BBl 2024 2318
CH - Bundesblatt

Botschaft zur Genehmigung des Abkommens über Solidaritätsmassnahmen zur Gewährleistung der sicheren Gasversorgung zwischen der Schweiz, Deutschland und Italien

Botschaft zur Genehmigung des Abkommens über Solidaritätsmassnahmen zur Gewährleistung der sicheren Gasversorgung zwischen der Schweiz, Deutschland und Italien
vom 28. August 2024
Sehr geehrter Herr Nationalratspräsident Sehr geehrte Frau Ständeratspräsidentin Sehr geehrte Damen und Herren
Mit dieser Botschaft unterbreiten wir Ihnen, mit dem Antrag auf Zustimmung, den Entwurf eines Bundesbeschlusses über die Genehmigung des Abkommens über Solidaritätsmassnahmen zur Gewährleistung der sicheren Gasversorgung zwischen der Schweiz, Deutschland und Italien, den Entwurf eines Bundesbeschlusses über einen Verpflichtungskredit zur Gewährung einer staatlichen Garantie im Rahmen des Abkommens über Solidaritätsmassnahmen zur Gewährleistung der sicheren Gasversorgung zwischen der Schweiz, Deutschland und Italien sowie den Entwurf eines Bundesbeschlusses über einen Verpflichtungskredit zur Finanzierung von Solidaritätsmassnahmen im Rahmen des Abkommens über Solidaritätsmassnahmen zur Gewährleistung der sicheren Gasversorgung zwischen der Schweiz, Deutschland und Italien.
Wir versichern Sie, sehr geehrter Herr Nationalratspräsident, sehr geehrte Frau Ständeratspräsidentin, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.
28. August 2024 Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Die Bundespräsidentin: Viola Amherd Der Bundeskanzler: Viktor Rossi
Übersicht
Mit dem Abkommen über Solidaritätsmassnahmen zur Gewährleistung der sicheren Gasversorgung zwischen der Schweiz, Deutschland und Italien kann die Schweiz bei den beiden anderen Vertragsstaaten um Solidarität zur Versorgung der geschützten Schweizer Kundinnen und Kunden (v. a. Privathaushalte, Spitäler und Notdienste) ersuchen, wenn ein Notfall ausgerufen wird und nachdem sämtliche im Inland möglichen Massnahmen ergriffen worden sind. Im Gegenzug können die beiden anderen Vertragsstaaten auch die Schweiz im Notfall um Solidarität anfragen. Die drei Staaten garantieren zudem, bei Umsetzung der Solidaritätsmassnahmen die bestehenden Transportkapazitäten in ihren Netzen nicht einzuschränken.
Im Falle von Solidaritätsleistungen hätte der Bund Zahlungsverpflichtungen. Diese würden den Gaspreis und die Kosten für den Gastransport sowie allfällige Entschädigungen für Schäden im Zusammenhang mit hoheitlichen Massnahmen umfassen. Damit der Bund im Bedarfsfall eine Staatsgarantie abgeben oder Zahlungen leisten könnte, sind entsprechende Verpflichtungskredite notwendig. Allfällige Zahlungen des Bundes würden im Nachgang den Empfängerinnen und Empfängern der Gaslieferungen, d. h. den durch Solidarität geschützten Schweizer Kundinnen und Kunden in Rechnung gestellt.
Entstünden zwischen den Vertragsparteien Streitigkeiten, welche die zuständigen Behörden nicht beigelegen können, so würden diese vor einem Ad-hoc-Schiedsgericht beigelegt. Dieses entschiede verbindlich über alle Streitfälle, die in den Anwendungsbereich des Abkommens fallen.
Mit der Vorlage werden dem Parlament das Abkommen und die zu dessen Umsetzung erforderlichen Verpflichtungskredite zur Genehmigung unterbreitet.
Botschaft

