BBl 2024 2359
CH - Bundesblatt

Botschaft zur Genehmigung und Umsetzung des Notenaustauschs zwischen der Schweiz und der EU betreffend die Übernahme der Richtlinie (EU) 2023/977 über den Informationsaustausch zwischen Strafverfolgungsbehörden der Mitgliedstaaten und zur Aufhebung des Rahmenbeschlusses 2006/960/JI des Rates (Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands)

Botschaft zur Genehmigung und Umsetzung des Notenaustauschs zwischen der Schweiz und der EU betreffend die Übernahme der Richtlinie (EU) 2023/977 über den Informationsaustausch zwischen Strafverfolgungsbehörden der Mitgliedstaaten und zur Aufhebung des Rahmenbeschlusses 2006/960/JI des Rates (Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands)
vom 4. September 2024
Sehr geehrter Herr Nationalratspräsident Sehr geehrte Frau Ständeratspräsidentin Sehr geehrte Damen und Herren
Mit dieser Botschaft unterbreiten wir Ihnen, mit dem Antrag auf Zustimmung, den Entwurf eines Bundesbeschlusses über die Genehmigung und die Umsetzung des Notenaustauschs zwischen der Schweiz und der EU betreffend die Übernahme der Richtlinie (EU) 2023/977 über den Informationsaustausch zwischen Strafverfolgungsbehörden der Mitgliedstaaten und zur Aufhebung des Rahmenbeschlusses 2006/960/JI des Rates (Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands).
Wir versichern Sie, sehr geehrter Herr Nationalratspräsident, sehr geehrte Frau Ständeratspräsidentin, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.
4. September 2024 Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Die Bundespräsidentin: Viola Amherd Der Bundeskanzler: Viktor Rossi
Übersicht
Gegenstand dieser Vorlage ist die Übernahme und Umsetzung der Richtlinie (EU) 2023/977 über den Informationsaustausch zwischen den Strafverfolgungsbehörden der Mitgliedstaaten und zur Aufhebung des Rahmenbeschlusses 2006/960/JI des Rates. Das übergeordnete Ziel der Richtlinie ist die Regelung der organisatorischen und verfahrenstechnischen Aspekte des Informationsaustauschs zwischen den Strafverfolgungsbehörden der Mitgliedstaaten und der Schengen-assoziierten Staaten, um gemeinsame Standards zu schaffen und damit zu einem effizienten Informationsaustausch beizutragen.
Ausgangslage
Mit dem Schengen-Assoziierungsabkommen (SAA) hat sich die Schweiz grundsätzlich zur Übernahme aller Weiterentwicklungen des Schengen-Besitzstands verpflichtet (Art. 2 Abs. 3 und Art. 7 SAA). Die Übernahme eines neuen Rechtsakts erfolgt dabei in einem besonderen Verfahren, das die Notifikation der Weiterentwicklung durch die zuständigen EU-Organe und die Übermittlung einer Antwortnote seitens der Schweiz umfasst.
Am 10. Mai 2023 verabschiedete die Europäische Union (EU) die Richtlinie (EU) 2023/977 über den Informationsaustausch zwischen den Strafverfolgungsbehörden der Mitgliedstaaten und zur Aufhebung des Rahmenbeschlusses 2006/960/JI des Rates. Am 25. April 2023 wurde die Richtlinie, die eine Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands darstellt, der Schweiz notifiziert. Am 2. Juni 2023 genehmigte der Bundesrat den Notenaustausch betreffend die Übernahme der Richtlinie, vorbehaltlich der Genehmigung durch das Parlament.
Inhalt der Vorlage
Die Richtlinie (EU) 2023/977 hebt den Rahmenbeschluss 2006/960/JI des Europäischen Rates auf, der den Grundsatz der Verfügbarkeit von Informationen auf europäischer Ebene konkretisierte und den die Schweiz durch die Inkraftsetzung des Schengen-Informationsaustausch-Gesetzes (SIaG) in nationales Recht umgesetzt hat.
Der Informationsaustausch zwischen den schweizerischen Strafverfolgungsbehörden und den Strafverfolgungsbehörden der anderen Schengen-Staaten wurde bereits mit der Übernahme und Umsetzung des Rahmenbeschlusses 2006/960/JI des Rates im schweizerischen Recht implementiert. Mit der Übernahme der Richtlinie (EU) 2023/977 wird kein neues Instrument für den Informationsaustausch geschaffen. Die Richtlinie modernisiert den mit dem Rahmenbeschluss geschaffenen Rechtsrahmen und vereinheitlicht den Informationsaustausch innerhalb des Schengen-Raums. Die Richtlinie präzisiert die verschiedenen Fristen zur Beantwortung von Informationsersuchen anderer Staaten. Zur Beantwortung dieser Ersuchen verfügt jeder Schengen-Staat über eine zentrale Kontaktstelle (Single Point of Contact, SPOC), die ihre Aufgaben täglich rund um die Uhr wahrnimmt, mit einem Fallbearbeitungssystem ausgestattet ist und Zugang zu den ersuchten Informationen hat. Die Richtlinie (EU) 2023/977 erwähnt explizit den Grundsatz der Verfügbarkeit. Nach diesem Grundsatz können Strafverfolgungsbeamte eines Mitgliedstaats, die zur Erfüllung ihrer Aufgaben bestimmte Informationen benötigen, diese von den Strafverfolgungsbehörden eines anderen Mitgliedstaats, der über diese Informationen verfügt und der sie ihnen für den angegebenen Zweck zur Verfügung stellt, erhalten. Dies impliziert, dass der SPOC die verfügbaren Informationen zu den durch die Richtlinie (EU) 2023/977 abgedeckten schweren Straftaten von den Strafverfolgungsbehörden (auch den kantonalen), die nach dem nationalen Recht mit der Verhütung und Aufdeckung oder Untersuchung von Straftaten betraut sind, erhalten können muss. Ein Direktzugriff ist dabei nicht erforderlich, und der Austausch kann über die bereits bestehenden Kanäle und Prozesse erfolgen. Darüber hinaus wird die Rolle von Europol gestärkt. Beispielsweise soll der gesamte polizeiliche Informationsaustausch im Schengen-Raum künftig prioritär über den SIENA-Kanal (Secure Information Exchange Network Application; Netzanwendung für den sicheren Datenaustausch) erfolgen, der von Europol betrieben wird. Schliesslich ist die Frage des Datenschutzes ein wichtiger Bestandteil der Richtlinie (EU) 2023/977. Der Text verweist direkt auf die Richtlinie (EU) 2016/680. Diese hat die Schweiz über das Schengen-Datenschutzgesetz übernommen, welches mittlerweile in das neue Datenschutzgesetz vom 1. September 2023 (DSG) integriert wurde.
Die Bestimmungen der Richtlinie (EU) 2023/977 sind nicht direkt anwendbar, sondern legen für die Schweiz ein zu erreichendes Ziel fest. Es obliegt der Schweiz, eigene Rechtsvorschriften zur Verwirklichung dieses Ziels zu erlassen. Das zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses 2006/960/JI geschaffene SIaG muss aufgrund notwendiger Präzisierungen und Neuerungen des Informationsaustauschs zwischen Strafverfolgungsbehörden der Schengen-Staaten gemäss der Richtlinie (EU) 2023/977 umfassend überarbeitet werden.
Botschaft

1 Ausgangslage

1.1 Einleitung

Der Informationsaustausch zwischen den zuständigen Strafverfolgungsbehörden der Mitgliedstaaten oder Schengen-assoziierten Staaten zum Zwecke der Verhütung, Ermittlung, Aufdeckung oder Verfolgung von Straftaten ist ein wesentlicher Bestandteil der Kriminalitätsbekämpfung im Schengen-Raum. Um den Informationsaustausch zu erleichtern, hat die EU die Richtlinie (EU) 2023/977 ¹ über den Informationsaustausch zwischen den Strafverfolgungsbehörden der Mitgliedstaaten und zur Aufhebung des Rahmenbeschlusses 2006/960/JI des Rates der Europäischen Union verabschiedet. Die Richtlinie bezweckt, den bestehenden Rechtsrahmen zu modernisieren und den Informationsaustausch innerhalb des Schengen-Raums zu vereinheitlichen.
Die Richtlinie nennt die verschiedenen Fristen zur Beantwortung von Informationsersuchen anderer Staaten. In dringenden Fällen müssen die Informationen innert acht Stunden bereitgestellt werden, sofern sie unmittelbar verfügbar sind. Bei dringlichen Ersuchen um mittelbar verfügbare Informationen beträgt die Frist drei Tage, bei allen anderen Ersuchen sieben Tage. Zur Beantwortung der Ersuchen verfügt jeder Schengen-Staat über eine zentrale Kontaktstelle, die ihre Aufgaben täglich rund um die Uhr wahrnimmt, mit einem Fallbearbeitungssystem ausgestattet ist und Zugang zu den ersuchten Informationen hat. Die Richtlinie (EU) 2023/977 präzisiert die Aufgaben dieses SPOC (Single Point of Contact) sowie dessen Fähigkeiten, Organisation und Zusammensetzung. Darüber hinaus erwähnt die Richtlinie (EU) 2023/977 explizit den Grundsatz der Verfügbarkeit. Nach diesem Grundsatz können Strafverfolgungsbeamte eines Mitgliedstaats, die zur Erfüllung ihrer Aufgaben bestimmte Informationen benötigen, diese von den Strafverfolgungsbehörden eines anderen Mitgliedstaats erhalten, der über diese Informationen verfügt und der sie ihnen für den angegebenen Zweck zur Verfügung stellt. Zudem wird die Rolle von Europol, der europäischen Polizeiagentur, gestärkt. Der gesamte polizeiliche Informationsaustausch im Schengen-Raum soll künftig prioritär über den SIENA-Kanal (Secure Information Exchange Network Application; Netzanwendung für den sicheren Datenaustausch) erfolgen, der von Europol betrieben wird. Europol muss in Fällen, die unter ihr Mandat fallen, grundsätzlich beim Austausch in Kopie gesetzt werden und erhält dadurch mehr Informationen. Schliesslich ist die Frage des Datenschutzes ein wichtiger Bestandteil der Richtlinie (EU) 2023/977.
¹ Richtlinie (EU) 2023/977 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 10. Mai 2023 über den Informationsaustausch zwischen den Strafverfolgungsbehörden der Mitgliedstaaten und zur Aufhebung des Rahmenbeschlusses 2006/960/JI des Rates, ABl. L 134 vom 22. Mai 2023, S. 1.

1.2 Handlungsbedarf und Ziele

Mit dem Schengen-Assoziierungsabkommen (SAA) ² hat sich die Schweiz grundsätzlich zur Übernahme aller Weiterentwicklungen des Schengen-Besitzstands verpflichtet (Art. 2 Abs. 3 und Art. 7 SAA). Die Übernahme eines neuen Rechtsakts erfolgt dabei in einem besonderen Verfahren, das die Notifikation der Weiterentwicklung durch die zuständigen EU-Organe und die Übermittlung einer Antwortnote seitens der Schweiz umfasst.
Am 10. Mai 2023 verabschiedeten das Europäische Parlament und der Rat der Europäischen Union eine Richtlinie zur Regelung des Informationsaustauschs zwischen Strafverfolgungsbehörden im Schengen-Raum: die Richtlinie (EU) 2023/977 über den Informationsaustausch zwischen den Strafverfolgungsbehörden der Mitgliedstaaten und zur Aufhebung des Rahmenbeschlusses 2006/960/JI des Rates.
Die Erleichterung der Mobilität von Personen innerhalb des Schengen-Raums stellt für die Strafverfolgungsbehörden eine Herausforderung dar, da sie mit einer grenzüberschreitend agierenden Kriminalität konfrontiert sind. Die meisten heute in der Schweiz aktiven kriminellen Netzwerke sind auch in mehreren anderen Schengen-Staaten aktiv. Grenzüberschreitende Kriminalität ist ein internationales Problem.
Angesichts der Kriminalitätsentwicklung und der Mobilität der Menschen ist die grenzüberschreitende Zusammenarbeit zwischen den Strafverfolgungsbehörden der Mitgliedstaaten und Schengen-assoziierten Staaten unerlässlich. Die Strafverfolgungsbehörden eines Mitgliedstaats oder eines assoziierten Staats müssen gleichwertigen Zugang zu den Informationen erhalten, die ihren Schwesterbehörden in einem anderen Mitgliedstaat oder assoziierten Staat zur Verfügung stehen. Der Informationsaustausch zwischen Strafverfolgungsbehörden ist damit ein zentrales Element zur Gewährleistung der Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger des Schengen-Raums.
Wie die Europäische Kommission jedoch feststellt, sind die Vorschriften rund um den Informationsaustausch zwischen Strafverfolgungsbehörden heute fragmentiert, insbesondere wenn der Kontext der verschiedenen Staaten berücksichtigt wird. Diese Fragmentierung schadet der Wirksamkeit und der Effizienz des Informationsaustauschs und schafft Schwachstellen, die Kriminelle ausnutzen können, indem sie in verschiedenen Staaten des Schengen-Raums agieren. Das übergeordnete Ziel der Richtlinie ist daher die Regelung der organisatorischen und verfahrenstechnischen Aspekte des Informationsaustauschs zwischen den Strafverfolgungsbehörden der Mitgliedstaaten und Schengen-assoziierten Staaten, um gemeinsame Standards zu schaffen.
Die Richtlinie ist Teil des Projekts für einen EU-Kodex für die polizeiliche Zusammenarbeit, zu dem auch die Empfehlung (EU) 2022/915 des Rates zur operativen Zusammenarbeit im Bereich der Strafverfolgung ³ gehört, welche den Wunsch widerspiegelt, die Praktiken in der grenzüberschreitenden Polizeizusammenarbeit zu harmonisieren. Diese Empfehlung wurde der Schweiz am 17. Juni 2022 notifiziert und am 17. August 2022 übernommen.
Mit der Richtlinie über den Informationsaustausch zwischen den Strafverfolgungsbehörden der Schengen-Mitgliedstaaten werden drei Bedürfnisse erfüllt, welche die Europäische Kommission identifiziert hat.
Das erste ist der Erlass von klaren und soliden gemeinsamen Regeln für den Informationsaustausch zwischen Strafverfolgungsbehörden. Die Europäische Kommission verweist auf den Rahmenbeschluss 2006/960/JI des Rates, der auch unter dem Namen «Schwedische Initiative» ⁴ bekannt ist. Dieser Rahmenbeschluss legt die bei einem Informationsaustausch geltenden Grundsätze, die Fristen für die Beantwortung von Informationsersuchen sowie das für Informationsersuchen an einen anderen Mitgliedstaat oder Schengen-assoziierten Staat zu verwendende Formblatt fest. In der Praxis wird die Schwedische Initiative aufgrund mangelnder Klarheit kaum angewandt. Um dieses Problem anzugehen, formuliert die Europäische Kommission für die Richtlinie (EU) 2023/977 das Ziel, mittels präziser, kohärenter und gemeinsamer Regeln den gleichwertigen Zugang der Strafverfolgungsbehörden aller Mitgliedstaaten und Schengen-assoziierten Staaten zu den in anderen Mitgliedstaaten oder assoziierten Staaten verfügbaren Informationen zu gewährleisten. Zugleich betont die Europäische Kommission die Notwendigkeit, dass die Grundrechte bei einem solchen Austausch geachtet und insbesondere die geltenden Datenschutzregeln angewandt werden.
Als Zweites betont die Europäische Kommission den Bedarf an gemeinsamen Strukturen und effizienten Verwaltungsinstrumenten für den Informationsaustausch. Da die Mitgliedstaaten und die Schengen-assoziierten Staaten in ihrer Organisation frei sind, herrscht eine grosse Vielfalt bei den Strukturen, Funktionen, Mittel und Fähigkeiten der für den Informationsaustausch zuständigen Bereiche der Strafverfolgungsbehörden, gerade was die zentralen Kontaktstellen oder SPOC anbelangt. Gewisse SPOC verfügen nicht über die erforderlichen Strukturen, um mit anderen Staaten effizient Informationen austauschen zu können. Die Europäische Kommission weist vor allem auf den fehlenden Zugang zu gewissen nationalen oder EU-Datenbanken hin, was die Informationsübermittlung verzögert. Auch werden die in der «Schwedischen Initiative» vorgesehenen Fristen häufig überschritten, wenn für den Informationsaustausch eine richterliche Genehmigung erforderlich ist. In dieser Richtlinie erwähnt die Europäische Kommission daher das Ziel einer Harmonisierung der Mindeststandards, um die Wirksamkeit und Effizienz aufseiten der SPOC zu garantieren.
Drittens bedarf es gemäss der Europäischen Kommission einer gemeinsamen Praxis bei den bestehenden Kommunikationskanälen für den Informationsaustausch zwischen den Mitgliedstaaten und Schengen-assoziierten Staaten. Aufgrund der unter-schiedlichen Kommunikationskanäle, die heute verwendet werden, kommt es regel-mässig zu doppelten Ersuchen, ungerechtfertigten Verzögerungen oder gar Informationsverlusten. Ausserdem wird Europol beim Austausch von Informationen nur selten in Kopie gesetzt, auch wenn die ausgetauschten Informationen unter ihr Mandat fallen. Um der grossen Zahl von Kommunikationskanälen entgegenzuwirken, schlägt die Europäische Kommission in dieser Richtlinie vor, einen als Standard zu definieren und gleichzeitig die Position von Europol als Informationsdrehscheibe der EU für kriminalpolizeiliche Informationen zu Straftaten, die unter ihr Mandat fallen, zu stärken.
Am 25. April 2023 wurde die Richtlinie der Schweiz als Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands notifiziert. Am 2. Juni 2023 genehmigte der Bundesrat den Notenaustausch betreffend die Übernahme dieser Richtlinie, vorbehaltlich der Genehmigung durch das Parlament. Die entsprechende Antwortnote wurde der EU am 7. Juni 2023 übermittelt. Ziel dieser Vorlage ist es, die Schengen-Weiterentwicklung fristgerecht zu übernehmen und die notwendigen rechtlichen Grundlagen für deren Umsetzung zu schaffen.
² Abkommen vom 26. Oktober 2004 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft, der Europäischen Union und der Europäischen Gemeinschaft über die Assoziierung dieses Staates bei der Umsetzung, Anwendung und Entwicklung des Schengen-Besitzstands ( SR 0.362.31 ).
³ Empfehlung (EU) 2022/915 des Rates vom 9. Juni 2022 zur operativen Zusammenarbeit im Bereich der Strafverfolgung, Abl. L 158 vom 13. Juni 2022, S. 53.
⁴ Rahmenbeschluss 2006/960/JI des Rates vom 18. Dezember 2006 über die Vereinfachung des Austauschs von Informationen und Erkenntnissen zwischen den Strafverfolgungsbehörden der Mitgliedstaaten der Europäischen Union, ABl. L 386 vom 29. Dezember 2006, S. 89.

1.3 Verlauf der Verhandlungen und Verhandlungsergebnis

Am 9. Dezember 2021 hat die Europäische Kommission ihren Vorschlag für eine Richtlinie über den Informationsaustausch zwischen den Strafverfolgungsbehörden der Mitgliedstaaten vorgelegt, die sich in den Rahmen des Projekts eines EU-Kodex für die polizeiliche Zusammenarbeit einreiht. Von Dezember 2021 bis Mai 2022 wurde die Richtlinie im Rat der EU beraten. Besonders eingehend wurden die folgenden Themen debattiert:
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Kopieübermittlung an Europol: Der Richtlinienentwurf der Europäischen Kommission sah vor, die Staaten zu verpflichten, bei der Übermittlung von Informationen an einen anderen Staat Europol eine Kopie dieser Informationen zukommen zu lassen, sofern diese eine Straftat betreffen, die unter das Mandat von Europol fällt. Die Vertretungen der Schengen-Staaten in der Arbeitsgruppe äusserten den Wunsch nach einer Differenzierung dieser Verpflichtung, indem gewisse Ausnahmen zugelassen werden;
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Verwendung von SIENA als Kommunikationskanal: Die Kommission wollte in der Richtlinie die Verwendung von SIENA als ausschliesslichen Kommunikationskanal für die Übermittlung von Informationen zwischen Schengen-Staaten vorschreiben. Schliesslich wurden aber Ausnahmen von diesem Grundsatz vorgesehen, namentlich um möglichen technischen Zwischenfällen Rechnung zu tragen, wodurch SIENA vorübergehend nicht mehr verfügbar wäre, und um die Nutzung von schnelleren Kanälen zuzulassen;
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Zugang des SPOC zu Informationen der Strafverfolgungsbehörden: Der Entwurf der Kommission sah vor, dass der SPOC direkt auf die Datenbanken der Strafverfolgungsbehörden seines Staates zugreifen kann. Mehrere Länder, insbesondere Länder mit einem föderalistischen System, wandten jedoch ein, dass ein solcher Direktzugriff nicht garantiert werden kann. Auch die Schweiz äusserte ihre Bedenken. Infolge der Diskussionen wurde das Projekt so abgeändert, dass der SPOC die Informationen bei der betreffenden Strafverfolgungsbehörde anfordern kann, welche ihrerseits verpflichtet ist, ihm diese zu übermitteln.
Am 13. Oktober 2022 verabschiedete der LIBE-Ausschuss des Europäischen Parlaments seinen Bericht. Der Trilog dauerte von Oktober bis November 2022 und war begleitet von technischen Meetings und Treffen der Referentinnen und -Referenten des Rats «Justiz und Inneres» (JI). In den Trilogverhandlungen standen andere Themen im Vordergrund als zuvor auf Expertenstufe, beispielsweise die Kontrollen, die der SPOC bei Erhalt eines Informationsersuchens durchführen muss, bevor er die Information übermitteln darf. Diese Prüfung ist dem Europäischen Parlament besonders wichtig, vor allem um zu verhindern, dass Ersuchen um Informationsaustausch zu politischen Zwecken missbraucht werden, und um sicherzustellen, dass die Grundrechte der Personen, über die Informationen ausgetauscht werden, gewahrt bleiben. Dieser Anforderung wurde im Trilog Rechnung getragen; sie ist im Kompromiss, der aus dem Verfahren hervorgegangen ist, verankert. Die Schweiz war an allen Treffen der JI-Referentinnen und -Referenten vertreten und konnte in allen Verhandlungsetappen ihre Anträge einbringen.
Am letzten Trilog vom 29. November 2022 einigten sich der tschechische Vorsitz und die Vertreterinnen und Vertreter des Europäischen Parlaments auf einen Kompromiss für den Richtlinientext. Der erzielte Kompromiss wurde am 15. März 2023 vom Plenum des Europäischen Parlaments und am 24. April 2023 vom Ministerrat gebilligt. Die formelle Verabschiedung der Richtlinie folgte am 10. Mai 2023 mit der Unterzeichnung des Rechtsaktes durch die Präsidentinnen des Europäischen Parlaments und des Rates der EU.

1.4 Verfahren zur Übernahme von Entwicklungen des Schengen-Besitzstands

Nach Artikel 2 Absatz 3 SAA hat sich die Schweiz verpflichtet, alle Rechtsakte, welche die EU seit der Unterzeichnung des SAA am 26. Oktober 2004 als Weiterentwicklungen des Schengen-Besitzstands erlassen hat, zu übernehmen und, soweit erforderlich, in das Schweizer Recht umzusetzen.
Artikel 7 SAA sieht ein spezielles Verfahren für die Übernahme und Umsetzung von Weiterentwicklungen des Schengen-Besitzstands vor. Zunächst notifiziert die EU der Schweiz «unverzüglich» die Annahme eines Rechtsakts, der eine Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands darstellt. Danach verfügt der Bundesrat über eine Frist von dreissig Tagen, um dem zuständigen Organ der EU (Rat der EU oder EU-Kommission) mitzuteilen, ob und gegebenenfalls innert welcher Frist die Schweiz die Weiterentwicklung übernimmt. Die dreissigtägige Frist beginnt mit der Annahme des Rechtsakts durch die EU zu laufen (Art. 7 Abs. 2 Bst. a SAA).
Soweit die zu übernehmende Weiterentwicklung rechtlich verbindlicher Natur ist, bilden die Notifizierung durch die EU und die Antwortnote der Schweiz einen Notenaus-tausch, der aus Sicht der Schweiz einen völkerrechtlichen Vertrag darstellt. Im Ein-klang mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben muss dieser Vertrag entweder vom Bundesrat oder vom Parlament und, im Fall eines Referendums, vom Volk genehmigt werden.
Die zur Übernahme anstehende EU-Richtlinie ist rechtsverbindlich. Sie muss daher mittels Abschluss eines Notenaustauschs erfolgen.
Vorliegend ist die Bundesversammlung für die Genehmigung des Notenaustauschs zuständig. Entsprechend hat die Schweiz der EU am 7. Juni 2023 in ihrer Antwortnote betreffend die Übernahme der Richtlinie (EU) 2023/977 mitgeteilt, dass der Notenaustausch erst am Datum der Notifikation durch die Schweiz über die Erfüllung der verfassungsrechtlichen Voraussetzungen in Kraft treten kann (Art. 7 Abs. 2 Bst. b SAA). Ab dem Zeitpunkt der Notifizierung der Rechtsakte durch den Rat der EU verfügt die Schweiz für die Übernahme und Umsetzung der Weiterentwicklungen über eine Frist von maximal zwei Jahren. Innerhalb dieser Frist muss auch eine allfällige Referendumsabstimmung stattfinden.
Sobald das innerstaatliche Verfahren abgeschlossen ist und alle verfassungsrechtlichen Voraussetzungen im Hinblick auf die Übernahme und Umsetzung der EU-Richtlinie erfüllt sind, unterrichtet die Schweiz den Rat der EU und die Kommission unverzüglich in schriftlicher Form darüber. Wird kein Referendum gegen die Übernahme und Umsetzung der EU-Richtlinie ergriffen, erfolgt diese Mitteilung, die der Ratifizierung des Notenaustauschs gleichkommt, unverzüglich nach Ablauf der Referendumsfrist.
Setzt die Schweiz eine Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstandes nicht fristgerecht um, so riskiert sie, die Schengen-Zusammenarbeit insgesamt und damit auch die Dublin-Zusammenarbeit zu gefährden (Art. 7 Abs. 4 SAA i.V.m. Art. 14 Abs. 2 des Dublin-Assoziierungsabkommens ⁵ ).
Ausgehend vom Datum der Notifikation durch die EU (25. April 2023) endet die Frist von maximal zwei Jahren für die Übernahme und Umsetzung der Richtlinie (EU) 2023/977 somit am 25. April 2025.
⁵ Abkommen vom 26. Oktober 2004 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Europäischen Gemeinschaft über die Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Staates für die Prüfung eines in einem Mitgliedstaat oder in der Schweiz gestellten Asylantrags ( SR 0.142.392.68 ).

