte, einige der darin vorgesehenen Massnahmen umzusetzen, beispielsweise Kostensenkungen oder den Verkauf von einzelnen Teilen der Investmentbank. Diese waren Teil der strategischen Neuausrichtung, welche die Bank bereits im Sommer 2022 bekannt gegeben hatte.
Dabei stellte sich heraus, dass die Umsetzung dieser Massnahmen mit nicht vorhergesehenen Schwierigkeiten verbunden war. So konnten beispielsweise die im Stabilisierungsplan vorgesehenen Verkaufspreise aufgrund der damals vorherrschenden Marktbedingungen nicht erreicht werden. Andere Massnahmen, die von der Bank geprüft wurden, konnten nicht umgesetzt werden, da zum Beispiel keine Käufer gefunden wurden oder operative Hürden bestanden, die von der Bank vorgängig nicht identifiziert worden waren. Darüber hinaus waren die Verantwortlichen der Bank nicht gewillt, gewisse Massnahmen umzusetzen, die ihre Kernstrategie tangiert hätten (wie zum Beispiel Verkäufe, welche die Divisionen Wealth Management oder Swiss Universal Bank betrafen).
2¹2 Vgl. FINMA,
Bericht der FINMA zu den Lessons Learned aus der CS-Krise
, 19. Dez. 2023, S. 73.
2¹3
SR
172.021
Internationaler Vergleich
Basler Ausschuss für Bankenaufsicht
2¹4
2¹4 Für eine Übersicht zu verschiedenen Frühinterventionsansätzen vgl. Svoronos,
Early interventions regimes for weak banks
, FSI Insights on policy implementation No 6 , April 2018, sowie die Medienmitteilung der BIZ,
Basel Committee issues final elements of the reforms to raise the quality of regulatory capital
, 13. Jan. 2011.
Frühzeitiges Eingreifen ist ein zentrales Element in den Grundsätzen zur Bankenaufsicht 2¹5 und wurde im « Frameworks for early supervisory intervention » konkretisiert. 2¹6 Auch die Anforderung, dass die Banken über CFPs verfügen sollen und wie diese ausgestaltet werden sollen, wird im Basler Rahmenwerk vorgegeben. 2¹7
2¹5 BCBS,
Grundsätze für eine wirksame Bankenaufsicht
, Sept. 2012.
2¹6 BCBS,
Frameworks for early supervisory intervention
, März 2018.
2¹7 BCBS,
Principles for Sound Liquidity and Risk Management and Supervision
,
Sept. 2008.
Financial Stability Board
Das FSB hat 2011 und 2014 Grundlagen für die Stabilisierung und Abwicklung von systemisch relevanten Finanzunternehmen geschaffen. In den sogenannten Key Attributes ist u. a. vorgesehen, dass SIBs über einen Stabilisierungsplan verfügen. 2¹8 Dieser soll glaubwürdige Massnahmen für verschiedene Krisenszenarien vorsehen und eine Auswahl an geeigneten und rasch umsetzbaren Massnahmen ausarbeiten, um insbesondere möglichen Kapital- und Liquiditätsbedarf anzugehen. Diese allgemeine Anforderung wird im Rahmen einer FSB Guidance weiter konkretisiert.
2¹8 Vgl. FSB,
Key Attributes of Effective Resolution Regimes for Financial Institutions
, 15. Okt. 2014 sowie
FSB,
I-Annex 4:
Essential Elements of Recovery and Resolution Plans
, 4. Nov. 2011.
Europäische Union
Die Frühinterventionskompetenzen der EZB bzw. des Einheitlichen Aufsichtsmechanismus (Single Supervisory Mechanism, SSM ) 2¹9 umfassen einen breiten Katalog von möglichen Massnahmen, die grundsätzlich gegenüber allen Banken zur Anwendung kommen können. 22⁰ Die möglichen Massnahmen umfassen u. a. Eingriffe in die Rückstellungspolitik der Banken und Anweisungen zur Verwendung von bestimmten Bankaktiva. Weiter können die EZB und die nationalen Aufsichtsbehörden auch insofern in die Geschäftsstrategie von Banken eingreifen, als sie einzelne Geschäftsbereiche einschränken, begrenzen oder deren Veräusserung verfügen können.
Die Artikel 27 ff. der Richtlinie 2014/59/EU ( Bank Recovery and Resolution Directive, BRRD) 22¹ sehen explizite Massnahmen der Aufsichtsbehörden für ein frühzeitiges Eingreifen vor, wenn insbesondere Eigenmittel- und Liquiditätsanforderungen unterschritten werden oder drohen dies zu tun. In diesem Fall können die zuständigen Behörden z. B. 1) vom Lei
tungsorgan des Instituts verlangen, dass es eine oder mehrere der im Sanierungsplan genannten Regelungen oder Massnahmen durchführt, 2)
Mitglieder des Leitungsorgans und der Geschäftsleitung aus ihrer Funktion entlassen und ersetz
en
oder 3) eine Änderung der Geschäftsstrategie des Instituts verlangen.
Die Artikel 9 ff. BRRD stellen konkrete Anforderungen an den Stabilisierungsplan (in der EU «Sanierungsplan»), beschreiben die Kriterien zu dessen Prüfung durch die zuständige Behörde und schreiben vor, dass die Bank über geeignete quantitative und qualitative Indikatoren verfügen muss, deren Unterschreiten die Auslösung von konkreten Massnahmen nach sich zieht. Die Europäische Bankenaufsichtsbehörde (EBA) hat diese Indikatoren weiter konkretisiert.
22²
2¹9 Der Einheitliche Aufsichtsmechanismus (SSM) bezeichnet das System der Bankenaufsicht in Europa. Er setzt sich aus der EZB und den nationalen Aufsichtsbehörden der teilnehmenden Länder zusammen.
22⁰
Verordnung (EU) Nr. 1024/2013 des Rates vom 15. Oktober 2013 zur Übertragung
besonderer
Aufgaben im Zusammenhang mit der Aufsicht über Kreditinstitute auf die Europäische Zentralbank
, ABl. L 287 vom 29.10.2013, S.63, Art. 16.
22¹ Richtlinie 2014/59/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Mai 2014 zur Festlegung eines Rahmens für die Sanierung und Abwicklung von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen, ABl. L 173 vom 12.6.2014, S. 190.
22² EBA,
Guidelines on recovery plan indicators under Article 9 of Directive 2014/59/EU
, Final Report
, 9. Nov. 2011.
Vereinigte Staaten
Sowohl Frühinterventionen als auch Stabilisierungspläne laufen in den USA unter dem Titel Prompt Corrective Actions . 2²3 Die Aufsichtsbehörden unterteilen schwächelnde Banken in drei Kategorien (namentlich unterkapitalisiert, signifikant unterkapitalisiert und kritisch unterkapitalisiert). Je nach Kategorie stehen verschiedene Massnahmen zur Verfügung. Unterkapitalisierte Banken müssen z. B. einen Plan vorlegen, wie sie Kapital wiederherstellen. Zudem kann ihr Zugang zum Fed Discount Window eingeschränkt werden oder ihr Wachstum beschränkt werden. Ist eine Bank signifikant unterkapitalisiert, kann ein Bonusverbot gesprochen werden und es können Coupon-Zahlungen auf subordinierte Anleihen gestoppt werden oder risikoreiche Aktivitäten eingeschränkt werden. Kritisch unterkapitalisierte Banken müssen grundsätzlich in rechtliche Betreuung ( Conservatorship ) oder unter Zwangsverwaltung ( Receivership ) gesetzt werden. Dabei wird unterschieden zwischen diskretionären und obligatorischen Massnahmen.
2²3 FDIC,
Chapter 5 - Prompt Corrective Action: Formal And Informal Enforcement Actions Manual
,
Juni 2022.
Beurteilung
Die Credit Suisse konnte sich trotz des von der FINMA genehmigten Stabilisierungsplans nicht so stabilisieren, dass sie ihre Geschäftstätigkeit ohne staatliche Unterstützung fortsetzen konnte. Die Gründe dafür sind sowohl beim Stabilisierungsplan als auch bei den Frühinterventionsmöglichkeiten der FINMA zu suchen.
Stabilisierungsplan:
-
Die vorgesehenen Massnahmen waren zu gering und es bestanden vorgängig nicht identifizierte Umsetzungshindernisse (z. B. zu lange Vorbereitungszeiten);
-
Das mit der Aktivierung des Stabilisierungsplans verbundene Stigma stellte ein wesentliches Hindernis für die Aktivierung seitens der Bank dar;
-
Die Überschreitung der Eskalationsindikatoren ohne Aktivierung des Stabilisierungsplans hat in der Krise nicht zur Auslösung konkreter Massnahmen geführt;
-
Die Datenqualität und der Informationsgehalt der von der Bank in dieser Phase übermittelten Daten waren oft ungenügend;
-
Im Fall der Credit Suisse war der Stabilisierungsplan nach Ansicht der FINMA zwar in einem genehmigungsfähigen Zustand, allerdings bestanden nach wie vor Verbesserungspotenziale. Die FINMA hatte der Bank jeweils aufgetragen, den Stabilisierungsplan in den vorgesehenen jährlichen Aktualisierungen entsprechend zu verbessern;
-
Es bestand eine mangelnde Bereitschaft der Bank, im Plan vorgesehene Massnahmen umzusetzen.
Frühinterventionsmöglichkeiten der FINMA:
-
Der FINMA stehen neben der Nicht-Genehmigung des Stabilisierungsplans keine expliziten Sanktionsmassnahmen zu, sollte dieser den Anforderungen nicht genügen. (Dies im Gegensatz zur Notfallplanung, wo Artikel 62 BankV der FINMA explizit die Kompetenz gibt, spezifische Massnahmen zur Mängelbehebung anzuordnen.) Die FINMA hatte den Stabilisierungsplan genehmigt, obwohl er verbesserungswürdig war, und verlangte von der Bank jeweils die Umsetzung der Verbesserungen für die nächstjährige Eingabe;
-
Für die Anordnung von Stabilisierungsmassnahmen durch die FINMA, falls eine Bank diese nicht selbst ergreifen will, ist ein Abstützen auf die Generalklausel von Artikel 31 FINMAG möglich. Dabei stellt sich die Frage nach der Rechtssicherheit. Je bedeutender der Eingriff einer angeordneten Stabilisierungsmassnahme ist, desto wichtiger kann diese sein;
-
Die im Gesetz vorgesehenen Schutzmassnahmen (Art. 26 BankG) können erst dann zur Anwendung kommen, wenn begründete Besorgnis besteht, dass eine Bank überschuldet ist oder ernsthafte Liquiditätsprobleme hat, oder wenn die Bank die Eigenmittelvorschriften nach Ablauf einer von der FINMA festgesetzten Frist nicht mehr erfüllt. Inwiefern eine solche Situation vorliegt, liegt im Ermessen der FINMA.
Mögliche Massnahmen
Die folgenden Kapitel zeigen mögliche Massnahmen im Bereich Stabilisierung auf. Diese können jeweils unter Abwägung ihrer individuellen Vor- und Nachteile beurteilt werden. Die Massnahmen im Themengebiet werden aufgrund ihrer Interdependenzen auch als Gesamtheit analysiert. Entsprechend wird zum Schluss des Kapitels in 12.4.3 ein Fazit gezogen.
Strengere Anforderungen an den Stabilisierungsplan
Als Folge des Falls Credit Suisse hat die FINMA angekündigt, den Prozess und die Kriterien für die Genehmigung des Stabilisierungsplans bereits im Rahmen des bestehenden Rechtsrahmens zu überarbeiten. 2²4 Diese Überarbeitung bezweckt u. a. den Stabilisierungsplan zukünftig noch operativer auszugestalten und vor einer allfälligen Genehmigung detaillierter zu prüfen und zu testen.
Dazu gehört die Weiterentwicklung von Konzepten und Kriterien zur Aktivierung der Stabilisierungsphase und zur damit verbundenen Auslösung von Stabilisierungsmassnahmen. Die Auslösungsschwellen der Stabilisierungspläne können derart angepasst werden, dass diese bereits in einem wesentlich früheren Stadium greifen, womit die mit der Auslösung der Massnahmen ggf. verbundene Stigmatisierung einen weit geringeren destabilisierenden Effekt hätte. Auch die Umsetzungsdauer von Massnahmen wird durch bessere Vorbereitung und frühere Auslösung weiter reduziert. Weiter kann das Krisenreporting der SIBs verbessert werden (zeitnahe Daten, Datenqualität, Reporting-Frequenz, Automatisierungsgrad, Szenario-abhängige Vorhersagen etc.).
Allgemein soll ein mangelhafter Plan nicht mehr unter Auflagen genehmigt, sondern als solcher abgelehnt werden. Damit können bei den SIBs, und insbesondere bei international tätigen SIBs, substanzielle Anpassungen bei der Ausgestaltung des Stabilisierungsplans notwendig werden, die auch mit Kosten verbunden sind. Vor diesem Hintergrund ist auch die Notwendigkeit einer Anpassung der rechtlichen Grundlagen zu prüfen.
Als mögliche Massnahme können namentlich die regulatorischen Anforderungen an den Stabilisierungsplan erhöht werden. Dazu können sowohl für die Ausarbeitung des Plans durch die Bank als auch für die Genehmigung des Plans durch die FINMA konkrete Kriterien in der Bankenverordnung festgehalten werden.
Zudem ist ein erforderlicher Nachweis der Bank denkbar, dass sie das Ziel und die Anforderungen an den Stabilisierungsplan erfüllt (analog den Bestimmungen zum Notfallplan in Art. 60-63 BankV). Schliesslich kann der FINMA, analog zur den Vorgaben zur Notfallplanung, auch im Fall der Stabilisierungsplanung explizit das Recht zukommen, Massnahmen zur Behebung der Mängel anzuordnen (z. B. Eigenmittel- und Liquiditätszuschläge).
2²4 Vgl. FINMA,
Bericht der FINMA zu den Lessons Learned aus der CS-Krise
, 19. Dez. 2023.
Frühinterventionsmöglichkeiten der FINMA stärken
Gemäss Gesetz stehen der FINMA aktuell im Rahmen ihres Aufsichtsinstrumentariums zwar Massnahmen zur Verfügung, die sie in einer Stabilisierungsphase ergreifen kann. Ihr steht aber keine explizite gesetzliche Kompetenz zu, die Bank zur Aktivierung des Stabilisierungsplans oder zur Umsetzung der darin vorgesehenen Massnahmen anzuweisen. Im Gesetz sind zwar Schutzmassnahmen vorgesehen, bei deren Anwendung ein Eingriff möglich wäre, diese Massnahmen greifen jedoch erst, wenn gemäss Einschätzung der FINMA begründete Besorgnis besteht, dass eine Bank überschuldet ist oder ernsthafte Liquiditätsprobleme hat, oder wenn die Bank die Eigenmittelvorschriften nach Ablauf einer von der FINMA festgesetzten Frist nicht mehr erfüllt.
Als mögliche Massnahmen können konkrete Kriterien und Frühinterventionsmassnahmen der FINMA und der Zeitraum, während dessen diese ergriffen werden können, auf Stufe Gesetz verankert werden. Damit hat die FINMA künftig eine klarere gesetzliche Grundlage, um die richtigen Massnahmen rechtzeitig zu ergreifen. In der Ausgestaltung könnte man sich in Bezug auf die möglichen Massnahmen an den in der Versicherungsregulierung schon existierenden «Schutzmassnahmen» gemäss Artikel 51 des Versicherungsaufsichtsgesetzes (VAG) oder an den in der EU vorgesehenen Massnahmen orientieren. Eine weitere denkbare Massnahme ist, die Kompetenz der FINMA für die Auslösung von konkreten Massnahmen aus dem Stabilisierungsplan klarer und explizit im Gesetz zu verankern, um die Rechtssicherheit einer solchen Anordnung zu erhöhen.
Konkret könnten zudem im heutigen Dispositiv bestehende Massnahmen zeitlich vorgelagert zum Einsatz kommen. So könnten z. B. Massnahmen, die heute unter den Schutzmassnahmen genannt werden (Weisungen an Organe erteilen, Organe ersetzen, Untersuchungsbeauftragte einsetzen etc.), bereits in einer Stabilisierungsphase oder auch schon früher zum Einsatz kommen.
Eine Frühintervention der FINMA kann dabei auch gestützt auf Markindikatoren (z. B. Preise von Aktien oder Kreditausfallderivate) und zukunftsgerichtete Indikatoren (z. B. Ergebnisse von Stresstests, Bewertungen durch Agenturen) erfolgen. Solche Indikatoren sind zwar allgemeinen Marktbewegungen unterworfen und enthalten dadurch auch Störgeräusche. Es können damit aber Entwicklungen berücksichtigt werden, die durch die Behörden und die üblichen regulatorischen Kennzahlen unterschätzt oder nicht erfasst wurden. Basierend auf Marktindikatoren und zukunftsgerichteten Indikatoren könnte die FINMA etwa Untersuchungen oder die Erstellung von Berichten veranlassen. Diese Massnahme wird auch durch die Expertengruppe «Bankenstabilität» 2²5 sowie das Gutachten Tarullo gestützt.
Ein weiterer möglicher Baustein im Bereich der Frühintervention ist die konkretere Definition eines PONV, insbesondere bezüglich Liquidität. Dies hat den Vorteil, dass auch bei einer Liquiditätskrise rechtzeitig Massnahmen ergriffen würden, selbst wenn z. B. die Kapitalzahlen (noch) nicht tangiert sind.
2²5 Expertengruppe Bankenstabilität 2023,
Reformbedarf nach dem Untergang der Credit Suisse
, 1. Sept. 2023.
Fazit und vorgeschlagener Massnahmenmix im Bereich Stabilisierung
Massnahmen im Bereich Stabilisierung bilden nebst weiteren Massnahmen, etwa im Bereich Eigenmittel oder Corporate Governance, ein wesentliches Element zur Stärkung der Prävention. Die Frühinterventionen sollten dabei - analog Art. 51 VAG - auch schon vor der Stabilisierungsphase und über die Stabilisierungsmassnahmen der Bank hinaus ergriffen werden können. Eine angeschlagene Bank soll durch rechtzeitige Massnahmen nach klaren Kriterien möglichst im Going Concern wieder stabilisiert werden können.
Die in den Kapiteln 12.4.1 und 12.4.2 vorgeschlagenen Massnahmen sind sowohl notwendig als auch geeignet, um die präventive Wirkung des TBTF-Dispositivs weiter zu stärken. Sie sind auch im internationalen Vergleich vertretbar. Beide Massnahmen im Bereich Stabilisierung werden daher zur Umsetzung vorgeschlagen.
Eine auf einer breiteren Rechtsgrundlage basierende effektivere Stabilisierungsplanung kann die Wahrscheinlichkeit einer Sanierung oder eines Konkurses weiter senken. Zudem sollten SIBs ein Eigeninteresse an einem validen Stabilisierungsplan haben. Durch die verbesserte Krisenprävention werden die Risiken für den Staat gesenkt.
Konkretere gesetzliche Vorgaben bedeuten eine Stärkung der Frühinterventionsmöglichkeiten und -pflichten und damit auch mehr Verantwortung für die FINMA, da ein stärkeres Eingreifen in die Geschäftsentscheidungen der Bank im Going Concern ermöglicht wird. Konkretere und erweiterte rechtliche Grundlagen im Bereich der Frühinterventionsmöglichkeiten geben aber der FINMA gleichzeitig mehr Rechtssicherheit für die zeitkritische Anordnung von Massnahmen im Krisenfall, wenn nötig auch gegen den Willen der Bankleitung. Damit - und das ist ein besonders wesentlicher Aspekt - erhöht sich durch dieses Instrument der Druck auf die Bank, selbst die entsprechenden Massnahmen zu ergreifen
Für die konkrete Umsetzung dieser Massnahmen sind allfällige Ergebnisse der PUK im Bereich der entfalteten Tätigkeiten der FINMA in der Stabilisierungsphase bei der Credit Suisse abzuwarten. Es ist davon auszugehen, dass gewisse Verbesserungen auch unter geltendem Recht erzielt werden können, und es sollen nur jene regulatorischen Anpassungen unterbreitet werden, die zur Erreichung der dargelegten Ziele notwendig sind. Diese erweiterten Kompetenzen sind besonders kritisch dem Prinzip der Verhältnismässigkeit zu unterwerfen.
Abwicklung
Ausgangslage
Allgemeines
Der Begriff Abwicklung (Englisch Resolution ) bezeichnet die Intervention der FINMA zur Durchführung einer Sanierung oder der Konkursliquidation einer Bank. Die FINMA interveniert, wenn begründete Besorgnis besteht, dass eine Bank überschuldet ist oder ernsthafte Liquiditätsprobleme hat, oder wenn die Bank die Eigenmittelvoraussetzungen nicht erfüllt (Art. 25 Abs. 1 BankG). Die Einleitung eines Sanierungsverfahrens erfordert darüber hinaus, dass begründete Aussicht auf eine erfolgreiche Sanierung der Bank oder auf Weiterführung einzelner Bankdienstleistungen besteht (Art. 28 BankG). Die FINMA beurteilt den Zeitpunkt der Intervention vorausschauend sowohl anhand quantitativer als auch qualitativer Kriterien.
Die FINMA kann zudem Schutzmassnahmen ergreifen. Diese sind beispielhaft in Artikel 26 BankG aufgezählt. So kann der Bank namentlich verboten werden, während einer bestimmten Zeitdauer Auszahlungen zu tätigen. Damit kann sie vor einem übermässigen Abzug der Einlagen im Fall eines drohenden Bank Runs geschützt werden. Schutzmassnahmen werden üblicherweise ausserhalb bzw. vor einem allfälligen Sanierungsverfahren ergriffen. Sie können aber der Vorbereitung einer nachfolgenden Sanierung oder Konkursliquidation dienen oder im Zusammenhang mit einem Sanierungsverfahren oder einer Konkursliquidation ausgesprochen werden.
Im Rahmen der Durchführung eines Sanierungsverfahrens kann die FINMA einzelne oder mehrere Sanierungsmassnahmen umsetzen. Ist die Sanierung der Gesamtbank erfolgreich, bleibt die Rechtspersönlichkeit der betroffenen Bank erhalten (vgl. Art. 29 BankG). Die Rettung der gesamten betroffenen Bank oder Bankengruppe ist jedoch keine Voraussetzung. Die FINMA kann eine Sanierung auch mit dem Ziel einleiten, lediglich einzelne Bankdienstleistungen weiterzuführen. Dies ist beispielsweise dann der Fall, wenn sie, unabhängig vom Fortbestand der betroffenen Bank, gewisse Dienstleistungen auf einen übernehmenden Rechtsträger überträgt (Art. 30 BankG). Die nicht weiterzuführenden Dienstleistungen werden in diesem Fall liquidiert.
Der Bankenkonkurs ist schliesslich dann anzuordnen, wenn keine Aussicht auf Sanierung besteht oder wenn eine solche gescheitert ist (Art. 33 BankG). Die Konkursliquidation stellt damit die letzte mögliche Massnahme dar, wie mit einer Bank verfahren werden kann, die nicht mehr gerettet werden kann. In diesem Fall hat die FINMA der Bank die Bewilligung zu entziehen und die Konkursliquidation öffentlich anzuordnen. Bei SIBs kommt in diesem Fall die Auslösung des Notfallplans zur Anwendung, mit dem die Weiterführung der systemrelevanten Funktionen gewährleistet wird.
Übersicht Sanierungsmassnahmen
Als Sanierungsmassnahmen sieht das Gesetz neben dem ganzen oder teilweisen Bail-in (Art. 30 b BankG) weitere Instrumente vor, namentlich die Weiterführung einzelner Bankdienstleistungen, die Übertragung von Vermögenswerten der Bank oder Teilen davon auf andere juristische Personen oder auf eine Übergangsbank, den Zusammenschluss mit einem anderen Unternehmen oder die Übernahme durch ein solches sowie die Änderung der Rechtsform der Bank (Art. 30 BankG). Dazu kommen generelle Aspekte einer Sanierung wie z. B. Restrukturierungsmassnahmen, Anpassung bzw. Neuausrichtung des Geschäftsmodells und Governance-Massnahmen, die sich implizit auch aus Artikel 30 c Absatz 2 Buchstaben c, e und g BankG ergeben.
Als begleitende Massnahme kennt das Gesetz zudem den Aufschub der Beendigung von Verträgen (Art. 30 a BankG). Dieser wird üblicherweise im Zusammenhang mit einer anderen Sanierungsmassnahme, z. B. einem Bail-in, angeordnet. Hintergrund ist die Tatsache, dass die im Bankengeschäft üblichen Verträge oftmals Klauseln vorsehen, die es den Gegenparteien einer Bank erlauben, im Fall eines behördlichen Eingriffs die entsprechenden Verträge vorzeitig zu beenden. Um eine massenweise Beendigung dieser Verträge zu verhindern, kann die FINMA einen Aufschub von Beendigungsrechten anordnen. Der Aufschub gilt für maximal zwei Arbeitstage. Falls die betroffene Bank nach Ablauf des Aufschubs die Bewilligungsvoraussetzungen jedoch wieder erfüllt, können die entsprechenden Beendigungsrechte nicht mehr geltend gemacht werden.
Bail-in
Der Bail-in als Sanierungsmassnahme wurde bereits 2011 rudimentär im BankG verankert. Die Ausführungsbestimmungen dazu wurden in der Bankeninsolvenzverordnung-FINMA vom 30. August 2012 2²6 festgelegt. Mit der jüngsten Teilrevision des BankG, die am 1. Januar 2023 in Kraft trat, wurde der Bail-in ausführlich in Artikel 30 b BankG unter der Bezeichnung «Kapitalmassnahmen» geregelt. Damit besteht heute eine solide gesetzliche Grundlage zur Umsetzung dieser Sanierungsmassnahme.
Beim Bail-in gemäss Artikel 30 b BankG wird im Rahmen eines Sanierungsverfahrens Fremd- in Eigenkapital gewandelt. Durch diese Umwandlung verliert die Gläubigerschaft ihre Rückzahlungsforderungen und erhält stattdessen Anteile am Gesellschaftskapital der betroffenen Bank. Aus Sicht der betroffenen Bank führt der Wegfall der Rückzahlungsverpflichtung dazu, dass ihre Eigenkapitalbasis gestärkt wird. Das unmittelbare Ziel eines Bail-in ist die Wiederherstellung der Eigenkapitalbasis der Bank, sodass diese die Eigenmittelvoraussetzungen wieder erfüllt. 2²7
Die Durchführung eines Bail-in nach Schweizer Recht (Art. 30 b BankG) bedingt, dass vorab das gesamte Gesellschaftskapital der Bank abgeschrieben wird. Die Eigentümerschaft der Bank, d. h. üblicherweise die Aktionärinnen und Aktionäre, verliert damit ihre Eigentümerstellung. Insofern eine Bank zudem Schuldinstrumente ausstehend hat, die als Wandlungskapital oder Anleihen mit Forderungsverzicht qualifiziert sind (AT1-Anleihen), sind diese ebenfalls gleichzeitig zu wandeln und vollständig abzuschreiben bzw. vollständig abzuschreiben.
Erst danach kommt es zur Umwandlung von Fremd- in Eigenkapital. Diese folgt einer bestimmten Rangordnung. Zuerst sind nachrangige Forderungen zu wandeln. Danach sind, falls vorhanden, die Bail-in-Bonds zu wandeln, d. h. Schuldinstrumente, die eigens zum Zweck der Verlustabsorption im Fall eines Bail-in ausgegeben wurden. Dann können die übrigen Forderungen gewandelt werden und zuletzt die nicht privilegierten Einlagen (Einlagen über 100 000 Franken). Privilegierte, gesicherte und verrechenbare Forderungen sind vom Bail-in ausgenommen.
Ein Bail-in kann nur Erfolg haben, wenn genügend Fremdkapital vorhanden ist, das im Anwendungsfall in Eigenkapital gewandelt werden kann. Aus diesem Grund bestehen für SIBs Anforderungen an die Gone-Concern-Mittel (vgl. Kap. 7.2). Diese Anforderungen können mit der Ausgabe von Bail-in-Bonds erfüllt werden. Bail-in-Bonds müssen bestimmten Anforderungen genügen, damit die rechtliche Durchsetzbarkeit einer Wandlung gewährleistet ist. Insbesondere haben ihre Ausgabebedingungen eine Klausel zu enthalten, mit der sich die Käuferschaft im Vornherein mit einer allfälligen Wandlung ihrer Rückzahlungsforderung einverstanden erklärt.
Neben den Bail-in-Bonds haben SIBs weitere verlustabsorbierende Schuldinstrumente ausgegeben, namentlich AT1-Anleihen. Im Gegensatz zu Bail-in-Bonds können AT1-Anleihen auch zur Erfüllung von Anforderungen an das Going-Concern-Kapital angerechnet werden, da diese als Tier-1-Instrument bereits vor Einleitung eines Sanierungsverfahrens Verluste absorbieren können. Im vorliegenden Bericht bezieht sich der Begriff Bail-in ausschliesslich auf die Umwandlung von Fremd- in Eigenkapital im Rahmen der Durchführung eines Sanierungsverfahrens, d. h. nicht auf die Abschreibung von AT1-Anleihen aufgrund eines vertraglichen Auslösungsereignisses ausserhalb einer Sanierung.
2²6
SR
952.05
2²7 FINMA,
Resolution-Bericht 2020
, Febr. 2020, S. 18 und 20 .
Übertragung von Vermögen und Fusion
Unter dem Titel «Weiterführung von Bankdienstleistungen» sieht das Gesetz verschiedene Massnahmen vor, mit denen das Vermögen der betroffenen Bank auf einen anderen Rechtsträger oder eine Übergangsbank übertragen werden kann. So kann gemäss Artikel 30 Absatz 2 BankG das Vermögen der Bank auf einen übernehmenden Rechtsträger oder eine Übergangsbank transferiert werden, sich die Bank mit einer anderen Gesellschaft zusammenschliessen, ein anderer Rechtsträger die Bank übernehmen oder die Rechtsform der Bank geändert werden. Alle diese Massnahmen können im Rahmen des Sanierungsverfahrens und unter Ausschluss des Fusionsgesetzes vom 3. Oktober 2003 2²8 (FusG) umgesetzt werden.
Hintergrund dieser Sanierungsmassnahmen ist die Überlegung, dass es möglich sein soll, einzelne Bankdienstleistungen insbesondere mittels Übertragung auf eine Übergangsbank ( Bridge Bank ) für eine gewisse Zeit fortzuführen mit dem Ziel, systemrelevante Funktionen zumindest für eine gewisse Zeit aufrechtzuerhalten. Bei der Ausgestaltung der Übertragung besteht grosse Flexibilität. Die systemrelevanten Funktionen können auf eine Übergangsbank übertragen und dort für eine gewisse Zeit fortgeführt werden, während die Restbank liquidiert wird. Alternativ wäre es auch möglich, die nicht systemrelevanten Funktionen auf eine abzuwickelnde Bank zu übertragen, um damit die zu sanierende Bank zu verkleinern und deren Fortführung zu vereinfachen.
Die gesetzliche Bestimmung wurde im Rahmen der Teilrevision des BankG im Jahr 2021 insofern ergänzt, als dass sie nun ausdrücklich auch den Zusammenschluss einer zu sanierenden Bank mit einem anderen Rechtsträger vorsieht (Art. 30 Abs. 2 Bst. b BankG). 2²9 Das Gesetz spricht von «Zusammenschluss» und verzichtet bewusst darauf, den Begriff der Fusion zu verwenden, da die punktuelle Anwendbarkeit des FusG ausdrücklich ausgeschlossen wurde. Dies führt dazu, dass diverse Voraussetzungen, die bei einer Fusion üblicherweise gegeben sein müssen, wie z. B. die Genehmigung des Fusionsvertrags durch die Generalversammlung (Art. 12 FusG), bei Anwendung dieser Sanierungsmassnahme bei der zu sanierenden Bank nicht erforderlich sind. Vielmehr genügt es, wenn die Voraussetzungen betreffend den Sanierungsplan eingehalten sind (Art. 30 c Abs. 1 BankG). Als Anwendungsfall nennt die Botschaft den Zusammenschluss mehrerer in einem genossenschaftlichen Verbund organisierter Banken zu einer einzelnen Gesellschaft. Der Zusammenschluss wird bei SIBs mit Genehmigung des Sanierungsplans wirksam (Art. 31 d Abs. 1 Bst. a BankG).
2²8
SR
221.301
2²9
BBl
2020
6359
Abwicklungsstrategie für die Schweizer G-SIBs
Mit einer Abwicklungsstrategie wird festgelegt, mit welchem Ziel eine Sanierung durchgeführt werden soll (Fortführung der Gesamtbank oder lediglich Weiterführung einzelner Dienstleistungen) und mit welchen Massnahmen dieses Ziel verfolgt werden soll (z. B. Bail-in). Die Abwicklungsstrategie unterscheidet sich von Bank zu Bank und wird daher für jede SIB individuell festgelegt.
In Bezug auf die Grossbanken hat die FINMA bereits 2013 öffentlich dargelegt, dass deren Sanierung mittels « Single Point of Entry» -(SPoE)-Bail-in die präferierte Strategie ist. SPoE bedeutet, dass die FINMA auf Stufe der höchsten Konzerneinheit (sogenannte Konzernobergesellschaft) interveniert. 23⁰ Der «Plan A» zur Sanierung einer G-SIB besteht sodann in der Rekapitalisierung der Bankengruppe durch Wandlung von Fremd- in Eigenkapital.
Für den Fall, dass diese präferierte Strategie nicht möglich ist oder scheitert, hat die FINMA für die G-SIBs eine Sekundärstrategie festgelegt. Dieser «Plan B» beinhaltet eine Aufteilung der gesamten Gruppe, die Konkursliquidation der Konzernobergesellschaft und weiterer Einheiten und die Aktivierung des Schweizer Notfallplans zum Schutz der für die Schweiz systemrelevanten Funktionen.
Für die nicht international tätigen SIBs entspricht der Notfallplan inhaltlich der Abwicklungsstrategie. Im Fall der ZKB würde vorab der Kanton Zürich, der als Garant für alle nicht nachrangigen Verbindlichkeiten haftet, zur Verlusttragung hinzugezogen. Im Fall der Postfinance würde die Eidgenossenschaft als indirekte Eignerin die im Abwicklungsfall bestehende Kapitallücke temporär decken. Bei der Raiffeisen würde die FINMA die über 200 eigenständigen Raiffeisenbanken in eine Sanierungsgesellschaft zusammenführen, um diese dann in einem einzigen Verfahren zu sanieren. 23¹
Plan A: Weiterführung der Bank mittels SPoE-Bail-in
Gemäss dem für Schweizer G-SIBs bzw. die UBS vorgesehenen SPoE-Bail-in interveniert die FINMA auf Stufe der Konzernobergesellschaft. Die anderen Gruppeneinheiten wären nicht direkt von der Sanierungsverfügung betroffen. Dies hat den Vorteil, dass die relevanten operativen Gruppengesellschaften unabhängig davon, ob im Inland oder Ausland domiziliert, ihre operative Geschäftstätigkeit ausserhalb eines Insolvenzverfahrens ununterbrochen fortführen können. Zudem muss nur ein Verfahren durchgeführt werden.
Obwohl die Tochtergesellschaften nicht direkt betroffen wären, könnten Verluste, die in diesen Gesellschaften entstanden sind, im Rahmen des SPoE-Bail-in absorbiert werden. Dies geschieht über konzerninterne Mechanismen. Vorab werden die aus der Ausgabe von Bail-in-Bonds eingenommenen Mittel per interne Darlehen an die Tochtergesellschaften weitergegeben. Im Fall des Bail-in verzichtet die Konzernobergesellschaft auf die Rückzahlung dieser Darlehen, was zur Rekapitalisierung der Tochtergesellschaften führt. 23²
Wie erwähnt wird in einer Sanierung vorab das Gesellschaftskapital der Konzernobergesellschaft vollständig abgeschrieben, sodass die Aktionärinnen und Aktionäre ihre Eigentümerstellung verlieren würden. Unmittelbar zuvor würden die ausstehenden AT1-Anleihen vollständig reduziert oder gewandelt. Das heisst, die Gläubigerschaft der entsprechenden Schuldinstrumente würde ihre Rückzahlungsforderungen verlieren. Danach könnten die weiteren Gläubigerforderungen gemäss der Bail-in-Rangfolge gewandelt werden. Bei der UBS würden dabei insbesondere die auf den Bail-in-Bonds basierenden Forderungen umgewandelt. Der Bail-in würde dazu führen, dass die Gläubigerinnen und Gläubiger dieser Forderungen ihren Anspruch auf Rückzahlung verlieren, aber aufgrund der Umwandlung neu zum Aktionariat gehören.
Das Ziel des SPoE-Bail-in im Fall der UBS wäre die Wiederherstellung einer soliden Eigenkapitalbasis der Bank. Die UBS soll dabei als Bankengruppe fortgeführt werden können, wobei eine Sanierung in der Regel mit umfassenden Umstrukturierungen einhergehen würde. Neben der Rekapitalisierung mittels Bail-in ist damit zu rechnen, dass auch das Geschäftsmodell der betroffenen Bank, unter Berücksichtigung der Umstände, die zur Notwendigkeit eines Eingreifens geführt haben, den neuen Verhältnissen angepasst würde. ²33
23² FINMA,
Resolution-Bericht 2020
, Febr. 2020, S. 20 ff.
²33 FINMA,
Resolution-Bericht 2020
, Febr. 2020, S. 21.
Plan B: Aufspaltung/Notfallplan
Für den Fall, dass die primäre Abwicklungsstrategie nicht möglich ist oder scheitert, hat die FINMA eine Sekundärstrategie definiert. Im Gegensatz zur primären Abwicklungsstrategie hat dieser «Plan B» nicht die Weiterführung der gesamten Bankengruppe zum Ziel. Vielmehr würde die Gruppe aufgeteilt und das Schicksal der einzelnen Gruppengesellschaften individuell definiert.
Die oberste Konzerngesellschaft und die für die Schweiz nicht systemrelevanten Gruppeneinheiten würden im Rahmen einer Konkursliquidation abgewickelt. Gleichzeitig würde der Schweizer Notfallplan aktiviert, um die Weiterführung der in der Schweiz systemrelevanten Funktionen sicherzustellen. Der Schweizer Notfallplan zeigt auf, wie die Abhängigkeiten der Schweizer Einheit (im Fall der UBS die UBS Switzerland AG) vom Rest der Bankengruppe aufgelöst und die für die Schweiz systemrelevanten Funktionen unabhängig von den übrigen abzuwickelnden Gruppengesellschaften weiterbetrieben werden können (siehe Kap. 13.1.7).
23⁰ Vgl. FINMA,
Jahresbericht 2013
, S. 44, sowie FINMA,
Resolution-Bericht 2020
, Febr. 2020, S. 20; dort hat die FINMA den SPoE-Ansatz für Grossbanken erneut bekräftigt.
23¹ Vgl. die Medienmitteilung der FINMA,
FINMA beurteilt erneut die
Recovery
- und
Resolution-Pläne
der systemrelevanten Institute
, 26. April 2023, sowie die weiterführenden Links darin.
Würdigung des Bail-in
Im Fall der Rettung der Credit Suisse standen verschiedene Massnahmen zur Diskussion, darunter auch die primäre Abwicklungsstrategie der FINMA, nämlich der SPoE-Bail-in. Dieser wurde schliesslich nicht umgesetzt. ²34 Im vorliegenden Kapitel werden bestimmte spezifisch mit dem Bail-in zusammenhängende Herausforderungen beleuchtet. Diese Analyse erfolgt auch im Hinblick darauf, wie die Anwendbarkeit des Bail-in-Instruments verbessert werden kann (vgl. Kap. 13.4).
Bail-in als Instrument bei Vertrauensverlust
Praktische Erfahrungen zum Bail-in fehlen, da das Instrument bislang weder in der Schweiz noch im Ausland jemals bei einer G-SIB angewendet wurde. Gerade im Fall von Liquiditätsproblemen, die üblicherweise mit einer Bankenkrise einhergehen, sind die Auswirkungen des Bail-in unklar.
Unbestritten ist, dass eine vom Markt als ungenügend angesehene Kapitalisierung der Bank zu einem Vertrauensverlust und damit zu einer Liquiditätskrise führen kann. Daher besteht ein enger Zusammenhang zwischen Kapital und Liquidität. Das Vertrauen in die Bank ist jedoch auch von weiteren Faktoren abhängig, wie beispielsweise von der Glaubwürdigkeit des Managements, den rechtlichen Rahmenbedingungen, dem Geschäftsmodell sowie dem allgemeinen Marktumfeld. Mit Blick auf die Wirksamkeit eines Bail-in ist zu unterscheiden zwischen Liquiditätskrisen, die ihre Ursache (zumindest teilweise) in der vom Markt als ungenügend angesehenen Kapitalbasis der Bank haben und solchen, in denen andere Faktoren für den Vertrauensverlust massgebend sind. Der Bail-in ist insbesondere für erstere Fälle geeignet, da er vorab auf die Wiederherstellung der Eigenkapitalquote ausgerichtet ist. Liquidität fliesst der Bank durch den Bail-in nicht zu. ²35
Auch wenn eine Bank die regulatorischen Anforderungen an die Eigenmittel erfüllt, kann ein Bail-in einer Bank mit Liquiditätsproblemen erforderlich werden. Denn auch in diesem Fall kann die Erhöhung des harten Kernkapitals mittels Bail-in zu einer Wiederherstellung des Marktvertrauens und verringerten Liquiditätsabflüssen beitragen, insbesondere da dadurch genügend Kapital für eine Reststrukturierung bereitgestellt wird. ²36
Dies war auch die Prämisse des Gesetzgebers bei Einführung des Wertausgleichs (Art. 31 c BankG) für den Fall, dass ein Bail-in beispielsweise aufgrund ernsthafter Liquiditätsprobleme durchgeführt wird, die Bank aber noch nicht überschuldet ist. ²37 Auch die neuen, auf SIBs zugeschnittenen und bis Ende 2024 vollständig zu erfüllenden besonderen Liquiditätsanforderungen gehen von der vertrauensfördernden Wirkung eines Bail-in bei Liquiditätsproblemen aus (vgl. Kap. 8.2.2). Sie unterstellen ein Szenario, in dem nach 30 Tagen Liquiditätsstress ein Bail-in durchgeführt wird, der zu einer Stabilisierung der Bank und somit zu einer Verringerung der Abflüsse führt. ²38
²35 Ein Bail-in führt, aufgrund des Wegfalls von Zins- und Amortisationszahlungen, höchstens zu einem leicht geringeren Abfluss an Liquidität.
²36 Dies gilt insbesondere, wenn der Bail-in mit weiteren Sanierungsmassnahmen einhergeht, wie dem Einsetzen neuer Organe und der Anpassung des Geschäftsmodells.
²37 Vgl.
BBl
2020
6359
, S. 6395; dort wird explizit darauf hingewiesen, dass die Anordnung von Kapitalmassnahmen unter Umständen bereits dann sinnvoll sein kann, wenn die betroffene Bank noch nicht überschuldet ist, aber sich trotzdem in ernsthaften Liquiditätsproblemen befindet.
²38 EFD,
Erläuterungen zur Änderung der Liquiditätsverordnung (Besondere Bestimmungen für systemrelevante Banken - «
Too big to fail
»)
, 3. Juni 2022, S. 13.
Ansteckungsrisiken
Bei Durchführung eines Bail-in muss die Gläubigerschaft der Bail-in-Bonds unter Umständen mit erheblichen Verlusten rechnen. Abgesehen von den damit verbundenen Rechtsrisiken kann gerade im Fall einer Grossbank ein Bail-in die Märkte massiv negativ beeinflussen. Diese Problematik bestand auch im Fall der Credit Suisse. Inwiefern die von einem Bail-in ausgehenden Ansteckungsrisiken das Potenzial haben, eine Krise an den Finanzmärkten auszulösen, ist umstritten. ²39
Die Zusammensetzung der Gläubigerschaft, deren Forderungen im Rahmen eines Bail-in gewandelt würden, ist weder den ausgebenden Banken noch den Behörden bekannt. Die Banken verfügen lediglich über Daten zu den Erstkäufern der von ihnen ausgegebenen Bail-in-Bonds. Diese lassen vermuten, dass es sich bei der Gläubigerschaft der Bail-in-Bonds zu einem Grossteil um im Finanzmarktbereich tätige Institute mit Sitz im Ausland handelt. Dabei zu bemerken ist allerdings, dass auf Stufe der einzelnen Banken die Investitionen in von G-SIBs ausgegebene Bail-in-Bonds und weitere Kapitalinstrumente durch einen internationalen Standard beschränkt werden. 24⁰ Daten zu den Käufern auf dem Sekundärmarkt liegen nicht vor.
Als Folge der unklaren Datenlage sind die Ansteckungsrisiken bei einem Bail-in schwierig einzuschätzen.
²39 Expertengruppe Bankenstabilität 2023,
Reformbedarf nach dem Untergang der Credit Suisse
, 1. Sept. 2023, S. 31.
24⁰ BCBS,
Standard: TLAC holdings
, Okt. 2016.
Gewährserfordernisse
Eine weitere Folge eines Bail-in ist, dass vorerst unklar bliebe, wie die Eigentümerschaft der betroffenen Bank nach dem Bail-in zusammengesetzt ist. Aus diesem Grund kann nicht im Vornherein bestimmt werden, ob gewisse der neuen Eigentümer eine qualifizierte Beteiligung an der Bank ausweisen werden und, falls dem so ist, ob diese Eigentümer die Gewährserfordernisse erfüllen (Art. 3 Abs. cbis BankG).
Interventionszeitpunkt und Koordination
Gemäss Gesetz hat die FINMA einen wesentlichen Beurteilungsspielraum hinsichtlich der Frage, ob ein Sanierungsverfahren einzuleiten ist. Es besteht kein klar definierter Zeitpunkt, an dem eingeschritten werden muss. Das Gesetz spricht von einer «begründeten Besorgnis», die in Bezug auf die Überschuldung oder ernsthafte Liquiditätsprobleme vorliegen muss (Art. 25 Abs. 1 BankG).
Begründete Besorgnis, dass die Bank ernsthafte Liquiditätsprobleme hat, liegt gemäss Botschaft etwa dann vor, «wenn eine Bank nicht in der Lage ist, sich zu Marktbedingungen flüssige Mittel zu verschaffen, und davon ausgegangen werden muss, dass die vorhandene Liquidität die fälligen oder die nächstens fällig werdenden Verpflichtungen nicht mehr deckt». 24¹ Damit bleibt das Gesetz vage und gesteht der FINMA einen wesentlichen Beurteilungsspielraum zu. Dieser schafft zwar einerseits eine unter gewissen Umständen vorteilhafte Flexibilität, kann aber andererseits auch die Identifikation des vertretbaren Eingriffszeitpunkts erschweren und überträgt der entscheidenden FINMA eine sehr hohe Verantwortung.
Ferner besteht keine ausdrückliche Pflicht, in einer Sanierung einen Bail-in durchzuführen. Vielmehr hat die FINMA ein erhebliches Ermessen, um darüber zu entscheiden, welche Massnahme am geeignetsten erscheint. Auch dies gewährt ein hohes Mass an Flexibilität, das insofern nützlich ist, als dass je nach Krise unterschiedliche Vorgehensweisen gewählt werden können. Der Nachteil besteht in der fehlenden Vorhersehbarkeit des behördlichen Krisenmanagements.
Daneben legt das Gesetz die Verantwortlichkeit für die Fällung des Entscheids über eine Sanierung oder Konkursliquidation allein auf die FINMA. Ist davon eine SIB betroffen, so hat die jüngste Krise gezeigt, dass die erfolgreiche Bewältigung einer Krise in der Regel auch Massnahmen erfordert, die im Zuständigkeitsbereich der SNB (Liquiditätszufuhr) oder sogar des Bundesrates sowie der Finanzdelegation des Parlaments (PLB) liegen. Die fehlende Zusammenführung dieser verteilten Entscheidungsbefugnis auf Gesetzesstufe und damit die verteilten, aber nicht unabhängigen Verantwortlichkeiten können in einer Krise die Handlungsfähigkeit der Behörden beeinträchtigen (vgl. Kap. 17). 24²
24¹
BBl
2002
8060
, S. 8079
24² Expertengruppe Bankenstabilität 2023,
Reformbedarf nach dem Untergang der Credit Suisse
, 1. Sept. 2023, S. 26 ff.
Rechtssicherheit
Wie bereits ausgeführt, dient der Bail-in der Wiederherstellung der Eigenkapitalbasis der Bank und soll dabei auch zukünftige Verluste und Umstrukturierungskosten in der Sanierung abdecken. Mit einem Bail-in dürfte das regulatorisch geforderte Eigenkapital in der Regel auf ein über die Anforderungen hinausgehendes Mass angehoben werden. Diese Anhebung muss mit den hohen zu erwartenden zukünftigen Verlusten und Umstrukturierungskosten begründet werden.
Der Bail-in stellt einen schweren Eingriff in die Rechte der Eigentümer und der betroffenen Gläubigerschaft der Bank dar. Die Eigentümer verlieren infolge vollständiger Herabsetzung des Gesellschaftskapitals alle ihre Ansprüche als Aktionariat (Art. 30 b Abs. 5 Bst. b BankG). Die Gläubigerschaft von Wandlungskapital und von Anleihen mit Forderungsverzicht verliert ihre Forderungen ebenfalls (Art. 30 b Abs. 5 Bst. a BankG).
Es ist bei jedem Bail-in davon auszugehen, dass die zu Schaden gekommenen Gruppen die Notwendigkeit eines Bail-in mittels Anfechtungsklagen in Frage stellen. Dies gilt erst recht, wenn der Bail-in zur «Anhebung» der Eigenmittel auf ein die regulatorischen Anforderungen erheblich übersteigendes Mass führt, was in einer akuten Krise notwendig sein dürfte. Auch wenn die Beschwerdemöglichkeiten von Gesetzes wegen eingeschränkt sind und der Bail-in insbesondere nicht rückgängig gemacht werden kann (Art. 37 g bis Abs. 1 BankG), so kann dies doch zu erheblichen Rechtsunsicherheiten und zu einem verminderten Vertrauen in die erfolgreiche Sanierung führen.
Daneben stellt sich im Fall eines Bail-in auch immer die Frage, ob die auf Bail-in-Bonds basierenden Verbindlichkeiten gesamthaft oder nur teilweise umgewandelt werden sollen. Eine teilweise Umwandlung ist möglich, führt jedoch zu einer geringeren Quote des harten Kernkapitals. Ein partieller Bail-in ist insbesondere dann sinnvoll, wenn die zukünftigen Umstrukturierungskosten und Verluste genau bekannt und somit der Bail-in-Bedarf genau kalkulierbar sind. Auch im Fall einer teilweisen Umwandlung müsste das bestehende Gesellschaftskapital vorab vollständig abgeschrieben werden.
Komplexität bezüglich Bail-in-Reihenfolge
Mit der Teilrevision des BankG, die am 1. Januar 2023 in Kraft trat, wurde die Bail-in-Reihenfolge auf Gesetzesstufe verankert und gleichzeitig ein eigener Rang für Bail-in-Bonds geschaffen. Damit sollte klargestellt werden, dass Bail-in-Bonds vor den regulären Verbindlichkeiten zur Verlustabsorption hinzugezogen werden. Die Reihenfolge ist in Artikel 30 b Absatz 7 BankG folgendermassen geregelt:
1.
nachrangige Forderungen;
2.
Forderungen, die auf Bail-in-Bonds basieren;
3.
übrige Forderungen, mit Ausnahme der Einlagen;
4.
Einlagen.
Artikel 30 b Absatz 8 BankG statuiert jedoch eine in der Praxis wichtige Ausnahme von diesem Grundsatz. Werden Bail-in-Bonds von einer Konzernobergesellschaft ausgegeben und die «übrigen Forderungen» übersteigen nicht 5 Prozent des Nominalwerts der gesamthaft anrechenbaren Bail-in-Bonds, werden die Bail-in-Bonds dem Rang der «übrigen Forderungen» zugerechnet und die eigentlich in diesen Rang fallenden Forderungen sind vom Bail-in ausgenommen. Die Bestimmung führt dazu, dass die Bail-in-Bonds in den Rang der «übrigen Forderungen» umgewandelt werden und die eigentlich in diesen Rang fallenden Verbindlichkeiten vom Bail-in ausgenommen sind. Die Reihenfolge stellt sich dann folgendermassen dar:
1.
nachrangige Forderungen;
2.
Forderungen, die auf Bail-in-Bonds basieren;
3.
Einlagen.
Massgebend zur Bestimmung, ob die 5-Prozent-Schwelle von Artikel 30 b Absatz 8 BankG eingehalten ist oder nicht, ist der Zeitpunkt der Genehmigung des Sanierungsplans. ²43 Es entscheidet sich somit erst im konkreten Anwendungsfall, welche Reihenfolge für den Bail-in einschlägig ist.
Die Umwandlung von «übrigen Forderungen» ist nur in der regulären Rangfolge gemäss Artikel 30 b Absatz 7 möglich. Diese «übrigen Forderungen» machen bei den G-SIBs typischerweise nur einen minimalen Anteil an der Passivseite der Bankbilanz aus. Sie sind insofern für eine erfolgreiche Umsetzung eines Bail-in nicht ausschlaggebend. Mit der Sonderregel gemäss Artikel 30 b Absatz 8 BankG soll deshalb verhindert werden, dass die Gläubigerschaft der «übrigen Forderungen» einen Bail-in ihrer Forderungen rechtlich anfechten und damit den notwendigen raschen Vollzug des Bail-in als Gesamtes in Gefahr bringen könnte. Der Nachteil dabei ist, dass vor der Durchführung eines Bail-in für die Gläubigerschaft der in die Klasse der «übrigen Forderungen» fallenden Verbindlichkeiten unklar ist, ob sie vom Bail-in betroffen sein wird. ²44
Eine weitere Komplexität eines Bail-in besteht darin, dass die Ausgabebedingungen der Bail-in-Bonds deren Nachrangigkeit im Fall eines Bail-in verschweigen ²45 . So weisen die Ausgabebedingungen nicht darauf hin, dass Bail-in-Bonds gemäss ERV gesetzlich oder vertraglich gegenüber übrigen Verpflichtungen des Emittenten oder strukturell gegenüber Verpflichtungen übriger Gruppengesellschaften nachrangig sein müssen (Art. 126 a Abs. 1 Bst. e ERV). Die Grossbanken haben sich für die sogenannte strukturelle Nachrangigkeit entschieden. Demgemäss werden ihre Bail-in-Bonds auf Stufe Konzernobergesellschaft emittiert. Da der Bail-in auf dieser Stufe ansetzt, sind nur Forderungen gegenüber der Holding von der Umwandlung betroffen. Damit erfüllen die entsprechenden Bail-in-Bonds die Anforderungen der ERV nach Nachrangigkeit automatisch. Den Grossbanken ist es auf dieser Basis gleichzeitig möglich, ihre Bail-in-Bonds als sog. Senior Bonds auszugeben und diese explizit als « non subordinated », also nicht nachrangig, zu bezeichnen. Ein Verweis darauf, dass die entsprechenden Instrumente strukturell nachrangig sind, ist nicht erforderlich. ²46
Diese Tatsache führt für die ausgebenden Banken zu vorteilhafteren Zinsraten ²47 , geht jedoch gleichzeitig mit einer wesentlichen Intransparenz einher, da Investoren keine klare Unterscheidung zwischen Bail-in-Bonds und vorrangigen Schuldinstrumenten machen. Eine Möglichkeit, diese Unterscheidung deutlicher zu machen, wäre die Einführung einer regulatorischen Pflicht, Bail-in-Bonds ausdrücklich als vertraglich nachrangige Instrumente auszugestalten. Alternativ könnten die Bail-in-Bonds ähnlich den EU-Vorgaben als « Senior Non-Preferred »-Instrumente bezeichnet werden (vgl. Kap. 13.2.1). ²48
²43
BBl
2020
6359
, S. 6390
²44 Ammann et al.,
Reformbedarf in der Regulierung von
«Too Big to Fail»
-Banken
, 19. Mai 2023, S. 29.
²45 Die von den Schweizer Grossbanken ausgegebenen Bail-in-Bonds enthalten lediglich eine Anerkennungsklausel, mit der die Gläubigerschaft bestätigt, dass sie sich mit einer allfälligen Umwandlung ihrer Forderungen im Rahmen eines Sanierungsverfahrens einverstanden erklärt. Die Anerkennungsklausel sagt aber nichts darüber aus, in welchem Rang die Forderungen der Gläubigerschaft gewandelt würden.
²46 Die von der Credit Suisse ausgegebenen Bail-in-Bonds wurden mittlerweile von der UBS als neuer Schuldnerin übernommen.
²47 Indergand und Hrasko,
Does the market believe in loss-absorbing bank debt?
, SNB Working Papers 13/2021, 3 . Aug. 2021, S. 25.
²48 Indergand und Hrasko,
Does the market believe in loss-absorbing bank debt?
, SNB Working Papers 13/2021, 3 . Aug. 2021, S. 25/26 f.
Von Kantonalbanken ausgegebene Bail-in-Bonds
Seit der letzten Teilrevision des BankG kann die FINMA für Kantonalbanken Abweichungen von den Bestimmungen über das Sanierungsverfahren vorsehen und insbesondere Schuldinstrumente bezeichnen, die vor einer vollständigen Herabsetzung des Gesellschaftskapitals reduziert werden, soweit diese eine angemessene nachträgliche Kompensation der Gläubigerschaft vorsehen (vgl. Art. 28 a Abs. 3 und 30 b Abs. 6 BankG).
Die Regelung ist spezifisch auf die Situation der ZKB zugeschnitten, die sich zu 100 Prozent im Eigentum des Kantons Zürich befindet und zudem von einer expliziten Staatsgarantie durch diesen profitiert. Sollte trotz dieser Garantie ein Bail-in bei der ZKB notwendig werden, könnten diese Instrumente Verluste absorbieren, ohne dass der Kanton das Eigentum an der Kantonalbank verliert (was üblicherweise das Schicksal der Bankeigentümer im Fall eines Bail-in ist).
Die ZKB hat bereits von der neuen Möglichkeit Gebrauch gemacht und entsprechende Bail-in-Bonds ausgegeben. ²49 Diese ZKB-Bail-in-Bonds weisen insofern Charakteristiken von AT1-Anleihen auf, als sie vor dem Eigenkapital der Bank Verluste absorbieren und zudem im Anwendungsfall allein herabgesetzt werden können. Entgegen den regulären Bail-in-Bonds ist eine Wandlung der ZKB-Bail-in-Bonds in Eigenkapital ausgeschlossen. Andererseits sind letztere insofern mit den regulären Bail-in-Bonds verwandt, als dass sie nur im Rahmen eines Sanierungsverfahrens abgeschrieben werden können. Eine automatische Auslösung oder Abschreibung ausserhalb eines Sanierungsverfahrens, wie sie bezüglich AT1-Anleihen besteht, ist nicht möglich.
Die Abweichungen der Funktion dieser ZKB-Bail-in-Bonds gegenüber den regulären Bail-in-Bonds erhöhen die Komplexität, da die Mechanik der Bail-in-Bonds je nach ausgebender Bank unterschiedlich ausfallen kann. Auch wirft der diesen Instrumenten inhärente Zwang, der Gläubigerschaft der abgeschriebenen Bonds unter bestimmten Umständen eine nachträgliche Kompensation auszurichten, weitere Umsetzungsfragen auf.
²49 Medienmitteilung der ZKB,
Zürcher Kantonalbank platziert eine
Bail-in
-Anleihe in der Höhe von 425 Millionen
Franken
, 5. April 2023.