1 Ausgangslage

1.1 Handlungsbedarf und Ziele

Vor dem Hintergrund des Kriegs, den Russland im Februar 2022 gegen die Ukraine begonnen hatte, hat der Bundesrat verschiedene vorsorgliche Massnahmen zur Stärkung der Gasversorgungssicherheit aufgegleist. Eine davon ist die Verordnung vom 18. Mai 2022 ¹ über die Sicherstellung der Lieferkapazitäten bei einer schweren Mangellage in der Erdgasversorgung. Diese ist befristet bis Ende September 2025 in Kraft und verpflichtet die regionalen Erdgasnetzbetreiber (Aziende Industriali di Lugano SA, Erdgas Ostschweiz AG, Erdgas Zentralschweiz AG, Gasverbund Mittelland AG und Gaznat SA), jeweils am 1. November des Jahres eine Gasreserve von 15 Prozent des durchschnittlichen inländischen Jahresverbrauchs zu lagern. Da die Schweiz über keine geeigneten Speicheranlagen verfügt, werden diese Gasreserven im Ausland eingelagert. Zudem verpflichtete die Verordnung die Netzbetreiber für die Winter 2022/23 sowie 2023/24, über Optionen zu verfügen, mit denen in Krisensituationen Gas erworben werden kann. Darüber hinaus legte der Bundesrat für die Winterhalbjahre 2022/23 und 2023/24 ein freiwilliges Gaseinsparziel von 15 Prozent fest. Die wirtschaftliche Landesversorgung (WL) hat ebenfalls Massnahmen und Verordnungen vorbereitet, die bei schweren Mangellagen umgesetzt werden sollen (Sparappelle, obligatorische Umschaltung von Zweistoffanlagen, Verbot und Beschränkung des Gasverbrauchs, Kontingentierung von nicht geschützten Kundinnen und Kunden). Mit den Massnahmen der WL soll unter anderem sichergestellt werden, dass geschützte Kundinnen und Kunden (v. a. Privathaushalte, Spitäler und Notdienste) auch bei Engpässen weiter versorgt werden können, indem zuerst die Versorgung der nicht geschützten Kundinnen und Kunden eingeschränkt oder sogar ganz eingestellt wird. Schliesslich hat der Vorsteher des Eidgenössischen Departements für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK) im Juli 2023 in Rom eine gemeinsame Absichtserklärung mit Italien unterzeichnet, mit der die Gasversorgung der Schweiz für den Winter bis Oktober 2024 gewährleistet werden soll ² . Diese Erklärung ist rechtlich nicht bindend.
Mit Frankreich haben zwar Diskussionen über ein Solidaritätsabkommen stattgefunden, Frankreich zeigte sich aber nicht interessiert, ein Abkommen mit der Schweiz abzuschliessen; Frankreich hat auch kein Solidaritätsabkommen mit einem anderen Land abgeschlossen. Ein Solidaritätsabkommen mit Österreich würde für die Schweiz wenig zusätzliche Sicherheit bringen, da die Kapazitäten zwischen der Schweiz und Österreich (Vorarlberg) gering sind und Vorarlberg nicht mit dem restlichen österreichischen Netz verbunden ist. Vorarlberg wird aus Deutschland versorgt.
Deutschland und Italien sind für die Gasversorgungssicherheit Europas und insbesondere der Schweiz von entscheidender Bedeutung. Mit dem Abschluss eines Solidaritätsabkommens mit Deutschland und Italien wird die Versorgungssicherheit der geschützten Kundinnen und Kunden in der Schweiz weiter gestärkt. Gestützt auf dieses Abkommen kann die Schweiz im Falle einer schweren Mangellage die anderen beiden Vertragsparteien um Unterstützung ersuchen. Es handelt sich dabei um die letztmögliche Massnahme, um den Bedarf der geschützten Schweizer Kundinnen und Kunden zu decken, falls sich die oben genannten Instrumente als unzureichend erweisen sollten. Im Gegenzug leistet die Schweiz einen Beitrag zur Versorgungssicherheit der beiden Nachbarländer.
Ferner wird die Erbringung von Solidaritätsleistungen zwischen Deutschland und Italien erheblich erleichtert und die Rechtssicherheit erhöht, wenn der Transit durch die Schweiz von den schweizerischen Transportnetzbetreibern im Rahmen des trilateralen Abkommens ermöglicht wird.
Das Abkommen soll im Winter 2025/26 bei Bedarf angewendet werden können. Voraussetzungen dafür sind die Genehmigung des Abkommens durch die drei Staaten, der Abschluss eines Umsetzungsabkommens unter den involvierten Gastransportnetzbetreibern der drei Länder sowie die innerstaatliche Regelung der Vorbereitung und Umsetzung des Abkommens in zwei Verordnungen (s. Ziff. 3.2).
¹ SR 531.82
² https://www.uvek.admin.ch/ > Das UVEK > Medien > Medienmitteilungen > Bundesrat Rösti unterzeichnet in Rom Vereinbarungen für Verkehr und Energie.

1.2 Verlauf der Verhandlungen und Verhandlungsergebnis

Der Bundesrat hat das UVEK im März 2022 damit beauftragt, den Abschluss von Solidaritätsabkommen mit den Nachbarländern für die gegenseitige Lieferung von Gas im Notfall zu prüfen. Im Mai 2022 wurden erste Verhandlungen für ein Solidaritätsabkommen zwischen Deutschland und der Schweiz aufgenommen. Allerdings kam Deutschland im Sommer desselben Jahres von der Idee eines bilateralen Abkommens mit der Schweiz ab und erklärte, dass man ein trilaterales Abkommen mit Italien und der Schweiz bevorzuge. Dies wurde auch von den Bundesräten Albert Rösti und Guy Parmelin sowie dem deutschen Vizekanzler Robert Habeck am Weltwirtschaftsforum in Davos im Januar 2023 und erneut im Januar 2024 betont.
Ab Mai 2023 nahm die Schweiz an den Verhandlungen über ein Solidaritätsabkommen zwischen Deutschland und Italien teil. Da der schweizerische Abschnitt der Transitgasleitung einer der wichtigsten Gastransportwege zwischen Italien und Deutschland darstellt, ist die Beteiligung der Schweiz für die praktische Umsetzung dieses Solidaritätsabkommens von Nutzen. Der Einbezug der Schweiz wird in einem Zusatzabkommen (nachfolgend «trilaterales Abkommen») zum Solidaritätsabkommen zwischen Deutschland und Italien (nachfolgend «bilaterales Abkommen») geregelt ³ .
Deutschland hat am 7. Februar 2024 das bilaterale und das trilaterale Abkommen bei der Europäischen Kommission (EU-Kommission) notifiziert. Die Stellungnahme der EU-Kommission sowie die darauffolgenden Diskussionen führten zu Anpassungen im trilateralen Abkommen, insbesondere im Teil über den Streitbeilegungsmechanismus.
Das bilaterale und das trilaterale Abkommen wurden beim Berlin Energy Transition Dialogue am 19. März 2024 unterzeichnet. Beim trilateralen Abkommen ist die englische Version massgebend, , da es auf Englisch unterzeichnet wurde. Beim bilateralen Abkommen sind die deutsche und die italienische Fassung massgebend.
³ Bundesgesetzblatt Teil II - Bekanntmachung des deutsch-italienischen Abkommens über Solidaritätsmaßnahmen zur Gewährleistung der sicheren Gasversorgung;
zudem auch abgedruckt als Anhang zu dieser Botschaft.

1.3 Verhältnis zur Legislaturplanung und zur Finanzplanung sowie zu Strategien des Bundesrates

Die Vorlage entspricht dem Ziel 25 der Legislaturplanung 2023-2027 ⁴ , wonach die Schweiz die Sicherheit und Stabilität der Energieversorgung sicherzustellen und den Ausbau der inländischen Produktion von erneuerbaren Energien zu fördern hat.
Sie wurde nicht in die Finanzplanung des Bundes aufgenommen. Für die Vorlage sind Verpflichtungskredite erforderlich (s. Ziff. 5).
Das Vorhaben steht im Einklang mit der Energiestrategie des Bundes, welche insbesondere die Beibehaltung der hohen Energieversorgungssicherheit der Schweiz zum Ziel hat. ⁵ Das Abkommen richtet sich nicht gegen die Klimaziele der Schweiz. Es sichert die Gasversorgung der geschützten Kundinnen und Kunden auch dann, wenn die Menge an verbrauchtem Gas im Einklang mit den Klimazielen reduziert wird.
⁴ BBl 2024 1440
⁵ Vgl. dazu die Ausführungen unter Ziff. 4.3.5 in der Botschaft vom 4. September 2013 zum ersten Massnahmenpaket der Energiestrategie 2050, BBl 2013 7561 .