1.5 Geprüfte Varianten

Die Vereinfachung des Informationsaustauschs zwischen Strafverfolgungsbehörden gemäss dem Rahmenbeschluss 2006/960/JI wurde mit dem Schengen-Informationsaustausch-Gesetz vom 12. Juni 2009 ⁶ (SIaG) im nationalen Recht implementiert. Das SIaG enthält Bestimmungen zu den Modalitäten des Informationsaustauschs. Mit der Richtlinie (EU) 2023/977 wurden die Modalitäten des Informationsaustauschs präzisiert und die Bedingungen für den Informationsaustausch festgelegt.
Zur Umsetzung der Übernahme der Richtlinie (EU) 2023/977 wurde vorab geprüft, ob es weiterhin der Regelung in einem Bundesgesetz bedarf oder die Bestimmungen der Richtlinie als direkt anwendbar betrachtet werden können. Eine Richtlinie der EU ist ein Rechtsakt, in dem ein von allen EU-Ländern zu erreichendem Ziel festgelegt wird. Die Richtlinie ist für jeden Mitgliedstaat, an den sie gerichtet wird, hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich, überlässt jedoch den innerstaatlichen Stellen die Wahl der Form und der Mittel (Art. 288 Abs. 3 AEUV ⁷ ). Es ist also Sache der einzelnen Länder, eigene Rechtsvorschriften zur Verwirklichung dieses Ziels zu erlassen. Da die Richtlinie den Mitgliedstaaten einen Rechtssetzungsauftrag erteilt, handelt es sich folglich um einen umsetzungsbedürftigen Rechtsakt, dessen Bestimmungen nur in Ausnahmefällen unmittelbar anwendbar sind. Die unmittelbare Anwendbarkeit käme nur dann in Frage, wenn die staatsvertraglichen Bestimmungen «inhaltlich hinreichend bestimmt und klar» sind, «um im Einzelfall Grundlage eines Entscheides zu bilden». Die Normen müssen «mithin justiziabel sein, d.h. es müssen die Rechte und Pflichten des Einzelnen umschrieben und der Adressat der Norm die rechtsanwendenden Behörden sein» ⁸ . Die Bestimmungen der Richtlinie (EU) 2023/977 erfüllen diese Kriterien nicht, weshalb die generelle direkte Anwendbarkeit dieser Bestimmungen nicht in Frage kommt. Folglich ist die Umsetzung im nationalen Recht notwendig. Zudem lässt sich die Richtlinie (EU) 2023/977 aufgrund des föderalistischen Systems sowie auslegungsbedürftigen Bestimmungen nicht ohne spezifische Ausgestaltung im nationalen Recht auf die Schweiz anwenden.
Weiter wurde geprüft, ob die Bestimmungen über die Amtshilfe im Bereich der Polizei des Vierten Titels im Dritten Buch des Schweizerischen Strafgesetzbuches (StGB) ⁹ erweitert werden sollen. Auf eine Erweiterung wurde verzichtet, da formell-rechtliche Regeln zur polizeilichen Zusammenarbeit grundsätzlich nicht in das StGB gehören.
Mit dem SIaG wurde ein Bundesgesetz geschaffen, welches die Übermittlung von In-formationen zur Verhütung, Feststellung und Verfolgung von Straftaten mit Schengen-Staaten in übersichtlicher Art und Weise regelt. Die Überarbeitung dieses Spezialgesetzes im Sinne der Richtlinie (EU) 2023/977 drängt sich folglich auf. Aufgrund der zahlreichen Ergänzungen und Präzisierungen des Informationsaustauschs durch die Richtlinie (EU) 2023/977 sind jedoch die Bestimmungen des SIaG 1⁰ mehrheitlich nicht mehr zutreffend, weshalb eine Totalrevision des Gesetzes notwendig ist.
⁶ SR 362.2
⁷ Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (konsolidierte Fassung), Abl. C 202 vom 7. Juni 2016, S. 1
⁸ BGE 136 I 297, E. 8.1.
⁹ SR 311.0
1⁰ Die Totalrevision des SIaG wird auch zum Anlass genommen, die bisherige Abkürzung gemäss dem eigentlich geltenden System für die Bildung von Abkürzungen zu bilden (neu: SIAG); der Übersichtlichkeit halber ist in der vorliegenden Botschaft aber noch vom «SIaG» die Rede.

1.6 Verhältnis zur Legislaturplanung und zu Strategien des Bundesrates

Die Vorlage ist in der Botschaft vom 24. Januar 2024 1¹ über die Legislaturplanung 2023 bis 2027 angekündigt und im Bundesbeschluss vom 6. Juni 2024 ¹2 über die Legislaturplanung 2023 bis 2027 erwähnt. Sie gehört zur Leitlinie 3, «Die Schweiz sorgt für Sicherheit, setzt sich für Frieden ein und agiert kohärent und verlässlich in der Welt», genauer zum Ziel 19: «Die Schweiz beugt bewaffneten Konflikten vor und bekämpft Terrorismus, Gewaltextremismus und alle Formen der Kriminalität effektiv und mit angemessenen Instrumenten.» In der Botschaft wird angekündigt, dass «der Bundesrat […] in der ersten Legislaturhälfte die Botschaft zur Übernahme und Umsetzung der Richtlinie (EU) 2023/977 über den Informationsaustausch zwischen Strafverfolgungsbehörden der Mitgliedstaaten und zur Aufhebung des Rahmenbeschlusses 2006/960/JI des Rates verabschieden» wird.
Durch die Präzisierung des bestehenden Rahmens ermöglicht die Richtlinie (EU) 2023/977 den Strafverfolgungsbehörden der Mitgliedstaaten und Schengen-assoziierten Staaten einen effizienteren Austausch relevanter Informationen. Das Bereitstellen relevanter Informationen zuhanden der zuständigen Behörden innerhalb der vorgegebenen Fristen trägt zu den Zielen der Bekämpfung von Gewalt, Kriminalität und Terrorismus bei und ermöglicht, wirksam gegen diese Phänomene anzugehen. Durch die Übernahme und Umsetzung der Richtlinie (EU) 2023/977 trägt die Schweiz dazu bei, die Sicherheit ihrer eigenen Bevölkerung, aber auch jener der anderen Schengen-Staaten zu garantieren.
1¹ BBl 2024 525
¹2 BBl 2024 1440

2 Vernehmlassungsverfahren

2.1 Zusammenfassung

Gestützt auf Artikel 3 Absatz 1 Buchstaben b und c des Vernehmlassungsgesetzes vom 18. März 2005 ¹3 wurde vom 8. Dezember 2023 bis zum 22. März 2024 eine Vernehmlassung durchgeführt.
Insgesamt sind 37 Stellungnahmen eingegangen: 24 Kantone, vier politische Parteien, das Bundesgericht und das Bundesverwaltungsgericht sowie sieben weitere interessierte Kreise haben sich zur Vorlage geäussert. Sechs Teilnehmende haben ausdrücklich auf eine Stellungnahme verzichtet. Sieben Teilnehmende unterstützen die Übernahme und Umsetzung der Richtlinie (EU) 2023/977 ohne weitere Bemerkungen. 16 Teilnehmende unterstützen und/oder begrüssen die Vorlage vorbehältlich gewisser Bemerkungen. Die Ergebnisse des Vernehmlassungsverfahrens sind im entsprechenden Ergebnisbericht dargelegt ¹4 .
Sieben Kantone (BE, ZH, TI, NW, AR, GE, SO, LU) und vier politische Parteien, die sich in der Vernehmlassung geäussert haben (SP, Die Mitte, FDP und SVP), unterstreichen den Mehrwert der Vorlage. Zwei Kantone (SO, NW) und die vier genannten politischen Parteien sind der Auffassung, dass sich die Umsetzung der Richtlinie (EU) 2023/977 positiv auf die innere Sicherheit auswirken wird.
Mehrere Teilnehmende (NW, SG, ZH und Konferenz der Kantonalen Polizeikommandantinnen und -kommandanten der Schweiz [KKPKS]) haben allerdings Bedenken hinsichtlich der Umsetzung der Vorlage durch die Kantone und betonen den Umstand, dass die Anpassung der kantonalen Gesetze Zeit brauchen werde. Drei Teilnehmer (ZH, KKPKS und Konferenz der Kantonalen Justiz- und Polizeidirektorinnen und -direktoren [KKJPD]) beantragen, dass der Bund ein Projekt initiiert, um die Kantone bei dieser Aufgabe zu unterstützen. Sieben Teilnehmende (BE, SG, UR, VD, KKPKS, SP und Die Mitte) thematisieren die Abstimmung dieser Vorlage mit dem Projekt POLAP.
AsyLex fordert, dass die Bearbeitung und der Austausch von Daten auf das Notwendigste beschränkt wird. Auch SP und FDP erwähnen diesen Punkt und betonen, dass der Datenschutz zu garantieren sei. Der Kanton St. Gallen wirft Fragen bezüglich der Koordination zwischen den Datenschutzgesetzen von Bund und Kantonen auf.
Die Definition der Strafverfolgungsbehörden, die auf der Grundlage des revidierten SIaG angefragt werden können, wirft Fragen hinsichtlich der Rolle der Staatsanwaltschaften auf. Nach Ansicht des Kantons Bern ist unklar, ob diese unter die Definition fallen, während der Kanton Basel-Landschaft wünscht, dass sie von der Definition ausgenommen werden.
AsyLex, Luzern und Die Mitte begrüssen die Bezeichnung der Einsatz- und Alarmzentrale von fedpol (EAZ fedpol) als zentrale Kontaktstelle. Nidwalden und Uri beantragen, dass die EAZ fedpol die Ersuchen vor der Weiterleitung an die Kantone übersetzt. Die Einstufung von Ersuchen als «dringlich» ruft ebenfalls Reaktionen hervor: Während für Solothurn die vorgeschlagenen Kriterien klar sind, betonen Basel-Landschaft und Obwalden, dass diese Einstufung restriktiv zu verwenden sei. Darüber hinaus äussern acht Teilnehmer (BL, BE, UR, TI, FR, NW, OW und KKPKS) Bedenken in Zusammenhang mit den Beantwortungsfristen.
Die eingegangenen Stellungnahmen sind mehrheitlich positiv. Dennoch wurde der Bundesbeschluss stellenweise angepasst und die Botschaft präzisiert, um den von einigen Vernehmlassungsteilnehmenden eingebrachten Bedenken gerecht zu werden. Im Folgenden werden diese Bedenken eingehender betrachtet.
¹3 SR 172.061
¹4 Bericht zu den Ergebnissen des Vernehmlassungsverfahrens: www.admin.ch > Bundesrecht > Vernehmlassungen > Abgeschlossene Vernehmlassungen > 2023 > EJPD.

2.2 Würdigung der Ergebnisse des Vernehmlassungsverfahrens

Umsetzung durch die Kantone
Mehrere Kantone äussern Bedenken hinsichtlich der Umsetzung der Richtlinie auf rechtlicher Ebene. Sie argumentieren, dass es schwierig bis unmöglich sein werde, die erforderlichen Rechtsgrundlagen bis zum Ablauf der Frist für die Umsetzung der Richtlinie (EU) 2023/977 zu erlassen. Die KKPKS hält es zudem nicht für angemessen, dass jeder Kanton autonom entscheidet, ob und wie er die neuen Bestimmungen umsetzen will. Die KKPKS ist der Ansicht, dass der Bund über die erforderlichen Kompetenzen zur Regelung des Informationsaustausch auf nationaler Ebene via die Strafprozessordnung ¹5 verfüge und davon Gebrauch machen sollte. Angesichts der im Hinblick auf die Umsetzung noch zu klärenden Fragen beantragen mehrere Teilnehmende, dass ein gesamtschweizerisches Projekt unter der Leitung des Bundes zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2023/977 initiiert wird.
Der Bundesrat hat Verständnis für die zum Ausdruck gebrachten Anliegen, weist aber darauf hin, dass der Informationsaustausch zwischen der Schweiz und den anderen Schengen-Staaten nicht neu ist. Die Kantone übermitteln der EAZ fedpol bereits gemäss dem Rahmenbeschluss 2006/960/JI Informationen, um die ersucht wurde. Ebenso erlauben die kantonalen Rechtsgrundlagen zur informationellen Amtshilfe die Übermittlung von Informationen an die EAZ fedpol zwecks Beantwortung von Ersuchen von Schengen-Staaten. Zudem bestehen die Prozesse, die den fristgerechten Informationsaustausch ermöglichen, bereits. Auch der Informationsaustausch auf eigene Initiative ist nicht neu. Bereits seit der Übernahme des Rahmenbeschlusses 2006/960/JI sind die Kantone unter gewissen Voraussetzungen verpflichtet, Informationen spontan an Schengen-Staaten zu übermitteln. Die Kantone mussten bereits damals soweit notwendig die entsprechenden rechtlichen Grundlagen in ihrem kantonalen Recht schaffen ¹6 .
Mit Artikel 10 Absatz 3 und Artikel 12 Absatz 4 des Erlassentwurfes wird nun eine Grundlage bzw. eine Verpflichtung der Kantone geschaffen, welche den Austausch von Informationen von den Kantonen an die EAZ fedpol erlauben soll. Die Grundlage greift jedoch nur so weit, wie dem Bund in diesem Bereich eine Gesetzgebungskompetenz zukommt (vgl. Erläuterungen zu Art. 10 Abs. 3 und Art. 12 Abs. 4). Insbesondere die kriminalpolizeilichen Daten - mit Ausnahme der Tatbestände, die der Bundesgerichtsbarkeit unterstehen - werden von dieser gesetzlichen Grundlage nicht erfasst (Vorfeldermittlungen/Vorermittlungen). Diese stellen aber einen nicht unerheblichen Teil der betroffenen Informationen dar. Hierfür müssen die Kantone über eigene rechtliche Grundlagen verfügen, wonach sie der EAZ fedpol Informationen zum Zweck der Verhütung, Feststellung und Verfolgung von Straftaten übermitteln können. In den kantonalen Polizeigesetzen sollten bereits rechtliche Grundlagen zur Zusammenarbeit mit den Polizeibehörden des Bundes oder zum Austausch von Informationen zum Zweck der Verhinderung und Erkennung von Verbrechen vorhanden sein und einen entsprechenden Austausch ermöglichen.
Der Austausch von Informationen im Abrufverfahren ¹7 wurde bewusst nicht vorgesehen, da die Schaffung einer entsprechenden rechtlichen Grundlage komplex und zeitintensiv ist und die Umsetzung im Rahmen einer Schengen-Weiterentwicklung nicht zielführend ist. Im Übrigen sollten die bestehenden rechtlichen Grundlagen und Prozesse den fristgerechten Austausch von Informationen bereits ermöglichen.
Schliesslich ist zu unterstreichen, dass die wichtigsten Änderungen, welche die Richtlinie (EU) 2023/977 mit sich bringt, den Bund betreffen (Einrichtung eines SPOC und eines Systems zur Bewirtschaftung der ein- und ausgehenden Fälle - oder «Case Management System» (CMS) - sowie die Nutzung von SIENA). Angesichts dessen, dass der Informationsaustausch bis anhin bereits grösstenteils über die EAZ fedpol erfolgt und die entsprechende Bekanntgabe über die EAZ fedpol bereits etabliert ist, sind die Kantone in diesem Bereich nicht direkt betroffen und haben in technischer Hinsicht keine Anpassungen vorzunehmen oder gar neue Strukturen aufzubauen. Aufgrund der vorgesehenen Struktur betrifft die Frist von acht Stunden ausschliesslich die EAZ fedpol und nicht die Kantone, da zwischen diesen und den anderen Schengen-Staaten kein direkter Informationsaustausch erfolgt.
Aus diesem Grund sieht der Bundesrat kein Projekt zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2023/977 vor. Er ist der Auffassung, dass die vorliegende Botschaft die im Rahmen des Vernehmlassungsverfahrens aufgeworfenen Fragen behandelt und fedpol in der Lage sein wird, weitere Fragen, die in einem späteren Stadium der Richtlinienumsetzung aufkommen könnten, zu beantworten. Die Koordination kann über bestehende Strukturen, etwa die KKJPD oder die KKPKS, gewährleistet werden.
Datenschutz
Der Datenschutz wird von mehreren Teilnehmenden thematisiert. Einige von ihnen betonen die Wichtigkeit strenger Datenschutzauflagen, um die Privatsphäre der Betroffenen zu wahren. Der Kanton St. Gallen verlangt zudem, dass geklärt wird, wer die Aufsicht ausübt (Eidgenössischer Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragter [EDÖB] oder kantonale Datenschutzbeauftragte) und welches Recht (Bundes- oder kantonales Recht) in welchem Fall zur Anwendung kommt - beispielsweise wenn kantonale Daten an Strafverfolgungsbehörden anderer Schengen-Staaten übermittelt werden. AsyLex weist in Zusammenhang mit Absatz 2 von Artikel 4 «Datenschutz» und Anhang 2 des Vorentwurfs darauf hin, dass gewisse Informationen, die übermittelt werden können, Personen betreffen, die selbst keine Straftat begangen haben, namentlich Begleitpersonen der Person, zu der Informationen angefordert werden. AsyLex ist der Auffassung, dass die Übermittlung von Personendaten an andere Schengen-Staaten auf das Notwendigste beschränkt werden muss, und fordert, dass die vorgesehenen Bestimmungen dahingehend konkretisiert werden, dass die Übermittlung von Informationen nur zulässig ist, wenn sie die Verhütung, Feststellung oder Verfolgung einer Straftat im konkreten Fall gewährleisten können.
Auch für den Bundesrat ist der Datenschutz zentral. Seiner Ansicht nach sind die in dieser Vorlage vorgesehenen Bestimmungen ausreichend, um die Verhältnismässigkeit der Bearbeitung und der Übermittlung von Personendaten zu garantieren. Die Datenbearbeitung durch die kantonalen Strafverfolgungsbehörden untersteht den kantonalen Datenschutzgesetzen und der Aufsicht der oder des kantonalen Datenschutzbeauftragten. Dies gilt ab dem Erhalt von Informationen von der EAZ fedpol und bis zur Übermittlung von Informationen an die EAZ. Bei der Datenübermittlung durch die EAZ fedpol an andere Schengen-Staaten und an Europol gilt das Datenschutzgesetz vom 25. September 2020 ¹8 (DSG), und der EDÖB ist die Aufsichtsbehörde. Zudem gilt, wenn die Daten in einem Informationssystem des Bundes abgespeichert werden, das DSG; werden sie hingegen in einem kantonalen Informationssystem aufbewahrt, so ist das Datenschutzgesetz des betreffenden Kantons anwendbar. Sobald die aus dem Ausland erhaltenen Informationen in einem Informationssystem gespeichert werden, sind zudem die rechtlichen Bestimmungen (Verantwortung, Verwendung, Zugriffsrechte, Löschfristen etc.) des entsprechenden Informationssystems massgebend.
Koordination mit dem Projekt POLAP
Mehrere Teilnehmende erwähnen, dass das Projekt POLAP («Polizeiliche Abfrageplattform») das Anliegen der Richtlinie (EU) 2023/977 unterstützt. Die KKPKS wünscht, dass der Bund den Austausch von Informationen im Abrufverfahren regelt. Er verfüge über die notwendigen Kompetenzen zur Legiferierung, und es bestehe mit der POLAP ein konkretes Projekt, welches die Basis für die Umsetzung der Richtlinie in Bezug auf die Polizeibehörden setze. Der Kanton St. Gallen wirft angesichts der zeitlichen Nähe die Frage auf, ob bei der rechtlichen Umsetzung eine Koordination mit dem Projekt POLAP angezeigt wäre. Uri ersucht darum, zu prüfen, ob der Bund im Rahmen des Projekts POLAP nicht direkt Zugriff auf die angefragten Informationen erhalten könnte, ohne über die Kantone gehen zu müssen.
Nach Ansicht des Bundesrates unterscheiden sich die beiden Projekte sowohl vom Zeitplan als auch vom Zweck her. Bei der Richtlinie (EU) 2023/977 geht es um den Informationsaustausch, bei der POLAP hingegen um den Zugang zu Informationen beziehungsweise die Vernetzung der verschiedenen nationalen und kantonalen Datenbanken. Ferner schafft die Richtlinie (EU) 2023/977 keine Pflicht zum Direktzugriff auf die verfügbaren Informationen, sondern sie verpflichtet die Kantone zur Übermittlung der verfügbaren Informationen. Dagegen wird die POLAP die kantonalen polizeilichen Datenbanken untereinander und mit den nationalen und internationalen Polizeidatenbanken vernetzen. Damit wird die Interoperabilität innerhalb der Schweiz sichergestellt (nationale Interoperabilität): Mit einer einzigen Abfrage können Informationen aus diversen Systemen der Kantone, des Bundes sowie auch international abgefragt werden. Es macht keinen Sinn, die rechtliche Umsetzung der Richtlinie und der POLAP im gleichen Rahmen zu behandeln. Die POLAP sieht auch keine direkte Datenbekanntgabe von den Kantonen an den Bund vor. Der Bund verfügt ausserdem nicht über die notwendigen Rechtsetzungskompetenzen, um den Datenaustausch im Abrufverfahren ganzheitlich zu ermöglichen. Aufgrund der Kompetenzverteilung im Polizeibereich müssen die Kantone auch für die Anbindung an die POLAP über eigene rechtliche Grundlagen verfügen.
Art. 9
«Fristen»
Diverse Vernehmlassungsteilnehmende haben in Bezug auf die im revidierten SIaG vorgesehenen Fristen für die Bereitstellung der ersuchten Informationen Bedenken geäussert. Mehrere Kantone sind der Auffassung, dass diese Fristen für ihre Staatsanwaltschaft oder ihre Kantonspolizei schwierig einzuhalten sein werden, vor allem die Frist von acht Stunden bei dringlichen Ersuchen.
Der Bundesrat teilt diese Bedenken in Zusammenhang mit den Fristen. Er ist der Ansicht, dass der Unterschied zwischen unmittelbar und mittelbar verfügbaren Informationen verfeinert werden muss, da diese Differenzierung direkten Einfluss auf die Fristen hat. Der Bundesrat stellt diesbezüglich fest, dass die Schweiz nicht der einzige Staat ist, der diesen Punkt hinterfragt. Die Auslegung der Definitionen von unmittelbar und mittelbar verfügbaren Informationen stellte diverse Schengen-Staaten vor Probleme. Gemäss dem Wortlaut der Richtlinie (EU) 2023/977 (Art. 2 Ziff. 6) sind alle Daten unmittelbar verfügbar, auf welche die zentrale Kontaktstelle oder eine zuständige Strafverfolgungsbehörde, bei welcher die Informationen angefordert werden, direkten Zugriff hat. Folglich wären gemäss dieser Definition faktisch sämtliche Daten bei den Strafverfolgungsbehörden (auch bei den kantonalen Strafverfolgungsbehörden) unmittelbar verfügbar und innert kurzer Frist zu übermitteln. Nur Informationen, die bei anderen Behörden verfügbar sind (bspw. Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde), wären demnach mittelbar verfügbar. Um festlegen zu können, wie diese Norm in der Praxis umzusetzen ist, wurde die EU um Klärung ersucht. Die EU stellte diesbezüglich gegenüber der Schweiz aufgrund ihres föderalistischen Systems klar, dass Informationen, die erst durch eine Anfrage des SPOC an eine andere Strafverfolgungsbehörde zugänglich gemacht werden können, als mittelbar verfügbar qualifiziert werden. Aufgrund des föderalistischen Systems hat der SPOC nicht einen direkten Zugriff auf alle Daten der kantonalen Informationssysteme. Informationen müssen bei den kantonalen Strafverfolgungsbehörden eingeholt werden. Solche Daten bzw. Informationen gelten dann als mittelbar verfügbar. Demnach sind Informationen, welche die EAZ fedpol bei den Kantonen einholt, bei dringlichen Ersuchen innert drei Tagen und bei nicht dringlichen Ersuchen innert sieben Tagen bereitzustellen. So wird den Kantonen mehr Zeit zur Bearbeitung der Informationsersuchen zur Verfügung stehen. Der Gesetzesentwurf wurde entsprechend angepasst, um dieser neuen Auslegung der Richtlinie (EU) 2023/977 Rechnung zu tragen.
¹5 SR 312.0
¹6 BBl 2008 9061 , 9086
¹7 Das Abrufverfahren ist ein automatisierter Datenbekanntgabemodus, bei dem die Empfängerin oder der Empfänger der Daten aufgrund einer Bewilligung des Verantwortlichen der Datensammlung selber und ohne vorherige Kontrolle über den Zeitpunkt und den Umfang der Bekanntgabe entscheidet.
¹8 SR 235.1

2.3 Änderung der Vorlage gestützt auf die Vernehmlassung

Um die von einigen Teilnehmenden geäusserten Bedenken aufzunehmen, wurde Artikel 2 des Gesetzesentwurfs geändert. Angepasst wurden insbesondere die Definition der Strafverfolgungsbehörden in Artikel 2 Buchstabe b, um die Formulierung der Richtlinie zu übernehmen, sowie die Definition der unmittelbar und mittelbar verfügbaren Informationen in Artikel 2 Buchstabe d gemäss den diesbezüglichen Klarstellungen der EU (vgl. Ziff. 2.2, Fristen). Auch die Botschaft wurde ergänzt, um gewisse Fragen, die im Vernehmlassungsverfahren aufgekommen sind, zu beantworten und den von den Teilnehmenden eingebrachten Bemerkungen Rechnung zu tragen.

3 Erläuterung der Richtlinie (EU) 2023/977

3.1 Die Richtlinie (EU) 2023/977 im Überblick

Die Richtlinie (EU) 2023/977 über den Informationsaustausch zwischen den Strafverfolgungsbehörden bezweckt, den bereits bestehenden Rechtsrahmen zu modernisieren und den Informationsaustausch innerhalb des Schengen-Raums zu vereinheitlichen. Sie hebt den Rahmenbeschluss 2006/960/JI des Rates auf, der den Grundsatz der Verfügbarkeit von Informationen auf europäischer Ebene konkretisierte und den die Schweiz durch die Inkraftsetzung des SIaG in nationales Recht umgesetzt hat. Dieser Rahmenbeschluss regelte bereits den Informationsaustausch zwischen den Strafverfolgungsbehörden der europäischen Staaten, weshalb mit der Richtlinie kein neues System geschaffen wird. Die bestehenden Prozesse werden modernisiert und vereinheitlicht. Die Richtlinie enthält entsprechend mehrere Präzisierungen, die den Rechtsrahmen für den Informationsaustausch zu polizeilichen Zwecken anpassen.
Zum einen präzisiert die Richtlinie die verschiedenen Fristen zur Beantwortung von Ersuchen anderer Staaten. In dringenden Fällen müssen die Informationen wie bisher innert acht Stunden zur Verfügung gestellt werden, sofern sie unmittelbar zugänglich sind. Bei dringenden Ersuchen um Informationen, die mittelbar zugänglich sind, beträgt die Frist drei Tage. Alle anderen Fälle müssen neu innert sieben Tagen beantwortet werden.
Zum andern wird mit der Richtlinie (EU) 2023/977 auch der Geltungsbereich des Informationsaustauschs auf Ersuchen ausgeweitet. So sind nicht mehr nur Informationsersuchen zu schweren Straftaten zu beantworten, sondern auch solche zu Straftaten, die mit einer Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr geahndet werden können.
Zur Beantwortung der Ersuchen verfügt jeder Schengen-Staat über eine zentrale Kon-taktstelle (SPOC), die ihre Aufgaben täglich rund um die Uhr wahrnimmt, mit einem Fallbearbeitungssystem ausgestattet ist und Zugang zu den ersuchten Informationen hat. Die mit der Richtlinie eingeführte Neuerung betrifft die Präzisierung der Aufgaben des SPOC sowie seiner Fähigkeiten, seiner Organisation und seiner Zusammensetzung. Diese Bestimmungen sollen einen gemeinsamen Standard für alle SPOC des Schengen-Raums etablieren.
Weiter erwähnt die Richtlinie (EU) 2023/977 explizit den Grundsatz der Verfügbarkeit. Nach diesem Grundsatz können Strafverfolgungsbeamte eines Mitgliedstaats, die zur Erfüllung ihrer Aufgaben bestimmte Informationen benötigen, diese von den Strafverfolgungsbehörden eines anderen Mitgliedstaats, der über diese Informationen verfügt und der sie ihnen für den angegebenen Zweck zur Verfügung stellt, erhalten. Dies bedeutet, dass der SPOC die verfügbaren Informationen zu den durch die Richtlinie abgedeckten Straftaten von den Strafverfolgungsbehörden (auch den kantonalen), die nach dem nationalen Recht mit der Verhütung und Aufdeckung oder Untersuchung von Straftaten betraut sind, erhalten können muss. Ein Direktzugriff ist dabei nicht erforderlich. Ausserdem sieht die Richtlinie (EU) 2023/977 eine Möglichkeit vor, Informationen direkt zwischen Strafverfolgungsbehörden auszutauschen bzw. zuzulassen, das heisst also, ohne Einbezug des SPOC. Dieses Modell kommt aber bei der Umsetzung nicht zum Zug (vgl. Ziff. 3.2).
Darüber hinaus wird die Rolle von Europol gestärkt. Der gesamte polizeiliche Informationsaustausch im Schengen-Raum soll künftig prioritär über den gesicherten SIENA-Kanal erfolgen, der von Europol betrieben wird. Europol muss in Fällen, die unter ihr Mandat fallen, grundsätzlich beim Austausch in Kopie gesetzt werden und erhält dadurch mehr Informationen zur Erfüllung ihrer Aufgaben.
Schliesslich ist die Frage des Datenschutzes ein wichtiger Bestandteil der Richtlinie (EU) 2023/977. Der Text verweist direkt auf die Richtlinie (EU) 2016/680. Diese hat die Schweiz über das DSG übernommen, welches am 1. September 2023 in Kraft getreten ist. Die Richtlinie (EU) 2016/680 ¹9 betrifft den Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten durch die zuständigen Behörden zum Zwecke der Verhütung, Ermittlung, Aufdeckung oder Verfolgung von Straftaten oder der Strafvollstreckung sowie den freien Datenverkehr.
¹9 Richtlinie (EU) 2016/680 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten durch die zu-ständigen Behörden zum Zwecke der Verhütung, Ermittlung, Aufdeckung oder Verfolgung von Straftaten oder der Strafvollstreckung sowie zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung des Rahmenbeschlusses 2008/977/JI des Rates, Abl. L 119 vom 4. Mai 2016, S. 89.