Werttransfer von Altaktionärinnen und Altaktionären zur Bail-in-Bond-Gläubigerschaft
Vor einem Bail-in muss das gesamte Gesellschaftskapital vollständig herabgesetzt werden (Art. 30 b Abs. 5 Bst. b BankG). Damit geht das gesamte zum Zeitpunkt des Bail-in noch vorhandene Eigenkapital auf die mit dem Bail-in neu geschaffenen Aktien über. Mit der vollständigen Herabsetzung des Gesellschaftskapitals soll sichergestellt werden, dass allfällige Verluste in erster Linie von der Eigentümerschaft der Bank getragen werden. 25⁰ Diese Begründung wurde in der Lehre kritisiert, da das Eigenkapital Verluste automatisch absorbiert. 25¹ Eine zwingende vollständige Abschreibung des verbleibenden Aktienkapitals wäre daher nicht erforderlich.
In Fällen, in denen die betroffene Bank noch nicht überschuldet ist oder sogar die regulatorischen Eigenmittelanforderungen noch erfüllt, kann eine vollständige Abschreibung des Aktienkapitals zu unangemessenen Ergebnissen führen. Der Bail-in könnte dann zu einem Gewinn für die betroffene Gläubigerschaft führen, zum Schaden des von der Abschreibung betroffenen Aktionariats. Im Fall der Credit Suisse wäre der Bail-in auf Stufe Konzernobergesellschaft, d. h. der Credit Suisse Group AG, durchgeführt worden (vgl. zum SPoE-Ansatz Kap. 13.1.3). Tochtereinheiten, namentlich die Credit Suisse AG und die Credit Suisse (Schweiz) AG, wären von diesem Verfahren nicht direkt betroffen gewesen. Vor Durchführung eines Bail-in hätten die Anleihen mit Forderungsverzicht vollständig abgeschrieben werden müssen (Art. 30 b Abs. 5 BankG). Die Credit Suisse hatte Ende 2022 AT1- und Tier-2-Anleihen im Nominalwert von ca. 16 Milliarden Franken ausstehend. 25² Gleichzeitig betrug das von der Credit Suisse per Ende 2022 ausgewiesene Gesellschaftskapital ca. 45 Milliarden Franken. Dieses den Aktionären zustehende Kapital wäre auch vollständig herabgesetzt worden.
An die Stelle des ehemaligen Aktionariats wäre in der Folge das mit Bail-in neu geschaffene Aktionariat getreten. Ende 2022 bestanden auf Bail-in-Bonds basierende Rückzahlungsforderungen von Gläubigerinnen und Gläubigern der Credit Suisse im Umfang von ca. 57 Milliarden Franken. Die vollständige Umwandlung dieser Forderungen hätte zu einer Erhöhung des CET1 der Gruppe auf rund 107 Milliarden Franken geführt. Die Gläubigerschaft der Bail-in-Bonds hätte damit zwar ihre Rückzahlungsforderung verloren, im Gegenzug hätte ihr aber das gesamte Eigenkapital zugestanden. Der Bail-in hätte damit zu einem Werttransfer zulasten des Altaktionariats und zugunsten der Bail-in-Bond-Gläubigerschaft geführt. Je nach Marktpreis der mit dem Bail-in neu geschaffenen Aktien hätte diese unter Umständen einen Gewinn erwirtschaften können.
Um diesen potenziellen Werttransfer zu verhindern, hat das Parlament mit Artikel 31 c BankG eine Bestimmung zum sog. Wertausgleich verankert. Demgemäss kann der Sanierungsplan einen angemessenen Wertausgleich für die von der Abschreibung des Eigenkapitals betroffene Eigentümerschaft einer Bank vorsehen, falls der Bail-in dazu führt, dass der Wert des der Gläubigerschaft zugeteilten Eigenkapitals den Nominalwert der gewandelten Forderungen übersteigt.
Im Fall eines Bail-in bei der Credit Suisse wäre die Voraussetzung für einen Werttransfer wohl erfüllt gewesen, da die Gläubigerschaft der Bail-in-Bonds gegen Umwandlung ihrer Forderungen im Nominalwert von ca. 57 Milliarden Franken Eigentümer einer Bank mit ca. 107 Milliarden Franken Eigenkapital geworden wäre.
In der Praxis ist die Umsetzung eines Wertausgleichs mit diversen Schwierigkeiten verbunden. Vorab ist die Bestimmung des Eigenkapitals einer Bank gerade in einer Krise äusserst schwierig, da, wie in der Botschaft ausgeführt, für einen Teil der Bilanzpositionen kein Marktwert besteht. Die Botschaft hält jedoch fest, dass die Höhe des Wertausgleichs bereits zum Zeitpunkt des Sanierungsplans festgelegt werden muss, da möglichst rasch klare Verhältnisse geschaffen werden müssen. ²53 Damit stellt sich die Herausforderung, die zur Berechnung des Wertausgleichs erforderlichen Zahlen zum Zeitpunkt des Bail-in mit genügender Bestimmtheit zu berechnen.
Ein Wertausgleich kann namentlich durch Zuteilung von Aktien, anderen Beteiligungsrechten (z. B. Partizipations- oder Genussscheinen), Optionen oder Besserungsscheinen erfolgen. Unabhängig vom Typus sollten die dem Altaktionariat zugeteilten Instrumente sofort handelbar sein. ²54 Die zeitnahe Bewertung der zugeteilten Instrumente stellt dabei eine Herausforderung dar, ähnlich der Bewertung des Eigenkapitals der Bank.
Ob und ggf. inwiefern dem Altaktionariat ein Wertausgleich ausgerichtet würde, hängt somit von diversen Faktoren ab und liegt zudem zu einem wesentlichen Teil im Ermessen der FINMA. ²55
25⁰
BBl
2020
6359
, S. 6388
25¹ Mauchle, Bail-in bei systemrelevanten Banken, GesKR 02/2019, Zürich/St. Gallen 2019, S. 255.
25² Credit Suisse Group AG,
Annual Report 2022
, 14 . März 2023, S. 126.
²53
BBl
2020
6359
, S. 6395
²54
BBl
2020
6359
, S. 6396
²55 Vgl. zum Ganzen: Mauchle, Bail-in bei systemrelevanten Banken , GesKR 02/2019, Zürich/St. Gallen 2019, S. 256.
Cross-Border-Problematik
Der Bail-in bei einer G-SIB würde lediglich die in der Schweiz domizilierte Konzernobergesellschaft direkt betreffen. Zudem kann die Anordnung der FINMA nur in der Schweiz unmittelbare Rechtswirkung entfalten. Ob und inwiefern der Bail-in auch in ausländischen Rechtsordnungen eine Wirkung hat, hängt von den dortigen Bestimmungen ab. Falls es zu Rechtsstreitigkeiten kommt, hängt es insbesondere von einer erfolgten Anerkennung und den dortigen Gerichten ab. Dies ist gerade bei einer Grossbank aufgrund der starken internationalen Verflechtung wesentlich.
Diese Komplexität akzentuiert sich noch stärker, falls die von der Bank emittierten Eigenkapital- sowie Fremdkapitalinstrumente an ausländischen Börsenplätzen gehandelt werden. Dadurch stehen sowohl die Emittentin als auch die Eigenkapital-/Fremdkapitalinstrumente im Einflussbereich ausländischer Rechtsordnungen, die nicht notwendigerweise in jeder Hinsicht kongruent mit den schweizerischen Ansätzen sind.
Es ist davon auszugehen, dass ein beträchtlicher Teil der Bail-in-Bonds-Gläubigerschaft ihren Wohnsitz bzw. ihr Domizil im Ausland hat. Ob und inwiefern sich diese Gläubiger mit der Umwandlung ihrer Forderungen abfinden müssen, hängt, wie oben ausgeführt, nicht allein vom Schweizer Recht ab.
Um die Cross-Border-Problematik zu entschärfen, wurden diverse Anstrengungen unternommen. Vorab müssen Bail-in-Bonds eine Anerkennungsklausel beinhalten, gemäss der die Gläubigerschaft einer allfälligen Wandlung durch die FINMA zustimmt (Art. 126 a Abs. 1 Bst. h ERV). Zudem besteht eine enge Zusammenarbeit zwischen den Schweizer und den ausländischen Aufsichts- und Abwicklungsbehörden. Auch wenn diese auf gewissen vordefinierten Leitlinien basiert, bestehen jedoch keine rechtlich verbindlichen Kooperationsvereinbarungen. Aus diesem Grund können opportunistische Verhaltensweisen ausländischer Regulatoren nicht ausgeschlossen werden bzw. sind in Krisensituationen gar zu erwarten. Beispielsweise könnten ausländische Behörden oder Gerichte im Fall einer Durchführung eines Bail-in dessen Anerkennung verweigern und damit bedeutende Rechtsunsicherheiten auslösen. ²56
Dass diese Cross-Border-Problematik Risiken birgt, hat sich im Fall der Credit Suisse auch aus anderer Perspektive bestätigt. Bei einem Bail-in werden Gläubigerforderungen in Aktien gewandelt. Praktisch gesehen werden der betroffenen Gläubigerschaft neu geschaffene Aktien der betroffenen Bank zugeteilt. In Bezug auf US-Investoren wären der US Securities Act und der Securities Exchange Act zur Anwendung gekommen. Diese Gesetze sehen vor, dass jede Ausgabe einer Wertschrift entweder registriert werden oder unter eine Ausnahmeregelung fallen muss. Da eine Registrierung zu lange gedauert hätte, hätte man zur Umsetzung des Bail-in auf eine Ausnahmeregelung abstützen müssen. Eine vorgängige Bestätigung der amerikanischen Börsenaufsicht, der U.S. Securities and Exchange Commission (SEC), dass im Fall der Umwandlung der Bail-in-Bonds der Credit Suisse die Ausnahmeregelung anwendbar gewesen wäre, ist nicht erfolgt. Somit verblieb diesbezüglich eine Rechtsunsicherheit, die sowohl Umsetzungs- als auch Rechtsrisiken barg. ²57
²56 Kuhn, Sanierung und Abwicklung systemrelevanter Banken, in: Jans et al. (Hrsg.) , Krisenfeste Schweizer Banken? Die Regulierung von Eigenmitteln, Liquidität und « Too Big to Fail », Zürich 2018, 483 -529, S. 461.
²57 Expertengruppe Bankenstabilität 2023,
Reformbedarf nach dem Untergang der Credit Suisse
, 1. Sept. 2023, S. 30.
Kurze Vorbereitungszeit und Datengrundlage
Im internationalen Kontext der Abwicklungsplanung wurde als Arbeitshypothese davon ausgegangen, dass die Zeit zwischen der Erkenntnis, dass der PONV erreicht wird, und der Einleitung eines Sanierungsverfahrens rund 2-6 Wochen beträgt (sog. Runway-Periode). Dieses Szenario dürfte insbesondere bei einer Kapitalerosion oder einer Kapitallücke (z. B. durch eine Busse) zutreffen. Im Oktober 2022 wurde angesichts des massiven Liquiditätsabflusses im Fall der Credit Suisse eine wesentlich kürzere Runway - Periode von 7-10 Tagen definiert. Die tatsächlich verfügbare Runway-Periode betrug im Fall Credit Suisse letztlich jedoch lediglich 4 Tage.
Bei kurzer Runway-Periode besteht u. a. das Risiko, dass bei Einleitung des Sanierungsverfahrens keine qualitativ ausreichende Datengrundlage zur Kapital- und Liquiditätssituation besteht. Für den Bail-in bedeutet dies, dass am Tag der Genehmigung des Sanierungsplans komplexe Fragestellungen zur Höhe des noch bestehenden und des zukünftig benötigten Kapitals zu beantworten sind. Dies wiederum erschwert die Entscheidfindung und verstärkt die Anfechtungsrisiken seitens des von der Abschreibung betroffenen Aktionariats und der vom Bail-in betroffenen Gläubigerschaft.
²34 Botschaft über den Nachtrag IA zum Voranschlag 2023 , 29 . März 2023, S. 17.
Übertragung von Vermögen und Fusion
Beschreibung
Wie oben bereits ausgeführt, sieht das BankG in Artikel 30 Absatz 2 vor, dass als Sanierungsmassnahme Vermögen der betroffenen Bank auf eine Übergangsbank übertragen werden kann oder sich die Bank mit einem anderen Rechtsträger zusammenschliesst. Ziel ist die zumindest teilweise Weiterführung von Bankdienstleistungen.
Diese Sanierungsmassnahmen könnten anstelle eines Bail-in oder aber auch nach einem solchen durchgeführt werden. Ihre Anwendbarkeit ist jedoch aufgrund diverser Faktoren eingeschränkt, was insbesondere anhand des nachfolgenden Beispiels der Credit Suisse illustriert werden soll.
Fall Credit Suisse
Es stellt sich die Frage, ob ein Zusammenschluss der Credit Suisse mit einer anderen Bank auch unter Anwendung der TBTF-Regeln im BankG hätte durchgeführt werden können.
Bei der Schaffung der erwähnten Sanierungsmassnahmen (insb. bei einem Zusammenschluss oder einer Übernahme) stand als Anwendungsbeispiel der Zusammenschluss mehrerer untereinander verbundenen Rechtseinheiten im Vordergrund (z. B. Raiffeisengruppe). ²58 Das Sanierungsverfahren würde über alle Gruppeneinheiten eröffnet und der Sanierungsplan könnte den Zusammenschluss für alle betroffenen Rechtseinheiten einheitlich regeln.
Geht es wie im Fall der UBS und der Credit Suisse um die Übernahme einer sanierungsbedürftigen Bank durch eine andere Bank, muss das Einverständnis des Aktionariats der übernehmenden Bank gemäss FusG eingeholt werden. Dieses Einverständnis könnte nicht per Sanierungsverfügung übergangen werden.
Ohne die Notverordnung des Bundesrats vom 16. März 2023 ²59 hätte deshalb die Übernahme der Credit Suisse in Sanierung auf privatrechtlichem Weg erfolgen müssen, d. h., es wären namentlich ein Beschluss der Generalversammlung der UBS Group AG erforderlich gewesen sowie die Erstellung diverser geprüfter Unterlagen. 26⁰ Zur Durchführung einer solchen Fusion wären eine längere Vorbereitungsphase und eine Veröffentlichung des Vorhabens erforderlich gewesen. Möglicherweise hätte die Ankündigung der Fusion zu einer gewissen Stabilisierung der Credit Suisse geführt. Nicht voraussehbar gewesen wäre jedoch, ob die Generalversammlung der UBS Group AG die Fusion genehmigt hätte. Eine Nichtgenehmigung hätte vermutlich zu einer weiteren Destabilisierung der Credit Suisse geführt und damit ein weiteres wesentliches Risiko dargestellt.
Daneben hätten weitere operative Hindernisse bestanden. Beispielsweise hätte zeitnah eine Gegenleistung nach Artikel 31 c BankG erstellt werden müssen (wahrscheinlich unter Beizug einer unparteiischen Drittperson) und die unmittelbare Rechtswirksamkeit der Übertragung in ausländischem Recht (insbesondere Change of Control -Bewilligungen und Wettbewerbsrecht) wäre fraglich gewesen.
²58
BBl
2020
6359
, S. 6385
²59
SR
952.3
26⁰ Art. 12 ff. FusG.
Geordnete Abwicklung
Beschreibung
Die «geordnete Abwicklung» ist im Gesetz nicht definiert und damit auch nicht explizit geregelt. Mit dem Begriff ist Folgendes gemeint: die Sanierung einer SIB unter Anwendung spezifischer Sanierungsinstrumente, wie namentlich des Bail-in, mit dem Ziel, die systemrelevanten Funktionen nur temporär aufrechtzuerhalten und stufenweise ohne Gefährdung der Systemstabilität abzubauen. Die nicht systemrelevanten Funktionen werden hingegen möglichst rasch, d. h. im Rahmen der Umsetzung des Sanierungsplans, liquidiert, also entweder eingestellt oder (teilweise) verkauft. Mit der geordneten Abwicklung wird nicht die Weiterführung der betroffenen Bankengruppe als Ganzes bezweckt. Vielmehr liegt dieser Abwicklungsstrategie der Gedanke zugrunde, dass auch eine SIB, die im freien Markt nicht überlebensfähig ist, nicht künstlich aufrechterhalten werden soll. Stattdessen soll sie geordnet aus dem Markt ausscheiden können, ohne Gefährdung der Finanzstabilität.
Wie bereits erwähnt, ist die geordnete Abwicklung keine einzelne Sanierungsmassnahme, sondern eine Abwicklungsstrategie, die unter Zuhilfenahme diverser Massnahmen umgesetzt werden kann. So wäre beispielsweise denkbar, dass im Rahmen einer geordneten Abwicklung ein Bail-in verfügt wird, jedoch nicht mit dem Zweck, die Kapitalbasis der Bank für die unbefristete Fortführung der Gruppe wiederherzustellen, sondern zwecks Sicherstellung einer ausreichenden Kapitalbasis für die womöglich mehrere Jahre dauernde Abwicklung. Anstelle des Bail-in könnte die geordnete Abwicklung aber auch mit einer Übertragung von bestimmten Aktiven und Passiven auf einen Übernehmer oder eine Übergangsbank einhergehen. Die konkreten Massnahmen, die zur Erreichung der Zielsetzung der geordneten Abwicklung erforderlich sind, sind je nach Einzelfall zu bestimmen.
Aufgrund der temporären Fortführung der systemrelevanten Funktionen ist die geordnete Abwicklung klar vom Konkurs abzugrenzen. Der Konkurs sieht zwingend den Entzug der Bewilligung vor 26¹ und schliesst damit auch die temporäre Fortführung von beispielsweise systemrelevanten Bankdienstleistungen aus. Eine Bank, über die der Konkurs eröffnet wurde, hat ihre Geschäftstätigkeit sofort einzustellen. Dies würde im Fall einer SIB die Finanzstabilität gefährden und ist daher zu vermeiden. Die geordnete Abwicklung als Variante des Sanierungsverfahrens kann dahingegen einerseits den Schutz der Finanzstabilität sicherstellen und andererseits das geordnete Ausscheiden einer nicht mehr validen Bank aus dem Markt ermöglichen.
26¹ Art. 33 Abs. 1 BankG.
Fall Credit Suisse
Die geordnete Abwicklung wäre im Fall der Credit Suisse ein mögliches Folgeszenario der Option Sanierung gewesen, wenn eine solche gescheitert wäre. Die geordnete Abwicklung wäre allerdings in diesem Szenario mit erheblichen Risiken für die Finanzstabilität und die Steuerzahlenden (z. B. Höhe des PLB) verbunden gewesen. Dies umso mehr, als die geordnete Abwicklung nicht ausdrücklich als solche im Gesetz geregelt ist und damit nicht im Vornherein als Abwicklungsstrategie vorbereitet wurde. Entsprechend bestanden einerseits grössere Unsicherheiten betreffend die Auswirkungen dieser Strategie und andererseits auch rechtliche Unsicherheiten, die deren Umsetzung zusätzlich hätten gefährden können.
Notfallplanung
Ziel der Notfallplanung
Mit dem Notfallplan erbringen die SIBs den Nachweis, dass ihre systemrelevanten Funktionen in einer Krise weitergeführt werden können (Art. 9 Abs. 2 Bst. d BankG und Art. 60-63 BankV). Diese systemrelevanten Funktionen wurden von den G-SIBs grösstenteils in deren Schweizer Tochtergesellschaften (Credit Suisse Schweiz AG und UBS Switzerland AG) ausgelagert. Der Notfallplan der G-SIBs bezieht sich somit nicht auf den gesamten Konzern, sondern fokussiert auf ihre Schweizer Einheiten.
Der von der FINMA für eine G-SIB erstellte globale Abwicklungsplan sieht als primäre Strategie die Sanierung mittels SPoE-Bail-in vor (siehe Kap. 13.1.3). Der Notfallplan ist Bestandteil der Sekundärstrategie, die dann zum Zug kommt, wenn ein Bail-in nicht erfolgreich war oder nicht durchgeführt werden kann. In diesem Fall würde die Gruppe aufgebrochen, die einzelnen Gruppengesellschaften abgewickelt und der Notfallplan zum Schutz der für die Schweiz systemrelevanten Funktionen ausgelöst. Der Schweizer Notfallplan bildet daher ein Element des Abwicklungsplans für die Grossbanken.
Ziel des Notfallplans ist es, die Schweizer Einheit in der Krise unabhängig von den übrigen abzuwickelnden Gruppengesellschaften weiter betreiben zu können. Die Notfallpläne der UBS (und früher der Credit Suisse) müssen daher aufzeigen, wie die Abhängigkeiten der Schweizer Einheiten vom jeweiligen Stammhaus sowie vom Rest der Gruppe, vorzugsweise bereits vor einer Krise, vermindert oder aufgelöst werden.
Im Gegensatz zu einer G-SIB weisen die drei nicht international tätigen SIBs höchstens geringe internationale Bezüge auf. Aus diesem Grund besteht bei ihnen neben der Schweizer Notfallplanung kein darüberhinausgehender Abwicklungsplan. Vielmehr sind die Notfallplanung dieser Banken und die Abwicklungsplanung der FINMA annähernd deckungsgleich. Dabei haben die nicht international tätigen SIBs in ihren Notfallplänen jeweils eine Primär- sowie eine Alternativstrategie darzulegen.
Die FINMA prüft die Notfallpläne jährlich anhand der Kriterien in Artikel 61 BankV. Dazu gehören u. a. das für eine Abwicklung benötigte Kapital und die dafür benötigte Liquidität inkl. der dazugehörigen Szenariomodellierung, ausgearbeitete Restrukturierungsmassnahmen inkl. einer Alternativstrategie, operative Abhängigkeiten, finanzielle Verflechtungen und die Unabhängigkeit der Tresorerie-Abteilung.
Die Beurteilung der Umsetzbarkeit eines Notfallplans zielt auf die technische und organisatorische Implementierung. Ebenfalls beurteilt wird, ob ausreichend Kapital und Liquidität vorhanden ist, um ein bestimmtes Stressszenario abzudecken. Die Notfallplanung ist hingegen nicht darauf ausgerichtet, die langfristige Refinanzierbarkeit der Schweizer Tochtergesellschaft zu sichern oder das Szenario eines längeren Bank Run auf die Schweizer Tochtergesellschaft abzudecken, nachdem diese von der Gruppe abgetrennt würde.
Die Notfallpläne der G-SIBs und der Raiffeisen wurden von der FINMA per Ende 2022 als umsetzbar beurteilt. Die Postfinance muss aufgrund der weggefallenen Kapitalisierungszusicherung des Bundes ihre Notfallstrategie überarbeiten. Die ZKB hat noch zu wenig Mittel für die Rekapitalisierung in der Krise bereitgestellt, obwohl sie über das entsprechende Kapital verfügt. Neu kann sie auch spezifische Bail-in-Bonds herausgeben, um das benötigte zusätzliche verlustabsorbierende Kapital aufzubauen (siehe Kap. 13.1.4.7).
Wirkung im Fall der Credit Suisse und bei der neuen UBS
Die Credit Suisse wurde nicht abgewickelt, entsprechend kann die Qualität des Notfallplans nicht anhand des Anwendungsfalls beurteilt werden. Dank den Vorbereitungen im Rahmen der Notfallplanung über die letzten Jahre ist in der Einschätzung der FINMA die technische Loslösung der Schweizer Tochtergesellschaft vom Rest der Gruppe möglich. 26² Beispielsweise wäre der Zugang zu den Finanzmarktinfrastrukturen sichergestellt gewesen, kritische Dienstleistungen hätten weiterhin von der Tochtergesellschaft selbst oder von der eigens dafür gegründeten Service Company erbracht werden können, alle relevanten Verträge waren mit Abwicklungsklauseln versehen und die Tochtergesellschaft hätte über ausreichend Kapital und Liquidität verfügt, um die regulatorischen Anforderungen einzuhalten.
Im Rahmen der konkreten Vorbereitungsarbeiten zur Auslösung des Notfallplans konnten aber auch weitere Erkenntnisse gewonnen werden.
Es hat sich gezeigt, dass die substanziellen Liquiditätsabflüsse nicht nur die Parent-Bank und die ausländischen Tochtergesellschaften betrafen, sondern auch die Schweizer Tochtergesellschaft. Da davon ausgegangen werden muss, dass diese Abflüsse auch unmittelbar nach einer Abtrennung der Schweizer Tochtergesellschaft weiter stattgefunden hätten, hätten die Liquiditätsreserven in der Schweizer Tochtergesellschaft nicht ausgereicht. Entsprechend wäre für eine erfolgreiche Umsetzung des Notfallplans externe Liquidität notwendig gewesen, sei es durch ELA oder einen PLB.
Ein weiteres Fragezeichen besteht bezüglich der selbstständigen Weiterführung der Tochtergesellschaft als solcher. Vorgesehen sind hier insbesondere der Verkauf der Tochtergesellschaft an eine andere Bank oder ein Börsengang. Beide Optionen bedingen eine gewisse Vorlaufszeit und ihre Umsetzung ist stark vom tatsächlichen Krisenszenario abhängig.
Ein weiteres Problem bei der Auslösung des Notfallplans betrifft nicht die Schweizer Tochtergesellschaft selbst, sondern den übrigen Teil der Gruppe, insbesondere die Parent-Bank. Geht man davon aus, dass die Schweizer Tochtergesellschaft nach Auslösung des Notfallplans weitergeführt wird und die systemrelevanten Funktionen damit gesichert sind, besteht das Problem, dass in diesem Szenario über die Parent-Bank der Konkurs eröffnet wird. Die Parent-Bank verfügt über eine Bankenlizenz der FINMA, hält die Beteiligungen an den Tochtergesellschaften im In- und Ausland und betreibt eigene Bankaktivitäten (z. B. Investment Banking, Vermögensverwaltung etc.). Die Parent-Bank war mit Aktiven in der Höhe von 378 Milliarden Franken deutlich grösser als die Schweizer Tochtergesellschaft mit 215 Milliarden Franken (per Q4 2022). Zudem liefen die finanziellen Verflechtungen innerhalb der Gruppe grösstenteils über die Parent-Bank in ihrer Funktion als zentrale Tresorerie (vgl. auch Kap. 14.1.3). Ein Konkurs der Parent-Bank hätte damit die Finanzstabilität der Schweiz gefährden können.
26² Medienmitteilung der FINMA,
FINMA beurteilt erneut die
Recovery-
und
Resolution-
Pläne der systemrelevanten Institute
, 26. April 2023.
Abwicklungsstrategie: Single Point of Entry vs. Multiple Point of Entry
Die Wahl des Abwicklungsansatzes hängt insbesondere von der Organisationsstruktur und dem Geschäftsmodell der Bank ab. ²63 Für G-SIBs mit einer zentralisierten Struktur wird üblicherweise ein SPoE-Ansatz gewählt. Für G-SIBs mit einer stärker dezentralisierten Struktur ist dagegen der Ansatz des Multiple Point of Entry (MPoE) wahrscheinlicher. Für die meisten G-SIBs verfolgen die zuständigen nationalen Behörden (Heim-Aufsichtsbehörde) einen SPoE-Ansatz. Zurzeit sind lediglich die Geschäftsmodelle der britischen HSBC und der spanischen Santander für einen MPoE-Ansatz aufgestellt.
Die FINMA hat in Bezug auf die G-SIBs als primäre Abwicklungsstrategie den SPoE-Bail-in festgelegt. Dieser sieht vor, auf Stufe der Konzernobergesellschaft einen Bail-in zur Rekapitalisierung der gesamten Gruppe durchzuführen. Insbesondere die Gruppenstruktur der Grossbanken, die eine Konzernobergesellschaft vorsehen, wie auch die Tatsache, dass die Bail-in-Bonds auf Stufe dieser Gesellschaft ausgegeben werden, sind auf diesen Ansatz ausgerichtet.
Der SPoE-Ansatz hat bei G-SIBs den Vorteil, dass die Heim-Aufsichtsbehörde ein einheitliches Sanierungsverfahren über die gesamte Gruppe durchführen kann. Allerdings setzt eine SPoE-Strategie eine besonders enge Kooperation zwischen den Aufsichtsbehörden voraus, sowohl im Vorfeld als auch während einer Sanierung. Die Krise der Credit Suisse hat die Wesentlichkeit dieser Kooperation der FINMA mit den ausländischen Aufsichtsbehörden verdeutlicht. Die wichtigsten von ihnen haben im Vorfeld der Credit-Suisse-Rettung für lokale Gruppeneinheiten der Credit Suisse nationale Anforderungen an die Höhe der Liquidität erlassen. Dies führte zu einer Einschränkung der Liquiditätsflüsse innerhalb der Gruppe, was die bereits angespannte Liquiditätssituation verschärfte.
Ein weiteres Problem des SPoE-Ansatzes ist die notwendige Anerkennung von Sanierungsmassnahmen durch ausländische Aufsichtsbehörden. Die Durchführung eines grenzüberschreitenden Bail-in ist mit erheblicher Komplexität und einer Vielzahl rechtlicher Hürden verbunden (siehe Kap. 13.3.5).
Als Alternative zur SPoE-Abwicklungsstrategie besteht der MPoE-Ansatz. Hier wird nicht nur über eine Gruppeneinheit ein Sanierungsverfahren eröffnet. Vielmehr wird für jede Gruppeneinheit getrennt eine Abwicklungsstrategie definiert und umgesetzt, und zwar von der jeweils zuständigen nationalen Aufsichtsbehörde. Da sich bei einer G-SIB die Tochtergesellschaften und Zweigniederlassungen in einer Reihe von unterschiedlichen Rechtsordnungen befinden, müssen die jeweiligen Abwicklungsstrategien auf diese Rechtsordnungen zugeschnitten sein und von den dort zuständigen Abwicklungsbehörden umgesetzt werden. Dies ist mit einem beträchtlichen Koordinationsaufwand verbunden.
Bei einem MPoE-Ansatz findet das Ring Fencing bereits ex ante statt. Der MPoE-Ansatz bedingt, dass jede Gruppeneinheit selbst für ihre Kapital- und Liquiditätssteuerung verantwortlich ist. Dies ist hinsichtlich der Gruppenstruktur der UBS nicht der Fall, da diese eine sog. Parent-Bank aufweist, die für die zentrale Kapital- und Liquiditätsverteilung innerhalb der Gruppe zuständig ist. Wollte man bei der UBS auf den MPoE-Ansatz umstellen, wäre die Einführung einer flachen Holdingstruktur ohne Parent-Bank nötig. Damit würde der Nutzen einer Parent-Bank mit zentraler Liquiditätssteuerung für die ganze Gruppe entfallen und es müsste eine Struktur mit sog. Intermediate Holding Companies (IHC) auf einer Stufe zwischen der Konzernobergesellschaft und den einzelnen Tochtergesellschaften geschaffen werden. Auf Stufe dieser IHC könnten die Heim-Aufsichtsbehörden ihre Sanierungsmassnahmen durchführen. In den USA hat die UBS eine solche Struktur aufgrund lokaler Anforderungen bereits umgesetzt (vgl. Abbildung 9).
²63 Carrascosa,
How to adapt a bank for MPE resolution strategy
, Risk.net, 4. Juli 2019.
Crisis Management Groups
Gemäss FSB Key Attributes ²64 haben die Heim-Aufsichtsbehörden für ihre G-SIBs sogenannte Crisis Management Groups (CMG) einzurichten. Zweck und Zusammensetzung der CMG werden in den Key Attributes vorgegeben. Zudem hat das FSB eine unverbindliche Empfehlung für die Durchführung der CMGs in der Praxis publiziert. ²65 Entsprechend werden in den CMGs regelmässig die Fortschritte einer Bank bezüglich Abwicklungsfähigkeit geprüft und dem FSB berichtet. Dazu werden die Stabilisierungs- und Abwicklungsstrategien und -pläne besprochen und ein gemeinsames Verständnis etabliert. Durch den regelmässigen Austausch von Informationen und Erfahrungen soll die Kooperation zwischen den Behörden intensiviert und verbessert werden. Den Vorsitz hat die Heim-Aufsichtsbehörde. Für die UBS (und zuvor die Credit Suisse) relevant sind vor allem die Behörden in den USA, dem UK und der EU (letztere nur im Fall der UBS).
In der Krise der Credit Suisse wurden ab Anfang Oktober 2022 täglich virtuelle Sitzungen mit den Aufsichtsbehörden in den USA und im UK abgehalten. Ab November intensivierte die FINMA auch die Zusammenarbeit im Rahmen der CMG und hat damit auch die für eine Abwicklung relevanten Behörden einbezogen. Ziel waren der Informationsaustausch, die Diskussion der möglichen Massnahmen und die Schaffung von Rechtssicherheit, indem die Anerkennungsverfahren gestartet wurden. Diese sollen sicherstellen, dass von einer Heim-Aufsichtsbehörde verfügte Abwicklungsmassnahmen in den relevanten Rechtsräumen anerkannt und durchgesetzt werden können (z. B. die Abschreibung von im Ausland ausgegebenen Instrumenten, die bei einem Bail-in in Eigenkapital gewandelt würden).
²64 FSB,
Key Attributes of Effective Resolution Regimes for Financial Institutions
, 15. Okt. 2014.
²65 FSB,
Good Practices for Crisis Management Groups
, 30. Nov. 2021.
TPO
Beschreibung
Bei einer TPO handelt es sich um eine zeitlich befristete vollständige oder teilweise staatliche Eigentümerstellung in Bezug auf ein Finanzinstitut oder auf einzelne Einheiten desselben (insbesondere solche mit systemrelevanten Funktionen) im Sinne einer subsidiären, zwingend notwendigen Ultima-Ratio-Massnahme im Interesse der Finanzstabilität und der Volkswirtschaft. Damit ist schon gesagt, dass es sich bei der TPO um ein Mittel letzter Wahl handelt, das ergriffen werden kann, wenn die Anwendung von Sanierungsmassnahmen (insb. eines Bail-in) für die Umsetzung der Sanierungs- bzw. Notfallplanstrategie und damit zur Stabilisierung des Finanzinstituts nicht ausreicht. ²66 Die TPO kann bei Bedarf mit Liquiditätshilfe einhergehen, sei dies durch ELA oder durch einen PLB.
Der Zweck der TPO im hier verstandenen Sinn lässt sich am Beispiel der Fortführung der systemrelevanten Funktionen einer Schweizer Grossbank veranschaulichen. Ist eine Sanierung der Gruppe nicht möglich oder bleibt die Sanierung erfolglos, führt dies gemäss Notfallplan zum Konkurs der Parent-Bank und der Abspaltung der Schweizer Tochterbank. Ein Verkauf dieser Tochterbank innert kurzer Frist kann dabei unter Umständen nicht durchführbar sein. Zur Vermeidung eines Bank Run bei der Tochterbank könnte über eine TPO der Schweizer Tochtergesellschaft, allenfalls in Verbindung mit einem PLB, die Finanzstabilität gestärkt werden. Damit könnte Zeit geschaffen werden, um eine Lösung für die Schweizer Tochtergesellschaft zu finden.
Die TPO ist von anderen staatlichen Instrumenten abzugrenzen, insbesondere von einer staatlichen Garantie für bestimmte Schulden eines Finanzinstituts, von der Zeichnung von Schuldinstrumenten und von der teilweisen Beteiligung durch Übernahme von neu emittierten Aktien. Während solche Instrumente in einzelnen Jurisdiktionen bestehen (z. B. die teilweise Beteiligung in der EU), sind diese in keinem internationalen Standard vorgesehen.
²66 Die TPO setzt konzeptionell eine Verlustbeteiligung der Aktionäre und der Gläubigerschaft voraus (im europäischen Kontext vgl.
BRRD Art. 58
).
Anwendung im Fall der Credit Suisse
Eine vorübergehende Verstaatlichung der Credit Suisse stand in den vorbereitenden Arbeiten aus ordnungspolitischen und rechtlichen Gründen sowie aus Risikoüberlegungen nicht im Vordergrund. Die Option wurde angesichts der bestehenden Möglichkeit einer privaten Übernahme nicht prioritär weiterverfolgt. Ohne die Möglichkeit einer privaten Übernahme wäre allerdings die TPO neben der Sanierung eine von zwei verbleibenden Optionen gewesen.
Eine TPO wäre im Fall der Credit Suisse entweder für die gesamte Gruppe oder nach einem Konkurs der Parent-Bank als temporäre Massnahme für die Schweizer Tochtergesellschaft in Betracht zu ziehen gewesen. Mit einer Übernahme der Credit Suisse hätte der Bund sämtliche Risiken der Bank und auch deren Führung übernehmen müssen. Gerade mit Blick auf die Bilanzgrösse der neuen UBS wäre künftig eine TPO mit enormen Risiken für den Staat verbunden. Eine allfällige TPO müsste sich deshalb auf die systemrelevanten Funktionen der Schweizer Tochtergesellschaft beschränken. Das wird auch von der Expertengruppe «Bankenstabilität» empfohlen. ²67 Dies setzt allerdings voraus, dass für die Restbank (insbesondere die Parent-Bank) ein funktionierender Abwicklungsplan vorliegt (vgl. Kap. 13.4.2).
²67 Expertengruppe Bankenstabilität 2023,
Reformbedarf nach dem Untergang der Credit Suisse
, 1. Sept. 2023.
Rechtliche und technische Fragen
Eine TPO wirft zahlreiche rechtliche und technische Fragen auf. Zu prüfen wäre etwa, ob eine TPO in verfassungsrechtlicher Hinsicht zulässig ist. Es wären aber auch zahlreiche Fragen auf Gesetzesstufe zu klären. Bei der Ausgestaltung einer TPO gäbe es sodann eine Vielzahl von technischen Fragen, die im Rahmen allfälliger weiterer Arbeiten vertieft geprüft werden müssten. Dazu gehört zum Beispiel die Frage, wer vor einer TPO Verluste tragen müsste (insb. betreffend Aktienkapital, AT1-Instrumente und Bail-in-Bonds). ²68 Auch stellt sich die Frage nach der Bewertung der zu übernehmenden Einheit und der damit verbundenen Entschädigung für die bisherigen Eignerinnen und Eigner. Weitere Fragen betreffen beispielsweise Exitstrategien, die Eingliederung der Bank in die Bundesverwaltung oder die Steuerung der übernommenen Bank.
²68 In Ammann et al.,
Reformbedarf in der Regulierung von «
Too Big to Fail
»-Banken
, 19. Mai 2023, wird eine temporäre Verstaatlichung im Going Concern empfohlen, d. h. nach Abschreibung des Aktienkapitals und der AT1-Instrumente, allerdings ohne Abschreibung oder Wandlung der Bail-in-Bonds.
Abwicklungsfonds
Beschreibung
Ein Abwicklungsfonds soll sicherstellen, dass im Krisenfall genügend Mittel vorhanden sind, um die effektive Anwendung der Abwicklungsmassnahmen zu gewährleisten. Dabei kann es sich grundsätzlich sowohl um Liquiditätshilfen als auch um Kapitalmassnahmen handeln. Ein solcher Fonds kann, muss aber nicht, gleichzeitig als Geldquelle für die Einlagensicherung oder als staatliche Liquiditätssicherung durch den Bund dienen. Seine Finanzierung kann grundsätzlich ex ante oder ex post erfolgen und entweder durch die Finanzinstitute selbst oder (auch teilweise) durch staatliche Garantien gewährleistet werden. Im Gegensatz zu anderen Jurisdiktionen (z. B. USA und EU) verfügt die Schweiz über keinen Abwicklungsfonds.
Wirkung im Fall der Credit Suisse
Je nach Ausgestaltung und Volumen eines Abwicklungsfonds hätte dieser die Durchführung der zur Verfügung stehenden Optionen (Fusion mit der UBS, Sanierung, TPO) unterstützen können. Beispielsweise hätte die staatliche Verlustgarantie gegenüber der UBS in der Höhe von 9 Milliarden Franken vom Abwicklungsfonds gesprochen werden können. Hingegen war die Grössenordnung der PLB-Garantie weit höher als das in der Schweiz mögliche Volumen eines solchen Fonds.
Internationaler Vergleich
Bail-in
Der Bail-in hat sich nicht nur in der Schweiz, sondern auch international als Sanierungsmassnahme für Grossbanken durchgesetzt. So bezeichnet das FSB den Bail-in als wesentliches Element eines wirksamen Abwicklungsregimes. ²69 Nicht zuletzt aus diesem Grund hat sich der Bail-in in der EU, im UK und in den USA als Standard für die Rettung einer Grossbank etabliert.
Im Rahmen der von der FINMA verfolgten Abwicklungsstrategie hat der Bail-in das Ziel, die Eigenkapitalbasis der betroffenen Bank wiederherzustellen, damit möglichst die gesamte Bankengruppe ohne Unterbruch weitergeführt werden kann. Diese in der Schweiz und auch in der EU vorgesehene Form des Bail-in, die auf die Weiterführung der Bank zielt, wird auch als « open bank »-Bail-in bezeichnet.
Das Gegenstück zum « open bank »-Bail-in ist der « closed bank »-Bail-in, der insbesondere in den USA verfolgt wird. Im Unterschied zum Schweizer Ansatz werden dabei keine Gläubigerforderungen in Gesellschaftskapital umgewandelt. Stattdessen bedienen sich die US-Behörden der Massnahme der Vermögensübertragung, um die Gläubigerschaft zwangsweise zur Verlusttragung hinzuzuziehen.
Üblicherweise werden beim « closed bank »-Bail-in gemäss US-Ansatz die Mehrheit der Aktiven (bei Holdinggesellschaften insbesondere die Anteile an den operativen Tochtergesellschaften) und gewisse Passiven der zu sanierenden Bank auf eine übernehmende Bridge Holding Company übertragen. Die Tochtergesellschaften, deren Anteile übertragen werden, sind vom Eingriff nicht direkt betroffen und operieren ohne Unterbruch weiter. Die übertragende Bank wird sodann liquidiert. Im Rahmen der Liquidation können dem verbleibenden Aktionariat und der verbleibenden Gläubigerschaft Anteile an der Bridge Holding Company zugeteilt werden. In diesem Sinn führt der « closed bank »-Bail-in für die betroffene Gläubigerschaft zu einem ähnlichen Ergebnis wie der « open bank »-Bail-in.
In Bezug auf die Durchführung des « open bank »-Bail-in bestehen Unterschiede zwischen der Schweiz und der EU. Ein wesentlicher Unterschied ist, dass die Schweizer Bestimmungen vor Durchführung eines Bail-in die vollständige Herabsetzung des Gesellschaftskapitals bedingen (Art. 30 b Abs. 5 Bst. b BankG). Im Fall eines Bail-in nach EU-Recht würde hingegen, insofern die Bank noch einen positiven Nettowert aufweist, keine Abschreibung erfolgen, sodass das Aktionariat der zu sanierenden Bank seine Anteile behalten würde. Weil das Aktienkapital mit dem Bail-in jedoch erhöht wird, sinkt die prozentuale Beteiligung des bestehenden Aktionariats. Gemäss EU-Recht muss sichergestellt sein, dass die Anteile des ursprünglichen Aktionariats durch den Bail-in «erheblich verwässert» werden (Art. 47 Abs. 1 Bst. b BRRD).
Im Weiteren beinhaltet die EU-Regelung Vorgaben zur Ausgabe von Bail-in-Bonds. Wie oben ausgeführt, bezeichnen die Schweizer Grossbanken ihre Bail-in-Bonds ausdrücklich als «nicht nachrangig», unter Berufung auf die «strukturelle Nachrangigkeit» (vgl. Kap. 13.1.4.6). Gemäss BRRD hingegen müssen EU-Banken Bail-in-Bonds ausdrücklich als «nicht bevorrechtigt» bezeichnen. Aus diesem Grund werden die entsprechenden Schuldinstrumente in der EU unter dem Titel « Senior Non-Pre ferred Bonds » ausgegeben. Dies führt zu verbesserter Transparenz und damit auch dazu, dass die Investoren klar zwischen Bail-in-Bonds und vorrangigen Schuldinstrumenten unterscheiden können. Dabei ist zu bemerken, dass die USA und das UK, ähnlich der Schweiz, keine solche Regelung kennen und auch dort die Grossbanken ihre Bail-in-Bonds als «nicht nachrangig» ausgeben.
Ein weiterer Unterschied zum EU-Recht besteht in der (fehlenden) Gleichschaltung der Bail-in-Reihenfolge mit der Insolvenzrangfolge. Das Schweizer Recht sieht eine spezielle Bail-in-Reihenfolge vor (Art. 30 b Abs. 7 BankG), die von der insolvenzrechtlichen Rangfolge abweicht. Namentlich werden Bail-in-Bonds vor den übrigen Drittklassforderungen gewandelt (wobei hier allerdings wiederum die Ausnahme von Art. 30 b Abs. 8 BankG gilt, vgl. vorne Kap. 13.1.4.6). Daneben werden im Bail-in die nicht gesicherten Einlagen gegenüber den übrigen Forderungen privilegiert. Schliesslich kann die FINMA neu auch Forderungen aus Warenlieferungen und Dienstleistungen vom Bail-in ausnehmen (Art. 30 b Abs. 4 BankG).
Die Ungleichbehandlung von Sanierungs- und Insolvenzverfahren im Schweizer Recht kann insbesondere im Zusammenhang mit dem Grundsatz des « No Creditors Worse Off » (NCWO) zu Schwierigkeiten führen. Das international anerkannte NCWO-Prinzip ist auch im Schweizer Recht verankert (Art. 30 c Abs. 1 Bst. b BankG). Es besagt, dass die Gläubigerschaft in einem Sanierungsverfahren voraussichtlich wirtschaftlich nicht schlechter gestellt sein darf als bei der sofortigen Eröffnung des Bankenkonkurses. Insoweit gewisse Forderungen im Bail-in gegenüber dem Insolvenzverfahren benachteiligt sind, kann dies die Einhaltung der NCWO-Anforderung erschweren. Nicht zuletzt aus diesem Grund sieht z. B. das EU-Recht gemäss BRRD vor, dass sich die Bail-in-Rangfolge nach derjenigen in der Insolvenz richtet (Art. 48 Abs. 1 Bst. d und e BRRD).
²69 FSB,
Key Attributes of Effective Resolution Regimes for Financial Institutions
, 15. Okt. 2014, S. 9.
TPO
Rechtsvergleich
Die FSB Key Attributes 27⁰ sehen als subsidiäre Massnahme zur Erhaltung der Finanzstabilität die Möglichkeit einer TPO vor. Damit sollen kritische Funktionen weitergeführt werden können, während nach einer permanenten Lösung gesucht wird (z. B. Verkauf oder Fusion mit einem Privatunternehmen). Die Implementierung eines solchen Instruments sollte von Massnahmen begleitet werden, die sicherstellen, dass allfällige staatliche Verluste auf die unbesicherte Gläubigerschaft der Bank oder den weiteren Finanzsektor überwälzt werden. Im Unterschied zu anderen in den Key Attributes dargelegten Massnahmen ist die TPO nicht Gegenstand einer eigentlichen Empfehlung, sondern als Option aufgelistet, die durch die einzelnen Staaten zu prüfen ist. In einem Peer-Review aus dem Jahr 2016 hält das FSB fest, dass 14 Länder eine TPO gesetzlich verankert haben. 27¹
Die USA haben die TPO nicht explizit in die Rechtsordnung übernommen. Allerdings hat die FDIC weitgehende Kompetenzen für die Abwicklung einer Bank. Wenn eine Bank als zahlungsunfähig oder illiquide gilt oder das Finanzministerium ( US Treasury ) die Notwendigkeit zum Eingreifen sieht, kann die FDIC als Insolvenzverwalterin die Kontrolle über ein Institut übernehmen und folgende Aufgaben übernehmen:
-
Gewährleistung des Zugriffs auf gesicherte Einlagen;
-
Übernahme der Kontrolle über den Bankbetrieb, einschliesslich des Einfrierens von Zahlungen und der Entlassung des Managements - dabei wird die Bank in Form einer Übergangsbank geführt, wobei die FDIC Mittel zur Aufrechterhaltung des Betriebs zur Verfügung stellen kann;
-
Einleitung eines Vermögensverkaufs zur Deckung von Verlusten - dabei kann der Verkauf von Vermögenswerten in Form von Auktionen, ausgehandelten Verkäufen an grössere Banken oder staatlichen Paketen erfolgen.
Sollte die Bank in Abwicklung oder die dafür gebildete Übergangsbank nicht in der Lage sein, sich am Markt eigenständig zu finanzieren, ist die Möglichkeit der Liquiditätsversorgung über einen Abwicklungsfonds - den OLF - vorgesehen (vgl. Kap. 10.2). Der OLF ist ein beim US Treasury angesiedelter Fonds, welcher der FDIC für die zur Abwicklung benötigte Liquidität zur Verfügung steht. Die Mittel aus dem OLF sind begrenzt und müssen aus dem Verkaufserlös der Aktiven der Bank vollständig zurückbezahlt werden. Gelingt dies nicht, können die Kosten auf andere Finanzunternehmen überwälzt werden.
Die EU sieht als staatliche Stabilisierungsinstrumente die staatliche Eigenkapitalunterstützung (Art. 57 BRRD) und die TPO (Art. 58 BRRD) vor. Die Einführung in das nationale Recht bleibt allerdings den einzelnen Mitgliedsstaaten überlassen. Voraussetzung für den Einsatz dieser Instrumente ist, dass sie der Wahrung der Finanzstabilität dienen und alle Abwicklungsinstrumente ausgeschöpft sind. Die beiden staatlichen Stabilisierungsinstrumente können sowohl auf Einheiten mit kritischen Funktionen angewendet werden als auch auf die übergeordneten Holdings. Bei beiden soll die Bank in den Privatsektor überführt werden, sobald die Umstände es zulassen.
Im UK sieht der Banking Act explizit eine TPO vor 27² ; dessen Anwendung wird durch Ausführungsbestimmungen im «code of practice» ²73 ergänzt. Die TPO ist anwendbar auf eigentliche Banken und auf die oberste Holding. Das HM Treasury ist für die TPO und die Bank of England für die anderen Stabilisierungsoptionen zuständig. Als Vorbedingungen müssen die Finanzstabilität des UK bedroht sein, die anderen Stabilisierungsoptionen ausgeschöpft sein und die Gläubigerschaft und das Aktionariat einen Beitrag an die Verlusttragung und die Rekapitalisierung geleistet haben. Weiter wird vorgeschrieben, wie die Bank bei Anwendung einer TPO gehalten wird und zu führen ist, wie sie verkauft wird und wie die in eine TPO involvierten Parteien zu entschädigen sind.
27⁰ FSB,
Key Attributes of Effective Resolution Regimes for Financial Institutions
, 15. Okt. 2014.
27¹ FSB,
Second Thematic Review on Resolution Regimes
, Peer Review Report
, 18. März 2016.
27² UK,
The stabilisation options
, Banking Act 2009 , 21 . Dez. 2018, Kap. 3.
²73 HM Treasury ,
Banking Act 2009: special resolution regime code of practice
, Dez. 2020.
Fälle aus der Praxis
Der deutsche Staat hat die Commerzbank, die mitten in der Finanzkrise die kriselnde Dresdner Bank geschluckt hatte, in der Finanzkrise 2007/08 mit rund 18,2 Milliarden Euro Steuergeldern unterstützt. Die staatlichen Hilfen hat die Commerzbank zurückgezahlt, der deutsche Staat ist aber bis heute grösster Einzelaktionär des Instituts mit einem Anteil von 15,6 Prozent. Mit dem Aktienkurs per Jahresende 2022 beträgt der bisherige Verlust für die Investition des Staates rund 3,5 Milliarden Euro. ²74
Die englische Bank Northern Rock wurde nach einem Bank Run im Februar 2008 temporär vom Staat übernommen und geführt. Die Übernahme erfolgte, nachdem ein Privatverkauf zweimal gescheitert war. Im Jahr 2012 wurde ein Teil der Bank zu einem Preis von rund 1 Milliarde Pfund an die Bank Virgin Money verkauft. Im Jahr 2017 wurden die meisten restlichen Assets aus dem staatlichen Besitz verkauft. Insgesamt konnten die gesamten Investitionen des Staates (rund 37 Milliarden Pfund) gedeckt werden. Es wird mit einem Gewinn für den Staat in der Höhe von rund 4,7 Milliarden Pfund gerechnet. ²75
In den Jahren 2008 und 2009 hat der englische Staat 45,5 Milliarden Pfund zur Rettung der Royal Bank of Scotland zur Verfügung gestellt und einen Aktienanteil von 84 Prozent übernommen. Im Oktober 2021 wurde der Verlust für den englischen Staat auf 35 Milliarden Pfund geschätzt, jedoch ist diese Rechnung noch nicht abschliessend. ²76 Per Mai 2023 lag der Aktienanteil des Staates an der NatWest Group (frühere Royal Bank of Scotland) immer noch bei 39 Prozent. ²77
In Irland belaufen sich Schätzungen zufolge die gesamthaften Verluste aufgrund staatlicher Beteiligungen an fünf Banken im Jahr 2008 auf 45,7 Milliarden Euro, was fast 30 Prozent des damaligen BIP entspricht. ²78
²74 Deutscher Bundestag,
Staatliche Hilfen für die Commerzbank AG
, 22. März 2023.
²75 Arnold,
Northern Rock investors accuse Treasury of profiting from bailout
,
Financial Times
, 31. Aug. 2017.
²76 Office for Budget Responsibility,
Economic and fiscal outlook
,
Okt. 2021.
²77 Vgl. die Angaben zu den « Equity Ownership Statistics » auf der Webseite der NatWest Group, online abrufbar unter:
https://investors.natwestgroup.com/share-data/equity-ownership-statistics.aspx
.
²78 Brennan,
Net cost of Irish banks bailout rises to €45.7bn, comptroller says
, Artikel in The Irish Times
, 30. Sept. 2022.
Abwicklungsfonds
Ein internationaler Vergleich im Bereich der staatlichen Liquiditätsunterstützung findet sich in Kapitel 10.2, im Bereich der Einlagensicherung in Kapitel 11.2.
Die FSB Key Attributes ²79 sehen vor, dass Jurisdiktionen einen privat finanzierten Fonds für die Einlagensicherung oder die Abwicklung implementieren oder einen Mechanismus zur Ex-post-Abgeltung von Finanzierungsbeihilfen in einer Bankenabwicklung durch die Finanzindustrie vorsehen (Key Attribute 6). Dabei sollen allfällige staatliche Finanzierungshilfen nur unter Einhaltung strikter Bedingungen möglich sein. Insbesondere muss die Intervention zur Sicherung der Finanzstabilität nötig sein, es müssen alle privaten Finanzierungsmöglichkeiten ausgeschlossen sein und die Aktionäre und die Gläubigerschaft müssen substanzielle Verluste getragen haben.
Als Teil des Einheitlichen Abwicklungsmechanismus ( Single Resolution Mechanism , SRM) hat die EU einen Abwicklungsfonds ( Single Resolution Fund , SRF) etabliert. 28⁰ Der SRF dient dazu, die effektive Anwendung der Abwicklungsmassnahmen sicherzustellen. Der SRF kann sowohl für Liquiditätshilfe als auch für Kapitalmassnahmen (Gewährung von Krediten oder Kauf von Assets) eingesetzt werden. Der SRF wird durch Ex-ante-Beiträge der Banken aus den 19 Mitgliedstaaten der Bankenunion finanziert. Bis Ende 2023 wird der Fonds mit Mitteln in der Höhe von mindestens 1 Prozent der gesicherten Einlagen finanziert sein. Die Banken haben dazu den SRF insgesamt mit 77,6 Milliarden Euro aufgefüllt. 28¹
Die EU-Finanzministerinnen und -minister haben sich am 4. Dezember 2018 darauf geeinigt, innerhalb der Bankenunion einen Backstop für die Bankenabwicklung einzuführen. 28² Zusätzlich soll der Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM) als Backstop in der Höhe von zusätzlichen 68 Milliarden Euro dienen. Der Bankensektor müsste den Kredit dann durch Ex-post-Beiträge zurückzahlen.
Im UK sieht das « Resolution Liquidity Framework » Instrumente vor, um Banken, die sich in Abwicklung befinden, mit Liquidität zu versorgen. Das HM Treasury kann im Sinne eines Public Sector Backstop Unterstützungsmassnahmen der Bank of England (BoE) genehmigen, die über die ordentlichen Fazilitäten hinausgehen. ²83 Im Kern besteht der Public Sector Backstop im UK somit aus Liquiditätshilfe der BoE, die durch den Staat genehmigt und garantiert ist. In welchen Situationen und zu welchen Konditionen diese Liquiditätshilfe gewährt würde, ist nicht öffentlich.
Für die Situation in den USA siehe Kapitel 13.2.2.
²79 FSB,
Key Attributes of Effective Resolution Regimes for Financial Institutions
, 15. Okt. 2014.
28⁰ Single Resolution Board,
The Single Resolution Fund
, 28. Juni 2021.
28¹ Medienmitteilung des Single Resolution Board,
Single Resolution Fund grows by €11.3 billion to reach € 77.6 billion
, 6. Juli 2023.
28² Rat der EU,
T
erms of reference of the common backstop to the Single Resolution Fund
, 4.
Dez. 2018.
²83 Bank of England,
The Bank of England’s approach to resolution
, Okt. 2017, S. 22.
Beurteilung
Bail-in-Instrument
Im Nachgang zur Finanzkrise 2007/08 hat sich der Bail-in nicht nur in der Schweiz, sondern auch international als Instrument zur Sanierung einer SIB etabliert. Mit der Erfolgswahrscheinlichkeit eines Bail-in, und damit einer Sanierung, steigt auch die Wahrscheinlichkeit, dass eine SIB nicht durch den Staat gerettet werden muss. Damit reduziert sich die implizite Staatsgarantie und der damit verbundene Moral Hazard. Aktuelle Schätzungen zeigen, dass SIBs weltweit auch heute noch von einer impliziten Staatsgarantie profitieren. ²84
Die internationale Gemeinschaft, die zuständigen Aufsichtsbehörden und die betroffenen Banken haben in den letzten Jahren umfangreiche Vorbereitungsmassnahmen getroffen, mit dem Ziel, den Bail-in als glaubwürdiges Sanierungsinstrument zu positionieren. Allerdings wurde ein Bail-in noch nie bei einer G-SIB durchgeführt.
Im Fall Credit Suisse wurde der Bail-in zwar vorbereitet, aber auch nicht angewendet. Dennoch können aus dem Fall Credit Suisse Erkenntnisse bezüglich allfälliger Verbesserungsmöglichkeiten gewonnen werden:
-
Vorab hat ein Bail-in keinen substanziellen Einfluss auf die Liquiditätssituation der betroffenen Bank und ist daher für sich allein genommen nicht hinreichend, um diese Situation zu verbessern;
-
In einem Szenario eines Vertrauensverlusts bleibt es unklar, inwiefern der Bail-in - im Zusammenspiel mit einer Neuausrichtung des Geschäftsmodells und Eingriffen in die Unternehmensführung - geeignet ist, das im Markt erforderliche Vertrauen zu schaffen. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Vertrauensverlust nicht in erster Linie auf einem Kapitalverlust basiert;
-
Der Bail-in ist mit Rechtsunsicherheiten behaftet:
-
In gewissen Rechtsräumen sind die nationalen Anforderungen bei der Registrierung von Aktien nicht auf einen « open bank »-Bail-in ausgerichtet (sog. SEC-Problematik),
-
Bei jedem Bail-in ist davon auszugehen, dass die zu Schaden gekommenen Gruppen die Notwendigkeit eines Bail-in mittels Anfechtungsklagen in Frage stellen. Dies gilt insbesondere, wenn der Bail-in nicht nur zu einer Wiederherstellung führt, sondern zu einer Anhebung des Kernkapitals über die regulatorischen Anforderungen hinaus. Letzteres dürfte in den meisten Krisen für eine erfolgreiche Sanierung erforderlich sein,
-
Die gesetzliche Regelung zur Bail-in-Reihenfolge sowie die Ausgabepraxis der Grossbanken ist komplex,
-
Die Implementierung eines allfälligen Wertausgleichs zugunsten des abgeschriebenen Kapitals der Altaktionäre gestaltet sich in der Praxis schwierig;
-
Es besteht ein erheblicher Spielraum der Behörden bezüglich Eingreifzeitpunkt und Auswahl der geeigneten Massnahmen. Obwohl im Fall einer SIB in der Praxis die SNB (Liquidität) und ggf. der Bundesrat (PLB) in der Regel an einer solchen Entscheidung mitwirken würden, liegt die Verantwortung gemäss Gesetz bei der FINMA allein.