1.4 Erledigung parlamentarischer Vorstösse

Die Motion 22.4001 «Ein Gas-Solidaritätsabkommen mit Italien» vom 26. September 2022 verlangt vom Bundesrat, mit Italien ein Gas-Solidaritätsabkommen auszuhandeln und zu unterzeichnen.

2 Vorverfahren, insbesondere Vernehmlassungsverfahren

Die Vernehmlassung dauerte vom 15. Mai 2024 bis zum 17. Juni 2024. Die Frist für die Vernehmlassung musste gestützt auf Artikel 7 Absatz 4 des Vernehmlassungsgesetzes vom 18. März 2005 ⁶ gegenüber der gemäss dem Gesetz vorgesehenen Mindestfrist von drei Monaten gekürzt werden. Grund dafür ist die Bedeutung und Dringlichkeit des Abkommens für die Versorgungssicherheit mit Gas.
Das trilaterale Solidaritätsabkommen wurde im Allgemeinen von den sich dazu äussernden Teilnehmenden der Vernehmlassung begrüsst, niemand lehnte das Abkommen ab. Auch gab es eine grosse Zustimmung zu den dazu notwendigen Verpflichtungskrediten. Verschiedene Bemerkungen der Vernehmlassungsteilnehmenden betreffen die Umsetzung des Abkommens, welche im Rahmen der Verordnung über die Vorbereitung und die Umsetzung des Solidaritätsabkommens oder in der Vereinbarung über das operative Verfahren unter den Transportnetzbetreibern geregelt werden wird.
Der Bundesrat hat aufgrund der positiven Rückmeldungen der Vernehmlassung keine Änderungen an den Entwürfen der Bundesbeschlüsse vorgenommen und auch keine substanziellen Änderungen an der Vorlage. Die Botschaft wurde insbesondere mit Informationen zu gewünschten Abkommen mit Frankreich und Österreich ergänzt (Antworten auf die Anliegen der Kantone Aargau, Schaffhausen und Thurgau, s. Ziff. 1.1). Als Antwort auf eine Bemerkung der Schweizerischen Volkspartei (SVP) wurden die Ausführungen zum Entscheidungsprozess des Schiedsgerichtes präzisiert (Ziff. 4.2, Art. 11).
Nicht übernommen wurden folgende Anliegen:
-
Kostentragung der Solidaritätsmassnahmen durch den Bund (Schweizerischer Gewerkschaftsbund und gemäss Städteverband einige Städte): Gegen dieses Anliegen spricht, dass das Nutzniesserprinzip zum Tragen kommen soll. Da nur die geschützten Gaskundinnen und -kunden von Solidaritätslieferungen profitieren - andere Gaskundinnen und -kunden oder Haushalte, welche kein Gas benötigen, profitieren nicht -, sollen sie allein für die Bezahlung aufkommen.
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Integration der Verpflichtungskredite in die langfristige Finanzplanung des Bundes (Kanton Thurgau): Die Wahrscheinlichkeit, dass der Kredit beansprucht wird, ist äusserst gering. Deshalb ist eine vorsorgliche Reservierung der Mittel zum heutigen Zeitpunkt nicht angezeigt.
-
Absicherung der Verpflichtungskredite zulasten der Empfänger (SVP): Gegen dieses Anliegen spricht, dass die Staatsgarantie nur in einem ausserordentlichen Fall vergeben wird. Zudem muss die Schweizerische Aktiengesellschaft für Erdgas (nachstehend «Swissgas») eine Aufgabe von öffentlichem Interesse übernehmen. Es handelt sich demnach nicht um eine Absicherung eines Geschäftsinteresses. Die Forderungen gegenüber den Endkundinnen und -kunden sind überdies weit gestreut. Ein Ausfall sämtlicher Forderungen ist nicht realistisch.
⁶ SR 172.061