3.2 Inhalt der Richtlinie (EU) 2023/977

Dieses Kapitel gibt einen detaillierteren Überblick über den Inhalt der EU-Richtlinie entlang von deren Kapiteln.

3.2.1 Allgemeine Bestimmungen

Gegenstand und Anwendungsbereich (Art. 1)
Artikel 1 definiert in Ziffer 1 zunächst den Gegenstand der Richtlinie: «Diese Richtlinie enthält harmonisierte Vorschriften für den angemessenen und raschen Austausch von Informationen zwischen den zuständigen Strafverfolgungsbehörden zum Zwecke der Verhütung, Aufdeckung oder Untersuchung von Straftaten.» Dazu enthält die Richtlinie Vorschriften zu vier spezifischen Bereichen:
-
den Informationsersuchen an den SPOC eines anderen Mitglied- oder assoziierten Staats;
-
die Bereitstellung sachdienlicher Informationen durch einen Staat aus eigener Initiative an den SPOC eines anderen Mitglied- oder assoziierten Staats;
-
den Standard-Kommunikationskanal, der für den Informationsaustausch zu verwenden ist;
-
die Organisation, die Aufgaben, die Zusammensetzung und die Fähigkeiten des SPOC jedes Mitglied- oder assoziierten Staats.
Ziffer 2 schränkt den Anwendungsbereich der Richtlinie ein, indem sie explizit spezifiziert, dass die Richtlinie keine Anwendung auf den Informationsaustausch findet, der durch andere Rechtsakte der Union geregelt ist. Auch wird ausdrücklich festgehalten, dass die Mitgliedstaaten oder assoziierten Staaten bilaterale oder multilaterale Vereinbarungen erlassen oder beibehalten können, die den Informationsaustausch weiter erleichtern.
In Ziffer 3 ist vorgesehen, dass die Richtlinie die Mitglied- oder assoziierten Staaten nicht zur Einholung von Informationen durch Zwangsmassnahmen, zur Speicherung von Informationen zu dem alleinigen Zweck ihrer Bereitstellung an andere Mitgliedstaaten oder assoziierte Staaten oder zur Bereitstellung von Informationen an einen anderen Staat zwecks Verwendung als Beweismittel in gerichtlichen Verfahren verpflichtet.
Ziffer 4 präzisiert diesen letzten Punkt insofern, als ein Mitglied- oder assoziierter Staat die im Einklang mit der Richtlinie erhaltenen Informationen nicht als Beweismittel in einem gerichtlichen Verfahren nutzen darf - es sei denn, der Staat, der die Informationen bereitgestellt hat, habe dem zugestimmt.
Begriffsbestimmungen (Art. 2)
Artikel 2 der Richtlinie definiert mehrere Begriffe, auf denen die nachfolgenden Artikel basieren.
Zunächst werden in Ziffer 1 die zuständigen Strafverfolgungsbehörden definiert. Unter diesen Begriff fallen die Polizei-, Zoll- oder sonstige Behörden, die nach dem nationalen Recht für die Ausübung von öffentlicher Gewalt und die Ergreifung von Zwangsmassnahmen zum Zwecke der Verhütung, Aufdeckung oder Untersuchung von Straftaten zuständig sind. Wie bereits unter dem Rahmenbeschluss werden sämtliche Behörden, welche kriminelle Tätigkeiten verfolgen, angesprochen. Der Rahmen erstreckt sich vom polizeilichen Erkenntnisgewinnungsverfahren bis zum eigentlichen strafrechtlichen Ermittlungsverfahren, einschliesslich der Tätigkeiten der Staatsanwaltschaften im Bereich der Strafverfolgung. Für die Schweiz schliesst diese Definition auch die kantonalen Polizei- und Strafverfolgungsbehörden ein. Die Nachrichtendienste sind hingegen explizit von dieser Definition ausgenommen.
In Ziffer 2 ist präzisiert, dass eine solche Behörde als «benannte Strafverfolgungsbehörde» gilt, wenn sie befugt ist, Informationsersuchen an die SPOC anderer Mitglied- oder assoziierter Staaten zu richten.
Ziffer 3 definiert die «schweren Straftaten». Die Richtlinie verweist für die Definition dieser Straftaten auf zwei andere Rechtsakte der Union, namentlich den Rahmenbeschluss 2002/584/JI des Rates 2⁰ über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten sowie die Verordnung (EU) 2016/794 2¹ , welche die Tätigkeit von Europol regelt. Schwere Straftaten im Sinne der Richtlinie sind demnach Straftaten, die Gegenstand eines Europäischen Haftbefehls sein können, sowie Straftaten, die unter das Mandat von Europol fallen.
Die Ziffern 4-7 definieren die Informationen und verschiedene Kategorien von Informationen. Namentlich wird zwischen unmittelbar zugänglichen Informationen und mittelbar zugänglichen Informationen unterschieden. Eine Information gilt als unmittelbar zugänglich, wenn der SPOC oder eine zuständige Strafverfolgungsbehörde des Mitglied- oder assoziierten Staats darauf zugreifen kann. Wenn der SPOC oder eine zuständige Strafverfolgungsbehörde des Mitglied- oder assoziierten Staats die Informationen hingegen bei anderen Behörden oder privaten Parteien einholen muss, gelten diese als mittelbar zugänglich. Die Auslegung der Definitionen von unmittelbar und mittelbar verfügbaren Informationen stellte diverse Schengen-Staaten vor Probleme. Gemäss dem Wortlaut der Richtlinie (EU) 2023/977 sind alle Daten unmittelbar verfügbar, auf welche eine Strafverfolgungsbehörde direkten Zugriff hat. Folglich wären gemäss dieser Definition faktisch sämtliche Daten bei den Strafverfolgungsbehörden (Polizei, Staatsanwaltschaft, Zollbehörde etc.) unmittelbar verfügbar und innert kurzer Frist zu übermitteln. Nur Informationen, die bei anderen Behörden verfügbar sind (bspw. Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde), wären demnach mittelbar verfügbar. Die EU stellte diesbezüglich gegenüber der Schweiz klar, dass Informationen, die erst durch eine Anfrage des SPOC an eine andere Strafverfolgungsbehörde zugänglich gemacht werden können, als mittelbar verfügbar qualifiziert werden. Aufgrund des föderalistischen Systems der Schweiz hat der SPOC keinen direkten Zugriff auf die Daten der kantonalen Informationssysteme. Informationen müssen bei den kantonalen Strafverfolgungsbehörden eingeholt werden. Solche Daten bzw. Informationen gelten unter der Richtlinie als mittelbar verfügbar.
Die letzte Definition betrifft die «personenbezogenen Daten» (Ziffer 8). Die Richtlinie verweist hierfür auf die Richtlinie (EU) 2016/680. Diese hat die Schweiz bereits übernommen und umgesetzt.
Grundsätze für den Informationsaustausch (Art. 3)
Artikel 3 legt die dem Informationsaustausch zwischen Mitglied- und assoziierten Staaten zugrunde liegenden Grundsätze fest. Dabei handelt es sich um die folgenden:
-
Grundsatz der Verfügbarkeit: Die bei den Strafverfolgungsbehörden eines Mitglied- oder assoziierten Staats verfügbaren Informationen können dem SPOC oder den zuständigen Strafverfolgungsbehörden anderer Mitglied- oder assoziierten Staaten zur Verfügung gestellt werden;
-
Grundsatz des gleichwertigen Zugangs: Die Voraussetzungen für Informationsersuchen, die an die SPOC oder zuständigen Strafverfolgungsbehörden anderer Mitgliedstaaten oder assoziierter Staaten gerichtet werden, sind den Bedingungen gleichwertig, die für Ersuchen um ähnliche Informationen innerhalb des jeweiligen Staats gelten;
-
Grundsatz der Vertraulichkeit: Der Staat, der vom übermittelnden Staat als vertraulich gekennzeichnete Informationen erhält, schützt diese im Einklang mit den Bestimmungen seines nationalen Rechts, die ein vergleichbares Mass an Vertraulichkeit sicherstellen wie das nationale Recht des Staats, der die Informationen zur Verfügung gestellt hat;
-
Grundsatz des Dateneigentums: Informationen, die von einem anderen Staat erlangt wurden, können einem anderen Mitglied- oder assoziierten Staat oder Europol nur mit Einwilligung des Staats, der die Informationen ursprünglich bereitgestellt hat, und unter den von ihm festgelegten Voraussetzungen zur Verfügung gestellt werden;
-
Grundsatz der Datenzuverlässigkeit: Gemäss dieser Richtlinie ausgetauschte personenbezogene Daten, die sich als unrichtig, unvollständig oder nicht mehr aktuell erweisen, werden gelöscht oder berichtigt oder ihre Verarbeitung wird eingeschränkt und der Empfängerstaat darüber benachrichtigt.
2⁰ Rahmenbeschluss des Rates vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten - Stellungnahmen bestimmter Mitgliedstaaten zur Annahme des Rahmenbeschlusses, ABl. L 190 vom 18. Juli 2002, S. 1.
2¹ Verordnung (EU) 2016/794 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2016 über die Agentur der Europäischen Union für die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Strafverfolgung (Europol) und zur Ersetzung und Aufhebung der Beschlüsse 2009/371/JI, 2009/934/JI, 2009/935/JI, 2009/936/JI und 2009/968/JI des Rates, ABl. L 135 vom 24. Mai 2016, S. 53.

3.2.2 Informationsaustausch über den SPOC

An zentrale Kontaktstellen gerichtete Informationsersuchen (Art. 4)
Artikel 4 regelt das Informationsersuchen an sich. Ziffer 1 sieht vor, dass die Mitglied- oder assoziierten Staaten der Europäischen Kommission eine Liste ihrer benannten Strafverfolgungsbehörden übermitteln, das heisst der Behörden, die nebst dem SPOC ermächtigt sind, Informationsersuchen an die SPOC der anderen Mitglied- oder assoziierten Staaten zu richten.
Wenn diese benannten Strafverfolgungsbehörden ein Informationsersuchen an den SPOC eines anderen Staats übermitteln, übermitteln sie eine Kopie dieses Ersuchen an ihren eigenen SPOC. Ziffer 2 sieht die Möglichkeit vor, von dieser Regel abzuweichen, wenn dadurch eine laufende hochsensible Ermittlung, die ein hohes Mass an Vertraulichkeit erfordert, Terrorismusfälle oder die Sicherheit einer Person gefährdet würde.
Ziffer 3 präzisiert die Voraussetzungen, die erfüllt sein müssen, bevor ein Informationsersuchen an den SPOC eines anderen Mitglied- oder assoziierten Staats gerichtet wird. Es müssen objektive Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die angeforderten In-formationen erforderlich und verhältnismässig sind, um Straftaten zu verhüten, aufzudecken oder zu untersuchen, und dass sie diesem anderen Staat zur Verfügung stehen.
Die Mitgliedstaaten oder assoziierten Staaten stellen sicher, dass sie bei einem Informationsersuchen angeben, ob es dringend ist. Ziffer 4 legt die Kriterien fest, wann ein Ersuchen als dringend gilt. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn eine unmittelbare und ernsthafte Gefahr für die öffentliche Sicherheit eines Mitgliedstaats oder assoziierten Staats oder auch eine unmittelbare Gefahr für das Leben oder die körperliche Unversehrtheit einer Person besteht.
Ziffer 5 verlangt, dass das Informationsersuchen alle für die Bearbeitung erforderlichen Angaben enthält, und legt die Angaben fest, die in jedem Fall mitzuliefern sind. Dabei handelt es sich unter anderem um eine detaillierte Präzisierung der angeforderten Informationen oder auch den Zweck, zu dem die Informationen angefordert werden.
Ziffer 6 sieht vor, dass das Informationsersuchen in einer der Sprachen übermittelt wird, die der ersuchte Staat gemäss der Liste nach Artikel 11 der Richtlinie akzeptiert.
Informationsbereitstellung infolge eines Ersuchens an zentrale Kontaktstellen (Art. 5)
Während Artikel 4 das Informationsersuchen behandelte, betrifft Artikel 5 der Richtlinie dessen Beantwortung durch den Staat, von dem die Informationen angefordert wurden. Ziffer 1 legt die Antwortfristen fest. Diese betragen:
-
acht Stunden im Falle von dringenden Ersuchen bei unmittelbar zugänglichen Informationen;
-
drei Kalendertage im Falle von dringenden Ersuchen bei mittelbar zugänglichen Informationen;
-
sieben Kalendertage im Falle aller anderen Ersuchen.
Ziffer 2 sieht eine Möglichkeit vor, von diesen Fristen abzuweichen, wenn eine Genehmigung durch eine Justizbehörde eingeholt werden muss. Der ersuchte Staat muss aber den SPOC des ersuchenden Staats über die Verzögerung und die Dauer der erwarteten Verzögerung unterrichten und anschliessend auf dem neusten Stand halten.
Die Antwort wird in der Sprache des Informationsersuchens übermittelt. Ziffer 3 sieht ausserdem vor, dass der SPOC, falls er die Antwort direkt an eine benannte Strafverfolgungsbehörde des ersuchenden Staats statt über dessen SPOC übermittelt, diesem eine Kopie der Informationen übermittelt. Es ist möglich, von dieser Regel abzuweichen, wenn dadurch eine laufende hochsensible Ermittlung, die ein hohes Mass an Vertraulichkeit erfordert, Terrorismusfälle oder die Sicherheit einer Person gefährdet würde.
Ablehnung von Informationsersuchen (Art. 6)
Ziffer 1 listet die verschiedenen Gründe auf, bei deren Vorliegen der Informationsaus-tausch verweigert werden kann. Wenn beispielsweise die angeforderten Informationen dem ersuchten Staat nicht zur Verfügung stehen, wenn das Informationsersuchen nicht den Kriterien nach Artikel 4 entspricht oder wenn die Genehmigung durch eine Justizbehörde verweigert wurde, lehnt der SPOC das Informationsersuchen ab. Ein Ersuchen kann auch abgelehnt werden, wenn objektive Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Bereitstellung der angeforderten Informationen den grundlegenden Interessen der nationalen Sicherheit des ersuchten Mitgliedstaats zuwiderlaufen, laufende Ermittlungen gefährden oder den geschützten wichtigen Interessen einer juristischen Person ungebührlich schaden würde. Die Mitgliedstaaten oder assoziierten Staaten müssen zudem mit der gebotenen Sorgfalt prüfen, ob das an ihre zentrale Kontaktstelle gerichtete Informationsersuchen nicht mit einer offensichtlichen Verletzung der Grundrechte verbunden ist. Im Unterschied zum Rahmenbeschluss 2006/960/JI ist der Informationsaustausch infolge eines Ersuchens nicht auf die Verhütung und Verfolgung von «schweren Straftaten» beschränkt, sondern auf die Verhütung und Verfolgung von Straftaten nach dem nationalen Recht, die mit einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr geahndet werden können.
Es ist auch vorgesehen, dass der ersuchende Staat über die konkreten Ablehnungsgründe informiert wird. Falls Klarstellungen oder Präzisierungen erforderlich sind, werden diese vor der Ablehnung des Ersuchens beim ersuchenden Staat angefordert.

3.2.3 Sonstiger Informationsaustausch

Bereitstellung von Informationen aus eigener Initiative (Art. 7)
Ein Mitglied- oder assoziierter Staat kann einem anderen Mitglied- oder assoziierten Staat aus eigener Initiative Informationen zum Zweck der Verhütung, Aufdeckung oder Untersuchung von Straftaten bereitstellen. Diese Möglichkeit wird zur Pflicht, sobald es um schwere Straftaten geht. Für die Kopieübermittlung an den SPOC und Ausnahmen dazu gelten ähnliche Bedingungen wie in den Artikeln 4 und 8 vorgesehen.
Informationsaustausch aufgrund direkt an zuständige Strafverfolgungsbehörden gerichteter Ersuchen (Art. 8)
Artikel 8 sieht vor, dass bei Informationsersuchen, die der SPOC oder die zuständigen Strafverfolgungsbehörden direkt an eine zuständige Strafverfolgungsbehörde eines anderen Mitglied- oder assoziierten Staats richten, der SPOC des ersuchten Staats gleichzeitig eine Kopie des Ersuchens erhält. Die möglichen Ausnahmen sind ähnlich wie jene in Artikel 4 Ziffer 2.

3.2.4 Zusätzliche Vorschriften für die Bereitstellung von Informationen

Genehmigung durch eine Justizbehörde (Art. 9)
In Anwendung des Grundsatzes des gleichwertigen Zugangs sieht Artikel 9 vor, dass ein Mitgliedstaat oder assoziierter Staat für die Bereitstellung von Informationen an einen anderen Mitgliedstaat oder assoziierten Staat keine Genehmigung durch eine Justizbehörde verlangt, wenn für eine gleichwertige Bereitstellung von Informationen innerhalb dieses Staats ebenfalls keine Genehmigung durch eine Justizbehörde erforderlich ist.
Wenn eine Genehmigung durch eine Justizbehörde vorgeschrieben ist, muss der SPOC oder die zuständige Strafverfolgungsbehörde des ersuchten Staats unverzüglich alle erforderlichen Schritte unternehmen, um diese Genehmigung durch eine Justizbehörde so schnell wie möglich einzuholen.
Zusätzliche Vorschriften für Informationen, die personenbezogene Daten darstellen (Art. 10)
Artikel 10 regelt den Schutz personenbezogener Daten. In Fällen, in denen der SPOC oder eine zuständige Strafverfolgungsbehörde personenbezogene Daten an einen an-deren Mitgliedstaat oder assoziierten Staat übermittelt, stellen sie namentlich sicher, dass diese Daten richtig, vollständig und aktuell sind und dass die Kategorien der bereitgestellten personenbezogenen Daten für das Erreichen des Ziels des Ersuchens erforderlich und verhältnismässig sind.
Liste der Sprachen (Art. 11)
Die Mitgliedstaaten oder assoziierten Staaten führen jeweils eine aktuelle Liste mit einer oder mehreren Sprachen, in denen ihr SPOC den Informationsaustausch betreiben kann. Eine dieser Sprache muss Englisch sein. Sie übermitteln die Liste der Europäischen Kommission, welche die Veröffentlichung sicherstellt.
Bereitstellung von Informationen an Europol (Art. 12)
Wenn die ausgetauschten Informationen unter das Mandat von Europol fallen, prüft der SPOC oder die zuständige Strafverfolgungsbehörde fallweise, ob es erforderlich ist, eine Kopie des Informationsersuchens oder der bereitgestellten Informationen an Europol zu übermitteln. Wird eine Kopie übermittelt, so werden Europol auch die Zwecke der Verarbeitung der Informationen und etwaige Einschränkungen dieser Verarbeitung mitgeteilt.
Sicherer Kommunikationskanal (Art. 13)
Artikel 13 sieht vor, dass Mitgliedstaaten oder assoziierte Staaten sicherstellen, dass ihr SPOC oder ihre zuständigen Strafverfolgungsbehörden für die Übermittlung von Informationsersuchen, die Bereitstellung von Informationen aufgrund solcher Ersuchen oder die Bereitstellung von Informationen aus eigener Initiative als Kommunikationskanal SIENA nutzen. Ausnahmen sind möglich, wenn der Informationsaustausch die Beteiligung von Drittstaaten oder internationalen Organisationen erfordert, die Dringlichkeit des Informationsersuchens die vorübergehende Nutzung eines anderen Kommunikationskanals erfordert oder ein unerwarteter technischer oder operativer Zwischenfall die Nutzung von SIENA für den Informationsaustausch verunmöglicht. Ziffer 3 verlangt, dass der SPOC und die zuständigen Strafverfolgungsbehörden direkt an SIENA angeschlossen sind.

3.2.5 SPOC für den Informationsaustausch zwischen den Mitgliedstaaten

Einrichtung oder Benennung, Aufgaben und Fähigkeiten der zentralen Kontaktstelle (Art. 14)
Artikel 14 listet verschiedene Eigenschaften auf, über die der SPOC jedes Mitglied- oder assoziierten Staats verfügen muss. Zusammengefasst muss der SPOC in der Lage sein, Informationsersuchen von anderen Staaten entgegenzunehmen und zu bewerten, sie an die zuständigen nationalen Strafverfolgungsbehörden weiterzuleiten, die Analyse des Ersuchens zu koordinieren und die Informationen zu strukturieren und sie anschliessend einem anderen Staat zur Verfügung zu stellen, sofern die Voraussetzungen erfüllt sind.
Ziffer 3 sieht vor, dass der SPOC Zugang zu allen Informationen hat, die den zuständigen Strafverfolgungsbehörden zur Verfügung stehen. Für die Schweiz bedeutet dies namentlich, dass der SPOC Zugang zu den Informationen der Kantonspolizeien haben können muss. Darüber hinaus wird verlangt, dass der SPOC seine Aufgaben täglich rund um die Uhr wahrnimmt und dass er mit dem notwendigen Personal und den erforderlichen Mitteln für die Ausführung seiner Aufgaben ausgestattet ist. Die Justizbehörden, die für die Erteilung der erforderlichen Genehmigungen durch eine Justizbehörde zuständig sind, müssen dem SPOC täglich rund um die Uhr auf Abruf zur Verfügung stehen.
Organisation, Zusammensetzung und Schulung (Art. 15)
Artikel 15 präzisiert, dass die Mitgliedstaaten oder assoziierten Staaten dafür verantwortlich sind, die Organisation und Zusammensetzung ihres SPOC so festzulegen, dass er seine Aufgaben erfüllen kann. Ziffer 2 sieht dabei vor, dass dem SPOC namentlich Mitglieder der nationalen Europol-Stelle, des SIRENE-Büros und des nationalen Interpol-Zentralbüros angehören müssen, soweit der betreffende Mitgliedstaat durch die einschlägigen Rechtsvorschriften oder internationalen Übereinkünfte zur Einrichtung solcher Stellen verpflichtet ist.
Die Mitgliedstaaten oder assoziierten Staaten müssen ausserdem sicherstellen, dass das Personal ihres SPOC angemessen qualifiziert ist, damit es dessen Aufgaben wahrnehmen kann. Die Mitarbeitenden des SPOC müssen die Kommunikationsmittel und das für die Tätigkeiten des SPOC relevante Recht, einschliesslich in Bezug auf den Schutz personenbezogener Daten, sowie die Sprachen beherrschen, die auf der an die Europäische Kommission übermittelten Liste aufgeführt sind.
Fallbearbeitungssystem (Art. 16)
In Artikel 16 ist geregelt, welche Eigenschaften das Fallbearbeitungssystem des SPOC besitzen muss. Mit diesem System müssen beispielsweise die ein- und ausgehenden Informationsersuchen, die Kommunikation zwischen dem SPOC und den zu-ständigen Strafverfolgungsbehörden und die Bereitstellungen von Informationen an andere Mitglied- und assoziierte Staaten erfasst werden. Zudem muss das System die Interoperabilität mit SIENA und die Generierung der gemäss Richtlinie verlangten Statistiken gewährleisten.
Cybersicherheitsrisiken müssen in umsichtiger Weise behandelt und angegangen wer-den, und personenbezogene Daten dürfen nur so lange im Fallbearbeitungssystem gespeichert bleiben, wie es für den SPOC zur Ausführung seiner Aufgaben erforderlich und verhältnismässig ist. Anschliessend müssen sie unwiderruflich gelöscht werden.
Zusammenarbeit zwischen den zentralen Kontaktstellen (Art. 17)
Die Mitglied- oder assoziierten Staaten sind angehalten, die Zusammenarbeit zwischen ihren SPOC und den zuständigen Strafverfolgungsbehörden zu fördern. Die Leiterinnen und Leiter der SPOC müssen zum Zweck der Erleichterung dieser Zusammenarbeit mindestens einmal jährlich zusammenkommen.

3.2.6 Schlussbestimmungen

Statistiken (Art. 18)
Die Mitglied- oder assoziierten Staaten sind verpflichtet, der Europäischen Kommission Statistiken über den Informationsaustausch zu übermitteln, der gemäss der Richtlinie stattgefunden hat. Zu den verlangten Informationen gehören die Anzahl gestellter, eingegangener und abgelehnter Informationsersuchen.
Berichterstattung (Art. 19)
Drei Jahre nach dem Inkrafttreten der Richtlinie und danach alle fünf Jahre legt die Europäische Kommission dem Europäischen Parlament und dem Rat der EU einen Bericht über die Bewertung der Durchführung dieser Richtlinie vor.
Vier Jahre nach dem Inkrafttreten der Richtlinie und danach alle fünf Jahre legt die Europäische Kommission dem Europäischen Parlament und dem Rat der EU einen Bericht über die Bewertung der Wirksamkeit dieser Richtlinie vor.
Änderung des Schengener Durchführungsübereinkommens (Art. 20) und Aufhebung (Art. 21)
Die Richtlinie ersetzt die Bestimmungen des Rahmenbeschlusses 2006/960/JI («Schwedische Initiative»), die 18 Monate nach dem Inkrafttreten der Richtlinie aufgehoben wird.
Umsetzung (Art. 22)
Bis spätestens 18 Monate nach dem Inkrafttreten der Richtlinie müssen die Mitglied- oder assoziierten Staaten die Massnahmen, die erforderlich sind, um der Richtlinie nachzukommen, verabschieden und veröffentlichen. Sie beginnen exakt 18 Monate nach Inkrafttreten der Richtlinie mit der Anwendung von deren Bestimmungen. Artikel 13 zu SIENA muss erst vier Jahre nach dem Inkrafttreten der Richtlinie angewandt werden.

4 Grundzüge der Vorlage

4.1 Die beantragte Neuregelung

Ziel des vorliegenden Bundesbeschlusses ist es, den im Rahmen des SAA eingegangenen Verpflichtungen zur Übernahme und Umsetzung von Weiterentwicklungen des Schengen-Besitzstands nachzukommen und für die in der Richtlinie (EU) 2023/977 formulierten Verpflichtungen klare und verständliche rechtliche Bestimmungen zu schaffen. Der Rahmenbeschluss 2006/960/JI, welcher durch die Richtlinie (EU) 2023/977 ersetzt wird, wurde seinerzeit mit dem SIaG umgesetzt.
Damit besteht bereits ein Bundesgesetz, welches den Informationsaustausch mit Schengen-Staaten im Bereich der Strafverfolgung regelt. Dieses Gesetz soll beibehalten und im Lichte der neuen Vorgaben der Richtlinie (EU) 2023/977 angepasst wer-den. Dies bietet wie bisher den Vorteil, dass Ergänzungen, Präzisierungen oder gänzlich neue Bestimmungen zum Informationsaustausch in einen bestehenden und über-sichtlichen Rahmen eingeflochten werden könnten.