²84 Vgl. beispielsweise folgende Studien: Allenspach, Reichmann und Rodriguez-Martin,
Are Banks still «Too Big to Fail»? - A market perspective
, SNB Working Paper 18/2021, Okt. 2021; IWF,
Moving from Liquidity- to Growth-Driven Markets
, Global Financial Stability Report, April 2014, S. 101-132.
Übertragung von Vermögen und Fusion
Die Sanierungsmassnahmen der Übertragung von Vermögen oder der Fusion können nur in ausgewählten Situationen erfolgreich angewendet werden. Im Fall der Credit Suisse wären die Voraussetzungen zur Durchführung eines Sanierungsverfahrens gegeben gewesen, allerdings traf dies nicht auf die UBS zu. Die bankengesetzlichen Sanierungsbestimmungen hätten nicht ausgereicht, um die Fusion zeitnah durchzuführen. Um das Zustimmungserfordernis der UBS nicht abwarten zu müssen, war die Übersteuerung des Fusionsgesetzes durch Notrecht nötig (vgl. Kap. 5.3). Dies
ändert aber nichts an der Tatsache, dass die Übertragung von Vermögen oder die Fusion in anderen Fällen durchaus angewendet werden könnten. Die bestehende Rechtsgrundlage erfüllt deshalb ihren Zweck weiterhin.
Ferner scheint eine Gesetzesanpassung, damit unbeteiligte Banken zu einer Übernahme einer sanierungsbedürftigen Bank verpflichtet werden könnten, weder ein gangbarer noch ein wünschbarer Weg. Der Eingriff in die Autonomie und Wirtschaftsfreiheit von unbeteiligten Drittbanken wäre ausserordentlich stark.
Sollte konkret die UBS in eine Krise geraten, wäre zudem eine Fusion voraussichtlich nur mit einer ausländischen übernehmenden Bank möglich, da es in der Schweiz keine Banken gibt, die eine Bank mit der Grösse der UBS übernehmen könnten. Dafür könnten allfällige operative Hindernisse, wie beispielsweise eine zeitnahe Bewertung der zu veräussernden Einheit oder die unmittelbare Rechtswirksamkeit der Übertragung unter ausländischem Recht, nicht über Anpassungen des hiesigen Rechts beseitigt werden.
Geordnete Abwicklung
In der freien Marktwirtschaft muss die Möglichkeit des Ausscheidens eines nicht mehr gewinnbringend tätigen Marktteilnehmers bestehen. Wenn die Fortführung der Geschäftstätigkeit einer SIB nicht mehr möglich ist, muss als Alternative zur bisherigen vorbereiteten Sanierungsstrategie oder zu einer Konkursliquidation auch eine geordnete Abwicklung umsetzbar sein.
Die fehlende ausdrückliche gesetzliche Verankerung der geordneten Abwicklung führt zu Rechtsunsicherheiten und erschwert ihre Anwendung. Zur Stärkung des Instruments der geordneten Abwicklung wären daher Anpassungen im BankG wünschbar:
-
Die Zielsetzung des Sanierungsverfahrens könnte diversifiziert werden. Derzeit ist das Sanierungsverfahren im Grundsatz darauf ausgerichtet, dass die Bank nach dessen Durchführung die Bewilligungsvoraussetzungen und die übrigen gesetzlichen Vorschriften wieder einhält (Art. 29 BankG). Dies ist im Fall der geordneten Abwicklung nicht zwingend erforderlich, da die betroffene Bank aus dem Markt ausscheiden wird.
-
Die geordnete Abwicklung kann mit dem allgemeinen im Bankensanierungsverfahren bestehenden Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung in Konflikt geraten. ²85 Dies hat insbesondere damit zu tun, dass im Rahmen der geordneten Abwicklung die systemrelevanten Funktionen einer Bank im Gegensatz zu den nicht systemrelevanten Funktionen temporär aufrechterhalten werden sollen. Die Aufrechterhaltung systemrelevanter Funktionen kann zu einer Besserbehandlung der Gläubigerschaft dieser Funktionen führen, beispielsweise dann, wenn diese Funktionen an eine übernehmende Bank verkauft werden. Auch dieser Aspekt sollte aber die Umsetzung einer geordneten Abwicklung gemäss den geltenden gesetzlichen Bestimmungen nicht in Frage stellen, was im Gesetz entsprechend festgehalten werden sollte. Insbesondere könnte festgelegt werden, wie eine allfällig schlechter gestellte Gläubigerschaft entschädigt würde.
-
Einschränkungen des Prinzips der Gläubigergleichbehandlung sind dem Sanierungsrecht nicht fremd. So sieht dieses für den Bail-in eine eigene Gläubigerhierarchie vor, gemäss der Forderungen einer Gläubigerschaft umgewandelt werden. ²86 Für den Fall der geordneten Abwicklung und für das übergeordnete Ziel der Finanzstabilität sieht das Gesetz jedoch keine ausdrücklichen Ausnahmen vor. Die Rechtsunsicherheiten für den Fall, dass im Rahmen einer geordneten Abwicklung Abweichungen vom Gläubigergleichbehandlungsprinzip erforderlich wären, sollten durch gesetzliche Vorgaben beseitigt werden.
-
Wie oben ausgeführt, könnte eine geordnete Abwicklung durchaus auch im Zusammenhang mit einem Bail-in umgesetzt werden. Mittels Bail-in würde die für das Abwicklungsverfahren, also z. B. den Verkauf gewisser Einheiten der Bankengruppe, notwendige Kapitalbasis geschaffen. Gerade beim Bail-in könnten sich dadurch aber gewisse Unsicherheiten ergeben, da dieser im Grundsatz auf die Wiederherstellung der regulatorisch geforderten Eigenmittel zielt. Für die geordnete Abwicklung könnte es aber nötig sein, dass die Kapitalbasis in einem wesentlich darüberhinausgehenden Ausmass aufgestockt werden müsste. Auch zur Beseitigung dieser Unsicherheiten könnte es sinnvoll sein, wenn der Gesetzgeber gewisse Parameter festlegen würde.
²85 Art. 30 c Abs. 1 Bst. c BankG.
²86 Art. 30 b Abs. 7 BankG.
Notfallplan
Die Notfallplanung zielt darauf ab, die Weiterführung der systemrelevanten Funktionen sicherzustellen (Ziel zwei des TBTF-Regimes, siehe Kap. 2.2). Die Parent-Banken enthalten keine systemrelevanten Funktionen und sind deshalb von der Notfallplanung nicht erfasst. Bereits aufgrund ihrer Grösse würde ihr Ausfall allerdings mit grosser Wahrscheinlichkeit die Finanzstabilität gefährden und damit das erste Ziel des TBTF-Regimes gefährden.
Heute beurteilt die FINMA die globale Sanier- und Liquidierbarkeit (Art. 65 a und 65 b BankV) anhand gewisser Kriterien (z. B. Organisationsstruktur, operative Kontinuität) und kann ergänzende zusätzliche verlustabsorbierende Mittel oder einen Liquiditätszuschlag festlegen. Zudem muss die Bank der FINMA die Informationen für den Abwicklungsplan einreichen (Art. 64 Abs. 2 BankV). Im Vergleich zum Notfallplan sind diese Anforderungen, die auf die Abwicklungsfähigkeit der Gruppe zielen, deutlich weniger streng. Entsprechend sind die Parent-Banken im Rahmen der primären Abwicklungsstrategie (SPoE-Bail-in) im globalen Abwicklungsplan zwar berücksichtigt, die FINMA kann aber keine einschneidenden Massnahmen zur Verbesserung von deren Abwicklungsfähigkeit ergreifen. Folglich sieht die sekundäre Abwicklungsstrategie nur den direkten Konkurs der Parent-Banken und nicht deren Abwicklung vor.
Da die Parent-Banken keine systemrelevanten Funktionen enthalten, müssten diese auch nicht analog zur Notfallplanung weitergeführt werden. Vielmehr müsste erreicht werden, dass Parent-Banken über einen bestimmten Zeitraum (z. B. 1-2 Jahre) soweit heruntergefahren werden können, dass sie keine Gefahr mehr für die Finanzstabilität darstellen. Das Vorhandensein einer Strategie für die Restbank würde auch die Umsetzbarkeit des Notfallplans erhöhen.
Single Point of Entry vs. Multiple Point of Entry
Auf der einen Seite entspricht eine MPoE-Strategie eher dem zu erwartenden Verhalten von Gast-Aufsichtsbehörden in einer Krise (d. h. Ring Fencing) und scheint grundsätzlich besser geeignet für ein kleines Land mit einer sehr grossen Bank, die einen Grossteil ihres Geschäfts im Ausland betreibt. Zudem ist die Heim-Aufsicht mit einem MPoE-Ansatz weniger auf Anerkennungsentscheide der ausländischen Aufsichtsbehörden angewiesen.
Auf der anderen Seite können bei einer MPoE-Strategie parallele Sanierungsverfahren in unterschiedlichen Rechtsordnungen zu komplexen Koordinationsproblemen führen. Zudem kommt es schon per Definition zu einem lokalen Ring Fencing und die gruppeninternen Liquiditätsflüsse werden unterbrochen. Weiter besteht die Gefahr, dass eine Behörde eine lokale Abwicklung im Alleingang durchführt und damit ein Auseinanderfallen der Gruppe provoziert.
Die Umsetzung einer MPoE-Strategie würde bei der UBS zudem eine grundlegende Umstrukturierung der Gruppe notwendig machen, weg von einer zentralisierten hin zu einer dezentralen Struktur. Insbesondere die zentrale Funktion der Parent-Bank für alle Tochtergesellschaften ist nicht mit einem MPoE-Ansatz vereinbar.
Crisis Management Group
Eine funktionierende CMG ist ein wichtiges Element im Krisenmanagement einer G-SIB. Im Fall der Credit Suisse konnte durch die frühzeitige Einbindung der CMG Transparenz über die Situation und die Stabilisierungs- und Abwicklungsplanung der FINMA geschaffen und damit ein gutes Verständnis und Unterstützung für die vorgeschlagenen Krisenmassnahmen erreicht sowie ein Bail-in vorbereitet werden.
TPO
Im Schweizer Recht ist kein TPO-Instrument vorgesehen. Der internationale FSB-Standard erwähnt zwar eine TPO als mögliches Abwicklungsinstrument, verzichtet aber im Gegensatz zu anderen Instrumenten auf eine klare Empfehlung an die einzelnen Länder, ob sie eine solche einführen oder nicht. Explizit eingeführt wurde eine TPO im UK und auf EU-Ebene, wobei in der EU nur rund die Hälfte der Mitglieder diese zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des vorliegenden Berichts auch ins nationale Recht übernommen haben.
Eine TPO ist entweder für eine gesamte Finanzgruppe denkbar oder bei einer G-SIB nach einem Konkurs der Parent-Bank als temporäre Massnahme für die Schweizer Tochtergesellschaft. Da die Bilanzgrösse der neuen UBS Group AG rund doppelt so gross ist wie das Schweizer BIP, wäre eine temporäre Übernahme durch den Staat mit enormen Risiken für den Staat verbunden. Somit wäre eine TPO auf die Schweizer Tochtergesellschaft zu begrenzen. Dies wiederum scheint bei einer international aktiven Grossbank aufgrund der Erwartungen ausländischer Behörden betreffend die Sanierung der Gruppe und möglicher globaler Ansteckungseffekte problematisch.
Abwicklungsfonds
Ein Abwicklungsfonds hätte den Vorteil, dass Risiken für Steuerzahlende reduziert werden, sofern der Fonds durch Finanzinstitute gespiesen wird. Zudem würden die Gelder sofort zur Verfügung stehen, wenn sie gebraucht werden. Allerdings kommt eine Fonds-Lösung nur in einem fragmentierten Markt in Frage, wenn eine genügende Anzahl von Einzahlern ähnlicher Grösse ein Risiko absichern.
Im Schweizer Bankenmarkt ist die Konzentration hoch und hat sich mit der Übernahme der Credit Suisse durch die UBS weiter erhöht. Um eine Rettung der UBS zu ermöglichen, müssten die anderen Banken unverhältnismässig hohe Beiträge in das System einzahlen, oder die UBS müsste sich sozusagen selber versichern. ²87 Solch hohe Beiträge würden den Banken gleichzeitig Kapital entziehen und somit deren Widerstandskraft sowie deren Kapazität zur Kreditvergabe schwächen. Eine ausreichend grosse, privat finanzierte Fonds-Lösung ist somit kaum realistisch und es wäre deshalb ein staatlicher Absicherungsmechanismus notwendig. Dies beinhaltet wiederum Risiken für den Staat und kann Fehlanreize setzen.
Für eine Verwendung von Mitteln aus der Einlagensicherung zur Abwicklungsfinanzierung gelten die gleichen Argumente. Zusätzlich sind die Mittel der Einlagensicherung heute schon begrenzt mit Blick auf den eigentlichen Verwendungszweck.
²87 Ammann et al.,
Reformbedarf in der Regulierung von
«Too Big to Fail
»-Banken
, 19. Mai 2023.
Mögliche Massnahmen
Die folgenden Kapitel zeigen das Spektrum von möglichen Massnahmen im Bereich Abwicklung auf. Diese können jeweils unter Abwägung ihrer individuellen Vor- und Nachteile beurteilt werden. Die Massnahmen im Themengebiet werden aufgrund ihrer Interdependenzen auch als Gesamtheit analysiert. Entsprechend wird zum Schluss des Kapitels in 13.4.7 ein Fazit gezogen und ein konkreter Massnahmenmix vorgeschlagen.
Abwicklungsoptionen erweitern
Bisher wurden für G-SIBs eine präferierte Abwicklungsstrategie (Sanierung mit SPoE-Bail-in) sowie als Rückfalloption eine Konkursliquidation mit Auslösung des Notfallplans vorbereitet (vgl. Kap. 13.1.3). Eine mögliche Massnahme besteht darin, im Krisenfall künftig mehr und flexiblere Abwicklungsstrategien und -instrumente vorzusehen und vorzubereiten, weil beispielsweise ein SPoE-Bail-in mit dem Ziel der Weiterführung der Bank nicht in allen Krisenszenarien die geeignetste Abwicklungsstrategie sein muss.
Um die praktische Umsetzbarkeit der Abwicklungsstrategien weiter zu verbessern, können diese Abwicklungsstrategien noch stärker im Voraus getestet werden. In diese Test-Übungen kann auch das Zusammenspiel der Behörden einbezogen und überprüft werden. Neben den erweiterten Vorbereitungsarbeiten durch die FINMA braucht es dazu auch rechtliche Anpassungen, insbesondere um die Voraussetzung für eine «geordnete Abwicklung» zu schaffen, d. h. eine Sanierung mit der Absicht, die Bank (oder Teile davon) über einen Zeithorizont von ca. 1-2 Jahren abzuwickeln.
Abwicklungsplan für Parent-Bank
Als mögliche Massnahme kann von international tätigen SIBs künftig verlangt werden, einen Abwicklungsplan für die Parent-Bank zu erstellen. Darin müssten international tätige SIBs aufzeigen, wie die Parent-Bank über einen Zeitraum von 1-2 Jahren abgewickelt werden kann, ohne dass die Finanzstabilität durch die Abwicklung gefährdet wird. Zurzeit wäre nur die UBS von einer solchen Anforderung betroffen.
Wie beim Notfallplan müsste die Bank auch im Abwicklungsplan für die Parent-Bank den Nachweis erbringen, dass die finanziellen und organisatorischen Verflechtungen kein Hindernis für die Abwicklung darstellen. Dadurch könnte auch eine für die Abwicklung zentrale Clean Holding sichergestellt werden. Zudem wären (analog zu Art. 61 BankV) Kriterien für die Prüfung des Abwicklungsplans durch die FINMA vorzusehen und ihr (analog zu Art. 62 BankV) Massnahmen in die Hand zu geben (z. B. die Abspaltung der Investment Bank), falls Mängel am Plan nicht behoben werden.
Anpassung der Single-Point-of-Entry-Strategie
Als weitere Massnahme ist eine Umstellung von einer SPoE-Strategie auf eine MPoE-Strategie möglich.
Da eine Umstellung mit strukturellen Anpassungen der Bank und mit unterschiedlicher regulatorischer Behandlung der Tochtergesellschaften einhergehen würde, kann die Umstellung von einer SPoE- auf eine MPoE-Abwicklungsstrategie nicht erst im Krisenfall erfolgen. Vielmehr müsste die Option ex ante beschlossen und vorbereitet werden, so müsste die UBS beispielsweise ihre zentrale Struktur (z. B. die globale Tresorerie) aufheben und dezentraler ausgestalten.
Zu beachten ist, dass die heute schon sehr hohen lokalen Anforderungen an Tochtergesellschaften bereits ein erster Schritt in Richtung lokale Eigenständigkeit der Tochterunternehmen sind - und damit auch bereits einen ersten Schritt in Richtung MPoE-Ansatz darstellen. Denkbar wäre allenfalls auch ein hybrider Ansatz, der Aspekte von MPoE und SPoE kombiniert.
Weitere Verbesserung der Rechtssicherheit bei einem Bail-in
Die Sanierungsoption lag im Fall der Credit Suisse zur Implementierung bereit. Die aus der Vorbereitung gewonnenen Erkenntnisse über verbleibende technische Unsicherheiten bei der Umsetzung eines Bail-in können genutzt werden, um die Rechtssicherheit eines Bail-in weiter zu verbessern.
Im Rahmen des Schweizer TBTF-Regimes kann beispielsweise eine Vereinfachung und mehr Transparenz bezüglich der Bail-in-Bonds in der Gläubigerhierarchie oder eine Vereinfachung des Kompensationsmechanismus für Aktionäre nach einem Bail-in angestrebt werden. Zwecks Vereinfachung des Wertausgleichs ist z. B. ein Verzicht auf vollständige Abschreibung des Aktienkapitals (statt einer nachträglichen Kompensation) denkbar.
Bei der Verbesserung der Rechtssicherheit eines Bail-in bestehen mögliche Hindernisse, für deren Lösung sich die Schweiz international einsetzen kann. Dazu gehört beispielsweise das Problem der Anforderungen aus dem US Securities Act bezüglich der Registrierung der nach einem Bail-in neu geschaffenen Aktien. Darüber hinaus kann sich die Schweiz auch aktiv in die Arbeiten des FSB einbringen, z. B. zwecks Schaffung von mehr Transparenz über die Gläubigerschaft der Bail-in-Bonds im Sekundärmarkt, bei den Arbeiten zur Operationalisierung eines Bail-in oder beim Thema der grenzüberschreitenden Anerkennung von Bail-in-Massnahmen.
Grundsätzlich zielen alle hier aufgeführten Massnahmen darauf ab, die Glaubwürdigkeit einer Sanierung, insbesondere eines Bail-in, zu verbessern. Mit der Erfolgswahrscheinlichkeit einer Sanierung steigt auch die Wahrscheinlichkeit, dass eine SIB nicht durch den Staat gerettet werden muss. Damit reduzieren sich die implizite Staatsgarantie und der damit verbundene Moral Hazard.
TPO explizit in der Rechtsordnung vorsehen
Als mögliche Massnahme könnte wie im UK oder in der EU das Instrument der TPO im ordentlichen Recht verankert werden. Damit würde das Kriseninstrumentarium erweitert. Allerdings sind die Risiken und Anreize dieser Massnahme zu beachten.
Im Fall der UBS wäre eine temporäre Übernahme angesichts der Bilanzgrösse mit enormen Risiken für den Bund verbunden, weshalb sich eine TPO nur auf die Einheiten beschränken könnte, in denen sich die systemrelevanten Funktionen konzentrieren. Dies wird auch von der Expertengruppe «Bankenstabilität» empfohlen. Die Möglichkeit einer solchen auf systemrelevante Funktionen fokussierten TPO könnte als Ultima-Ratio-Instrument explizit im Rechtssystem verankert werden.
Das Instrument käme subsidiär nach allen anderen Abwicklungsinstrumenten zur Anwendung. Zudem müsste eine Reihe von Bedingungen erfüllt werden. So müssten insbesondere zuerst Aktionäre, AT1- und Bail-in-Bond-Investoren substanzielle Verluste tragen und das Instrument müsste zur Sicherung der Finanzstabilität geeignet sein.
Das Gutachten Ammann et al. erwägt ebenfalls die Einführung einer temporären Verstaatlichung, mit dem Unterschied, dass Bail-in-Bonds nicht vorgängig gewandelt werden müssten. Mit Blick auf die enormen Risiken, die in einem solchen Fall auf den Bund übergehen würden, sollte eine TPO allerdings subsidiär zu einem Bail-in erfolgen.
Eine TPO könnte bei der Auslösung des Notfallplans in gewissen Szenarien vertrauensbildend wirken. Sie könnte z. B. einen Bank Run bei der Tochterbank einer G-SIB aufgrund der Verbindung zur konkursiten Parent-Bank bremsen. Zudem könnte mit einer temporären Verstaatlichung zusätzliche Zeit gewonnen werden, um Geschäftsbereiche zu verkaufen oder geordnet herunterzufahren. Damit könnte ein überhasteter Verkauf von Vermögenswerten zu schlechten Konditionen verhindert werden.
Eine explizit im Gesetz verankerte TPO wäre allerdings mit substanziellen Risken verbunden. Diese Risiken bestehen sowohl bei einer TPO für die Gruppe als auch bei einer auf systemrelevante Funktionen eingeschränkten TPO. Die eingeschränkte TPO ist zudem bei einer international tätigen SIB aufgrund der Erwartungen ausländischer Behörden bezüglich der Sanierung der ganzen Gruppe und der möglichen globalen Ansteckungseffekte problematisch.
Sodann widerspricht eine TPO als explizites staatliches Instrument direkt dem dritten TBTF-Ziel, staatliche Beihilfen zu vermeiden. Besteht aufgrund einer TPO die Erwartung, dass bestimmte Gläubiger- und Kundschaften in der Krise geschützt werden, setzt dies Fehlanreize und führt zu Wettbewerbsvorteilen für die betroffenen Banken. Eine in diesem Zusammenhang notwendige und von den betroffenen Banken zu entrichtende Abgeltung könnte diese Fehlanreize kaum vollständig auffangen. Fehlanreize bestehen beispielsweise auch, weil im Wissen um das Vorhandensein eines TPO-Instruments die Ansprüche an die Abwicklungspläne (inkl. Notfallpläne) und somit deren Qualität sinken könnten.
Bei Anwendung der TPO übernimmt der Bund sämtliche Risiken der Bank und ist somit sehr weitgehenden Staatshaftungsrisiken ausgesetzt. Dabei besteht zudem das Risiko, dass die Bank über längere Zeit im Staatsbesitz bleibt, da eine klare Strategie zum Ausstieg aus dem Engagement möglicherweise schwierig zu definieren ist (vgl. Kap. 13.2.2.2).
Weitere Unklarheiten und Risiken bestehen beispielsweise bezüglich der operativen Eingliederung der Bank in die Bundesverwaltung und der Besetzung der Leitungsorgane durch den Staat. Aus rechtlicher Sicht wäre zu klären, ob eine Verfassungsgrundlage für eine gesetzliche Regelung einer TPO besteht.
Aufbau eines Abwicklungsfonds
Die Errichtung eines Abwicklungsfonds ist eine Massnahme, um den Finanzierungsbedarf einer allfälligen Abwicklung besser zu decken. Wie der internationale Vergleich zeigt, kann die Ausgestaltung eines Abwicklungsfonds unterschiedlich ausfallen. Es müsste bestimmt werden, ob ein solcher Fonds aus privaten oder öffentlichen Mitteln geäufnet werden soll, ob die Mittel ex ante oder ex post einbezahlt werden sollen und welche Ausgaben damit getätigt werden können (Solvenz- und Liquiditätshilfe, Kompensation der Aktionäre etc.).
Ebenfalls müsste das Zusammenspiel mit der Einlagensicherung und einer allfälligen staatlichen Liquiditätssicherung für SIBs definiert werden. Damit ein Abwicklungsfonds in einer Krise eine Wirkung entfalten kann, müsste er über ein ausreichendes Volumen verfügen. Geht man analog der EU von einer Zielgrösse von 1 Prozent der gesicherten Einlagen aus, würde ein Fondsvolumen von rund 5 Milliarden Franken resultieren. Dies wäre mit Blick auf die Grösse der SIBs in der Schweiz deutlich zu klein und es müssten höhere Beiträge der Banken vorgesehen werden. Zudem ist der Schweizer Bankenmarkt mit der neuen UBS stark konzentriert und diese würde sich aufgrund ihrer Grösse sozusagen selber versichern. Der Bericht der Expertengruppe «Bankenstabilität» enthält keinen Vorschlag zur Schaffung eines Abwicklungsfonds, das Gutachten Ammann et al. verwirft die Idee explizit.
Fazit und vorgeschlagener Massnahmenmix im Bereich Abwicklung
Mit der Abwicklungsfähigkeit wird signalisiert, dass auch eine SIB im Krisenfall aus dem Markt ausscheiden kann. Damit werden wichtige Anreize bei den Stakeholdern einer SIB gesetzt und Wettbewerbsverzerrungen reduziert. Insbesondere an der Abwicklungsfähigkeit der einzigen in der Schweiz verbleibenden G-SIB dürfen keine Zweifel fortbestehen. Deshalb besteht in diesem Bereich ein klarer Handlungsbedarf.
Die Krise der Credit Suisse hat verdeutlicht, dass die Erfolgsaussichten einer vorbereiteten Abwicklungsstrategie je nach Krisenszenario unterschiedlich beurteilt werden können. Zudem bestehen bei einer Abwicklung naturgemäss erhebliche Unsicherheiten und Risiken, zumal noch nie eine G-SIB abgewickelt worden ist. Klar ist jedoch, dass die Erfolgschancen einer Abwicklung umso grösser sind, je flexibler und variantenreicher die vorbereiteten Strategien sind, je umfassender das Instrumentarium ist und je klarer die verbleibenden Hindernisse beseitigt sind.
Entsprechend sollen die Abwicklungsoptionen und vorbereiteten Varianten erweitert werden. Dazu gehört auch eine klare rechtliche Verankerung der Sanierungsvariante «geordnete Abwicklung». Als Teil der Erweiterung der Abwicklungsoptionen kann auch eine Anpassung der bisherigen SPoE-Strategie erfolgen. Dafür ist keine Anpassung auf rechtlicher Stufe erforderlich, da die FINMA bereits im heutigen Rechtsrahmen entsprechende Optionen in die Richtung eines MPoE-Ansatzes in die Abwicklungsstrategien integrieren kann. Mit diesen rechtlichen Anpassungen wird die Abwicklungsfähigkeit gezielt verbessert und auf zusätzliche Krisenszenarien ausgerichtet.
Ebenfalls umgesetzt werden soll für international tätige SIBs die Einführung von Abwicklungsplänen für Parent-Banken. Damit wird direkt das erste TBTF-Ziel, die Minderung der Risiken für die Finanzstabilität, gestärkt. Im Fall der UBS Group AG ist die Erarbeitung und Umsetzung dieses Abwicklungsplans mit einem hohen Aufwand verbunden. Da die existierende Notfallplanung nur die Schweizer Tochtergesellschaften erfasst, wird mit einem Abwicklungsplan für die Parent-Bank aber eine wichtige Lücke zur Sicherstellung der Abwicklungsfähigkeit der gesamten Gruppe geschlossen.
Weiter gilt es, die verbleibenden Unsicherheiten, Risiken und Hindernisse für eine Abwicklung bestmöglich anzugehen und insbesondere die Rechtssicherheit eines Bail-in zu erhöhen.
Aufgrund der Schweizer Bankenstruktur mit einer hohen Markkonzentration und einer im Vergleich zu den anderen Banken sehr grossen G-SIB wird die Massnahme eines Abwicklungsfonds nicht zur Umsetzung empfohlen.
Ebenfalls nicht zur Umsetzung empfohlen wird die rechtliche Verankerung einer TPO. Die dadurch entstehenden Fehlanreize sowie die damit verbunden Risiken überwiegen den möglichen Nutzen in einer Abwicklung deutlich.
Strukturelle Massnahmen
Ausgangslage
Einleitung
Neben den präventiven Massnahmen zur Verhinderung einer Krise enthält das TBTF-Regime die oben abgehandelten Massnahmen für den Krisenfall, da das Risiko eines Ausfalls einer SIB nicht vollumfänglich beseitigt werden kann, jedenfalls nicht zu verhältnismässigen Kosten für die betroffenen Banken und die Volkswirtschaft insgesamt. Die Auswirkungen eines solchen Ausfalls sollen möglichst gering gehalten und ein geordnetes Ausscheiden aus dem Markt ermöglicht werden. Ein mögliches Element dazu sind strukturelle Massnahmen, die darauf abzielen, durch eine geeignete Organisation der Bank deren Abwicklung zu erleichtern. Das vorliegende Kapitel soll die Möglichkeiten und Grenzen von strukturellen Massnahmen aufzeigen.
Bereits die Expertenkommission Siegenthaler von 2010 hat sich mit organisatorischen Massnahmen befasst, insbesondere im Zusammenhang mit der Weiterführung der systemrelevanten Funktionen und dem Notfallplan. Die Expertengruppe hat festgehalten, dass es sich bei den organisatorischen Massnahmen um erhebliche Eingriffe in die Wirtschaftsfreiheit und die Eigentumsgarantie handelt und deshalb das Subsidiaritätsprinzip zur Geltung kommen soll. Es sei Aufgabe der jeweiligen SIB, sich so zu organisieren, dass die Weiterführung der systemrelevanten Funktionen im Hinblick auf den Krisenfall gewährleistet ist. Kann die Bank jedoch die Weiterführungsfähigkeit der systemrelevanten Funktionen nicht nachweisen, soll die Aufsichtsbehörde die notwendigen organisatorischen Massnahmen anordnen. ²88
Dieses Prinzip hat grundsätzlich auch heute Gültigkeit. Allerdings ist es vor dem Hintergrund zu betrachten, dass sich die Struktur der beiden Schweizer G-SIBs seit der Finanzkrise 2007/08 bis vor der Krise der Credit Suisse, und mit der neuen UBS nach der Übernahme der Credit Suisse, stark verändert hat. Ging es bei der Expertenkommission Siegenthaler um die Definition und Weiterführung der systemrelevanten Funktionen mittels Einführung der Notfallplanung, steht heute zusätzlich das Problem der Parent-Bank-Struktur als mögliches Hindernis für die Umsetzung der Notfallplanung im Vordergrund.
²88 Expertenkommission zur Limitierung von volkswirtschaftlichen Risiken durch Grossunternehmen,
Schlussbericht
, 30. Sept. 2010.
Erfahrungen aus der Krise der Credit Suisse
Die Krise der Credit Suisse hat die Problematik der Gruppenstruktur der Credit Suisse - und auch der UBS - deutlich zum Ausdruck gebracht. Die doppelte Holdingstruktur (mit einer Konzernobergesellschaft und einer Parent-Bank, siehe Abbildung 7) erhöht die Komplexität einer Abwicklung. Zudem begünstigt sie unter dem aktuellen regulatorischen Regime ohne Beteiligungsabzug eine Double Leverage ²89 , die zu einer Kapitallücke in der Parent-Bank führt.
Die hohe Bewertung der Beteiligungen und die knappe Kapitalisierung der Parent-Bank waren ein Hindernis für die Umsetzung der strategischen Neuausrichtung der Credit Suisse, da die ausländischen Beteiligungen neu bewertet und stark abgeschrieben werden mussten. Da im Schweizer Regime Beteiligungen nicht vom regulatorischen Eigenkapital abgezogen, sondern risikogewichtet mit Eigenmitteln unterlegt werden (siehe Kap. 7.2.3.1), hatten diese Abschreibungen die Kapitalausstattung der Parent-Bank stark belastet.
Weiter hat die Krise gezeigt, dass die Parent-Banken aufgrund ihrer Grösse, ihrer zentralen Funktionen für die Gruppe (insbesondere zentralisiertes Liquiditätsmanagement) sowie aus Reputationsgründen (ein Ausfall beim grenzüberschreitenden Vermögensverwaltungsgeschäft würde die Reputation des Schweizer Finanzplatzes beeinträchtigen) indirekt systemrelevant sind. Dies obwohl die systemrelevanten Funktionen in den Schweizer Tochtergesellschaften angesiedelt sind.
Auch die grossen Gruppengesellschaften der Schweizer G-SIBs sind in den USA und im UK aus Sicht der ausländischen Aufsichtsbehörden faktisch systemrelevant. Es ist deshalb wahrscheinlich, dass diese Behörden bei einem drohenden Konkurs der Gruppe Ring-Fencing-Massnahmen treffen würden.
Grundsätzlich hat sich bestätigt, dass sich in Krisenzeiten der Fokus von der Betrachtung der Gruppe als Ganzes auf Einzelinstitute verschiebt. Damit rückt auch die Kapitalisierung der Parent-Banken in den Vordergrund.
Abbildung 7
Vereinfachte Struktur der Credit-Suisse-Gruppe vor der Übernahme
[Bild bitte in Originalquelle ansehen]
Quelle: SNB, Bericht zur Finanzstabilität 2023.
²89 Double Leverage bezeichnet die Finanzierung von Eigenkapital mit Fremdkapital innerhalb eines Konzerns. Dies ist z. B. der Fall, wenn eine Holdinggesellschaft am Markt Fremdkapital aufnimmt und damit das Eigenkapital einer Tochtergesellschaft finanziert (siehe auch Kap. 14.4.1).
Operative und finanzielle Verflechtungen
Die Schweizer G-SIBs (nunmehr nur noch die UBS) bestehen aus einer Vielzahl von operativen Rechtseinheiten, die für die Erbringung der vielseitigen globalen Bankdienstleistungen unterschiedliche Funktionen übernehmen. Zahlreiche Faktoren beeinflussen diese länderübergreifende und komplexe Konzernstruktur. Im Wesentlichen sind dies regulatorische, handelsrechtliche, steuerliche und politische Anforderungen in denjenigen Ländern, in denen Bankdienstleistungen erbracht werden bzw. in denen eine physische Präsenz erforderlich ist. Daneben spielen die Kundenanforderungen sowie die lokale Verfügbarkeit von qualifiziertem Personal und Refinanzierungsmöglichkeiten eine wichtige Rolle. G-SIBs optimieren ihr Geschäftsmodell anhand dieser Rahmenbedingungen und nutzen Arbitragemöglichkeiten zwischen den verschiedenen Anforderungen. So werden beispielsweise risikoreiche Geschäftsaktivitäten bevorzugt in Jurisdiktionen gebucht, die tiefere regulatorische Anforderungen stellen. Als Resultat entstehen umfangreiche finanzielle und operative Verflechtungen zwischen den verschiedenen Rechtseinheiten einer Gruppe.
Operative Verflechtungen entstehen durch die institutsübergreifende Erbringung von Dienstleistungen (z. B. IT, Human Resources, Risk Management, Finance). Zentrale Funktionen der Gruppe werden in separaten Rechtseinheiten, sogenannten Business Service Companies (ServCo) zusammengefasst. Diese erbringen ihre Dienstleistungen als gruppeninterne Dienstleistungsanbieter. Die ServCos sind grundsätzlich auf Gruppenstufe angesiedelt, jedoch verlangen gewisse Jurisdiktionen, dass ausgewählte Bankdienstleistungen lokal im jeweiligen Land zu erfolgen haben. Durch die operative Entflechtung bzw. die Bündelung der Service-Erbringung in spezialisierten Rechtseinheiten wird erreicht, dass beim Ausfall einer operativen Bankeinheit die gruppeninterne Dienstleistungserbringung an andere Bankeinheiten grundsätzlich weiterhin sichergestellt ist. Jedoch muss davon ausgegangen werden, dass beim Wegfall von substanziellem Geschäftsvolumen, beispielsweise des Konkurses eines Leistungsbezügers, die ServCo finanziell und auch bezüglich ihrer Reputation beeinträchtigt wird.
Finanzielle Verflechtungen ergeben sich aus der zentralen Mittelaufnahme und der gruppeninternen Verwaltung von Liquidität und Funding durch die zentrale Tresorerie, die in der Parent-Bank angesiedelt ist. Diese Verflechtungen sind grundsätzlich sternförmig ausgestaltet, d. h., Liquiditätsbedarf oder -überschuss von einzelnen Rechtseinheiten wird mit der Parent-Bank ausgeglichen. Es entsteht so eine hauptsächlich vertikale Verflechtung mit der Parent-Bank. Dabei müssen die einzelnen Rechtseinheiten die lokalen Liquiditätsanforderungen insbesondere an Mindestliquidität und Fälligkeitsstruktur einhalten, die sich je nach Land und Geschäftsaktivität deutlich unterscheiden. Es ist dann die Aufgabe der zentralen Tresorerie, die Zahlungsströme, Fälligkeitsprofile und Währungen zu koordinieren und Über- und Unterdeckungen zentral am Markt zu platzieren bzw. zu refinanzieren. Dies ist deshalb zentral, weil häufig die verschiedenen Rechtseinheiten unterschiedliche Bilanzstrukturen und damit unterschiedliche Finanzierungsprofile haben. Im Wealth Management aktive Gesellschaften haben tendenziell mehr Kundeneinlagen als Ausleihungen und dadurch einen strukturellen Passiven-Überhang. Diese Bilanzstruktur führt in Bezug auf die regulatorischen Liquiditätsanforderungen zu einem kurzfristigen Refinanzierungsdefizit in der LCR (aufgrund hoher Annahmen betreffend Kundenabflüsse) und einem langfristigen Liquiditätsüberschuss in der NSFR (Anrechnung von stabilen Kundeneinlagen). Dieser Überschuss kann in einem globalen Bankenmodell zur Finanzierung des Ausleihungsgeschäftes via die zentrale Tresorerie an Einheiten mit grossem Ausleihungsvolumen (z. B. der Investment Bank) zur Verfügung gestellt werden. Daneben kann der kurzfristige Refinanzierungsbedarf durch den Interbanken-Geldmarkt kosteneffizient abgedeckt werden.
Dieses zentrale Refinanzierungsmodell hat grosse Vorteile: Es koordiniert die Steuerung der Geldflüsse, reduziert Gegenparteirisiken am Markt und ist kosteneffizient. Jedoch führt der Ansatz zu substanziellen finanziellen Verflechtungen gegenüber der Parent-Bank, die zu erheblichen Ansteckungseffekten führen können.
Die finanziellen Verflechtungen sind also eine Folge der Struktur der Bankengruppe, die sich wiederum aus den regulatorischen Vorgaben der Jurisdiktionen ergibt, in der die Bankengruppe tätig ist. Bei der Regulierung der finanziellen Verflechtungen wird grundsätzlich von einer gewissen Fungibilität der finanziellen Mittel ausgegangen, d. h., man geht davon aus, dass die Mittel (Eigenkapital und Liquidität) grundsätzlich frei dahin fliessen können, wo sie am meisten gebraucht werden.
Im (heterogen) regulierten internationalen Umfeld zeigen sich die Grenzen dieser freien Einsetzbarkeit und raschen Verschiebbarkeit von Mitteln. Zudem sind auch die lokalen Entscheidungsträger der Bank in den jeweiligen Jurisdiktionen oft nicht ohne Weiteres bereit, eigene Substanz an die Gruppe abzugeben. Diesem Umstand hat die Regulierung der gruppeninternen Verflechtungen Rechnung zu tragen: Einerseits sollen die Vorteile der zentralen Tresorerie gewürdigt werden. Andererseits müssen die Realitäten hinsichtlich Verfügbarkeit und Werthaltigkeit von Mitteln nicht nur im normalen Geschäftsbetrieb, sondern insbesondere in Stresssituationen in den Anforderungen abgebildet werden. Finanziell vollständig autarke Rechtseinheiten reduzieren finanzielle Ansteckungseffekte zwar auf ein Minimum, zerlegen aber nicht nur das Modell der zentralen Tresorerie, sondern erschweren zudem die grenzüberschreitende Dienstleistungserbringung von G-SIBs.
Doppelte Holdingstruktur
Die UBS hat heute eine doppelte Holdingstruktur. Das bedeutet, dass unter der Holding (Group AG) eine Parent-Bank (AG) angesiedelt ist. Diese operiert gleichzeitig als Muttergesellschaft der verschiedenen operativen Rechtseinheiten und als operative Bank. Sie übernimmt mit der Tresorerie zentrale Funktionen für die Finanzierung der Gruppe. Die Parent-Bank emittiert gewisse Anleihen und verfügt über eigene Einlagen. Das Vertrauen der Investoren und Einleger in die finanzielle Stärke dieser Einheit ist zentral, schliesslich haben sie im Konkurs eine Forderung gegenüber dieser Einheit und nicht gegenüber der Gruppe. Die UBS kann wie schon erwähnt durch die doppelte Holdingstruktur bzw. die Bündelung zentraler Funktionen in der Parent-Bank Synergiegewinne erzielen. Die für die Gruppe erbrachten Dienstleistungen werden in ServCos gebündelt, die direkt der Holding angehängt sind. Nur für die US-Einheiten sind separate Dienstleistungsgesellschaften etabliert worden. Eine komplette Ausgliederung der zentralen Funktionen und Dienstleistungen auf die einzelnen Tochtergesellschaften würde zu einer Fragmentierung der Gruppe führen.
Als Illustration der doppelten Holdingstruktur kann gemäss Abbildung 7 auch die vereinfachte Rechtsstruktur der Credit Suisse vor der Übernahme durch die UBS dienen.
Die doppelte Holdingstruktur führt zu zusätzlicher organisatorischer Komplexität und ist im internationalen Vergleich eher die Ausnahme. Die US-Grossbanken haben mit den Intermediate Holding Companies zwar auch eine Struktur mit mehrfachen Holdings. Allerdings werden ihnen von den heimischen Behörden enge Richtlinien zur Struktur und finanziellen Verflechtung ihrer Entitäten vorgegeben. Bei den G-SIBs im UK sind die operativen Einheiten direkt unterhalb der Holding angehängt. Die Deutsche Bank hat eine operative Bank an der Spitze, die gleichzeitig die Tochtergesellschaften hält.
Als Illustration für ein Gegenbeispiel zur doppelten Holdingstruktur wird nachfolgend die Gruppenstruktur der britischen HSBC abgebildet (Abbildung 8). Diese ist so organisiert, dass alle lokalen Tochtergesellschaften direkt der Holding angehängt sind. Zudem gibt es für jede lokale Tochtergesellschaft eine lokale Zwischenholding.
Abbildung 8
Vereinfachte Struktur der HSBC-Gruppe
[Bild bitte in Originalquelle ansehen]
Quelle: HSBC
Internationaler Vergleich
Diverse Regelungen im Ausland sind im Ergebnis strukturelle Massnahmen gegen die Komplexität oder zur Erleichterung der Abwicklung von Banken.
Vereinigte Staaten
Gemäss Volcker Rule, Section 619 im Dodd-Frank Act, gilt in den USA für Geschäftsbanken ein Verbot von Eigenhandel. Auch der Erwerb von Beteiligungen an Hedgefonds und Private-Equity-Firmen ist für diese Banken untersagt. 29⁰ Diese Regel wurde im Jahr 2020 verwässert. 29¹ Kleinere regionale Banken wurden durch Erhöhung des Schwellenwerts der massgeblichen Bilanzsumme von 50 Milliarden auf 250 Milliarden US-Dollar von den strengsten Regelungen ausgenommen (dies führte u. a. zu verminderten Liquiditätsanforderungen, weniger Stresstests, Verzicht auf umfassende Abwicklungspläne). 29² Zudem dürfen Banken wieder in Venture Capital Funds investieren. Nach den Turbulenzen im US-Bankensektor vom März 2023 ²93 gibt es Bestrebungen, einen Teil der verwässerten Dodd-Frank-Regelung für grosse Regionalbanken mit einer Bilanzsumme zwischen 100 und 250 Milliarden US-Dollar wieder zu verschärfen.
29⁰ Viñals et al.,
Creating a Safer Financial System: Will Volcker, Vickers, and Liikanen Structural Measures Help?
, IMF Staff Discussion Note 13/4, Mai 2013.
29¹ Smith,
How the Dodd-Frank Act Protects Your Money
, Artikel in Forbes Advisor, 10. März 2023.
29² Rodriguez Valladares,
How Trump’s Deregulation Sowed The Seeds for Silicon Valley Bank’s demise
, Artikel in Forbes, 12. März 2023.
²93 The White House,
FACT SHEET: President Biden Urges Regulators to Reverse Trump Administration Weakening of Common-Sense Safeguards and Supervision for Large Regional Banks
, 30. März 2023.
Vereinigtes Königreich
Im UK müssen die grössten Banken seit 2019 die Hauptaktivitäten im Kleinkundengeschäft vom Rest der Bank (z. B. vom Investment Banking sowie den internationalen Aktivitäten) trennen. ²94 Dies kann innerhalb der Bankengruppe erfolgen. Dies entspricht dem Schweizer Modell mit den Tochtergesellschaften mit den systemrelevanten Funktionen. Im Dezember 2022 wurde mit dem Ziel, das Wirtschaftswachstum anzukurbeln, angekündigt, die Regulierung zu lockern, u. a. die Anforderung an das Ring Fencing. ²95 Bis Ende November 2023 lief eine entsprechende Konsultation. ²96
²94 Bank of England,
Ring-fencing
, Webseite.
²95 HM Treasury,
Edinburgh Reforms hail next chapter for UK Financial Services
, 9. Dez. 2022.
²96 HM Treasury,
A smarter ring-fencing regime: Consultation on near-term reforms
, 28. Sept. 2023.
Europäische Union
In der EU wurden die Reformvorschläge vom Liikanen Report aus dem Jahr 2012 nicht implementiert, insb. die Abtrennung des Eigenhandels und anderer Hochrisiko-Aktivitäten von der Einlagen- und Kreditaktivität. ²97 Um dem Universalbanken-Charakter Rechnung zu tragen, hätte die Abtrennung innerhalb einer Bankengruppe durch rechtliche und operative Vorkehrungen (Ring Fencing) getroffen werden können. Die Separierung weiterer Aktivitäten (z. B. Market Making ) wäre von der Glaubwürdigkeit der Stabilisierungs- und Abwicklungsplanung abhängig gewesen. Der Vorschlag wurde 2018 zurückgezogen unter Verweis, dass viele der ursprünglichen Ziele durch andere Regulierungsprojekte (u. a. Fortschritte bei der Abwicklung) erreicht wurden.
²97 Westman,
The Liikanen Report and the proposal for a resolution framework - 10 years on
, Single Resolution Board, 3. Okt. 2022.
Beurteilung
Strukturelle Massnahmen zielen darauf ab, durch eine geeignete Organisation der Bank deren Abwicklung zu erleichtern. In diesem Kapitel wurden organisatorische Aspekte aufgezeigt (insb. die Parent-Bank-Struktur), welche die Komplexität und damit die Risiken für eine erfolgreiche Abwicklung einer Bank erhöhen. Gleichzeitig wurde aber auch aufgezeigt, dass in erster Linie nicht die Struktur als solche ein Problem darstellt, sondern die zugrunde liegenden finanziellen und operativen Verflechtungen.
Soll in diesem Kontext die Abwicklungsfähigkeit verbessert werden, müssen die Komplexität, die insbesondere aufgrund der operativen und finanziellen Verflechtungen entsteht, reduziert und die Risiken, die mit Kapitalverlusten und Liquiditätsabflüssen einhergehen, aufgefangen werden. Dafür geeignete Massnahmen sind beispielsweise der Abzug der Beteiligungen bei den Eigenmittelanforderungen (vgl. Kap. 7.5.1) und die gesetzliche Verankerung eines Abwicklungsplans für die Parent-Banken (vgl. Kap.13.4.2). Mit diesen Ansätzen kann die Abwicklungsfähigkeit auch ohne einschneidende strukturelle Massnahmen weiter verbessert werden. Falls dadurch keine Verbesserung herbeigeführt werden kann, stellen strukturelle Massnahmen ein weiteres mögliches Instrument dar.
Strukturelle Massnahmen können auch subsidiär zur Anwendung kommen, indem die FINMA diese nur anordnen kann, falls ein von der Bank zu erstellender Parent-Bank-Abwicklungsplan den Anforderungen nicht genügt. Dies entspricht auch dem Prozess bei der Notfallplanung. Ein Beispiel einer solchen strukturellen Massnahme wäre etwa die Anforderung, dass die Investmentbank vom Rest der Gruppe abgetrennt werden müsste. Es wäre primär Aufgabe der Bank, sich so zu organisieren, dass die Abwicklungsfähigkeit gesichert ist (indem sie z. B. die operativen und finanziellen Verflechtungen reduziert und die Kapital- und Liquiditätsausstattung anpasst). Nur wenn sie nicht nachweisen kann, dass sie zweckmässig organisiert ist, könnte die FINMA strukturelle Massnahmen anordnen. Dies entspricht dem Subsidiaritätsprinzip und basiert auf dem Gedanken, dass funktionale Vorgaben die Betroffenen wesentlich weniger belasten als inhaltliche Vorgaben.
Mögliche Massnahmen
Nachfolgend werden einzelne strukturelle Massnahmen samt Vor- und Nachteilen diskutiert, welche die Komplexität der Banken, und teilweise auch die Risiken, reduzieren und die Durchführung einer Abwicklung erleichtern würden. Die Reihenfolge der diskutierten Massnahmen entspricht der Schwere des Eingriffs in die Struktur der Grossbank.
Die Massnahmen im Themengebiet werden aufgrund ihrer Interdependenzen auch als Gesamtheit analysiert. Entsprechend wird zum Schluss des Kapitels ein Fazit gezogen und ein konkreter Massnahmenmix vorgeschlagen.
Flache Organisationsstruktur
Eine flache Organisationsstruktur entspricht dem Verzicht auf eine zwischen Holding und Tochtergesellschaften geschaltete Parent-Bank. Damit wären alle Tochtergesellschaften (und allfällige Dienstleistungsgesellschaften) direkt der obersten Einheit (Gruppe bzw. Holding) angehängt. Die Umsetzung würde bedeuten, dass die bisher von der Parent-Bank gehaltenen Beteiligungen an den Tochtergesellschaften auf die Holding übertragen werden müssten.
Zweigniederlassungen würden den einzelnen Tochtergesellschaften angehängt. Eine flache Organisationsstruktur alleine schliesst nicht aus, dass die oberste Einheit neben ihrer Funktion als Holding gleichzeitig als Bank operiert. Für einen solchen Bankbetrieb braucht es weitere Vorgaben bezüglich der Bilanz der Gruppe (Clean Holding, vgl. Kap. 14.4.2).
Eine «Double Leverage» ist auch bei einer einfachen Holdingstruktur ohne Parent-Banken möglich, wenn die Holding Fremdkapital aufnimmt und es in Tochtergesellschaften als Eigenkapital investiert. Um eine «Double Leverage» zu verhindern, müsste eine flache Organisationsstruktur einer sogenannten Flat Holding mit einer Clean-Holding-Anforderung kombiniert werden. Falls die Holding als Verbindlichkeiten nur verlustabsorbierende Mittel halten kann, ist auch keine Fremdfinanzierung von Beteiligungen möglich. «Double Leverage» könnte auch verhindert werden, wenn Beteiligungen an Tochtergesellschaften vom Eigenkapital der Holding abgezogen werden müssen.
Aus Abwicklungssicht optimal wäre, wenn jede Tochtergesellschaft ein eigenes, unabhängiges Liquiditätsmanagement hätte und sich selber über den Markt finanzieren würde. Die gruppeninternen Verflechtungen wären dafür deutlich zu begrenzen oder nur besichert (bei der Liquidität) oder mit hohem Risikogewicht (bei den Beteiligungen) zuzulassen. Dies müsste durch eine entsprechende regulatorische Anforderung sichergestellt werden, da das zentrale Liquiditätsmanagement bei einer flachen Organisationsstruktur grundsätzlich auch auf Stufe Holding angesiedelt sein könnte. Die zentralen Dienstleistungen wie IT, Rechtsdienst oder Human Resources könnten entweder in den einzelnen Tochtergesellschaften erbracht oder in eine der Holding angehängte Dienstleistungsgesellschaft ausgelagert werden. Die UBS verfügt bereits über eine solche Gesellschaft (UBS Business Solutions AG), die Dienstleistungen für die ganze Gruppe erbringt. Zudem ist aufgrund lokaler Anforderungen an die US-Holding eine eigene Dienstleistungsgesellschaft (UBS Business Solutions US LLC) unter diese Holding angehängt (vgl. Abbildung 9).
Die Umstellung auf eine flache Holding würde die organisatorische Komplexität deutlich reduzieren und mehr Transparenz bezüglich der Kapital- und Liquiditätsausstattung schaffen. Allerdings wäre die Umstrukturierung mit substanziellen Kosten für die Bank verbunden und der mögliche Verzicht auf eine zentrale Tresorerie könnte das Liquiditätsmanagement innerhalb der Gruppe erschweren. Beispielsweise könnten deutlich höhere Fundingkosten resultieren, da sich die einzelnen Tochtergesellschaften individuell finanzieren und ein eigenes Investor-Relations-Team aufbauen müssten.
Clean Holding
Mit einer Clean Holding wird bezweckt, durch eine Vereinfachung der Bilanz der obersten Einheit einer Bankengruppe deren finanzielle Verflechtung mit Blick auf eine verbesserte Abwicklungsfähigkeit zu beschränken. In der Schweiz gibt es zurzeit keine Regelung betreffend Clean Holding. Die Holdings der Banken können neben verlustabsorbierenden Mitteln (TLAC) unbegrenzt viele Verbindlichkeiten im Rang der sog. «übrigen Forderungen» halten. Ende Juni 2019 hielten beide Grossbanken neben TLAC auch andere Verbindlichkeiten. ²98
Die Einführung einer Clean Holding-Anforderung würde mit Vorgaben einhergehen, welche Arten von Verbindlichkeiten Banken in der Bilanz der Gruppe halten dürfen. Eine Clean Holding nach diesen Vorgaben liegt dann vor, wenn sie keine oder nur wenige Verbindlichkeiten hält, die nicht als TLAC gelten («übrige Forderungen»). Das FSB TLAC Term Sheet ²99 unterscheidet in diesem Zusammenhang zwischen Verbindlichkeiten, die Gegenstand des TLAC sind ( «eligible liabilities» ), und solchen, die davon ausgeschlossen sind ( «excluded liabilities» ).
Abbildung 9
Vereinfachte Struktur der UBS nach Übernahme der Credit Suisse
[Bild bitte in Originalquelle ansehen]
Quelle: UBS
Bei einer Clean Holding hält die oberste Einheit im Einzelabschluss auf der Passivseite Eigenkapital, AT1-Instrumente und Bail-in-Bonds und auf der Aktivseite die Beteiligungen an den Tochtergesellschaften. Die Gruppe soll keine finanziellen Vereinbarungen eingehen, die ein Hindernis für eine Abwicklung darstellen. In den USA soll die Clean-Holding-Company-Anforderung verhindern, dass die Holdings der US-amerikanischen G-SIBs finanzielle Verpflichtungen eingehen, die ein Hindernis für eine Abwicklung darstellen würden. Entsprechend sollen diese G-SIBs keine kurzfristigen Verbindlichkeiten (inklusive Depositen) mit externen Inverstoren und Derivate oder andere Formen von Finanzverträgen mit externen Gegenparteien eingehen. 30⁰ Auch im UK gibt es eine Clean-Holding-Anforderung. 3⁰1
Nach dem geltenden Schweizer Recht gibt es eine Vorgabe, die sich auf die Struktur der Verbindlichkeiten der Bank bezieht (Art. 30 b Abs. 8 BankG). Sie sieht vor, dass - in Abweichung der sonst vorgesehenen Gläubigerhierarchie - Bail-in-Bonds in denselben Rang wie «übrige Forderungen» fallen, soweit die «übrigen Forderungen», die in denselben Rang fallen, 5 Prozent des Nominalwerts der gesamthaft anrechenbaren Bail-in-Bonds nicht übersteigen (siehe Kap. 13.1.4.6). Um eine Clean Holding zu erreichen, könnte daran anknüpfend gesetzlich verankert werden, dass die «übrigen Forderungen» nicht mehr als 5 Prozent des Nominalwerts der gesamten Verbindlichkeiten der Bank ausmachen dürfen. Damit wäre auch die Nachrangigkeit von Bail-in-Bonds gewährleistet, d. h., dass diese Instrumente vor den «übrigen Forderungen» Verluste absorbieren.
Die UBS Group AG würde eine solche Clean-Holding-Anforderung bereits heute erfüllen. Es gibt keine weiteren finanziellen Verflechtungen mit Drittparteien. Absicherungen werden über die UBS AG vorgenommen. Die übrigen Passivpositionen sind irrelevant.
Alternativ zu einer expliziten Anforderung könnte eine Clean Holding auch im Rahmen der Abwicklungsmassnahmen sichergestellt werden. Insbesondere der vorgeschlagene Abwicklungsplan für die Parent-Bank gemäss Kapitel 13.4.2 wäre dafür geeignet, die gruppeninternen Verflechtungen zu reduzieren und damit auch eine Clean Holding sicherzustellen.
²98 Bei der Credit Suisse betraf dies insbesondere ein Darlehen der Credit Suisse AG an die Credit Suisse Group AG, das hauptsächlich zur Finanzierung von Dividendenausschüttungen verwendet wurde (Volumen ca. CHF 3 Mrd.). Bei der UBS betrafen die übrigen Verbindlichkeiten Rückstellungen zur Auszahlung von aufgeschobenen Vergütungen an Angestellte (Volumen ca. CHF 2 Mrd.) und Darlehen der UBS AG an die UBS Group AG zur Finanzierung der UBS Business Solutions AG (Volumen ca. CHF 900 Mio.).
²99 FSB,
Principles on Loss-absorbing and Recapitalisation, Capacity of G-SIBs in Resolution
, Total Loss-absorbing Capacity (TLAC) Term Sheet, 9. Nov. 2015.
30⁰ Medienmitteilung des Board of Governors of the Federal Reserve System ,
Federal
Reserve Board adopts final rule to strengthen the ability of government authorities to resolve in orderly way largest domestic and foreign banks operating in the United State
s
, 15. Dez. 2016.
3⁰1 Bank of England,
The Bank of England’s approach to setting a minimum requirement for own funds and eligible liabilities (MREL)
, Juni 2018.
Trennbankensystem
Im Nachgang zur Übernahme der Credit Suisse durch die UBS wurden Motionen mit der Forderung nach einem Trennbankensystem eingereicht (Mo. 23.3478 «Ein Trennbankensystem für systemrelevante Banken» der Grünen Fraktion, Mo. 23.3449 «Keine Schweizer Too-big-to-fail Banken mehr» von SR Chiesa).
Das Ziel des Trennbankensystems besteht im Schutz systemrelevanter Funktionen (z. B. das Einlagen- und Kreditgeschäft) durch Abtrennung von riskanten Geschäftsfeldern (zumeist Handelsaktivitäten und das Wertpapiergeschäft). 3⁰2 Je nach Vorschlag kann die Abtrennung innerhalb einer Gruppe durch rechtliche und operative Vorkehrungen stattfinden, oder die Aktivität muss aus der Gruppe ausgelagert werden.