3 Grundzüge der Abkommen

3.1 Inhalt

Das trilaterale Abkommen zwischen Deutschland, der Schweiz und Italien (siehe Beilage) ist gemäss Artikel 1 ein integraler Bestandteil des bilateralen Abkommens zwischen Deutschland und Italien über Solidaritätsmassnahmen zur Gewährleistung der sicheren Gasversorgung (siehe Anhang). Beide Abkommen wurden am 19. März 2024 in Berlin unterzeichnet. Im trilateralen Abkommen wird an mehreren Stellen auf die einschlägigen Bestimmungen des bilateralen Abkommens verwiesen. Ausserdem behandelt das trilaterale Abkommen einige spezifische Aspekte der Beziehungen zwischen der Schweiz und den beiden anderen Vertragsparteien, die einer besonderen Regelung bedürfen.
Das bilaterale Abkommen stützt sich auf Artikel 13 der zum Zeitpunkt der Unterzeichnung der Abkommen geltenden Verordnung (EU) 2017/1938 über Massnahmen zur Gewährleistung der sicheren Gasversorgung ⁷ (SoS-Verordnung). Die innerhalb der EU abgeschlossenen Solidaritätsabkommen für Gas folgen daher einem einheitlichen Muster. Folgende Punkte des bilateralen Abkommens sind hervorzuheben:
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Die Solidaritätsmassnahmen werden als letztes Mittel angewandt, wenn der Notfall (die letzte der drei in Artikel 11 Absatz 1 der SoS-Verordnung definierten Krisenstufen) von der ersuchenden Vertragspartei ausgerufen wurde und alle Massnahmen zur Senkung des Verbrauchs von nicht geschützten Kundinnen und Kunden oder zur Erhöhung des Angebots bereits umgesetzt wurden. Das heisst, die Vertragsparteien können nur dann um Solidarität ersuchen, wenn sie nicht mehr in der Lage sind, die Gasversorgung der durch Solidarität geschützten Kundinnen und Kunden in ihrem Hoheitsgebiet mit eigenen Mitteln sicherzustellen (Art. 1).
-
Der Begriff «durch Solidarität geschützter Kunde» wird in Artikel 2 Nummer 6 i. V. m. Erwägungsgrund 24 der SoS-Verordnung definiert. Es handelt sich dabei insbesondere um Haushalte, Spitäler und Notdienste (Art. 2).
-
Ersucht eine der Vertragsparteien um Solidarität, sind die anderen Parteien grundsätzlich verpflichtet, die Gasversorgung ihrer nicht geschützten Kundinnen und Kunden zu senken oder zu unterbrechen, bis der Bedarf der geschützten Kundinnen und Kunden des ersuchenden Staats gedeckt ist. In einem ersten Schritt sollten «freiwillige Solidaritätsmassnahmen» getroffen werden. Die Vertragspartei, die die Solidaritätsmassnahmen durchführt (nachfolgend «leistende Vertragspartei»), fordert die Marktteilnehmer in ihrem Hoheitsgebiet zumBeispiel über eine Online-Plattform dazu auf, auf freiwilliger und vertraglicher Grundlage Gas zur Bewältigung der Versorgungskrise im Hoheitsgebiet der ersuchenden Partei zur Verfügung zu stellen. Wenn die bereitgestellten Gasmengen nicht ausreichen, um den Gasbedarf der durch Solidarität geschützten Kundinnen und Kunden zu decken, kann in einem zweiten Schritt auch um «verpflichtende Solidaritätsmassnahmen» ersucht werden. In diesem Fall ergreift die leistende Vertragspartei hoheitliche Massnahmen auf der Angebots- und Nachfrageseite, um zusätzliche Gasmengen anbieten zu können (Art. 3-5).
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Jede Vertragspartei benennt eine zuständige Behörde, um die Kommunikation bei der Durchführung von Solidaritätsmassnahmen zu vereinfachen (Art. 3 Abs. 2 der SoS-Verordnung).
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Ein Solidaritätsersuchen muss bestimmte Informationen enthalten (u. a. die gewünschte Gasmenge) und gilt nur für den Tag, der dem Ersuchen folgt. Für die darauffolgenden Tage können weitere Ersuchen gestellt werden. Solidaritätsersuchen müssen innerhalb kürzester Frist gestellt und beantwortet werden (Art. 3-5). Die Prozesse und Mechanismen für deren Umsetzung müssen auf der Ebene der zuständigen Behörden, aber auch der verschiedenen Akteure im Gasbereich festgelegt werden (Art. 6).
-
Bei freiwilligen Solidaritätsmassnahmen erhalten die Marktteilnehmer der leistenden Vertragspartei ein vertraglich festgelegtes Entgelt. Wenn die betreffenden Verträge nicht von der ersuchenden Vertragspartei selbst, sondern von einem für sie handelnden Dritten - einem in ihrem Hoheitsgebiet tätigen Marktteilnehmer - abgeschlossen werden, muss die ersuchende Partei eine staatliche Garantie zur Absicherung der Forderungen der Marktteilnehmer der leistenden Vertragspartei zusichern (Art. 4). Bei verpflichtenden Solidaritätsmassnahmen gilt ein Vertrag zwischen den Vertragsparteien als zustande gekommen, sobald das Solidaritätsangebot angenommen wird, was entsprechende Entschädigungspflichten gegenüber der leistenden Vertragspartei mit sich bringt (Art. 5). Bei den zu zahlenden Entschädigungen handelt es sich insbesondere um den Gaspreis, die Transportkosten sowie die Entschädigung für Schäden, die nach nationalem Recht infolge der hoheitlichen Massnahmen an die betroffenen Wirtschaftszweige zu leisten ist (Art. 8).
Weil es sich beim trilateralen Abkommen um einen integralen Bestandteil des bilateralen Abkommens handelt (Art. 1), gelten diese Kernelemente des bilateralen Abkommens auch für das trilaterale Abkommen. So wird die Schweiz insbesondere das Recht haben, im Notfall ein Solidaritätsersuchen an Deutschland und Italien gemäss den entsprechenden Bestimmungen des bilateralen Abkommens zu stellen. Umgekehrt können auch Deutschland und Italien ein solches Ersuchen an die Schweiz richten.
Einige spezifische Aspekte der Beziehungen zwischen der Schweiz und den beiden anderen Vertragsparteien bedürfen einer besonderen Regelung. Dies betrifft folgende Bestimmungen des trilateralen Abkommens:
-
Die zuständige Behörde auf Schweizer Seite ist das Bundesamt für wirtschaftliche Landesversorgung (BWL). Es ist die Kontaktstelle für den Austausch zwischen den Staaten bei Solidaritätsersuchen (Art. 2).
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Da die Solidaritätsmassnahmen zwischen Deutschland und Italien beträchtliche Mengen an Gas umfassen und somit grosse Kapazitäten im schweizerischen Teil der Transitgasleitung beanspruchen können, sind spezifische Schutzmechanismen für die Versorgung der Schweiz vorgesehen. So dürfen die Solidaritätsmassnahmen zwischen Deutschland und Italien die Versorgung von durch Solidarität geschützten Kundinnen und Kunden in der Schweiz nicht beeinträchtigen (Art. 5). Sollte dies dennoch der Fall sein, müssen die zuständigen Behörden der drei Vertragsparteien entsprechende Massnahmen treffen, um die Gasversorgung der durch Solidarität geschützten Schweizer Kundinnen und Kunden sicherzustellen (Art. 8). Bei der Umsetzung von Solidaritätsersuchen stellen die drei Vertragsparteien gegenseitig sicher, dass keine Massnahmen ergriffen werden, die die Nutzung der bestehenden Transportkapazitäten in ihren jeweiligen Gasnetzen beschränken; dies auf der Grundlage des ordnungsgemässen und transparenten Funktionierens der Infrastruktur (Art. 6).
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Gemäss dem trilateralen Abkommen werden durch Solidarität geschützte Schweizer Kundinnen und Kunden gleichbehandelt wie durch Solidarität geschützte Kundinnen und Kunden in Deutschland und Italien, sofern die schweizerische Begriffsbestimmung mit jener in den Artikeln 2 Nummer 6 und 13 der SoS-Verordnung übereinstimmt (Art. 7).
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Die zuständigen Behörden der drei Vertragsparteien verpflichten sich, alle erforderlichen Handlungen vorzunehmen, damit ihre jeweiligen Netzbetreiber spätestens sechs Monate nach Inkrafttreten des trilateralen Abkommens eine Vereinbarung über ein operatives Verfahren abschliessen. In dieser Vereinbarung sind die Einzelheiten zur Umsetzung der Solidaritätsmassnahmen geregelt (Art. 10).
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Eine Schiedsklausel sieht vor, dass bei Streitigkeiten mit der Schweiz, die nicht durch die zuständigen Behörden der drei Vertragsparteien beigelegt werden können, im Unterschied zum bilateralen Abkommen nicht der Europäische Gerichtshof, sondern ein Ad-hoc-Schiedsgericht als Streitbeilegungsinstanz fungiert (Art. 11).
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Das trilaterale Abkommen gilt auch für das Fürstentum Liechtenstein, da dieses an der wirtschaftlichen Landesversorgung der Schweiz teilhat. Nach den Artikeln 7 und 8 Absatz 2 des Vertrags vom 29. März 1923 ⁸ zwischen der Schweiz und Liechtenstein über den Anschluss des Fürstentums Liechtenstein an das schweizerische Zollgebiet ermächtigt das Fürstentum Liechtenstein die Schweizerische Eidgenossenschaft, es bei Unterhandlungen mit dritten Staaten über den Abschluss von Handels- und Zollverträgen, die während der Geltungsdauer dieses Vertrages stattfinden, zu vertreten und diese Verträge mit Wirksamkeit für das Fürstentum abzuschliessen (Art. 13). Die Leiterin des liechtensteinischen Amts für Volkswirtschaft wurde konsultiert und stimmte Artikel 13 und dessen Aufnahme in das Abkommen zu.
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Die Verpflichtungen Deutschlands und Italiens gemäss der SoS-Verordnung, insbesondere diejenigen gegenüber anderen EU-Mitgliedstaaten, bleiben vorbehalten (Art. 1).
⁷ Verordnung (EU) 2017/1938 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2017 über Massnahmen zur Gewährleistung der sicheren Gasversorgung und zur Aufhebung der Verordnung (EU) Nr. 994/2010, ABl. L 280 vom 28. Oktober 2017, S. 1; zuletzt geändert durch die Verordnung (EU) 2022/1032, ABl. L 173 vom 30. Juni 2022, S. 17.
⁸ SR 0.631.112.514