4.2 Praktische Umsetzung der Richtlinie

Wie bereits im Rahmen der Umsetzung des Rahmenbeschlusses 2006/960/JI sollen die künftigen Anwenderinnen und Anwender sich auf einen umfassenden, übersichtlichen Gesetzestext abstützen können. Der konkrete Anpassungsbedarf im SIaG wird im Folgenden zusammengefasst.
Die Richtlinie (EU) 2023/977 regelt verbindlich, unter welchen Bedingungen Informationen zu Straftaten auf Ersuchen eines Schengen-Staats oder auf eigene Initiative übermittelt werden müssen. Da für den Austausch von Personendaten eine Rechts-grundlage bestehen muss und der Austausch von Informationen auf Ersuchen im bisherigen SIaG nicht verbindlich geregelt wurde, muss eine entsprechende Grundlage im Gesetzesentwurf vorgesehen werden. Von der Richtlinie (EU) 2023/977 erfasst ist jede Polizei-, Zoll- oder sonstige Behörde, die nach nationalem Recht für die Ausübung von öffentlicher Gewalt und die Ergreifung von Zwangsmassnahmen zum Zwecke der Verhütung, Feststellung und Verfolgung von Straftaten zuständig ist. Der Geltungsbereich des SIaG umfasst derzeit lediglich die Strafverfolgungsbehörden des Bundes und ist somit an das Bundesamt für Polizei, das Bundesamt für Zoll und Grenzsicherheit und die Bundesanwaltschaft gerichtet. Mit dem SIaG wurde der Rahmenbeschluss 2006/960/JI auf Bundesebene umgesetzt, und deshalb wurden auch lediglich die Strafverfolgungsbehörden des Bundes dadurch erfasst. Für den Vollzug des Rahmenbeschlusses im kantonalen Zuständigkeitsbereich waren die Kantone verantwortlich. Mit dem Gesetzesentwurf zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2023/977 sollen nun auch die kantonalen Strafverfolgungsbehörden miteinbezogen werden, soweit dem Bund eine Regelungskompetenz zukommt (vgl. Ziff. 9.1.). Folglich wird das SIaG dahingehend angepasst werden. Der Gegenstand und Geltungsbereich in Artikel 1 SIaG muss entsprechend aktualisiert werden.
Aufgrund des erweiterten Geltungsbereichs der Richtlinie (EU) 2023/977 und präzisierten Modalitäten des Informationsaustauschs sind die Begriffsdefinitionen zu überarbeiten. Neu werden die für die Anwendung des Gesetzes notwendigen Begriffe in Artikel 2 des Gesetzesentwurfs eingeführt. Dadurch werden auch die bisher bestehenden Begriffsdefinitionen der Strafverfolgungsbehörden des Bundes (Art. 3 SIaG) und der Strafverfolgungsbehörden der anderen Schengen-Staaten (Art. 4 SIaG) ersetzt.
Nach der Richtlinie (EU) 2023/977 erfolgt der Informationsaustausch abgesehen von wenigen Ausnahmefällen über die nationale Kontaktstelle jedes Schengen-Staats. Die nationale Kontaktstelle ist der SPOC, sie koordiniert den Austausch von Informationen unter der Richtlinie (EU) 2023/977. fedpol nimmt nach geltendem Recht (Art. 5 SIaG) bereits die Funktion der nationalen Kontaktstelle wahr, wobei der Austausch jedoch nicht zwingend über sie bzw. fedpol ergehen muss. Die Rolle von fedpol als Dreh- und Angelpunkt des Informationsaustausches werden folglich im Gesetzesentwurf präzisiert, und die Aufgaben von fedpol werden erweitert. Die Richtlinie (EU) 2023/977 gibt den Schengen-Staaten die Möglichkeit, zusätzlich zur nationalen Kontaktstelle auch einzelne Strafverfolgungsbehörden dazu zu berechtigen, selbstständig Informationsersuchen zu stellen. Um den Informationsaustausch optimal zu koordinieren und um die Kantone administrativ zu entlasten, wird auf diese Möglichkeit jedoch verzichtet. Als ständig besetzte nationale Kontaktstelle wird die Einsatz- und Alarmzentrale von fedpol (EAZ fedpol) ernannt. Sie ist der SPOC für alle ein- und ausgehenden Informationen oder Ersuchen und koordiniert den Informationsaustausch, ob mit den Strafverfolgungsbehörden der anderen Schengen-Staaten oder den schweizerischen Strafverfolgungsbehörden. In Artikel 3 des Gesetzesentwurfes werden die nationale Kontaktstelle und deren Aufgaben definiert. Der bisherige Artikel 5 des SIaG wird damit abgelöst.
In Artikel 4 wird wie bisher in Artikel 2 Absatz 3 SIaG auf die Bestimmungen zum Schutz von Personendaten im Rahmen der Amtshilfe im Bereich der Polizei verwiesen (Art. 349 a -349 h StGB). Die Personendaten, welche übermittelt werden dürfen, werden auf die von der Richtlinie (EU) 2023/977 erfassten Personen- und Datenkategorien eingeschränkt. Die einzelnen Kategorien sind im neuen Anhang 2 aufgeführt.
Die Richtlinie (EU) 2023/977 legt fünf Grundsätze fest, welche für den Informationsaustausch berücksichtigt werden müssen. Nebst dem Grundsatz der Gleichbehandlung, welcher bereits im geltenden Artikel 6 SIaG verankert wurde, kommen der Grundsatz auf Verfügbarkeit, der Grundsatz der Vertraulichkeit, der Grundsatz des Dateneigentums und der Grundsatz der Datenzuverlässigkeit hinzu. Der Grundsatz der Gleichbehandlung, der Grundsatz des Dateneigentums sowie der Grundsatz der Datenzuverlässigkeit sind bereits im StGB verankert. Der Grundsatz der Verfügbarkeit geht aus den Artikeln 1 und 2 des Gesetzesentwurfs hervor. Folglich wird der Grundsatz der Gleichbehandlung in Artikel 6 SIaG aufgehoben und der Grundsatz der Vertraulichkeit in Artikel 5 des Gesetzesentwurfes geregelt.
Die Artikel 6-11 des Gesetzesentwurfes ersetzen die Artikel 8-12 SIaG, welche die Bedingungen und Modalitäten für die Übermittlung von Informationen zur Verhütung, Feststellung und Verfolgung von Straftaten auf Ersuchen präziseren. Die einzelnen Bestimmungen zu den Formvorschriften, Fristen und Ablehnungsgründen von Informationsersuchen werden der Richtlinie (EU) 2023/977 entsprechend angepasst. Da der Informationsaustausch ausschliesslich über den SPOC erfolgt, werden zusätzlich die Prozesse zwischen dem SPOC und den schweizerischen Strafverfolgungsbehörden sowie dem SPOC und den nationalen Kontaktstellen und den benannten Strafverfolgungsbehörden der anderen Schengen-Staaten präzisiert.
Die Übermittlung von Informationen aus eigener Initiative wird aus systematischen Überlegungen von den Informationsersuchen getrennt und in einem separaten Ab-schnitt behandelt. Der in Artikel 7 SIaG geregelte Informationsaustausch ohne Ersuchen wird neu in den beiden Artikeln 12 und 13 geregelt. Nebst dem obligatorischen Informationsaustausch betreffend schwere Straftaten gemäss Anhang, welcher bereits mit dem Rahmenbeschluss umgesetzt wurde, wird neu auch die fakultative Übermittlung von Informationen zur Verhütung, Feststellung und Verfolgung von Straftaten ausserhalb dieses Straftatenkataloges eingeführt.
Damit die EAZ fedpol als nationale Kontaktstelle die Aufgaben gemäss der Richtlinie (EU) 2023/977 wahrnehmen kann, muss sie die Informationen, die vom Bund, den Kantonen oder den Schengen-Staaten übermittelt werden, bearbeiten und Statistiken zuhanden der Europäischen Kommission erstellen können. Mit den Artikeln 14 und 15 werden die hierzu notwendigen gesetzlichen Grundlagen für die Bearbeitung von besonderes schützenswerten Daten und die Erstellung von Statistiken zugunsten der nationalen Kontaktstelle geschaffen.
In Anhang 1 werden die Schengen-Assoziierungsabkommen aufgeführt. In Anhang 2 sind die personenbezogenen Daten aufgelistet, welche im Rahmen des Schengener-Informationsaustauschs an andere Schengen-Staaten übermittelt werden dürfen. In Anhang 3 werden die Straftaten aufgeführt, welche nach schweizerischem Recht denjenigen des Rahmenbeschlusses 2002/584/JI entsprechen oder gleichwertig sind. Der Anhang wird insbesondere aufgrund neu hinzugekommener Straftaten aktualisiert.

5 Besonderer Koordinationsbedarf

Bei der Übernahme und Umsetzung der Richtlinie (EU) 2023/977 besteht ein besonderer Koordinationsbedarf im Hinblick auf die Vorlage zur Genehmigung und Umsetzung des Abkommens zwischen der Schweiz und der EU zur Vertiefung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit (Prümer Zusammenarbeit) und des Eurodac-Protokolls zwischen der Schweiz, der EU und dem Fürstentum Liechtenstein betreffend den Zugang zu Eurodac für Gefahrenabwehr- und Strafverfolgungszwecke 2² , welches am 1. Oktober 2021 genehmigt wurde (nachfolgend Bundesbeschluss zur grenzüberschreitendenden Zusammenarbeit und des Eurodac-Protokolls).
Der Koordinationsbedarf zwischen den verschiedenen Vorlagen wird unter Ziffer 7 detailliert aufgeführt.
2² BBl 2021 2332