Die Schweizer G-SIBs haben im Rahmen ihrer Notfallplanung Schweizer Tochtergesellschaften gebildet, in die sie die systemrelevanten Funktionen ausgelagert haben. Damit wurde ein Trennbankensystem in der Schweiz zu einem gewissen Grad schon umgesetzt, nämlich im Sinne einer rechtlichen Trennung der Aktivitäten innerhalb der Gruppe. Allerdings werden die systemrelevanten Funktionen (in der Schweizer Tochtergesellschaft) und das Investment Banking (in der Parent-Bank und den ausländischen Tochtergesellschaften) immer noch unter dem gleichen Dach (Gruppe) geführt. Ein echtes Trennbankensystem würde weiter gehen und eine vollständige Herauslösung der Schweizer Tochtergesellschaften mit den systemrelevanten Funktionen und des Investment Banking aus der Gruppe verlangen. Zudem ging der Geschäftsumfang der Credit Suisse (Schweiz) AG deutlich über die systemrelevanten Funktionen hinaus. Dasselbe gilt auch für die UBS Switzerland AG. 3⁰3 Dies könnte die Umsetzung des Notfallplans gefährden, da dadurch die Schwierigkeit eines möglichen Verkaufs dieser Konzerneinheiten im Abwicklungsfall erhöht wird.
Ein konsequentes Trennbankensystem mit einer Herauslösung der systemrelevanten Funktionen aus der Gruppe stellt einen weitgehenden Eingriff in das gegenwärtige Geschäftsmodell der Bank dar. Ein Trennbankensystem könnte zwar systemrelevante Funktionen besser vor Verlusten in anderen Bereichen schützen und möglicherweise auch eine Abwicklung erleichtern, da Verflechtungen im Vergleich zu heute reduziert würden. Allerdings tragen Aktivitäten in verschiedenen Geschäftsbereichen zu einer besseren Diversifikation und damit zu tieferen Risiken bei.
Bei der Implementierung stellen sich zudem wesentliche Abgrenzungsfragen. Gerade bei Innovationen in einzelnen Geschäftsbereichen stellt sich die Frage, ob diese noch zum Kerngeschäft gehören oder abgetrennt werden müssten. Zudem müssen Verluste nicht immer aus dem Investment Banking stammen. Auch das internationale Wealth-Management- oder Asset-Management-Geschäft kann zu substanziellen Verlusten, Rechtsrisiken etc. führen.
Entsprechend kommt denn auch die Expertenkommission von 2010 3⁰4 zum Schluss, dass weitgehende strukturelle Massnahmen wie direkte Grössenbeschränkungen, eine Zerschlagung von Grossbanken sowie das Trennbankensystem unverhältnismässig und abzulehnen sind. In gleichem Sinn kann gemäss Gutachten Ammann et al. ein Trennbankensystem nicht das Mittel der ersten Wahl für die Lösung des TBTF-Problems sein. 3⁰5 Zum gleichen Schluss kommt auch die Expertengruppe «Bankenstabilität». 3⁰6
Als verhältnismässigere Lösung könnte bei der Schweizer Tochtergesellschaft eine strikte Begrenzung auf die systemrelevanten Funktionen verlangt werden. Zudem könnte gefordert werden, dass - wie im Fall der US-Tochtergesellschaft - der Schweizer Tochtergesellschaft eine eigene Dienstleistungsgesellschaft angehängt wird (Art. 61 Abs. 1 Bst. d BankV). So wäre sichergestellt, dass im Krisenfall der Zugriff auf die für die Weiterführung der systemrelevanten Funktionen erforderlichen Dienstleistungen und Ressourcen unabhängig von den übrigen Teilen der Bank gewährleistet ist.
3⁰2 Vgl. auch Ammann et al.,
Reformbedarf in der Regulierung von «
Too Big to Fail
»-Banken
, 19. Mai 2023, S. 32.
3⁰3 Die UBS Switzerland AG umfasst das gesamte Personal und Corporate Banking sowie das in der Schweiz verbuchte Wealth-Management-Geschäft.
3⁰4
Expertenkommission zur Limitierung von volkswirtschaftlichen Risiken durch Grossunternehmen
,
Schlussbericht
, 30. Sept. 2010.
3⁰5 Ammann et al.,
Reformbedarf in der Regulierung von «
Too Big to Fail
»-Banken
, 19. Mai 2023, S. 34.
3⁰6 Expertengruppe Bankenstabilität 2023,
Reformbedarf nach dem Untergang der Credit Suisse
, 1. Sept. 2023.
Grössenbeschränkung
Die Ursache der TBTF-Problematik lässt sich unmittelbar angehen, indem man die Grösse von Finanzinstituten beschränkt. 3⁰7 Denkbar wäre eine direkte Grössenbeschränkung, beispielsweise eine Limitierung des Marktanteils oder der Bilanzsumme (oder auch von Ausserbilanzgeschäften wie Derivaten) im Verhältnis zum BIP. Würde eine Bank über den entsprechenden Schwellenwerten liegen, müsste sie sich aufspalten oder andere organisatorische Massnahmen für ihre Verkleinerung ergreifen. Eine Grössenbeschränkung würde bedeuten, dass der Bank sowohl für internes Wachstum als auch für externes Wachstum durch Akquisitionen enge Grenzen gesetzt wären. Alternativ könnten indirekte Anreize zur Reduzierung der Grösse gesetzt werden, beispielsweise durch eine stärkere Progression (siehe Kap. 7.5.3) bei den TBTF-Eigenmittelanforderungen für grosse Banken.
Bei der Diskussion über Grössenbeschränkungen ist zu berücksichtigen, inwiefern Grösse Vorteile mit sich bringen kann. Dabei sind sowohl Grössenvorteile ( Economies of Scale ) als auch Verbundvorteile ( Economies of Scope ) denkbar. Effizienzgewinne aus Grössenvorteilen können etwa erzielt werden, weil die Informatikplattformen mit wenig Mehrkosten ausgebaut werden können. Allerdings haben die Grossbanken aufgrund ihrer internationalen Ausrichtung und des Lohnniveaus in den USA für die Investmentbank und das US-amerikanische Wealth Management auch eine höhere Kostenstruktur. Für die Schweizer Grossbanken scheint es keine empirische Evidenz für sogenannte Skaleneffekte - grössere Mengen können zu tieferen Durchschnittskosten produziert werden - zu geben. 3⁰8 Neben Grössenvorteilen könnten Grossbanken auch Verbundvorteile realisieren. Seitens der Banken wird argumentiert, dass das Angebot von Vermögensverwaltung und Investmentbanking (Wertpapierhandel und Emissionsgeschäft) unter einem Dach Vorteile bringt, um anspruchsvolle Kunden zu bedienen.
Grössenbeschränkungen als Massnahme könnten das TBTF-Problem einfach lösen und damit die Risiken für Bund und Steuerzahlende weitgehend reduzieren, insbesondere vor dem Hintergrund, dass es gemäss aktuellem Kenntnisstand keine empirische Evidenz für Skaleneffekte gibt. Allerdings würden dadurch Verbundvorteile gerade für Grosskunden entfallen, sofern die betroffenen Dienstleistungen nicht von kleineren Banken erbracht werden können. Auch würde die Massnahme einen massiven Eingriff in die Wirtschaftsfreiheit darstellen. Zudem ist nicht die Grösse einer Bank an sich, sondern das von ihr eingegangene Risiko entscheidend.
3⁰7 SNB,
Bericht zur Finanzstabilität 2009
, Aug. 2009, S. 10.
3⁰8 Blatter und Fuster,
Scale effects on efficiency and profitability in the Swiss banking sector
, Swiss Journal of Economics and Statistics 158, Nr. 12, 9 . Mai 2022.
Aufspaltung
Eine weitere Möglichkeit, um die Grösse zu reduzieren, wäre eine Aufspaltung der Bank in kleinere Einheiten. Dabei würde die Bank verpflichtet, einzelne Geschäftsteile zu veräussern. Zu denken wäre etwa an einen Verkauf des Investmentbanking an eine ausländische Bank oder von Teilen des Schweizer Geschäfts an inländische Banken. Konkret könnte die UBS verpflichtet werden, die Credit Suisse Schweiz AG zu verkaufen, statt diese zu integrieren. Eine Aufspaltung der Bank müsste konsequenterweise mit einem Trennbankensystem bzw. einer Limitierung des Marktanteils kombiniert werden. Zudem müssten sämtliche wesentlichen Geschäftsbeziehungen unterbunden werden, um einen faktischen Beistandszwang eines wichtigen Geschäftspartners zu vermeiden. Andernfalls könnte die Bank durch internes Wachstum oder Akquisitionen die Wirkung der Aufspaltung unterlaufen.
Eine Aufspaltung der UBS würde das TBTF-Problem entschärfen, aber nicht lösen, ausser die Aufspaltungsanforderung ginge sehr weit. Bei einer Abspaltung der früheren Credit Suisse Schweiz AG wäre lediglich der Zustand vor der Übernahme der Credit Suisse durch die UBS wiederhergestellt. Die UBS wäre immer noch eine G-SIB. Dasselbe gilt für eine Abspaltung des Investmentbanking.
Fazit und vorgeschlagener Massnahmenmix im Bereich der strukturellen Massnahmen
Strukturelle Massnahmen können das TBTF-Problem effektiv angehen, z. B. durch eine Grössenbeschränkung von Banken. Allerdings sind strukturelle Massnahmen nur limitiert zielgerichtet, da ihre Anwendung nicht auf den Kern des Problems beschränkt ist. So ist beispielsweise nicht alleine die Grösse einer Bank aus TBTF-Perspektive problematisch, sondern auch deren Risikoappetit, die Verflechtung mit anderen Instituten etc. Auch strukturelle Einschränkungen des Geschäftsmodells (z. B. durch die Einführung eines Trennbankensystems, die Abspaltung von Geschäftsbereichen etc.) setzen nicht direkt bei den bankinternen finanziellen und operativen Verflechtungen an, welche die Abwicklungsfähigkeit der Bank gefährden können und damit das eigentliche Problem darstellen.
Ein weiterer negativer Aspekt von strukturellen Massnahmen ist die Tatsache, dass damit besonders stark in die Wirtschaftsfreiheit eingegriffen wird, indem der Staat die möglichen Geschäftsmodelle einschränkt. Strukturelle Massnahmen sind mit hohen Kosten verbunden, da eine effiziente Ausgestaltung der Geschäftsmodelle beschränkt wird.
In diesem Kapitel wurde aufgezeigt, dass die gleichen Ziele mit effizienteren und verhältnismässigeren Massnahmen erreicht werden können. Dafür geeignete Massnahmen sind beispielsweise erhöhte Eigenmittelunterlegung von ausländischen Beteiligungen (vgl. Kap. 7.5.1) oder die gesetzliche Verankerung eines Abwicklungsplans für die Parent-Banken (vgl. Kap. 13.4.2). Damit kann die Abwicklungsfähigkeit auch ohne einschneidende strukturelle Massnahmen wesentlich verbessert werden.
Gelingt dies nicht, könnten strukturelle Massnahmen subsidiär zur Anwendung kommen, indem die FINMA diese nur anordnen kann, falls beispielsweise ein von der Bank zu erstellender Parent-Bank-Abwicklungsplan den Anforderungen nicht genügt. Ein Beispiel einer solchen strukturellen Massnahme wäre etwa die Anforderung, dass die Investmentbank vom Rest der Gruppe abgetrennt werden müsste. Es ist primär Aufgabe der Bank, sich so zu organisieren, dass die Abwicklungsfähigkeit gesichert ist, indem sie z. B. die operativen und finanziellen Verflechtungen reduziert und die Kapital- und Liquiditätsausstattung anpasst. Dies entspricht dem Subsidiaritätsprinzip und basiert auf dem Gedanken, dass funktionale Vorgaben die Betroffenen wesentlich weniger belasten als inhaltliche Vorgaben.
Entsprechend schlägt der Bundesrat keine direkten strukturellen Massnahmen zur Umsetzung vor.
Corporate Governance
Einleitung
Der Fall der Credit Suisse und weiterer öffentlich bekannter Vorfälle hat gezeigt, dass Mängel in der Corporate Governance (d. h. in der guten Unternehmensführung) von Finanzinstituten schwerwiegende Folgen zeitigen können. 3⁰9 Fragen der Corporate Governance sind somit nicht nur ein zentrales Thema für die Finanzinstitute und deren Eigentümer, sondern auch für die Finanzmarktaufsichtsbehörden.
So hat denn auch die FINMA schon weit vor den Ereignissen rund um die Credit Suisse im Jahr 2023 in ihrem Jahresbericht 2019 31⁰ die Corporate Governance als Schwerpunktthema gewählt. Der Bundesrat genehmigte am 18. November 2020 die FINMA-Ziele 2021-2024, wobei das dritte Ziel die Förderung einer verantwortungsvollen Corporate Governance der Finanzinstitute betrifft. 31¹ Die FINMA informiert seither regelmässig in ihren Jahresberichten über ihre Aufsichtstätigkeit im Bereich der Corporate Governance. 3¹2
Die oberste Verantwortung für die Corporate Governance der Finanzinstitute liegt bei den Organen für die Oberleitung, Aufsicht und Kontrolle und für die operative Geschäftsführung. 3¹3 Entsprechend kommt den einzelnen Personen der obersten Führungsebenen eines Finanzinstituts eine besondere Verantwortung für die Unternehmenskultur und die Corporate Governance zu. Das Handeln oder Nicht-Handeln der Finanzmarktkader (z. B. zur Beseitigung von Missständen in der Organisation) kann dem Finanzinstitut selbst, dem Finanzplatz Schweiz oder der Volkswirtschaft grossen Schaden zufügen. Dies gilt insbesondere für systemrelevante Banken.
Nachfolgend wird der bestehende Rechtsrahmen betreffend die Corporate Governance von Banken analysiert sowie ein möglicher Anpassungsbedarf der heute geltenden regulatorischen Regeln mit direkter Wirkung auf die Corporate Governance diskutiert. Damit soll auch das Anliegen des Postulats 21.3893 «Schlanke Werkzeuge, um höchste Finanzmarktkader besser in die Pflicht zu nehmen» aufgenommen und aufgezeigt werden, welche Anpassungen der FINMA-Werkzeuge nötig wären, um Anreize zu stärkerer individueller Verantwortungsübernahme der höchsten Kader der Finanzinstitute zu schaffen und um die individuellen Verantwortlichkeiten der Führungsorgane zuzuordnen.
Die bestehenden Bestimmungen zur Verantwortlichkeit von Führungspersonen in der aktuellen Schweizer Rechtsordnung werden in einem Exkurs in Kapitel 15.2.5 dargelegt.
Aufgrund des breiten Themenfelds wird die Analyse in diesem Kapitel in folgende drei Bereiche 3¹4 gegliedert, die vor dem Hintergrund der Krise der Credit Suisse, im Hinblick auf eine Stärkung des TBTF-Dispositivs sowie angesichts eingereichter parlamentarischer Vorstösse besonders relevant sind:
-
Corporate Governance allgemein;
-
individuelle Verantwortlichkeit;
-
Vergütungen.
Die Analyse und Überprüfung der FINMA-Instrumente im Bereich der Corporate Governance ist insbesondere für SIBs relevant. Allfällige Massnahmen können jedoch grundsätzlich auch weitere Banken sowie weitere Finanzinstitute betreffen, soweit dies aufgrund bestehender Risiken oder aus Gründen der Gleichbehandlung angezeigt erscheint.
3⁰9 Die FINMA verortete zum Beispiel bei der Credit Suisse Mängel im Risikomanagement und in der Betriebsorganisation im Zusammenhang mit den Fällen Greensill und Archegos (vgl. Medienmitteilung der FINMA,
FINMA schliesst «
Greensill
»-Verfahren gegen Credit Suisse ab
, 28. Febr. 2023; Medienmitteilung der FINMA,
Archegos: FINMA schliesst Verfahren gegen Credit Suisse ab
, 24. Juli 2023
).
31⁰ FINMA,
Jahresbericht 2019
, 2 . April 2020.
31¹ Medienmitteilung der FINMA:
Strategische Ziele 2021 bis 2024
,
18 . Nov. 2020.
3¹2 FINMA,
Jahresbericht 2020
, 25 . März 2021; FINMA,
Jahresbericht 2021
, 5 . April 2022; FINMA,
Jahresbericht 2022
, 27 . März 2023.
3¹3 Die Bezeichnung der Organe von Finanzinstituten ist in den diversen Finanzmarktgesetzten uneinheitlich. So unterscheiden das BankG und das VAG die Organe für die «Geschäftsführung» und die «Oberleitung, Aufsicht und Kontrolle». In diesem Bericht werden die Begriffe «Oberleitungsorgan» sowie «Geschäftsführungsorgan» synonym zu den Begriffen «Verwaltungsrat» bzw. «Geschäftsleitung» verwendet, die streng genommen nur Organe bei Aktiengesellschaften bezeichnen, aber als Begriffe geläufig sind.
3¹4 In Kap. 16 werden Aufsichtsinstrumente wie eine Bussenkompetenz der FINMA oder eine vermehrte Information der Öffentlichkeit durch die FINMA, die auch Wirkung auf die Corporate Governance eines Instituts entfalten können, behandelt.
Corporate-Governance-Anforderungen im Finanzmarktrecht
Ausgangslage
Zielsetzung der Corporate-Governance-Anforderungen
Anforderungen an die Corporate Governance von Finanzinstituten bezwecken, dass die Beaufsichtigten Grundsätze und Strukturen entwickeln, aufrechterhalten und weiterentwickeln, die eine angemessene Steuerung und Kontrolle ihrer Tätigkeit durch die Organe sicherstellen. Anders als im Aktienrecht (siehe Kap. 15.2.5) wird im Finanzmarktrecht rechtsformunabhängig i. d. R. eine funktionelle und personelle Trennung der strategischen Kontrolle von der operativen Führung und somit ein dualistisches System verlangt.
Entsprechend kommt dem Verwaltungsrat bzw. Oberleitungsorgan bei Finanzinstituten u. a. die oberste Organisationsverantwortung und somit die Verantwortung für die grundsätzliche Ausgestaltung des Risikomanagements und der internen Kontrolle zu, während das Organ für die Geschäftsführung u. a. für die operative Risikosteuerung und die Ausgestaltung des internen Kontrollsystems zuständig ist. Das Risikomanagement und die interne Kontrolle bilden bei Finanzinstituten zentrale Pfeiler der Corporate Governance. Ihre Ausgestaltung und die Kultur, wie ihnen auf allen Hierarchiestufen nachgelebt wird, sind für die Erfüllung der aufsichtsrechtlichen Anforderungen (insb. der Bewilligungsvoraussetzungen) entscheidend.
Heutige Corporate-Governance-Normen
Das Schweizer Finanzmarktrecht kennt keine generellen Corporate-Governance-Normen. Es finden sich allerdings in diversen Finanzmarkterlassen zahlreiche Bestimmungen, die Teilaspekte der Corporate Governance regulieren. Die jüngsten und ausführlichsten Bestimmungen sind diejenigen des Finanzdienstleistungsgesetzes vom 15. Juni 2018 3¹5 (FIDLEG) und des Finanzinstitutsgesetzes vom 15. Juni 2018 3¹6 (FINIG) sowie deren Ausführungsbestimmungen. Die Bestimmungen des BankG und der BankV gehören dagegen zu den ältesten und sind in Bezug auf die Normstufen unterschiedlich angesiedelt. So sind auf Wertpapierhäuser, die dem FINIG unterstehen, andere und ausführlichere Regeln anwendbar als auf SIBs, die dem BankG unterstehen.
Das FINIG legt auf Gesetzesstufe die Mindestanforderungen an die Organisation von Finanzinstituten fest (Art. 9 Abs. 1 FINIG), verpflichtet die Finanzinstitute zu Risikomanagement und -kontrolle (Abs. 2) und gibt dem Bundesrat die Kompetenz, auf Verordnungsstufe weitergehende Anforderungen an die Organisation festzulegen. Die Anforderungen an das Risikomanagement von Banken hingegen sind auf Verordnungsstufe geregelt (Art. 12 Abs. 2 BankV). Die Anforderungen an das Risikomanagement von Versicherungsunternehmen wiederum sind auf Gesetzesstufe in Artikel 22 VAG geregelt.
3¹5
SR
950.1
3¹6
SR
954.1
Rolle der Aufsicht in Bezug auf die Corporate Governance
Es ist in erster Linie an den Instituten selber, sich eine mit Blick auf ihre Geschäftstätigkeit angemessene Corporate Governance zu geben, die den geltenden rechtlichen Anforderungen entspricht. Die Rolle des Verwaltungsrats und insbesondere des Präsidenten oder der Präsidentin des Verwaltungsrats ist zentral bei der Umsetzung und Einhaltung einer auf unternehmerischen Erfolg ausgerichteten Strategie und der entsprechenden Corporate Governance des Unternehmens.
Die Überwachung der Corporate Governance ist dabei eine wichtige Aufgabe der Aufsicht u. a. im Bewilligungsprozess. Diese Aufgabe schliesst z. B. die Einschätzung darüber ein, ob der Verwaltungsrat richtig zusammengesetzt ist, ob dessen Mitglieder über das nötige Fachwissen verfügen, ob der Verwaltungsrat die Geschäftsleitung angemessen kontrollieren, das Risikoprofil des Instituts überwachen und die Strategie steuern kann. Weitere Beispiele sind, ob das Vergütungssystem die richtigen Anreize setzt und inwiefern die Risikokontrolle und die interne Revision unabhängig und mit den nötigen Kompetenzen ausgestattet sind. Falls die Aufsicht zum Schluss kommt, dass sich in diesem Bereich Mängel ergeben, muss sie die nötigen Massnahmen beim Beaufsichtigten veranlassen und diese durchsetzen. 3¹7
3¹7 BCBS,
Report on the 2023 banking turmoil
, Okt. 2023, S. 19.
Rundschreiben der FINMA
Das FINMA-Rundschreiben Corporate Governance Banken (RS 2017/1) stellt die kodifizierte FINMA-Praxis zur Corporate Governance betreffend das BankG 3¹8 dar.
Es erläutert die grundlegenden Aufgaben und Verantwortlichkeiten des Oberleitungsorgans, der Geschäftsleitung, des internen Kontrollsystems und der internen Revision. Für einzelne Funktionsträger wird nichts präzisiert.
Das Rundschreiben steht - wie auch jenes im Versicherungsbereich (RS 2017/2) - regelmässig in der Kritik der Branche 3¹9 und vereinzelt der Wissenschaft 32⁰ . So wird geltend gemacht, die Rundschreiben überführten aktienrechtliche Regelungen ins Aufsichtsrecht oder stipulierten gar dem Aktienrecht widersprechende Regelungen (z. B. Leitsätze zur Unternehmenskultur, Zusammensetzung des Oberleitungsorgans, Evaluationspflicht oder Grundsätze der Mandatsführung bzw. Anzahl Verwaltungsratsmitglieder oder Unabhängigkeitsbestimmungen) und verfügten über keine ausreichenden gesetzlichen Grundlagen.
3¹8 Art. 3 Abs. 2 Bst. a und c, 3 b -3 f , 4quinquies und 6 BankG.
3¹9 FINMA,
Bericht der FINMA über die Anhörung vom 1. März 2016 bis 13. April 2016 zu den Entwürfen der Rundschreiben
, 22. Sept. 2016, S. 6; FINMA ,
Bericht der FINMA über die Anhörung vom 31. Mai bis 12. Juli 2016 betreffend diverse Rundschreiben zur Versicherungsaufsicht
, 7. Dez. 2016, S. 22-24; Nagel, Der persönliche und sachliche Geltungsbereich des schweizerischen Geldwäschereigesetzes (GwG), mit rechtsvergleichenden Hinweisen zu internationalen Standards, dem Recht der Europäischen Union und dem deutschen Recht , Diss. Bern 2019, Zürich 2020, Rz. 82.
32⁰ Kunz, FINMA-Regulierung(en): Macht des Faktischen versus Rechtsstaatlichkeit , Jusletter vom 7. Mai 2028, S. 38-39.
Internationaler Vergleich
Auf internationaler Ebene gibt es von den Standardsettern wie FSB oder BCBS Leitlinien mit Prinzipien dazu, wie die Corporate Governance gestärkt und Fehlverhalten von Instituten und Individuen verhindert werden kann. Einzelne Regulatoren haben zudem Bestimmungen, Empfehlungen oder Leitlinien zur Corporate Governance herausgegeben. Im Folgenden sind diese aufgeführt.
Financial Stability Board
Das FSB hat 2018 für Unternehmen und Aufsichtsbehörden das Toolkit Strengthening Governance Frameworks to Mitigate Misconduct Risk veröffentlicht. 32¹ Neben dem Verhängen von Bussen und Sanktionen, die in der Regel gegen das Finanzinstitut und nicht gegen Einzelpersonen gerichtet sind, erachtet es das FSB als sinnvoll, durch gestärkte Vorgaben an die Governance Fehlverhalten ex ante zu vermeiden.
Dabei wird die Wichtigkeit der Unternehmenskultur hervorgehoben. Dazu müsse die oberste Führung eine Änderung bei der Haltung und beim Verhalten herbeiführen. Das FSB verortet die Kontrolle der entsprechenden Faktoren der Corporate Governance bei der Aufsichtsbehörde. Im Weiteren müssten die Unternehmen auch für eine verstärkte individuelle Zuständigkeit und Verantwortung sorgen, was wiederum durch die Aufsichtsbehörde zu überwachen sei.
Zudem möchte das FSB auch verhindern, dass fehlbare Individuen in der Folge in einem anderen Unternehmen oder einer anderen Abteilung des gleichen Unternehmens wiederum ein Fehlverhalten begehen (Phänomen der « rolling bad apples» ). Dies könne durch vertiefte Prüfung (« fit & proper» ) sowohl durch das Unternehmen als auch durch die Aufsichtsbehörde vor der Einstellung und auch später während der Anstellung erreicht werden.
Im Übrigen bezeichnet das FSB die Corporate-Governance-Prinzipien der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) 32² als Schlüsselstandard für solide Finanzsysteme. 3²3
32¹ FSB,
Strengthening Governance Frameworks to Mitigate Misconduct Risk: A Toolkit for Firms and Supervisors
, 20. April 2018.
32² OECD,
G20/OECD Principles of Corporate Governance
, 11. Sept. 2023.
3²3 FSB,
Key Attributes of Effective Resolution Regimes for Financial Institutions
, 15. Okt. 2014.
Basler Ausschuss für Bankenaufsicht
Das BCBS hat 2015 Leitlinien zur Corporate Governance von Banken herausgegeben. 3²4 Nach Ansicht des BCBS ist eine wirkungsvolle Corporate Governance entscheidend für das reibungslose Funktionieren des Bankensektors und der Wirtschaft als Ganzes. Schwächen in der Corporate Governance - insbesondere bei systemisch bedeutsamen Banken - können die Finanzstabilität gefährden. Die im Dokument des BCBS aufgeführten Prinzipien richten sich zunächst an den Verwaltungsrat von Banken, der die oberste Verantwortung für die Corporate Governance, die Risikokultur und die Unternehmenskultur trägt. Weiter misst das BCBS dem Risikomanagement und der internen Revision eine zentrale Rolle zu und streicht u. a. die Bedeutung einer Vergütungspraxis heraus, die die Corporate Governance und das Risikomanagement fördert. Zudem sollen gemäss BCBS die Aufsichtsbehörden die Corporate Governance der Banken überwachen und wo nötig korrigierend eingreifen.
3²4 BIZ,
Corporate governance principles for banks
, 8. Juli 2015.
Vereinigtes Königreich
Die Prudential Regulation Authority (PRA) führt in einem für die von ihr überwachten Institute geltenden Dokument diejenigen Verantwortlichkeiten des Oberleitungsorgans auf, die für sie in Bezug auf die Corporate Governance von besonderer Bedeutung sind. 3²5 Unter anderem obliegt dem Oberleitungsorgan die Verantwortlichkeit für die «Kultur» des Risikobewusstseins und eines ethischen Verhaltens im ganzen Unternehmen. Die PRA streicht dabei den « Tone from the Top » in Bezug auf die Unternehmenskultur heraus.
Beachtenswert im UK ist zudem die Initiative «Women in Finance Charter» , die durch das britische Finanzministerium (HM Treasury) im Jahr 2016 lanciert wurde. 3²6 Mit der freiwilligen Unterzeichnung der Charta verpflichten sich Finanzinstitute, ein ausgewogenes Geschlechterverhältnis auf allen hierarchischen Ebenen anzustreben mit dem Ziel, die Unternehmenskultur zu fördern. Die Financial Conduct Authority (FCA) und die PRA haben zudem 2023 die Finanzindustrie zu einem Regulierungsvorhaben in Bezug auf «Diversity & Inclusion» konsultiert. 3²7 Die Behörden gehen davon aus, dass die Verschiedenartigkeit (Diversity) von Teams und ihre Einbindung (Inclusion) in die betriebsinternen Abläufe die Unternehmensführung positiv beeinflussen.
3²5 Bank of England,
Corporate governance: Board responsibilities
, Supervisory Statement 5/16
,
31 . März 2016.
3²6 HM Treasury und Baroness Penn,
Women in Finance Charter
, 22. März 2016.
3²7 FCA,
The FCA and PRA propose measures to boost diversity and inclusion in financial services
, 25. Sept. 2023.
Europäische Union
Die Europäische Bankenaufsichtsbehörde (EBA) hat verbindliche Richtlinien zur internen Governance erlassen, 3²8 die grundsätzlich für alle der Eigenkapitalrichtlinie der EU 3²9 unterstellten Institute gelten. Die EU hat nach der Finanzkrise 2007/08 erkannt, dass eine klare Corporate Governance zentral ist für den Erfolg der Institute, korrektes Verhalten der Individuen und das gute Funktionieren des Bankensystems als Ganzes. Insbesondere streicht sie die Bedeutung von klaren Zuständigkeiten der Leitungsorgane, von deren Überwachung und des Vorhandenseins einer Risikokultur heraus.
3²8 Medienmitteilung der EBA,
EBA publishes its final Guidelines on internal governance
, 2. Juli 2021.
3²9
Richtlinie 2013/36/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 über den Zugang zur Tätigkeit von Kreditinstituten und die Beaufsichtigung von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen,
ABl. L 176 vom 27.6.2013, S. 338.
Beurteilung
Die Anforderungen des Finanzmarkrechts an die Corporate Governance von Finanzinstituten sind in der Schweiz über die Finanzsektoren hinweg uneinheitlich in den jeweiligen Erlassen normiert. Angesichts der hohen Bedeutung der Corporate Governance gerade im Fall von SIBs sind nach Ansicht des Bundesrates sowohl die rechtlichen Grundlagen der FINMA-Rundschreiben als auch ihr Inhalt unter Berücksichtigung der internationalen Standards zu stärken. Insofern ergibt sich im Bereich der Normierung der Corporate-Governance-Anforderungen ein Konkretisierungsbedarf, der die Aufsichtstätigkeit der FINMA unterstützt.
Die FINMA gibt in ihrem Bericht zu den Lessons Learned aus der Krise der Credit Suisse an, bei der Credit Suisse in den Jahren vor der Krise auf der Ebene der allgemeinen Corporate Governance Mängel festgestellt zu haben. Die Verantwortlichkeiten seien nicht klar definiert und die Verantwortung sei durch das Management häufig nicht eingefordert. Eine defizitäre Führungskultur und ein über längere Zeit zu schwacher « Tone from the Top » hätten zu einer schlechten Risikokultur geführt, die auch von Defiziten im Bereich Interessenkonflikte sowie von Fällen der Intransparenz gegenüber der FINMA geprägt gewesen sei.
Den Organen der Credit Suisse gelang es über die Jahre nicht, die wiederholt von der FINMA festgestellten und der Bank mitgeteilten Missstände in der Bankorganisation nachhaltig zu beheben. Es ist davon auszugehen, dass konkretere Anforderungen an die Corporate Governance, die auch die Ansatzpunkte für die Aufsicht definieren, im Fall Credit Suisse die FINMA in ihrer Tätigkeit und in ihrer Wirkung auf die Bank unterstützt hätten.
Mögliche Massnahme
Eine mögliche Massnahme besteht darin, die Normen zu den Anforderungen an die Corporate Governance gesetzlich zu verankern und zu schärfen.
Dabei muss ggf. die bestehende Aufsichtspraxis der FINMA (festgehalten in den beiden oben erwähnten Rundschreiben) punktuell auf höhere Normstufen gehoben werden.
Mit diesen Anpassungen erhalten die Anforderungen an die Corporate Governance von Banken einen zeitgemässen Normierungsrahmen, der die Anforderungen stufengerecht und unter Berücksichtigung der internationalen Standards definiert und die Aufsicht darüber klärt.
Konkretere Regeln wären insbesondere zu folgenden Themen denkbar: Unabhängigkeitserfordernisse für Mitglieder des Oberleitungsorgans; Verantwortlichkeiten für die Etablierung einer nachhaltigen Unternehmenskultur; Informationspflichten des Verwaltungsrats (z. B. über die grössten in der Unternehmung vorhandenen Risiken); Verantwortlichkeit der Kontrollfunktionen gegenüber Geschäftsführungs- und Oberleitungsorgan; Übertritt eines Mitglieds der Geschäftsleitung in den Verwaltungsrat; Rolle des Verwaltungsratspräsidiums; Vorhandensein von ausreichendem Fachwissen und Wissen über die Schweiz im Verwaltungsrat).
Exkurs:
Verantwortlichkeit der Führungsorgane in der aktuellen Schweizer Rechtsordnung
Einleitung
Der Exkurs legt dar, welche Bestimmungen zur Verantwortlichkeit von Führungspersonen in den verschiedenen Gebieten des Schweizer Rechts bestehen. Die nachfolgenden Ausführungen berühren verschiedene Themen, die in diversen parlamentarischen Vorstössen aufgeworfen wurden. 33⁰ Diese fordern unter anderem eine rechtliche Auslegeordnung dazu, wie frühere oder aktuelle Führungsorgane der Credit Suisse zur Verantwortung gezogen werden können.
Die Beurteilung konkreter Verantwortlichkeiten im Fall Credit Suisse ist Sache der zuständigen Gerichte und Aufsichtsbehörden. Nachfolgend werden jedoch im Sinne der geforderten Auslegeordnung abstrakt die Grundlagen für allfällige Verantwortlichkeiten dargelegt, ohne zu prüfen, ob diese im Einzelfall zur Anwendung kommen.
33⁰
Postulat 23.3439
,
Postulat 23.3441
(Buchstabe f des Texts),
Postulat 23.3442
(Buchstabe f des Texts).
Aktienrecht
Gesetzliche Eckwerte der Corporate Governance und so auch der Verantwortlichkeiten der Organe für die Oberleitung und die Geschäftsführung und ihrer Zuständigkeiten in Bezug auf die Aufsicht, Kontrolle und Compliance der Geschäftsbesorgung finden sich im Gesellschaftsrecht, insbesondere im Aktienrecht, und richten sich nicht an Finanzinstitute im Spezifischen, sondern allgemein an Kapitalgesellschaften.
Die Verbesserung der Corporate Governance war unter anderem ein Hauptziel der am 1. Januar 2023 in Kraft getretenen Aktienrechtsreform. 33¹
Gemäss Artikel 717 Absatz 1 des Obligationenrechts (OR)
33²
haben die Mitglieder des Verwaltungsrats sowie Dritte, die mit der Geschäftsführung befasst sind, ihre Aufgaben mit aller Sorgfalt zu erfüllen und die Interessen der Gesellschaft in guten Treuen zu wahren. Diese gesetzlich normierte Treuepflicht verlangt, dass die Mitglieder des Verwaltungsrats ihr Verhalten am Gesellschaftsinteresse ausrichten. Das Verhalten eines Verwaltungsratsmitglieds wird dabei mit demjenigen verglichen, das billigerweise von einer abstrakt vorgestellten, ordnungsgemäss handelnden Person in einer vergleichbaren Situation erwartet werden kann.
Die Sorgfalt richtet sich nach dem Recht, dem Wissensstand und den Massstäben im Zeitpunkt der fraglichen Handlung oder Unterlassung. Bei der Beurteilung von Sorgfaltspflichtverletzungen hat mithin eine Ex-ante-Betrachtung stattzufinden. Das Bundesgericht anerkennt mit der herrschenden Lehre, dass die Gerichte sich bei der nachträglichen Beurteilung von Geschäftsentscheiden Zurückhaltung aufzuerlegen haben, die in einem einwandfreien, auf einer angemessenen Informationsbasis beruhenden und von Interessenkonflikten freien Entscheidprozess zustande gekommen sind (sog.
Business Judgement Rule
)
33³ .
Die Organisationsstruktur der Aktiengesellschaft wird klar definiert, indem der Generalversammlung und dem Verwaltungsrat bestimmte unübertragbare Kernkompetenzen zugeteilt werden. So stehen der Generalversammlung der Aktionäre als oberstem Organ der Gesellschaft unter anderem die unübertragbaren Befugnisse zu, die Statuten festzusetzen und abzuändern, die Mitglieder des Verwaltungsrats und der Revisionsstelle zu wählen, den Lagebericht und die Konzernrechnung zu genehmigen, sowie über die Verwendung des Bilanzgewinnes zu entscheiden. 3³4 Dem Verwaltungsrat kommen alle Kompetenzen zu, die nicht nach Gesetz oder Statuten der Generalversammlung zugeteilt sind. 3³5
Des Weiteren obliegen dem Verwaltungsrat eine Reihe von unübertragbaren und unentziehbaren Aufgaben, insbesondere die oberste Organisations- und Finanzverantwortung sowie die Aufsicht über das Management im Hinblick auf die Befolgung der Gesetze, Statuten, Reglemente und Weisungen. 3³6 Bei börsenkotierten Gesellschaften fällt auch die Erstellung des Vergütungsberichts in den Kompetenzbereich des Verwaltungsrats. 3³7 Grundsätzlich ist der Verwaltungsrat für die Geschäftsführung zuständig, unter Vorbehalt der unentziehbaren und unübertragbaren Führungsaufgaben kann er diese jedoch im Rahmen eines Organisationsreglements an ein separates Geschäftsführungsorgan übertragen. 3³8
Zu beachten ist, dass das OR in seinen Schlussbestimmungen explizit einen allgemeinen Vorbehalt zugunsten des Bankengesetzes vorsieht. Namentlich verlangt das Finanzmarktrecht i. d. R. eine dualistisch ausgestaltete Organisationsstruktur, während nach OR eine monistische Zentralisierung allein beim VR zulässig wäre. Auch unter einer dualistischen Organisation nach dem Finanzmarktrecht gelten die allgemeinen Bestimmungen des Aktienrechts grundsätzlich auch für als Aktiengesellschaften organisierte Finanzinstitute.
Ergänzt werden die erwähnten Corporate-Governance-Bestimmungen des Aktienrechts durch allgemeine Handlungsmaximen. Letztendlich umfasst die in Artikel 717 Absatz 1 OR verankerte Sorgfalts- und Treuepflicht des Verwaltungsrats und der Geschäftsleitung auch die Pflicht, die «Grundsätze einer zeitgemässen und auf die konkreten Verhältnisse angepassten Corporate Governance umzusetzen». 3³9
Eine mangelhafte Erfüllung gemäss der zugewiesenen Aufgaben kann unter anderem mit der aktienrechtlichen Organhaftung sanktioniert werden. 34⁰ Kommt der Verwaltungsrat oder die Geschäftsführung Pflichten nicht oder nur unzulänglich nach und erleiden die Gesellschaft oder Dritte dadurch einen Schaden, so sind deren Mitglieder nach Artikel 754 OR persönlich für den erlittenen Schaden verantwortlich, sofern der Schaden kausal mit der Pflichtverletzung zusammenhängt und auf ein Verschulden der Mitglieder des Verwaltungsrats oder der Geschäftsleitung zurückzuführen ist. Eine mögliche Pflichtverletzung in diesem Zusammenhang besteht beispielsweise in einer fehlenden oder mangelnden Unternehmensorganisation mit der Folge einer unsorgfältigen Geschäftsführung. Neben der Gesellschaft sind nach Artikel 756 Absatz 1 OR auch die einzelnen Aktionäre berechtigt, den der Gesellschaft verursachten Schaden einzuklagen. Der Anspruch des Aktionärs geht auf Leistung an die Gesellschaft. 34¹
Personen, die weder Aktionärs- noch Gläubigerstellung haben, sind nach geltendem Recht nicht berechtigt, eine aktienrechtliche Verantwortlichkeitsklage gegen Organpersonen anzuheben. Im Fall der Credit Suisse bedeutet dies, dass beispielsweise die Eidgenossenschaft keine Verantwortlichkeitsklagen gegen Verwaltungsräte bzw. Verwaltungsrätinnen sowie gegen Mitglieder der Geschäftsleitung der Credit Suisse erheben kann. Selbst in Fällen, in denen eine Klage erhoben werden kann, ist es denkbar, dass ökonomische Gründe gegen die Erhebung solcher Klagen und das Eingehen langjähriger Prozessrisiken sprechen. Die Erfolgswahrscheinlichkeiten solcher Klagen ausserhalb eines Konkurses der Gesellschaft dürften erfahrungsgemäss in den meisten Fällen unter 50 Prozent liegen und Verantwortlichkeitsprozesse können sich über Jahre und über mehrere Instanzen hinziehen. Selbst professionelle und institutionelle Anleger dürften im Kontext der Rahmenbedingungen solche Klagen nur in Ausnahmefällen führen.
Ausgeschlossen ist eine Verantwortlichkeitsklage im Grundsatz, wenn die Gesellschaft durch Beschluss der Generalversammlung die Décharge erteilt hat. Dieser Entlastungsbeschluss der Generalversammlung wirkt indessen gemäss Artikel 758 Absatz 1 OR nur für bekanntgegebene Tatsachen und nur gegenüber der Gesellschaft
sowie gegenüber den Aktionären, die dem Beschluss zugestimmt oder die Aktien seither in Kenntnis des Beschlusses erworben haben. Das Klagerecht der übrigen Aktionäre erlischt gemäss Artikel 758 Absatz 2 OR zwölf Monate nach dem Entlastungsbeschluss.
33¹
BBl
2017
399
33²
SR
220
33³ BGE 139 III 24 E. 3.2, mit Hinweisen.
3³4 Art. 698 OR.
3³5 Art. 716 Abs. 1 OR.
3³6 Art. 716 a Abs. 1 OR.
3³7 Art. 716 a Abs. 1 Ziff. 8 OR.
3³8 Art. 716 Abs. 2 OR; Art. 716 b OR.
3³9 Bühler, Corporate Governance und ihre Regulierung in der Schweiz , ZGR 41/2012, S. 231.
34⁰ Mängel in der Organisation der Gesellschaft können auch weitere privatrechtliche Folgen nach sich ziehen, vgl. Art. 731 b Abs. 1bis OR.
34¹ Eine analoge Klagemöglichkeit besteht im Konkurs nach Art. 757 Abs. 2 OR unter gewissen Bedingungen auch für die Gesellschaftsgläubigerschaft.
Strafrecht
Organisationsmängel der Unternehmen können auch strafrechtliche Folgen nach sich ziehen. So werden etwa Verwaltungsräte strafrechtlich zur Verantwortung gezogen, wenn sie selbst ein Delikt begehen (sog. Täterprinzip). 34² Darüber hinaus kann eine natürliche Person als Gesellschaftsorgan auch für Delikte, die im Geschäftsbereich der Gesellschaft begangen werden, strafbar sein, und zwar jedenfalls dann, wenn die entsprechende natürliche Person als «oberster Leiter» erscheint und sie von den Delikten in ihrem Unternehmen weiss, jedoch nichts dagegen unternimmt (Geschäftsherrenhaftung; vgl. Art. 11 des Strafgesetzbuchs 34³ , StGB, sowie Art. 6 Abs. 2 des Bundesgesetzes vom 22. März 1974 ³44 über das Verwaltungsstrafrecht, VStrR). ³45 Gegebenenfalls liegt - parallel zum Tätigkeitsdelikt des Untergebenen, Beauftragten oder Vertreters - ein Unterlassungsdelikt des Geschäftsherrn vor. ³46 Der passive Vorgesetzte macht sich nach denselben Strafbestimmungen strafbar wie die ihm weisungsunterworfene Person. ³47 Unter den Begriff des «Geschäftsherrn» fallen in diesem Zusammenhang insbesondere Verwaltungsräte einer Aktiengesellschaft, aber auch die durch den Verwaltungsrat eingesetzte Geschäftsleitung und faktische Organe. ³48
Aufgrund der Vorschrift von Artikel 29 StGB zur Organ- und Vertreterhaftung, die auf alle Sonderdelikte des Strafgesetzbuches sowie nach Artikel 333 Absatz 1 StGB auch auf das gesamte Nebenstrafrecht des Bundes anwendbar ist, können sich delinquierende Organe, Organmitglieder, Gesellschafter, Mitarbeitende mit selbstständigen Entscheidungsbefugnissen in ihrem Tätigkeitsbereich eines Unternehmens und «tatsächliche Leiter» ihrer strafrechtlichen Verantwortlichkeit nicht mit dem Argument entziehen, ein verlangtes Tätermerkmal sei nur bei der Gesellschaft gegeben. Dies ist insbesondere relevant bei den an die Schuldnereigenschaft des Täters anknüpfenden Konkurs- und Betreibungsdelikten (vgl. etwa Art. 163 Ziff. 1 StGB, Art. 164 Ziff. 1 StGB und Art. 165 Ziff. 1 StGB). ³49
Die erwähnten natürlichen Personen - insbesondere Verwaltungsräte - können prinzipiell alle Tatbestände des Strafgesetzbuches und des Nebenstrafrechts (insbesondere des Verwaltungsstrafrechts des Bundes) erfüllen. 35⁰ Im Zusammenhang mit Mängeln in der Corporate Governance relevant sein können dabei namentlich Vermögensdelikte (vgl. Art. 137 ff. StGB), beispielsweise die Tatbestände der Veruntreuung (Art. 138 StGB) und der ungetreuen Geschäftsbesorgung (Art. 158 StGB). Denkbar ist aber auch das Vorliegen eines Betruges (Art. 146 StGB), etwa wenn eine Person die Stellung des Verwaltungsratsmitgliedes - ohne über das dafür notwendige Fachwissen zu verfügen - mittels arglistiger Irreführung erlangt hat, um sich in dieser Stellung zu bereichern. 35¹ Mängel in der Corporate Governance können sich aber auch in Konkurs- und Betreibungsdelikten (vgl. Art. 163 ff. StGB) wie einer Gläubigerschädigung durch Vermögensminderung (Art. 164 StGB) oder Misswirtschaft (Art. 165 StGB) niederschlagen.
Bezeichnenderweise bejaht denn auch das Bundesgericht eine arge Nachlässigkeit in der Berufsausübung im Sinne des Tatbestandes der Misswirtschaft, wenn gesetzliche Bestimmungen der Unternehmensführung missachtet werden, insbesondere in Form der Vernachlässigung der Rechnungslegung oder durch Verletzung der Pflicht des Verwaltungsrats einer Aktiengesellschaft, im Fall der Überschuldung das Gericht zu benachrichtigen. 35² Es versteht sich im Übrigen von selbst, dass Mängel in der Corporate Governance das Feld für Delikte des Rechnungslegungsstrafrechts (z. B. der Unterlassung der Buchführung nach Art. 166 StGB und der ordnungswidrigen Führung der Geschäftsbücher nach Art. 325 StGB) und für weitere Delikte (namentlich des gemeinen Strafrechts) bereiten können.
Gemäss Artikel 154 Absatz 1 StGB (in Kraft seit dem 1. Januar 2023) können Mitglieder des Verwaltungsrats oder der Geschäftsleitung von Gesellschaften, deren Aktien an einer Börse kotiert sind, mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren und Geldstrafe bestraft werden, wenn sie unzulässige Vergütungen nach Artikel 735 c Ziffern 1, 5 und 6 OR ausgerichtet oder bezogen haben.
Das Finanzmarktstrafrecht umfasst sodann verschiedene (Verwaltungs-)Straftatbestände, die (u. a.) sicherstellen, dass die FINMA im Rahmen ihrer laufenden Aufsicht die Einhaltung der Anforderungen an eine angemessene Corporate Governance sowie an die Gewähr der Organe überwachen kann. Zentral sind hier die Straftatbestände im FINMAG, das ein Rahmen- und Dachgesetz für die übrigen Finanzmarktgesetze bildet: 35³
-
So wird gemäss Artikel 45 Absatz 1 FINMAG mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft, wer vorsätzlich der FINMA falsche Auskünfte erteilt. (Gleiches gilt bei der vorsätzlichen Erteilung von Falschauskünften an eine Prüfgesellschaft, eine Selbstregulierungsorganisation, eine Beauftragte oder einen Beauftragten.) Wer fahrlässig handelt, wird mit Busse bis zu 250 000 Franken bestraft (Art. 45 Abs. 2 FINMAG). Zentrales Schutzobjekt der Strafnorm von Artikel 45 FINMAG ist die ungestörte Aufsichtstätigkeit, wobei der Grundsatz der Vollständigkeit gilt und der Behörde u. a. sämtliche Auskünfte zu erteilen sind und Unterlagen eingereicht werden müssen, die diese zur Erfüllung ihrer Aufgaben benötigt. ³54 Artikel 45 FINMAG kommt in der Praxis häufig zur Anwendung, wenn Organe und (potenzielle) Gewährsträger von Beaufsichtigten falsche Auskünfte erteilen und damit beispielsweise die ordnungsgemässe Durchführung der Gewährsprüfung mindestens abstrakt gefährden. ³55
-
Mindestens indirekt relevant werden können die Straftatbestände von Artikel 47 FINMAG (Prüfung der Jahresrechnung) ³56 und Artikel 48 FINMAG (Missachten von Verfügungen).
Nebst den erwähnten Strafnormen des FINMAG tragen auch weitere Verwaltungsstraftatbestände dazu bei, dass die FINMA die für die laufende Überwachung der Einhaltung der Anforderungen an eine angemessene Corporate Governance sowie an die Gewähr der Organe erforderlichen Informationen erhält, wie beispielsweise:
-
Artikel 49 Absatz 1 Buchstabe b BankG sieht im Bereich des Bankengesetzes für das vorsätzliche Nichterstatten von vorgeschriebenen Meldungen an die FINMA eine Busse bis 500 000 Franken vor; die fahrlässige Tatbegehung wird mit Busse bis zu 150 000 Franken bestraft (Art 49 Abs. 2 BankG). Die entsprechende Strafbestimmung bezweckt u. a. die Durchsetzung der Meldepflichten von Artikel 3 Absätze 5 und 6 BankG. Diese Meldepflichten sollen der FINMA die Grundlagen für die Prüfung liefern, ob gewährleistet ist, dass sich der Einfluss einer qualifiziert an einer Bank beteiligten natürlichen oder juristischen Person nicht zum Schaden einer umsichtigen und soliden Geschäftstätigkeit auswirkt. ³57
-
Wer vorsätzlich die nach Artikel 11 und Artikel 15 FINIG vorgeschriebenen Meldungen an die FINMA - d. h. namentlich für die Gewährprüfung zentrale Meldungen qualifizierter Beteiligungen an einem Finanzinstitut (vgl. Art. 11 Abs. 5 und 6 FINIG) - nicht, falsch oder zu spät erstattet, wird mit Busse bis zu 500 000 Franken bestraft (Art. 70 Bst. b FINIG).
Im Strafrecht gilt zwar der Grundsatz, dass eine juristische Person keine Straftat begehen kann (« societas delinquere non potest »). Verschiedene Bestimmungen statuieren indessen eine Ausnahme von diesem Prinzip:
-
So begründet Artikel 102 Absatz 1 StGB im Bereich des gemeinen Strafrechts eine subsidiäre strafrechtliche Verantwortlichkeit des Unternehmens. Unternehmen können mit Busse bis zu 5 Millionen Franken bestraft werden, wenn in Ausübung geschäftlicher Verrichtungen im Rahmen des Unternehmenszwecks ein Verbrechen oder Vergehen begangen wurde und diese Tat wegen mangelhafter Organisation des Unternehmens keiner bestimmten natürlichen Person zugerechnet werden kann. ³58 Für bestimmte Delikte ³59 sieht Artikel 102 Absatz 2 StGB sodann eine konkurrierende Strafbarkeit vor, d. h., das Unternehmen wird unabhängig von der Strafbarkeit natürlicher Personen bestraft, wenn ihm vorzuwerfen ist, nicht alle erforderlichen und zumutbaren organisatorischen Vorkehren getroffen zu haben, «um eine solche Straftat zu verhindern». Ob es sich bei Artikel 102 StGB um einen eigenständigen Straftatbestand, um eine blosse Zurechnungsnorm oder um eine neue Schuldform oder Sonderform der Teilnahme handelt, ist in der Doktrin umstritten. 36⁰ Die Rechtsprechung des Bundesgerichts zu diesem Punkt ist nicht restlos klar. 36¹
-
Artikel 7 VStrR statuiert im Bereich des Verwaltungsstrafrechts des Bundes eine strafrechtliche Verantwortlichkeit von Unternehmen (unter Verzicht auf eine Strafverfolgung der handelnden natürlichen Person), die an die Voraussetzung geknüpft ist, dass die Ermittlung der gemäss Artikel 6 VStrR strafbaren natürlichen Personen mit Blick auf die verwirkte Strafe unverhältnismässige Untersuchungsmassnahmen bedingen würde. Gegebenenfalls ist gemäss dieser Bestimmung eine stellvertretende Unternehmensbusse von höchstens 5000 Franken möglich.
-
Im Bereich des FINMAG und der übrigen Finanzmarktgesetze i. S. v. Artikel 1 Absatz 1 FINMAG geht Artikel 49 FINMAG der genannten Vorschrift von Artikel 7 VStrR vor. 36² Gemäss Artikel 49 FINMAG kann von der Ermittlung der strafbaren Personen Umgang genommen und an ihrer Stelle der Geschäftsbetrieb zur Bezahlung der Busse verurteilt werden, wenn die Ermittlung der nach Artikel 6 VStrR strafbaren Personen Untersuchungsmassnahmen bedingt, die im Hinblick auf die verwirkte Strafe unverhältnismässig wären, und für die Widerhandlungen gegen die Strafbestimmungen des FINMAG oder der Finanzmarktgesetze eine Busse von höchstens 50 000 Franken in Betracht fällt.
34² Im Bereich des Verwaltungsstrafrechts ist das Täterprinzip in Art. 6 Abs. 1 VStrR statuiert. Diese Bestimmung führt aber lediglich aus, was nach allgemeinen strafrechtlichen Grundsätzen ohnehin gilt (vgl. Eicker , § 12 Wirtschaftsstrafrecht im Lichte allgemeinen Verwaltungsstrafrechts , in: Ackermann (Hrsg.), Wirtschaftsstrafrecht der Schweiz , 2. Aufl. 2021, S. 291 ff., S. 296 Fn. 32.
34³
SR
311.0
³44
SR
313.0
³45 BGE 96 IV 155 E. II.4b, 176; Niggli und Maeder, § 8 Unternehmensstrafrecht , in: Ackermann (Hrsg.), Wirtschaftsstrafrecht der Schweiz, 2. Aufl. 2021, S. 195 ff., S. 201 N 11 und 13 .
³46 Hauri, Verwaltungsstrafrecht , Bern 1998, Art. 6 N 7.
³47 Eicker et al., Verwaltungsstrafrecht und Verwaltungsstrafverfahrensrecht , Bern 2012, S. 51 f.; zum Ganzen vgl. Urteil des BStGer SK.2016.3 vom 12. Okt. 2017 E. 5.1.1.2.
³48 Ackermann, § 4 Tatbestandsmässigkeit , in: ders. (Hrsg.), Wirtschaftsstrafrecht der Schweiz, 2. Aufl. 2021., S. 107 ff., S. 145 N 93.
³49 Ackermann, § 4 Tatbestandsmässigkeit , in: ders. (Hrsg.), Wirtschaftsstrafrecht der Schweiz, 2. Aufl. 2021, S. 107 ff., S. 123 N 41.
35⁰ Vgl. auch Meier-Gubser, Der Treuhänder als Verwaltungsra t, TREX 4/17, Ziff. 5.2.
35¹ Vest, § 13 Allgemeine Vermögensdelikte , in: Ackermann (Hrsg.), Wirtschaftsstrafrecht der Schweiz, 2. Aufl. 2021., S. 313 ff., S. 408 N 378.
35² Vgl. Urteil des BGer 6B_1047/2015 vom 28. April 2016 E. 4.3.
35³ Vgl. Maeder, § 18 Rechnungslegungsstrafrecht , in: Ackermann (Hrsg.), Wirtschaftsstrafrecht der Schweiz, 2. Aufl. 2021, S. 609 ff., S. 649 N 188.
³54 Vgl. Urteil des Bundesstrafgerichts SK.2017.22 vom 14. Juni 2018 E. 4.2 f.
³55 Vgl. zum Charakter als abstraktes Gefährdungsdelikt Schwob und Wohlers, Basler Kommentar FINMAG/FinfraG, 3. Aufl., Basel 2019, Art. 45 FINMAG N 2.
³56 Gemäss Art. 47 Abs. 1 Bst. a FINMAG wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft, wer vorsätzlich die nach den Finanzmarktgesetzen vorgeschriebene Jahresrechnung nicht durch eine zugelassene Prüfgesellschaft prüfen oder eine von der FINMA oder einer Aufsichtsorganisation angeordnete Prüfung nicht vornehmen lässt. Gleichermassen bestraft wird, wer die Pflichten, die ihm oder ihr gegenüber der Prüfgesellschaft oder gegenüber der oder dem Beauftragten obliegen, nicht erfüllt (Art. 47 Abs. 1 Bst. b FINMAG). Die fahrlässige Tatbegehung wird mit Busse bis zu 250 000 Franken bestraft.
³57 Vgl. Art. 3 Abs. 2 Bst. cbis BankG sowie Kleiner und Schwob, in: Bodmer et al. (Hrsg.), Kommentar zum Bundesgesetz über die Banken und Sparkassen , Zürich 2015, Art. 3 BankG N 267.
³58 Fischer, Organisation und Haftung im Aktienrecht, AJP 2020, S. 284 ff.
³59 Art. 260ter StGB (Kriminelle Organisation), Art. 260quinquies StGB (Finanzierung des Terrorismus), Art. 305bis StGB (Geldwäscherei), Art. 322ter StGB (Bestechung schweizerischer Amtsträger), Art. 322quinquies StGB (Vorteilsgewährung), Art. 322septies Abs. 1 StGB (Bestechung fremder Amtsträger) und Art. 322octies StGB (Privatbestechung).
36⁰ Vgl. ausführlich Cassani, Droit pénal économique , Basel 2020, S. 116 ff.; Niggli und Maeder, § 8 Unternehmensstrafrecht, in: Ackermann (Hrsg.), Wirtschaftsstrafrecht der Schweiz, 2. Aufl. 2021, S. 203 ff. N. 19 ff.
36¹ Vgl. Niggli und Maeder, § 8 Unternehmensstrafrecht, in: Ackermann (Hrsg.), Wirtschaftsstrafrecht der Schweiz, 2. Aufl. 2021, S. 206 N 27, wonach BGE 146 IV 68 E. 2.3 im Widerspruch zu BGE 142 IV 333 E. 4.1 steht.
36² Vgl. ferner die Spezialbestimmung von Art. 24 Abs. 3bis NBG, die sich inhaltlich mit Art. 49 FINMAG deckt.
Öffentliches Recht
Der Fokus der finanzmarktrechtlichen Bestimmungen zur Corporate Governance liegt bei der Aufsicht über die Institute. Verschiedene der FINMA zur Verfügung stehende Instrumente ermöglichen der FINMA aber auch, Massnahmen gegenüber Mitarbeitenden zu treffen. Führungsorgane der Institute können in diesem Rahmen auch
öffentlich-rechtlich
zur Verantwortung gezogen werden. Auf die Instrumente dieser individuellen Verantwortlichkeit wird im Einzelnen weiter unten in Kapitel 15.4 eingegangen.