3.2 Umsetzung im innerstaatlichen Recht

Die Vorbereitung und Umsetzung des trilateralen Abkommens soll basierend auf dem Bundesgesetz vom 17. Juni 2016 ⁹ über die wirtschaftliche Landesversorgung (LVG) in zwei Verordnungen geregelt werden. Im Unterschied zu Deutschland und Italien besteht in der Schweiz kein Gasversorgungsgesetz, welches die Grundlage für die Umsetzung des trilateralen Abkommens bieten könnte. Die beiden Verordnungen sind nicht Teil des vorliegenden Geschäfts.
Die erste Verordnung legt fest, wie sich die Schweiz auf das Ersuchen von Solidaritätsmassnahmen in einer Mangellage vorbereitet (Art. 5 Abs. 4 LVG) und die Solidaritätsmassnahmen bei einer Anfrage aus dem Ausland umsetzt (Art. 61 Abs. 2 LVG). Das Eidgenössische Departement für Wirtschaft, Bildung und Forschung prüft im Rahmen der laufenden Revision des LVG Stärkung der Mitwirkungspflicht von Unternehmen, die für die wirtschaftliche Landesversorgung nur mittelbar von Bedeutung sind. Für den Entwurf dieser Verordnung hat der Bundesrat am 26. Juni 2024 die Vernehmlassung eröffnet. Die Verordnung soll kurz nach Inkrafttreten des Abkommens in Kraft treten. Die zweite Verordnung wird die Umsetzung von Solidaritätsmassnahmen für den Fall regeln, dass sich auch die Schweiz in einer Krisensituation befindet (Art. 31 und 32 LVG). Sie wird zu einem späteren Zeitpunkt in die Vernehmlassung gehen und würde nur in einer Mangellage in Kraft treten.
Die erste Verordnung über die Vorbereitung und Umsetzung der Solidaritätsmassnahmen zur Gewährleistung der Gasversorgung sieht vor, die öffentliche Aufgabe der Vorbereitung und operativen Umsetzung des Abkommens gestützt auf Artikel 60 Absatz 1 Buchstabe c des LVG an die Swissgas zu übertragen. Die Übertragung ist erforderlich, da es in der Schweiz aufgrund der fehlenden gesetzlichen Grundlage keinen von der Gaswirtschaft entflochtenen Marktgebietsverantwortlichen gibt, der die Aufgabe wahrnehmen könnte. Die Swissgas ist für die Aufgabe geeignet, da sie langjährige Erfahrungen im Netzbetrieb und den zugehörigen Transportaktivitäten mitbringt. Zudem ist sie im Besitz der für die Schweiz bestimmten Kapazitäten der Transitgasleitung. Es gibt keine vergleichbare Organisation in der Schweizer Gaswirtschaft, die diese Aufgabe anstelle der Swissgas übernehmen könnte. Die Swissgas ist abhängig von der Gaswirtschaft. Die Übertragung der Aufgabe an die Swissgas erfolgt unter der Voraussetzung, dass die Swissgas alle Marktakteure verursachergerecht und diskriminierungsfrei behandelt.
Im Rahmen der Umsetzung des Abkommens werden der Swissgas rein operative Aufgaben übertragen. Die Swissgas und die Gasbranche werden verpflichtet innerhalb von sechs Monaten ab Inkrafttreten der Verordnung ein Konzept zur Umsetzung der Vorbereitungsmassnahmen zu erstellen. Mittels Weisungen werden die Pflichten der Swissgas weiter präzisiert, insbesondere hinsichtlich der Pflicht zur regelmässigen Berichterstattung und Auskunft. Die rechtmässige Umsetzung des trilateralen Abkommens und die Einhaltung der Pflichten werden im Rahmen der bestehenden Strukturen der wirtschaftlichen Landesversorgung regelmässig überprüft. Die regulatorischen Zuständigkeiten im Solidaritätsfall verbleiben beim Bund, insbesondere für die Festlegung hoheitlicher Massnahmen (Umschaltung von Zweistoffanlagen, Verbrauchsbeschränkungen und -verbote sowie Kontingentierung).
Seit Oktober 2023 treffen sich die schweizerischen Transportnetzbetreiber regelmässig, um die technischen Einzelheiten in Bezug auf die Anwendung der im Abkommen festgelegten Solidaritätsmechanismen zu klären. Es haben auch Treffen mit den deutschen und italienischen Transportnetzbetreibern stattgefunden mit dem Ziel, eine Vereinbarung über das operative Verfahren auszuarbeiten und spätestens sechs Monate nach Inkrafttreten des trilateralen Abkommens zu unterzeichnen.
⁹ SR 531