6 Erläuterungen zu einzelnen Artikeln

Vorbemerkungen
Aufgrund der Neuerungen der Richtlinie (EU) 2023/977 ist die Mehrheit der Bestimmungen des SIaG anzupassen. Deshalb ist das SIaG einer Totalrevision zu unterziehen.
Ingress
Der Ingress des geltenden SIaG verweist auf den Rahmenbeschluss 2006/960/JI des Rates vom 18. Dezember 2006 über die Vereinfachung des Austauschs von Informationen und Erkenntnissen zwischen Strafverfolgungsbehörden der Mitgliedstaaten der Europäischen Union, welcher durch die Richtlinie (EU) 2023/977 aufgehoben wurde. Der Ingress wird entsprechend angepasst.
Art. 1
Gegenstand und Geltungsbereich
Absatz 1
Der Zweck des Gesetzesentwurfes liegt darin, Informationen zum Zwecke der Verhütung, Feststellung und Verfolgung von Straftaten vereinfacht zu übermitteln. Der Informationsaustausch erfolgt auf Ersuchen oder aus eigener Initiative (spontan). Die Bedingungen und die Modalitäten für die Übermittlung von Informationen werden im Gesetzesentwurf geregelt. Im Unterscheid zum geltenden SIaG geht der Anwendungsbereich des Gesetzesentwurfes weiter als das bisherige Recht.
Es besteht neu die Pflicht, verfügbare Informationen zur Verhütung, Feststellung und Verfolgung von Straftaten zu übermitteln. Die Übermittlung von Informationen auf Ersuchen ist für sämtliche Schengen-Staaten obligatorisch und kann nur noch verweigert werden, wenn die hierzu notwendigen Bedingungen nicht erfüllt sind oder Ablehnungsgründe vorliegen. Sind die Bedingungen erfüllt und liegen keine Ablehnungsgründe vor, sind die angeforderten Informationen an den ersuchenden Schengen-Staat zum Zweck der Verhütung, Feststellung und Verfolgung von Straftaten zu übermitteln. Die Bekanntgabe von Personendaten an die Schengen-Staaten ist nach Artikel 349 a StGB i.V.m. Artikel 36 Absatz 1 DSG zulässig, wenn dafür eine gesetzliche Grundlage besteht. Da vom Informationsaustausch im Sinne dieses Gesetzes auch besonders schützenswerte Personendaten betroffen sind, bedarf es eines Gesetzes im formellen Sinn. Auch für die Bearbeitung von besonders schützenswerten Daten juristischer Personen und die Bekanntgabe von Daten juristischer Personen bedarf es einer gesetzlichen Grundlage (Art. 57 r und 57 s Abs. 1 des Regierungs- und Verwaltungsorganisationsgesetzes vom 21. März 1997 ²3 [RVOG]). Mit diesem Gesetzesentwurf werden die notwendigen Rechtsgrundlagen betreffend die Bekanntgabe von Daten geschaffen.
Durch den Gesetzesentwurf werden nicht mehr nur die Strafverfolgungsbehörden des Bundes, sondern auch die kantonalen Strafverfolgungsbehörden erfasst. Soweit es in der Gesetzgebungskompetenz des Bundes liegt, ist der Gesetzesentwurf also auch für die Kantone verbindlich. Überdies sind auch die Kantone an die Vorgaben der Richtlinie (EU) 2023/977 gebunden (vgl. Erläuterungen zu Art. 10).
Absatz 2
Der Informationsaustausch nach diesem Gesetzesentwurf lässt die Vorschriften des Rechtshilfegesetzes vom 20. März 1981 ²4 (IRSG) unberührt. Die austauschenden Behörden sind nicht verpflichtet, die erbetene Information durch Zwangsmassnahmen verfügbar zu machen. Ersuchen um Übermittlung von Informationen, die durch Zwangsmassnahmen beschafft werden müssten, sind abzulehnen (vgl. Art. 8 Abs. 2 Bst. m). Die erhaltenen Informationen dürfen sodann ausschliesslich zu Ermittlungszwecken verwendet werden. Will ein Schengen-Staat die Informationen als Beweismittel in einem gerichtlichen Verfahren zum Zweck des Beantragens, Begründens oder Aussprechens eines Endentscheids verwenden, so hat er die Einwilligung der Schweiz nach den geltenden Regeln der internationalen Rechtshilfe in Strafsachen einzuholen. Weiter bleiben auch internationale Übereinkommen über die Amts- und die Rechtshilfe in Strafsachen von diesem Gesetzesentwurf unberührt.
Absatz 3
Weitergehende Pflichten im Bereich der Amtshilfe, beispielsweise dem Steueramtshilfegesetz vom 28. September 2012 ²5 , werden durch den Gesetzesentwurf nicht berührt.
Vorteilhaftere Bestimmungen bilateraler oder multilateraler Abkommen, welche die Schweiz mit einzelnen Schengen-Staaten bereits geschlossen hat, bleiben vorbehalten. Darunter fallen insbesondere die Abkommen und Verträge zwischen der Schweiz und einzelnen Schengen-Staaten über die grenzüberschreitende polizeiliche Zusammenarbeit, wie beispielsweise der Schweizerisch-deutsche Polizeivertrag ²6 . Demnach kann beispielsweise die Amtshilfe im Bereich des Grenzschutzes weiterhin über die eingespielten und vereinfachten Prozesse des entsprechenden Polizeivertrags erfolgen. Die Anwendung sonstiger für die Schweiz verbindlicher Systeme für die Übermittlung von Informationen, wie etwa die Nutzung des Schengener Informationssystems ²7 oder die Prümer Polizeikooperation ²8 , deren rechtliche Bestimmungen bereits durch das Parlament verabschiedet wurden, bleiben von den Vorgaben der Richtlinie (EU) 2023/977 unberührt.
Art. 2 Begriffe
Absatz 1
Buchstabe a: Schengen-Staat
Ein Staat, der durch eines der Schengen-Assoziierungsabkommen gebunden ist. Die Abkommen sind in Anhang 1 aufgeführt. Das Gebiet der Schengen-Staaten umfasst den grössten Teil der EU-Mitgliedstaaten und die vier assoziierten Staaten Schweiz, Norwegen, Island und das Fürstentum Liechtenstein.
Buchstabe b: Strafverfolgungsbehörden
Das zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses 2006/960/JI verfasste SIaG erfasst lediglich die Strafverfolgungsbehörden des Bundes ²9 . Das SIaG verpflichtet entsprechend das Bundesamt für Polizei, die Bundesanwaltschaft und das Bundesamt für Zoll und Grenzsicherheit. Die Umsetzung des Rahmenbeschlusses 2006/960/JI bzw. die Implementierung gesetzlicher Grundlagen für den Informationsaustausch kantonaler Strafverfolgungsbehörden mit anderen Schengen-Staaten oblag den Kantonen in ihrem Kompetenzbereich selbst. Da der gesamte Informationsaustausch nun über einen SPOC laufen muss, regelt der Gesetzesentwurf nun auch den Informationsaustausch mit den kantonalen Strafverfolgungsbehörden, soweit es im Kompetenzbereich des Bundes ist (vgl. Ziff. 9.1.).
Die Richtlinie (EU) 2023/977 definiert in Artikel 2 Absatz 2 als «zuständige Strafverfolgungsbehörden» jede Polizei-, Zoll- oder sonstige Behörde der Mitgliedstaaten, die nach dem nationalen Recht für die Ausübung von öffentlicher Gewalt und die Ergreifung von Zwangsmassnahmen zum Zwecke der Verhütung, Aufdeckung oder Untersuchung von Straftaten zuständig ist. Die Definition umfasst die Strafverfolgungsbehörden im Sinne von Artikel 12 StPO. Somit fallen die Strafverfolgungsbehörden des Bundes und der Kantone in den Geltungsbereich der Richtlinie (EU) 2023/977. Angesprochen sind sämtliche Behörden, welche kriminelle Tätigkeiten verfolgen. Der Rahmen erstreckt sich vom polizeilichen Erkenntnisgewinnungsverfahren bis zum eigentlichen strafrechtlichen Ermittlungsverfahren, einschliesslich der Tätigkeiten der Staatsanwaltschaften. Folglich sind auch die kantonalen Staatsanwaltschaften vom Geltungsbereich umfasst. Die kantonale Staatsanwaltschaft kann also ebenfalls für ihre Ermittlungen Informationsersuchen stellen und muss umgekehrt auch verfügbare Informationen aus ihrer Ermittlungstätigkeit, sofern die Voraussetzungen für den Austausch erfüllt sind, für den Informationsaustausch zur Verfügung stellen. Die Regeln über die internationale Rechtshilfe bleiben jedoch vorbehalten (vgl. Erläuterungen zu Art. 1 Abs. 2). Müssten die erbetenen Informationen durch Zwangsmassnahmen verfügbar gemacht werden, so wird das Ersuchen abgelehnt. Die erhaltenen Informationen dürfen sodann ausschliesslich zu Ermittlungszwecken verwendet werden. In der Regel wird der Informationsaustausch jedoch über die kantonalen Polizeien erfolgen, welche die Ermittlungen durchführen und über die relevanten Informationen verfügen.
Behörden, die sich speziell mit Fragen der nationalen Sicherheit befassen, wie der Nachrichtendienst des Bundes und die Schweizer Armee, fallen nicht unter dieses Gesetz.
Buchstabe c: benannte Strafverfolgungsbehörden
Die Richtlinie (EU) 2023/977 sieht vor, dass die Schengen-Staaten grundsätzlich Informationsersuchen über ihre nationale Kontaktstelle an die nationale Kontaktstelle eines anderen Schengen-Staats zu richten haben. Im Interesse der Flexibilität ist es jedem Schengen-Staat zusätzlich gestattet, einige ihrer an der europäischen Zusammenarbeit mitwirkenden zuständigen Strafverfolgungsbehörden als benannte Strafverfolgungsbehörden zu benennen. Benannte Strafverfolgungsbehörden sind befugt, Informationsersuchen direkt an die nationalen Kontaktstellen anderer Schengen-Staaten zu übermitteln. Die Schengen-Staaten müssen der Kommission alle benannten Strafverfolgungsbehörden mitteilen. Eine entsprechende Liste wird von der Kommission veröffentlicht. Die nationale Kontaktstelle der Schweiz ist folglich verpflichtet, auch formgerechte Informationsersuchen der benannten Strafverfolgungsbehörde der anderen Schengen-Staaten entgegenzunehmen und die entsprechenden Schritte für die fristgerechte Beantwortung einzuleiten. Die Ersuchen der schweizerischen Strafverfolgungsbehörden werden ausschliesslich über den SPOC an andere Schengen-Staaten übermittelt (vgl. Erläuterungen zu Art. 3).
Buchstabe d: verfügbare Informationen
Verfügbare Informationen nach diesem Gesetz umfassen grundsätzlich alle Arten von Daten zu Personen, Tatsachen oder Umständen, die für Strafverfolgungsbehörden zum Zweck der Verhütung, Feststellung und Verfolgung von Straftaten relevant sind und die in Informationssystemen der Strafverfolgungsbehörden vorhanden sind oder von den Strafverfolgungsbehörden ohne Anwendung von prozessualem Zwang von Behörden oder Privaten eingeholt werden können.
Bereits für die Umsetzung des Rahmenbeschlusses 2006/960/JI hat die Schweiz der EU mitgeteilt, welche Informationen für den Austausch auf schweizerischen Informationssystemen verfügbar sind, sofern die Voraussetzungen für den Austausch erfüllt sind 3⁰ . Für den Informationsaustausch gemäss diesem Gesetzesentwurf liegen dieselben Datenkategorien im Vordergrund.
Vorbehalten bleibt stets, dass die Voraussetzungen für die Weitergabe der Informationen gemäss den einschlägigen Bestimmungen erfüllt sind (vgl. Erläuterungen zu Art. 6). Bestehen für den Austausch von spezifischen Informationen vorteilhaftere Bestimmungen, erfolgt der Austausch über diese Kanäle und nicht nach den Bestimmungen dieses Gesetzesentwurfes. Beispielsweise wird der Austausch von DNA-Profilen oder daktyloskopischen Daten mit den Vertragsstaaten der Prümer Polizeikooperation nach deren Regeln erfolgen, sobald diese Bestimmungen in Kraft getreten sind.
Ziffern 1 und 2
Bei den verfügbaren Informationen wird zwischen unmittelbar verfügbaren und mittelbar verfügbaren Informationen unterschieden. Diese Unterscheidung ist für die Beantwortungsfristen der Ersuchen relevant (vgl. Ausführungen zu Art. 9). Gemäss Artikel 2 Ziffer 6 der Richtlinie (EU) 2023/977 gelten als «unmittelbar zugängliche Informationen» Informationen, die in einer Datenbank verfügbar sind, auf welche die zentrale Kontaktstelle oder eine zuständige Strafverfolgungsbehörde des Mitgliedstaats, bei dem die Informationen angefordert werden, unmittelbar zugreifen kann. Die Auslegung und die damit zusammenhängende Umsetzung stellte diverse Schengen-Staaten vor Probleme, weshalb die Auslegung dieser Bestimmung von der EU konkretisiert wurde. Demnach gelten Informationen, die erst durch eine Anfrage des SPOC an eine andere Strafverfolgungsbehörde zugänglich gemacht werden können, als mittelbar verfügbar.
Der Informationsaustausch wird zentral über die den SPOC bzw. die EAZ fedpol sichergestellt. Die Informationen werden folglich von den anderen Schengen-Staaten immer bei der EAZ fedpol angefragt. Sind die ersuchten Daten für die EAZ fedpol nicht oder nicht vollständig unmittelbar verfügbar, leitet sie das Ersuchen an die Strafverfolgungsbehörden zur Weiterverarbeitung weiter, welche unmittelbar Zugriff auf die Daten haben. Diese Strafverfolgungsbehörden übermitteln anschliessend die Informationen wiederum der EAZ fedpol zur Beantwortung des Ersuchens. Solche Daten bzw. Informationen gelten unter der Richtlinie als mittelbar verfügbar. Die Übermittlung dieser Daten zwischen der EAZ und den Strafverfolgungsbehörden kann auf der Basis der informationellen Amtshilfe und mittels der bereits bestehenden und etablierten Prozesse erfolgen, welche derzeit für den Austausch von Informationen zwischen Bundesbehörden und kantonalen Strafverfolgungsbehörden verwendet werden (vgl. Erläuterungen zu Art. 10).
Nach Artikel 2 Ziffer 7 der Richtlinie (EU) 2023/977 gelten auch als «mittelbar zugängliche Informationen» Informationen, die - soweit das nationale Recht es zulässt und nach Massgabe dieses Rechts - eine nationale Kontaktstelle oder eine zuständige Strafverfolgungsbehörde des Mitgliedstaats, bei dem die Informationen angefordert werden, von anderen Behörden oder privaten Parteien, die in diesem Mitgliedstaat ansässig sind, ohne Zwangsmassnahmen einholen kann. Müssen die Informationen von der EAZ fedpol oder einer anderen Strafverfolgungsbehörde mittels Anfrage um Übermittlung bei einer sonstigen Behörde (bspw. Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde) oder bei Privaten eingeholt werden, dann gelten diese Informationen ebenfalls als mittelbar verfügbar. Ob ein unmittelbarer oder mittelbarer Zugriff auf die verfügbaren Informationen in einer Datenbank durch die EAZ fedpol vorhanden ist, muss einzelfallweise entsprechend dem nationalen Recht beurteilt werden.
Art. 3
Nationale Kontaktstelle
Absatz 1
Artikel 14 der Richtlinie (EU) 2023/977 verpflichtet jeden Schengen-Staat, einen SPOC einzurichten oder zu benennen, welcher den Informationsaustausch koordiniert und erleichtert. Um den Informationsaustausch optimal koordinieren zu können, erfolgt der Informationsaustausch nach diesem Gesetzesentwurf ausschliesslich über die nationale Kontaktstelle. Die Richtlinie (EU) 2023/977 sieht zwar die Möglichkeit vor, dass die Strafverfolgungsbehörden die Ersuchen anderer Schengen-Staaten auch direkt beantworten können oder dass Strafverfolgungsbehörden Ersuchen direkt an andere Strafverfolgungsbehörden oder nationale Kontaktstellen senden können. Hierzu müssten die Strafverfolgungsbehörden jedoch die Anforderungen der Richtlinie (EU) 2023/977 einhalten. Die Strafverfolgungsbehörden müssten folglich an SIENA angeschlossen sein und über eine Stelle verfügen, welche die Ersuchen entgegennimmt, verarbeitet und letztendlich in der vom ersuchenden Schengen-Staat verwendeten Sprache beantwortet. fedpol ist die nationale Kontaktstelle für den Kontakt zwischen Europol und anderen zuständigen Behörden der Schweiz (vgl. Art. 5 des Abkommens vom 24. September 2004 3¹ zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und dem Europäischen Polizeiamt). fedpol ist bereits an SIENA angeschlossen und verfügt über die notwendigen Voraussetzungen. Die zentrale Abwicklung durch die nationale Kontaktstelle erleichtert die Koordinierung des Informationsaustausches und sichert eine vollständige Qualitätskontrolle der Anfrage.
Bereits in Artikel 5 Absatz 2 SIaG wurde fedpol als zentrale Anlaufstelle benannt. fedpol stellt gemäss dieser Bestimmung jedoch gewissermassen nur einen ständig besetzten «Briefkasten» dar, welcher im Bedarfsfall durch andere Bundesstellen oder gegebenenfalls kantonale Polizeibehörden genutzt werden kann 3² . Die Strafverfolgungsbehörden sind nach geltendem Recht aber nicht verpflichtet, fedpol über den Informationsaustausch vorgängig zu informieren. Neu wird nun die nationale Kontaktstelle der Dreh- und Angelpunkt des Informationsaustausches zwischen den Strafverfolgungsbehörden der Schweiz und denjenigen der Schengen-Staaten. Sämtliche Informationsersuchen und aus eigener Initiative übermittelte Informationen der nationalen Kontaktstellen oder benannten Strafverfolgungsbehörden der anderen Schengen-Staaten gemäss dem Gesetzesentwurf müssen somit an die nationale Kontaktstelle der Schweiz übermittelt werden. Die schweizerischen Informationsersuchen und die von der Schweiz auf eigene Initiative übermittelten Informationen werden wiederum von den zuständigen Strafverfolgungsbehörden an die nationale Kontaktstelle gesendet, welche sie an die nationalen Kontaktstellen oder benannten Strafverfolgungsbehörden der Schengen-Staaten übermittelt, an die das schweizerische Informationsersuchen oder die spontan übermittelten Informationen gerichtet sind.
Absatz 2
Nationale Kontaktstelle der Schweiz ist die EAZ fedpol. Die EAZ fedpol hat die erforderlichen Aufgaben gemäss Artikel 14 Absatz 2 der Richtlinie (EU) 2023/977 zu erfüllen und ist für den Vollzug des Informationsaustausches zuständig. Sie nimmt Ersuchen entgegen, prüft, ob die von den Schengen-Staaten mit Ersuchen angeforderten Informationen zur Verhütung, Feststellung und Verfolgung einer Straftat oder mehreren Straftaten notwendig und verhältnismässig sind und ob die Begründung hinreichend klar und detailliert ist, sodass Informationen nicht aus ungerechtfertigten Gründen oder unverhältnismässig umfangreiche Mengen an Informationen bereitgestellt werden . Die EAZ fedpol überprüft die Ersuchen also auf Vollständigkeit (vgl. Erläuterungen zu Art. 6) und Zulässigkeit (vgl. Erläuterungen zu Art. 8). Diese Überprüfung bewirkt, dass auch nur Ersuchen aus anderen Schengen-Staaten an andere Behörden des Bundes oder der Kantone weitergeleitet werden, welche beantwortet werden können bzw. müssen. Da bei einer Vielzahl von Ersuchen unklar ist, welche Strafverfolgungsbehörde über Informationen verfügen könnte, eruiert die EAZ fedpol als Koordinationsstelle, wo Informationen vorhanden sind oder vorhanden sein könnten. Die EAZ fedpol leitet die Ersuchen zur Beschaffung der notwendigen Informationen an die zuständigen Strafverfolgungsbehörden weiter und koordiniert deren Bearbeitung (inkl. Monitoring des Fristenlaufs). Sie unterstützt dabei, sofern notwendig, die kantonalen Behörden auch bei der Übersetzung in die vom ersuchenden Schengen-Staat erforderliche Sprache. So kann die EAZ fedpol strukturierte Daten - also Daten, die in einem vorgegebenen Format strukturiert wurden, bevor sie in einem Informationssystem abgelegt wurden - der kantonalen Behörden für die Übermittlung an die Schengen-Staaten übersetzen. Umgekehrt kann sie auch die eingehenden Ersuchen, welche über SIENA übermittelt werden, für die kantonalen Strafverfolgungsbehörden übersetzen, bevor sie an die entsprechende Behörde zur Bearbeitung des Ersuchens weitergeleitet werden. Die für die Beantwortung des Ersuchens erhaltenen Informationen leitet sie schliesslich in der von der Richtlinie vorgegebenen Form an den ersuchenden Schengen-Staat weiter. Auch aus eigener Initiative zu übermittelnde Informationen nimmt sie von den schweizerischen Strafverfolgungsbehörden entgegen, prüft, ob die entsprechenden Voraussetzungen für die Übermittlung erfüllt sind, und leitet sie in der von der Richtlinie (EU) 2023/977 vorgegebenen Form dem interessierten Schengen-Staat weiter.
Ist für die Übermittlung von verfügbaren Informationen die Zustimmung der Bundesanwaltschaft oder des Bundesamts für Justiz notwendig, verfügt die EAZ fedpol über einen Kommunikationskanal, um die entsprechende Zustimmung rund um die Uhr einholen zu können. Die ständige Erreichbarkeit der EAZ fedpol mit den zuständigen Bundesjustizbehörden ist folglich gewährleistet. Die EAZ fedpol nutzt bereits heute diesen Kanal regelmässig beispielsweise für die Zustimmung zur Lokalisierung von Personen bei Gefahr im Verzug oder bei dringenden grenzüberschreitenden Massnahmen. Schreibt das kantonale Recht für die Übermittlung von verfügbaren Informationen eine Zustimmung durch eine kantonale Justizbehörde vor, so muss die kantonale Strafverfolgungsbehörde um die entsprechende Zustimmung ersuchen.
Wenn die EAZ fedpol Informationen auf Ersuchen hin oder auf eigene Initiative anderen Schengen-Staaten bereitstellt, prüft sie zudem, ob die Informationen in Kopie Europol zugestellt werden können. Artikel 355 a StGB bildet die gesetzliche Grundlage für die Weitergabe dieser Daten an Europol. Die Datenübermittlung an Europol darf nur unter den im Abkommen vom 24. September 2004 zwischen dem Bund und dem Europäischen Polizeiamt festgelegten Voraussetzungen stattfinden. Voraussetzung hierfür ist, dass die fraglichen Informationen Straftaten betreffen, für welche Europol ein Mandat hat (vgl. Art. 3 Verordnung (EU) 2016/794).
fedpol stellt bereits den internationalen polizeilichen Informationsaustausch mit ausländischen Partnern und internationalen Organen sicher (vgl. Art. 9 Abs. 2 Bst. f der Organisationsverordnung vom 17. November 1999 3³ für das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement). Mit der EAZ verfügt fedpol über eine zentrale Anlaufstelle, welche rund um die Uhr als SPOC für den polizeilichen Informationsaustausch zwischen In- und Ausland agiert. Die EAZ fedpol verfügt über die notwendige Infrastruktur und die erforderlichen Kenntnisse, um die Aufgaben gemäss Artikel 14 Absatz 2 der Richtlinie (EU) 2023/977 zu erfüllen. Sie hat zudem Zugriff auf zahlreiche Informationssysteme wie beispielsweise JANUS ³4 , ZEMIS ³5 und IPAS ³6 , wodurch sie den ersuchenden Strafverfolgungsbehörden die ihr direkt verfügbaren Informationen bereitstellen kann. Insbesondere betreffend Informationen zu organisierter Kriminalität und Schwerstkriminalität hat die EAZ fedpol in der Regel auch direkt Einsicht auf Informationen, welche in kantonalen Informationssystemen gespeichert sind. Hat die EAZ fedpol keinen direkten Zugriff auf die ersuchten Informationen, leitet sie Schritte ein, um verfügbare Informationen bei der Strafverfolgungsbehörde, die Zugriff auf die Informationen hat, zu beschaffen. Hierzu besteht beispielsweise die Möglichkeit über den Nationalen Polizeiindex (zukünftig: POLAP) in Erfahrung zu bringen, bei welchen Behörden Informationen zur Verfügung stehen, und anschliessend die Informationen über die informationelle Amtshilfe zu beschaffen. Die EAZ fedpol ist rund um die Uhr besetzt und kann folglich ihre Aufgaben durchgehend wahrnehmen.
Die EAZ fedpol erfüllt die Anforderungen der Richtlinie (EU) 2023/977 und wird folglich als nationale Kontaktstelle für den Informationsaustausch zwischen Strafverfolgungsbehörden der Schengen-Staaten bestimmt.
Absatz 3
Mit Artikel 13 der Richtlinie (EU) 2023/977 werden die Kommunikationswege für den Informationsaustausch verbindlich definiert. Informationen sind grundsätzlich über SIENA zwischen der Schweiz und den anderen Schengen-Staaten auszutauschen. SIENA ist die sichere Verbindungslinie für den Informationsaustausch mit Europol und den Europol-Partnerstaaten. Bisher wurden für die Übermittlung von Strafverfolgungsinformationen zwischen den Schengen-Staaten eine grosse Zahl an Kommunikationskanälen genutzt. Dadurch wurde der angemessene und rasche Austausch der Informationen behindert und die Sicherheitsrisiken für personenbezogene Daten erhöht. Durch die Vereinheitlichung des Kommunikationskanals soll diesen Problemen entgegengewirkt werden. Die EAZ fedpol ist bereits an SIENA angeschlossen und wird diesen Kanal für den Informationsaustausch nutzen. Da der Informationsaustausch über die EAZ fedpol als SPOC erfolgt, ist ein Anschluss aller vom Informationsaustausch betroffenen Strafverfolgungsbehörden an SIENA nicht notwendig. Der Austausch von Informationen zwischen den Kantonen und der EAZ erfolgt über die bestehenden Kanäle (derzeit: Secure Mail und Meldungsvermittlungssystem VULPUS-Telematik).
Absatz 4
Von der Nutzung von SIENA kann ausnahmsweise abgesehen werden, wenn der Informationsaustausch die Beteiligung von Drittstaaten oder internationalen Organisationen erfordert oder diese erforderlich werden könnte, die Dringlichkeit des Informationsersuchens die vorübergehende Nutzung eines anderen Kommunikationskanals erfordert oder ein unerwarteter technischer oder operativer Zwischenfall die Nutzung von SIENA unmöglich macht. Für den nationalen Informationsaustausch zwischen der EAZ fedpol und den zuständigen Strafverfolgungsbehörden bestehen keine Vorschriften hinsichtlich des Kommunikationskanals.
Art. 4
Datenschutz
Absatz 1
Die Übermittlung von Personendaten nach diesem Gesetz setzt voraus, dass diese richtig, vollständig und aktuell sind. Die Datenbearbeitung durch die EAZ fedpol oder andere Bundesbehörden richtet sich nach dem DSG. Gemäss Artikel 6 Absatz 5 DSG muss, wer Daten bearbeitet, sich über deren Richtigkeit vergewissern. Die Strafverfolgungsbehörde, welche auf Ersuchen oder aus eigener Initiative Informationen im Rahmen dieses Gesetzes übermitteln, ist dafür verantwortlich, dass diese Informationen richtig, vollständig und aktuell sind. Für die Bearbeitung von Daten durch kantonale und kommunale Behörden ist das jeweilige kantonale Datenschutzrecht anwendbar. Die jeweiligen kantonalen Gesetze müssen die Anforderungen der Richtlinie (EU) 2016/680 erfüllen.
Bei jeder Übermittlung von Informationen an andere Schengen-Staaten werden durch die EAZ fedpol standardmässig auch stets Elemente bereitgestellt, welche es dem empfangenden Schengen-Staat gestatten die Richtigkeit, die Vollständigkeit und die Zuverlässigkeit der personenbezogenen Daten sowie deren Aktualitätsgrad zu beurteilen. Auch im Bereich des Informationsaustausches nach diesem Gesetzesentwurf übermittelt die EAZ fedpol über SIENA die notwendigen Kontext-Informationen, um die obgenannte Datenqualität überprüfen zu können.
Absatz 2
Artikel 10 der Richtlinie (EU) 2023/977 grenzt den Umfang der Bereitstellung von personenbezogenen Daten auf Kategorien von betroffenen Personen und auf bestimmte Datenkategorien ein. Andere Daten als die in Anhang 2 Abschnitt B Nummer 2 der Verordnung (EU) 2016/794 (sog. Europol-Verordnung) aufgeführten dürfen demnach nicht übermittelt werden. Die Verordnung (EU) 2016/794 ist lediglich für die EU-Staaten verbindlich und wurde von der Schweiz nicht übernommen. Um im Sinne des Grundsatzes der Gleichbehandlung zu gewährleisten, dass keine Daten ausgetauscht werden, welche nicht auch von den EU-Staaten übermittelt werden, wird die Auflistung der personenbezogenen Informationen von Anhang 2 der Verordnung (EU) 2016/794 sinngemäss in das Gesetz aufgenommen. Der hierzu neu geschaffene Anhang 2 führt die personenbezogenen Daten, welche Gegenstand des Informationsaustauschs gemäss diesem Gesetz sein können, abschliessend auf. Die Übermittlung der Daten wird folglich abgelehnt, wenn die ersuchten Daten nicht unter die im Anhang aufgelisteten Datenkategorien fallen (vgl. Art. 8 Abs. 1 Bst. f). Die sonstigen Ablehnungsgründe nach Artikel 8 bleiben vorbehalten (vgl. Erläuterungen zu Art. 8).
Es werden stets nur diejenigen Informationen übermittelt, um die ersucht wurde und die auch von Anhang 2 erfasst sind. In jedem Gesuch muss begründet werden, inwiefern die angeforderten Informationen für die Verhütung, Feststellung und Verfolgung von Straftaten notwendig und verhältnismässig sind (vgl. Erläuterungen zu Art. 6 Abs. 2 Bst. a-f). Jedes Ersuchen muss eine Präzisierung der angeforderten Informationen enthalten, die so detailliert ist, wie dies unter den gegebenen Umständen in angemessener Weise möglich ist. Beispielsweise werden Daten, die Kontakte und Begleitpersonen betreffen (vgl. Anhang 2 Abschnitt B Nummer 7), nur übermittelt, wenn im Gesuch darum ersucht wurde und diese Informationen für die Verhütung, Feststellung oder Verfolgung einer Straftat im konkreten Fall unbedingt notwendig sind. Informationen bei denen die Notwendigkeit oder Verhältnismässigkeit in Frage stehen, werden nicht übermittelt (vgl. Art. 8 Abs. 1 Bst. c).
Absatz 3
Die Bestimmungen des StGB über die Amtshilfe im Bereich der Polizei (Art. 349 a -349 h StGB) bleiben für den Informationsaustausch zwischen den Strafverfolgungsbehörden der Schengen-Staaten massgebend. Die Artikel 349 a bis 349 h StGB setzen die Richtlinie 2016/680 um und gewährleisten einen angemessenen Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten unter dieser Richtlinie.
Mit diesem Gesetz wird kein neues Informationssystem geschaffen. Es werden die Prozesse für den Austausch vorhandener Informationen geregelt. Die anwendbaren Bestimmungen zum Datenschutz, der Datensicherheit und der Rechte der Betroffenen hinsichtlich von Daten, die in einem Informationssystem gespeichert sind, ergeben sich aus den entsprechenden rechtlichen Grundlagen des jeweiligen Informationssystems. Die Rechte der betroffenen Personen werden folglich durch die datenschutzrechtlichen Vorkehrungen für die einzelnen Informationssysteme geschützt. Werden Daten aus dem automatisierten Polizeifahndungssystem (geregelt in Art. 15 des Bundesgesetzes vom 13. Juni 2008 ³7 über die polizeilichen Informationssysteme des Bundes [BPI]) an einen anderen Schengen-Staat übermittelt, so richten sich die die Rechte der Betroffenen nach Artikel 7 BPI. Sofern sich die auszutauschenden Informationen nicht in einem Informationssystem befinden, so sind die Bestimmungen über die Rechte der Betroffenen von Artikel 25 ff. DSG oder die entsprechenden kantonalen Datenschutzbestimmungen anwendbar.
Der Datenschutz gemäss den Bestimmungen des DSG muss unabhängig den Bestimmungen des StGB sowie der Spezialgesetzgebung gewährleistet sein.
Art. 5
Informationssicherheit
Für den gesamten Informationsaustausch unter der Richtlinie (EU) 2023/977 wurden fünf Grundsätze festgelegt, welche von der Schweiz und den anderen Schengen-Staaten zu berücksichtigen sind. Die Grundsätze der Verfügbarkeit, der Gleichbehandlung (oder auch des gleichwertigen Zugangs), des Dateneigentums und der Datenzuverlässigkeit werden nicht ausdrücklich in Artikel 4 SIaG verankert, da die darin enthaltenen Normen bereits aus anderen Bestimmungen hervorgehen. Mit Artikel 4 SIaG wird der Grundsatz der Vertraulichkeit ins nationale Recht umgesetzt.
Nach dem Grundsatz der Vertraulichkeit sollen als vertraulich gekennzeichnete Informationen, welche von einer Strafverfolgungsbehörde eines anderen Schengen-Staats bereitgestellt wurden, entsprechend dem nationalen Recht in vergleichbarem Mass vertraulich behandelt werden. Die Bearbeitung richtet sich folglich nach den Bearbeitungsvorschriften der mit der Klassifizierungsstufe des Schengen-Staats äquivalenten schweizerischen Klassifizierung. Es obliegt dem übermittelnden Schengen-Staat auf die Klassifizierungsstufe angemessen hinzuweisen. Die Klassifizierungsstufe der Informationen ergibt sich in der Regel entweder aus den Bearbeitungscodes oder entsprechenden Hinweisen bei der Übermittlung von Informationen. Dies Bearbeitungscodes erlauben es den Behörden die Informationen korrekt eizuordnen und anschliessend auch korrekt zu verwalten. Die schweizerischen Behörden kennen die Klassifizierungsstufen «intern», «vertraulich» und «geheim». Bei der Bearbeitung dieser klassifizierten Informationen auf Stufe Bund sind die Bestimmungen des Bundesgesetzes über die Informationssicherheit beim Bund vom 18. Dezember 2020 ³8 (ISG) massgebend. Auf kantonaler Ebene sind diese Bestimmungen ebenfalls verbindlich, sofern die Kantone nicht eine mindestens gleichwertige Informationssicherheit gewährleisten. Diesfalls sind die kantonalen Bestimmungen massgebend. Sind übermittelte Informationen eines Schengen-Staats als «klassifiziert» gekennzeichnet und erfüllen sie die Kriterien einer gleichwertigen Klassifizierungsstufe, so haben die bearbeitenden Strafverfolgungsbehörden die entsprechend geltenden Schutzvorgaben zu beachten. Die EAZ fedpol überprüft beim Eingang klassifizierter Informationen anhand der Bearbeitungscodes, welche Klassifizierungsstufe gemäss ISG einschlägig bzw. gleichwertig ist. Die ersuchenden Strafverfolgungsbehörden erhalten schliesslich die Informationen mit dem entsprechenden Hinweis zur Klassifizierungsstufe gemäss ISG. Die ersuchenden Strafverfolgungsbehörden sorgen schliesslich dafür, dass nur diejenigen Personen den Zugang zu den klassifizierten Informationen erhalten, die Gewähr dafür bieten, dass sie damit sachgerecht umgehen und die Information zur Verhütung, Feststellung und Verfolgung der betroffenen Straftaten benötigen. Die kantonalen Strafverfolgungsbehörden richten sich hier nach den eigenen Bestimmungen, wenn die kantonalen Bestimmungen einen mindestens gleichwertige Informationssicherheit gewähren. Ansonsten sind die Bestimmungen des ISG einschlägig.