Selbstregulierung
In Corporate-Governance-Belangen spielt die Selbstregulierung traditionell eine tragende Rolle, wobei zwischen staatlich gesteuerter und freier Selbstregulierung unterschieden wird.
Staatlich gesteuerte Selbstregulierung
Konkretisierungen von Corporate-Governance-Anforderungen auf Ebene der staatlich gesteuerten Selbstregulierung ergeben sich in erster Linie aus einer Börsenkotierung. Das Finanzmarktinfrastrukturgesetz vom 19. Juni 2015 36³ (FinfraG) verpflichtet die Börsen dazu, die Zulassung von Effekten zum Handel zu regeln, wobei internationalen Standards Rechnung zu tragen ist. ³64 Gestützt auf diese Kompetenz hat z. B. die SIX Swiss Exchange die Richtlinie Corporate Governance (RLCG) veröffentlicht. ³65 An der SIX Swiss Exchange kotierte Emittenten sind dazu verpflichtet, in einem eigenen Kapitel des Geschäftsberichts Informationen zur Corporate Governance zu veröffentlichen. Für sämtliche Angaben gilt der Comply-or-Explain -Grundsatz, wonach Emittenten, die von der Offenlegung absehen, in ihrem Corporate-Governance-Bericht auf diesen Umstand hinweisen und eine entsprechende Begründung angeben müssen. ³66
Freie Selbstregulierung
Auf Ebene der freien Selbstregulierung erlässt der Wirtschaftsdachverband Economiesuisse seit 2002 den Swiss Code of Best Practice for Corporate Governance, der im Februar 2023 grundlegend überarbeitet wurde . ³67 Die darin enthaltenen Empfehlungen und Leitlinien umfassen unter anderem die Themen Risikomanagement, Compliance, Finanzüberwachung und Vergütungen von Verwaltungsrat und Geschäftsleitung. Der Swiss Code ist rechtlich unverbindlich, im Markt jedoch breit anerkannt. Über die Jahre hat sich der Swiss Code zu einem wichtigen Referenzwerk der Corporate Governance für Unternehmen in der Schweiz etabliert.
36³
SR
958.1
³64 Art. 35 Abs. 1 und 2 FinfraG.
³65
Richtlinie betr. Informationen zur Corporate Governance (RLCG)
, 29. Juni 2022.
³66 Art. 7 RLCG.
³67 Economiesuisse,
Swiss Code of Best Practice for Corporate Governance
, 6. Febr. 2023.
Individuelle Verantwortlichkeit
Ausgangslage
Das FINMAG enthält diverse Instrumente, die auch auf natürliche Personen wirken. Der Fokus der FINMA als Aufsichtsbehörde liegt aber gemäss Artikel 3 Buchstabe a FINMAG auf der Institutsaufsicht, w
obei dies z. T. auch Einzelunternehmen sein können
. In Durchbrechung des Grundsatzes der Institutsaufsicht kann die FINMA aber auch gegenüber den Mitarbeitenden der Finanzinstitute, die eine schwere Verletzung aufsichtsrechtlicher Bestimmungen bewirkt haben, eine Massnahme verfügen.
³68
Massnahmen gegen natürliche Personen haben seit 2014 in der Praxis an Bedeutung gewonnen, da die FINMA gestützt auf die revidierten Leitlinien zum Enforcement seither offiziell mehr Gewicht auf das Vorgehen gegenüber natürlichen Personen legt, die Aufsichtsrecht mutmasslich schwer verletzt haben.
³69
Einzelne FINMA-Instrumente sind direkt auf natürliche Personen gerichtet (vgl. auch Kap. 16.4): das Berufsverbot (Art. 33 FINMAG) und das Tätigkeitsverbot (Art. 33
a
FINMAG). Auch die Einziehung (Art. 35 FINMAG) und die Feststellungsverfügung (Art. 32 FINMAG), allenfalls kombiniert mit einer Veröffentlichung der Verfügung unter Angabe von Personendaten (Art. 34 FINMAG), können direkt eine natürliche Person betreffen. Die Gewährsprüfung und letztlich der Gewährsentzug wirken ebenfalls direkt auf die natürliche Person.
Die Existenz der Massnahmen und die glaubwürdige Drohung von deren Einsatz durch die FINMA entfalten eine präventive Wirkung, indem sie den potenziell von ihnen betroffenen Personen Anreize setzen, in ihrem Verantwortungsbereich Fehlverhalten zu vermeiden. Das heisst, diese Massnahmen stellen heute schon eine individuelle Verantwortlichkeit her.
In der Aufsichtspraxis gestaltet es sich jedoch insbesondere bei grossen Instituten als schwierig, Individuen die Regelverletzung nachzuweisen (z. B. die schwere Aufsichtsrechtsverletzung oder die schwere Verletzung institutsinterner Regeln), die eine Voraussetzung für die Anwendung der auf Individuen ausgerichteten Sanktionsinstrumente der FINMA ist. Ein Individuum muss die Regelverletzung kausal und schuldhaft bewirkt haben.
Die verbesserte Zuordnung individueller Verantwortlichkeit zu den höchsten Verantwortlichen in einem von der FINMA beaufsichtigten Institut wurde in der Vergangenheit verschiedentlich gefordert. Zu erwähnen ist hier das Postulat Andrey «Schlanke Werkzeuge, um höchste Finanzmarktkader besser in die Pflicht zu nehmen». 37⁰ Im Nachgang zur Übernahme der Credit Suisse durch die UBS bekräftigen diverse parlamentarische Vorstösse diese Forderung. 37¹ Ebenfalls hat die FINMA die verbesserte Zuordnung der individuellen Verantwortlichkeit mittels eines Verantwortlichkeitsregimes 37² gefordert. 37³
³68 Schweizer Bundesgericht,
2C_929/2017
, 23 . April 2018, E. 2.1.
³69 Medienmitteilung der FINMA,
Neue Leitlinien zu Enforcement und Kommunikation
, 25. Sept. 2014.
37⁰
Postulat 21.3893
.
37¹
Motion 23.4336
;
Motion 23.3462
;
Interpellation 23.3417
.
37² Der hier verwendete Begriff des «Verantwortlichkeitsregimes» lehnt sich an Vorbilder in anderen Rechtsordnungen an. Zu nennen ist hier das Senior Managers and Certification Regime (SM&CR) oder verkürzt Senior Managers Regime (SMR) des UK, das in Irland neu einzuführende Individual Accountability Framework oder das Managers-in-Charge -Regime in Hongkong.
37³ Vgl. z. B. FINMA,
FINMA-Mediengespräch: Referat von Marlene Amstad
, 5. April 2023; FINMA,
Bericht der FINMA zu den Lessons Learned aus der CS-Krise
, 19. Dez. 2023.
Internationaler Vergleich
Auf internationaler Ebene wurden seit der Finanzkrise 2007/08 in einzelnen Jurisdiktionen Ansätze entwickelt, um Individuen, die für einen Missstand in einem Finanzunternehmen (allen voran bei Banken) direkt verantwortlich sind, vermehrt zur Verantwortung zu ziehen.
Eine Vorreiterrolle nimmt dabei das Regime im UK ein, da dieses vergleichsweise frühzeitig eingeführt wurde und umfassend in Bezug auf die von ihm erfassten Arten von Instituten und Individuen ist. Weitere solche Regime existieren in Hongkong und Singapur. In Irland wurde 2023 ein neues Regime eingeführt. Die USA und der Single Supervisory Mechanism ( SSM ) der EU verfügen über kein für sich stehendes Regime zur Herstellung der individuellen Verantwortlichkeit.
Ansätze in anderen Jurisdiktionen
Im Folgenden werden unterschiedliche Merkmale der internationalen Ansätze im Bereich individuelle Verantwortlichkeit dargestellt. ³74
-
Zulassung der obersten Führungskräfte durch die Aufsichtsbehörde: Die Zulassung erfolgt mittels Überprüfung der Eignung (Fitness) und Integrität ( Properness oder Propriety ). Diese Überprüfung erfolgt stets initial bei der Ernennung eines Individuums für eine Position und teilweise laufend, d. h. in einem wiederkehrenden Überprüfungsprozess entweder durch die Institute selber oder durch die Aufsichtsbehörde.
-
Geltungsbereich in Bezug auf die Individuen: Die verschiedenen Ansätze nehmen unterschiedliche Arten von Positionen in einem Institut in ihren Geltungsbereich. Grob zu unterscheiden sind folgende Positionen:
-
Mitglieder des Verwaltungsrats: Einzelne Regime unterscheiden für die Anwendung des Verantwortlichkeitsregimes danach, ob die Mitglieder des Verwaltungsrats unabhängig sind (Non-executive Directors) , mit dem Institut verbunden sind ( Executive Directors) oder als unabhängige Mitglieder Leitungsfunktionen im Verwaltungsrat (das heisst im Präsidium oder Vorsitz von Ausschüssen) wahrnehmen. Das heisst, die beobachteten Verantwortlichkeitsregime gelten nicht immer für alle Mitglieder des Verwaltungsrats.
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Mitglieder der Geschäftsleitung und weitere Positionen der obersten Führungsebene: Die beobachteten Verantwortlichkeitsregime schliessen nicht grundsätzlich sämtliche Mitglieder der Geschäftsleitung ein. Vielmehr definieren sie gewisse Rollen als vom jeweiligen Regime erfasst unabhängig davon, ob die betroffene Person Einsitz in der Geschäftsleitung hat oder nicht. So erfasst das Senior Managers Regime des UK u. a. die Rollen des Chief Executive Officers , des Chief Finance Officers , des Chief Risk Officers , des Chief Operations Officers oder des Chief Compliance Officers . Ähnliches gilt für Irland, Hongkong und Singapur. Speziell erwähnenswert ist, dass die Regime in der Regel die Rolle der Leiterin bzw. des Leiters der internen Revision erfassen. Diese ist definitionsgemäss weder im Verwaltungsrat noch in der Geschäftsleitung angesiedelt.
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Weitere Positionen unterhalb der obersten Führungsebene: Die Regime im UK und in Irland sehen vor, dass auch Personen unterhalb der obersten Führungsebene, die über weiterreichende Entscheidungsbefugnisse verfügen oder das Institut erheblichen Risiken ( Material Risk Takers ) aussetzen können, über eine Zertifizierung verfügen müssen. In diesem Fall erfolgt diese aber nicht über eine Zulassung der Aufsichtsbehörde, sondern über einen institutsinternen Beurteilungsprozess.
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Zuweisung der individuellen Verantwortlichkeiten der obersten Führungskräfte: Ein zentrales Element bei allen Ansätzen ist die Zuweisung der Verantwortlichkeiten in einem regulatorisch verankerten Verantwortlichkeitsdokument (z. B. Statement of Responsibilities im UK und in Irland). Einige Jurisdiktionen geben Verantwortlichkeiten in einem Institut vor, die es zwingenderweise einer Person zuweisen muss (UK und Irland).
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Dokumentation der Governance-Regeln des Instituts: Die untersuchten Jurisdiktionen verlangen, dass die Institute dokumentieren, welche Governance-Regeln bei ihnen gelten (Darstellung in sog. Management Responsibilities Maps ). Unter diesen Regeln ist z. B. zu verstehen, welche direkten oder indirekten Berichtslinien ( Reporting Lines ) bestehen oder welche Verantwortlichkeitsbereiche im Institut insgesamt gelten.
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Zuweisung der Verantwortlichkeit an ein Individuum: Ein weiteres zentrales Element in einem Verantwortlichkeitsregime ist die Definition, wie weit die Verantwortlichkeit eines Individuums geht. Das UK verfügt in seinem Regelwerk über Verhaltensregeln ( Conduct Rules ) , wonach ein Senior Manager alle vernünftigerweise von ihm erwartbaren Schritte unternehmen muss, damit die Geschäfte in seinem Verantwortungsbereich einer angemessenen Kontrolle unterliegen und den regulatorischen Anforderungen genügen ( Reasonable Steps Criterion ). ³75 Irlands Verantwortlichkeitsregime verfügt über analoge Normen.
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Geltungsbereich in Bezug auf die Arten von Instituten: Die Verantwortlichkeitsregime in den untersuchten Jurisdiktionen gelten grundsätzlich für sämtliche Firmen, die von der jeweiligen Aufsichtsbehörde prudenziell überwacht werden. Das heisst, die Regime gelten für Banken, Versicherungen, Wertpapierhäuser usw. In der Regel sehen die Vorschriften eine gewisse Proportionalität vor, indem sie kleinere und risikoärmere Institute weniger strikten Regeln als grössere und risikoreichere unterwerfen. Keine Jurisdiktion wendet den Geltungsbereich nur auf SIBs an.
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Vergütungsregeln in Verantwortlichkeitsregimen: Die Regeln für die Ausrichtung von Vergütungen (insbesondere von variablen Vergütungsbestandteilen), deren Aberkennung oder Rückforderung werden in den untersuchten Jurisdiktionen ausserhalb der eigentlichen Verantwortlichkeitsregime geführt, sind aber eng mit ihnen verzahnt. Diese Regeln dienen dazu, dass die dem Regime unterworfenen Individuen, die gegen geltende Regeln verstossen haben, direkte finanzielle Konsequenzen spüren. Diese stellen für die höchsten Führungsleute einen starken Anreiz dar, Fehlverhalten in ihrem Verantwortungsbereich zu vermeiden.
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Durchsetzung von Aufsichtsrecht in Verantwortlichkeitsregimen: Falls Aufsichtsrecht verletzt wird, stehen den Aufsichtsbehörden in den untersuchten Jurisdiktionen diverse Instrumente zur Sanktionierung von Fehlverhalten zur Verfügung. Die Drohung der Sanktion ist ein wichtiges Mittel zur Abschreckung gegen individuelles Fehlverhalten und führt den einzelnen Personen die Bedeutung ihrer Verantwortung vor Augen.
Die EU verfügt über kein regulatorisch vorgegebenes Verantwortlichkeitsregime. Allerdings greifen diverse Erlasse die oben beschriebenen Elemente auf. Erwähnenswert ist hier die Beurteilung der fachlichen Qualifikation und persönlichen Zuverlässigkeit ( Fit and Proper Assessments ) der Mitglieder der Leitungsorgane durch die EZB, die sie bei Neubewilligungen und bei Mutationen in den Leitungsorganen vornimmt. ³76 Auf Stufe der Mitgliedstaaten hat Irland ein Verantwortlichkeitsregime eingeführt. Deutschland verfügt über kein Verantwortlichkeitsregime, kennt aber Regeln, die es der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) erlauben, gegen Institute oder Individuen vorzugehen, die Aufsichtsrecht verletzt haben.
Die USA haben im Nachgang zur Finanzkrise auf die Einführung eines Verantwortlichkeitsregimes verzichtet. Entscheidend dafür war, dass die zuständigen US-Behörden auf Bundes- und gliedstaatlicher Ebene schon über weitreichende Kompetenzen verfügten, gegen Individuen auf allen Hierarchiestufen eines Instituts bei Hinweisen auf Fehlverhalten direkt vorzugehen.
Im UK, das über das am weitesten entwickelte Verantwortlichkeitsregime verfügt, herrscht die Meinung vor, dass es zu wesentlichen Verhaltensänderungen in die richtige Richtung geführt hat.
³74 Für eine ausführlichere Darstellung vgl. auch das Gutachten PA Consulting, insb. S. 20-31.
³75 Vgl. z. B. Bank of England,
Strengthening individual accountability in banking
, Supervisory Statement SS28/15, Dez. 2021, S. 36 f.
³76 EZB Bankenaufsicht,
Beurteilung der fachlichen Qualifikation und persönlichen Zuverlässigkeit
, Webseite.
Leitfaden des Financial Stability Board
Das FSB hat 2018 einen Leitfaden ( Toolkit ) zur Stärkung des Governance-Rahmens zur Minderung des Risikos von Fehlverhalten veröffentlicht. ³77 Er richtet sich an die Finanzinstitute und Aufsichtsbehörde und verlangt u. a., dass die Firmen die Zuordnung individueller Verantwortlichkeiten verbessern und die Aufsichtsbehörden diese durchsetzen.
Das FSB führte 2023 in der Schweiz einen sog. Peer-Review durch , in dem es den Schweizer TBTF-Ansatz untersuchte und Empfehlungen abgab. Eine Empfehlung beinhaltete die Einführung eines Verantwortlichkeitsregimes. ³78
³77 FSB,
Strengthening Governance Frameworks to Mitigate Misconduct Risk: A Toolkit for Firms and Supervisors
, 20. April 2018.
³78 FSB,
Peer Review of Switzerland
, 29 Febr. 2024.
Beurteilung
Die Forderung nach einer verbesserten Zuordnung der individuellen Verantwortlichkeit bestand bereits vor der Krise der Credit Suisse, wurde durch die Erkenntnisse aus dieser Krise jedoch nochmals erhärtet. Auf der Ebene der individuellen Verantwortlichkeit stellte die FINMA in ihrem Bericht klare Mängel fest. Insbesondere in Bezug auf die Sicherstellung einer angemessenen Risiko- und Unternehmenskultur durch die Mitglieder des Verwaltungsrats und die Geschäftsleitung ortete die FINMA Handlungsbedarf.
Die in einem Unternehmen herrschende Kultur wird in besonderem Masse von den Personen auf der höchsten Führungsebene geprägt. Diese Personen trifft somit namentlich im Fall von SIBs - und insbesondere von G-SIBs - eine besondere Verantwortung nicht nur gegenüber ihrer Bank und deren Anspruchsgruppen, sondern auch gegenüber der Schweizer Volkswirtschaft und der Eidgenossenschaft.
Die Verbesserung der individuellen Verantwortlichkeit ist somit eine nachvollziehbare Forderung. Während heute schon Instrumente der FINMA bestehen, die auf Individuen wirken und punktuell erweitert werden könnten (vgl. Kap. 16.4), besteht in der Schweiz bislang kein Aufsichtsinstrument in Form eines Verantwortlichkeitsregimes.
Ein solches Regime könnte einen wesentlichen Beitrag zur Stärkung des TBTF-Dispositivs sowie generell zur Stabilität und Integrität des Schweizer Finanzplatzes leisten. Es müsste sich - wie auch schon von politischer Seite gefordert - in den heutigen Regulierungsrahmen einfügen und die verantwortlichen Personen unbürokratisch in die Pflicht nehmen. ³79
³79
Postulat 21.3893
.
Mögliche Massnahme
Als mögliche Massnahme kann ein Verantwortlichkeitsregime eingeführt und auf Stufe Gesetz als explizite Organisationsanforderung festgehalten werden. Konkretisierungen erfolgen auf Verordnungsstufe. Ein solches Regime kann grundsätzlich für international tätige SIBs, für alle SIBs, für alle Banken oder ggf. für weitere Finanzinstitute eingeführt werden.
Zielsetzung eines Verantwortlichkeitsregimes
Ein Verantwortlichkeitsregime soll die klare Zuweisung von Verantwortlichkeiten insbesondere auf Personen in den obersten Führungsebenen gewährleisten. 38⁰ Mit dieser Zielsetzung verbunden ist nicht nur die klare Benennung der Verantwortlichkeiten, sondern auch die Verpflichtung, diese wahrzunehmen. Eine wichtige Zuständigkeit besteht darin, dass die Kaderleute die Pflicht haben, Fehlverhalten in ihrem Verantwortungsbereich zu verhindern.
Zur Durchsetzung sollen den Individuen die richtigen Anreize gesetzt werden, indem ein Individuum bei einer Pflichtverletzung eine Sanktion gewärtigen muss, die entweder das Institut selber (z. B. eine Kürzung der variablen Vergütung) oder die Aufsichtsbehörde (z. B. ein Berufsverbot) ausspricht. Die Zuweisung der Verantwortlichkeiten dient also auch dazu, die Individuen mittels Sanktionen besser zur Rechenschaft zu ziehen. Für die Aufsichtsbehörde bedeutet dies, dass sie die individuelle Verantwortlichkeit einfacher nachweisen kann.
Bei der Umsetzung eines Verantwortlichkeitsregimes ist darauf zu achten, dass sich der Aufwand für die betroffenen Institute in engen Grenzen hält und die Institute selber einen Nutzen ziehen können.
38⁰ Vgl. Oliveira, Walters und Zamil,
When the music stops - holding bank executives accountable for misconduct
, FSI Insights No 48, 23 . Febr. 2023.
Dokumentation der Verantwortlichkeiten
Die Verantwortlichkeiten eines dem Verantwortlichkeitsregime unterliegenden Individuums werden basierend auf entsprechenden regulatorischen Anforderungen angemessen dokumentiert, bei Bedarf aktualisiert und allenfalls der FINMA eingereicht. Mit der Dokumentation wird erreicht, dass sich die Institute klar darüber werden, welche Verantwortlichkeiten welchen Individuen zugeordnet werden, und dass die verantwortlichen Individuen bei Fehlverhalten einfacher zur Rechenschaft gezogen werden können.
Adressatenkreis des Verantwortlichkeitsregimes
Das Verantwortlichkeitsregime ist auf Personen der obersten Führungsebene auszurichten. Dazu gehören die vom heutigen Gewährsregime erfassten Gewährspersonen, die typischerweise die Mitglieder der Oberleitungs- und Geschäftsführungsorgane, das heisst bei einer Aktiengesellschaft des Verwaltungsrats und der Geschäftsleitung, umfassen.
Insbesondere bei grossen Instituten ist es sinnvoll, dass der Adressatenkreis auch Personen unterhalb des Geschäftsführungsorgans umfasst, da ihre Zuständigkeiten weitreichende Entscheidbefugnisse einschliessen können. Der Adressatenkreis sollte zudem flexibel gehandhabt werden können, um institutsbezogene Managementstrukturen angemessen berücksichtigen zu können. Zudem erscheint eine Verknüpfung der vom Verantwortlichkeitsregime erfassten Personen mit dem Gewährsregime prüfenswert.
Sorgfaltsmassstab
Die rechtlichen Grundlagen müssen klarstellen, wie weit die Verantwortlichkeit eines Individuums für seinen Verantwortungsbereich geht. Das heisst, es soll ein Sorgfaltsmassstab eingeführt werden, der den Umfang der Pflichten des Individuums festlegt. Dieser Massstab verpflichtet die Individuen dazu, alles Nötige und von ihnen vernünftigerweise zu Erwartende zu unternehmen, damit Fehlverhalten vermieden wird. Diese Regel entspricht dem Reasonable Steps Criterion aus dem Verantwortlichkeitsregime des UK.
Verknüpfung mit Vergütungsregeln
Falls ein Individuum seine Verantwortlichkeiten verletzt hat, soll es mit finanziellen Konsequenzen über einen Eingriff in die Höhe der Vergütung sanktioniert werden. Dieser Eingriff wird durch das Institut entweder direkt oder - falls das Institut sich weigert - auf Anweisung der FINMA hin vorgenommen. Damit die FINMA eine solche Anweisung geben kann, sollte eine entsprechend klare gesetzliche Grundlage geschaffen werden.
Bei der Umsetzung zu klärende Fragestellungen
Bei der Entwicklung eines Verantwortlichkeitsregimes unter Berücksichtigung der Erkenntnisse im Ausland sind diverse Fragestellungen zu klären, namentlich: 38¹
-
Territorialer Geltungsbereich: Soll das Regime nur innerhalb der Schweizer Grenzen oder grenzüberschreitend auch an anderen Tätigkeitsorten eines Instituts Anwendung finden? Wie soll ein Verantwortlichkeitsregime, dem ein Individuum im Ausland unterworfen ist, in einem möglichen Schweizer Ansatz eines Verantwortlichkeitsregimes berücksichtigt werden?
-
Proportionalität: Wie sind die Regeln für Institute in Abhängigkeit von ihrer Grösse und ihren Risiken auszugestalten?
-
Dokumentationspflichten: Was müssen die Institute in Bezug auf die Zuordnung der Verantwortlichkeiten dokumentieren? Welche Dokumente müssen sie der FINMA einreichen?
-
Aufsicht über die Einhaltung der Regeln: Inwiefern sind die Institute selber für die Überwachung und Anwendung der Regeln verantwortlich? Welche Kontrollprozesse sind nötig? Welche Aufgaben nimmt die FINMA wahr?
-
Schnittstellen zu anderen Aufsichtsthemen: Welche Verbindungen gibt es zu den Regeln zur Vergütung oder zur Gewährsprüfung?
-
Durchsetzung des Aufsichtsrechts: Sind die Enforcementinstrumente der FINMA auf die Einführung eines Verantwortlichkeitsregimes ausgerichtet?
-
Auswirkungen auf andere Rechtsgebiete: Welche Auswirkungen ergeben sich mit Blick auf privatrechtliche und strafrechtliche Verantwortlichkeiten?
38¹ Die nachfolgenden Ausführungen lehnen sich an die Empfehlungen des Gutachtens von PA Consulting an. Vgl. PA Consulting, S. 33 ff.
Vergütungen
Ausgangslage
Die Vergütung von Führungs- und Fachkräften ist seit jeher ein zentrales Thema der Corporate Governance bei Finanzinstituten. Die Vergütungssysteme können einen erheblichen Einfluss auf den Erfolg eines Finanzinstituts haben. Angemessen ausgestaltet können sie die Motivation der Mitarbeitenden, deren Leistung und letztlich den Unternehmenserfolg nachhaltig fördern. Ein nicht angemessen ausgestaltetes Vergütungssystem hingegen birgt das Risiko von Fehlanreizen, die zu kurzfristigem Gewinndenken und dem Eingehen von übermässigen Risiken führen können, was langfristig den Unternehmenserfolg beeinträchtigen kann. Diese Erkenntnis hat sich in der Krise der Credit Suisse bestätigt.
In Finanzinstituten sind Vergütungssysteme auch Instrumente der Risikosteuerung. Aus diesem Grund ergaben sich insbesondere nach der Finanzkrise 2007/08 weltweit Bestrebungen zur Regulierung der Vergütungen bei Finanzinstituten.
In der Schweiz gilt es zwischen zwei Regulierungsansätzen zu unterscheiden: Einerseits sind die Vergütungen der obersten Führungskräfte von börsenkotierten Aktiengesellschaften, wozu auch ein Grossteil der Finanzinstitute gehören, im Privatrecht bzw. im OR geregelt. Andererseits bezieht die FINMA die Vergütungssysteme von Banken, Versicherungen und Finanzinstituten in weiteren Sektoren in ihre Überwachungstätigkeit ein. 38²
Regulierung im Privatrecht
Die Grundsätze der Vergütungen von Führungsorganmitgliedern von börsenkotierten Aktiengesellschaften sind in Artikel 95 Absatz 3 BV verankert und beinhalten die jährliche Abstimmung der Generalversammlung über die Gesamtsumme aller Vergütungen des Verwaltungsrats, der Geschäftsleitung und des Beirates. Somit gehört die Schweiz zu den Jurisdiktionen mit den stärksten sogenannten Say-on-Pay -Vorschriften.
Im Weiteren sind Abgangsentschädigungen, Vergütungen im Voraus und weitere Sondervergütungen an Organmitglieder verboten. Darüber hinaus sind die Höhe der Kredite, Darlehen und Renten an Organmitglieder, deren Erfolgs- und Beteiligungspläne und deren Anzahl Mandate ausserhalb des Konzerns sowie die Dauer der Arbeitsverträge der Geschäftsleitungsmitglieder in den Statuten zu regeln. Widerhandlungen können sowohl mit Freiheitsstrafe als auch mit Geldstrafe geahndet werden.
Diese Verfassungsbestimmung wurde mittels der Verordnung vom 20. November 2013 38³ gegen übermässige Vergütungen bei börsenkotierten Aktiengesellschaften (VegüV) konkretisiert und umgesetzt, die im Rahmen der Aktienrechtsrevision ins OR überführt wurde. ³84 Die Massnahmen lassen sich in drei Regelungsfelder einteilen: Transparenz durch den Vergütungsbericht (Art. 734-734 f OR), Mitspracherechte der Aktionäre im Rahmen der Abstimmungen über die Vergütungen an der Generalversammlung (Art. 735-735 b OR) und das Verbot unzulässiger Vergütungen (Art. 735 c und 735 d OR).
Hauptsächlich aus der Rechtsprechung ergeben sich zudem komplexe Regeln zu den variablen Vergütungen, die der Flexibilität der Firmen Grenzen setzen, insbesondere wenn variable Vergütungen als Lohnbestandteile und nicht als Gratifikationen eingestuft werden. ³85
38³
SR
221.331
³84 Art. 732-735 d OR.
³85 Vgl. für eine weiterführende Übersicht Geiser, Rechtsprechungspanorama Arbeitsrecht , in: Aktuelle Juristische Praxis 2021 , S. 1407 ff.
Regulierung im Finanzmarktrecht
Es gibt auf Gesetzes- oder Verordnungsstufe keine Bestimmungen, die spezifisch den Umgang mit Vergütungen bei aufsichtsrechtlichen Verstössen regeln. Einzig im Fall von staatlicher Beihilfe aus Bundesmitteln zugunsten von SIBs und ihren Konzernobergesellschaften ist der Bundesrat gemäss Artikel 10 a BankG ermächtigt, Massnahmen im Bereich der Vergütungen zu erlassen. Diese können insbesondere ein Verbot der Auszahlung von variablen Vergütungen oder die Anordnung einer Anpassung des Vergütungssystems beinhalten.
Künftig soll zudem explizit möglich sein, dass der Bundesrat eine SIB, die staatliche Beihilfe aus Bundesmitteln erhalten hat, unter gewissen Voraussetzungen dazu verpflichten kann, bereits ausbezahlte variable Vergütungen zurückzufordern (Art. 10 a Absatz 2 Buchstabe c E-BankG). ³86 Artikel 25 der Finanzdienstleistungsverordnung vom 6. November 2019 ³87 (FIDLEV) enthält Vorgaben zu Vergütungssystemen von Finanzdienstleistern. Die Vergütungssysteme sollen keine Anreize zur Missachtung von gesetzlichen Pflichten oder zu schädigendem Verhalten gegenüber Kundinnen und Kunden setzen.
Eine Rückforderung einer bereits ausbezahlten Vergütung unabhängig vom spezifischen Fall einer staatlichen Beihilfe ist aktuell im Schweizer Recht nicht vorgesehen.
Das FINMA-Rundschreiben Vergütungssysteme (RS 2010/1) ³88 stellt die kodifizierte Aufsichtspraxis im Bereich der Vergütungssysteme bei Finanzinstituten dar, indem es Mindeststandards für die Ausgestaltung, Umsetzung und Offenlegung in diesem Bereich setzt. Finanzinstitute ³89 müssen ab einer gewissen Grösse (gemessen an den erforderlichen Eigenmitteln bzw. am Zielkapital) das Rundschreiben zwingend umsetzen. Allerdings sind Abweichungen von den Mindeststandards möglich, wenn diese begründet und offengelegt werden (« Comply-or-explain »-Ansatz).
Verantwortlich für die Ausgestaltung und Umsetzung der Vergütungspolitik eines Finanzinstituts ist das Oberleitungsorgan. Er erlässt ein Vergütungsreglement, das alle vom Finanzinstitut beschäftigten Personen erfasst. Dabei müssen Struktur und Höhe der Gesamtvergütungen mit der Risikopolitik des Finanzinstituts übereinstimmen und das Risikobewusstsein fördern.
Die Zuteilung der variablen Vergütungen zu einzelnen Einheiten und Personen muss von nachhaltigen und nachvollziehbaren Kriterien abhängen, die der Geschäfts- und Risikopolitik des Finanzinstituts entsprechen. Gemäss Rundschreiben soll die Vergütung jeweils im Verhältnis zur strategischen oder operativen Verantwortung und zu den von einer Person zu verantwortenden Risiken stehen. Dabei sind alle wesentlichen Risiken zu berücksichtigen, die dem Einflussbereich einer Person inklusive den ihr unterstellten Organisationseinheiten zuzurechnen sind. Vergütungen und die für ihre Zuteilung massgeblichen Kriterien sollen keine Anreize setzen, unangemessene Risiken einzugehen, gegen geltendes Recht oder erlassene Weisungen zu verstossen oder Vereinbarungen zu missachten.
Gemäss FINMA-Rundschreiben sollen aufgeschobene Vergütungen die Vergütungen an die zukünftige Entwicklung von Erfolg und Risiken des Finanzinstituts binden. Sie sind so zu strukturieren, dass sie das Risikobewusstsein der betreffenden Personen bestmöglich fördern und sie zu nachhaltigem Wirtschaften anhalten. Die Frist soll sich am Zeithorizont der Risiken orientieren, welche die begünstigte Person verantwortet. Für Mitglieder der Geschäftsleitung und Personen mit verhältnismässig hoher Gesamtvergütung sowie für Personen, deren Tätigkeit bedeutenden Einfluss auf das Risikoprofil des Finanzinstituts hat, beträgt die Frist mindestens drei Jahre.
Je grösser die Verantwortung einer begünstigten Person und je höher ihre Gesamtvergütung, desto höher sollte der Anteil der aufgeschobenen Vergütung sein. Für Mitglieder des Geschäftsleitungsorgans, für Personen mit verhältnismässig hoher Gesamtvergütung und für Personen, deren Tätigkeit bedeutenden Einfluss auf das Risikoprofil des Finanzinstituts hat, ist ein bedeutender Teil der Vergütung aufgeschoben auszurichten.
Das Rundschreiben legt dar, wie auf höchster Führungsebene eine Kultur grösserer individueller, unternehmerischer Verantwortungsübernahme gefördert und individuelles Fehlverhalten reduziert werden kann. Im Gegensatz zu den Leitlinien des FSB oder der Umsetzung in anderen Jurisdiktionen (z. B. EU) ist das FINMA-Rundschreiben knapp und generell gehalten. Ein Bezug auf die Unternehmenskultur sowie die Erwähnung von nicht finanziellen Beurteilungskriterien (z. B. Qualität des Risikomanagements, Einhaltung von Verhaltensregeln des Unternehmens) finden sich nicht.
³86
Geschäft des Bundesrates 23.062
³87
SR
950.11
³88 FINMA,
Mindeststandards für Vergütungssysteme bei Finanzinstituten
, Rundschreiben 2010/1, Vergütungssysteme, 21. Okt. 2009.
³89 Banken, Wertpapierhäuser, Finanzgruppen und Finanzkonglomerate, die als Einzelinstitut oder auf Stufe der Finanzgruppe oder des Finanzkonglomerats erforderliche Eigenmittel von mindestens 10 Milliarden Franken halten müssen. Versicherungsunternehmen, Versicherungsgruppen und Versicherungskonglomerate, die als Versicherungsunternehmen oder auf Stufe der Versicherungsgruppe oder des Versicherungskonglomerats erforderliche Eigenmittel nach Massgabe der Risiken, denen das Versicherungsunternehmen, die Versicherungsgruppe bzw. das Versicherungskonglomerat ausgesetzt ist, von mindestens 15 Milliarden Franken halten muss.
Besteuerung von Vergütungen
Im geltenden Recht unterliegt das gesamte Einkommen aus unselbstständiger Erwerbstätigkeit der Einkommenssteuer sowie den Sozialabgaben, und zwar unabhängig davon, ob das das Einkommen als fixe oder variable Vergütung oder in Form einer Mischung ausgerichtet wird. Es gibt zudem - mit Ausnahme der Steuerprogression - keine Differenzierung nach Höhe der Einkommen. Seitens eines Unternehmens können die Lohnkosten als geschäftsmässig begründeter Aufwand vom Reingewinn abgezogen werden und vermindern somit die Steuerlast des Unternehmens.
Das geltende Recht sieht eine rechtsgleiche und der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit entsprechende Besteuerung vor. In den Jahren nach der Finanzkrise 2007/08 war die Mehrbesteuerung hoher Vergütungen immer wieder Thema in der politischen Diskussion. So wurden zahlreiche parlamentarische Vorstösse zu diesem Thema eingereicht, jedoch von den Räten regelmässig abgelehnt. 39⁰
39⁰ Zum Beispiel:
Parlamentarische Initiative 08.523
;
Motion 09.4089
;
Motion 10.3351
.
38² FINMA,
Mindeststandards für Vergütungssysteme bei Finanzinstituten
, Rundschreiben 2010/1, Vergütungssysteme, 21. Okt. 2009.
Internationaler Vergleich
Financial Stability Board
Auf internationaler Ebene hat das FSB Leitfäden zur Corporate Governance herausgegeben. Im Rahmen der Arbeiten zur Verringerung des Risikos von Fehlverhalten hat das FSB 2018 die «Supplementary Guidance to the FSB Principles and Standards on Sound Compensation Practices - The Use of Compensation Tools to Address Mis conduct Risk» als Ergänzung zu den bestehenden Vergütungsprinzipien 39¹ von 2009 veröffentlicht. 39² Darin ist festgehalten, dass der Verwaltungsrat die Verantwortung für ein entsprechendes Vergütungssystem trägt. Er ist für die Überwachung und die Geschäftsleitung für die Umsetzung zuständig.
Der vom Verwaltungsrat festgelegte Risikoappetit muss klar und verständlich auf die Geschäftsfelder hinuntergebrochen werden und in die Vergütung der verantwortlichen Personen einfliessen. Diese Personen sollen dadurch die Verantwortung für ihr eigenes Handeln übernehmen. Der Verwaltungsrat sorgt dafür, dass die Geschäftsleitung verantwortlich ist für eine Ausgestaltung und Umsetzung eines Vergütungsprogramms, das effektiv zur Vorbeugung und Beseitigung von Fehlverhalten beiträgt. Nicht finanzielle Beurteilungskriterien (z. B. Qualität des Risikomanagements, Einhaltung von Verhaltensregeln des Unternehmens) sollen die nachhaltige Ausrichtung des Verhaltens der Mitarbeitenden an der Geschäftsstrategie, den Werten und der Kultur des Unternehmens sicherstellen.
Als konkrete Massnahme bei erfolgtem Fehlverhalten ist neben der Reduktion oder Verwirkung der (aufgeschobenen) variablen Vergütung (Malus) auch die Rückforderung einer bereits ausbezahlten Vergütung ( Clawback ) vorgesehen. Das FSB schlägt dazu klare Kriterien vor.
39¹ Financial Stability Forum,
FSF Principles for Sound Compensation Practices
, 2. April 2009.
39² FSB,
Supplementary Guidance to the FSB Principles and Standards on Sound Compen
sation Practices
, The
use of compensation tools to address misconduct risk , 9. März 2018.
Bedeutende nationale Regelungen
Das SIF hat bei Winfried Ruigrok und Wei Lin von der Universität St. Gallen ein Gutachten zur Vergütungsregulierung in Auftrag gegeben (siehe S. 319). Dieses enthält u. a. eine umfassende Darstellung der Regulierungsansätze in diversen Jurisdiktionen und geht auf verschiedene Aspekte der Vergütungsregulierung ein. Die folgenden Ausführungen lehnen sich eng an dieses Gutachten an. Im Folgenden werden diverse Aspekte nationaler Regelungen dargestellt. 39³
Rückforderungsklauseln
Im internationalen Vergleich haben sich im Nachgang zur Finanzkrise 2007/08 insbesondere Clawback -Klauseln breit durchgesetzt.
In den USA wurde eine obligatorische, wenn auch restriktive Rückforderungsklausel mit dem Sarbanes Oxley Act von 2002 eingeführt, wonach die Möglichkeit einer Rückforderung lediglich für an den CEO oder den CFO gerichtete Vergütungen bestehen und wenn die Finanzkennzahlen im Geschäftsbericht aufgrund eines Fehlverhaltens angepasst werden mussten. ³94 Die Durchsetzung dieser Rückforderungen obliegt der Aufsichtsbehörde SEC und nicht den jeweiligen Unternehmen. Im Rahmen des Dodd Frank Acts von 2010 wurde eine umfassendere leistungsbezogene Rückforderungsanforderung vorgeschlagen, die für alle leitenden Angestellten gelten soll und kein Fehlverhalten voraussetzt. Allerdings sind die Vorschriften zur Umsetzung dieser umfassenderen Rückforderungsanforderung bis heute noch nicht in Kraft getreten. Weitere Ausprägungen von Rückforderungsklauseln sind auch in anderen Rechtsordnungen zu finden.
Aufschiebung durch Sperrfristen für variable Vergütungen
Die aufgeschobene Vergütung ist der Anteil der Zahlungen an Mitarbeitende, den ein Unternehmen zwar den Mitarbeitenden zuteilt, aber für die Auszahlung noch sperrt. Diese erfolgt, wenn nach einer Beobachtungsperiode bestimmte Bedingungen erfüllt sind (z. B. Erreichen von Ertragszielen, Einhalten interner Vorschriften).
In den einzelnen Jurisdiktionen gibt es unterschiedliche Praktiken in Bezug auf Sperrfristen und den Anteil der variablen Vergütung, für die Aufschubzeiten gelten. Die USA haben weder Mindestaufschubzeiten noch Prozentsätze festgelegt. Im Gegensatz dazu haben die EU und das UK für einen erheblichen Prozentsatz der aufgeschobenen variablen Vergütung eine Mindestdauer von vier bis sieben Jahren festgelegt.
Obergrenzen für variable Vergütungen im Verhältnis zur Festvergütung (Caps)
Vereinzelte Jurisdiktionen haben Obergrenzen, sogenannte Bonus-Caps , für variable Vergütungen im Verhältnis zur Festvergütung festgelegt. In der EU enthält die Eigenkapitalrichtlinie ³95 seit 2014 Vorschriften über Bonuszahlungen an Mitarbeitende mit dem Ziel zu verhindern, dass Kreditinstitute Bonuszahlungen an ihre Mitarbeitenden leisten, um sie zu übermässiger Risikobereitschaft zu ermutigen. Die Richtlinie sieht einen Höchstwert für das Verhältnis zwischen der festen Vergütung und den Bonuszahlungen für alle relevanten Mitarbeitenden vor. Die Bonuszahlung darf die festgelegte jährliche Grundvergütung der Mitarbeitenden nicht überschreiten, wobei die Generalversammlung unter Beachtung bestimmter Bedingungen Bonuszahlungen genehmigen kann, die das Zweifache der Grundvergütung betragen.
Das UK hat nach dem Brexit eine pauschale Anwendung der Bonus-Caps , wie sie die europäische Eigenkapitalrichtlinie vorsieht, abgelehnt. Die Obergrenzen für variable Vergütungen wurden per Ende Oktober 2023 abgeschafft. ³96 Die Finanzmarktbehörden FCA und PRA führen an, dass mit der Abschaffung der Obergrenzen, die auf einem Verhältnis zwischen fixen und variablen Vergütungen beruhen, die Wirksamkeit des Vergütungssystems erhöht wird, da sich der Anteil der Vergütung erhöht, mit der die Institute den Mitarbeitenden Anreize z. B. mittels aufgeschobener, erfolgs- und risikoabhängiger Vergütungsinstrumente setzen können. Zudem gehen die Behörden davon aus, dass die Anpassung eine unbeabsichtigte Folge der heutigen Regelung mit der Zeit beseitigen wird, nämlich die Zunahme des fixen Anteils an der Gesamtvergütung, die die Institute dabei einschränkt, die Kosten in schwierigen Zeiten zu senken. ³97
Say-on-Pay-Vorschriften
Weit verbreitet sind Vorschriften, die die Unternehmen verpflichten, die Aktionäre im Rahmen der jährlichen Generalversammlung über die Vergütung der Führungskräfte abstimmen zu lassen. Von den Ländern mit einem bedeutenden Finanzmarkt haben nur Hongkong und Singapur keine diesbezüglichen Regeln eingeführt. Sogenannte Say-on-Pay -Vorschriften sind typischerweise im Gesellschaftsrecht angesiedelt und haben unterschiedliche Ausprägungen.
So können einerseits die Aktionärsabstimmungen zu den Vergütungen für die Unternehmen obligatorisch oder freiwillig sein. Andererseits kann das Abstimmungsresultat für die Unternehmen einen verpflichtenden oder empfehlenden Charakter haben. Die US-Aufsichtsbehörde SEC hat 2011 ein Say-on-Pay -Gesetz eingeführt, das eine obligatorische, aber rein konsultative Abstimmung vorsieht. Auch in Deutschland und in Kanada hat das Votum der Aktionäre nur empfehlenden Charakter. Im UK, den Niederlanden, Spanien und Frankreich sind die Say-on-Pay -Vorschriften hingegen sowohl obligatorisch als auch verbindlich.
39³ Gutachten Ruigrok und Lin, S. 9-12.
³94 Section 304 Sarbanes Oxley Act 2002, 15 U.S.C. § 7243 (2002).
³95
Richtlinie 2013/36/EU über den Zugang zur Tätigkeit von Kreditinstituten und die
Beaufsichtigung von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen, zur Änderung der Richtlinie
2002/87/EG und zur Aufhebung der Richtlinien 2006/48/EG und 2006/49/EG
, ABl. L 176 vom 27.6.2013, S. 338.
³96 Bank of England,
Remuneration: Ratio between fixed and variable components of total remuneration («bonus cap»)
, PRA Policy Statement 9/23, 24 . Okt. 2023.
³97 Bank of England,
Remuneration: Ratio between fixed and variable components of total remuneration («bonus cap»)
,
PRA Consultation Paper 15/22, 19 . Dez. 2022, Rz. 1.4.
Beurteilung
Die Vergütungssysteme der Finanzinstitute haben sich als Instrument zum Setzen von Anreizen zur Steigerung des Unternehmenserfolgs etabliert. Wichtig bei den Vergütungssystemen ist jedoch, dass sie Fehlanreize bei der Ausrichtung von variablen Vergütungsbestandteilen vermeiden. Diesbezüglich geraten Vergütungssysteme von Banken regelmässig in die Kritik, so namentlich auch in der Krise der Credit Suisse.
Die Entwicklung der variablen Vergütungen folgte bei der Credit Suisse gemäss dem Bericht der FINMA ³98 primär den Entwicklungen im Markt und nur sekundär dem Geschäftsgang der Bank. Die hohen variablen Vergütungen in Verlustjahren, die teilweise zu geringen Auswirkungen von Fehlverhalten auf die individuelle Vergütung sowie die Ausklammerung von aus Sicht der Bank ausserordentlichen Ereignissen bei der Bestimmung der variablen Vergütung förderten die Entwicklung einer Risikokultur, die unzureichend mit unternehmerischer Verantwortung im Einklang stand. Vor diesem Hintergrund war die Forderung nach einer Vergütungsregulierung oder nach einer Beschränkung der variablen Vergütung im Nachgang zur Übernahme der Credit Suisse durch die UBS Gegenstand zahlreicher parlamentarischer Vorstösse. ³99
Aus Sicht des Bundesrates gilt es Vergütungssysteme als effektives Instrument einzusetzen, um die Corporate Governance und den nachhaltigen Unternehmenserfolg zu unterstützen. Um dieses Ziel erreichen zu können, müssen die rechtlichen Grundlagen angemessen ausgestaltet sein. Eine explizite gesetzliche Grundlage für Vorgaben an das Vergütungssystem von Finanzinstituten und Eingriffsmöglichkeiten der Aufsicht gibt es im Schweizer Aufsichtsrecht mit Ausnahme von Artikel 10 a BankG (Massnahmen im Bereich der Vergütungen bei staatlicher Beihilfe aus Bundesmitteln) und Artikel 25 FIDLEV nicht. Das FINMA-Rundschreiben basiert auf allgemein gehaltenen Normen bzgl. Organisation und hat als kodifizierte Aufsichtspraxis keinen rechtssetzenden Charakter. 40⁰ Es ist generell gehalten und deckt beispielsweise auch nicht sämtliche Aspekte der entsprechenden FSB-Prinzipien ab.
Eine Motion 4⁰1 fordert zudem, dass das BankG in Anlehnung an Artikel 10 a BankG dahingehend angepasst wird, dass der Bundesrat bei staatlicher Beihilfe Massnahmen zur Abfederung von sozialen Folgen für die Angestellten oder zur Erhaltung von Arbeitsplätzen anordnen kann. Bei staatlicher Beihilfe steht jedoch die Stabilisierung einer SIB und somit ein übergeordnetes öffentliches Interesse (d. h. der Schutz der Finanzstabilität) im Vordergrund. Die Vorschrift nach Artikel 10 a BankG soll sicherstellen, dass die eingesetzten Bundesmittel nicht für die Ausrichtung von variablen Vergütungen eingesetzt werden. Eine staatliche Beihilfe aus Bundesmitteln würde dem übergeordneten Ziel des Schutzes der Finanzstabilität dienen und dem unkontrollierten Verlust von Arbeitsplätzen bereits entgegenwirken. Weiterführende Massnahmen zur Abfederung der sozialen Folgen werden von den Sozialpartnern wahrgenommen.
³98 FINMA,
Bericht der FINMA zu den
Lessons Learned
aus der CS-Krise
, 19. Dez. 2023, S. 51.
³99 Beispiele:
Motion 23.3494
,
Motion 23.3462
,
Motion 23.3452
,
Motion 23.3495
,
Postulat 23.3443
,
Postulat 23.3442
.
40⁰ Art. 5 Abs. 2 der Verordnung vom 13. Dez. 2019 zum Finanzmarktaufsichtsgesetz (
SR
956.11
).
4⁰1
Motion 23.3458.
Mögliche Massnahmen
Rechtliche Grundlagen für Anforderungen an Vergütungssysteme
Mit der Einführung einer expliziten gesetzlichen Grundlage können die grundsätzlichen Anforderungen an Vergütungssysteme und die Eingriffsmöglichkeiten der Aufsicht definiert und gestärkt werden. Ausgewählte Bestimmungen des Vergütungsrundschreibens werden bei dieser Massnahme auf eine höhere Normstufe angehoben. Konkrete rechtliche Vorgaben verbessern die Anforderungen an die Institute zur Errichtung umfassender und zielgerichteter Vergütungssysteme, die Anreize zur Verhinderung von Fehlverhalten setzen.
Wichtig dabei ist die Herstellung einer zwingenden Verbindung zwischen den Vergütungsbestimmungen und der Risikonahme des Instituts. Zudem stellen die Vergütungsregeln einen Bezug zur Unternehmenskultur her und beinhalten nicht finanzielle Beurteilungskriterien, um das Verhalten der Mitarbeitenden nachhaltig an der Geschäftsstrategie, den Werten und der Kultur des Unternehmens sowie den aufsichtsrechtlichen Anforderungen auszurichten. Des Weiteren werden die Vergütungsbestimmungen mit einem möglichen Verantwortlichkeitsregime verknüpft. Ferner sollen die Vergütungssysteme bei aufgeschobenen Vergütungsbestandteilen vorsehen, dass eine zeitliche Strukturierung der Auszahlung nicht der steuerlichen Optimierung dient. Aufgeschobene Auszahlungen müssen sich auch im zeitlichen Rahmen allein am Ziel der Anreizsetzung für risikogerechtes Handeln orientieren.
Ahndung von Fehlverhalten mittels Massnahmen im Bereich der Vergütungen
Die Institute werden mit einer klaren regulatorischen Anforderung dazu verpflichtet, von ihnen festgestelltes Fehlverhalten bei Individuen mit disziplinarischen Massnahmen zu ahnden. Dazu gehören z. B. Kürzungen der zugeteilten variablen Vergütungen, Rückforderung schon ausgerichteter Vergütungsanteile, Nicht-Beförderung oder Degradierung. Falls das Institut die disziplinarischen Massnahmen nicht oder ungenügend wahrnimmt, kann die FINMA das Institut dazu verpflichten. Ein Vorteil dieser Massnahme besteht darin, dass die Corporate Governance verbessert wird und die Verantwortung für die Überwachung und Sanktionierung in erster Linie von den Instituten getragen wird und die FINMA erst subsidiär eingreift.
Klare Bedingungen für die Ausrichtung variabler Vergütungen
Eine weitere Massnahme besteht in der Einführung klarerer und schärferer Regeln, die vorgeben, dass variable Vergütungen risikobasiert bestimmt und mit angemessenen Anreizen versehen werden. Dies fördert risikoverantwortliches Handeln. Nebst der Frage, ob ein Institut, ein Geschäftsbereich, eine Abteilung oder die Mitarbeitenden die finanziellen Zielvorgaben erreicht haben, stellt sich dabei immer auch die Frage, unter welchem Risikoeinsatz und Geschäftsverhalten diese Zielerreichung erfolgt. Dadurch werden die Mitarbeitenden von einem auf kurzfristige Gewinnoptimierung ausgerichteten Handeln abgehalten.
Dieses Ziel lässt sich dadurch erreichen, dass leistungsbezogene Instrumente an sinnvolle Indikatoren anknüpfen. Zum Beispiel sollen variable Vergütungsbestandteile ausgezahlt werden, solange die CET1-Quote über den Markterwartungen oder die Liquiditätsausstattung über den Anforderungen für SIBs nach der LiqV liegen. Die Institute sollen ihre Vergütungsinstrumente zusätzlich an qualitativen Anforderungen im Sinne der Einhaltung von Verhaltensgrundsätzen und Richtlinien ausrichten und sicherstellen, dass erhebliches Fehlverhalten zu einer kompletten Verwirkung variabler Vergütung führt.
Ausdehnung der Aufschiebung variabler Vergütungen durch die Einführung von Sperrfristen
Indem die Auszahlung variabler Vergütungsanteile zeitlich hinausgezögert wird, wird mit dieser Massnahme einerseits das Risiko für Fehlverhalten minimiert und andererseits werden Mitarbeitende an die Institute gebunden, was eine längere Leistungsbeobachtung ermöglicht. Des Weiteren besteht mehr Zeit zur Aberkennung bereits zugeteilter, aber noch nicht ausbezahlter Boni (Malus), d. h., Clawbacks (siehe nachfolgende Handlungsoption) werden mit zunehmender Sperrfrist hinfällig.
Letztendlich bringt eine Ausdehnung der Aufschiebung variabler Vergütungen durch die Einführung von Sperrfristen auch eine Angleichung an zahlreiche ausländische Rechtsordnungen mit sich. Allerdings gibt es empirische Hinweise, dass eine Ausdehnung der Sperrfrist letztlich zu höheren Vergütungen für Führungskräfte auf höchster Ebene führen kann. 4⁰2
4⁰2 Gutachten Ruigrok und Lin, S. 36 f.
Einführung von Rückforderungsklauseln ( Clawbacks )
Mit der Einführung von Clawback -Klauseln können bereits ausbezahlte Vergütungen unter bestimmten Bedingungen zurückgefordert werden. Dies erfolgt durch die Institute selber bzw. durch die Institute auf hoheitliche Anordnung durch die Aufsichtsbehörde. Rückforderungsbestimmungen können von übermässiger Risikobereitschaft abhalten und tragen einem öffentlichen Gerechtigkeitsempfinden Rechnung.
Die positiven Auswirkungen von Rückforderungsbestimmungen dürfen allerdings nicht überschätzt werden. Erstens ist die empirische Evidenz bezüglich der Auswirkungen von Clawback -Klauseln begrenzt und beruht in erster Linie auf Daten aus den USA und aus Branchen, die nicht dem Finanzsektor zuzuordnen sind. Zweitens gibt es einige Hinweise darauf, dass Rückforderungsbestimmungen zu höheren Vergütungen für Führungskräfte führen. Drittens konnten Rückforderungsbestimmungen in der Finanzindustrie weltweit bisher aufgrund zahlreicher rechtlicher Herausforderungen nur in wenigen Fällen erfolgreich durchgesetzt werden. 4⁰3
4⁰3 Gutachten Ruigrok und Lin, S. 36.
Limitierung variabler Vergütungen
Durch die Einführung von Obergrenzen für variable Vergütungen im Verhältnis zur Festvergütung wird die Risikobereitschaft der Führungskräfte verringert. Es gibt jedoch empirische Hinweise, dass solche Massnahmen die unbeabsichtigte Folge haben, dass die Festvergütung und damit die Fixkosten für das Unternehmen steigen, was insbesondere in Krisenzeiten die Möglichkeit zur Kostensenkung einschränkt. Zudem ist denkbar, dass mit der Limitierung der variablen Vergütungen auch deren positive Auswirkungen auf das unternehmerische Handeln entfallen und Finanzinstitute somit Resultate erzielen, die unter ihren Möglichkeiten liegen. Ferner besteht die Gefahr, dass bei Einführung einer Limitierung talentierte Mitarbeitende an Standorte abwandern, an denen keine solche Einschränkung existiert, oder an einem anderen Standort angestellt werden und von dort aus in die Schweiz entsendet werden. 4⁰4 , 4⁰5
Diese Überlegungen gelten analog für ein Verbot variabler Vergütungen. Dieses kann als Extremfall einer Limitierung betrachtet werden.
4⁰4 Gutachten Ruigrok und Lin, S. 30.
4⁰5 Ammann et al.,
Reformbedarf in der Regulierung von «
Too Big to Fai
l»-Banken
, 19. Mai 2023, S. 35.
Fazit und vorgeschlagener Massnahmenmix im Bereich Corporate Governance
Auch wenn die drei Themenkreise der Corporate Governance allgemein, der individuellen Verantwortlichkeit und der Vergütungen obenstehend einzeln analysiert werden, sind die Massnahmen themenübergreifend zu beurteilen, da zwischen ihnen Abhängigkeiten bestehen. Insbesondere ist eine angemessene Corporate Governance in einem Institut eine Voraussetzung dafür, dass individuelle Verantwortlichkeiten sinnvoll zugeordnet sowie die Vergütungssysteme zweckmässig ausgestaltet werden können. Ein Verantwortlichkeitsregime macht die Verantwortlichkeiten explizit und eindeutig, was namentlich in grossen Finanzinstituten einerseits die Ausgestaltung eines darauf abgestimmtes Vergütungssystem erleichtert und andererseits der Aufsicht besser ermöglicht, Verantwortlichkeiten einzufordern bzw. Verstösse dagegen zu ahnden.
Vor diesem Hintergrund ist nach Ansicht des Bundesrates folgender Massnahmenmix zielführend:
-
Für SIBs und ggf. alle Banken sind die gesetzlichen Grundlagen mit Blick auf die Anforderungen an die Corporate Governance zu schärfen und zu konkretisieren, denn diese sind - etwa im Vergleich zum FINIG - bei Banken wenig ausgereift (vgl. mögliche Massnahme in Kap. 15.2.4). Diese Schärfung geht das heutige Defizit effizient an und ist auch im Einklang mit Regelungen im Ausland.
-
Namentlich für SIBs ist ein Verantwortlichkeitsregime gemäss der Massnahme in Kapitel 15.3.4 einzuführen. Die Konkretisierung der Anforderungen an die Corporate Governance ist dafür eine Voraussetzung. Mit einem Verantwortlichkeitsregime soll sichergestellt werden, dass die Verantwortlichkeiten auf oberster Führungsebene zugeordnet und dokumentiert werden. Die Zuständigen können bei Fehlverhalten einfacher ermittelt und sanktioniert werden. Bei der Sanktionierung stehen insbesondere Massnahmen durch die Bank selber im Bereich der Vergütungen im Vordergrund, weshalb das Verantwortlichkeitsregime eng mit dem Vergütungssystem zu verzahnen ist.
-
Die rechtlichen Grundlagen für die Anforderungen an Vergütungssysteme von SIBs und ggf. Banken generell sind zu stärken mit dem Ziel, Fehlanreize zu unterbinden und sicherzustellen, dass sich die Vergütungssysteme eng am wirtschaftlichen Erfolg ausrichten und keine übermässige Risikonahme begünstigen. Im Vordergrund steht, dass die Banken selber Fehlverhalten durch Massnahmen bei den Vergütungen ahnden. Erst wenn das Institut dies unterlässt, soll die FINMA eingreifen. Insbesondere sollen variable Vergütungen über längere Zeit gesperrt werden und aberkannt werden können («Malus») oder, falls sie schon ausgerichtet worden sind, zurückgefordert werden können ( Clawbacks ). Eine Limitierung variabler Vergütungen hingegen ist nicht zielführend. Die empirische Evidenz zeigt Nachteile auf. 4⁰6 Insbesondere dürfte eine Limitierung die Fixgehälter erhöhen. Mit der Umsetzung der Anforderungen an das Vergütungssystem ist das Verhältnis der neuen Bestimmungen zu bestehenden arbeitsrechtlichen Bestimmungen zu klären.