3.3 Verpflichtungskredite

Für die finanziellen Verpflichtungen, die dem Bund im Falle einer Durchführung von Solidaritätsmassnahmen entstehen können, bedarf es zweier Verpflichtungskredite. Der Inhalt der erforderlichen Kreditbeschlüsse wird unter Ziffer 5 dargelegt.

3.4 Verhältnis zum EU-Recht

Die in den beiden Solidaritätsabkommen festgelegten Massnahmen entsprechen jenen, die in der Europäischen Union vorgesehen sind. Diese sind in Artikel 13 der SoS-Verordnung aufgeführt und werden als letztes Mittel angewandt, wenn der Notfall (die letzte der drei Krisenstufen, entspricht der schweren Mangellage in der Schweiz) vom ersuchenden Mitgliedstaat ausgerufen wurde. Dies bedeutet, dass alle Massnahmen zur Senkung des Verbrauchs der nicht geschützten Kundinnen und Kunden bereits ergriffen wurden. Mit den Solidaritätsmassnahmen soll die Versorgung von durch Solidarität geschützten Kundinnen und Kunden wie Haushalten, Spitälern und Notdiensten sichergestellt werden. Ein Solidaritätsersuchen muss an alle Mitgliedstaaten übermittelt werden, die direkt oder indirekt mit dem ersuchenden Staat verbunden sind. Wenn um Solidarität ersucht wird, führt daher der Mitgliedstaat oder die Mitgliedstaaten mit dem günstigsten Angebot entsprechende Solidaritätsmassnahmen durch, bis die Nachfrage der geschützten Kundinnen und Kunden des ersuchenden Staats gedeckt ist.
Gemäss der SoS-Verordnung müssen die Mitgliedstaaten ein Solidaritätsabkommen mit jenen Mitgliedsstaaten abschliessen, mit denen sie entweder direkt oder indirekt über ein Drittland wie die Schweiz verbunden sind. Ein Solidaritätsabkommen mit einem Drittland, selbst wenn dieses Gas von einem Mitgliedstaat in einen anderen durchgeleitet wird, ist nicht obligatorisch, wird aber in Artikel 13 Absatz 2 dieser Verordnung ausdrücklich als Möglichkeit vorgesehen. Bis Juli 2023 wurden nur acht Abkommen geschlossen 1⁰ . Vor dem Hintergrund der Energiekrise legte die EU-Kommission Ende 2022 Standardvorschriften 1¹ für Mitgliedstaaten fest, die kein Solidaritätsabkommen unterzeichnet haben. So wird sichergestellt, dass jeder Mitgliedstaat von Solidaritätsmassnahmen eines anderen Mitgliedstaats profitieren kann, auch wenn kein bilaterales Solidaritätsabkommen besteht. Diese Standardvorschriften wurden von der EU mit dem neuen Paket für Erdgas, erneuerbares Gas und Wasserstoff am 21. Mai 2024 permanent eingeführt (die Vorschriften sind noch nicht im Amtsblatt der EU veröffentlich worden). Sie enthalten Bestimmungen über den Zeitplan, die gelieferten Mengen und die Entschädigung. Sie klären zahlreiche Punkte der bilateralen Abkommen und dürften daher dazu führen, dass deutlich weniger bilaterale Solidaritätsabkommen abgeschlossen werden und somit auch weniger Abkommen mit der Schweiz zustande kommen - zumindest solange die Standardvorschriften gültig sind.
In der SoS-Verordnung sind auch Bestimmungen zur Gasversorgungssicherheit zu finden, die Massnahmen umfassen, die zur Sicherstellung der Gasversorgung auf nationaler oder regionaler Ebene ergriffen wurden oder zu ergreifen sind, beispielsweise die Erstellung von Notfall- und Präventionsplänen. Diese Bestimmungen stehen nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit dem bilateralen und dem trilateralen Abkommen und haben für die Schweiz nur indirekte Auswirkungen.
Im Ingress des trilateralen Abkommens sind die wichtigsten Rechtsakte der EU im Bereich der Gasversorgung aufgeführt. Allfällige Verweise auf EU-Recht, die auch für die Schweiz relevant sind, können sich dadurch ergeben, dass das trilaterale Abkommen einen integralen Bestandteil des bilateralen Abkommens bildet und dieses punktuell Bezug auf EU-Recht nimmt. Dabei handelt es sich um statische Verweise mit Angabe der Fundstelle der betreffenden Rechtstexte. Solche Verweise haben nur eine begrenzte Wirkung, da die zentralen Rechte und Pflichten der Vertragsparteien detailliert und umfassend in den beiden Abkommen geregelt sind, insbesondere was die finanziellen Verpflichtungen betrifft. Das EU-Recht könnte jedoch bei der Auslegung des trilateralen Abkommens bis zu einem gewissen Grad eine Rolle spielen, da das Abkommen auf einem Konzept EU-Recht beruht. Das trilaterale Abkommen sieht in einigen Punkten eine Sonderregelung für die Schweiz vor. Dies ist insbesondere bei der Festlegung des zu berücksichtigenden Gaspreises der Fall.
1⁰ https://energy.ec.europa.eu > topics > energy-security > security-gas-supply
1¹ Art. 27 und 28 der Verordnung (EU) 2022/2576 des Rates vom 19. Dezember 2022 über mehr Solidarität durch eine bessere Koordinierung der Gasbeschaffung, zuverlässige Preis-Referenzwerte und den grenzüberschreitenden Austausch von Gas, ABl. L 335 vom 29. Dezember 2022, S. 1; zuletzt geändert durch die Verordnung (EU) 2023/2919, ABl. L 2023/2919 vom 29. Dezember 2023.