Für die Übrigen unter der Richtlinie (EU) 2023/977 geltenden Grundsätze bedarf es keines eigenständigen Artikels, da sie bereits im nationalen Recht verankert sind oder aus den sonstigen Bestimmungen des Gesetzesentwurfs hervorgehen.
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Nach dem Grundsatz der Verfügbarkeit sind die Informationen, welche den nationalen Strafverfolgungsbehörden zur Verfügung stehen, so weit wie möglich auch der zentralen Kontaktstelle oder den zuständigen Strafverfolgungsbehörden der anderen Schengen-Staaten zur Verfügung zu stellen. Demnach stellt die Schweiz Informationen zur Verfügung, die in Übereinstimmung mit ihren innerstaatlichen Rechtsvorschriften eingeholt, gespeichert und an Strafverfolgungsbehörden zum Zwecke der Verhütung, Feststellung und Verfolgung von Straftaten übermittelt werden können. Der Grundsatz der Verfügbarkeit geht aus dem Geltungsbereich von Artikel 1 Absatz 1 und der Definition verfügbarer Informationen in Artikel 2 Absatz 1 Buchstabe d des Gesetzesentwurfs hervor. Die schweizerischen Strafverfolgungsbehörden tauschen diejenigen Informationen mit den Strafverfolgungsbehörden der Schengen-Staaten aus, welche bei einer schweizerischen Strafverfolgungsbehörde gespeichert und zum Zweck der Verhütung, Feststellung und Verfolgung von Straftaten relevant sind. Die Bestimmungen über die Ablehnungsgründe bleiben vorbehalten. Verfügbar sind Informationen, wenn sie bei den entsprechenden Behörden bereits in einem Informationssystem vorhanden sind, unabhängig davon, ob sie ursprünglich mit oder ohne Zwangsmassnahmen beschafft worden sind, und auf die ohne Zwangsmassnahmen zugegriffen werden kann. Die Richtlinie (EU) 2023/977 begründet keine Verpflichtung neue, zusätzliche Informationen für den Austausch mit den Schengen-Staaten zu beschaffen.
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Der Grundsatz der Gleichbehandlung wurde bereits mit dem Rahmenbeschluss 2006/960/JI (vgl. Art. 6 SIaG) und später bei der Umsetzung von Artikel 9 Absatz 3 und 4 der Richtlinie (EU) 2016/680 (vgl. Artikel 349 b StGB) ins nationale Recht eingeführt. Dieser Grundsatz sieht vor, dass die Bedingungen, unter denen mit Strafverfolgungsbehörden anderer Schengen-Staaten Informationen ausgetauscht werden, nicht strenger sein dürfen als diejenigen, die im innerstaatlichen Informationsaustausch gelten. Der Informationsaustausch mit einer zuständigen Strafverfolgungsbehörde eines Schengen-Staates wird durch diesen Grundsatz dem innerstaatlichen Austausch zwischen schweizerischen Strafverfolgungsbehörden gleichgesetzt. Das nationale Recht bleibt folglich für den Austausch von Informationen massgebend. Das nationale Recht bestimmt also, welche Informationen unter welchen Voraussetzungen ausgetauscht werden können, wobei auch die nationalen Grundsätze des Datenschutzes anwendbar bleiben. Mit Artikel 349 b StGB ist der Grundsatz der Gleichbehandlung im nationalen Recht bereits verankert.
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Der Grundsatz des Dateneigentums besagt, dass die Strafverfolgungsbehörden Informationen, welche ursprünglich von einem anderen Schengen-Staat oder einem Drittstaat stammen, nur mit dessen Zustimmung und unter den von ihm festgelegten Voraussetzungen für die Verwendung der Informationen einem anderen Schengen-Staat oder Drittstatt zur Verfügung stellen dürfen. Wurde diese Zustimmung nicht bei der Übermittlung der entsprechenden Informationen erteilt, so muss der betreffende Staat vor der Weitergabe ausdrücklich um Zustimmung ersucht werden. Dieser Grundsatz geht bereits aus Artikel 349 d StGB hervor, welcher die Bekanntgabe von Personendaten aus einem Schengen-Staat an einen Drittstaat oder an ein internationales Organ regelt. Artikel 349 d StGB sieht jedoch in Absatz 2 eine Ausnahme vor, wonach Informationen dennoch bekannt gegeben werden dürfen, wenn die Zustimmung des Schengen-Staats nicht rechtzeitig eingeholt werden kann und die Bekanntgabe zur Abwehr einer unmittelbar drohenden ernsthaften Gefahr für die öffentliche Sicherheit eines Schengen-Staats oder eines Drittstaates oder zur Wahrung der wesentlichen Interessen eines Schengen-Staats unerlässlich ist. Da die Grundsätze als Richtschnur für die Auslegung und Anwendung der Richtlinie dienen, bleibt die Ausnahmebestimmung von Artikel 349 d Absatz 2 StGB, welche mit der Umsetzung von Artikel 35 der Richtlinie (EU) 2016/680 im nationalen Recht verankert wurde, davon unberührt.
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Gemäss dem Grundsatz der Datenzuverlässigkeit haben die nationalen Strafverfolgungsbehörden angemessene Massnahmen zu treffen, damit personenbezogene Daten, welche sich als unrichtig, unvollständig oder nicht mehr aktuell erweisen und die im Hinblick auf den Zweck ihrer Beschaffung oder Bearbeitung unrichtig oder unvollständig sind, gelöscht oder vernichtet werden. Mit Artikel 349 f StGB besteht bereits eine rechtliche Grundlage, in welcher dieser Grundsatz verankert ist. Demnach haben die zuständigen Strafverfolgungsbehörden unrichtige Personendaten zu berichtigen und die Behörde, welche diese Daten übermittelt, bekannt gegeben oder zur Verfügung gestellt hat, unverzüglich zu benachrichtigen. Der Empfänger von Personendaten muss zudem über die Aktualität und die Zuverlässigkeit der Daten informiert werden. Unabhängig von den obgenannten Grundsätzen muss die Datensicherheit nach Artikel 8 DSG gewährleistet sein.
Art. 6
Ersuchen aus anderen Schengen-Staaten
Absatz 1
Der ersuchende Schengen-Staat muss sein Ersuchen in einer der drei schweizerischen Amtssprachen oder in Englisch stellen. Erfüllt das Ersuchen dieses Kriterium nicht, so teilt die EAZ fedpol dies der ersuchenden nationalen Kontaktstelle oder der benannten Strafverfolgungsbehörde schriftlich unverzüglich mit und gibt ihr Gelegenheit, das Ersuchen anzupassen. Sofern auch nach erfolgter Aufforderung das Ersuchen nicht in einer die vorgegebenen Sprachen vorliegt, stellt dies einen Ablehnungsgrund gemäss Artikel 8 dar, womit das Ersuchen abgelehnt werden muss.
Absatz 2
Buchstaben a-f
Damit gewährleistet werden kann, dass die angeforderten Informationen für das Erreichen der Ziele der Richtlinie (EU) 2023/977 notwendig und verhältnismässig sind, müssen die Ersuchen detaillierte Informationen enthalten. Anhand dieser Angaben hat der ersuchende Schengen-Staat die voraussichtliche Erheblichkeit der Informationen zu belegen. Diese Bestimmung ist darauf ausgelegt, dass ausschliesslich sachdienliche Informationen zum Zwecke der Verhütung, Feststellung und Verfolgung von Straftaten übermittelt werden. Dadurch wird sichergestellt, dass Informationen nicht auf ungerechtfertigte Weise oder in unverhältnismässigen Mengen bereitgestellt werden. Demnach bietet die Bestimmung keine rechtliche Grundlage für Informationsanfragen, die für die Strafverfolgung einer bestimmten Person nicht relevant sind. Auch «Fishing Expeditions» - mit einem Ersuchen wird bewusst nach Informationen gesucht, die mit dem Tatverdacht in keinerlei Zusammenhang stehen - können dadurch verhindert werden.
Buchstabe g
Soll ein Informationsersuchen als «dringend» behandelt werden, hat der ersuchende Schengen-Staat dies in seinem Ersuchen auszuweisen und entsprechend zu begründen. Ein Informationsersuchen gilt als dringend, wenn objektive Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die angeforderten Informationen:
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zur Abwehr einer unmittelbaren und ernsthaften Gefahr für die öffentliche Sicherheit eines Schengen-Staats unerlässlich sind (Ziff. 1);
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erforderlich sind, um eine unmittelbare Gefahr für das Leben oder die körperliche Unversehrtheit einer Person abzuwenden (Ziff. 2);
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erforderlich für den Erlass eines Beschlusses sind, der die Aufrechterhaltung restriktiver Massnahmen bis hin zu einem Freiheitsentzug umfassen könnten (Ziff. 3); oder
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an Relevanz verlieren, wenn sie nicht umgehend zur Verfügung gestellt werden und die Informationen als wichtig für die Verhütung, Feststellung oder Verfolgung von Straftaten anzusehen sind (Ziff. 4).
Um zu vermeiden, dass eine Vielzahl als dringend deklarierte Ersuchen das System des vereinfachten Informationsaustauschs behindern, ist der Begriff der Dringlichkeit restriktiv auszulegen. Entsprechende Ersuchen müssen ausgewogen und sachlich verfasst sein. Wie dringend eine Angelegenheit und das Ersuchen sind, muss von Fall zu Fall und unter Würdigung aller im Ersuchen dargelegten Gesichtspunkte durch die EAZ fedpol beurteilt werden. Die EAZ fedpol bezieht im Bedarfsfall andere Behörden für die Beurteilung der Dringlichkeit bei. Bei Entführungen und Geiselnahmen, vermissten Personen - wobei das Schlimmste zu befürchten ist - oder bei Personen, welche unter Terrorverdacht stehen und ansonsten untertauchen könnten, ist die Dringlichkeit naheliegend. Das Bestehen von Anhaltspunkten, dass für eine Beschuldigte Person eine freiheitsentziehende Massnahme in Frage kommt, genügt für sich jedoch nicht, um ein dringliches Ersuchen zu begründen. Vielmehr muss in diesem Zusammenhang begründet werden, weshalb die dringlich eingeforderten Informationen zum Schutz der Öffentlichkeit oder der Verhinderung einer Straftat gegen Leib und Leben dienlich sein sollen.
Absatz 3
Die EAZ fedpol prüft, ob die eingehenden Ersuchen die Anforderungen erfüllen und ob für die angeforderten Informationen für den beschriebenen Zweck notwendig und verhältnismässig sind. Sind die Voraussetzungen nicht erfüllt so teilt die EAZ fedpol dies dem ersuchenden Schengen-Staat mit und gibt ihm die Gelegenheit das Ersuchen zu ergänzen. Genügt das Ersuchen auch nach dieser Mitteilung den Anforderungen nicht, so muss das Gesuch abgelehnt werden (vgl. Art. 8).
Art. 7
Beantwortung
Absatz 1
Die EAZ fedpol hat die an sie gerichteten Ersuchen innert den Fristen gemäss Artikel 9 zu beantworten. Sie beantwortet das Ersuchen in der Sprache, in welcher es gestellt wurde. Nimmt die EAZ fedpol ein Ersuchen entgegen, welches weder in einer schweizerischen Amtssprache noch in Englisch verfasst ist, so weist sie das Ersuchen zurück und macht die ersuchende Behörde des Schengen-Staats darauf aufmerksam, in welcher Sprache das Ersuchen zu erfolgen hat. Die EAZ fedpol weist die ersuchende Behörde zudem auf allfällige Verwendungsbeschränkungen hin, u. a. die Beschränkung auf die Verwendung der zur Verfügung gestellten Informationen ausschliesslich zu Ermittlungs-, nicht jedoch zu Beweiszwecken.
Die EAZ fedpol prüft, ob die ersuchten Informationen verfügbar sind und zur Verfügung gestellt werden können. Kann sie aufgrund ihrer bestehenden Zugriffsrechte nicht auf diese Informationen zum Zwecke der Weitergabe an den ersuchenden Schengen-Staat zugreifen, ruft sie die für die Weitergabe der Daten zuständigen Behörde an (vgl. Art. 10). Die EAZ fedpol übersetzt die für die Beantwortung des Ersuchens notwendigen Informationen, soweit es sich dabei um Datenformate handelt, deren Übersetzung innert den kurzen Fristen machbar ist, in die Sprache in der das Ersuchen gestellt wurde. Übersetzungen von Inhalten in Bild- oder PDF-Dateien werden nicht übersetzt.
Der Verfahrensablauf bei der Beantwortung von Informationsersuchen ändert sich im Vergleich mit der bisherigen Praxis nicht. Erhält die EAZ fedpol ein Ersuchen, so prüft sie, ob die um Information ersuchende Behörde befugt ist, ein Ersuchen zu stellen. Die Ersuchen werden auf Vollständigkeit und Zulässigkeit überprüft (vgl. Erläuterungen zu Art. 3). Anschliessend wird ermittelt, wo entsprechende Informationen verfügbar sein könnten. Wenn die EAZ fedpol feststellt, dass sie auf die notwendigen Informationen unmittelbar zugreifen kann und die entsprechenden Informationen übermitteln darf, so beantwortet sie das Ersuchen ohne Zutun von anderen Behörden. Sofern ihr die Informationen nicht direkt zugänglich sind, so leitet sie das Ersuchen der zuständigen Strafverfolgungsbehörde zur Beantwortung weiter. Die zuständige Strafverfolgungsbehörde prüft das Ersuchen und übermittelt der EAZ fedpol die für die Beantwortung des Ersuchens notwendigen Informationen, sofern diese verfügbar sind und ausgetauscht werden dürfen. Anschliessend übermittelt sie die Informationen über SIENA der ersuchenden Behörde und weist auf allfällige Verwendungsbeschränkungen hin.
Absatz 2
Die schweizerischen Strafverfolgungsbehörden oder die EAZ fedpol können die Beantwortung von Ersuchen verweigern, wenn einer der in Artikel 8 aufgezählten Ablehnungsgründe vorliegt. Wird das Ersuchen durch eine Strafverfolgungsbehörde abgelehnt, so informiert diese die EAZ fedpol mit entsprechender Begründung über den Grund der Ablehnung. Die ersuchende Behörde des Schengen-Staats wird anschliessend von der EAZ fedpol innert der Frist nach Artikel 9 über die Ablehnung mit der entsprechenden Begründung in Kenntnis gesetzt.
Absatz 3
Beantwortet die EAZ fedpol ein Ersuchen einer benannten Strafverfolgungsbehörde, welche befugt ist eigenständige Ersuchen an nationale Kontaktstellen anderer Schengen-Staaten zu stellen, so übermittelt sie die verfügbaren Informationen in Kopie auch der nationalen Kontaktstelle jenes Schengen-Staates. Von der Übermittlung der Informationen in Kopie an die nationale Kontaktstelle kann abgesehen werden, wenn dadurch hochsensible Ermittlungen gefährdet würden, deren Informationen einer angemessenen Vertraulichkeit bedürfen. Eine Kopie an eine nationale Kontaktstelle kann auch unterbleiben, wenn die Sicherheit von Personen dadurch gefährdet würde. Die EAZ fedpol entscheidet selbstständig oder auf Hinweis der datenübermittelnden Schweizerischen Strafverfolgungsbehörde über die Übermittlung der Informationen in Kopie an die nationale Kontaktstelle der ersuchenden benannten Strafverfolgungsbehörde.
Art. 8
Ablehnungsgründe
Im Vergleich zum Rahmenbeschluss 2006/360/JI wurden mit Artikel 6 der Richtlinie (EU) 2023/977 die Ablehnungsgründe präzisiert und erweitert. Die Ablehnungsgründe wurden bisher in Artikel 12 SIaG aufgelistet und in zwei Kategorien aufgeteilt. Diese Aufteilung wird im Änderungserlass nicht mehr vorgenommen. Artikel 6 der Richtlinie (EU) 2023/977 legt die entsprechenden Ablehnungsgründe fest und trifft keine entsprechende Unterscheidung
Um die Anwendung des Gesetzes zu erleichtern, werden sämtliche Ablehnungsgründe, welche sich aus der Richtlinie (EU) 2023/977 hervorgehen, aufgeführt, obschon diese sich teilweise auch aus den anwendbaren Grundsätzen oder dem Geltungsbereich des Gesetzes ergeben.
Absatz 1
Buchstabe a
Das Ersuchen muss die Anforderungen von Artikel 6 Absatz 2 erfüllen. Anhand der Angaben muss es der EAZ fedpol möglich sein zu beurteilen, ob über diese Person Informationen verfügbar sind und diese im Einklang mit dem nationalen Recht zweckgemäss weitergegeben werden dürfen. Kommt die EAZ fedpol zum Schluss, dass eine Beurteilung des Ersuchens aufgrund mangelhafter Angaben auch nach verlangter Präzisierung nicht möglich ist, so lehnt die EAZ fedpol die Übermittlung von Informationen ab.
Buchstabe b-d
Die Übermittlung von Informationen muss abgelehnt werden, wenn wesentliche Sicherheitsinteressen (bspw. Schutz der Bevölkerung vor Bedrohungen und Gefahren, Beachtung von völkerrechtlichen Verpflichtungen) beschnitten würden, der Erfolg laufender Ermittlungen gefährdet würde oder wenn die verlangten Informationen weder sachdienlich noch erforderlich zu sein scheinen. Ob wesentliche Sicherheitsinteressen bestehen, stellt die EAZ fedpol in Absprache mit den für den Informationsaustausch involvierten Behörden fest. Wird ein Ersuchen von der EAZ fedpol an eine zuständige Strafverfolgungsbehörde zur Beantwortung weitergeleitet und stellt diese das Vorliegen solcher wesentlichen Sicherheitsinteressen fest, so teilt sie dies der EAZ fedpol unverzüglich mit.
Um die missbräuchliche Verwendung von Informationen zur Verhütung oder Verfolgung von Straftaten zu verhindern, muss der Austausch von Informationen notwendig und verhältnismässig sein. Sind diese Kriterien nicht erfüllt, so wird das Ersuchen abgelehnt.
Buchstabe e
Ein Ersuchen muss abgelehnt werden, wenn dadurch den geschützten wichtigen Interessen einer juristischen Person ungebührlich geschadet würde ³9 . Wenn also die Interessen der juristischen Person durch innerstaatliches Recht geschützt und die Voraussetzungen für den Austausch solcher Informationen nicht gegeben sind bzw. die Übermittlung der Informationen ihr ungebührlich schaden würde, wird das Informationsersuchen abgelehnt.
Buchstabe f
Die Übermittlung von Informationen wird durch Artikel 10 der Richtlinie (EU) 2023/977 eingeschränkt. Demnach dürfen nur personenbezogene Daten zu Personen übermittelt werden, die einer Straftat oder der Beteiligung an einer Straftat verdächtigt werden oder wegen einer solchen Straftat verurteilt worden sind, oder wenn faktische Anhaltspunkte oder triftige Gründe dafür vorliegen, dass sie eine Straftat begehen werden. Von diesen Personen dürfen nur Personendaten übermittelt werden, die den Datenkategorien entsprechen, welche in Anhang 2 aufgelistet sind.
Buchstabe g
Die erhaltenen Informationen dürfen ausschliesslich zu Ermittlungszwecken verwendet werden. Das Ersuchen muss gemäss Artikel 6 Absatz 2 des Gesetzesentwurfs eine Beschreibung des Zwecks, zu dem die Informationen angefordert werden, enthalten. Geht aus der Beschreibung oder den Umständen hervor, dass die Informationen mit der Absicht angefordert, werden diese vor Gericht als Beweismittel zu verwenden, so wird das Ersuchen abgelehnt. Will ein Schengen-Staat die Informationen als Beweismittel zum Zweck des Beantragens, Begründens oder Aussprechens eines Endentscheids verwenden, so hat er die Einwilligung der Schweiz nach den geltenden Regeln der internationalen Rechtshilfe in Strafsachen einzuholen. Werden Informationen an einen anderen Schengen-Staat übermittelt, so wird generell auf den entsprechenden Verwendungsvorbehalt hingewiesen.
Buchstabe h und i
Ein Informationsersuchen muss nur beantwortet werden, wenn es in Zusammenhang mit einer strafbaren Handlung steht, die nach schweizerischem Recht (StGB und Nebenstrafrecht) mit einer Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr bedroht ist. Das StGB unterteilt strafbare Handlungen in die drei Klassen Übertretung, Vergehen und Verbrechen. Das Kriterium der Klassifizierung ist die angedrohte Höchststrafe. Vergehen sind diejenigen strafbaren Handlungen, die mit einer Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bedroht sind (Art. 10 Abs. 3 StGB). Als Verbrechen gelten strafbare Handlungen, die mit einer Freiheitsstrafe von mehr als drei Jahren bedroht sind (Art. 10 Abs. 2 StGB). Übertretungen sind strafbare Handlungen die mit Busse bedroht sind (Art. 103 StGB). Ein Informationsersuchen wird folglich nur für Vergehen, die mit einer Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr bedroht sind, und Verbrechen beantwortet. Informationsersuchen zu Vergehen die mit einer Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr 4⁰ oder nur mit Geldstrafe 4¹ bedroht sind, müssen durch die nationale Kontaktstelle abgelehnt werden.
Bezieht sich das Informationsersuchen auf eine Straftat, die nach schweizerischem Recht keine Straftat darstellt, so wird das Ersuchen ebenfalls abgelehnt.
Buchstabe j
Informationen die ursprünglich von einem anderen Schengen-Staat oder Drittstaat erlangt wurden, dürfen nur dann einem anderen Schengen-Staat zur Verfügung gestellt werden, wenn der Schengen-Staat oder Drittstaat, welcher die Informationen ursprünglich übermittelt hat, dieser Bereitstellung zugestimmt hat. Vorbehalten bleibt die Ausnahmebestimmung gemäss Artikel 349 d Absatz 2 StGB.
Buchstabe k
Bedarf es für den Zugang von Informationen der Genehmigung einer Justizbehörde und wurde diese Genehmigung nicht erteilt, so muss das Informationsersuchen abgelehnt werden.
Müssen die Informationen noch erlangt werden, so wird der ersuchende Schengen-Staat auf den Rechtshilfeweg verwiesen. Eine Genehmigung durch eine Justizbehörde ist beispielsweise notwendig für Dokumente zu Telefonüberwachungen, Dokumente zu Tatortermittlungen, Einkommens- und Vermögensinformationen, Passagier- und Frachtenlisten von Beförderungsunternehmen oder medizinische Akten 4² .
Buchstabe l
Die zuständigen Strafverfolgungsbehörden berichtigen unrichtige Personendaten und informieren über die Berichtigung den Übermittler wie auch den Empfänger dieser Daten unverzüglich (vgl. Art. 349 f StGB). Unrichtige oder unvollständige Informationen die dem Grundsatz der Richtigkeit widersprechen, dürfen nicht übermittelt werden. Folglich muss ein Informationsersuchen abgelehnt werden, wenn die angeforderten Informationen sich als unrichtig, unvollständig oder nicht mehr aktuell erwiesen haben.
Buchstabe m
Die Richtlinie (EU) 2023/977 verpflichtet die Schweiz nicht zur Beschaffung von Informationen durch Zwangsmassnahmen. Ein Informationsersuchen muss abgelehnt werden, wenn für seine Beantwortung auf Zwangsmassnahmen zurückgegriffen werden müsste, um die gewünschten Informationen zu erheben. Unter Zwangsmassnahmen sind Massnahmen zu verstehen, die in die Freiheit des Einzelnen eingreifen und die von den Polizei- und Rechtspflegeorganen ergriffen werden, um die zur Erforschung der Wahrheit erforderlichen Beweise zu beschaffen und zu erhalten sowie Massnahmen, die ergriffen werden, um die Durchführung des Strafprozesses und den späteren Vollzug des Urteils sicherzustellen. Solche Informationsersuchen sind auf den Rechtshilfeweg zu verweisen. Dieser zwingende Ablehnungsgrund geht auch aus dem Grundsatz der Verfügbarkeit hervor (vgl. Ausführungen zu Art. 5).
Die Behörden unterstehen nationalem Recht, das bestimmt, welche Informationen unter welchen Voraussetzungen zwischen welchen Strafverfolgungsbehörden der Schengen-Staaten ausgetauscht werden können. Informationen werden weiterhin nach Massgabe der heute bestehenden nationalen Bestimmungen ausgetauscht. Die Schweiz stellt nur Informationen zur Verfügung, die in Übereinstimmung mit ihren innerstaatlichen Rechtsvorschriften eingeholt, gespeichert und übermittelt werden dürfen. Das Informationsersuchen muss auch abgelehnt werden, wenn die ersuchten Informationen durch das innerstaatliche Recht geschützt sind, wobei der Grundsatz der Gleichbehandlung beachtet werden muss (vgl. Erläuterungen zu Art. 5). Artikel 1 Absatz 2 Buchstabe a dieses Gesetzes behält das IRSG vor, dessen Artikel 75 a explizit regelt, welche Informationen nicht auf dem polizeilichen Weg herausgegeben werden dürfen, sondern der Übermittlung über den Rechtshilfeweg zwischen Justizbehörden vorbehalten sind. Handelt es sich bei den Informationen, um die ersucht wird, um solche, die unter Anwendung prozessualen Zwangs erhoben wurden oder neu beschafft werden müssten, muss das Ersuchen abgelehnt werden und wird der ersuchende Schengen-Staat auf den Rechtshilfeweg verwiesen. Dies gilt etwa für Bankunterlagen.
Buchstabe n
Wenn die angeforderten Informationen den Strafverfolgungsbehörden nicht zur Verfügung stehen, muss das Gesuch diesbezüglich abgelehnt werden.
Absatz 2
Die Ablehnung eines Informationsersuchens kann auf einzelne Teilgehalte eines Informationsersuchens beschränkt sein, während andere Informationsgehalte dieses Ersuchens gegebenenfalls beantwortet werden können. Die Informationen die nach diesem Gesetz ausgetauscht werden dürfen, werden fristgerecht dem ersuchenden Schengen-Staat übermittelt.
Art. 9
Frist
en
Absatz 1 und 2
Die Frist für die Beantwortung von Informationsersuchen richtet sich einerseits danach, ob die Informationen, um die ersucht wird, unmittelbar oder mittelbar zugänglich sind, und andererseits danach, ob das Ersuchen dringlich oder nicht dringlich ist. Wie bereits nach geltendem Recht sind dringliche Ersuchen innert 8 Stunden zu beantworten, wenn die ersuchten Informationen unmittelbar verfügbar sind (vgl. Art. 11 Abs. 1 SIaG). Informationen zu dringlichen Ersuchen die nur mittelbar verfügbar sind, müssen innert 3 Kalendertagen beantworten werden. Nicht dringliche Ersuchen sind innert 7 Kalendertagen zu beantworten. Die EAZ fedpol beurteilt als nationale Kontaktstelle, ob die Dringlichkeit des Ersuchens begründet ist. Die Dringlichkeit ist im Einzelfall unter Würdigung aller im Ersuchen dargelegten Gesichtspunkte zu beurteilen. Der Begriff der Dringlichkeit wird dabei restriktiv ausgelegt, damit nicht zahlreiche als dringlich deklarierte Ersuchen das System des vereinfachten Informationsaustauschs behindern (vgl. Erläuterungen zu Art. 6 Abs. 2 Bst. g).
Ob Informationen unmittelbar oder mittelbar verfügbar sind, hängt vom Zugriff auf die entsprechenden Informationen ab (vgl. Erläuterungen zu Art. 2 Abs, 1 Bst. d Ziff. 1 und 2).
In der Praxis werden die Informationsersuchen von der nationalen Kontaktstelle oder den benannten Strafverfolgungsbehörden der anderen Schengen-Staaten an die EAZ fedpol übermittelt. Diese überprüft die Ersuchen auf Vollständigkeit und Zulässigkeit und eruiert, welche der angeforderten Informationen aus welchen Datenbanken zur Verfügung gestellt werden können und ob das Ersuchen dringlich ist. Ist ein Ersuchen begründet, so übermittelt die EAZ fedpol diejenigen Informationen, welche ihr nach nationalem Recht unmittelbar zugänglich sind und zum Zweck der Verhütung, Feststellung und Verfolgung von Straftaten bereitgestellt werden können, der nationalen Kontaktstelle des ersuchenden Schengen-Staats, innert der vorgegebenen Frist (8 Stunden bei dringenden Ersuchen). Für die Bereitstellung von Informationen, auf welche die EAZ fedpol keinen unmittelbaren oder unvollständigen Zugriff hat, leitet sie das Informationsersuchen an die zuständige Strafverfolgungsbehörde des Bundes oder in den Kantonen weiter. Zur fristgerechten Beantwortung - 3 Kalendertage bei dringenden Ersuchen und 7 Kalendertage bei nicht dringenden Ersuchen - stellt die EAZ fedpol der zuständigen Strafverfolgungsbehörde eine entsprechende Frist. Innert dieser Frist stellt die zuständige Strafverfolgungsbehörde der EAZ fedpol die ihr verfügbaren Informationen bereit, welche anschliessend das Ersuchen beantwortet und die mittelbar verfügbaren Informationen übermittelt. Dringliche Ersuchen, welche Informationen von kantonalen Strafverfolgungsbehörden betreffen, stellen die EAZ fedpol und die kantonalen Strafverfolgungsbehörden aufgrund der kurzen Frist von 3 Kalendertagen vor besondere Herausforderungen, und die Bearbeitung zieht einen grossen Aufwand nach sich. Aus diesen Gründen werden auch erhöhte Anforderungen an die Dringlichkeit gestellt (vgl. Erläuterungen zu Art. 6 Abs. 2 Bst. g).
Erweist es sich als unmöglich, das Informationsersuchen fristgerecht zu beantworten, unterrichtet die EAZ fedpol den ersuchenden Schengen-Staat über die Verzögerung und teilt mit, innert welcher Frist mit einer Antwort gerechnet werden kann.
Absatz 3
Die Frist für die Beantwortung steht still, wenn das Informationsersuchen nicht den inhaltlichen Anforderungen entspricht und deshalb für die Beantwortung eines Informationsersuchens Präzisierungen angefordert wurden.
Absatz 4
Dürfen angeforderte Informationen nach nationalem Recht erst nach Einholung einer richterlichen Genehmigung zur Verfügung gestellt werden, so kann von den vorgegebenen Fristen abgewichen werden. Diesfalls hat die EAZ fedpol die nationale Kontaktstelle oder benannte Strafverfolgungsbehörde des ersuchenden Schengen-Staats über die Gründe und die erwartete Verzögerung zu unterrichten. Ist die Zustimmung einer Justizbehörde für den Austausch der Informationen notwendig, so fordert die EAZ fedpol die Zustimmung via die zuständige Strafverfolgungs- oder Justizbehörde von Amtes wegen an. Die Zustimmung ist beispielsweise bei Informationen zu einem laufenden Strafverfahren notwendig.
Art. 10
Beschaffung von Informationen
Absatz 1
Damit die EAZ fedpol als nationale Kontaktstelle die Informationsersuchen fristgerecht beantworten kann, müssen die zuständigen Strafverfolgungsbehörden des Bundes und der Kantone ihr die hierzu verfügbaren Informationen bereitstellen, soweit die rechtlichen Grundlagen hierfür vorhanden sind (vgl. Erläuterungen zu Art. 10 Abs. 3). Die von der EAZ fedpol angerufenen Strafverfolgungsbehörden übermitteln ihr diejenigen Informationen, die sie nach schweizerischem Recht auch an andere Strafverfolgungsbehörden zum Zweck der Verhütung, Feststellung und Verfolgung von Straftaten übermitteln dürfen. Hierzu eruiert die EAZ fedpol soweit möglich über die vorhandenen Mittel (bspw. SuissePol-Index), welche Strafverfolgungsbehörde über die ersuchten Informationen verfügt, und ersucht diese um Zustellung der notwendigen Informationen. Sofern ein Ersuchen Informationen betrifft, deren Verwendung eingeschränkt ist - beispielsweise aufgrund laufender verdeckter Ermittlungen -, so teilt dies die datenliefernde Strafverfolgungsbehörde der EAZ fedpol mit. Bei der Beantwortung des Ersuchens wird die ersuchende Strafverfolgungsbehörde über die Verwendungsbeschränkung informiert.
Absatz 2
Die EAZ fedpol übermittelt den zuständigen Strafverfolgungsbehörden das Ersuchen und setzt für die Übermittlung der ersuchten Informationen eine Frist. Befinden sich die Informationen in kantonalen Informationssystemen, auf welche die EAZ fedpol keinen direkten Zugriff hat, beträgt die Frist für die Beantwortung der Informationsersuchen für dringende Ersuchen 3 Kalendertage und für nicht dringende Ersuchen 7 Kalendertage (vgl. Art. 9). Innert diesen Fristen muss der nationale Austausch der Informationen und die Beantwortung des Ersuchens erfolgen. Aufgrund der kurzen Fristen von Artikel 9 müssen die zuständigen Strafverfolgungsbehörden die notwendigen Massnahmen treffen, um die ersuchten Informationen rasch der EAZ fedpol zur Verfügung stellen zu können. Sind die Informationen für die EAZ fedpol unmittelbar verfügbar, so kann diese das Ersuchen direkt ohne Zutun der zuständigen Strafverfolgungsbehörden beantworten.
Absatz 3
Um die Richtlinie (EU) 2023/977 umsetzen zu können, bedarf es einer rechtlichen Grundlage, welche die Bereitstellung von verfügbaren Informationen durch die zuständigen Strafverfolgungsbehörden an die EAZ fedpol zur Beantwortung von Ersuchen ermöglicht. Hierzu müssen die notwendigen rechtlichen Grundlagen geschaffen werden. Ob diese rechtlichen Grundlagen auf Bundesebene oder auf kantonaler Ebene geschaffen werden müssen, ist von den betroffenen Informationen bzw. Daten abhängig. Es muss danach unterschieden werden, welche Arten von Informationen übermittelt werden müssen. Folgende Arten von Informationen können von der Übermittlung zur Verhütung, Feststellung und Verfolgung von Straftaten betroffen sein:
-
Kriminalpolizeiliche Daten: Diese Informationen dienen zur Erkennung und Verfolgung von Straftaten im Sinne von Vorfeldermittlungen/Vorermittlungen;
-
Gerichtspolizeiliche Daten: Diese Informationen dienen der Verfolgung von Straftaten im Rahmen eines polizeilichen Ermittlungsverfahrens gestützt auf die StPO. Ein polizeiliches Ermittlungsverfahren wird eröffnet sobald ein hinreichender Tatbestand besteht (Art. 306 StPO). Die Eröffnung eines polizeilichen Ermittlungsverfahrens bedeutet den Übergang von kriminalpolizeilichen zu gerichtspolizeilichen Daten;
-
Sicherheitspolizeiliche Daten: Diese Informationen dienen der Gefahrenabwehr und Aufrechterhaltung von Sicherheit und Ordnung im öffentlichen Raum.