Bei der Umsetzung dieser Massnahmen und insbesondere des Verantwortlichkeitsregimes stehen aufgrund der weitreichenden Folgen eines allfälligen unternehmerischen Scheiterns die SIBs im Zentrum. Bei allen drei Massnahmen soll jedoch im Rahmen der Umsetzung geprüft werden, inwiefern eine proportional zu gestaltende Umsetzung für weitere Kategorien von Banken oder für sämtliche Banken angemessen ist. Diese Massnahmen wirken stark präventiv und tragen massgeblich zum System- und Individualschutz (vgl. Art. 4 FINMAG) bei. Anforderungen an die Corporate Governance gelten zudem als organisatorische Anforderungen und somit als Bewilligungsvoraussetzungen, die jede Bank grundsätzlich erfüllen muss. Je besser eine Bank ihr Risikomanagement aufgestellt hat, desto eher erfüllt sie diese Anforderungen bereits.
Bei der Umsetzung ist sicherzustellen, dass sich die Anforderungen an die Beaufsichtigten in Abhängigkeit von ihrer Grösse, ihrer Komplexität und ihrem Risikoprofil stark unterscheiden. Das heisst, kleine und risikoarme Banken mit einem einfachen Geschäftsmodell sollen minimalen Anforderungen unterliegen, während grosse und risikobehaftete Institute mit einem heterogenen Geschäfts- und Organisationsmodell strengere Auflagen gewärtigen müssen. Insbesondere für die Umsetzung eines Verantwortlichkeitsregimes ist auf eine hohe Effizienz und im Fall einer Umsetzung über die SIBs hinaus auf die Proportionalität zu achten, da dieses Regime bei nicht angemessener Umsetzung als neues regulatorisches Konzept potenziell hohen Aufwand im Vergleich zum Nutzen verursachen kann.
4⁰6 Ammann et al.,
Reformbedarf in der Regulierung von «
Too Big to Fail
»-Banken
, 19. Mai 2023, S. 35; Gutachten Ruigrok und Lin, S. 4.
Instrumentarium und weitere Themen der Aufsicht
Einleitung
Ein zentrales Element des TBTF-Dispositivs ist eine wirksame Aufsicht. Vor diesem Hintergrund diskutiert dieser Abschnitt mögliche Anpassungen des Aufsichtsinstrumentariums und weitere Themen, die zur Stärkung der Aufsicht beitragen können. Während die Themen in Kapitel 15 den Fokus auf eine Förderung der Corporate Governance bei den beaufsichtigten Instituten legen, zielen die nachfolgenden Ausführungen auf eine Stärkung der Aufsicht ab, die indirekt zu einer verbesserten Corporate Governance der Beaufsichtigten führen können.
Obwohl die Aufsicht über SIBs im Zentrum steht, ist die Diskussion der weiteren Themen der Aufsicht naturgemäss nicht nur auf SIBs beschränkt, sondern schliesst grundsätzlich auch nicht systemrelevante Banken sowie weitere Finanzinstitute ein.
Folgende Themen werden nachfolgend ausgeführt:
-
Information der Öffentlichkeit (Kap. 16.2) und pekuniäre Verwaltungssanktionen (Kap. 16.3): Die FINMA hat im Nachgang zur Übernahme der Credit Suisse durch die UBS öffentlich den Wunsch geäussert, vermehrt über ihre Enforcementtätigkeit informieren zu können und über eine Kompetenz zur Vergabe von pekuniären Verwaltungssanktionen («Bussen») zu verfügen. 4⁰7 Die Forderung nach pekuniären Verwaltungssanktionen findet sich auch im Postulat Birrer-Heimo. 4⁰8
-
Instrumente zur Herstellung der Verantwortlichkeit (Kap. 16.4): Heute bestehende Aufsichtsinstrumente können punktuell zur besseren Herstellung der Verantwortlichkeit der Beaufsichtigten und der Individuen angepasst werden. Gegenstand dabei sind das Berufsverbot, die Einziehung, die Gewährsprüfung, die Auskunfts- und Meldepflicht nach dem FINMAG und das Whistleblowing.
-
Einsatz von Prüfgesellschaften (Kap. 16.5): Die Prüfung der Einhaltung der Vorschriften nach den Finanzmarktgesetzen erfolgt weitgehend über den Einsatz von Prüfgesellschaften. Es stellt sich die Frage, inwiefern die rechtlichen Rahmenbedingungen für deren Einsatz anzupassen sind.
-
Verfahrensdauer (Kap. 16.6): Die Dauer von Verfahren zur Durchsetzung von Aufsichtsrecht kann insbesondere im Fall von SIBs problematisch sein. Es ist zu prüfen, inwiefern diese Dauer verkürzt werden kann.
-
Zuständigkeit des FINMA-Verwaltungsrats (Kap. 16.7): Der FINMA-Verwaltungsrat entscheidet u. a. über Geschäfte von grosser Tragweite. Es ist zu prüfen, ob diese Zuständigkeit des FINMA-Verwaltungsrats zweckmässig ist.
-
Ressourcenausstattung der FINMA (Kap. 16.8): Eine wichtige Voraussetzung für eine effektive Aufsicht ist eine angemessene Ressourcenausstattung der FINMA, insbesondere in der Aufsicht über SIBs. Es obliegt der FINMA, für eine angemessene Ressourcenausstattung besorgt zu sein.
Die Kapitel 16.2-16.6 zeigen jeweils mögliche Massnahmen in den behandelten Themenbereichen auf. Diese werden unter Abwägung ihrer individuellen Vor- und Nachteile beurteilt. Entsprechend wird zum Schluss des jeweiligen Kapitels ein Fazit zu den einzelnen Massnahmen gezogen. Massnahmen werden zur Umsetzung empfohlen bei überwiegend positivem Fazit, zur Prüfung empfohlen bei weiterem Analysebedarf oder nicht zur Umsetzung empfohlen bei überwiegend negativem Fazit. Zu einzelnen Massnahmen - wie der Zuständigkeit des FINMA-Verwaltungsrats - sind auch allfällige Einschätzungen der PUK abzuwarten und zu berücksichtigen.
4⁰7 Vgl. z. B. FINMA,
FINMA-Mediengespräch: Referat von Marlene Amstad
, 5. April 2023;
Bericht der FINMA zu den Lessons Learned aus der CS-Krise
, 19 . Dez. 2023.
4⁰8
Postulat 21.4628
.
Information der Öffentlichkeit
Ausgangslage
Im geltenden Finanzmarktaufsichtsgesetz (FINMAG) befassen sich zwei verschiedene Gesetzesartikel mit der Veröffentlichung von Informationen hinsichtlich der Aufsicht der FINMA: Artikel 22 FINMAG und Artikel 34 FINMAG.
Information der Öffentlichkeit nach Artikel 22 FINMAG
Auf der Grundlage von Artikel 22 FINMAG informiert die FINMA die Öffentlichkeit über ihre Aufsichtstätigkeit und Aufsichtspraxis. Diese Bestimmung dient ausschliesslich Informations- und Transparenzbedürfnissen und stellt keine FINMA-Massnahme dar. Sie auferlegt der FINMA in Absatz 1 eine regelmässige Informationspflicht in Bezug auf allgemeine, aggregierte Informationen.
Von der nachfolgend thematisierten Massnahme des Naming and Shaming (Art. 34 FINMAG), welche die Rechtskraft der entsprechenden Verfügung voraussetzt, ist die Kommunikation der FINMA über Verfahren nach Artikel 22 FINMAG zu unterscheiden. Die FINMA informiert grundsätzlich nicht über einzelne Verfahren, ausser es besteht ein besonderes aufsichtsrechtliches Bedürfnis für eine Ausnahme zu diesem Grundsatz (Absatz 2). Darunter fällt insbesondere, wenn die Information nötig ist:
-
zum Schutz der Marktteilnehmer oder der Beaufsichtigten;
-
zur Berichtigung falscher oder irreführender Informationen;
-
zur Wahrung des Ansehens des Finanzplatzes Schweiz.
Zudem muss die FINMA die Einstellung eines Verfahrens publik machen, wenn sie vorgängig über das Verfahren informiert hat. 4⁰9 Hinzu kommt, dass Artikel 22 FINMAG nicht als Grundlage für eine Information erfolgen darf, um ein Institut oder eine Person zu bestrafen. Einziges Ziel sollte das Bedürfnis der Öffentlichkeit nach Transparenz und Information sein. 41⁰ Den Persönlichkeitsrechten der Betroffenen hat die FINMA dabei Rechnung zu tragen. 41¹
Das Interesse der Medien an tatsächlichem oder vermeintlichem Fehlverhalten der Banken und ihrer Mitarbeitenden ist jeweils gross. 4¹2 So ergeben sich regelmässig Zielkonflikte zwischen dem Interesse der Öffentlichkeit, über allfällige Missstände hinlänglich orientiert zu werden, und den Interessen von Betroffenen, ob, wie und wann sie im Kontext eines Enforcementverfahrens der FINMA medial erwähnt werden. 4¹3
Weil die Information der Öffentlichkeit als delikates Thema gilt, ist nicht nur entscheidend, ob und wie die FINMA über ein Verfahren orientiert. Auch der Zeitpunkt der Information kann bei börsenkotierten Instituten erhebliche Auswirkungen auf den Aktienkurs zeitigen und beim betroffenen Institut allenfalls Pflichten unter dem Stichwort «Ad-hoc-Publizität» auslösen, die für die FINMA auch ein Grund sein kann, selbst sofort zu informieren. 4¹4 Vor diesem Hintergrund stützt sich die FINMA zurückhaltend auf die gesetzliche Ausnahmebestimmung, die es ihr ermöglicht, über einzelne Verfahren öffentlich zu informieren. 4¹5
Die FINMA muss bei ihrer Kommunikation über Verfahren vermeiden, sich vorverurteilend zu äussern, auch wenn das mediale Interesse sehr gross sein kann. Einer allfälligen Veröffentlichung muss die Ermittlung des Sachverhalts und eine Würdigung der wesentlichen Aspekte vorausgehen. 4¹6
4⁰9 Art. 22 Abs. 3 FINMAG.
41⁰ Beck, Enforcementverfahren der FINMA und Dissonanz zum nemo tenetur-Grundsatz , in: Zobl et al. (Hrsg.), Schweizer Schriften zum Finanzmarktrecht, Zürich 2019 , S. 166, Rz. 423.
41¹ Art. 22 Abs. 4 FINMAG.
4¹2 In manchen Monaten gelangen über 100 Journalistenanfragen pro Monat zur FINMA; so Wyss und Zulauf, Informationsmittel , in: Zulauf und Wyss (Hrsg .), Finanzmarktenforcement , Bern 2022, S. 495 f.
4¹3 Wyss und Zulauf, Problematik der FINMA-Kommunikation , in: Zulauf und Wyss (Hrsg.), Finanzmarktenforcement , Bern 2022, S. 483 f.
4¹4 Wyss und Zulauf, Problematik der FINMA-Kommunikation , in: Zulauf und Wyss (Hrsg.), Finanzmarktenforcement , Bern 2022, S. 490ff.
4¹5 Wyss und Zulauf, Rechtsmittel gegen die FINMA , in: Zulauf und Wyss (Hrsg.), Finanzmarktenforcement , Bern 2022, S. 501, und das dort aufgeführte Verhältnis von 64 Informationen gemäss Art. 22 Abs. 2 FINMAG gegenüber insgesamt rund 500 Enforcementverfügungen im Zeitraum von 2009 bis 2022.
4¹6 Wyss und Zulauf, Policy und Praxis der FINMA zur Kommunikation , in: Zulauf und Wyss (Hrsg.), Finanzmarktenforcement , Bern 2022, S. 493.
Veröffentlichung der aufsichtsrechtlichen Verfügung nach Artikel 34 FINMAG
Nach Abschluss eines Enforcementverfahrens kann die FINMA im Sinne eines Naming and Shaming eine Verfügung veröffentlichen, sofern 1) Aufsichtsrecht schwer verletzt wurde, 2) die Verfügung in Rechtskraft erwachsen ist und 3) die Anordnung der Veröffentlichung in der Verfügung selbst vorgesehen wurde. Aufgrund der beachtlichen Konsequenzen, die eine solche Veröffentlichung für die Betroffenen mit sich bringen kann, setzen sowohl der Gesetzgeber als auch die Gerichte diesem Aufsichtsinstrument mit sanktionierendem Charakter aus Gründen der Verhältnismässigkeit sowie des Persönlichkeitsschutzes enge Grenzen. 4¹7 Entsprechend veröffentlicht die FINMA auf der Grundlage von Artikel 34 FINMAG nur einen kleinen Teil der Verfügungen der FINMA, vorwiegend im Bereich der unbewilligten Tätigkeit zu Warnzwecken. 4¹8
4¹7 Kuhn, Veröffentlichung einer Verfügung und Unterlassungsanweisung , in: Zulauf und Wyss (Hrsg.), Finanzmarktenforcement , Bern 2022, S. 386, sowie
BGer 2C_318/2020
E. 4.1.2, wonach eine einmalige, punktuelle und untergeordnete Verletzung finanzmarktrechtlicher Pflichten eine solche Massnahme nicht rechtfertigt. Zudem verlangen die Gerichte, dass die Publikation in sachlicher, räumlicher, zeitlicher und persönlicher Hinsicht zu begrenzen sei, vgl.
BGer 2C_92/2019
E. 5.4.3.1.
4¹8 Abegglen und Schaub,
Intransparentere FINMA-Praxis
, SZW/RSDA 5/2020, S. 576.
Internationaler Vergleich
Deutschland
Die BaFin verfolgt eine extensivere Informationspraxis als die FINMA. Dabei sehen diverse Finanzmarktgesetze vor, dass die BaFin Massnahmen gegen Unternehmen oder Geschäftsleiter sowie Bussgeldentscheidungen regelmässig unter Namensnennung öffentlich bekannt macht. 4¹9 Die Formulierungen der einschlägigen Gesetzesbestimmungen gehen dahin, dass eine Veröffentlichung regelmässig erfolgt, wobei gewisse Formulierungen der BaFin hinsichtlich der Veröffentlichung ein Ermessen einräumen. 42⁰ Ebenso sehen die Gesetze vor, dass die Massnahmen auf anonymer Basis veröffentlicht oder auch aufgeschoben werden müssen, sofern bestimmte Voraussetzungen gegeben sind. 42¹ Die BaFin publiziert auf ihrer Internetseite zudem Meldungen gegen Unternehmen, wenn sie den Verdacht hat oder feststellt, dass ein Unternehmen unerlaubt tätig ist. 42²
4¹9 Zum Beispiel § 60b Abs. 1 des Kreditwesengesetzes (KWG), § 84 Abs. 1 des Wertpapierinstitutsgesetzes bzw. § 57 Abs. 1 des Geldwäschegesetzes (GwG).
42⁰ Es gilt zu beachten, dass die Formulierungen in den Gesetzestexten nicht einheitlich sind und die genannten Gesetzesartikel leicht voneinander abweichen können. Vgl. beispielsweise § 60b KWG, § 341a Abs. 1 Ziff. 1 des Kapitalanlagegesetzbuchs (KAGB), wobei Abs. 1 Ziff. 2 als Kann-Formel formuliert wird und der Adressat der Massnahme vor Veröffentlichung informiert wird, § 123 Abs. 1 des Wertpapierhandelsgesetzes (WpHG), wobei diese Bestimmung als Kann-Formel formuliert ist und die Veröffentlichung zur Beseitigung oder Verhinderung der Missstände geeignet und erforderlich sein muss, § 319 des Versicherungsaufsichtsgesetzes (VAG), wobei hier vorgesehen ist, dass die Veröffentlichung erfolgt, falls sie nach Abwägung der betroffenen Interessen zur Beseitigung oder Verhinderung der Missstände geboten ist, und § 57 GwG.
42¹ Eine Veröffentlichung auf anonymer Basis erfolgt, wenn hierdurch ein wirksamer Schutz der Persönlichkeitsrechte gewährleistet ist. Erfolgt eine Veröffentlichung auf anonymer Basis und ist vorhersehbar, dass die Gründe hierfür innerhalb eines überschaubaren Zeitraums wegfallen werden, so kann die Bekanntmachung aufgeschoben werden (vgl. § 341 Abs. 2 KAGB).
42² Diverse Finanzmarktgesetze, wie das KWG und das KAGB, sehen eine gesetzliche Grundlage für die Meldung durch die BaFin vor. So wird in § 37 Abs. 4 KWG und § 16 Abs. 8 KAGB festgehalten, dass soweit und solange Tatsachen die Annahme rechtfertigen oder feststeht, dass ein Unternehmen unerlaubt Bankgeschäfte betreibt oder Finanzdienstleistungen erbringt, die BaFin unter Nennung des Namens oder der Firma des Unternehmens über diesen Verdacht oder diese Feststellung informieren kann.
Vereinigtes Königreich
Auch im UK sind die FCA sowie die PRA im Grundsatz verpflichtet, über bestimmte Entscheide unter Namensnennung zu informieren. 4²3 Die FCA veröffentlicht Statutory Notices , insbesondere Warning Notices , Decision Notices und Final Notices. 4²4 Nicht veröffentlicht werden müssen Entscheide, deren Veröffentlichung nach Ansicht der FCA für die Person, gegenüber der die Massnahme ergriffen wurde, «unfair» ist, den Interessen der Verbraucher schadet oder schädlich für das Finanzsystem des UK ist. 4²5
Grundsätzlich gelten die bei der FCA aufgeführten gesetzlichen Grundlagen auch für die PRA. Ebenfalls sind Veröffentlichungen ausgenommen, die nach Ansicht der PRA für die Person, gegenüber der die Massnahme ergriffen wurde, «unfair» sind, der Sicherheit oder der Kreditwürdigkeit der von der PRA beaufsichtigten Unternehmen schaden oder die Gewährleistung eines angemessenen Schutzes der Versicherungsnehmer beeinträchtigen. 4²6
4²3 Sec. 391(4) Financial Services and Markets Act 2000 (nachfolgend: FSMA 2000); vgl. zu den Ausnahmen davon Sec. 391(6) und (6A) FSMA 2000.
4²4 FCA,
Enforcement
, 19. Juli 2022
. In der Rubrik Publications befindet sich das Kap. Notices and Decisions , in dem die verschiedenen Arten der Warnungen und Entscheidungen der FCA veröffentlicht werden; vgl. FCA,
Publications
,
Webseite.
4²5 Section 391 Subsection 6 FSMA 2000. Der Enforcement Guide beleuchtet die effektive Praxis der FCA näher; vgl. FCA,
EG 1 - FCA Handbook
.
4²6 Section 391 Subsection 6A FSMA 2000.
Vereinigte Staaten
Das « Federal Reserve System (Fed)» in den USA betreibt eine umfassende Informationspraxis über die Enforcementmassnahmen gegenüber Banken und Individuen. 4²7 Einen analogen Ansatz verfolgen das «Office of the Comptroller of the Currency (OCC) 4²8 » und die «Federal Deposit Insurance Corporation (FDIC)».
4²7 Board of Governors of the Federal Reserve System,
Enforcement Actions
, Webseite.
4²8 Office of the Comptroller of the Currency,
Enforcement Actions Search
, Webseite
.
Singapur
Die Monetary Authority of Singapore (MAS) darf Informationen in einer für sie angemessenen Weise veröffentlichen, sofern die MAS die Publikation im öffentlichen Interesse für notwendig oder zweckmässig hält. 4²9 Die MAS hat die Kompetenz, Informationen betreffend Durchsetzungsmassnahmen zu publizieren. 43⁰ Demnach liegt es im Ermessen der MAS, Informationen bezüglich allfälliger Durchsetzungsmassnahmen zu veröffentlichen, sofern die MAS die Publikation im öffentlichen Interesse für notwendig oder zweckmässig hält. Zudem hat die MAS die Möglichkeit, Untersuchungsmassnahmen zu publizieren. Ebenso führt sie eine Liste, mit der sie Investorinnen und Investoren vor bestimmten Anbietern oder Angeboten warnt. 43¹
4²9 Section 184 Subsection 2 des Financial Services and Markets Act 2022 (FSMA).
43⁰ Section 184 Subsection 2 FSMA und Section 322 Subsection 2 des Securities and Futures Act (SFA).
43¹ Monetary Authority of Singapore,
Investor Alert List
, Webseite
.
Beurteilung
Der FINMA werden durch das geltende Aufsichtsrecht sowie die Rechtsprechung enge Grenzen mit Bezug auf die konkrete Information über ihre Verfahren gesetzt. Dies insbesondere, weil die FINMA von Gesetzes wegen nur in Ausnahmefällen unter Namensnennung über Enforcementverfahren informieren darf. Durch die heutige gesetzlich normierte restriktive Informationspraxis vermag sie - anders als Aufsichtsbehörden in anderen Jurisdiktionen - keine umfassende präventive Wirkung zu erzielen, indem sie der Öffentlichkeit systematisch aufzeigen kann, wo Beaufsichtigte «rote Linien» gemäss den Finanzmarkterlassen übertreten.
Eine proaktive Information durch die FINMA (und nicht nur in Ausnahmefällen) erfordert eine explizite gesetzliche Grundlage und die entsprechende Anpassung von Artikel 22 FINMAG. 43² Dabei zu beachten ist, dass dem Bedürfnis der Medien, die Öffentlichkeit über Enforcementverfahren zu orientieren, meist gewichtige Interessen der betroffenen Parteien nach Wahrung ihrer Persönlichkeitsrechte entgegenstehen. 43³
Dies gilt vor allem dann, wenn bei der Publikation allfälligen Geheimhaltungsinteressen der Parteien nicht oder zu wenig Rechnung getragen wird und dies unter Nennung des Namens erfolgt. Den Betroffenen kann bei nicht anonymisierten Medienmitteilungen schwerwiegender finanzieller Schaden oder Reputationsschaden entstehen. Vor diesem Hintergrund ist auch die Rechtsprechung zur Verhinderung oder Verzögerung solcher Medienmitteilungen der FINMA beachtenswert. 4³4
43² Vgl. auch die Erwägungen zur Orientierung der Öffentlichkeit über hängige Verfahren und die Tragweite der Publikumsorientierung für die betroffenen Parteien in
BBl
2022
776
, S. 105 f.
43³ Nobel, Schweizerisches Finanzmarktrecht , Bern 2019, S. 551, Rz. 169.
4³4 Vgl. die Rechtsmittel gegen die FINMA-Kommunikation und die entsprechende Rechtsprechung in Wyss und Zulauf, Rechtsmittel gegen die FINMA-Kommunikation , in: Zulauf und Wyss (Hrsg.), Finanzmarktenforcement , Bern 2022, S. 501 ff.
Mögliche Massnahme
Artikel 22 FINMAG (Information der Öffentlichkeit) kann wie folgt angepasst werden:
-
Einführung des gesetzlichen Grundsatzes, der die FINMA in Abkehr von der heutigen Gesetzeslage verpflichtet, über abgeschlossene Enforcementverfahren zu orientieren (Muss-Bestimmung); davon soll lediglich in Ausnahmefällen abgewichen werden können;
-
Einführung einer gesetzlichen Ermächtigung (Kann-Bestimmung), wonach die FINMA über Abklärungen und Verfahrenseröffnungen informieren kann.
Mit dieser Massnahme gehen folgenden Vorteile für den Finanzplatz und die Finanzmarktaufsicht einher:
-
Präventive Wirkung: Den Finanzinstituten und den höchsten Führungsleuten werden starke Anreize gesetzt, Fehlverhalten zu verhindern, wenn sie davon ausgehen müssen, dass Verletzungen von Aufsichtsrecht veröffentlicht werden. Mit dieser Massnahme werden somit die Corporate Governance und die Herstellung der individuellen Verantwortlichkeit gefördert;
-
Diese Massnahme führt bei den Betroffenen direkt zu keinen Aufwänden;
-
Die FINMA macht ihre Tätigkeit besser sichtbar; ihre Praxis wird transparenter und berechenbarer; 4³5
-
Die Glaubwürdigkeit des Finanzmarktes wird durch eine aktiv informierende Aufsichtsbehörde gestärkt;
-
Die Gleichbehandlung gegenüber den Verfahrensparteien ist gewährleistet, wenn die FINMA systematisch über alle Enforcemententscheide informiert.
Bei der vermehrten Information der Öffentlichkeit durch die FINMA gibt es jedoch folgende Gefahren zu beachten:
-
Die Veröffentlichung der Informationen zu Instituten und Individuen kann zu möglichen Persönlichkeitsverletzungen und zu einer Schädigung der Reputation und der künftigen Entwicklung eines Instituts führen;
-
Die Veröffentlichung kann zu einem Zeitpunkt geschehen, an dem ein Sachverhalt durch die FINMA noch nicht umfassend abgeklärt ist 4³6 und den Betroffenen noch keine Möglichkeit gegeben wurde, den Sachverhalt und die vorgeworfene Aufsichtsrechtsverletzung gerichtlich überprüfen zu lassen.
Bei der Information über die Aufnahme von Abklärungen oder die Verfahrenseröffnung muss die FINMA auch bei einer erweiterten Information der Öffentlichkeit sicherstellen, dass die Interessen der Betroffenen analog zur heutigen Norm (Art. 22 Abs. 4 FINMAG) gewahrt werden und ein öffentliches Interesse, d. h. ein aufsichtsrechtliches Bedürfnis (Art. 22 Abs. 2 FINMAG), gegeben ist.
4³5 Die vermehrte Information der Öffentlichkeit trägt dem Gedanken des Öffentlichkeitsgesetzes (BGÖ, SR 152.3 ) Rechnung, das die Transparenz der Verwaltung fördert. Denn die FINMA ist diesem Gesetz nicht unterstellt (Art. 2 Abs. 2 BGÖ), da sie zu einem grossen Teil Daten bearbeitet, die den Geschäfts- oder Berufsgeheimnissen der Beaufsichtigten unterliegen. Vgl. auch
BBl
2006
2829
, S. 2895 f.
4³6 In aller Regel räumt die FINMA bereits vor Veröffentlichung einer Information den Betroffenen das rechtliche Gehör ein. Die Veröffentlichung stellt einen Realakt dar. Betroffene, die ein schutzwürdiges Interesse haben, können eine (anfechtbare) Verfügung über Realakte nach Art. 25 a VwVG verlangen.
Fazit
Im Lichte der oben aufgeführten Vorteile ist die vermehrte Information der Öffentlichkeit als positiv zu beurteilen. Sie wirkt präventiv und setzt den Finanzinstituten und den Entscheidtragenden starke Anreize. Sie trägt zudem zur Stärkung des Schweizer Finanzmarktes bei. Diese Massnahme ist deshalb umzusetzen. Bei der Umsetzung ist den oben aufgeführten Gefahren angemessen Rechnung zu tragen.
Die heutige gesetzlich limitierte Informationstätigkeit der FINMA ist nicht eingeschränkt auf einzelne Sektoren oder systemrelevante Finanzinstitute. Der Nutzen einer vermehrten Information für die Finanzstabilität dürfte sich insbesondere für SIBs entfalten. Unter Berücksichtigung der Zielsetzung der FINMA (Individual- und Systemschutz) und der rechtlichen Gleichbehandlung ist die vorgeschlagene vermehrte Informationstätigkeit der FINMA nach Ansicht des Bundesrates jedoch umfassend für sämtliche Sektoren und Arten von Finanzinstituten auszugestalten.
Pekuniäre Verwaltungssanktionen
Ausgangslage
Einleitung
Aktuell kann die FINMA keine Sanktionen mit pönalem Charakter wie pekuniäre Verwaltungssanktionen (im Folgenden vereinfachend auch «Verwaltungsbussen») gegen beaufsichtigte juristische Personen oder Individuen aussprechen. 4³7 Wohl aber verfügt sie über repressive Instrumente gemäss FINMAG, die Betroffene empfindlich zu treffen vermögen. Diese wirken insbesondere auf Individuen (z. B. das Berufs- und das Tätigkeitsverbot, vgl. Kap. 15.3.1 und 16.4.1). Instrumente mit ähnlich starker Wirkung auf juristische Personen - abgesehen vom Bewilligungsentzug (Art. 37 FINMAG) - fehlen im schweizerischen Finanzmarktrecht. 4³8
Aufgrund diverser parlamentarischer Vorstösse (z. B. Postulat Birrer-Heimo 4³9 , Postulat der WAK-S 44⁰ , Motion WAK-S 44¹ ) sowie durch die Ereignisse rund um die Übernahme der Credit Suisse durch die UBS im Frühjahr 2023 stellt sich die Frage nach der Einführung einer Verwaltungsbussenkompetenz für die FINMA als einer der möglichen Massnahmen zur Erweiterung des FINMA-Instrumentariums. 44²
Eine pekuniäre Verwaltungssanktion ist eine behördliche Massnahme, die eine Verfahrenspartei finanziell belastet. Mit dieser finanziellen Belastung reagiert die Behörde auf eine in der Vergangenheit liegende Verletzung einer verwaltungsrechtlichen Vorschrift. Die Sanktion wird in einem Verwaltungsverfahren (und nicht in einem Strafverfahren) durchgesetzt. 44³
Zu unterscheiden von Verwaltungsbussen ist die Bestrafung nach den Strafnormen im Finanzmarktrecht. Stellt die FINMA fest, dass möglicherweise strafrechtlich relevante Taten verübt worden sind, erstattet die FINMA bei den zuständigen Strafbehörden Strafanzeige. Die Strafverfolgung durch die Strafbehörden richtet sich grundsätzlich gegen natürliche Personen und nur unter bestimmten Voraussetzungen gegen Unternehmungen. 44⁴
Auf internationaler Ebene wurde die Erwartung hinsichtlich der Einführung einer Verwaltungsbussenkompetenz für die FINMA bereits seitens der Financial Action Task Force (FATF) oder auch des Internationalen Währungsfonds (IWF) geäussert. 4⁴5
4³7 Benninger und Zulauf, Verwaltungsbussen durch die FINMA? , in: Zulauf und Wyss (Hrsg.), Finanzmarktenforcement , Bern 2022, S. 466.
4³8 Vgl. Gutachten Häner, Rz. 124.
4³9
Postulat 21.4628
.
44⁰
Postulat 23.3441
.
44¹
Motion 23.4336
.
44² FINMA,
Bericht der FINMA zu den Lessons Learned aus der CS-Krise
, 19. Dez. 2023, S. 46.
44³
BBl
2022
776
, S. 12
44⁴ Vgl. Kapitel 15.2.5.3 für weitere Ausführungen zum Strafrecht.
4⁴5 Benninger und Zulauf, Verwaltungsbussen durch die FINMA? , in: Zulauf und Wyss (Hrsg.), Finanzmarktenforcement , Bern 2022, S. 472, und dort zitierte Länderprüfungen.
Bisheriger Verzicht auf Einführung einer Verwaltungsbussenkompetenz für die FINMA
Das Thema der Einführung einer Verwaltungsbussenkompetenz für die FINMA zum Aussprechen von pekuniären Verwaltungssanktionen ist nicht neu. Bereits im Vorfeld zum Erlass des FINMAG lehnte eine Expertenkommission die Einführung einer Verwaltungsbussenkompetenz für die FINMA ab und nahm sie im Jahr 2004 nicht in ihre Vorschläge für ein Finanzmarktaufsichtsgesetz auf. Denn die Expertenkommission war zum Schluss gekommen, dass es - ausgehend von der Praxis des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Artikel 6 der Europäischen Konvention vom 4. November 1950 4⁴6 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) - problematisch erscheine, Verwaltungsbussen von einer gewissen Höhe im Rahmen eines Verwaltungsverfahrens auszusprechen. Nach Meinung der Experten hätte ein Spezialverfahren im Bereich der Finanzmarktaufsicht geschaffen werden müssen, was ihnen wenig praktikabel erschien. 4⁴7 Letztlich verzichtete die Gesetzgeberin damals auf die Einführung entsprechender Sanktionen.
Im Vorfeld der Arbeiten zur Revision des Börsengesetzes entschied sich das EFD 2013 - primär aufgrund ansonsten notwendiger verfahrensrechtlicher Anpassungen - erneut gegen die Einführung von verwaltungsrechtlichen Vermögenssanktion für die FINMA. 4⁴8
Auch 2014 verwarf der Bundesrat die Idee einer Verwaltungsbussenkompetenz für die FINMA. Begründet wurde dieser Entscheid damit, dass ansonsten die Führung von zwei unterschiedlichen Prozessen und Verfahren nötig würden: einem Verwaltungsverfahren zum einen und einem Verwaltungsstrafrechtsverfahren zum andern. 4⁴9
4⁴6 SR
0.101
4⁴7 Expertenkommission Zimmerli,
Sanktionen in der Finanzmarktaufsicht, II. Teilbericht der vom Bundesrat eingesetzten Expertenkommission
, Aug. 2004.
4⁴8 Benninger und Zulauf, Verwaltungsbussen durch die FINMA? , in: Zulauf und Wyss (Hrsg.), Finanzmarktenforcement , Bern 2022, S. 471.
4⁴9 Die FINMA und ihre Regulierungs- und Aufsichtstätigkeit, Bericht des Bundesrates in Erfüllung der Postulate 12.4095 Graber Konrad, 12.4121 de Courten, 12.4122 Schneeberger und 13.3282 de Buman vom 18. Dez. 2014, Ziff. 2.3.3.4.
Bericht des Bundesrates zu pekuniären Verwaltungssanktionen
Aufgrund des Postulats 18.4100 der Staatspolitischen Kommission des Nationalrats hat der Bundesrat am 23. Februar 2022 in einem umfassenden Bericht untersucht, wie pekuniäre Verwaltungssanktionen im Schweizer Recht eingeführt sowie konform mit der Bundesverfassung und der EMRK ausgestaltet werden können. 45⁰ Der Bericht beleuchtet das Spannungsfeld zwischen den verwaltungsrechtlichen Mitwirkungspflichten und der strafrechtlichen Selbstbelastungsfreiheit.
Eine beteiligte Partei unterliegt einerseits im Verwaltungsverfahren einer Mitwirkungspflicht, das heisst, sie muss am Verfahren aktiv an der Abklärung des Sachverhalts mitwirken und auch selbstbelastende Informationen preisgeben. Die Behörde kann die Mitwirkungspflicht mittels verwaltungs- und strafrechtlicher Zwangsmittel durchsetzen. Andererseits gilt im Strafverfahren der Grundsatz, dass niemand gezwungen werden darf, sich selbst zu belasten (Selbstbelastungs- oder Mitwirkungsfreiheit, Nemo-tenetur-Grundsatz).
Ob pekuniäre Verwaltungssanktionen im Finanzmarktaufsichtsrecht oder anderen Sachbereichen eingeführt werden sollen, bildet nicht Gegenstand des Berichts. Der Bericht des Bundesrates legt aber dar, dass sich das Instrument der pekuniären Verwaltungssanktionen sektoriell etabliert hat, so namentlich im Kartellrecht, im Fernmelderecht oder im Landwirtschaftsbereich. Der Bericht zeigt ebenfalls, dass sich in der Praxis rechtliche Unsicherheiten gezeigt haben. Grund dafür sind die unterschiedlichen Verfahrensgrundsätze, die auf denselben Sachverhalt anwendbar sind. Die pekuniären Verwaltungssanktionen sind zwar dem Verwaltungsrecht zuzurechnen und werden in Form von anfechtbaren Verfügungen ausgesprochen. Aufgrund der Sanktionshöhe und der repressiven sowie pönalen Wirkung gelten sie jedoch regelmässig als «strafrechtliche Anklagen» im Sinn von Artikel 6 Absatz 1 EMRK. Deshalb kommen die strafprozessualen Garantien der Bundesverfassung (Art. 30 und 32 BV) sowie jene der EMRK (Art. 6 und 7 EMRK, Art. 2 des Zusatzprotokolls 7 zur EMRK 45¹ ) grundsätzlich zur Anwendung. Diese Garantien sehen einen weitergehenden Schutz der Partei vor als das Verwaltungsrecht.
Der Bericht kommt in allgemeiner Weise zum Schluss, dass sich pekuniäre Verwaltungssanktionen in das System des allgemeinen Verwaltungsrechts einbetten lassen. Das Verwaltungsverfahrensgesetz und die jeweils einschlägigen Sacherlasse bieten unter Beizug der strafrechtlichen Garantien des übergeordneten Rechts eine tragfähige Grundlage für das Instrument der pekuniären Verwaltungssanktion. Die Verwaltungspraxis und die Rechtsprechung konnten gestützt auf das geltende Recht jeweils gangbare Lösungen entwickeln. Der Bericht zeigt, dass aus konventions- und verfassungsrechtlicher Optik es nicht grundsätzlich ausgeschlossen ist, Verwaltungsbussen einzuführen, mit denen verwaltungsrechtliche Verhaltensvorschriften durchgesetzt werden sollen. Die Sanktionierung setzt gemäss Rechtsprechung voraus, dass ein Verschulden im Sinn einer Vorwerfbarkeit (schuldhaftes Verhalten oder Organisationsverschulden) nachgewiesen wird.
Für den Konflikt zwischen der verwaltungsrechtlichen Mitwirkungspflicht und der strafrechtlichen Selbstbelastungsfreiheit hat die Praxis bisher einzelfallgerechte Lösungen gefunden. Der Bericht des Bundesrates zeigt drei verschiedene Optionen auf, wie mit dem Konflikt umgegangen werden kann:
-
Option 1: Belassen des Status Quo (das heisst, keine gesetzgeberische Klärung, wie das Spannungsfeld aufzulösen ist);
-
Option 2: spezialgesetzliche Regelung des Vorrangs der Mitwirkungspflichten bei vorbestehenden Verwaltungsrechts- bzw. Aufsichtsverhältnissen;
-
Option 3: spezialgesetzliche Regelung des Vorrangs eines Mitwirkungsverweigerungsrechts oder eines Beweisverwertungsverbots.
Für Sanktionsadressaten, die sich einer spezifischen Regulierung unterstellt haben und in einem vorbestehenden Verwaltungsrechtsverhältnis stehen bzw. die besonders beaufsichtigt sind, erscheint der Vorrang der spezialgesetzlichen Mitwirkungspflichten (Option 2 vorstehend) gemäss Bericht denkbar. Diese Option wäre massgebend, falls im Finanzmarktrecht pekuniäre Verwaltungssanktionen eingeführt werden sollten, da die Beaufsichtigten der FINMA einer spezialgesetzlichen Regulierung unterstellt sind.
Der Bericht zeigt auf, dass der Vorrang der Selbstbelastungsfreiheit und die Aufhebung der Mitwirkungspflicht (Option 3 vorstehend) Beweisschwierigkeiten und die einseitige Gewichtung der Interessen der Partei mit sich bringt sowie zeit- und ressourcenintensiv ist. Denkbar ist der Ansatz gemäss Bericht daher höchstens für jene Bereiche, in denen sich die Sanktionsadressaten in einem gewöhnlichen Hoheitsverhältnis zum Staat befinden. Diese Option ist daher für die Einführung von pekuniären Verwaltungssanktionen im Finanzmarktrecht nicht relevant, da die Beaufsichtigten einer spezialgesetzlichen Regulierung unterstehen.
45⁰
BBl
2022
776
45¹
SR
0.101.07
Internationaler Vergleich
45²
45² Vgl. Gutachten Häner, Rz. 53 ff.
Deutschland
In Deutschland wird je nach Schwere des Verstosses zwischen strafrechtlichen und verwaltungsstrafrechtlichen Sanktionen für Ordnungswidrigkeiten differenziert. Das deutsche Recht kennt den Begriff der Verwaltungssanktion als solchen nicht. Die Aufsichtsbehörde BaFin kann verschiedene präventive sowie repressive Massnahmen ergreifen. Mittels repressiver Massnahmen in Form von Sanktionen werden Verletzungen von finanzmarktrechtlichen Bestimmungen geahndet.
Insbesondere ist die BaFin befugt, für Ordnungswidrigkeiten nach dem Kreditwesengesetz (KWG), Wertpapierhandelsgesetz (WpHG), Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG) und anderen Spezialerlassen Bussgelder auszusprechen. Mittels «Zwangsgeld» von bis zu 2,5 Millionen Euro darf die BaFin durchsetzen, dass natürliche oder juristische Personen zu einem Tun oder Unterlassen bewegt werden. Die BaFin selbst qualifiziert das «Zwangsgeld» nicht als repressive Verwaltungsmassnahme.
Vereinigtes Königreich
Im UK sind sowohl die Financial Conduct Authority (FCA) als auch die Prudential Regulation Authority (PRA) legitimiert, finanzmarktrechtliche Sanktionen auszusprechen. Einer finanziellen Sanktion wie der « financial penalty » kommt dabei auch ein pönaler Charakter zu. Zudem können die beiden Aufsichtsbehörden selbst auch gewisse Straftatbestände strafrechtlich verfolgen.
Im gesamten Enforcementverfahren erfolgt lediglich zum Abschluss des Verfahrens eine einzige öffentliche Bekanntmachung mit Verweis auf die rechtliche Sanktion. Die im UK aufgrund eines Enforcementverfahrens erlittenen Reputationsschäden werden als fast neunmal höher eingeschätzt als Schäden aus finanziellen Sanktionen und zudem wird auch die Abschreckung von finanziellen Sanktionen der FCA in Frage gestellt. Ebenso werden im UK Vorschläge gemacht, die finanzmarktaufsichtsrechtlichen Instrumente dem Wettbewerbsrecht anzugleichen.
Vereinigte Staaten
Die Ausgangslage in den USA ist aufgrund der verschiedenen agierenden Aufsichtsbehörden komplex (z. B. Federal Reserve , Fed; Commodities Futures Trading Commission , CFTC; Securities and Exchange Commission , SEC).
Gegen Verstösse verwaltungsrechtlicher Bestimmungen können die in ihrem Zuständigkeitsbereich verantwortlichen Behörden Sanktionen erlassen ( Civil Sanctions, Administrative Sanctions ). Dazu gehören sowohl Bussen mit Strafcharakter ( Civil Money Penalties, Civil Fines ) als auch finanzielle Sanktionen ohne Strafcharakter (Gewinnabschöpfung: Disgorgement ). Das Aussprechen von strafrechtlichen Sanktionen ( Criminal Sanctions ) als solchen obliegt dabei den Strafverfolgungsbehörden wie z. B. dem Department of Justice.
Besonders erwähnenswert ist das in den USA existierende Office of Whistleblower , das zu erfolgreichen Enforcementverfahren führende Hinweise mit 10-30 Prozent der gesamten Sanktionssumme belohnt. Zudem steht den Aufsichtsbehörden auch die Möglichkeit offen, mit den Unternehmen Deferred Prosecution Agreements (DPA) abzuschliessen und das Enforcementverfahren mittels einer Einigung zu beenden. Es wird auch moniert, dass die US-Bussenpraxis gegenüber Unternehmen den eigentlichen Zweck von strafrechtlichen Verfahren verwische, nämlich diejenigen abzuschrecken, «welche das Tatgeschehen in der Hand halten würden».
Beurteilung
In der Vergangenheit gab es mehrere Überprüfungen, ob im Schweizer Finanzmarktrecht eine Verwaltungsbussenkompetenz für die FINMA eingeführt werden sollte. Diese kamen jeweils mit differenzierten Begründungen zu einem negativen Schluss.
Der Bericht des Bundesrates von 2022 zeigt verschiedene Optionen für den Gesetzgeber auf, deren Anwendung auch im Bereich des Finanzmarktrechts geprüft werden könnte, wobei sich bei vorbestehenden Verwaltungsrechts- bzw. Aufsichtsverhältnissen ein Vorrang der Mitwirkungspflicht von Gesetzes wegen statuieren liesse. Zwischen der FINMA und den von ihr Beaufsichtigten besteht ein solches Verhältnis.
Im Unterschied zu anderen Jurisdiktionen mit wichtigen Finanzplätzen verfügt die FINMA nicht über solche Instrumente. Einzelne politische Vorstösse im Zusammenhang mit den Vorkommnissen bei der Credit Suisse und internationale Beurteilungen legen die erneute Prüfung der Einführung einer entsprechenden Kompetenz für die FINMA nahe.
Bei einer allfälligen Einführung gilt es allerdings zu beachten, dass eine effiziente Aufsichtstätigkeit und die rasche Wiederherstellung des ordnungsgemässen Zustands bei Missständen im Finanzmarktrecht prioritär sind. Damit der Sachverhalt rasch und zuverlässig abgeklärt werden kann, ist die FINMA darauf angewiesen, dass den Mitwirkungspflichten (auch gegenüber den von ihr eingesetzten Beauftragten) nachgekommen wird. Eine mögliche pekuniäre Sanktionskompetenz für die FINMA darf die Mitwirkungspflichten der Beaufsichtigten und massgebend an diesen beteiligten Personen nicht wesentlich einschränken.
Mögliche Massnahmen
Eine Kompetenz der FINMA zum Aussprechen von pekuniären Verwaltungssanktionen könnte zum einen mit Wirkung gegen juristische Personen und zum anderen mit Wirkung gegen natürliche Personen eingeführt werden.
Des Weiteren besteht auch die Möglichkeit, dass die Revisionsaufsichtsbehörde (RAB) pekuniäre Verwaltungssanktionen gegenüber Revisionsgesellschaften aussprechen können soll.
Verwaltungsbussenkompetenz der FINMA gegenüber juristischen Personen
Die FINMA erhält gemäss dieser Handlungsoption die Kompetenz, Verwaltungsbussen gegenüber juristischen Personen auszusprechen.
Für diese Massnahme sprechen folgende Argumente bzw. Vorteile 45³ :
-
Durch das Aussprechen von Verwaltungsbussen gegenüber juristischen Personen werden die Eigentümer des Unternehmens sensibilisiert und können dadurch den Organen gegenüber die Décharge verweigern. Insofern entfalten pekuniäre Verwaltungssanktionen indirekt eine Wirkung auf Finanzkader.
-
Durch Einführung einer Kompetenz zu pekuniären Verwaltungssanktionen wird die Reputation der FINMA auf nationaler Ebene verbessert. Dadurch werden auch das Vertrauen und Ansehen in den Markt sowie die Reputation der Finanzmarktaufsicht gestärkt.
-
Aufgrund der globalen Verflechtung des schweizerischen Finanzmarktes ist von Bedeutung, wie man diesen im Ausland wahrnimmt. Da das Instrument in anderen Jurisdiktionen bekannt ist, dürfte die Einführung einer Verwaltungsbussenkompetenz der FINMA das Ansehen der Aufsicht stärken.
-
Durch die Erteilung einer Verwaltungsbussenkompetenz an die FINMA agiert diese sowohl als instruierende als auch als sanktionierende Behörde. Der FINMA kommt grosse Expertise und Fachkompetenz im betreffenden Bereich zu, was auch eine einheitliche Sanktionspraxis gewährleistet.
Allfällige pekuniäre Verwaltungssanktionen sind so auszugestalten, dass sie die angestrebten Wirkungen entfalten. Einerseits ergibt sich dies durch die Festlegung einer angemessenen Höhe, wobei die Betroffenen nicht in ihrer Existenz bedroht werden sollen. Andererseits trägt auch eine mögliche Veröffentlichung zur Wirkung bei (vgl. Kap. 16.2).
Zu beachten ist ferner, dass bei der Einführung von pekuniären Verwaltungssanktionen gegenüber Unternehmen der eigentliche Zweck eines strafrechtlichen oder strafrechtsähnlichen Verfahrens verwischt wird, nämlich direkt diejenigen zu bestrafen, die das Tatgeschehen in der Hand halten. 45⁴
45³ Vgl. zu möglichen Vor- und Nachteilen auch Loher und Müller,
Bussenkompetenz für die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht FINMA
, Iusnet Bank- und Kapitalmarktrecht , 2023.
45⁴ Hofstetter, Unternehmen als «Prügelknaben» des Wirtschaftsrechts? in: Tatsachen - Verfahren - Vollstreckung , Zürich 2015, S. 335.
Verwaltungsbussenkompetenz der FINMA gegenüber natürlichen Personen
Die FINMA erhält gemäss dieser möglichen Massnahme die Kompetenz, Verwaltungsbussen gegenüber natürlichen Personen auszusprechen. ⁴55
Bei dieser Massnahme ergibt sich zusätzlich der mögliche Vorteil, dass die individuelle Verantwortung durch Einführung von pekuniären Verwaltungssanktionen gegenüber natürlichen Personen gestärkt wird. ⁴56 Es werden diejenigen mit einer Sanktion (allenfalls kombiniert mit einer Veröffentlichung, siehe Kap. 16.2) belegt, die für Verstösse gegen Aufsichtsrecht letztlich verantwortlich sind.
Die Einführung von Verwaltungsbussen gegen natürliche Personen allerdings erscheint komplex, da die verfassungs- und konventionsrechtlichen Garantien bei natürlichen Personen weiter reichen als bei juristischen Personen. ⁴57 Insbesondere besteht die Gefahr, dass die Mitwirkungspflichten derart eingeschränkt würden, dass die Ermittlung des materiellen Sachverhalts erschwert würde. ⁴58 Dies würde zu einer Einschränkung der Wirksamkeit der FINMA führen.
Die Sanktion dürfte zudem durch Risikozuschläge bei den Vergütungen oder durch Vereinbarungen über eine Verwaltungsbussenübernahme durch das Finanzinstitut vorab kompensiert werden. ⁴59
⁴55 Eine Kompetenz der FINMA, Verwaltungsbussen auszusprechen, wäre zu unterscheiden von den bestehenden Sanktionsmöglichkeiten gemäss den verschiedenen Strafbestimmungen im Finanzmarktrecht. Die Zuständigkeit zur Strafverfolgung in diesem Bereich liegt beim EFD (Art. 50 FINMAG).
⁴56 Vgl. auch Ziele des
Postulats 21.3893
.
Dies auch vor dem Hintergrund des internationalen Trends, den Fokus nicht mehr nur auf das Unternehmen, «sondern vermehrt auch auf dessen Entscheidungsträger zu legen» ; so Emmenegger, Das UK Senior Managers and Certification Regime, AJP 2022, S. 830.
⁴57 Gutachten Häner, Rz. 87 f.
⁴58 Gutachten Häner, Rz. 126.
⁴59 Gutachten Häner, Rz. 126.
Kompetenz der RAB zum Aussprechen von pekuniären Verwaltungssanktionen gegenüber Revisionsunternehmen
Die RAB ist verantwortlich für die Aufsicht über die Prüfgesellschaften in den Bereichen der Rechnungsprüfung und der Aufsichtsprüfung. Sie verfügt gegenwärtig über keine Kompetenz, gegen Revisionsunternehmen pekuniäre Verwaltungssanktionen auszusprechen. Eine solche könnte auch für sie eingeführt werden.
Fazit
Unter Berücksichtigung der oben vorgenommenen Analyse ist die Einführung der Kompetenz für pekuniäre Verwaltungssanktionen gegenüber juristischen Personen zu prüfen. Mit diesem Instrument könnten neu Verletzungen von Aufsichtsrecht auf Ebene Institut sanktioniert werden. 46⁰ Auch wenn diese Massnahme nicht im Zentrum der Stärkung des TBTF-Dispositivs steht, wird damit eine im internationalen Vergleich bestehende Lücke im Instrumentarium der FINMA geschlossen und grundsätzlich die Aufsicht gestärkt.
Die heutigen Aufsichtsinstrumente der FINMA sind anwendbar auf sämtliche Beaufsichtigte. 46¹ Es ist nicht begründbar und aus Gründen der Rechtsgleichheit schwer zu rechtfertigen, Verwaltungsbussen nur für SIBs einzuführen, während bei nicht systemrelevanten Finanzinstituten bei ähnlich gelagerten Verletzungen von Aufsichtsrecht dieses Sanktionsinstrument nicht zur Verfügung steht. Insofern sind die Verwaltungsbussen gegen juristische Personen bei einer allfälligen Einführung für alle beaufsichtigten Finanzinstitute vorzusehen.
In den weiteren Arbeiten ist noch vertieft zu prüfen, welchen Einfluss eine neue Kompetenz der FINMA auf die Mitwirkungspflichten und damit auf die Effektivität und Effizienz der Aufsichtstätigkeit der FINMA hätte. Insbesondere erscheint es zwingend, dass eine gesetzliche Lösung die Mitwirkungspflichten gewährleistet, sodass das prioritäre Ziel der FINMA, die Wiederherstellung des ordentlichen Zustandes bei einem Beaufsichtigten, nicht behindert wird.
Die weiteren Arbeiten sollen schliesslich auch die Eckpunkte der Ausgestaltung einer möglichen Normierung einer pekuniären Verwaltungssanktion einschliessen. Dazu gehört die Erarbeitung der gesetzlichen Grundlagen mit der Festlegung der mit Sanktionen belegten Pflichten, des Adressatenkreises, der Rechtsfolge (z.B. Sanktionshöhe) und der Verjährungsbestimmungen. 46²
Bussen der FINMA gegen Individuen hingegen werden zum jetzigen Zeitpunkt nicht zur Umsetzung empfohlen, die Priorität soll auf den Prüfarbeiten zu den Verwaltungsbussen gegen juristische Personen liegen. Bei Verwaltungsbussen gegen Individuen besteht die Gefahr, dass sie die Abklärungen der Aufsicht im Rahmen von Enforcementverfahren beeinträchtigen und damit die Effektivität der Aufsicht schwächen. Die FINMA verfügt mit dem Berufs- und dem Tätigkeitsverbot, dem Gewährsentzug und der Einziehung unrechtmässig erworbener Gewinne bereits über Sanktionsinstrumente gegenüber Individuen mit einschneidender Wirkung.
Zur Sicherstellung der Kohärenz der Aufsichtsmittel ist ferner zu prüfen, ob der RAB ebenfalls die pekuniäre Verwaltungssanktion gegen juristische Personen (Revisionsunternehmen) zur Verfügung stehen sollte.
46⁰ Gutachten Häner, Rz. 124.
46¹ Vgl. insbesondere Art. 29 ff. FINMAG.
46²
BBl
2022
776
, S. 15 f., Ziff. 4.
Weitere Instrumente zur Herstellung der Verantwortlichkeit von Instituten und Individuen
Die möglichen Massnahmen zu den nachfolgend diskutierten FINMA-Instrumenten können dazu geeignet sein, dass die FINMA Institute und Individuen bei Fehlverhalten vermehrt und einfacher zur Verantwortung ziehen kann. Auch sie können eine präventive Wirkung entfalten und den Instituten und Individuen Anreize setzen, die Corporate Governance zu stärken und Fehlverhalten zu vermeiden.
Berufsverbot
Ausgangslage
Die FINMA kann bei einer schweren Verletzung aufsichtsrechtlicher Bestimmungen gegenüber der verantwortlichen Person ein Berufsverbot gemäss Artikel 33 FINMAG aussprechen und ihr die Tätigkeit in leitender Stellung bei einer oder einem von ihr Beaufsichtigten für eine Dauer von bis zu fünf Jahren untersagen. Mit dem Aussprechen des Berufsverbots wird das «Konzept der Institutsaufsicht», das den Finanzmarkt prägt, durchbrochen. 46³ Damit wird nicht das Institut als solches, sondern eine bestimmte natürliche Person zur Verantwortung gezogen. Dies bedingt, dass die betreffende Person die schwere Verletzung von Aufsichtsrecht durch ihr individuelles Verhalten kausal und schuldhaft bewirkt hat, was ihr nachzuweisen ist. 46⁴
Geltende Norm seit 1. Januar 2009 und gelebte Praxis
Das Berufsverbot (Art. 33 FINMAG) wurde per 1. Januar 2009 im schweizerischen Aufsichtsrecht eingeführt. Seit der Einführung der Bestimmung im Jahr 2009 bis 2022 hat die FINMA 50 Berufsverbote erlassen, 41 seit 2014. Die Verbote ergingen vorwiegend im Bereich der Marktintegrität sowie der Geldwäschereibekämpfung. ⁴65
Voraussetzungen für das Aussprechen eines Berufsverbots
Oft gehen Enforcementverfahren gegen Institute einem Berufsverbotsverfahren gegenüber natürlichen Personen voraus, da die aufsichtsrechtlichen Pflichten den Instituten als solchen obliegen. ⁴66 Das Aussprechen eines Berufsverbots gegenüber einer natürlichen Person erfordert eine schwere Verletzung von Aufsichtsrecht, was den Grundsatz der Verhältnismässigkeit widerspiegelt. ⁴67
Die gesetzlich geforderte schwere Verletzung von Aufsichtsrecht muss durch eine bestimmte verantwortliche Person kausal und schuldhaft bewirkt worden sein. Weil das Berufsverbot als einschneidende Massnahme gilt, sind die Anforderungen an die Bestimmtheit der verletzten konkreten Norm und an die Begründung für das Berufsverbot hoch. So reicht gemäss aktueller Rechtsprechung die Verletzung von institutsinternen Weisungen für die Verhängung eines Berufsverbots nicht, wenn diese Sanktion für die betroffene Person nicht voraussehbar ist. ⁴68
Zudem muss die Pflichtverletzung der betreffenden Person individuell zurechenbar sein. Vor diesem Hintergrund sind gerade bei Gremienentscheiden die Feststellung des jeweiligen Wissens und der Informationsstand des einzelnen Gremienmitglieds bedeutsam, damit ein Berufsverbot ausgesprochen werden kann. ⁴69
So stellte das Bundesgericht am 30. März 2023 fest: «Individuelle Zurechenbarkeit in einer arbeitsteiligen Organisation bedeutet, dass sich die schwere Verletzung von aufsichtsrechtlichen Bestimmungen im Verantwortungsbereich einer bestimmten Person ereignet haben muss, wobei für eine aufsichtsrechtliche Massnahme kumulativ oder alternativ drei Vorwürfe rechtsgenügend zutreffen müssen: 1) eine aktive Aufsichtsrechtsverletzung, 2) die Kenntnis der Aufsichtsrechtsverletzung und pflichtwidriges Nichteinschreiten dagegen oder 3) eine pflichtwidrige Unkenntnis der Aufsichtsrechtsverletzung. Die Sanktion des Berufsverbots soll nicht mit dem Hinweis auf die interne Aufgabenteilung ausgehebelt werden können.» 47⁰
Gesetzlich maximale Dauer von fünf Jahren
Für welche Dauer das Berufsverbot ausgesprochen wird, ist stark abhängig vom Einzelfall. Gemäss geltendem Recht ist das Berufsverbot auf maximal fünf Jahre beschränkt. Grundsätzlich stellt die FINMA sowohl auf das Ausmass der Rechtsverletzung als auch auf das Gefährdungspotenzial für Anleger und Versicherte ab. 47¹ Die Auferlegung eines Berufsverbots nach Artikel 33 FINMAG stellt eine die Wirtschaftsfreiheit des Betroffenen wesentlich einschränkende Massnahme dar. 47² Bei der Bemessung der Dauer ist daher die Verhältnismässigkeit zu berücksichtigen. 47³
Die entsprechende Bestimmung komplementiert das «Gewährserfordernis». Im Unterschied zur Gewähr ist 1) das Berufsverbot gesetzlich auf maximal fünf Jahre befristet, 2) umfasst nicht nur Gewährsträger, sondern generell verantwortliche Personen in hierarchisch leitender Stellung und 3) kann zudem gegenüber ausgeschiedenen Personen erlassen werden. 47⁴
Vergleich mit dem Tätigkeitsverbot nach Artikel 33a FINMAG
Die FINMA kann ein Tätigkeitsverbot nach Artikel 33 a FINMAG gegen Personen mit Tätigkeit im Handel mit Finanzinstrumenten oder gegen eine Kundenberaterin oder einen Kundenberater aussprechen, wenn sie Aufsichtsrecht oder betriebsinterne Vorschriften schwer verletzen. Letzteres steht im Gegensatz zum Berufsverbot, bei dem einzig eine schwere Verletzung von Aufsichtsrecht eine Voraussetzung ist.