4 Erläuterungen zu einzelnen Artikeln

4.1 Bilaterales Solidaritätsabkommen

Art. 1
Gegenstand und Geltungsbereich
Artikel 1 legt den Gegenstand und den Geltungsbereich der Solidarität fest.
Art. 2
Begriffsbestimmungen
Die wichtigsten Begriffe wie «freiwillige Solidaritätsmassnahmen» oder «verpflichtende Solidaritätsmassnahmen» werden in Absatz 2 beschrieben oder referenziert. In Absatz 1 wird ausserdem zum Verständnis der Begriffe auf die wichtigsten EU-Rechtsakte zum Gasbinnenmarkt verwiesen (z. B. «durch Solidarität geschützte Kundinnen und Kunden»).
Art. 3
Solidaritätsersuchen
Das Solidaritätsersuchen ist von der zuständigen Behörde und nur als letztes Mittel bei Ausrufung des Notfalls zu stellen. Es muss an alle Mitgliedstaaten übermittelt werden, die direkt oder indirekt über ein Drittland mit dem ersuchenden Staat verbunden sind. Die EU-Kommission muss darüber informiert werden (Abs. 1-3). Das Solidaritätsersuchen hat verschiedene Angaben wie die benötigte Gasmenge, den Lieferpunkt und -tag und die Anerkennung der Entschädigungsverpflichtung zu enthalten (Abs. 4). Es muss für jeden Tag separat gestellt und bearbeitet werden (Abs. 6).
Art. 4
Durchführung freiwilliger Solidaritätsmassnahmen
Die leistende Vertragspartei muss unverzüglich freiwillige Solidaritätsmassnahmen durchführen (Abs. 1). Das bedeutet, dass sie die Marktteilnehmer in ihrem Hoheitsgebiet ermitteln muss, die bereit sind, auf Vertragsbasis bestimmte Gasmengen zu liefern. Liegen Angebote vor (z. B. auf einer dafür vorgesehenen Online-Plattform, vgl. Abs. 6), obliegt es der ersuchenden Vertragspartei, sich die benötigten Gasmengen zu beschaffen, indem sie Verträge mit den entsprechenden Marktteilnehmern abschliesst. Die leistende Vertragspartei wird nicht Vertragspartner dieser Verträge und haftet auch nicht für deren Erfüllung (Abs. 2). Wenn die zuständige Behörde der ersuchenden Vertragspartei eine Drittpartei (einen Marktteilnehmer, der auf ihrem Hoheitsgebiet tätig ist) Verträge über auf freiwilligen Massnahmen beruhende Angebote abschliessen lässt, hat sie staatliche Garantien abzugeben (Abs. 3).
Art. 5
Durchführung verpflichtender Solidaritätsmassnahmen
Wenn die freiwilligen Angebote immer noch nicht ausreichen, um die Nachfrage der durch Solidarität geschützten Kundinnen und Kunden zu decken, kann die ersuchende Vertragspartei ein neues Ersuchen stellen (Abs. 1). Die leistende Vertragspartei gibt daraufhin ein Angebot für den darauffolgenden Tag ab, das Angaben unter anderem über die verfügbare Gasmenge, den Lieferpunkt sowie die voraussichtlichen Kosten der Solidaritätsmassnahmen enthalten muss (Abs. 2 und 3). Zudem muss die Versorgung der geschützten Kundinnen und Kunden der leistenden Vertragspartei jederzeit gewährleistet sein (Abs. 5). Wird das Angebot angenommen (innert sehr kurzer Frist, vgl. Abs. 9), gilt ein Vertrag zwischen den Vertragsparteien als zustande gekommen und die leistende Vertragspartei setzt die notwendigen hoheitlichen Massnahmen um, um die im Vertrag vereinbarten Gasmengen zur Verfügung zu stellen (Abs. 10). Ist eine Online-Plattform vorhanden, so müssen die Angebote über diese ausgewählt und angenommen werden (Abs. 11).
Art. 6
Transport und Übernahme der Gasmengen bei der Durchführung verpflichtender Solidaritätsmassnahmen
Die leistende Vertragspartei trägt das Risiko für den Transport zum Lieferpunkt (Abs. 3), während die ersuchende Partei das Risiko für den Transport durch das Hoheitsgebiet eines Drittstaats trägt (Abs. 4). Die Zahlungsverpflichtungen gelten unabhängig von der tatsächlichen Übernahme der Gasmengen (Abs. 6). Relevante Drittländer müssen so weit wie möglich einbezogen werden, um zu einer Vereinbarung über das operative Verfahren zwischen den Transportleitungsnetzbetreibern hinsichtlich des Transports an den Lieferpunkten zu kommen (Abs. 7).
Art. 7
Ende der Solidaritätsmassnahmen
Die Massnahmen werden nicht mehr durchgeführt, wenn die EU-Kommission erklärt, dass die Ausrufung des Notfalls nicht oder nicht mehr gerechtfertigt ist, wenn kein erneutes Solidaritätsersuchen erfolgt oder wenn die Gasversorgung der leistenden Vertragspartei (v. a. der geschützten Kundinnen und Kunden) nicht mehr gewährleistet werden kann.
Art. 8
Entschädigung für verpflichtende Solidaritätsmassnahmen
Die Entschädigung für die im Rahmen der verpflichtenden Solidaritätsmassnahmen gelieferte Gasmenge umfasst insbesondere den Gaspreis und die Transportkosten zum Lieferpunkt. Entschädigungen für Schäden, die Wirtschaftszweigen aufgrund der Anwendung von hoheitlichen Massnahmen entstehen, werden nur in Rechnung gestellt, wenn sie nicht bereits Bestandteil des Gaspreises sind (Abs. 1). Die Höhe der Entschädigung wird auf der Grundlage der einschlägigen gesetzlichen Regelungen der leistenden Vertragspartei ermittelt, die dem Abkommen als Anlagen beigefügt sind (Abs. 2). Die endgültige Entschädigung kann von dem im Angebot genannten Betrag abweichen. Die Differenz muss bezahlt oder rückerstattet werden (Abs. 5).
Art. 9-14
Die Bestimmungen zu den Zahlungsmodalitäten (Art. 9), zur Einhaltung der Verpflichtungen zur Solidarität auf nationaler Ebene (Art. 10), zu den Kommunikationsmitteln (Art. 11) und zum anwendbaren Recht (Art. 12) erfordern keine vertieften Erläuterungen. Nach Artikel 13 greift der Europäische Gerichtshof als Schiedsgericht ein, wenn eine Streitigkeit nicht beigelegt werden kann. Das Abkommen gilt auf unbestimmte Zeit, kann aber mit einer Frist von sechs Monaten gekündigt werden (Art. 14).
Art. 15
Inkrafttreten
Das Abkommen tritt an dem Tag in Kraft, an dem die Vertragsparteien einander mitgeteilt haben, dass die innerstaatlichen Voraussetzungen für das Inkrafttreten erfüllt sind.