Der Bund kann nur jene Aufgaben erfüllen, die ihm die Schweizerische Bundesverfassung zuweist (Art. 3 und 42 Abs. 1 BV 4³ ). Der Bund kann demnach nur dann selber die Rechtsgrundlagen für den Austausch der Informationen zwischen der EAZ fedpol und den zuständigen Strafverfolgungsbehörden schaffen, wenn ihm in diesem Bereich eine Gesetzgebungskompetenz zukommt. Der Bund kann Polizeirecht erlassen, soweit es sich um Aufgaben handelt, die mit der Strafverfolgung im Rahmen der Bundesgerichtsbarkeit so eng verknüpft sind, dass sie auf Artikel 123 Absatz 1 BV abgestützt werden können. Gestützt auf diese Grundlage hat der Bund die StPO erlassen. Da sich die gerichtspolizeiliche Tätigkeit der Kantone auf die StPO stützt, kann Artikel 123 BV als Grundlage für eine Bundesregelung der polizeilichen Datenabfrage herangezogen werden, soweit gerichtspolizeiliche Daten betroffen sind; also Daten, welche die Kantone bei der Strafverfolgung konkreter Delikte gestützt auf die Strafprozessordnung bearbeiten. Hinsichtlich der kriminalpolizeilichen Daten sowie von sicherheitspolizeilichen Daten , die gestützt auf kantonale Polizeigesetze bearbeitet werden, kommt dem Bund hingegen keine Rechtsetzungskompetenz zu 4⁴ . Soweit also zu regeln ist, mit welchen Mitteln Straftaten verhindert werden können oder ihre erst mögliche Begehung festgestellt werden kann, beschlägt dies das Polizeirecht, zu dessen Erlass die Kantone zuständig sind ⁴5 . Ein grosser Teil der kantonalen Polizeidaten sind sicherheitspolizeiliche Daten sowie kriminalpolizeiliche Daten aus Vorermittlungen.
Die Verpflichtung zum Austausch polizeilicher Informationen gemäss diesem Artikel ist also für die Kantone insoweit verbindlich, als die vom Informationsaustausch erfassten Tatbestände der Bundesgerichtsbarkeit unterstehen (insbesondere Art. 23 und 24 StPO) oder Informationen im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens (Art. 306 StPO) bearbeitet werden. Für den Austausch von Informationen, welche ausserhalb dieser Gesetzgebungskompetenz des Bundes liegen, sind die Kantone zur Gewährleistung der Umsetzung der Richtlinie (EU) 2023/977 verpflichtet, und sie müssen eigene Rechtsgrundlagen schaffen ⁴6 , sofern diese nicht bereits vorhanden sind ⁴7 . Der Austausch von Informationen zwischen den kantonalen Strafverfolgungsbehörden und der EAZ fedpol ist zudem bereits gegenwärtig mittels Amtshilfe möglich. So übermitteln die kantonalen Strafverfolgungsbehörden der EAZ fedpol auf Anfrage Informationen, die zur Erfüllung ihrer Aufgaben bzw. zur Beantwortung von Informationsersuchen, erforderlich sind. Bei der Übermittlung der Informationen muss jedoch sichergestellt werden, dass die notwendigen Informationen innert den von der Richtlinie (EU) 2023/977 vorgegebenen Fristen der EAZ fedpol übermittelt werden.
Mit der Motion 18.3592 Eichenberger «Nationaler polizeilicher Datenaustausch» vom 14. Juni 2018 wurde der Bundesrat beauftragt, eine Vernetzungsplattform für die bestehenden kantonalen Polizeidatenbanken zu schaffen, mittels welcher die Polizeikorps der Kantone und die Polizeiorgane des Bundes direkt auf die polizeilichen Daten über Personen und deren Vorgänge in der gesamten Schweiz zugreifen können. Der Bund und die Kantone haben dafür ein gemeinsames Programm initiiert mit dem Auftrag eine Abfrageplattform bereitzustellen, die es ermöglicht kantonale, nationale sowie internationale Polizei- und Migrationsdaten in einer Abfrage in den Quellsystemen standardisiert und parallel abzufragen. Ebenfalls wird an einer Lösung gearbeitet, um den Datenaustausch der kantonalen Daten rechtlich zu ermöglichen. Damit wird die Interoperabilität innerhalb der Schweiz gewährleistet: Mit einer einzigen Abfrage können Informationen aus diversen Systemen der Kantone, des Bundes sowie auch international abgefragt bzw. kann eruiert werden, welche Behörde über entsprechende Informationen verfügt. Mit der POLAP werden also keine Daten physisch ausgetauscht. Sie würde aber den Informationsaustausch unter diesem Gesetzesentwurf für den Bund und die Kantone deutlich vereinfachen. Mit einer einzigen Abfrage könnten mit der POLAP Informationen aus diversen Systemen der Kantone und des Bundes abgefragt werden. Insbesondere könnte dadurch der Aufwand seitens von Bund und Kantonen für die fristgerechte Beantwortung von Informationsersuchen aus Schengen-Staaten markant verringert werden. Die EAZ fedpol muss zur Beantwortung von Ersuchen derzeit noch jeden Kanton einzeln anfragen, um die notwendigen Informationen einholen zu können. Aufgrund der oben erwähnten Rechtssetzungskompetenz von Bund und Kantonen ist die Schaffung der notwendigen rechtlichen Grundlagen jedoch eine grosse Herausforderung. Für die Schaffung eines nationalen polizeilichen Datenaustausches bestehen derzeit bei der Mehrheit der Kantone nicht die erforderlichen gesetzlichen Grundlagen. Diese müssen für den Anschluss der kantonalen Informationssysteme zunächst geschaffen werden.
Der Bund und die Kantone arbeiten bereits seit 2018 an Lösungen, welche die Umsetzung der Motion Eichenberger ermöglichen sollen. Mit der interkantonalen Vereinbarung über den Datenaustausch zum Betrieb gemeinsamer Abfrageplattformen und Datenbanksysteme sowie der Schaffung einer punktuellen neuen Bundeskompetenz zur Regelung der Abfrage wurden bereits vielversprechende Projekte lanciert. Unabhängig von diesen beiden Lösungsansätze wäre es dem Bundesgesetzgeber gestützt auf Artikel 123 Absatz 1 BV möglich die Motion Eichenberger teilweise umzusetzen. So könnte er die Abfrage der auf die StPO gestützten gerichtspolizeilichen Daten verbindlich regeln. Abfragen von Polizeidaten, die gestützt auf kantonale Gesetze bearbeitet werden, müssen jedoch durch die Kantone geregelt werden. Die Kantone müssen auch selber definieren, welche konkreten Daten aus den kantonalen polizeilichen Informationssystemen mit der POLAP abgefragt werden können. Auf die Schaffung einer allgemeinen Rechtsgrundlage für die Abfrage gerichtspolizeilicher Daten im Rahmen dieses Gesetzesentwurfes wird verzichtet. So beschränkt sich dieser Artikel auf den Informationsaustausch zwischen der EAZ fedpol und den zuständigen Strafverfolgungsbehörden des Bundes und der Kantone. Die Schaffung der POLAP ist komplex und zeitintensiv. Insbesondere auch aus Gründen des Datenschutzes bedarf es der minutiösen Erarbeitung der entsprechenden Rechtsgrundlagen. Im Rahmen der Übernahme und der Umsetzung einer Schengen-Weiterentwicklung die teilweise Umsetzung dieses komplexen Vorhabens durchzusetzen, ist nicht zielführend und würde die bisherigen Bestrebungen des Bundes und der Kantone gefährden. Für diejenigen Kantone die bereits über gesetzliche Grundlagen für die Abfrage über die POLAP verfügen, wäre ein schrittweiser Anschluss ab der Inbetriebnahme von der POLAP bereits möglich. Das heisst, Kantone, die bereits über gesetzliche Grundlagen verfügen, könnten ihre Informationssysteme an die POLAP anschliessen und so den Informationsaustausch unter für den Bund und die Kantone deutlich vereinfachen.
Art. 11
Schweizerische Ersuchen
Absatz 1
Die Schweizerischen Strafverfolgungsbehörden richten ihr Ersuchen um Übermittlung von verfügbaren Informationen an die EAZ fedpol, welche für schweizerische Ersuchen an andere Schengen-Staaten zuständig ist (vgl. Art. 3). Die Möglichkeit für Strafverfolgungsbehörden als benannte Strafverfolgungsbehörden direkt Ersuchen an die nationalen Kontaktstellen der anderen Schengen-Staaten zur richten, wird nicht vorgesehen. Durch die zentrale Abwicklung des Informationsaustausches kann die Zusammenarbeit mit den Strafverfolgungsbehörden der anderen Schengen-Staaten besser koordiniert und vereinheitlicht werden. Zudem verfügt die EAZ fedpol über die notwendige Infrastruktur; sie hat zudem die erforderlichen Kenntnisse für die Verarbeitung und Koordination von Anfragen an Strafverfolgungsbehörden der Schengen-Staaten und ist am SIENA-Kanal angeschlossen. Durch die Kanalisierung des gesamten Informationsaustauschs über die EAZ fedpol können zudem die Kantone personell und administrativ entlastet und der Informationsfluss besser kontrolliert werden.
Absatz 2
Sämtliche Schengen-Staaten haben gemäss Artikel 11 der Richtlinie (EU) 2023/977 eine Liste mit einer oder mehreren Sprachen zu erstellen, in denen ihre nationale Kontaktstelle den Informationsaustausch betreiben kann. Die Europäischen Kommission veröffentlicht im Internet eine Zusammenstellung dieser Listen. Das Ersuchen muss folglich in einer vom betreffenden Schengen-Staat vorgegeben Sprache oder in Englisch gestellt werden. Die ersuchende Strafverfolgungsbehörde übermittelt der EAZ fedpol das Ersuchen in der erforderlichen Sprache. Die Ersuchen muss die notwendigen Angaben nach Artikel 6 Absatz 2 Buchstaben a-h enthalten.
Absatz 3
Die EAZ fedpol prüft das Ersuchen auf Vollständigkeit. Sie prüft also, ob die erforderlichen Informationen nach Artikel 6 des Gesetzesentwurfs enthalten sind und ob die vom ersuchten Schengen-Staat gewünschte Sprache verwendet worden ist. Ob die Angaben inhaltlich korrekt sind, fällt nicht in die Prüfungspflicht der EAZ fedpol. Ist das Ersuchen nicht vollständig, so teilt sie dies der ersuchenden Strafverfolgungsbehörde mit. Diese kann ihr Ersuchen schriftlich ergänzen. Werden seitens des ersuchten Schengen-Staats Ergänzungen verlangt, teilt die EAZ fedpol dies der ersuchenden Strafverfolgungsbehörde mit.
Absatz 4
Die EAZ fedpol übermittelt das Ersuchen der ersuchenden Strafverfolgungsbehörde an die zuständige nationale Kontaktstelle des entsprechenden Schengen-Staats zur Beantwortung innert vorgegebener Frist. Die EAZ fedpol verwendet für die Übermittlung des Ersuchens die vorgeschriebenen Kommunikationskanäle gemäss Artikel 3 Absatz 3 des Gesetzesentwurfs. Bei der Übermittlung der Informationen weist die EAZ fedpol auf Einschränkungen hinsichtlich deren Verwendung und die Geheimhaltungspflichten hin. In Bezug auf die Einschränkungen über die Verwendung der Informationen ist darauf hinzuweisen, dass der Informationsaustausch unter der Richtlinie (EU) 2023/977 nicht die Bereitstellung und Nutzung von Informationen als Beweismittel in gerichtlichen Verfahren regelt. Folglich dürfen die übermittelten Informationen auch nur mit Zustimmung des entsprechenden Schengen-Staats als Beweismittel in gerichtlichen Verfahren verwendet werden. Wurde bei der Beantwortung eines Ersuchens die Zustimmung zur Verwendung der Informationen als Beweismittel in gerichtlichen Verfahren nicht gegeben, ist die Zustimmung bei entsprechenden Schengen-Staat vorher einzuholen.
Art. 12
Übermittlung von Informationen an andere Schengen-Staaten
Absatz 1
Mit Artikel 7 der Richtlinie (EU) 2023/977 werden die Strafverfolgungsbehörden der Schengen-Staaten ermächtigt verfügbare Informationen auf eigene Initiative (spontan) den anderen zuständigen Strafverfolgungsbehörden der Schengen-Staaten bereitzustellen, wenn objektive Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass diese Informationen für diese anderen Schengen-Staaten zum Zweck der Verhütung, Feststellung und Verfolgung von Straftaten relevant sein könnten. Für den spontanen Austausch von Informationen zu Straftaten, welche nicht schwere Straftaten im Sinne von Anhang 3 darstellen, besteht keine Verpflichtung.
Absatz 2
Mit Artikel 7 der Richtlinie (EU) 2023/977 müssen die Strafverfolgungsbehörden der Schengen-Staaten sicherstellen, dass verfügbare Informationen auf eigene Initiative (spontan) den anderen zuständigen Strafverfolgungsbehörden der Schengen-Staaten bereitgestellt werden, wenn objektive Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass diese Informationen für diese anderen Schengen-Staaten zum Zweck der Verhütung, Feststellung und Verfolgung von schweren Straftaten relevant sein könnten. Liegen beispielsweise einer Strafverfolgungsbehörde konkrete Hinweise vor, dass eine Geldautomat-Sprengung oder ein terroristischer Anschlag in einem anderen Schengen-Staat ausgeführt werden soll, so werden der nationalen Kontaktstelle dieses Schengen-Staates die Informationen (via EAZ fedpol) auf eigene Initiative übermittelt. Ob Informationen spontan ausgetauscht werden müssen, muss nicht in jedem Verfahren zusätzlich geprüft werden. Konkrete Hinweise können sich beispielsweise während einer polizeilichen Einvernahme ergeben.
Im Unterschied zur Übermittlung von Informationen auf Ersuchen erfolgt die Übermittlung der Informationen ohne vorgängiges Informationsersuchen. Bereits mit der Umsetzung des Rahmenbeschlusses 2006/960/JI wurde mit Artikel 7 Absatz 1 SIaG die Verpflichtung des spontanen Informationsaustauschs für Straftaten nach nationalem Recht, die den schweren Straftaten des Europäischen Haftbefehls entsprechen oder gleichwertig sind, verankert ⁴8 .Die Straftaten, die denjenigen des Europäischen Haftbefehls gleichwertig sind, sind in Anhang 3 aufgelistet. Gemäss Artikel 2 Ziffer 3 der Richtlinie (EU) 2023/977 gelten nebst den Handlungen des Europäischen Haftbefehls auch Handlungen nach Artikel 3 Absatz 1 oder 2 der Verordnung (EU) 2016/794 als schwere Straftaten. Diese Definition ist bei der Umsetzung der Verordnung (EU) 2023/977 dahingehend zu berücksichtigen, dass der Inhalt von Anhang 1 im nationalen Recht abgebildet wird. Die Aufzählung in Anhang 3 umfasst jedoch auch sämtliche Handlungen gemäss der Verordnung (EU) 2016/794, weshalb die schweren Straftaten im Sinne von Art. 2 Ziffer 3 der Richtlinie (EU) 2023/977 dadurch abgedeckt sind. Bestandteil der Auflistung sind auch die terroristischen Straftaten (vgl. Anh. 3, Ziff. 22), welche deckungsgleich mit denjenigen im Sinne der Richtlinie (EU) 2017/541 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. März 2017 zur Terrorismusbekämpfung und zur Ersetzung des Rahmenbeschlusses 2002/475/JI ⁴9 des Rates und zur Änderung des Beschlusses 2005/671/JI des Rates sind.
Die Übermittlung von Informationen aus eigener Initiative darf nur erfolgen, wenn mindestens ein Anfangsverdacht zur betroffenen Person vorliegt.
Die Verpflichtung zur Übermittlung von Informationen aus eigener Initiative erfasst auch die kantonalen Strafverfolgungsbehörden. Zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2023/977 müssen, sofern nicht bereits vorhanden 5⁰ , auf kantonaler Ebene ebenfalls Rechtsgrundlagen für den spontanen Austausch geschaffen werden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass auch der spontane Informationsaustausch zwingend über die nationale Kontaktstelle erfolgen muss (Art. 3).
Absatz 3
Die Übermittlung von Informationen aus eigener Initiative unterbleibt, wenn ein Ablehnungsgrund nach Artikel 8 Absatz 1 vorliegt (vgl. Erläuterungen zu Art. 8). Da die Bestimmungen der internationalen Rechtshilfe von diesem Gesetz unberührt bleiben, dürfen auch keine Informationen auf dem polizeilichen Weg auf eigene Initiative herausgegeben werden, die in den Anwendungsbereich von Artikel 75 a Absatz 2 IRSG fallen.
Absatz 4
Wie in Artikel 3 Absatz 1 geregelt, erfolgt der Informationsaustausch gemäss diesem Gesetz ausschliesslich über die EAZ fedpol als nationale Kontaktstelle. Die Strafverfolgungsbehörden stellen der EAZ fedpol gestützt auf diese Bestimmung die zur Übermittlung an die zuständige nationale Kontaktstelle des betreffenden Schengen-Staats vorgesehenen Informationen zu, wenn diese Delikte der Bundesgerichtbarkeit betreffen oder nach Artikel 306 StPO bearbeitet werden. Für die übrigen Fälle stellen sie die Informationen der EAZ fedpol zur Verfügung, wenn das kantonale Recht dies vorsieht. Aufgrund der Kompetenzaufteilung von Bund und Kantonen im Polizeibereich bedarf es für die Übermittlung von Informationen, die nicht Delikte der Bundesgerichtsbarkeit betreffen oder nach Artikel 306 StPO bearbeitet werden, einer eigenständigen rechtlichen Grundlage auf kantonaler Ebene, welche es erlaubt, Informationen an die Strafverfolgungsbehörden der anderen Schengen-Staaten über die EAZ fedpol zum Zweck der Verhütung, Feststellung und Verfolgung von Verbrechen und Vergehen übermitteln zu können. Da die Schweizerischen Strafverfolgungsbehörden bereits mit dem Rahmenbeschluss 2006/960/JI zur Übermittlung von Informationen auf eigene Initiative zur Verhütung, Feststellung und Verfolgung von schweren Straftaten verpflichtet sind, sollten die Kantone bereits über rechtliche Grundlagen verfügen. Die kantonalen Polizeigesetze sollten auch bereits über rechtliche Grundlagen verfügen, welche die Zusammenarbeit mit den Polizeibehörden des Bundes bzw. den Austausch von Informationen zum Zweck der Verhinderung und Erkennung von Straftaten ermöglichen. Hierdurch sollte die Übermittlung von Informationen an die EAZ fedpol abgedeckt sein.
Die Strafverfolgungsbehörde übermittelt der EAZ fedpol die Informationen zur Übermittlung auf eigene Initiative in der für den betroffenen Schengen-Staat erforderlichen Sprache.
Absatz 5
Die EAZ fedpol ist die für den Vollzug des Informationsaustausches gemäss der Richtlinie (EU) 2023/977 zuständige Behörde. Es gilt deshalb sicherzustellen, dass die Strafverfolgungsbehörden ihr die Informationen zustellen, die zur Übermittlung an die zuständigen Strafverfolgungsbehörden der Schengen-Staaten vorgesehen sind. Die EAZ fedpol nimmt die Informationen, die spontan übermittelt werden sollen, von den Strafverfolgungsbehörden entgegen. Sie prüft, ob die Informationen in der richtigen Sprache vorhanden, die Vorgaben gemäss Artikel 6 Absatz 2 erfüllt sind und ob keine Ausschlussgründe vorliegen.
Absatz 6
Sind die Voraussetzungen nach Absatz 5 erfüllt, übermittelt die EAZ fedpol die Informationen der nationalen Kontaktstelle des interessierten Schengen-Staats unter zwingendem Hinweis auf einschlägige Verwendungsbeschränkungen (z.B. Verwendung nur zu Ermittlungs-, nicht aber zu Beweiszwecken) und Geheimhaltungspflichten.
Art. 13
Von anderen Schengen-Staaten übermittelte Informationen
Absatz 1
Die EAZ empfängt die aus den anderen Schengen-Staaten spontan übermittelten Informationen. Sie prüft, ob die erhaltenen Informationen für Strafverfolgungsbehörden von Interesse sind und leitet diese an diejenigen Strafverfolgungsbehörden weiter. Als interessiert gilt eine Strafverfolgungsbehörde dann, wenn objektive Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass diese Informationen für diese Strafverfolgungsbehörde zum Zweck der Verhütung, Feststellung oder Verfolgung von Straftaten relevant sein könnten. Erhält die EAZ fedpol beispielsweise von Frankreich Informationen zum Tatbestand der Beihilfe bzw. Förderung der rechtswidrigen Ein- und Ausreise, leitet sie diese Informationen an die an Frankreich angrenzenden kantonalen Strafverfolgungsbehörden und das Bundesamt für Zoll und Grenzsicherheit weiter.
Absatz 2
Die übermittelten Informationen dürfen nur zum Zwecke der Verhütung, Feststellung und Verfolgung von Straftaten verwendet werden. Die EAZ fedpol weist die Strafverfolgungsbehörden auf Verwendungsbeschränkungen hinsichtlich der übermittelten Informationen sowie auf Geheimhaltungspflichten hin.
Art. 14
Datenbearbeitung
Die EAZ fedpol erhält zur Erfüllung der Aufgaben gemäss Artikel 4 die Berechtigung, besonders schützenswerte Personendaten und auch als nicht besonders schützenswert eingestuften Daten zu bearbeiten. Die Berechtigung beschränkt sich auf die Daten zu Personen, die in Anhang 2 aufgelistet sind. Der Begriff «bearbeiten» umfasst jeden Umgang mit Personendaten, insbesondere auch das Erheben, Aufbewahren und Verwenden von Daten. Die Berechtigung gilt für die von den Schengen-Staaten erhaltenen Daten sowie für die den Schengen-Staaten von den schweizerischen Strafverfolgungsbehörden übermittelten Daten. Die EAZ fedpol darf Daten bearbeiten, wenn es zur Erfüllung folgender Aufgaben notwendig ist:
-
Entgegennahme und Bewertung von Informationsersuchen;
-
Weiterleitung von Informationsersuchen an die zuständigen Strafverfolgungsbehörden, Koordinierung der Bearbeitung solcher Ersuchen und der Bereitstellung von Informationen aufgrund solcher Ersuchen zwischen diesen Behörden;
-
Koordinierung der Analyse und Strukturierung von Informationen zur Übermittlung an die nationale Kontaktstelle und gegebenenfalls an die zuständigen Strafverfolgungsbehörden anderer Schengen-Staaten;
-
Bereitstellung auf Ersuchen oder aus eigener Initiative von Informationen an die anderen Schengen-Staaten;
-
Ablehnung der Bereitstellung von Informationen und erforderlichenfalls Anfordern von Klarstellungen oder Präzisierungen;
-
Übermittlung von Informationsersuchen an die nationalen Kontaktstellen anderer Schengen-Staaten und erforderlichenfalls von Klarstellungen oder Präzisierungen;
-
Erstellung von Statistiken im Sinne von Artikel 15 zuhanden der Europäischen Kommission und der Schweizerischen Eidgenossenschaft.
Für die Bearbeitung der personenbezogenen Daten hat die EAZ fedpol die datenschutzrechtlichen Grundsätze gemäss dem DSG zu berücksichtigen. Befinden sich die Daten bei den kantonalen Behörden, unterstehen sie dem einschlägigen kantonalen Recht.
Zur Erfüllung ihrer Aufgaben darf die EAZ fedpol auch besonders schützenswerte Daten von juristischen Personen bearbeiten. Im DSG wird die Bearbeitung von Daten juristischer Personen vom sachlichen Anwendungsbereich des Datenschutzgesetzes ausgenommen. Mit Artikel 57 r RVOG erhält die EAZ fedpol für die Bearbeitung von Daten juristischer Personen, einschliesslich besonders schützenswerter Daten, eine allgemeine, direkt anwendbare gesetzliche Grundlage 5¹ .
Zur Bearbeitung des Informationsaustauschs stehen der EAZ fedpol die zentralen polizeilichen Geschäfts- und Aktenverwaltungssysteme für nationale und internationale Kooperation gemäss Artikel 18 des BPI zur Verfügung, womit ein- und ausgehende Ersuchen und Informationen von anderen Schengen-Staaten über SIENA erfasst und verarbeitet werden können. Mittels geeigneter Voreinstellungen kann sichergestellt, werden, dass die Datenbearbeitung auf das für den Verwendungszweck notwendige Mass beschränkt wird. Die vorhandenen Geschäfts- und Aktenverwaltungssysteme von fedpol erfüllen die Anforderungen gemäss Artikel 16 der Richtlinie (EU) 2023/977. Für den Betrieb und die Nutzung dieser Systeme ist Artikel 18 BPI massgebend.
Art. 15
Statistik
Absatz 1 und 2
Die EAZ fedpol erstellt die erforderlichen Statistiken über den Informationsaustausch mit anderen Schengen-Staaten und übermittelt diese zuhanden der Europäischen Kommission. Die Statistiken werden so erstellt, dass keine Rückschlüsse auf die betroffenen Personen gemacht werden können.
Anhang 1
In Anhang 1 sind die Schengen-Assoziierungsabkommen aufgeführt.
Anhang 2
An die anderen Schengen-Staaten werden nur personenbezogene Informationen übermittelt, welche von den aufgelisteten Datenkategorien abgedeckt sind (vgl. Ausführungen zu Art. 4 Abs. 2).
Anhang 3
Gemäss Artikel 13 stellen die Strafverfolgungsbehörden den zuständigen Strafverfolgungsbehörden der anderen Schengen-Staaten die verfügbaren Informationen, die für die Verhütung, Feststellung und Verfolgung der in Anhang 3 aufgezählten schweren Straftaten von Bedeutung sein könnten, unaufgefordert zur Verfügung. Im Anhang 3 werden die Straftaten aufgezählt, welche denjenigen von Artikel 2 Absatz 2 des Rahmenbeschlusses 2002/584/JI (zum Europäischen Haftbefehl) entsprechen oder gleichwertig sind und mit einer Strafe von mehr als drei Jahren bedroht sind. Die gegenwärtige Deliktsliste ist nicht mehr aktuell. Einige Straftatbestände wurden seither gestrichen, und neue sind dazugekommen. Bereits mit dem Bundesbeschluss vom 1. Oktober 2021 5² über die Genehmigung und die Umsetzung des Abkommens zwischen der Schweiz und der EU zur Vertiefung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit (Prümer Zusammenarbeit) und des Eurodac-Protokolls für Gefahrenabwehr- und Strafverfolgungszwecke wurde eine Anpassung des Anhang 3 des SIaG vorgesehen. Die Änderung des Erlasses wurde noch nicht in Kraft gesetzt. Im Rahmen der Umsetzung der Richtlinie (EU) 2023/977 erfährt die Deliktsliste eine erneute Aktualisierung. Da nicht klar ist, welche Vorlage zuerst in Kraft treten wird, entsteht ein entsprechender Koordinationsbedarf (vgl. Ziff. 7). Seit der Inkraftsetzung des SIaG sind folgende Straftaten, die nach schweizerischem Recht denjenigen des Rahmenbeschlusses 2002/584/JI entsprechen oder gleichwertig sind, hinzugekommen und folglich in der Deliktsliste hinzuzufügen:
-
Strafbare Vorbereitungshandlungen (Art. 260bis Abs. 1 StGB);
-
Verstümmelung weiblicher Genitalien (Art. 124 StGB);
-
Unbefugtes Beschaffen von Personendaten (Art. 179novies StGB);
-
Urkundenfälschung, Erschleichen einer falschen Beurkundung, Unterdrückung von Urkunden (Art. 15, 16, Abs. 1 und 3 des Bundesgesetzes vom 22. März 1974 5³ über das Verwaltungsstrafrecht);
-
Steuerbetrug, Veruntreuung von Quellensteuern (Art. 186 Abs. 1 und 187 Abs. 1 des Bundesgesetzes vom 14. Dezember 1990 5⁴ über die direkte Bundessteuer);
-
Steuerbetrug (Art. 59 Abs. 1 des Steuerharmonisierungsgesetzes vom 14. Dezember 1990 5⁵ );
-
Verbrechen und Vergehen (Art. 148 Abs. 1 des Kollektivanlagegesetzes vom 23. Juni 2006 ⁵6 );
-
Fälschung, Falschbeurkundungen, Erschleichen falscher Beurkundungen, Gebrauch von unechten oder unwahren Bescheinigungen, ausländische Urkunden, unberechtigtes Ausstellen von Konformitätserklärungen, unberechtigtes Anbringen und Verwenden von Konformitätszeichen (Art. 23-28 des Bundesgesetzes vom 6. Oktober 1995 ⁵7 über die technischen Handelshemmnisse);
-
Reglementswidriger Gebrauch einer Garantie- oder Kollektivmarke (Art. 63 Abs. 4 des Markenschutzgesetzes vom 28. August 1992 ⁵8 );
-
Patentverletzung (Art. 81 Abs. 3 des Patentgesetzes vom 25. Juni 1954 ⁵9 );
-
Zwangsheirat, erzwungene eingetragene Partnerschaft (Art. 181 a StGB);
-
Fälschung amtlicher Wertzeichen, Fälschung amtlicher Zeichen, Fälschung von Mass und Gewicht, Fälschung von Urkunden des Auslandes (Art. 245, 246, 248 und 255 StGB);
-
Verschwindenlassen (Art. 185bis StGB);
-
Sexuelle Handlungen mit Abhängigen, sexuelle Nötigung, Schändung (Art. 188, 189, 191 StGB);
-
Schreckung der Bevölkerung, öffentliche Aufforderung zu Verbrechen oder zur Gewalttätigkeit, Landfriedensbruch, strafbare Vorbereitungshandlungen, kriminelle und terroristische Organisationen, Gefährdung der öffentlichen Sicherheit mit Waffen, Finanzierung des Terrorismus, Anwerbung, Ausbildung und Reisen im Hinblick auf eine terroristische Straftat, Angriffe auf die verfassungsmässige Ordnung, Gewaltverbrechen, mit denen die Bevölkerung eingeschüchtert oder ein Staat oder eine internationale Organisation zu einem Tun oder Unterlassen genötigt werden soll (Art. 258-260sexies, 275 StGB);
-
Organisationsverbot (Art. 74 des Nachrichtendienstgesetzes vom 25. September 2015 6⁰ );
-
Diskriminierung und Aufruf zu Hass (Art. 261bis StGB);
-
Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, schwere Verletzungen der Genfer Konventionen, andere Kriegsverbrechen, Angriffe gegen zivile Personen und Objekte, ungerechtfertigte medizinische Behandlung, Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung und der Menschenwürde, Rekrutierung und Verwendung von Kindersoldaten, verbotene Methoden der Kriegführung, Einsatz verbotener Waffen, Bruch eines Waffenstillstandes oder des Friedens, Vergehen gegen einen Parlamentär, verzögerte Heimschaffung von Kriegsgefangenen, andere Verstösse gegen das humanitäre Völkerrecht (Art. 264, 264 a , 264 c -264 j StGB);
-
Strafbestimmungen des Bundesgesetzes über den Verkehr mit Tieren und Pflanzen geschützter Arten (Art. 26 Abs. 2 des Bundesgesetzes vom 16. März 2012 6¹ über den Verkehr mit Tieren und Pflanzen geschützter Arten);
-
Insidergeschäfte und Finanzmarktmanipulation (Art. 154 Abs. 1 und 2, Art. 155 FinfraG 6² ).
²3 SR 172.010 (Stand am 1. September 2023).
²4 SR 351.1
²5 SR 651.1
²6 SR 0.360.136.1 ; Vertrag vom 5. April 2022 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Bundesrepublik Deutschland über die grenzüberschreitende polizeiliche und justitielle Zusammenarbeit.
²7 Verordnung (EU) 2018/1862 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. November 2018 über die Einrichtung, den Betrieb und die Nutzung des Schengener Informationssystems (SIS) im Bereich der polizeilichen Zusammenarbeit und der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen, zur Änderung und Aufhebung des Beschlusses 2007/533/JI des Rates und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1986/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates und des Beschlusses 2010/261/EU der Kommission, ABl. L 312 vom 7. Dezember 2018, S. 56.
²8 Beschluss 2008/615/JI des Rates vom 23. Juni 2008 zur Vertiefung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit, insbesondere zur Bekämpfung des Terrorismus und der grenzüberschreitenden Kriminalität, ABl. L 210 vom 6. August 2008, S. 1; Beschluss 2008/616/JI des Rates vom 23. Juni 2008 zur Durchführung des Beschlusses 2008/615/JI zur Vertiefung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit, insbesondere zur Bekämpfung des Terrorismus und der grenzüberschreitenden Kriminalität, ABl. L 210 vom 6. August 2008, S. 12.
²9 BBl 2008 9061 , 9082
3⁰ Leitlinien für die Umsetzung des Rahmenbeschlusses 2006/960/JI des Rates vom 18. Dezember 2006 über die Vereinfachung des Austauschs von Informationen und Erkenntnissen zwischen den Strafverfolgungsbehörden der Mitgliedstaaten der Europäischen Union vom 26. Mai 2010, Anlage III, S. 120 (doc. 9512/10).
3¹ SR 0.362.2
3² BBl 2008 9061 , 9083
3³ SR 172.213.1
³4 Informationssystem der Bundeskriminalpolizei; Art. 11 Abs. 5 BPI.
³5 Zentrales Migrationsinformationssystem; Art. 9 Abs. 1 Bst. c BGIAA.
³6 Informatisiertes Personennachweis-, Aktennachweis- und Verwaltungssystem; Art. 12 Abs. 6 Bst. a und Art. 14 Abs. 3 Bst. a BPI.
³7 SR 361
³8 SR 128
³9 Bspw. Persönlichkeitsschutz gemäss Zivilgesetzbuch (Art. 28 ff. ZGB), Bundesgesetz gegen den unlauteren Wettbewerb, das Urheberrechtsgesetz sowie die Bestimmungen zum Schutz von Berufs-, Geschäfts- und Fabrikationsgeheimnissen.
4⁰ Bspw. Art. 135 Abs. 2 Satz 1 StGB.
4¹ Bspw. Art. 173 Abs. 1 StGB.
4² Leitlinien für die Umsetzung des Rahmenbeschlusses 2006/960/JI des Rates vom 18. Dezember 2006 über die Vereinfachung des Austauschs von Informationen und Erkenntnissen zwischen den Strafverfolgungsbehörden der Mitgliedstaaten der Europäischen Union vom 26. Mai 2010, Anlage III, S. 122 (doc. 9512/10).
4³ SR 101
4⁴ BGE 140 I 353, 360 E. 5.1.
⁴5 Stellungnahme des Bundesrats vom 23. Mai 2012 zum Bericht der Kommission für Rechtsfragen des Nationalrates vom 3. Februar 2012 zur Parlamentarischen Initiative «Präzisierung des Anwendungsbereichs der Bestimmungen über die verdeckte Ermittlung», BBl 2012 5609 , 5611 mit Hinweisen).
⁴6 vgl. Art. 9 Abs. 1 der Vereinbarung vom 20. März 2009 zwischen Bund und Kantonen betreffend Umsetzung, Anwendung und Entwicklung des Schengen/Dublin-Besitzstands; SR 362.1 .
⁴7 Die Kantone BE, UR, LU, SZ, SO und AG haben bei einer kantonalen Umfrage, welche im Zusammenhang mit der POLAP durchgeführt wurde, angegeben, dass sie über die rechtlichen Grundlagen verfügen, die einen automatisierten Datenaustausch von Polizeidaten mit dem Bund erlauben würden. Der Kanton BL erachtet seine rechtliche Grundlage für Einzelfallanfragen als genügend. Gemäss den Kantonen GL, NW, AI, BS, FR, SH, VD, ZH, GR ZG, OW und SG sind Rechtsetzungsprojekte pendent, welche den automatisierten Austausch erlauben würden.
⁴8 BBl 2008 9061 , 9084
⁴9 Richtlinie (EU) 2017/541 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. März 2017 zur Terrorismusbekämpfung und zur Ersetzung des Rahmenbeschlusses 2002/475/JI des Rates und zur Änderung des Beschlusses 2005/671/JI des Rates, ABl. L 88 vom 31.3.2017, S. 6.
5⁰ Bspw. Art. 144 Abs. 3 des Polizeigesetzes des Kantons Bern; BSG 551.1 .
5¹ BBl 2017 6941 , 7107
5² BBl 2021 2332
5³ SR 313.0
5⁴ SR 642.11
5⁵ SR 642.14
⁵6 SR 951.31
⁵7 SR 946.51
⁵8 SR 232.11
⁵9 SR 232.14
6⁰ SR 121
6¹ SR 453
6² SR 958.1