Des Weiteren unterscheidet sich das Berufsverbot vom Tätigkeitsverbot in Bezug auf die Dauer des Verbots. Ein Berufsverbot kann für die Dauer von bis zu fünf Jahren ausgesprochen werden (Art. 33 Abs. 1 FINMAG), während die FINMA ein Tätigkeitsverbot zu befristen hat, es aber im Wiederholungsfall unbefristet aussprechen kann (Art. 33 a Abs. 1 FINMAG).
Das Aussprechen eines Berufsverbots schliesst das gleichzeitige Aussprechen eines Tätigkeitsverbots nicht aus. Insofern können die beiden Verbote sowohl kombiniert als auch unterschiedlich lang ausgesprochen werden. Die Rechtsfolge des Tätigkeitsverbots für Händlerinnen und Händler sowie Kundenberaterinnen und Kundenberater gehen insofern weiter als das Berufsverbot, als dass sie ein Verbot für jegliche Tätigkeit im Handel mit Finanzinstrumenten oder als Kundenberaterin oder Kundenberater und nicht nur für leitende Stellungen vorsieht. Im Vergleich zum Berufsverbot enger gefasst ist das Tätigkeitsverbot insofern, als dass nur bestimmte Mitarbeitende (Händlerinnen oder Kundenberater gemäss FIDLEG) für ein solches in Frage kommen. ⁴75
46³ Gottini und von der Crone, Berufsverbot nach Art. 33 FINMAG , SZW 6/2016, S. 643.
46⁴ Kuhn, Berufsverbot , in: Zulauf und Wyss (Hrsg.), Finanzmarktenforcement , Bern 2022, S. 377.
⁴65 Kuhn, Berufsverbot , in: Zulauf und Wyss (Hrsg.), Finanzmarktenforcement , Bern 2022, S. 374 und 377 .
⁴66 Kuhn, Berufsverbot , in: Zulauf und Wyss (Hrsg.), Finanzmarktenforcement , Bern 2022, S. 375.
⁴67 Gottini und von der Crone, Berufsverbot nach Art. 33 FINMAG , SZW 6/2016, S. 642.
⁴68
BVGer B-1576/2019
E. 9.4
⁴69 Strasser, Aufsichts- und Verwaltungsstrafrechtliche Verantwortlichkeit bei Gremienentscheidungen in der Geldwäschereibekämpfung von Banken , SJZ 118/2022, S. 694.
47⁰
BGE 2C_747/2021
E. 13.2.
47¹ Kuhn, Berufsverbot , in: Zulauf und Wyss (Hrsg.), Finanzmarktenforcement , Bern 2022, S. 373.
47² BVGer B-4750/2019 E.6.
47³ Art. 27 BV.
47⁴ Kuhn, Berufsverbot , in: Zulauf und Wyss (Hrsg.), Finanzmarktenforcement , Bern 2022, S. 370.
⁴75 Kuhn, Tätigkeitsverbot , in: Zulauf und Wyss (Hrsg.), Finanzmarktenforcement , Bern 2022, S. 383 f.
Internationaler Vergleich
Vereinigtes Königreich
Die Berufsverbote werden im UK Prohibition Orders genannt und sind für alle Finanzsektoren im Financial Services and Market Act (FSMA) zentral geregelt. ⁴76 Die FCA ist zur Aussprache der betreffenden Prohibition Orders ermächtigt. Ist die betroffene Person nicht geeignet (fit) oder integer (proper), um einer regulierten Tätigkeit nachzugehen, kann die FCA ein Berufsverbot verhängen. Dabei hängt der Umfang eines Verbots davon ab, welche Aufgaben die betreffende Person im Zusammenhang mit aufsichtsrechtlichen Tätigkeiten wahrnimmt, aus welchen Gründen sie nicht tauglich ist und wie gross das Risiko ist, das sie die Verbraucher schädigt. Die Prohibition Order kann grundsätzlich auf unbeschränkte Dauer ausgesprochen werden. Die FCA hat aber auch die Möglichkeit, in einer Final Notice festzuhalten, nach wie vielen Jahren eine Prohibition Order aufgehoben werden kann. ⁴77
Deutschland
Die BaFin kann gestützt auf § 36 oder 36a des Kreditwesengesetzes (KWG) sogenannte Tätigkeitsverbote erlassen. ⁴78 Durch Aussprechen eines Tätigkeitsverbots wird einem Geschäftsleiter oder einem Mitglied des Verwaltungs- oder Aufsichtsorgans von Instituten oder Unternehmen in der Rechtsform einer juristischen Person die Ausübung der Tätigkeit auf unbefristete Dauer untersagt. ⁴79 Personen gegenüber, die zum Zeitpunkt des Verstosses nicht Geschäftsleiter waren, wird das Tätigkeitsverbot für bis zu zwei Jahre, im Wiederholungsfall allenfalls auch unbefristet ausgesprochen.
Singapur
In Singapur sind die Berufsverbote ( Prohibition Orders ) sektoriell geregelt 48⁰ , wobei der Bankensektor nicht erfasst wird. 48¹ Die Bestimmungen zu den Berufsverboten werden zurzeit grundlegend revidiert. Insbesondere sollen der Anwendungsbereich erweitert und die gesetzlichen Grundlagen vereinheitlicht werden. 48² Gemäss geltendem Recht kann die Monetary Authority of Singapore (MAS) unbeschränkte oder beschränkte Berufsverbote, abhängig von der Schwere und der Art des Verstosses, aussprechen.
⁴76 UK,
Financial Services and Markets Act 2000
, Section 56.
⁴77 FCA,
FCA Enforcement Guide
, Kap. 9.2.4
.
⁴78
Art. 36 KWG
sowie
Art. 36
a
KWG
.
⁴79 Vgl. auch für Personen, die zum Zeitpunkt des Verstosses nicht Geschäftsleiter waren,
Art. 36
a
KWG
.
48⁰ Namentlich in Art. 101A ff. Securities and Futures Act (SFA); in Art. 68 ff Financial Advisers Act (FAA); sowie in Art. 57 ff. Insurance Act (IA).
48¹ Ein Bankmitarbeiter kann aber ein Berufsverbot für eine Tätigkeit erfahren, die von anderen Finanzmarkterlassen erfasst ist.
48² Monetary Authority of Singapore,
Explanatory Brief for Financial Services and Markets Bill 2022
, 14 . Febr. 2022.
Beurteilung
Das Aussprechen eines Berufsverbots stellt eine konkrete Handlungsmöglichkeit der FINMA gegenüber einem Individuum dar. Das Berufsverbot und das Tätigkeitsverbot unterscheiden sich in Bezug auf die Voraussetzungen und die Dauer. Eine Angleichung des Berufsverbots an das Tätigkeitsverbot kann es der FINMA erleichtern, im Bedarfsfall gegen natürliche Personen vorzugehen und ihnen im Wiederholungsfall die Berufsausübung auf Dauer zu untersagen.
Mögliche Massnahmen
Analog zum Tätigkeitsverbot nach Artikel 33 a FINMAG soll die FINMA gemäss dieser Massnahme auch bei schweren Verletzungen betriebsinterner Vorschriften das Instrument des Berufsverbots anwenden können. Dadurch kann die Bedeutung der internen Weisungen aufgewertet werden, was im Sinne einer guten Corporate Governance wäre. Auf diese Weise kann die FINMA vermehrt Individuen zur Verantwortung ziehen. Die Individuen müssen allerdings verstehen, dass auch eine schwere Verletzung interner Vorschriften zu einem Berufsverbot führen kann.
Die schwere Verletzung betriebsinterner Vorschriften muss letztlich dazu geeignet sein, eine schwere Verletzung von Aufsichtsrecht herbeizuführen. Es gilt zu bedenken, dass das Berufsverbot bereits in seiner Ausgestaltung gemäss geltendem Recht eine starke Einschränkung der verfassungsrechtlich gewährleisteten Wirtschaftsfreiheit der betroffenen Person darstellt.
Zudem soll die maximale Dauer des Berufsverbots von fünf Jahren in Angleichung an das Tätigkeitsverbot befristet und im Wiederholungsfall gleich wie das Tätigkeitsverbot bereits heute ebenfalls dauernd ausgesprochen werden können.
Einziehung
Ausgangslage
Die Einziehung nach Artikel 35 FINMAG zielt darauf ab, einen Gewinn (Abs. 1) oder einen vermiedenen Verlust (Abs. 2) bei einer Beaufsichtigten oder einem Beaufsichtigten bzw. bei einer verantwortlichen Person in leitender Stellung einzuziehen. Die Einziehung dient der Wiederherstellung des ordnungsgemässen Zustandes und nicht einem strafenden oder repressiven Zweck. 48³
Artikel 35 FINMAG ist bei natürlichen Personen nur auf solche in leitender Stellung anwendbar. Das heisst, eine Mitarbeiterin eines Beaufsichtigten ohne Leitungsfunktion, die durch eine schwere Verletzung von Aufsichtsrecht unrechtmässig einen persönlichen Gewinn erzielt oder einen persönlichen Verlust vermieden hat, fällt nicht unter diese Norm. Allerdings existiert in Artikel 145 FinfraG eine Verweisnorm, die es der FINMA ermöglicht, Gewinneinziehungen bei sämtlichen Personen vorzunehmen, die u. a. Insiderwissen (Art. 142 FinfraG) ausgenützt haben oder eine Marktmanipulation (Art. 143 FinfraG) begangen haben.
48³ Bösch zu Art. 35 FINMAG in: Watter und Bahar (Hrsg.), Basler Kommentar FINMAG/FinfraG , 3. Aufl., Basel 2019, Rz. 7.
Internationaler Vergleich
Die Einziehung ist auch in anderen Jurisdiktionen ein gängiges Enforcementinstrument. Im UK verfügen die PRA und die FCA regelmässig die Einziehung (Disgorgement) , wenn ein Finanzinstitut oder ein Individuum von einer Verletzung von Aufsichtsrecht profitiert hat. 48⁴ In den USA gehört die Einziehung zum Standardinstrumentarium der SEC. ⁴85
48⁴ Bank of England - PRA,
The Bank of England’s approach to enforcement: statements of policy and procedure
, Jan. 2024; FCA,
FCA Handbook - DEPP 6.5 Determining the appropriate level of financial penalty
.
⁴85 Vgl. z. B. SEC, Medienmitteilung:
SEC Announces Enforcement Results for Fiscal Year 2023
, 14 . Nov. 2023.
Beurteilung
Der persönliche Geltungsbereich der Einziehung in Bezug auf natürliche Personen unterscheidet sich von jenem des Berufsverbots oder des Tätigkeitsverbots, die beide direkt auf natürliche Personen gerichtet sind. Beim Tätigkeitsverbot ist die leitende Stellung keine Voraussetzung und bei mit einem Berufsverbot belegten Personen dürfte die leitende Stellung regelmässig erfüllt sein, ist aber keine zwingende Voraussetzung. ⁴86 Beim Instrument der Einziehung bei natürlichen Personen besteht somit eine Inkonsistenz zum Tätigkeitsverbot, da bei diesem der Adressatenkreis auch Personen einschliesst, die nicht in leitender Stellung sind.
⁴86 Vgl. Uhlmann , Berufsverbot nach Art. 33 FINMAG , in: SZW 5/2011, S. 437, oder Gottini und von der Crone, Berufsverbot nach Art. 33 FINMAG , SZW 6/2016, S. 645.
Mögliche Massnahme
Bei der Gewinneinziehung wird der Anwendungsbereich von Artikel 35 FINMAG auf alle natürlichen Personen erweitert. Mit der Erweiterung werden z. B. auch Kundenberaterinnen und Händler erfasst, auf die das Tätigkeitsverbot nach Artikel 33 a FINMAG Anwendung finden könnte und die nicht in leitender Stellung sind. Die Norm würde das bestehende FINMA-Instrumentarium zur Durchsetzung des Finanzmarktrechts erweitern und wäre in Bezug auf den persönlichen Anwendungsbereich im Einklang mit der bereits geltenden gesetzlichen Regelung im FinfraG.
Gewährsprüfung
Ausgangslage
Die FINMA erteilt einer Bank u. a. die Bewilligung, wenn die mit der Verwaltung und Geschäftsführung betrauten Personen einen guten Ruf geniessen und Gewähr für eine einwandfreie Geschäftstätigkeit bieten (vgl. Art. 3 Abs. 2 Bst. c BankG). ⁴87
Das Gewährserfordernis bezieht sich - gemäss der vom Bundesgericht gestützten Aufsichtspraxis der FINMA - nicht nur auf einzelne Personen, sondern auch auf die Bank als Ganzes. Die FINMA prüft das auf Personen bezogene Gewährserfordernis insbesondere im Rahmen der Erstbewilligung, bei Organmutationen (Vakanzen bzw. Schaffung von neuen Positionen) sowie auf besondere Hinweise hin (z. B. im Rahmen der prudenziellen Aufsicht).
Die FINMA kann bei der Gewährsprüfung einer Person die Gewähr als Teil eines Organs oder als qualifiziert Beteiligte eines überwachten Instituts absprechen. Ist eine Person bereits im Amt bzw. beteiligt und ist das Gewährserfordernis nicht mehr gegeben, kann die FINMA der entsprechenden Person die Gewähr entziehen. Dabei weist sie das Institut mittels Verfügung an, den Gewährsträger aus seiner Gewährsfunktion bzw. Beteiligung zu entfernen.
Das Gewährserfordernis verlangt von den Funktionstragenden, dass sie gewisse moralische Voraussetzungen ( Propriety oder Properness ) erfüllen, d. h., dass sie sich korrekt und ehrlich verhalten und einen guten Ruf geniessen. Zudem müssen sie mit Blick auf eine konkrete Funktion die nötigen fachlichen Qualifikationen ( Fitness ) mitbringen. Die Anforderungen an die Gewähr, die die FINMA im Rahmen ihrer Gewährsprüfung überprüft, sind regulatorisch nicht im Einzelnen festgehalten. Die FINMA hat das Gewährserfordernis für Banken in einer Wegleitung für Organmutationen erläutert. Sie legt u. a. dar, welche Analysen sie in Bezug auf die Properness und Fitness der Kandidatinnen und Kandidaten vornimmt.
Bei Banken gilt eine Organmutation gemäss angewandter Praxis der FINMA als Änderung von Tatsachen von wesentlicher Bedeutung nach Artikel 8 a Absatz 2 BankV. Die Bewilligungspflicht für Organmutationen bei Banken gründet somit auf einer auf Gesetzesstufe bloss implizierten Regelung, die auf Verordnungsebene expliziert wird.
Die präventive Ex-ante-Anwendung dieses Instruments kann bewirken, dass für eine Position ungeeignete Personen erst gar nicht in eine Organstellung kommen, in der sie die Verantwortung für die Corporate Governance tragen und wo sie z. B. sicherstellen müssten, Mechanismen zu implementieren, die individuelles Fehlverhalten in ihrem Verantwortungsbereich auf allen hierarchischen Stufen verhindern. Die Ex-ante-Gewährsprüfung stellt somit bei den betroffenen Personen schon bei der Nominierung eine Verbindung zur individuellen Verantwortlichkeit her. ⁴88 Die Properness und Fitness einer Gewährsperson ist somit auch eine Voraussetzung für eine angemessene Corporate Governance.
Die Verantwortung für die Auswahl der Personen liegt beim jeweiligen Institut. Es ist für die Prüfung der Fitness und Properness primär verantwortlich. Allerdings ist ein vermehrter Einfluss der Aufsichtsbehörde auf die Ernennung von Gewährsträgern bei einer detaillierteren Normierung der Gewährsanforderungen zu erwarten. ⁴89
⁴87 Kuhn und Wyss, Vorsorgliche Massnahmen und Schutzmassnahmen , in: Zulauf und Wyss (Hrsg.), Finanzmarktenforcement , Bern 2022, S. 365 f.
⁴88 Reiser, Missmanagement im Bankensektor und die FINMA-Gewährsprüfung , in: SZW 6/2022, S. 544.
⁴89 Bischof, Die Gewähr für eine einwandfreie Geschäftstätigkeit - Eine Betrachtung des schweizerischen Finanzmarktrechts im Lichte internationaler Standards und des Rechts der Europäischen Union , Zürich 2016, Rz. 810.
Internationaler Vergleich
In anderen Jurisdiktionen (z. B. im UK, in der EU und in Hongkong) sind die « Fit-and-Proper » -Anforderungen regulatorisch definiert, was die Rechtsicherheit für Massnahmen durch die Aufsichtsbehörde deutlich erhöht und den Instituten sowie den Gewährstragenden einen Orientierungsrahmen über die Anforderungen bietet. 49⁰ Im UK und in Hongkong stehen die Anforderungen im Zusammenhang mit dem dort geltenden Verantwortlichkeitsregime (dem S enior Managers and Certification Regime im UK oder dem Managers in Charge Regime in Hongkong).
Gemäss den seit dem 30. Juni 2018 gültigen «Leitlinien zur Bewertung der Eignung von Mitgliedern des Leitungsorgans und Inhabern von Schlüsselfunktionen» 49¹ der Europäischen Bankenaufsichtsbehörde (EBA) sollen Institute laufend die individuelle und kollektive Eignung der Mitglieder des Leitungsorgans bewerten. In der EU stehen diese Anforderungen nicht im Zusammenhang mit einem Verantwortlichkeitsregime.
49⁰ UK: FCA,
Fit and Proper test for Employees and Senior Personnel sourcebook
, Dez. 2023; Bank of England,
Fitness and Propriety
, PRA-Rulebook, 31. Dez. 2020. Hongkong: Securities and Futures Commission,
Fit and Proper Guidelines
, Jan. 2022. EU: Medienmitteilung der EBA,
EBA and ESMA publish final guidance on fit and proper requirements
, 2. Juli 2021.
49¹ EBA,
Joint ESMA and EBA Guidelines on the assessment of the suitability of members of the management body
, 31. Dez. 2021.
Beurteilung
Das Gewährserfordernis nach den Finanzmarktgesetzen und die Gewährprüfung durch die FINMA sind zentrale und bei konsequentem Einsatz äusserst wirksame Instrumente der Finanzmarktaufsicht. Somit ergibt sich auf Stufe der gesetzlichen Grundlagen kein grundsätzlicher Handlungsbedarf, wohl aber können punktuelle Verbesserungen bei den Banken ins Auge gefasst werden.
Mögliche Massnahmen
Die mögliche Einführung eines Verantwortlichkeitsregimes beinhaltet die Anwendung der Gewährsprüfung auf den vom Regime erfassten Personenkreis (siehe Kap. 15.3.4.3).
Bei Banken können die rechtlichen Grundlagen für die vorgängige Bewilligung von Organmutationen gestärkt werden. Der heute nach Artikel 8 a BankV geltende Grundsatz, wie bei Änderungen von Tatsachen vorzugehen ist (Meldepflicht und Bewilligungspflicht), ist auf Gesetzesstufe zu explizieren. Der Bundesrat kann analog zur Finanzinstitutsverordnung vom 6. November 2019 49² die melde- und bewilligungspflichtigen Änderungen konkretisieren. Dieses Vorgehen erhöht die Rechtssicherheit für die FINMA und führt zu einer Angleichung der Normenhierarchie in den verschiedenen regulierten Sektoren des Finanzmarkts.
Das Institutsgewährserfordernis ist im Gegensatz zu Versicherungsunternehmungen, Finanzinstituten nach dem FINIG und Bewilligungsträgern nach dem Kollektivanlagengesetz vom 23. Juni 2006
49³
im Bankengesetz nicht explizit festgehalten. Dieses Erfordernis ist ins Bankengesetz aufzunehmen und ggf. auf Verordnungsstufe durch den Bundesrat zu konkretisieren.
49²
SR
954.11
49³
SR
951.31
Auskunfts- und Meldepflicht
Ausgangslage
Finanzmarktakteure haben gegenüber der FINMA weitreichende Mitwirkungspflichten. Gemäss Artikel 29 Absatz 1 FINMAG müssen die Beaufsichtigten, ihre Prüfgesellschaften und Revisionsstellen sowie qualifiziert 49⁴
oder massgebend an den Beaufsichtigten beteiligte Personen und Unternehmen der FINMA alle Auskünfte erteilen und Unterlagen herausgeben, die sie zur Erfüllung ihrer Aufgabe benötigt. Die ratio legis dieser grundlegenden Bestimmung liegt darin, dass die FINMA ihre Aufgabe in voller Kenntnis der Tatsachen wahrnehmen kann. ⁴95
Die Mitwirkungspflicht von Beaufsichtigten umfasst zwei Formen:
Einerseits sind die Beaufsichtigten und ihre Prüfgesellschaften dazu verpflichtet, Informationen über ihre Tätigkeiten zu sammeln, aufzubereiten und der FINMA zu übermitteln (Auskunfts- und Herausgabepflicht). Andererseits müssen die Beaufsichtigten und ihre Prüfgesellschaften der FINMA unverzüglich Vorkommnisse melden, die für die Aufsicht von wesentlicher Bedeutung sind (Meldepflicht). Die Auskunfts- und Herausgabepflicht muss nur auf Verlangen der FINMA erfolgen, die Meldepflicht hingegen bedingt die unaufgeforderte, proaktive Information der FINMA.
⁴96
Grundsätzlich werden die Mitwirkungspflichten gemäss Rechtsprechung eher weit ausgelegt, da der präventive Beizug von genügenden Informationen die frühzeitige Erkennung von Gesetzesverletzungen und sonstigen Missständen begünstigen soll.
⁴97
So liegt die Frage, welche Informationen die FINMA zur Erfüllung ihrer Aufgaben benötigt, im pflichtgemässen Ermessen der FINMA.
Auskunftspflichtig gegenüber der FINMA sind gemäss dem Wortlaut von Artikel 29 Absatz 1 FINMAG die Beaufsichtigten, nicht bzw. nicht explizit aber die Organe persönlich.
⁴98
Die Organe hingegen sind in Bezug auf die von ihnen vertretene juristische Person auskunftspflichtig.
⁴99
Eine persönliche Auskunftspflicht von Organen kann sich auf Sachverhalte beziehen, die nicht die juristische Person direkt betreffen, z. B. eine weitere berufliche Tätigkeit einer Person oder ein gegen diese Person geführtes Verfahren, das heisst auf Umstände, die möglicherweise die Gewähr dieser Person infrage stellen könnten.
50⁰
Sonstige Mitarbeitende eines Beaufsichtigten unterliegen gemäss Artikel 29 Absatz 1 FINMAG keiner Auskunftspflicht.
Die fehlende (explizite) persönliche Auskunftspflicht für Organe und Mitarbeitende erschwert der FINMA die Abklärungen ausserhalb eines Verfahrens.
Allerdings können Personen, die von Artikel 29 FINMAG nicht erfasst werden, in einem gegen einen Beaufsichtigten geführten Verfahren zum Zeugnis und zur Vorlage von Urkunden verpflichtet werden, sofern sich ein Sachverhalt auf andere Weise nicht hinreichend abklären lässt (Art. 14 Abs. 1 und Art. 17 VwVG) 5⁰1 .
49⁴ Mindestens 10 Prozent am Kapital beteiligt, Art. 3 Abs. 2 Bst. cbis BankG und Art. 11 Abs. 4 FINIG.
⁴95 Truffer zu Art. 29, in: Watter und Bahar (Hrsg.), Basler Kommentar FINMAG/FinfraG , 3. Aufl., Basel 2019, Rz. 1; vgl. auch Jutzi und Schären, Art. 145 Aufsichtsinstrumente gemäss FINMAG, in: Sethe et al. (Hrsg.), Kommentar zum Finanzmarktinfrastrukturgesetz FinfraG , Zürich 2017, Rz. 7.
⁴96 Romerio et al., Information - Vermittlung, Verwertung und Verbreitung bei komplexen Verfahren, i n: Romerio und Bazzani (Hrsg.), Interne und regulatorische Unter suchungen II, EIZ - Europa Institut Zürich , Bd. Nr. 172, Zürich 2016, S. 11.
⁴97
BGE
108
Ib 196
E 2a; BGE 126 II 111, E 3b;
BGE
121
II 147
, E 3a; Truffer zu Art. 29, in: Watter und Bahar (Hrsg .), Basler Kommentar FINMAG/FinfraG , 3. Aufl., Basel 2019, Rz 17; Macula,
Mitwirkungspflichten nach Art. 29 FINMAG - zulässige Grenze strafprozessualer Selbstbelastungsfreiheit?
, recht 1/2016, S. 32.
⁴98 Truffer zu Art. 29, in: Watter und Bahar (Hrsg.), Basler Kommentar FINMAG/FinfraG , 3. Aufl., Basel 2019, Rz. 8.
⁴99 Truffer zu Art. 29, in: Watter und Bahar (Hrsg.), Basler Kommentar FINMAG/FinfraG , 3. Aufl., Basel 2019, Rz. 8.
50⁰ Schönknecht, Auskunftspflicht gegenüber der FINMA , Zulauf und Wyss (Hrsg.), Finanzmarktenforcement, Bern 2022, S. 73. Der Autor vertritt im Übrigen die Meinung, dass die Organe als Gewährsträger einer persönlichen Auskunftspflicht unterliegen, da die FINMA ansonsten für diese Personen die erforderliche Gewährsprüfung nicht vornehmen könnte.
5⁰1 Truffer zu Art. 29, in: Watter und Bahar (Hrsg.), Basler Kommentar FINMAG/FinfraG , 3. Aufl., Basel 2019, Rz. 6.
Internationaler Vergleich
Die Pflicht zur Weitergabe von Informationen von den Beaufsichtigten an die Aufsichtsbehörden ist ein grundlegendes Prinzip einer effektiven Aufsichtstätigkeit. Insofern finden sich auch im Ausland entsprechende Regeln.
Im Vereinten Königreich sind insbesondere die Senior Managers von beaufsichtigten Finanzinstituten seit 2016 dazu verpflichtet, der FCA und der PRA alle Informationen offenzulegen, von denen die FCA oder die PRA vernünftigerweise eine Meldung erwarten würde. 5⁰2 Zudem verfügen beide Behörden über Prinzipien, wonach die Firmen ihnen sämtliche Informationen offenlegen müssen, die für die Aufsicht von Relevanz sind. 5⁰3
Auch in Deutschland haben die Institute Melde- und Anzeigepflichten. Bei Vorliegen bestimmter Tatbestände erhält die BaFin umfangreiches Informationsmaterial über aufsichtsrelevante Tatbestände, um klärungsbedürftige Sachverhalte nachzuprüfen. 5⁰4 Im Inland ist die BaFin befugt, von allen beaufsichtigten Instituten, den Mitgliedern ihrer Organe und den Beschäftigten Auskünfte über alle Geschäftsangelegenheiten sowie die Vorlage der Bücher, Dokumente und weiterer Unterlagen zu verlangen.
5⁰2 Zum Beispiel FCA, Code of Conduct (COCON) , 2.2.4.
5⁰3 Bank of England,
Fundamental Rules and Principles for Businesses
, Jan. 2016.
5⁰4 Art. 44-44c des Kreditwesengesetzes (KWG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 9. Sept. 1998 (BGBl. I S. 2776), das zuletzt durch Art. 12 des Gesetzes vom 22. Febr. 2023 (BGBl. 2023 I Nr. 51) geändert worden ist.
Beurteilung
Die Auskunfts- und Meldepflichten gemäss dem Wortlaut von Artikel 29 FINMAG beziehen sich auf einen eingeschränkten Adressatenkreis. Die FINMA ist auf umfassende Informationen angewiesen, damit sie im Sinne ihrer Zielsetzung ihre Tätigkeit effektiv wahrnehmen kann. Eine Erweiterung des Adressatenkreises würde es der FINMA ermöglichen, vermehrt und vereinfacht an Informationen zu gelangen.
Mögliche Massnahmen
Die Einführung einer expliziten Auskunftspflicht nach Artikel 29 Absatz 1 FINMAG für Organmitglieder und weitere Gewährspersonen und alle Mitarbeitenden (z. B. analog Art. 15 a Abs. 1 des Revisionsaufsichtsgesetzes vom 16. Dezember 2005 5⁰5 , RAG) würde der FINMA den Zugriff auf diese Personen bei Gewährsprüfungen und Abklärungen im Rahmen von Verfahren erleichtern. Eine Auskunftspflicht kann z. B. bei Abklärungen in Bezug auf ein mögliches Tätigkeitsverbot wichtig sein, wenn kein Verfahren gegen ein Institut eröffnet wird.
Gleichzeitig könnte Artikel 29 Absatz 2 FINMAG dahingehend präzisiert werden, dass sich die darin geregelte Meldepflicht explizit auch auf die persönliche Meldepflicht der Gewährsträger bezieht.
Die FINMA könnte mit dieser möglichen Massnahme einfacher und in einem rechtssicheren Rahmen aufsichtsrelevante Informationen erhalten und somit Individuen besser zur Verantwortung zu ziehen.
5⁰5
SR
221.302
Whistleblowing / Melderecht
Ausgangslage
Liegen Missstände bei Beaufsichtigten vor, ist die FINMA gesetzlich verpflichtet, einzugreifen. Die FINMA ist für ihre Tätigkeit darauf angewiesen, über aufsichtsrechtlich relevante Informationen über die Beaufsichtigten zu verfügen. Aus diesem Grund gibt es eine spezifische Norm zur Auskunfts- und Meldepflicht (Art. 29 FINMAG). Die Institute sind gestützt auf diese Auskunfts- und Meldepflicht u. a. verpflichtet, der FINMA Informationen zu Verstössen gegen Finanzmarkrecht zu liefern.
Für die FINMA sind vor allem auch Hinweise zu mutmasslichem Fehlverhalten von Interesse, die Personen mit einer Innensicht eines Beaufsichtigten, also primär aktuelle oder ehemalige Mitarbeitende, der FINMA geben können ( Whistleblowing) . 5⁰6 Das externe Whistleblowing, bei dem die Meldung des Whistleblowers nicht innerhalb des Unternehmens erfolgt, sondern an eine Stelle ausserhalb des Unternehmens, wirft arbeitsrechtliche 5⁰7 und strafrechtliche 5⁰8 Fragen auf. 5⁰9
Keine generelle privatrechtliche Gesetzesnorm
In der Schweiz existieren zurzeit lediglich im öffentlichen Recht Bestimmungen zum Schutz von Hinweisgebern. Auf Bundesebene existiert mit Artikel 22 a des Bundespersonalgesetzes vom 24. März 2000 51⁰ eine Regelung für die Bundesverwaltung hinsichtlich der Meldung von Missständen. Die Bestimmung sieht 1) eine Meldepflicht für Verbrechen und Vergehen, 2) ein Melderecht für andere Unregelmässigkeiten sowie einen 3) entsprechenden Schutz für Hinweisgeber vor. Ebenso existieren in den meisten Kantonen entsprechende kantonale Personalverordnungen, die regeln, wie verwaltungsintern mit Missständen umzugehen ist. Trotz dieser gesetzlichen Bestimmungen ist der «Gang an die Öffentlichkeit» für die von diesen Normen erfassten Hinweisgebenden nach wie vor mit grossen Risiken verbunden. 51¹
Privatrechtlich ist zurzeit nicht geregelt, wie ein Arbeitnehmer bei Missständen am Arbeitsplatz vorzugehen hat und was er tun darf oder muss, wenn er am Arbeitsplatz Missstände entdeckt. 5¹2 Es existieren keine Bestimmungen zum Schutz von Hinweisgebern im OR. Der Bundesrat unterbreitete dem Parlament eine Vorlage zur Teilrevision des OR mit dem Titel «Schutz bei Meldung von Unregelmässigkeiten am Arbeitsplatz». 5¹3 Danach hätte ein Arbeitnehmer unter Einhaltung bestimmter Voraussetzungen an eine Behörde oder die Öffentlichkeit gelangen können, ohne dafür gegen ihm obliegende Pflichten zu verstossen. Nach langen Beratungen im Jahr 2020 fand die Vorlage im Parlament aus unterschiedlichen Gründen keine Mehrheit. Einem Teil der Parlamentarier bot die Vorlage zu wenig Kündigungsschutz, während ein anderer Teil diese als «zu kompliziert, zu bürokratisch und zu wenig praxisnah» qualifizierte. 5¹4
Der fehlende Schutz von Whistleblowern im privaten Sektor war u. a. Gegenstand einer Motion von Ständerat Ruedi Noser, die der Ständerat am 27. September 2023 angenommen hat. 5¹5
Der Nationalrat lehnte die Motion jedoch am 27. Februar 2024 ab, da kein Kompromiss in Sicht sei. Bereits der Bundesrat empfahl die Ablehnung der Motion im September 2023, trotz grundsätzlichem Einverständnis mit der Motion bezüglich des Handlungsbedarfs. Der Bundesrat begründete seine Ablehnung damit, dass das Parlament die Vorschläge der Landesregierung in den vergangenen zwei Jahren bereits zwei Mal abgelehnt habe. Die Motion Noser enthalte keine Eckwerte, auf deren Grundlage eine mehrheitsfähige Vorlage möglich sei. 5¹6
Strafrechtliche Implikationen für Unternehmen
Seit dem Jahr 2003 kennt die Schweiz eine Norm, welche die Strafbarkeit von juristischen Personen vorsieht. 5¹7 Es ist demnach gemäss schweizerischem Recht zulässig, juristische Personen zu bestrafen, obwohl immer natürliche Personen hinter einer Straftat stehen. Entsprechend ergibt sich nebst den obligationenrechtlichen Bestimmungen zur Errichtung einer zweckmässigen Compliance-Organisation ein Mindestmass an Compliance-Organisation auch aus der strafrechtlichen Unternehmenshaftung heraus. Damit ist ein Unternehmen bereits auf der Grundlage des Strafrechts verpflichtet, organisatorische Vorkehren zu treffen, um die im betreffenden Strafartikel genannten Anlasstaten zu verhindern. 5¹8
Die Bundesanwaltschaft und auch die Gerichte stellen verschiedene Anforderungen an ein Compliance-System, damit es aus strafrechtlicher Perspektive genügt. Nebst anderen Massnahmen gehört regelmässig auch die Implementierung eines internen Whistleblowing-Systems dazu. Gerade im Bereich der Korruption und Geldwäscherei ist die Implementierung eines solchen Systems zwecks Vermeidung der Strafbarkeit wesentlich. 5¹9
Errichtung von Hinweisgebersystemen als Best Practice
Auch ohne die entsprechende Grundlage im schweizerischen Obligationenrecht gelten Hinweisgebersysteme heute als bedeutsam für ein der Best Practice entsprechendes Compliance Management System (CMS) eines Unternehmens. 52⁰
Führt ein Unternehmen ein Hinweisgebersystem ein, zeigt dies, dass das Unternehmen eine Speak-up -Kultur im Unternehmen fördert und ernst nimmt. 52¹
Kaskadenrechtsprechung des schweizerischen Bundesgerichts
Aufgrund der fehlenden expliziten gesetzlichen Regelung im Privatrecht hat die Rechtsprechung des Bundesgerichts unter dem Stichwort «Kaskadenprinzip» Geltung erlangt. Diese Rechtsprechung wird durch die detaillierte Whistleblowing-Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ergänzt. Macht ein Hinweisgeber auf mögliche Missstände aufmerksam, kann dies zahlreiche arbeits- und strafrechtliche Fragen aufwerfen.
In arbeitsrechtlicher Hinsicht ist an allfällige Verletzungen der Treue- und Geheimhaltungspflicht der Arbeitnehmenden zu denken (Art. 321 a OR). Zudem riskieren Hinweisgebende allfällige Geheimnisse preiszugeben, wenn nicht ein expliziter Rechtfertigungs- oder ein Strafausschlussgrund greift. 52²
Das Bundesgericht fordert, dass Hinweisgebende Missstände zuerst intern ansprechen müssen. Erst wenn sie damit erfolglos bleiben, darf ein Hinweisgeber an die zuständige externe Behörde gelangen, und wenn diese nicht innert nützlicher Frist aktiv wird, darf er sich an die Medien oder die Öffentlichkeit wenden. Die in Frage stehenden öffentlichen oder privaten Interessen müssen den Interessen an der Geheimhaltung des Missstandes vorgehen. Die rechtliche Situation und der allfällige Schutz des Whistleblowers bei Hinweisen auf allfällige Missstände ist stark einzelfallabhängig und im Vorfeld schwer abzuschätzen. 5²3
Abgrenzung des Melderechts von der Auskunfts- und Meldepflicht für Finanzmarktakteure
Die Auskunfts- und Meldepflicht von Finanzinstituten gegenüber der FINMA stellt ein zentrales Aufsichtsinstrument der FINMA dar. Weil der FINMA im Gegensatz zu Strafverfolgungsbehörden keine Zwangsmassnahmenkompetenzen zukommen, darf sie zur Ermittlung des relevanten Sachverhalts weder Daten noch Unterlagen beschlagnahmen. Stattdessen obliegt den Beaufsichtigten und ihren Prüfgesellschaften eine verwaltungsrechtliche Mitwirkungspflicht, damit die FINMA unverzüglich von allfälligen aufsichtsrelevanten Vorkommnissen Kenntnis erlangt. 5²4
Von der finanzmarktrechtlichen Meldepflicht gemäss FINMAG ist das Melderecht zu differenzieren. Vorliegend interessiert, wie die FINMA oder andere Behörden mit freiwillig erfolgten Hinweisen von Dritten hinsichtlich mutmasslicher Missstände bei Finanzinstituten umgehen.
Heutige Praxis der FINMA im Umgang mit Whistleblowern
Die FINMA pflegt im Umgang mit Whistleblowern einen zurückhaltenden Ansatz, da eine ausdrückliche gesetzliche Grundlage fehlt. Gerade dann, wenn es um einen Missstand geht, welcher der FINMA aufgrund der finanzmarktrechtlich geforderten Meldepflicht zugetragen werden müsste, wäre in gewissen Konstellationen ein aktiveres Vorgehen der FINMA wünschenswert. 5²5
Die FINMA verfügt über eine «Whistleblowing-Plattform», die den Hinweisgebern entweder in der Rolle des Kunden oder der «Person mit Innensicht eines Instituts» ermöglicht, eine Meldung zu erstatten. 5²6 Die FINMA erhält sowohl anonyme Hinweise als auch Hinweise von Meldenden, die ihre Identität offenlegen. 5²7
Zudem nennenswert ist, dass unter der Bezeichnung «Meldepflicht, Meldesystem und Melderecht» das Heilmittelgesetz vom 15. Dezember 2000 5²8 (HMG) in einer eigens dafür geschaffenen Norm vorsieht, dass allfällige Gesetzesverletzungen Swissmedic gemeldet werden dürfen. 5²9 Dadurch schafft das Gesetz selbst einen strafrechtlichen Rechtfertigungsgrund im Sinne von Artikel 14 StGB und damit eine Ausnahme von der Geheimhaltungspflicht der Arbeitnehmenden. 53⁰
5⁰6 Schönknecht, Meldungen von Hinweisgebern ( Whistleblowing) , in: Zulauf und Wyss (Hrsg.), Finanzmarktenforcement, Bern 2022, S. 86.
5⁰7 Verletzung der Treue- und Geheimhaltungspflicht nach Art. 321 a Abs. 1 und 4 OR.
5⁰8 Zum Beispiel Art. 47 BankG, Art. 147 FinfraG und Art. 69 FINIG.
5⁰9 Schönknecht, Meldungen von Hinweisgebern ( Whistleblowing) , in: Zulauf und Wyss (Hrsg.), Finanzmarktenforcement, Bern 2022, S. 86.
51⁰
SR
172.220.1
51¹ Hafner und Reimann, Die Meldung von Missständen ( Whistleblowing ) im öffentlichen Dienstrecht, Theorie und Praxis des Unternehmensrechts , Festschrift zu Ehren von Lukas Handschin, Zürich 2020, S. 293 ff.
5¹2 Stähelin, Unternehmensinterne Untersuchungen , Zürich 2019, S. 15.
5¹3
BBl
2013
9513
sowie
BBl
2019
1409
5¹4 AB 2020 N, S. 135 ff.
5¹5
Motion 23.3844
.
5¹6 Vgl. Medienmitteilung des Nationalrats, «
Nationalrat stimmt gegen neue Whistleblower
-Vorlage
», 27. Febr. 2024.
5¹7 Art. 102 StGB.
5¹8 Sethe und Andreotti, Verantwortlichkeit im Unternehmensrecht VIII, EIZ - Europa Institut Zürich Bd. Nr. 171, Zürich/Basel/Genf 2016, S. 107 f.
5¹9 Nadelhofer und El-Hakim, Compliance im Zentrum des Unternehmensstrafrechts, Recht relevant. für Compliance Officers 5/2022 , S. 13 f.
52⁰ Pikó et al. (Hrsg.), Corporate Compliance Handbuch , Basel 2022, § 45 Rz. 3; vgl. auch Economiesuisse,
Swiss Code of Best Practice of Corporate Governance
, 6. Febr. 2023, Ziff. 12 zweites Lemma.
52¹ Vgl. zu den Erfolgsfaktoren für Hinweisgebersysteme und die Wesentlichkeit der «Speak-up-Kultur» Pikó et al. (Hrsg.), Corporate Compliance Handbuch , Basel 2022, §45 Hinweisgebung, Rz. 129 ff.
52² Zum Beispiel Art. 162, 320 und 321 StGB; Art. 47 BankG; Art. 69 FINIG; Art. 147 FinfraG; Art. 6 UWG; vgl. Lehmkuhl, Wirtschaftsstrafrecht der Schweiz , 2. Aufl. Bern 2021, §5 Rz. 7.
5²3 Lehmkuhl, Wirtschaftsstrafrecht der Schweiz , 2. Aufl., Bern 2021, S. 171, Rz. 7b und dort zitierte Rechtsprechung.
5²4 Vgl. Art. 29 Abs. 2 FINMAG und Kap. 16.4.4.
5²5 Schönknecht, Meldungen von Hinweisgebern (Whistleblowing) , in: Zulauf und Wyss (Hrsg.), Finanzmarktenforcement , Bern 2022, S. 90.
5²6 FINMA,
Meldung erstatten
, Webseite.
5²7 Schönknecht, Meldungen von Hinweisgebern (Whistleblowing) , in: Zulauf und Wyss (Hrsg.), Finanzmarktenforcement , Bern 2022, S. 86.
5²8
SR
812.21
5²9 Art. 59 Abs. 7 HMG.
53⁰
BBl
2013
1
, S. 89
Internationaler Vergleich
Diverse supra- und internationale Organisationen sehen Bestimmungen zur Hinweisgebung vor. So geben die OECD und die G20-Staaten dem Schutz der Hinweisgeber auf der globalen Antikorruptionsagenda einen hohen Stellenwert.
Die OECD hat verschiedene Richtlinien zum Thema erlassen 53¹ und auch der Europarat gibt konkrete Empfehlungen ab, wie Hinweisgeber zu schützen sind. 53²
Auch die EU bezweckt mit der Richtline EU 2019/1937 zum Hinweisgeberschutz 53³ den Schutz von Personen, die Verstösse gegen das Unionsrecht melden. 5³4 Ende November 2023 ist die Richtlinie in 25 von 27 Mitgliedstaaten umgesetzt. In Deutschland wird die Richtlinie umgesetzt durch das Hinweisgeberschutzgesetz vom 31. Mai 2023. Dieses verbietet Repressalien und Vergeltungsmassnahmen gegenüber den Hinweisgebenden. Es enthält einen Vorrang der Meldung gegenüber Geheimhaltungspflichten. Der Hinweisgeber hat ein Wahlrecht zwischen interner und externer Meldung. Die BaFin wird ausdrücklich als externe Meldestelle des Bundes aufgeführt.
In den USA sehen sowohl der Sarbanes Oxley Act als auch der Dodd-Frank-Act entsprechende Bestimmungen zum Schutz von Whistleblowern vor. Gemäss letzterem Erlass werden Whistleblowern bei Strafzahlungen über 1 Million US-Dollar zwischen 10 und 30 Prozent der staatlichen behördlichen Einnahmen zugesprochen, sofern die Anschuldigung zu einer Verurteilung des Unternehmens führt. 5³5
53¹ OECD,
Whistleblower protection
, Webseite.
53² EU-Rat,
Protecting Whistleblowers
, Recommendations CM/Rec(2014)7; so Pikó et. al., Corporate Compliance Handbuch , § 45 Rz. 2, samt weiterführenden Links auf die betreffenden Quellen.
53³
Richtlinie (EU) 2019/1937 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2019 zum Schutz von Personen, die Verstösse gegen das Unionsrecht melden
, ABl. L 305 vom 26.11.2019, S. 17.
5³4 Pikó et al. (Hrsg.), Corporate Compliance Handbuch , Basel 2022, § 45 Rz. 3.
5³5 Fritsche, Interne Untersuchungen in der Schweiz, ein Handbuch für Unternehmen mit besonderem Fokus auf Finanzinstitute , Zürich/St. Gallen 2021, S. 27.
Beurteilung
Regelmässig berichten Medien über tatsächliche oder auch angebliche Missstände in Finanzinstituten oder andern Unternehmen. Whistleblower können mit ihren Meldungen eine wesentliche Rolle bei der Aufdeckung von Missständen einnehmen.
Zudem haben sich Gerichte regelmässig bei Hinweisen auf Unregelmässigkeiten mit Rechtsfragen im Arbeits-, Datenschutz- und Strafrecht auseinanderzusetzen. Diese Ausgangslage bringt sowohl für die möglichen Whistleblower als auch für die FINMA Rechtsunsicherheit mit sich, die beseitigt werden sollte.
Das Parlament hat im März 2020 die überarbeitete Vorlage zur Teilrevision des OR mit Vorschriften zum Schutz bei Meldung von Unregelmässigkeiten am Arbeitsplatz definitiv abgelehnt. Entsprechend existiert in der Schweiz weiterhin kein gesetzlicher Schutz für Whistleblower. Eine fehlende allgemeine Regelung schließt spezialgesetzliche Sonderregeln im Finanzmarktbereich, die es der FINMA erlauben würden, aufgrund von Hinweisen leichter Fehlverhalten von Instituten und Individuen aufdecken zu können, nicht grundsätzlich aus. Wie die erneute Ablehnung des Nationalrats im Fall der Motion Noser (23.3844) zeigt, ist jedoch weiterhin keine im Schweizer Parlament kompromissfähige Lösung in Sicht.
Mögliche Massnahmen
Als mögliche Massnahme kann eine Norm im Finanzmarktrecht eingeführt werden, die ein Melderecht begründet, indem sie den Schutz von Hinweisgebern verbessert (Analogie zu Art. 59 Abs. 7 HMG). Damit kann die FINMA vermehrt an Informationen gelangen, die zum Nachweis von Fehlverhalten (von Instituten und Individuen) führen können.
Bei der Umsetzung allein im Finanzmarktrecht ist zu prüfen, welche Schnittstellen sich hieraus zum Privat- und Strafrecht ergeben.
Zudem ist zu prüfen, inwiefern die Speak-up -Kultur innerhalb eines Instituts z. B. über die Einführung von internen Meldesystemen gefördert werden kann. Hier würde sich eine Regelung im Zusammenhang mit den Anforderungen an die Corporate Governance anbieten, die die Beaufsichtigten dazu verpflichtet, ein internes Meldesystem zu unterhalten und die Mitarbeitenden dazu anzuhalten, dieses zu nutzen.
Fazit
Da sie die wichtige Durchsetzungsfähigkeit und Wirksamkeit der Aufsicht sowie auch die Einflussmöglichkeit auf die Corporate Governance stärken, ein überwiegend positives Kosten-Nutzen-Verhältnis aufweisen und bei ihnen kein weiterer umfassender Klärungsbedarf besteht, sind die folgenden Massnahmen umzusetzen:
-
Anpassung des Berufsverbots an das Tätigkeitsverbot (Kap. 16.4.1.4): Diese Anpassung erleichtert es der FINMA, gegen natürliche Personen vorzugehen und diese bei wiederholter schwerer Regelverletzung aus dem Markt zu entfernen.
-
Anpassung der Einziehung mit einer Anwendbarkeit nicht nur auf Personen in leitender Stellung (Kap. 16.4.2.4): Die FINMA kann die Einziehung auch bei Personen durchführen, die nicht in leitender Stellung sind, die aber eine schwere Regelverletzung begangen haben.
-
Anpassungen bei der Gewährsprüfung für Banken (Kap. 16.4.3.4): Die beiden möglichen Massnahmen ziehen für Banken Anpassungen nach, die bei anderen Sektoren schon eingeführt sind, und unterstützen die Aufsichtstätigkeit der FINMA.
-
Erweiterung der Auskunfts- und Meldepflicht (Kap. 16.4.4.4): Die Erweiterung begünstigt den Informationsfluss zur FINMA und unterstützt diese bei der Erreichung ihrer Ziele.
Weil diese Anpassungen grundlegende Aufsichtsinstrumente betreffen und eine Ungleichbehandlung in solchen Fällen schwierig zu rechtfertigen wäre, erscheint es zweckmässig, diese Massnahmen für sämtliche Finanzinstitute umzusetzen (mit Ausnahme der Anpassung bei der Gewährsprüfung, die bankenspezifisch ist).
Die Analyse zeigt Handlungsbedarf beim fehlenden Schutz von Whistleblowern. Die erneute Ablehnung des Nationalrats im Fall der Motion Noser zeigt jedoch, dass weiterhin keine im Schweizer Parlament kompromissfähige Lösung in Sicht ist, weshalb eine entsprechende Massnahme allein im Finanzmarktrecht nicht zur Umsetzung empfohlen wird.
Einsatz der Prüfgesellschaften
Ausgangslage
Problemstellung
Die FINMA muss die Einhaltung der aufsichtsrechtlichen Bestimmungen bei von ihr Beaufsichtigten prüfen (Art. 24 ff. FINMAG). Dabei bestimmen die einzelnen Finanzmarktgesetze, ob sie diese aufsichtsrechtliche Prüfung selber durchführen oder durch Prüfgesellschaften ausführen lassen kann. Die FINMA zieht im Rahmen der Finanzmarktgesetze für die Prüfung Prüfgesellschaften als «verlängerten Arm der FINMA» 5³6 bei. Dieses Modell der Aufsicht wird als «duales Aufsichtssystem» bezeichnet.
Die Beaufsichtigten sind regelmässig gesetzlich verpflichtet, eine Prüfgesellschaft mit der aufsichtsrechtlichen Prüfung zu beauftragen (vgl. z. B. Art. 18 Abs. 1 BankG) und zu bezahlen. Dieser Umstand steht bisweilen in der Kritik. So hat der IWF in der letzten Überprüfung des Schweizer Finanzsektors im Rahmen des Financial Sector Assessment Program (FSAP) empfohlen, dass anstelle der Banken die FINMA die Prüfgesellschaften beauftragen und bezahlen sollte, um mögliche Interessenkonflikte weiter zu mindern. 5³7 Ständerätin Z’graggen fordert in einem Postulat vom Bundesrat einen Bericht dazu, wie die Unabhängigkeit der externen Revision bei TBTF-Banken gestärkt werden kann. 5³8
5³6 FINMA,
Rundschreiben 2013/3 Prüfwesen
, Rz. 1.
5³7 IWF,
Switzerland Financial System Stability Assessment
, IMF Country Report No. 19/183, Juni 2019.
5³8
Postulat 23.3450
.
Wirtschaftliche Abhängigkeiten und daraus entstehende mögliche Probleme
Zwischen den Beaufsichtigten und den von ihnen mit Prüftätigkeiten beauftragten Firmen bestehen in der Regel mehrschichtige wirtschaftliche Verflechtungen. Von der aufsichtsrechtlichen Prüfung ist die Rechnungsprüfung gemäss OR zu unterscheiden. Die aufsichtsrechtliche Prüfung erfolgt getrennt von der Rechnungsprüfung (vgl. Art. 5 Abs. 4 der Finanzmarktprüfverordnung vom 5. November 2014 5³9 , FINMA-PV). In den allermeisten Fällen ernennen die Beaufsichtigten die gleiche Firma als für die Rechnungsprüfung zuständige Revisionsstelle und als aufsichtsrechtliche Prüfgesellschaft, um von Synergien zu profitieren. Des Weiteren erteilen die Beaufsichtigten den Firmen Beratungsmandate (z. B. Rechts- und Steuerberatungen).
Somit können zwischen einem Beaufsichtigten und den von ihm mit Prüf- und Beratungstätigkeiten beauftragten Firmen wirtschaftliche Verflechtungen und Abhängigkeiten entstehen, die die Objektivität der aufsichtsrechtlichen Prüftätigkeiten beeinträchtigen können. Insbesondere besteht die Gefahr, dass unter Rücksichtnahme auf bestehende oder zukünftige Mandate aufsichtsrechtliche Probleme ihres Mandanten von der Prüfgesellschaft nicht mit der gebotenen Klarheit angesprochen und dem Mandanten sowie der Aufsicht nicht dargelegt werden. Ebenso könnten die Beaufsichtigten verleitet sein, Prüfgesellschaften auszuwählen, die die bestehenden Regeln evtl. weiter und Beaufsichtigten-freundlicher auslegen als andere. Beides kann für die Aufsicht zu Problemen führen, da relevante Informationen nicht rechtzeitig zur Aufsicht gelangen und daher u. U. aufsichtsrechtliche Massnahmen erst verspätet oder gar nicht eingeleitet werden können.
5³9
SR
956.161
Kontrollmechanismen
Um diesen inhärenten Interessenkonflikten vorzubeugen, haben Gesetz- und Verordnungsgeber sowie die FINMA in ihrer Aufsichtspraxis diverse Kontrollmechanismen vorgesehen. Die Revisionsaufsichtsbehörde (RAB) bewilligt und beaufsichtigt Personen und Unternehmen, die Revisionsdienstleistungen erbringen. 54⁰ Die FINMA und die RAB können für die Durchsetzung der Gesetzgebung in ihrer Zuständigkeit Informationen austauschen. 54¹ So kann die FINMA z. B. der RAB Meldung erstatten, wenn eine Prüferin oder ein Prüfer die aufsichtsrechtliche Prüfung nicht nach den geltenden Standards durchgeführt hat. Im Extremfall kann die RAB ihr oder ihm im Resultat die Zulassung entziehen.
Gemäss Artikel 11 l der Revisionsaufsichtsverordnung vom 22. August 2007 54² gelten für die Prüfgesellschaften weitreichende Unabhängigkeitsanforderungen. 54³ Da Beratungsdienstleistungen eine objektive aufsichtsrechtliche Prüfung beeinträchtigen können, dürfen die Prüfgesellschaften gewisse Tätigkeiten nicht neben der aufsichtsrechtlichen Prüfung vornehmen. 54⁴ Speziell zu erwähnen ist hier das Selbstprüfungsverbot (Art. 728 Abs. 2 Ziff. 4 OR), das sicherstellt, dass eine Prüfgesellschaft nicht eigene Arbeiten überprüft. Der leitende Revisor oder die leitende Revisorin für die Rechnungsprüfung bzw. die leitende Prüferin oder der leitenden Prüfer für die Aufsichtsprüfung müssen das Mandat nach sieben Jahren abgeben und dürfen es erst drei Jahre später wieder aufnehmen. 5⁴5 Das Revisionsunternehmen darf nicht mehr als 10 Prozent seiner gesamten Honorarsumme (aus Revisions- und anderen Dienstleistungen) mit einem Mandanten (auf Stufe Einzelgesellschaft und Konzern) erzielen. 5⁴6
Die FINMA hat die Praxis für die Durchführung der Prüfung bis anhin in einem Rundschreiben festgehalten. Gemäss diesem Dokument legt die FINMA die Prüfstrategie (d. h. die zu prüfenden Gebiete) bei Instituten in den Aufsichtskategorien 1 und 2 (bei Banken umfassen diese die systemrelevanten Banken) fest. Bei Beaufsichtigten der Kategorien 3-5 (u. a. den nicht systemrelevanten Banken) kommen Standardprüfstrategien zur Anwendung, die letztlich auch durch die FINMA festgelegt werden und die die FINMA bei Bedarf institutsbezogen anpassen kann. 5⁴7 Das heisst, die Prüfgesellschaften müssen die Prüfhandlungen nach Vorgaben der FINMA durchführen. Zudem stellen sie der FINMA den Prüfbericht zu.
Die FINMA hat im Rahmen der einzelnen Finanzmarktgesetze die Möglichkeit, zusätzlich zur Aufsichtsprüfung in bestimmten Prüfgebieten vertiefte Abklärungen selbst durchzuführen. Weiter hat die FINMA die Möglichkeit, solche Prüfungen durchführen zu lassen, indem sie Prüf- oder Untersuchungsbeauftragte mandatiert. Die FINMA kann ferner in begründeten Fällen den Wechsel der Prüfgesellschaft verlangen (vgl. Art. 28 a Abs. 2 FINMAG).
54⁰ Die Grundlage dafür findet sich im RAG. Eine Stärkung der Revisionsaufsicht erfolgte mit der Vorlage zur Bündelung der Aufsichtskompetenz über Revisionsunternehmen und Prüfgesellschaften bei der RAB (Inkraftsetzung 1. Jan. 2015).
54¹ Art. 22 RAG, Art. 28 Abs. 2 FINMAG.
54²
SR
221.302.3
54³ Diese Norm verweist u. a. auf Art. 728 OR, der Anforderungen an die Unabhängigkeit der Revisionsstelle auflistet.
54⁴ Art. 7 FINMA-PV (
SR
956.161
) und FINMA,
Rundschreiben 2013/3 Prüfwesen
, Rz. 44.1 ff.
5⁴5 Art. 730 a Abs. 2 OR und Art. 8 Abs. 1 FINMA-PV, sog. interne Rotation.
5⁴6 Art. 11 Abs. 1 Bst. a RAG, sog. wirtschaftliche Unabhängigkeit.
5⁴7 FINMA,
Rundschreiben 2013/3 Prüfwesen
, Rz. 87 und Rz. 87.1.
Internationaler Vergleich
In der Regel führen die ausländischen Aufsichtsbehörden die Prüfung der Einhaltung der aufsichtsrechtlichen Vorschriften selber durch und ziehen externe Prüfgesellschaften nur punktuell bei.
Die PRA im UK beispielsweise verfügt über ein umfassendes Handbuch zu ihrer Aufsichtstätigkeit. 5⁴8 Zudem hat sie Prinzipien dazu veröffentlicht, wie sie sich mit den externen Revisionsgesellschaften abstimmt. 5⁴9
In der EU beaufsichtigt der Einheitliche Aufsichtsmechanismus ( Single Supervisory Mechanism, SSM) der Europäischen Zentralbank die grössten Institute. Der SSM setzt für die aufsichtlichen Prüfungen eigene Mitarbeitende ein und arbeitet mit den nationalen Aufsichtsbehörden zusammen. In den USA setzen die Aufsichtsbehörden grundsätzlich eigene Mitarbeitende für die aufsichtsrechtliche Prüfung ein. 55⁰
Liechtenstein und Luxemburg wiederum verwenden einen ähnlichen Aufsichtsansatz wie die Schweiz.
5⁴8 Bank of England,
The Prudent Regulation Authority’s approach to banking supervision
, Juli 2023.
5⁴9 Bank of England,
The relationship between the external auditor and the supervisor: a code of practice
, April 2013.
55⁰ Federal Reserve,
Approaches to Bank Supervision
, Webseite
; OCC,
Approach to Federal Branch and Agency Supervision
, Okt. 2017
; FDIC,
Supervision Program
, Webseite, 2.
Aug. 2022.