7 Koordinationsbedarf

Bei der Übernahme und Umsetzung der Richtlinie (EU) 2023/977 besteht in zweierlei Hinsicht ein besonderer Koordinationsbedarf im Hinblick auf den Bundesbeschluss zur grenzüberschreitendenden Zusammenarbeit und des Eurodac-Protokolls (vgl. hierzu auch Ziff. 6):
-
Mit dem Bundesbeschluss zur grenzüberschreitendenden Zusammenarbeit und des Eurodac-Protokolls wird in Ziffer 4 die Deliktsliste in Anhang 1 geltenden SIaG geändert und aktualisiert. Dieser Bundesbeschluss ist allerdings noch nicht in Kraft, und es ist möglich, dass die vorliegende Totalrevision des SIaG, mit welcher ebenfalls eine Aktualisierung des Anhangs (neu Anhang 3) verbunden ist, vor dem genannten Bundesbeschluss in Kraft treten wird.
Falls der Bundesbeschluss zur Übernahme und Umsetzung der Richtlinie (EU) 2023/977 gleichzeitig mit dem Bundesbeschluss zur grenzüberschreitendenden Zusammenarbeit und des Eurodac-Protokolls in Kraft tritt, sollte daher der Deliktskatalog in Anhang 3 der Fassung des Bundesbeschluss zur Übernahme und Umsetzung der Richtlinie (EU) 2023/977 gelten.
-
Ein Koordinationsbedarf besteht zudem, soweit es um die in Artikel 111 j Absatz 6 Buchstabe b des Ausländer- und Integrationsgesetzes vom 16. Dezember 2005 6³ (AIG) und Artikel 102 a quater Absatz 6 Buchstabe b des Asylgesetzes vom 26. Juni 1998 6⁴ (AsylG) im Bundesbeschluss zur grenzüberschreitenden Zusammenarbeit und des Eurodac-Protokolls enthaltenen Verweisungen auf das SIaG geht. Diese müssen aufgrund der Totalrevision des SIaG aktualisiert werden.
Für den Fall, dass die vorliegende Totalrevision des SIaG nach dem Bundesbeschluss zur grenzüberschreitendenden Zusammenarbeit und des Eurodac-Protokolls in Kraft tritt, ist bei Inkrafttreten des totalrevidierten SIaG in einer Koordinationsbestimmung anzuordnen, dass die Artikel 111 j Absatz 6 Buchstabe b AIG und Artikel 102 a quater Absatz 6 Buchstabe b AsylG auf das totalrevidierte SIaG verweisen. Für den Fall, dass die vorliegende Totalrevision des SIaG vor dem Bundesbeschluss zur grenzüberschreitendenden Zusammenarbeit und des Eurodac-Protokolls in Kraft tritt, so ist bei Inkrafttreten des Bundesbeschlusses zur grenzüberschreitendenden Zusammenarbeit und des Eurodac-Protokolls anzuordnen, dass die Artikel 111 j Absatz 6 Buchstabe b AIG und Artikel 102 a quater Absatz 6 Buchstabe b AsylG auf das totalrevidierte SIaG verweisen.
Gleichzeitig sollte in beiden Fällen auch sichergestellt werden, dass der Katalog der als «terroristische Straftaten» zu verstehenden Tatbestände in Artikel 111 j Absatz 6 Buchstabe a AIG aktualisiert wird. Die in den Ziffern 9 und 11 genannten Strafnormen («rechtswidrige Vereinigung (Art. 275ter StGB)» und «Verbrechen nach Artikel 2 des Bundesgesetzes vom 12. Dezember 2014 6⁵ über das Verbot der Gruppierungen «Al-Qaïda» und «Islamischer Staat» sowie verwandter Organisationen») sind mittlerweile nicht mehr in Kraft und sind daher aus der Liste zu streichen.
6³ SR 142.20
6⁴ SR 142.31
6⁵ SR 122

8 Auswirkungen

8.1 Vorbemerkungen

Vorab ist zu betonen, dass das Volumen an ausgetauschten polizeilichen Informationen konstant zunimmt. 2019 sind bei der EAZ 303 182 Ersuchen eingegangen, 2023 waren es 423 115. Diese Tendenz dürfte sich in den kommenden Jahren weiter verstärken, dies angesichts der zunehmenden Vernetzung der europäischen Polizei- und Migrationsdatenbanken sowie der Beteiligung der Schweiz an der Prümer Zusammenarbeit, die namentlich den automatischen Austausch von DNA- und Fingerabdruckdaten zur Identifizierung von Straftäterinnen und Straftätern, aber auch den Austausch von Daten zu Fahrzeugen und deren Halterinnen und Haltern vorsieht. Die EAZ fedpol bereitet sich auf diese höhere Arbeitslast vor, namentlich durch die Standardisierung ihrer Prozesse. Um die Informationsübermittlung zwischen den Kantonen und fedpol sowie anschliessend zu den SPOC der anderen Schengen-Staaten effizienter zu gestalten, wird im Rahmen der Umsetzung der Richtlinie (EU) 2023/977 die Erstellung von Online-Formularen vorgeschlagen (siehe nachfolgendes Kapitel zu den Auswirkungen auf den Bund).
Es ist aber anzumerken, dass mittel- bis langfristig eine umfassendere Informationsmanagementstrategie umgesetzt werden muss, die auch technische und rechtliche Lösungen umfasst, welche zur effizienten Bewältigung des wachsenden Informationsflusses, den die EAZ fedpol zu bearbeiten hat, beitragen. Hier wird ein Projekt zu realisieren sein, um die gesetzlichen Grundlagen, sachdienliche technische Lösungen und Synergien mit anderen laufenden Projekten zu evaluieren. Dabei wird auch eine Einbindung der Kantone angezeigt sein, da sie die Hauptnutzer des polizeilichen Informationsaustauschs sind. Diese mögliche Strategie hat allerdings nur einen indirekten Zusammenhang mit der Richtlinie (EU) 2023/977, welche lediglich einen Teil der Ersuchen betrifft, welche die EAZ fedpol zu bearbeiten hat.

8.2 Auswirkungen auf den Bund

Die Richtlinie (EU) 2023/977 schafft weder neue Datenbanken noch zusätzliche Kanäle für den Informationsaustausch. Auch schafft die Richtlinie (EU) 2023/977 keine grundlegend neuen Pflichten bezüglich der Datenübermittlung über das im SIaG bereits Vorhandene hinaus, abgesehen von der Pflicht, die Informationen zwingend über den SPOC zu übermitteln. Damit hat sie in personeller Hinsicht keine direkten Auswirkungen auf den Bund.
Heute übermitteln die Kantone die Daten der EAZ fedpol unstrukturiert, das heisst per einfachem E-Mail. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der EAZ fedpol müssen sodann manuell die relevanten Daten aus jedem E-Mail herausziehen und in die entsprechenden sicheren Datenbanken und Kommunikationssysteme einkopieren. Um die Informationsübermittlung von den Kantonen zum Bund und von diesem zu den ausländischen Partnern effizienter zu gestalten, sollen den Kantonen Online-Formulare zur Verfügung gestellt werden. Anhand dieser können die Daten manuell und je nach lokalem Arbeitskontext des Kantons (Binnengrenzkontrolle, Prävention, Ermittlungen, Ausschreibung im Schengener Informationssystem [SIS]) in einem Online-Formular erfasst und direkt an das Informationsmanagementsystem von fedpol übermittelt werden. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der EAZ fedpol erhalten so nach Formularkategorie strukturierte Daten, die sie bei Bedarf formatieren und ohne grossen Aufwand den SPOC der anderen Schengen-Staaten über die bestehenden obligatorischen Kooperationskanäle weiterleiten können. Im Rahmen der Richtlinie (EU) 2023/977 ist dies hauptsächlich das von Europol bereitgestellte System, der SIENA-Kanal. Die Erstellung der erwähnten Formulare wird unter Nutzung von Synergien mit einem anderen, bereits laufenden Projekt im Rahmen der Umsetzung einer Weiterentwicklung des SIS realisiert. Die Kosten für die Erstellung dieser Formulare werden derzeit auf 300 000 Schweizer Franken geschätzt (hauptsächlich in sogenannten Informatik Service Center-Tagen).

8.3 Auswirkungen auf die Kantone

Die Kantone sind ebenfalls verpflichtet, diese Weiterentwicklung umzusetzen, und müssen sie, soweit sie zuständig sind und sofern die notwendigen Grundlagen nicht bereits bestehen, selbstständig in ihr Recht überführen. Wie im Entwurf zum SIaG vorgesehen, muss jeder Austausch über den SPOC erfolgen, das heisst über die EAZ fedpol. Diese muss sicherstellen, dass sie rechtzeitig die bei den Strafverfolgungsbehörden der Kantone verfügbaren Informationen erhält, einschliesslich auf der Grundlage der kantonalen Polizeigesetze beschaffter und bearbeiteter Daten. Dazu fragt die EAZ fedpol die Kantone im Einzelfall an, ob sie über Informationen verfügen. Die kantonalen Strafverfolgungsbehörden müssen der EAZ fedpol die angeforderten Informationen folglich an sieben Tagen die Woche rund um die Uhr gemäss den in der Richtlinie (EU) 2023/977 festgelegten Fristen übermitteln. Die Fristen wie auch das Verfahren zur Bereitstellung von Informationen zwischen der EAZ fedpol und den Kantonen bestehen bereits und werden von der Richtlinie (EU) 2023/977 nicht geändert. Ebenso sollten die Kantone bereits über eine Rechtsgrundlage verfügen, welche die Übermittlung von Informationen auf Anfrage oder auf eigene Initiative ins Ausland ermöglicht (vgl. Ziff. 4.2). In praktischer Hinsicht werden die oben erwähnten Online-Formulare zur Informationsübermittlung an die EAZ fedpol verwendet; den Kantonen entstehen dadurch keine Kosten.

9 Rechtliche Aspekte

9.1 Verfassungsmässigkeit

Die Vorlage stützt sich auf Artikel 54 Absatz 1 BV, wonach der Bund für die auswärtigen Angelegenheiten zuständig ist. Artikel 184 Absatz 2 BV ermächtigt den Bundesrat, völkerrechtliche Verträge zu unterzeichnen und zu ratifizieren. Die Bundesversammlung ist nach Artikel 166 Absatz 2 BV für die Genehmigung völkerrechtlicher Verträge zuständig, sofern für deren Abschluss nicht aufgrund von Gesetz oder völkerrechtlichem Vertrag der Bundesrat zuständig ist (Art. 24 Abs. 2 des Parlamentsgesetzes vom 13. Dezember 2002 6⁶ [ParlG]; Art. 7 a Abs. 1 RVOG). Da die Umsetzung der Richtlinie (EU) 2023/977 Anpassungen auf Gesetzesstufe (Neufassung des SIaG) bedingt, wird der Notenaustausch betreffend die Übernahme der Richtlinie sowie die gesetzlichen Änderungen zu dessen Umsetzung gemeinsam dem Parlament zur Genehmigung unterbreitet.
Der im Anhang des Bundesbeschlusses enthaltene Gesetzesentwurf (Neufassung des SIaG) lässt sich auf Artikel 54 Absatz 1 und 123 Absatz 1 BV abstützen. Was den Aspekt des grenzüberschreitenden Informationsaustausches zwischen den nationalen Kontaktstellen anbelangt, so lässt sich die vorgesehene Regelung auf Artikel 54 Absatz 1 BV abstützen, welcher die Verantwortung für die auswärtigen Angelegenheiten dem Bund zuweist. Die Verpflichtung der Kantone, diesen Informationsaustausch über eine zentrale Stelle (nationale Kontaktstelle) abzuwickeln, über welche der Informationsaustausch mit dem Schengen-Ausland kanalisiert und koordiniert wird, stützt sich ebenfalls auf Artikel 54 Absatz 1 BV. Diese Bestimmung verschafft dem Bund eine subsidiäre, eng auszulegende Kompetenz für rechtsetzende innerstaatliche Akte, soweit diese einen engen Bezug zu den auswärtigen Angelegenheiten aufweisen und ausserhalb der Landesgrenzen Wirkungen entfalten ⁶7 . Bei der Verpflichtung, für den grenzüberschreitenden Informationsaustausch mit den Strafverfolgungsbehörden der anderen Schengen-Staaten ausschliesslich die nationale Kontaktstelle zu nutzen, handelt es sich um eine organisatorische Massregel, bei der der erforderliche internationale Bezug im Vordergrund steht. Zudem entspricht diese Regelung auch dem in Artikel 56 Absatz 3 BV enthaltenen Prinzip, wonach der Verkehr der Kantone mit dem Ausland durch Vermittlung des Bundes erfolgt, wenn nicht untergeordnete ausländische Behörden betroffen sind.
Die Regelungskompetenz des Bundes nach Artikel 54 Absatz 1 BV darf nicht extensiv ausgelegt werden; bei der Umsetzung von völkerrechtlichen Verträgen ist der Bund an die innerstaatliche Kompetenzordnung gebunden. «Während für den Abschluss völkerrechtlicher Verträge besondere Zuständigkeitsregeln gelten, erfolgt die Umsetzung dieser Verträge nach den üblichen Regeln der Kompetenzverteilung. Tritt somit der Bund einem völkerrechtlichen Vertrag bei, dessen Gegenstand in die Zuständigkeit der Kantone fällt, darf er nicht gestützt auf diesen Vertrag die nötigen Vollzugsbestimmungen erlassen. Diese Aufgabe kommt den Kantonen zu» ⁶8 . Der Bund kann sich nicht auf Artikel 54 BV stützen, um die Informationsübermittlung seitens der kantonalen Strafverfolgungsbehörden an die nationale Kontaktstelle (EAZ fedpol) verbindlich zu regeln.
Zum Teil kann er sich diesbezüglich auf Artikel 123 Absatz 1 BV stützen, wonach die Gesetzgebung auf dem Gebiet des Strafrechts und des Strafprozessrechts Sache des Bundes ist. In diesem Rahmen kann der Bund den Austausch polizeilicher Daten regeln, soweit es sich um Informationen zu Straftatbeständen handelt, die der Bundesgerichtsbarkeit (Art. 23 StPO f.) unterstehen, oder um Informationen, die im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens (Art. 306 StPO) bearbeitet werden. Für die Übermittlung von Informationen, welche die kantonalen Strafverfolgungsbehörden gestützt auf die kantonalen Polizeigesetze bearbeiten, an die nationale Kontaktstelle besteht indessen keine Verfassungsgrundlage. Folglich obliegt es den Kantonen, gegebenenfalls eine entsprechende Rechtsgrundlage zu schaffen.
6⁶ SR 171.10
⁶7 Ehrenzeller/Portmann, St. Galler Kommentar, Art. 54 BV, Rz. 12 f., m.w.H.
⁶8 Bericht zur Erfüllung des Postulats Malama 10.3045 vom 3. März 2010 «Innere Sicherheit. Klärung der Kompetenzen», BBl 2012 4459 , 4488 f., 4492.

9.2 Vereinbarkeit mit internationalen Verpflichtungen der Schweiz

Mit der Übernahme dieser Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands erfüllt die Schweiz ihre Verpflichtungen aus dem SAA. Sie trägt zur einheitlichen Anwendung der Grundsätze des Informationsaustauschs zwischen Strafverfolgungsbehörden im Schengen-Raum bei. Die Übernahme der Richtlinie (EU) 2023/977 und die Totalrevision des SIaG sind ausserdem mit den internationalen Verpflichtungen der Schweiz vereinbar. Diese Massnahmen sind mit der Konvention vom 4. November 1950 ⁶9 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK), dem Internationalen Pakt vom 16. Dezember 1966 7⁰ über bürgerliche und politische Rechte (UNO-Pakt II) und den weiteren internationalen Verpflichtungen der Schweiz in diesem Bereich vereinbar. Die Übernahme dieser EU-Richtlinie und die damit einhergehenden Gesetzesänderungen stehen somit im Einklang mit den internationalen Verpflichtungen der Schweiz.
⁶9 SR 0.101
7⁰ SR 0.103.2

9.3 Erlassform

Die Übernahme der Richtlinie (EU) 2023/977 stellt keinen Beitritt der Schweiz zu einer Organisation für kollektive Sicherheit oder zu einer supranationalen Gemeinschaft dar. Der Bundesbeschluss über die Genehmigung des entsprechenden Notenaustausches ist deshalb nicht dem obligatorischen Referendum nach Artikel 140 Absatz 1 Buchstabe b BV zu unterstellen.
Nach Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe d Ziffer 3 BV unterliegen völkerrechtliche Verträge dem fakultativen Referendum, wenn sie unbefristet und unkündbar sind (Ziff. 1), den Beitritt zu einer internationalen Organisation vorsehen (Ziff. 2) oder wichtige rechtsetzende Bestimmungen enthalten oder wenn deren Umsetzung den Erlass von Bundesgesetzen erfordert (Ziff. 3).
Der vorliegende Notenaustausch betreffend die Übernahme der Richtlinie (EU) 2023/977 wird auf unbestimmte Zeit abgeschlossen, kann aber jederzeit gekündigt werden und sieht keinen Beitritt zu einer internationalen Organisation vor. Jedoch erfordert dessen Umsetzung die Totalrevision des SIaG. Der Bundesbeschluss über die Genehmigung und die Umsetzung des Notenaustausches ist deshalb dem fakultativen Referendum nach Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe d Ziffer 3 BV zu unterstellen. Die Bundesversammlung genehmigt völkerrechtliche Verträge, die dem Referendum unterliegen, in der Form eines Bundesbeschlusses (Art. 24 Abs. 3 ParlG).
Nach Artikel 141 a Absatz 2 BV können die Gesetzesänderungen, die der Umsetzung eines völkerrechtlichen Vertrags dienen, in den Genehmigungsbeschluss aufgenommen werden, wenn dieser dem fakultativen Referendum untersteht. Die vorgeschlagenen Gesetzesbestimmungen dienen der Umsetzung der Richtlinie (EU) 2023/977 und ergeben sich unmittelbar aus den darin enthaltenen Verpflichtungen. Der Entwurf des Umsetzungserlasses kann deshalb in den Genehmigungsbeschluss aufgenommen werden.

9.4 Unterstellung unter die Ausgabenbremse

Die Vorlage sieht weder Subventionen noch Verpflichtungskredite oder Zahlungsrahmen vor, die eine neue einmalige Ausgabe von mehr als 20 Millionen Franken oder neue wiederkehrende Ausgaben von mehr als 2 Millionen Franken nach sich ziehen würden. Folglich unterliegt sie nicht der Ausgabenbremse.

9.5 Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips und des Prinzips der fiskalischen Äquivalenz

Das Prinzip der Subsidiarität (Art. 5 a und 43 a Abs. 1 BV) wird mit der vorgeschlagenen Gesetzesänderung zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2023/977 eingehalten: Der Bund übernimmt keine neuen Aufgaben, welche bisher von den Kantonen wahrgenommen wurden. Die Vorlage tangiert die Aufgabenteilung oder die Aufgabenerfüllung durch Bund und Kantone nicht.
Auch das Prinzip der fiskalischen Äquivalenz (Art. 43 a Abs. 2 BV) wird respektiert: Die Vorlage sollte keine zusätzlichen Kosten verursachen, die über die von der POLAP generierten hinausgehen. Damit wird die fiskalische Äquivalenz in Bezug auf die Kongruenz von Kostenträger und Entscheidträger eingehalten.

9.6 Datenschutz

Bekanntgabe von Personendaten an andere Schengen-Staaten
Die Datenbearbeitung durch Bundesbehörden richtet sich nach dem DSG. Sie untersteht der Aufsicht des Eidgenössischen Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragten (EDÖB). Im DSG sind besondere Anforderungen für die Bekanntgabe von Personendaten ins Ausland vorgesehen (Art. 16 f. DSG). Gemäss Artikel 16 DSG dürfen Personendaten grundsätzlich nur dann ins Ausland bekanntgegeben werden, wenn die Gesetzgebung des betreffenden Staates einen angemessenen Datenschutz gewährleistet. Die Angemessenheit der ausländischen Gesetzgebung wird durch den Bundesrat geprüft. Für alle Schengen-Staaten hat die Bearbeitung von personenbezogenen Daten im Einklang mit der Richtlinie (EU) 2016/680 zu stehen. Der Bundesrat untersucht, ob die Schengen-Staaten über die dadurch vorgeschriebene Gesetzgebung verfügen und ob diese auch angewendet wird. In Anhang 1 der Datenschutzverordnung vom 31. August 2022 7¹ sind die Staaten, Gebiete, spezifischen Sektoren in einem Staat und internationale Organe aufgelistet, welche über einen angemessenen Datenschutz verfügen. Dadurch wird ein angemessener Datenschutz gewährleistet. Für die Bearbeitung von Daten durch kantonale und kommunale Behörden ist das jeweilige kantonale Datenschutzrecht anwendbar. Die jeweiligen kantonalen Gesetze müssen ebenfalls im Einklang mit den Anforderungen der Richtlinie (EU) 2016/680 stehen.
Bearbeitung von Personendaten durch die EAZ fedpol
Mit dem vorliegenden Gesetzesentwurf werden die Bedingungen und Modalitäten für den Austausch von Daten, welche gemäss nationalem Recht zur Verhinderung und Verfolgung von Straftaten an andere Schengen-Staaten übermittelt werden dürfen, geregelt. Für den Austausch ist die nationale Kontaktstelle (EAZ fedpol) zuständig, welche als Drehscheibe zwischen den Strafverfolgungsbehörden von Bund und Kantonen und den nationalen Kontaktstellen und benannten Strafverfolgungsbehörden der Schengen-Staaten fungiert. Die EAZ fedpol darf die erhaltenen Informationen nur im Umfang ihrer Aufgaben und Befugnisse bearbeiten. Daten die zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben im hierzu notwendigen Fallbearbeitungssystem zu speichern sind, werden nicht länger aufbewahrt, als es für den Zweck erforderlich ist.
Datenschutz und Datensicherheit
Gemäss diesem Gesetzesentwurf werden nur Informationen gemäss Anhang 2 an andere Schengen-Staaten übermittelt, welche in einem Informationssystem vorhanden sind oder ohne Anwendung von Zwang eingeholt werden können und gemäss dem nationalen Recht zur Verhinderung und Verfolgung von Straftaten bekanntgegeben werden dürfen. Die Aufbewahrung, Übermittlung und Bearbeitung der verfügbaren Informationen richtet sich entsprechend nach den Datenschutzvorschriften der jeweiligen Informationssysteme oder allgemeinen Bestimmungen des DSG sowie der kantonalen Datenschutzbestimmungen. Die Datenherrschaft und damit die Verantwortung für die Datengovernance (Datenqualität, Löschfristen etc.) liegt bei den jeweiligen Verantwortlichen, das heisst beim Bund im Fall von Bundessystemen und den Kantonen bei kantonalen Informationssystemen. Somit müssen Verantwortliche bei ihren Systemen einen ausreichenden Datenschutz bzw. eine ausreichende Datensicherheit sicherstellen. Der Datenschutz und die Datensicherheit werden folglich durch die entsprechenden rechtlichen Bestimmungen der einschlägigen Informationssysteme gewährleistet.
Keine Notwendigkeit einer Datenschutz-Folgenabschätzung
Mit der Umsetzung der Richtlinie (EU) 2023/977 bzw. der Totalrevision des SIaG werden die Bedingungen und Modalitäten des bereits seit der Übernahme des Rahmenbeschlusses 2006/960/JI existierenden Informationsaustauschs mit den Strafverfolgungsbehörden anderer Schengen-Staaten präzisiert. Sind die von der Richtlinie (EU) 2023/977 genannten und im SIaG verankerten Bedingungen erfüllt und können die Informationen auch national unter Strafverfolgungsbehörden ausgetauscht werden (Grundsatz der Gleichbehandlung; vgl. Erläuterungen zu Art. 5), so sind die zur Beantwortung des Ersuchens notwendigen Informationen an den ersuchenden Schengen-Staat zu übermitteln. Der ersuchende Schengen-Staat muss über einen gleichwertigen Datenschutz verfügen. Ob der ersuchende Schengen-Staat über einen gleichwertigen Datenschutz verfügt, geht aus Anhang 1 der DSV hervor. Der Informationsaustausch zwischen der EAZ fedpol und den schweizerischen Strafverfolgungsbehörden sowie der EAZ fedpol und den Strafverfolgungsbehörden der anderen Schengen-Staaten erfolgt mit bestehenden Prozessen und auf bestehenden Systemen. Die Bearbeitung der betroffenen Daten beruht auf bestehenden rechtlichen Grundlagen. Die Rechte der betroffenen Personen werden in den bereits bestehenden Erlassen berücksichtigt und gewähren ihnen dadurch den notwendigen Schutz. Die Zugriffsrechte der betroffenen Informationssysteme werden durch die Totalrevision des SIaG nicht verändert. Risiken der Datenbearbeitungen werden bereits durch die rechtlichen Grundlagen (Zugriffsrechte, Protokollierung, Aufbewahrungsdauer etc.) und technischen Massnahmen der betroffenen Informationssysteme bewältigt. Die im Rahmen des vorliegenden Gesetzesprojektes geplanten Bearbeitungen haben kein hohes Risiko für die Persönlichkeit oder die Grundrechte von betroffenen Personen zur Folge. Eine Datenschutz-Folgeabschätzung nach Artikel 22 DSG ist aus den genannten Gründen nicht notwendig.
Abkürzungsverzeichnis
Tabelle vergrössern
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ABl. Amtsblatt
AEUV Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union
BAZG Bundesamt für Zoll- und Grenzsicherheit
BBl Bundesblatt
BPI Bundesgesetz über die polizeilichen Informationssysteme des Bundes
BV Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft
DAA Dublin-Assoziierungsabkommen
DSG Bundesgesetz über den Datenschutz
DSV Verordnung über den Datenschutz
EAZ fedpol Einsatz- und Alarmzentrale von fedpol
EDÖB Eidgenössischer Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragter
EJPD Eidgenössisches Justiz- und Polizeidepartement
EMRK Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten
EU Europäische Union
Europol Europäische Polizeiagentur
Interpol Internationale kriminalpolizeiliche Organisation
IPAS Informatisiertes Personennachweis-, Aktennachweis- und Verwaltungssystem des Bundesamts für Polizei
IRSG Bundesgesetz über internationale Rechtshilfe in Strafsachen
i.V.m. in Verbindung mit
JANUS Informationssystem der Bundeskriminalpolizei
JI Justiz und Inneres
LIBE Bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres
nISG neues Bundesgesetz über die Informationssicherheit beim Bund
OV-EJPD Organisationsverordnung für das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement
ParlG Bundesgesetz über die Bundesversammlung
POLAP Polizeiliche Abfrageplattform
RVOG Regierungs- und Verwaltungsorganisationsgesetz
SAA Schengen-Assoziierungsabkommen
SIaG Bundesgesetz über den Informationsaustausch zwischen den Strafverfolgungsbehörden des Bundes und denjenigen der anderen Schengen-Staaten
SIENA Secure Information Exchange Network Application
SIRENE Supplementary Information REquest at the National Entry
SPI Schweizerischer Polizeiindex
SPOC Single Point of Contact
SR Systematische Rechtssammlung
StGB Schweizerisches Strafgesetzbuch
StPO Schweizerische Strafprozessordnung
UNO Organisation der Vereinten Nationen
ZEMIS Zentrales Migrationsinformationssystem
ZGB Schweizerisches Zivilgesetzbuch
7¹ SR 235.11
Bundesrecht
Botschaft zur Genehmigung und Umsetzung des Notenaustauschs zwischen der Schweiz und der EU betreffend die Übernahme der Richtlinie (EU) 2023/977 über den Informationsaustausch zwischen Strafverfolgungsbehörden der Mitgliedstaaten und zur Aufhebung des Rahmenbeschlusses 2006/960/JI des Rates (Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands)
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