Beurteilung
Der regelmässige Einsatz der Prüfgesellschaften zur Überprüfung der Einhaltung der aufsichtsrechtlichen Vorschriften durch die Beaufsichtigten ist ein zentrales und etabliertes Aufsichtskonzept. Im Zusammenhang mit den Vorkommnissen bei der Credit Suisse sind bislang keine Hinweise bekannt, wonach die Unabhängigkeit der Prüfgesellschaft der Credit Suisse beeinträchtigt war. Dennoch bietet sich eine grundsätzliche Überprüfung der Ausgestaltung der Kontrollmechanismen und der Art und Weise der Mandatierung der Prüfgesellschaften an (siehe nachfolgende mögliche Massnahmen). Damit könnten inhärente Interessenskonflikte im bestehenden Aufsichtssystem weiter reduziert werden.
Die Schweiz verfügt über einen Finanzplatz mit internationaler Bedeutung und beheimatet mit der UBS eine G-SIB und drei nicht international tätige SIBs. Deshalb und aufgrund der mit dem heutigen System einhergehenden Abhängigkeiten ist zu überprüfen, ob das duale System für eine wirksame und effiziente Aufsicht noch zielführend ist.
Mögliche Massnahmen
Stärkung der Kontrollmechanismen
Um die Unabhängigkeit der Prüfgesellschaften zusätzlich zu stärken, sollen Beratungsmandate mit dieser Massnahme weiter eingeschränkt oder gänzlich verboten werden. Die entsprechenden Regeln in der FINMA-PV werden verschärft. Derzeit sind den aufsichtsrechtlichen Prüfgesellschaften im Wesentlichen Mandate untersagt, die sich auf aufsichtsrechtlich relevante Gebiete beziehen, d. h. bei denen die Gefahr besteht, dass die Prüfgesellschaft später die Ergebnisse ihrer eigenen Arbeiten überprüfen muss.
Diese Massnahme bringt den möglichen Nachteil mit sich, dass der Wettbewerb eingeschränkt wird, da die Prüfgesellschaften in ihrer Tätigkeit begrenzt werden. Daneben existieren weitere Aspekte, die die möglichen Interessenkonflikte reduzieren oder die Prüfqualität allgemein verbessern können und zu prüfen sind. Zu denken ist hier z. B. an die Einführung einer Pflichtrotation für (aufsichtsrechtliche) Prüfgesellschaften, wie sie im Ausland mehrheitlich besteht und anerkannt ist. Dieses liesse sich sinnvoll mit einer Mindest-Mandatsdauer für die aufsichtsrechtliche Prüfung von beispielsweise 3 Jahren verbinden, um auch hier den Beaufsichtigten ein Druckmittel auf die Prüfgesellschaften zu nehmen. Eine Pflichtrotation dürfte über die Zeit auch die gegenwärtig beobachtbare Konzentration der Mandate für die aufsichtsrechtliche Prüfung systemrelevanter Banken bei einer einzigen Prüfgesellschaft verhindern.
Zudem ist weiter zu prüfen, inwiefern die Rotationspflichten innerhalb der Prüfteams eines Prüfmandats anzupassen sind. Eine weitere mögliche Massnahme stellt die Schaffung eines stärkeren Mitspracherechts der FINMA betreffend Wahl oder Wechsel der Prüfgesellschaft dar. Die durch die FINMA vorgegebenen Prüfstrategien stellen bereits heute einen Kontroll- bzw. Steuerungsmechanismus zum Einsatz der Prüfgesellschaften dar. Es obliegt ihr, diese regelmässig zu überprüfen und sicherzustellen, dass sie zielführend sind. Auch wenn die Mandatierung der Prüfgesellschaften durch die Beaufsichtigten beibehalten wird, steht es der FINMA im Rahmen der Finanzmarktgesetze frei, vermehrt eigene Überwachungshandlungen vorzunehmen (z. B. gestützt auf Art. 23 BankG).
Direktmandatierung durch die FINMA
Um den möglichen Interessenkonflikten der Prüfgesellschaften zusätzlich zu begegnen, soll die FINMA die Prüfgesellschaften im Rahmen dieser möglichen Massnahme direkt für die aufsichtsrechtliche Prüfung mandatieren können. 55¹ Die bestehenden privatrechtlichen Mandate werden beendet und die FINMA verteilt Mandate direkt. Sie wählt bei jedem Beaufsichtigten die für die aufsichtsrechtliche Prüfung zuständige Firma aus und mandatiert sie mit den Prüfhandlungen. In der Folge entscheidet die FINMA auch über eine Umverteilung von Mandaten.
Dadurch kann unter Umständen die Unabhängigkeit der Prüfgesellschaften gestärkt und deren kritische Grundhaltung verbessert werden. Die Prüfgesellschaften können tendenziell unvoreingenommen die Prüfung durchführen und der FINMA ohne Bedenken, in anderen Gebieten wirtschaftliche Nachteile zu erleiden, Unregelmässigkeiten und Unzulänglichkeiten melden. Dies kann dazu führen, dass die FINMA einfacher und schneller an Hinweise gelangt, die nach den entsprechenden Abklärungen durch die FINMA schliesslich zur Aufdeckung schwerer Verletzungen des Aufsichtsrechts führen.
Mit der Direktmandatierung kann die FINMA des Weiteren Konzentrationen von Prüfmandaten vermeiden, soweit sie die Mandate gleichmässig unter den in Frage kommenden Prüfgesellschaften verteilt. Ferner würde sich das schweizerische Aufsichtswesen näher hin zum international üblichen Vorgehen bewegen. Die Einführung der Direktmandatierung könnte mit der Stärkung der Kontrollmechanismen wie oben beschrieben - insbesondere mit dem Verbot von Beratungsdienstleistungen - sinnvoll kombiniert werden.
Mit der Direktmandatierung gehen auch Nachteile einher. Aufgrund der hohen Auftragssummen muss die FINMA die Mandate voraussichtlich nach den Regeln des öffentlichen Beschaffungswesens vergeben. Dieser Prozess ist aufwändig und schränkt die Freiheitsgrade beim Zuschlag ein. Die Steuerungsmöglichkeiten der FINMA können bei der Vergabe eingeschränkt sein. Die heutige Mandatierung der Prüfgesellschaften durch die Beaufsichtigten erfolgt nach Marktkräften. Das bedeutet, dass diese Kräfte die Entwicklung der Prüfgesellschaften, die Ausbildung der Fachkompetenzen, die Marktanteile usw. steuern. Die FINMA muss dies bei der Direktvergabe berücksichtigen. Die FINMA ist des Weiteren an die Wettbewerbsneutralität gebunden. Zudem muss die FINMA die Prüfkosten und die Unabhängigkeit der Prüfgesellschaften gezielt überwachen, wobei letzteres bereits in die Zuständigkeit der RAB fällt.
Da zwischen der Rechnungs- und der Aufsichtsprüfung erhebliche Synergien bestehen, wäre eine Trennung dieser Prüfungen auf zwei Firmen für die Beaufsichtigten mit erheblichen zusätzlichen Kosten verbunden. Die Beaufsichtigten werden somit regelmässig darauf hinwirken, dass als Revisionsstelle die gleiche Firma wie für die aufsichtsrechtliche Prüfung beigezogen wird. Das ergibt sich auch daraus, dass nur wenige Prüfgesellschaften Banken bzw. G-SIBs prüfen können und dass in der Regel eine dieser Prüfgesellschaften mit Beratungsdienstleistungen mandatiert wird und folglich für die Prüfung nicht zur Verfügung steht. Das bedeutet, dass die FINMA mit der Bestimmung der aufsichtsrechtlichen Prüfgesellschaft indirekt die Revisionsstelle mitbestimmen würde. Die Aktionäre haben faktisch durch die indirekte Bezeichnung der Revisionsstelle durch die FINMA nur mehr eine eingeschränkte Wahlfreiheit.
Unklar ist zudem, ob die Direktmandatierung mögliche Interessenkonflikte der Prüfgesellschaft tatsächlich zusätzlich einschränkt. Es besteht durchaus die Möglichkeit, dass die von der FINMA mandatierte Prüfgesellschaft weiterhin Eigeninteressen verfolgt, um dem geprüften Beaufsichtigten oder der FINMA zu gefallen. Der Wechsel der Prüfgesellschaft bringt zudem sowohl auf Seiten des Beaufsichtigten als auch auf Seiten FINMA erheblichen Aufwand mit sich.
Die Rolle des Verwaltungsrats und seines Prüfausschusses würde geschmälert. Diese Gremien wären nicht mehr für die Sicherstellung der Qualität der Aufsichtsprüfung zuständig. Im Zusammenhang mit der Verantwortlichkeit des Verwaltungsrats (Art. 754 ff. OR) könnte es bis zu einem gewissen Grad sogar zu einer faktischen «Enthaftung» des Verwaltungsrats kommen (die FINMA hatte den Lead, und der Staat ist als Beklagter attraktiver).
Schliesslich könnten die FINMA und die Eidgenossenschaft auf dem Weg der Staatshaftung verklagt werden, weil die FINMA aus Sicht der Klägerschaft die falsche Prüfgesellschaft bestimmt oder die Prüfgesellschaft zu spät ausgewechselt hat.
Bei einer allfälligen Umsetzung dieser Massnahme ist zusätzlich zu prüfen, welches die Auswirkungen auf die Aufsichtstätigkeit der RAB sind, wenn stets die FINMA als Auftraggeberin waltet.
55¹ Inwiefern die Direktmandatierung der Prüfgesellschaften für die aufsichtsrechtliche Prüfung auch für die Bewilligungsprüfung nach dem Finanzmarktrecht anzuwenden wäre, müsste bei der Umsetzung gesondert geprüft werden.
Duale Aufsicht abschaffen
Eine weitere denkbare Massnahme ist, dass die FINMA die aufsichtsrechtliche Prüfung vollumfänglich selbst vornimmt. Damit würde durch eine Integration der Prüfung in die FINMA die Wissensfortbildung bei der FINMA laufend sichergestellt und die Aufsicht gestärkt. Die Ressourcenausstattung der FINMA müsste gleichzeitig massgeblich ausgeweitet werden, was am Arbeitsmarkt eine erhebliche Herausforderung wäre, und das Geschäftsfeld der aufsichtsrechtlichen Prüfung würde den Prüfgesellschaften entzogen. Weiter stellen sich Staatshaftungsfragen noch mehr als in der Direktmandatierung durch die FINMA.
Fazit
Der Einsatz der Prüfgesellschaften als verlängerter Arm der FINMA ist ein etabliertes Aufsichtsinstrument. In der aktuellen Ressourcenausstattung ist die FINMA darauf angewiesen, dass die Prüfgesellschaften die Einhaltung des Aufsichtsrechts unabhängig überprüfen. Die Massnahmen zur Stärkung der Kontrollmechanismen (siehe Kap. 16.5.4.1) oder zur Direktmandatierung der Prüfgesellschaften durch die FINMA (Kap. 16.5.4.2) können die Unabhängigkeit zusätzlich stärken. Vor diesem Hintergrund erscheint eine Umsetzung erstrebenswert.
Da es sich um ein grundlegendes Element der Aufsicht handelt, sind von einer solchen Massnahme potenziell alle Finanzinstitute betroffen. Allerdings sind für eine abschliessende Beurteilung weitere Abklärungen nötig. Insbesondere ist bei der Direktmandatierung zu erhärten, wie eine Operationalisierung auszusehen hätte und ob sie mit Blick auf die Unabhängigkeit der Prüfgesellschaft in der Tat vorteilhaft wäre. Zudem sollen in die weiteren Arbeiten auch allfällige Erkenntnisse der PUK im Zusammenhang mit den Prüfgesellschaften einfliessen.
Die radikalere Anpassung in Form einer Abschaffung des dualen Aufsichtssystems ist ebenfalls zu prüfen. Dies kann grundsätzlich zu einer höheren Wirksamkeit und Effizienz und somit zu einer Stärkung der Aufsicht in der Schweiz beitragen, was im Fall von SIBs besonders relevant ist. Ein solcher Umbau würde aber ebenfalls zu grossen Herausforderungen für die Umsetzung führen, nicht zuletzt auch aufgrund der Auswirkungen am Arbeitsmarkt. Die Massnahme soll aus diesen Gründen in einem ersten Schritt gezielt für SIBs geprüft werden.
Verfahrensdauer
Ausgangslage
Erachtet die FINMA bei einer SIB bankenspezifische höhere Anforderungen an die Eigenmittel oder Liquidität als notwendig und erfüllt die Bank diese nicht freiwillig, so muss die FINMA eine Verfügung nach dem VwVG 55² samt Begründung erlassen. Die zu beachtenden Verfahrensregeln (u. a. Gewährung des rechtlichen Gehörs, Ausstand, Schriftenwechsel, Fristen mit Erstreckungsmöglichkeit, aufschiebende Wirkung, Instanzenzug an das Bundesverwaltungsgericht und anschliessend ans Bundesgericht) lassen eine umgehende Umsetzung einer solchen Verfügung der FINMA nur bedingt zu (z. B. mittels sofortiger Vollstreckbarkeit und Entzug der aufschiebenden Wirkung einer allfälligen Beschwerde). Es kann mehrere Jahre dauern, bis letztlich ein endgültiger Entscheid des Bundesgerichts vorliegt.
Bei der Regelung von Gerichts- und Verwaltungsverfahren in der Schweiz sind die in der Bundesverfassung vorgegebenen Verfahrensgrundrechte einzuhalten. Sie bilden als Minimalgarantien einen der Grundpfeiler des Rechtsstaats und sie dienen als Richtschnur bei der Auslegung von Gesetzesrecht. Im Verwaltungsverfahren stehen die allgemeinen Verfahrensgarantien von Artikel 29 BV (u. a. gleiche und gerechte Behandlung, Beurteilung innert angemessener Frist, rechtliches Gehör) und die Rechtsweggarantie von Artikel 29 a BV (Anspruch auf Beurteilung einer Streitsache durch ein Gericht) im Vordergrund. Allfällige Anpassungen im Verwaltungsverfahrensrecht werden diese Schranken zu berücksichtigen haben.
55²
SR
172.021
Internationaler Vergleich
Ein Vergleich mit ausländischen Verfahren müsste im Rahmen einer vertieften Prüfung vorgenommen werden. Ausländische Behördenorganisationen und ihre Verfahrensordnungen haben zwar alle ihre spezifischen Eigenheiten, die sich nicht einfach auf die Schweiz übertragen und von daher auch keine Hinweise auf Handlungsoptionen erwarten lassen. Dennoch ist darauf hinzuweisen, dass verschiedene Jurisdiktionen - beispielsweise Deutschland - gesetzliche Regelungen haben, die eine unmittelbare Vollstreckbarkeit von bestimmten Verfügungen ermöglichen. 55³
55³ Aufgrund der vom deutschen Gesetzgeber anerkannten Dringlichkeit und Unaufschiebbarkeit sind die Anordnungen der BaFin zur Gefahrenabwehr regelmässig sofort vollziehbar bzw. kommt den Rechtsbehelfen gegen solche Massnahmen von Gesetzes wegen keine aufschiebende Wirkung zu (vgl. § 49 KWG, § 310 (2) VAG und § 13 WpHG). Um sich gegen die sofortige Vollziehbarkeit zu schützen, können die von der BaFin-Verfügung unmittelbar in ihren Rechten betroffenen Personen die Anordnung der aufschiebenden Wirkung beim Gericht beantragen (vgl. § 80 (5) der Verwaltungsgerichtsordnung).
Beurteilung
In der Praxis erweist sich die teils lange Verfahrensdauer (Verfahren zum Erlass der Verfügung und allfälliges daran anschliessendes Rechtsmittelverfahren) dann als problematisch, wenn ein rascher Vollzug einer Verfügung der FINMA angezeigt ist, um die Stabilität der betroffenen SIB oder gar des Bankensystems und der Gesamtwirtschaft zu gewährleisten. Es ist daher für solche Fälle - zuzüglich zu bereits bestehenden Möglichkeiten (insb. Anordnung vorsorglicher Massnahmen und sofortige Vollstreckbarkeit 55⁴ ) - grundsätzlich wünschbar, Anpassungen im Verwaltungsverfahrensrecht zur Beschleunigung des Verfahrens vorzunehmen.
55⁴ Vgl. im Einzelnen FINMA,
Vorsorgliche Massnahmen
, Webseite.
Mögliche Massnahmen
Die folgenden möglichen Massnahmen haben entsprechend den Ausführungen in der Problemstellung SIBs vor Augen, namentlich im Hinblick auf bankenspezifische höhere Anforderungen an die Eigenmittel oder Liquidität.
Ausschluss der Beschwerde an das Bundesgericht
Der heutige Instanzenzug für eine Verfügung der FINMA führt über das Bundesverwaltungsgericht an das Bundesgericht. Das Bundesgerichtsgesetz nennt zahlreiche Entscheide des Bundesverwaltungsgerichts aus verschiedensten Gebieten, gegen die eine Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten an das Bundesgericht unzulässig ist (Art. 83 des Bundesgerichtsgesetz vom 17. Juni 2005 55⁵ ). Es erscheint zur Verkürzung der Verfahrensdauer prüfenswert, ob für - allenfalls noch näher zu bezeichnende - Verfügungen der FINMA ein Weiterzug ans Bundesgericht ausgeschlossen werden soll.
55⁵
SR
173.110
Einführung von Fristen im Beschwerdeverfahren
Das VwVG kennt (ausser der Beschwerdefrist) keine konkreten Fristvorgaben für die Prozesshandlungen der Parteien oder der Beschwerdeinstanz. Eine Verfügung der FINMA in den vorliegend interessierenden Angelegenheiten erfolgt im Rahmen ihrer Aufsichtstätigkeit in dauerndem gegenseitigem Austausch mit der SIB, und es geht ihr regelmässig bereits ein ausführliches Vorverfahren mit Gewährung des rechtlichen Gehörs voraus (soweit nicht superprovisorisch verfügt wird). Da der betroffenen Bank der Streitgegenstand von daher in der Regel schon hinreichend bekannt ist, erscheint es als Massnahme prüfenswert, ob insbesondere für die prozessualen Eingaben der Parteien in einem Beschwerdeverfahren gesetzliche (nicht verlängerbare) Fristen vorgegeben werden sollen.
Auch hier wären die Verfahren bzw. Streitgegenstände, für die diese Fristvorgaben gelten sollen, näher zu bezeichnen. Geprüft werden könnte in diesem Zusammenhang auch, ob der Beschwerdeinstanz in speziellen, als prioritär zu bezeichnenden Fällen für die Beurteilung einer Beschwerde eine Frist vorzugeben ist.
Keine Überprüfung der Angemessenheit im Beschwerdeverfahren
In der Beschwerde gegen eine Verfügung der FINMA kann die SIB (1) die Verletzung von Bundesrecht einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens, (2) die unrichtige oder unvollständige Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts oder (3) die Unangemessenheit rügen (Art. 49 VwVG). Was die Prüfung der Unangemessenheit betrifft, so wird die Rüge der Unangemessenheit verfassungsrechtlich weder von der Rechtsweggarantie von Artikel 29 a BV noch von den allgemeinen Verfahrensgarantien von Artikel 29 BV verlangt.
Es erscheint von daher angezeigt, als Massnahme zu prüfen, ob wiederum für näher zu bezeichnende Verfahren bzw. Streitgegenstände die Rüge der Unangemessenheit spezialgesetzlich ausgeschlossen werden soll und ob dies mit den verfahrensrechtlichen Garantien der BV und der EMRK vereinbar ist. Im Bereich der vorliegend interessierenden Verfügungen der FINMA (siehe die Problemstellung) wären damit Beschwerden, mit denen allein die Unangemessenheit gerügt wird, nicht mehr zulässig, und Beschwerden mit anderen Rügen dürften zumindest weniger umfangreich ausfallen und ggf. rascher zu behandeln sein.
Entzug der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde gegen eine Verfügung der FINMA
Nach geltendem Recht hat eine Beschwerde gegen eine Verfügung der FINMA aufschiebende Wirkung. Diese kann - wenn es nicht um eine Geldleistung geht - von der FINMA in der Verfügung entzogen, von der Beschwerdeinstanz dann aber wieder hergestellt werden (Art. 55 VwVG). Will man dafür sorgen, dass eine SIB die Verfügung der FINMA umgehend umsetzen muss, so könnte der Beschwerde von Gesetzes wegen die aufschiebende Wirkung entzogen werden. Der Entzug verbunden mit der sofortigen Vollstreckbarkeit wäre somit die gesetzliche Regel und müsste nicht mehr von der FINMA spezifisch angeordnet werden.
Solchenfalls könnte eine betroffene Bank bei der Beschwerdeinstanz vorsorgliche Massnahmen begehren, um etwa den vor der Verfügung bestehenden Zustand zu erhalten (Art. 56 VwVG). Eine wechselnde Erfüllung und dann wieder Nichterfüllung der verfügten Massnahme im laufenden Verfahren könnte indes z. B. aus Gründen der Systemstabilität nicht sachgerecht erscheinen. Zu prüfen wäre daher, ob Verfügungen der FINMA im vorliegend interessierenden Kontext (siehe Kap. 16.6.3) im Gesetz als - trotz laufendem Beschwerdeverfahren - sofort vollstreckbar statuiert werden könnten. Zu prüfen ist hier vor allem, ob und allenfalls mit welchen Ausgleichsmechanismen der Rechtsweggarantie Rechnung getragen werden kann.
Fazit
Die oben aufgeführten möglichen Massnahmen zielen auf eine Verkürzung der Verfahrensdauer, was im Fall von SIBs einen entscheidenden Nutzen zur Sicherstellung der Finanzstabilität aufweisen kann. Sie sind daher grundsätzlich wünschenswert. Andererseits greifen die Massnahmen teilweise stark in die Verfahren nach Verwaltungsverfahrensrecht ein. Sie sind daher aufgrund der Verhältnismässigkeit auf bestimmte Anwendungsfälle zu begrenzen, die SIBs betreffen, und bedürfen vor einer allfälligen Umsetzung weiterer umfassender juristischer Abklärungen. Es ist deshalb vertieft zu prüfen, ob und welche dieser Massnahmen schon umzusetzen sind.
Zuständigkeit des FINMA-Verwaltungsrats
Ausgangslage
Die Aufgaben des Verwaltungsrats der FINMA sind im FINMAG festgehalten: 5⁵6 Der Verwaltungsrat ist das strategische Organ der FINMA und bestimmt in dieser Funktion den organisatorischen Rahmen der operativen Tätigkeiten der FINMA (z. B. über den Erlass eines Organisationsreglements, die Besetzung und Überwachung der Geschäftsleitung und die Sicherstellung der internen Kontrolle) und beschliesst regulatorische Grundlagen (an die FINMA delegierte Verordnungen sowie Rundschreiben über die Anwendung des Finanzmarktrechts). Des Weiteren entscheidet er über Geschäfte von grosser Tragweite.
Die Präsidentin oder der Präsident des Verwaltungsrats übt das Amt grundsätzlich vollamtlich aus. 5⁵7 Die übrigen Mitglieder des Verwaltungsrats üben ihr Amt als Nebenbeschäftigung aus. Da der Verwaltungsrat bei Geschäften von grosser Tragweite selbst entscheidet, müssen seine Mitglieder von den Beaufsichtigten grundsätzlich unabhängig sein. 5⁵8
Die Zuständigkeit des FINMA-Verwaltungsrats für Geschäfte von grosser Tragweite nahm der Bundesrat aufgrund von Rückmeldungen aus der Vernehmlassung in die Vorlage des FINMAG von 2006 auf. Viele an der Vernehmlassung Teilnehmende, darunter die Schweizerische Bankiervereinigung und Economiesuisse, vertraten im Sinne von «Checks and Balances» die Ansicht, dass schwerwiegende Entscheide durch den Verwaltungsrat verfügt werden müssten. Der Verwaltungsrat soll demnach in denjenigen Fällen der operativen Tätigkeit der FINMA entscheiden, in denen Gläubigerinnen und Gläubiger, Anlegerinnen und Anleger, Versicherte oder die Funktionsfähigkeit der Finanzmärkte in erheblichem Masse betroffen sind. 5⁵9 Das FINMAG sieht ansonsten vor, dass der Verwaltungsrat grundsätzlich nur für die strategischen Belange und Entscheide verantwortlich sein soll. Er ist somit vom Tagesgeschäft weitgehend entlastet und kann sich der langfristigen Führung der FINMA widmen. 56⁰
Im Nachgang zur Finanzkrise 2007/08 bestätigte der Bundesrat 2010 die Zuständigkeit des Verwaltungsrats für Geschäfte von grosser Tragweite und legte der FINMA nahe, den Begriff eng auszulegen und zu berücksichtigen, dass der Verwaltungsrat für die strategischen Belange und Entscheide verantwortlich ist und die operative Tätigkeit generell bei der Geschäftsleitung liegt. 56¹
2014 argumentierte der Bundesrat, dass die Kompetenz des Verwaltungsrats, auch über Geschäfte von grosser Tragweite zu entscheiden, für ein Gleichgewicht zwischen dem Verwaltungsrat und der Geschäftsleitung der FINMA sorge, wodurch eine ausgewogene Entscheidfindung und Entwicklung der relevanten Praxis sichergestellt werde. Weiter argumentierte er, dass Geschäfte von grosser Tragweite und strategische Entscheide einen direkten Zusammenhang hätten und sich nur schwer abgrenzen liessen. So würden Geschäfte von grosser Tragweite nicht nur die generelle Strategie der FINMA beeinflussen, sondern können auch Auswirkungen insbesondere auf die FINMA-Regulierung (Verordnungen und Rundschreiben) haben, die vom Verwaltungsrat beschlossen wird. Der Bundesrat antwortete damit auch auf die im Rahmen des «Financial Sector Assessment Programs» 2014 (FSAP) vorgebrachte Anregung des IWF, die Kompetenz des Verwaltungsrats, über Geschäfte von grosser Tragweite zu entscheiden, einzuschränken oder klarer zu umschreiben. 56²
Der FINMA-Verwaltungsrat hat im FINMA-Organisationsreglement die Geschäfte von grosser Tragweite gestützt auf die Botschaft zum FINMAG definiert und diese Definition im Nachgang zum Urteil des Bundesgerichts nochmals geschärft. 56³ Gemäss dieser Definition gehören dazu Geschäfte betreffend Beaufsichtigte der Aufsichtskategorien 1 und 2 (das heisst der SIBs) u. a. zu Schutzmassnahmen, zur Sanierung oder zur (Konkurs-)Liquidation.
5⁵6 Art. 9 Abs. 1 FINMAG.
5⁵7 Art. 9 Abs. 4 FINMAG und
BBl
2006
2829
, S. 2865
. Eine Nebentätigkeit (z. B. Lehre an einer Hochschule) der Präsidentin oder des Präsidenten des Verwaltungsrats ist mit dem Amt vereinbar, wenn sie im Interesse der Aufgabenerfüllung der FINMA liegt.
5⁵8 Art. 9 Abs. 2 FINMAG und
BBl
2006
2829
, S. 2864.
5⁵9
BBI
2006
2829
, S. 2840
56⁰
BBI
2006
2829
, S. 2840
56¹ Bericht des Bundesrats,
Das Verhalten der Finanzmarktaufsicht in der Finanzmarktkrise - Lehren für die Zukunft
, 12. Mai 2010.
56² Bericht des Bundesrats,
Die FINMA und ihre Regulierungs- und Aufsichtstätigkeit
, 18. Dez. 2014
, S. 9 f.
56³ FINMA,
Reglement über die Organisation der Eidgenössischen Finanzmarktaufsicht FINMA
, 1. Dez. 2023, Art. 2bis.
Beurteilung
Wie oben dargelegt, war bei und nach der Errichtung der FINMA die Kompetenz des Verwaltungsrats der FINMA zum Entscheid in Geschäften von grosser Tragweite immer wieder ein Thema, wobei der Bundesrat jeweils die Argumente dafür und dagegen im Lichte der aktuellen Erfahrungen und Erkenntnisse abgewogen hat.
Im Fall Credit Suisse untersucht und beurteilt derzeit die PUK die Geschäftsführung der FINMA.
Der Bundesrat hat sich 2014 das letzte Mal zur Zuständigkeit des FINMA-Verwaltungsrats für Geschäfte von grosser Tragweite geäussert. Die Erkenntnisse der letzten Jahre legen somit eine erneute Prüfung der Vor- und Nachteile der aktuellen Arbeitsteilung zwischen Verwaltungsrat und Geschäftsleitung nahe.
Mögliche Massnahmen und Fazit
Die Prüfung der Zuständigkeit des Verwaltungsrats für Geschäfte von grosser Tragweite soll auch einen Vergleich mit der Governance vergleichbarer Organisationen umfassen. Dabei ist zu beurteilen, ob die aktuelle Arbeitsteilung mit Blick auf die Effektivität der Aufsicht gerechtfertigt und Massnahmen nötig sind. In diesen Prüfarbeiten sind auch allfällige Erkenntnisse der PUK zu berücksichtigen.
Konkret sollen unter anderem die Vor- und Nachteile geprüft werden, wenn die Zuständigkeit für Geschäfte von grosser Tragweite der Geschäftsleitung übertragen würde.
Ressourcenausstattung der FINMA
Der aktuelle gesetzliche Auftrag, die in diesem Bericht erwähnte mögliche Erweiterung des FINMA-Instrumentariums und die Aufsicht über die (vergrösserte) UBS bedingen, dass die FINMA in quantitativer und qualitativer Hinsicht angemessen mit Ressourcen ausgestattet ist.
Der Bericht der Expertengruppe «Bankenstabilität» greift die verbreitete Ansicht auf, dass die FINMA bei der Bewältigung des Falls Credit Suisse personell an ihre Grenzen gestossen ist und dass eine Erweiterung der Ressourcen insbesondere im Bereich Stabilisierung und Abwicklung und in der UBS-Aufsicht unerlässlich scheint. Weiter geht die Expertengruppe darauf ein, dass die FINMA sicherstellen sollte, dass sie bei der Entlöhnung genügend Spielraum hat, um hochkarätige und sehr erfahrene Personen aus der Finanzindustrie anzuziehen. 56⁴
Das Gutachten Tarullo empfiehlt eine deutliche Aufstockung der Ressourcen für die Überwachung der UBS. 56⁵
Es obliegt der FINMA, die für ihre Aufgabenerfüllung nötigen Ressourcen zu bestimmen und zu beschaffen. Insofern drückt der Bundesrat hier seine Erwartung aus, dass die FINMA unter Berücksichtigung der neuen Aufgabenstellungen sich angemessen mit der nötigen Anzahl und Qualität an Ressourcen ausstattet. Ausserdem werden die Ergebnisse der PUK zeigen, inwiefern Massnahmen in Bezug auf die Ressourcenausstattung nötig sind.
56⁴ Expertengruppe Bankenstabilität 2023,
Reformbedarf nach dem Untergang der Credit Suisse
, 1. Sept. 2023, S. 59.
56⁵ Gutachten Tarullo, S. 4 f.
Zuständigkeiten und Zusammenarbeit der Behörden im Bereich Finanzstabilität
Ausgangslage
Kontext
Für eine erfolgreiche Prävention und Bewältigung von Finanzkrisen sind nebst den regulatorischen Anforderungen auch die Zusammenarbeit der involvierten Behörden sowie deren Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten im Bereich der Finanzstabilität entscheidend. Entsprechend werden im Nachgang zu Finanzkrisen auch diese Aspekte überprüft. Dies war insbesondere nach der globalen Finanzkrise 2007/08 der Fall.
Damals schuf das FSB neue Standards und das TBTF-Dispositiv wurde in den relevanten Jurisdiktionen gestärkt. Dabei wurden in mehreren Jurisdiktionen mit wichtigen Finanzplätzen auch institutionelle Anpassungen vorgenommen, beispielsweise wurden etwa in den USA, der EU und dem UK stärkere Rollen der Zentralbanken in der Aufsicht und Abwicklung von SIBs vorgesehen.
Schon vor der Finanzkrise hatte sich die Schweiz entschieden, die Unabhängigkeit der Aufsicht zu stärken. Per 1. Januar 2009 wurde die FINMA als unabhängige Behörde aus der Bundesverwaltung ausgegliedert. Im Unterschied zu anderen Jurisdiktionen wurden der SNB jedoch keine weiteren Aufgaben im Rahmen der Aufsicht und Abwicklung von SIBs zugeteilt. Der Bundesrat stellt im Nachgang zur Finanzkrise keinen grundsätzlichen Handlungsbedarf in Bezug auf den institutionellen Rahmen fest. ⁵66
Die Frage nach allfälligen Anpassungen bei den Zuständigkeiten und der Zusammenarbeit der relevanten Behörden stellt sich auch bei der Aufarbeitung der Krise der Credit Suisse. Aus Sicht des Bundesrates sollen jedoch die Resultate der PUK abgewartet und in die Diskussion zum institutionellen Rahmen einbezogen werden.
⁵66 Bericht des Bundesrats,
Das Verhalten der Finanzmarktaufsicht in der Finanzmarktkrise - Lehren für die Zukunft
, 12. Mai 2010. Vgl. auch die Medienmitteilung des Bundesrats,
Schlussfolgerungen aus der Finanzmarktkrise für die Finanzmarktaufsicht
, 12. Mai 2010.
Aktueller institutioneller Rahmen in der Schweiz
In der Schweiz sind verschiedene Behörden mit Aufgaben zur Förderung und Wahrung der Finanzstabilität betraut. Die zentralen Akteure sind der Bundesrat bzw. das EFD (Regulierung), die FINMA (Aufsicht, Sanierung und Abwicklung) und die SNB (makroprudenzielle Aufsicht, Stabilität des Finanzmarkts, LoLR).
Das EFD, die FINMA und die SNB sind voneinander unabhängig. Es gibt - abgesehen von Befugnissen zum Informationsaustausch - kaum gesetzliche Regelungen zur Zusammenarbeit im Bereich Finanzstabilität und Finanzmarktregulierung. Diese Zusammenarbeit ist bislang in einem Memorandum of Understanding (MoU) geregelt. Die Vereinbarung umfasst den Informationsaustausch sowie spezifisch die Zusammenarbeit im Fall einer Krise, welche die Stabilität des Finanzsystems bedrohen könnte (siehe Kap. 5.2 für einen Beschrieb der Krisenorganisation). ⁵67
Zwischen der FINMA und der SNB besteht ein weiteres MoU, das die Aufgaben der beiden Institutionen abgrenzt, die gemeinsamen Interessensgebiete beschreibt und die Zusammenarbeit im Bereich der Finanzstabilität regelt. ⁵68
⁵67 EFD, FINMA und SNB,
Memorandum of Understanding zur tripartiten Zusammenarbeit im Bereich Finanzstabilität und Finanzmarktregulierung zwischen dem EFD, der FINMA und der SNB
, 2. Dez. 2019.
⁵68 FINMA und SNB,
Memorandum of Understanding
im Bereich Finanzstabilität
,
15. Mai 2017.
Internationaler Vergleich
Zwischen der institutionellen Ausgestaltung der Zuständigkeiten in den Bereichen der Bankenaufsicht, makroprudenziellen Aufsicht, Ausübung der Funktion als LoLR, Sanierung und Abwicklung bestehen international grosse Unterschiede. Es ist zwischen zwei Ansätzen zu unterscheiden - der Zusammenführung der verschiedenen Aufgaben unter dem Dach einer Behörde ( Single-Authority-Approach ) und der Aufteilung auf mehrere Behörden ( Multiple-Authority-Approach ) . ⁵69 Im UK sind die Aufsicht und Abwicklung von SIBs sowie die LoLR-Funktion bei der Bank of England angesiedelt. Demgegenüber sind die Aufgaben in der EU und den USA auf unterschiedliche, voneinander unabhängige Behörden verteilt.
Im Unterschied zur Schweiz wird in vielen Ländern (namentlich in den USA, der EU und im UK) die Aufsicht über die SIBs durch die Zentralbank wahrgenommen, u.a. weil Zentralbanken grössere Erfahrung mit dem Umgang mit marktweiten und systemischen Stressevents haben, auf dem Arbeitsmarkt besser rekrutieren können und dadurch Synergien zwischen mikro- und makroprudenzieller Aufsicht besser genutzt werden können. 57⁰
Ausserdem sind in den relevanten Jurisdiktionen die unterschiedlichen Verantwortlichkeiten und Zuständigkeiten expliziter festgehalten. So ist etwa die Krisenzusammenarbeit oftmals Bestandteil eines für die makroprudenzielle Aufsicht geschaffenen Stabilitätsrates. Beispiele dafür sind der Financial Stability Oversight Council (FSOC) in den USA und das European Systemic Risk Board (ESRB). Ein solcher Stabilitätsrat besteht typischerweise aus Mitgliedern der Aufsicht, der Zentralbank und des Finanzministeriums und allenfalls zusätzlich aus unabhängigen Experten und Expertinnen. Ein weiteres Merkmal dieser Räte ist, dass sie gegenüber der Öffentlichkeit Rechenschaft über ihre Arbeiten ablegen. Der FSOC und das ESRB veröffentlichen jährliche Berichte, in denen sie ihre Einschätzungen zu möglichen Gefahrenherden für die Finanzstabilität und Analysen darlegen.
⁵69 Gutachten Alvarez & Marsal.
57⁰ Gutachten Alvarez & Marsal.
Beurteilung
In der Krise der Credit Suisse hat das Krisenmanagement der Schweizer Behörden nach Einschätzung des Bundesrates insgesamt funktioniert. So wurden unter enormem Zeitdruck in direkter und intensiver Zusammenarbeit zwischen dem EFD, der FINMA und der SNB ab Herbst 2022 Beurteilungen, Massnahmen und Lösungsansätze diskutiert und entwickelt. Letztlich konnte Mitte März 2023 innert kürzester Zeit eine situationsspezifische Lösung in die Praxis umgesetzt werden (vgl. Kap. 5.3 und 5.4).
Die Erfahrungen der Krise verdeutlichen die Wichtigkeit der zeitnahen und umfassenden Information, der konstruktiven Zusammenarbeit der Behörden für alle Handlungsoptionen, der Stufengerechtigkeit der Entscheide und der Abstimmung sowie Verantwortungsübernahme und -zuweisung unter den Behörden.
Mit Blick auf die Krisenzusammenarbeit zeigt sich, dass die Schweiz mit dem trilateralen MoU 57¹ zwischen dem EFD, der FINMA und der SNB lediglich über eine relativ knappe und wenig formelle Grundlage für die Zusammenarbeit verfügt. In den relevanten ausländischen Jurisdiktionen sind dafür formellere Gremien vorgesehen und die Zuständigkeiten sowie Verantwortlichkeiten sind expliziter festgehalten. Klare Verantwortlichkeiten sind gerade auch in Situationen wichtig, wo das Eingreifen der Behörden prozyklisch wirken kann und deshalb Entscheidungen tendenziell spät getroffen werden. Auch der effiziente Informationsaustausch unter den Behörden vor und in der Krise ist eine wichtige Voraussetzung für ein erfolgreiches Krisenmanagement.
57¹ EFD, FINMA und SNB,
Memorandum of Understanding zur tripartiten Zusammenarbeit im Bereich Finanzstabilität und Finanzmarktregulierung zwischen dem EFD,
der FINMA und der SNB , 2. Dez. 2019.
Mögliche Massnahmen und Fazit
Änderungen am bestehenden institutionellen Rahmen der Aufsicht, Abwicklung und des Krisenmanagements bezüglich SIBs können ein näheres Zusammenrücken von makro- und mikroprudenzieller Aufsicht über die SIBs (z. B. durch Verschiebung der prudenziellen Aufsicht über die SIBs zur SNB) oder eine mögliche Stärkung der behördlichen Zusammenarbeit zur Prävention von Krisen oder während Krisen (z. B. durch Schaffung eines Stabilitätsrats) bedeuten. Ebenso ist eine klarere Regelung der Zusammenarbeit - insbesondere im Bereich der Planung und Durchführung einer Abwicklung - denkbar.
Der Bundesrat schlägt vor, Anpassungen der institutionellen Zuständigkeiten und betreffend die Zusammenarbeit der Behörden im Hinblick auf eine Stärkung des Dispositivs zur Krisenbewältigung zu prüfen. Allerdings sind zuerst die Resultate der PUK abzuwarten und gegebenenfalls einzubeziehen.
Abbildungs-, Tabellen- und Boxenverzeichnis
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Abbildung 1 | Instrumente beispielhaft geordnet nach Krisenphasen | 29 |
Abbildung 2 | Grössenentwicklung der Schweizer G-SIBs im Vergleich zum BIP | 31 |
Abbildung 3 | Entwicklung Aktienkurs und CDS der Credit-Suisse-Gruppe | 62 |
Abbildung 4 | Internationaler Vergleich der risikogewichteten Eigenmittelanforderungen für die Schweizer G-SIBs und vergleichbare Banken in der EU, im UK und in den USA per 1. März 2023 | 85 |
Abbildung 5 | Internationaler Vergleich der Anforderungen an die Leverage Ratio für die Schweizer G-SIBs und vergleichbare Banken in der EU, im UK und in den USA per 1. März 2023 | 86 |
Abbildung 6 | Liquiditätshilfen von Zentralbanken | 141 |
Abbildung 7 | Vereinfachte Struktur der Credit-Suisse-Gruppe vor der Übernahme | 223 |
Abbildung 8 | Vereinfachte Struktur der HSBC-Gruppe | 227 |
Abbildung 9 | Vereinfachte Struktur der UBS nach Übernahme der Credit Suisse | 232 |
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Tabelle 1 | Massnahmenpaket | 41 |
Tabelle 2 | Übersicht der wesentlichen Massnahmen und Handlungen der Bundesbehörden im Zusammenhang mit der Krise der Credit Suisse | 67 |
Tabelle 3 | Eigenmittel-Anforderungen für die SIBs per Ende 2026 | 83 |
Tabelle 4 | Steuern auf Unternehmens- und Haushaltsebene | 108 |
Tabelle 5 | Attraktivität der Finanzierungswege nach Investorentyp | 110 |
Tabelle 6 | Internationaler Vergleich der HQLA im Verhältnis zum Gesamtengagement (Stichtag: 31. Dezember 2022) | 119 |
Tabelle 7 | Internationaler Vergleich akzeptierter Sicherheiten; Stand Dezember 2023 | 138 |
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Box 1 | Stabilisierung, Abwicklung, Sanierung, Notfallplan - ausgewählte Begrifflichkeiten | 28 |
Box 2 | Auf internationaler Ebene umzusetzende Massnahmen | 46 |
Box 3 | Eigenmittelunterlegung für Tochtergesellschaften | 89 |
Übersicht Gutachten
Wie in Kapitel 1.2 beschrieben, wurde das EFD vom Bundesrat explizit beauftragt, externe Gutachten in die Arbeiten zum vorliegenden Bericht einzubeziehen. Diese Gutachten sind auf der EFD-Webseite abrufbar:
-
Prof. Daniel K. Tarullo: Swiss Too-Big-To-Fail Approach and Feasibility of Resolution , 28. August 2023;
-
Prof. Dr. iur. Isabelle Häner: Rechtsgutachten über pekuniäre Verwaltungssanktionen im Finanzmarktrecht , 10. November 2023;
-
PA Consulting: Individual Accountability Regimes: A Comparative Report , September 2023;
-
Sir Paul Tucker: Regimes for Lender of Last Resort Assistance to Illiquid Monetary Institutions: Lessons in the Wake of Credit , Herbst 2023;
-
Prof. Dr. Winfried Ruigrok und Dr. Wei Lin: Regulating Executive Remuneration at Swiss Global Systemically Important Banks , 5. Dezember 2023;
-
Alvarez & Marsal Management Consulting: International Comparison of Key Jurisdictions: Institutional Setup for the Supervision and Resolution of Banks , 11. Dezember 2023;
-
Prof. Dr. Aymo Brunetti: Kurzgutachten zur Definition der Systemrelevanz und zu staatlichen Stützungen von Banken , 22. Dezember 2023.
Übersicht parlamentarische Vorstösse
Der Bericht behandelt zahlreiche Fragestellungen und Anliegen aus parlamentarischen Vorstössen zur Schweizer TBTF-Regulierung und zum Fall der Credit Suisse.
Die Postulate, die zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Berichts vom Parlament an den Bundesrat überwiesen sind und in diesem Bericht behandelt werden, führt Kapitel 1.2 auf. Ebenfalls in Kapitel 1.2 aufgeführt sind weitere überwiesene Postulate, die ausserhalb dieses Berichts behandelt werden.
Folgende weitere Vorstösse des Parlaments - mitunter auch solche, die zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Berichts im Parlament noch nicht abschliessend behandelt sind - werden im vorliegenden Bericht ebenfalls behandelt:
-
«Keine Bonuszahlungen für systemrelevante Banken» (Mo. 21.3909 von NR Birrer-Heimo);
-
«Höhere Eigenkapitalanforderungen an global tätige Grossbanken» (Mo. 21.3910 von NR Birrer-Heimo);
-
«Finanzplatz Schweiz. Die Too-big-to-fail-Problematik nachhaltig lösen» (Mo. 23.3217 von SR Minder);
-
«Im Zusammenhang mit dem CS-Debakel höhere Finanzmarktkader für Missmanagement stärker in die Pflicht nehmen» (Interpellation 23.3417 von NR Glättli);
-
«Keine Schweizer Too-big-to-fail-Banken mehr» (Mo. 23.3449 von SR Chiesa);
-
«Die Unabhängigkeit der externen Revision bei Too-big-to-fail-Banken sicherstellen» (Po. 23.3450 von SR Z’graggen);
-
«Limitierung der Vergütungen im Bankenwesen» (Mo. 23.3452 von SR Stark);
-
«Keine Schweizer Too-big-to-fail-Banken mehr» (Mo. 23.3456 der Fraktion der Schweizerischen Volkspartei);
-
«Staatsgarantien für Banken an Nachhaltigkeitskriterien knüpfen» (Mo. 23.3460 von NR Ryser);
-
«Verantwortung des obersten Kaders bei systemrelevanten Banken erhöhen» (Mo. 23.3462 von NR Burgherr);
-
«Garantiefonds. Systemrelevanz klären und implizite Staatsgarantie abgelten» (Mo. 23.3485 von NR Fischer);
-
«Keine Bonuszahlungen bei systemrelevanten Banken.» (Mo. 23.3494 von SR Sommaruga);
-
«Regelung über variable Vergütungen.» (Mo. 23.3495 von SR Caroni).
Folgende weitere Vorstösse des Parlaments, die zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Berichts beispielsweise infolge Ablehnung in den Räten oder Rückzugs bereits erledigt sind, werden im vorliegenden Bericht ebenfalls behandelt:
-
«Staatsgarantien für Banken an soziale Kriterien knüpfen» (Mo. 23.3458 von NR Porchet);
-
«Schweizer Geschäft der ehemaligen Credit Suisse aus der UBS herauslösen und in eine am Gemeindewohl orientierte Klimabank transformieren» (Mo. 23.3474 von NR Glättli);
-
«Staatshilfen im Einklang mit den Schweizer Nachhaltigkeitszielen» (Mo. 23.3475 der Grünen Fraktion);
-
«Höhere Einlagensicherung» (Mo. 23.3477 der Grünen Fraktion);
-
«Ein Trennbankensystem für systemrelevante Banken» (Mo. 23.3478 der Grünen Fraktion);
-
«Abgeltung für Staatsgarantie» (Mo. 23.3479 der Grünen Fraktion);
-
«Ethisches und nachhaltiges Wirtschaften im Finanzsektor und bei staatsnahen Betrieben (Risikominimierung)» (Po. 23.3482 von NR Gugger);
-
«Abgeltung der impliziten Staatsgarantie durch systemrelevante Banken» (Mo. 23.3483 von NR Suter);
-
«Ausbau der Einlagensicherung» (In. 23.3484 von NR Masshardt);
-
«Die Finma stärken» (Mo. 23.3492 von NR Atici);
-
«Löst die Streichung der Boni die generellen Probleme eines falschen Anreizsystems?» (In. 23.3584 von NR Binder-Keller);
-
«Finanzplatzstrategie für die Zukunft» (Mo. 23.3602 der FPD-Liberale-Fraktion);
-
«Für eine Verschärfung der Strafbestimmungen für Banken in der Schweiz» (Mo. 23.3853 von NR Amoos);
-
«Stärkung der Aufsicht über systemrelevante Banken durch Erweiterung der Aufsichts- und Sanktionsinstrumente der FINMA» (Mo. 23.4336 von WAK-S).
Die Motion «Bessere Absicherung von Freizügigkeits- und Säule-3a-Guthaben» (Mo. 23.3604 von SR Hegglin) wurde vom Parlament am 6. März 2024 angenommen. Der Bundesrat plant, diese bei der Revision des Bankengesetzes im Zuge der TBTF-Arbeiten einzubeziehen.
Nicht thematisiert werden die beiden Motionen «Systemrelevante Unternehmen. Entscheidungen im Interesse der Schweiz gewährleisten» (Mo. 23.3448 von SR Chiesa) und «Systemrelevante Unternehmen. Entscheidungen im Interesse der Schweiz gewährleisten» (Mo. 23.3455 von NR Matter), da sie allgemein auf systemrelevante Unternehmen abzielen und somit über das Finanzmarktrecht hinausgehen.
Abkürzungsverzeichnis
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ABS | Asset Backed Securities: Wertpapiere, die mit Vermögenswerten oder Forderungen abgesichert sind |
AF | Ausschuss Finanzkrisen: Gremium der Krisenorganisation der Schweizer Finanzmarktbehörden |
AT1 | Additional Tier 1: zusätzliches Kernkapital, das bilanztechnisch Fremdkapital darstellt |
AZP | antizyklischer Kapitalpuffer |
BaFin | Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht: deutsche Finanzmarktaufsichtsbehörde |
BankG | Bankengesetz vom 8. November 1934 (SR 952.0) |
BankV | Bankenverordnung vom 30. April 2014 (SR 952.02 ) |
BCBS | Basel Committee on Banking Supervision: Basler Ausschuss für Bankenaufsicht |
BGÖ | Öffentlichkeitsgesetz vom 17. Dezember 2004 (SR 152.3 ) |
BIP | Bruttoinlandprodukt |
BIZ | Bank für Internationalen Zahlungsausgleich |
BRRD | Bank Recovery and Resolution Directive: Richtlinie 2014/59/EU des Europäischen Parlaments und des Rates zur Sanierung und Abwicklung von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen (ABl. L 173 vom 12.6.2014, S. 190) |
BV | Bundesverfassung (SR 101 ) |
CDS | Credit Default Swap : Kreditausfall-Swap. Kreditderivat, welches das Handeln mit Ausfallrisiken von Anleihen, Krediten oder Schuldnernamen ermöglicht |
CET1 | Common Equity Tier 1 : hartes Kernkapital. Entspricht dem von einer Bank gehaltenen Kapital höchster Qualität, wie beispielsweise das einbezahlte Gesellschaftskapital . |
CFP | Contingency Funding Plan : Notfallkonzept der Bank zur Sicherstellung einer ausreichenden Reaktionsfähigkeit bei starken Liquiditäts- und Finanzierungsengpässen im laufenden Betrieb |
CFTC | Commodity Futures Trading Commission : US-Behörde für den Handel mit Futures und Optionen |
CGFS | Committee on the Global Financial System: Ausschuss der BIZ für das weltweite Finanzsystem |
CMG | Crisis Management Group: Gremium zum laufenden Austausch über eine Bank zwischen den Aufsichtsbehörden derjenigen Länder, in denen die Bank aktiv ist |
CS | Credit Suisse |
DBA | Doppelbesteuerungsabkommen |
EBA | European Banking Authority: Europäische Bankenaufsichtsbehörde |
ECB/EZB | European Central Bank: Europäische Zentralbank |
EFD | Eidgenössisches Finanzdepartement |
EFF | Engpassfinanzierungsfazilität: Liquiditätshilfe, die die SNB im Rahmen der ordentlichen Fazilitäten den Geschäftsbanken und Finanzmarktinfrastrukturen zur Überbrückung kurzfristiger Liquiditätsengpässe zur Verfügung stellt |
ELA | Emergency Liquidity Assistance: Liquiditätshilfe im Rahmen der ausserordentlichen Fazilität der SNB |
ELA+ | Emergency Liquidity Assistance Plus: zusätzliche ausserordentliche Liquiditätshilfe der SNB, die für die Krise der Credit Suisse mittels Notrecht eingeführt wurde und bis zum 31. Dezember 2027 gilt. ELA+ sieht ein Konkursprivileg zugunsten der SNB vor. |
EMRK | Europäische Menschenrechtskonvention vom 4. November 1950 (SR 0.101 ) |
ERV | Eigenmittelverordnung vom 1. Juni 2012 (SR 952.03 ) |
ESM | Europäischer Stabilitätsmechanismus |
EWR | Europäischer Wirtschaftsraum |
FCA | Financial Conduct Authority: eine der Finanzmarktaufsichtsbehörden im UK (siehe auch PRA) |
FDIC | Federal Deposit Insurance Corporation: US-amerikanische Behörde, die insbesondere für die Einlagensicherung und die Abwicklung von Finanzinstituten zuständig ist |
Fed | Federal Reserve System: Notenbank der USA |
FIDLEG | Finanzdienstleistungsgesetz vom 15. Juni 2018 (SR 950.1 ) |
FinDel | Finanzdelegation der eidgenössischen Räte |
FinfraG | Finanzmarktinfrastrukturgesetz vom 19. Juni 2015 (SR 958.1 ) |
FINIG | Finanzinstitutsgesetz vom 15. Juni 2018 (SR 954.1 ) |
FINMA | Eidgenössische Finanzmarktaufsicht |
FINMAG | Finanzmarktaufsichtsgesetz vom 22. Juni 2007 (SR 956.1 ) |
FINMA-PV | Finanzmarktprüfverordnung vom 5. November 2014 (SR 956.161 ) |
FK-N/FK-S | Finanzkommission des National- bzw. des Ständerats |
FSB | Financial Stability Board: Finanzstabilitätsrat, ein internationales Koordinationsorgan für die globale Finanzstabilität |
FusG | Fusionsgesetz vom 3. Oktober 2003 (SR 221.301 ) |
G-SIB | Global Systemically Important Bank: global systemrelevante Bank |
HQLA | High Quality Liquid Assets: hochliquide Vermögenswerte |
IMF/IWF | International Monetary Fund: Internationaler Währungsfonds |
IPO | Initial Public Offering: Börsengang |
KG | Kartellgesetz vom 6. Oktober 1995 (SR 251 ) |
LCR | Liquidity Coverage Ratio: Quote für kurzfristige Liquidität oder Mindestliquiditätsquote |
LG | Lenkungsgremium: strategisches Gremium der Krisenorganisation der Schweizer Behörden |
LiqV | Liquiditätsverordnung vom 30. November 2012 (SR 952.06 ) |
LoLR | Lender of Last Resort: Kreditgeber in letzter Instanz |
LR | Leverage Ratio: Verschuldungsquote, die das Kernkapital (Tier 1) dem Gesamtengagement gegenüberstellt |
Mo. | Motion |
MoU | Memorandum of Understanding: Vereinbarung zwischen zwei oder mehr Parteien |
MPoE | Multiple Point of Entry (siehe SPoE) |
MREL | Minimum Requirement for Own Funds and Eligible Liabilities: Mindestanforderung an Eigenmittel und anrechenbare Verbindlichkeiten im Vereinigten Königreich und in der EU, ähnlich dem TLAC-Standard des FSB |
NBG | Nationalbankgesetz vom 8. November 1945 (SR 952.0 ) |
NCWO | No Creditor Worse Off: Prinzip, dass in einer Sanierung Gläubigerinnen und Gläubiger nicht schlechter gestellt werden als im Bankenkonkurs |
NR | Nationalrätin oder Nationalrat |
NSFR | Net Stable Funding Ratio: strukturelle Liquiditätsquote oder Finanzierungsquote. Sie zielt auf die Gewährleistung einer stabilen Finanzierung innerhalb eines Zeithorizontes von einem Jahr |
OCC | Office of the Comptroller of the Currency: Behörde im Finanzministerium der USA, zu deren Aufgaben u. a. die Überwachung des nationalen Kreditwesens gehört, d. h. auch die Überprüfung der Zahlungs-, Wettbewerbs- und Funktionsfähigkeit der amerikanischen Kreditinstitute |
OECD | Organisation for Economic Co-operation and Development: Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung |
OLF | Orderly Liquidation Fund: beim US Treasury angesiedelter Fonds, der der FDIC die zur Abwicklung benötigte Liquidität zur Verfügung stellt |
OR | Obligationenrecht (SR 220 ) |
PfG | Pfandbriefgesetz vom 25. Juni 1930 (SR 211.423.4 ) |
PLB | Public Liquidity Backstop: staatliche Liquiditätssicherung für systemrelevante Banken |
Po. | Postulat |
PONV | Point of non-viability : Zeitpunkt drohender Insolvenz |
PRA | Prudential Regulation Authority: eine der Finanzmarktaufsichtsbehörden im UK (siehe auch FCA) |
PUK | Parlamentarische Untersuchungskommission |
PVA | Prudent Valuation Adjustment: Vorsichtsprinzip in der Bewertung von Finanzinstrumenten |
RAB | Revisionsaufsichtsbehörde |
RAG | Revisionsaufsichtsgesetz vom 16. Dezember 2005 (SR 221.302) |
RK-N/RK-S | Kommission für Rechtsfragen des National- bzw. des Ständerats |
RWA | Risk-Weighted Assets: risikogewichtete Aktiven |
SchKG | Bundesgesetz vom 11. April 1889 über Schuldbetreibung und Konkurs (SR 281.1 ) |
SEC | U.S. Securities and Exchange Commission: amerikanische Börsenaufsicht |
SECO | Staatssekretariat für Wirtschaft |
SIB | Systemically Important Bank: systemrelevante Bank (siehe auch G-SIB) |
SIF | Staatssekretariat für internationale Finanzfragen |
SNB | Schweizerische Nationalbank |
SPoE | Single Point of Entry: bedeutet z. B. bei einem Bail-In eine Durchführung auf der Stufe der höchsten Konzerneinheit, der sogenannten Konzernobergesellschaft |
SR | Ständerätin oder Ständerat |
SSM | Single Supervisory Mechanism: Einheitlicher Aufsichtsmechanismus; bezeichnet das System der Bankenaufsicht in der EU |
StGB | Schweizerisches Strafgesetzbuch (SR 311.0 ) |
TBTF | Too Big To Fail: wörtlich übersetzt «zu gross zum Scheitern» |
Tier 1 | T1 , Kernkapital. Setzt sich zusammen aus CET1 und AT1 |
Tier 2 | T2, Ergänzungskapital. Stellt bilanztechnisch Fremdkapital dar, trägt Verluste nach CET1 und AT1 |
TLAC | Total Loss Absorbing Capacity: gesamte Verlusttragfähigkeit. Umfasst sämtliches Eigen- und Fremdkapital, das im Fall einer Sanierung oder Liquidation einer G-SIB zur Verlusttragung und Rekapitalisierung beigezogen werden kann. Das Kapital setzt sich aus Mitteln zur ordentlichen Weiterführung (Going Concern) und Mitteln zur Abwicklung (Gone Concern) zusammen. |
TPO | Temporary Public Ownership: zeitlich befristete staatliche Eigentümerstellung in Bezug auf ein Finanzinstitut oder auf einzelne Einheiten eines Finanzinstituts |
UK | United Kingdom: Vereinigtes Königreich |
VAG | Versicherungsaufsichtsgesetz vom 17. Dezember 2004 (SR 961.01 ) |
VStR | Bundesgesetz vom 22. März 1974 über das Verwaltungsstrafrecht (SR 313.0 ) |
VwVG | Verwaltungsverfahrensgesetz vom 20. Dezember 1968 (SR 172.021 ) |
WAK-N/ WAK-S | Kommission für Wirtschaft und Abgaben des Nationalrats bzw. des Ständerats |
WTO | World Trade Organization: Welthandelsorganisation |
ZKB | Zürcher Kantonalbank |
Bundesrecht
Bericht des Bundesrates zur Bankenstabilität einschliesslich Evaluation gemäss Artikel 52 des Bankengesetzes
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