4.2 Trilaterales Solidaritätsabkommen

Art. 1
Das trilaterale Abkommen ist integraler Bestandteil des bilateralen Abkommens Im trilateralen Abkommen wird an mehreren Stellen ausdrücklich auf die Anwendbarkeit gewisser Bestimmungen des bilateralen Abkommens verwiesen. In Bezug auf die Gegenstände der Artikel 12 (geltendes Recht) und 13 (Beilegung von Streitigkeiten) des bilateralen Abkommens enthält das trilaterale Abkommen besondere Bestimmungen. Die Verpflichtungen Deutschlands und Italiens gegenüber anderen EU-Mitgliedstaaten gemäss der SoS-Verordnung bleiben vorbehalten.
Art. 2
Von der zuständigen Behörde der Schweiz gestellte Solidaritätsersuchen müssen gemäss Artikel 3 Absatz 3 des bilateralen Abkommens sowohl an die zuständige Behörde Deutschlands als auch Italiens übermittelt werden. Ebenso müssen Solidaritätsersuchen aus Deutschland oder Italien auch an die Schweiz weitergeleitet werden. Die zuständige Behörde der Schweiz ist das BWL. Artikel 2 setzt somit Artikel 3 Absatz 2 des bilateralen Abkommens in den trilateralen Beziehungen um.
Deutschland und Italien haben ein Solidaritätsersuchen an alle Mitgliedstaaten zu richten, mit denen sie direkt oder indirekt verbunden sind (Art. 3 Abs. 3 des bilateralen Abkommens). Durch das trilaterale Abkommen wird dieser Grundsatz auch auf die Beziehungen zur Schweiz ausgeweitet. Die Schweiz kann hingegen nur Deutschland und Italien um Solidarität ersuchen.
Art. 3
Die zuständigen Behörden und die Transportnetzbetreiber benachrichtigen sich gegenseitig über die Buchungen und Nominierungen von Kapazitäten im Zusammenhang mit Solidaritätsmassnahmen nach Artikel 4 Absatz 5 des bilateralen Abkommens. Der Zeitpunkt dieser Benachrichtigungen wird in einer Vereinbarung über das operative Verfahren gemäss Artikel 10 geregelt.
Art. 4
Die zuständigen Behörden der drei Vertragsparteien setzen sich gegenseitig über die Ausrufung des Notfalls und über alle Änderungen von Kontaktdaten der zuständigen Behörde in Kenntnis.
Die schwere Mangellage nach Artikel 2 LVG entspricht dem Notfall gemäss Artikel 11 Absatz 1 der SoS-Verordnung.
Art. 5
Eine Solidaritätsleistung zwischen Deutschland und Italien darf die Gasversorgung von durch Solidarität geschützten Kundinnen und Kunden in der Schweiz nicht beeinträchtigen. Sollte die Versorgung dieser Kundinnen und Kunden dennoch gefährdet werden, kommt Artikel 8 des trilateralen Abkommens zur Anwendung. Diese Bestimmungen gewährleisten, dass die Versorgung der geschützten Schweizer Kundinnen und Kunden durch die Solidaritätsmassnahmen zwischen Deutschland und Italien nicht beeinflusst wird. So kann Deutschland beispielsweise keine Kapazitäten oder Gasmengen nutzen, die für geschützte Kundinnen und Kunden in der Schweiz bestimmt sind, um einem Solidaritätsersuchen nachzukommen. Dieser Punkt soll in der Vereinbarung über das operative Verfahren von den Transportnetzbetreiber konkretisiert werden.
Art. 6
Die drei Vertragsparteien sorgen dafür, dass sie bei der Umsetzung von Solidaritätsmassnahmen die Transportleitungen in ihren jeweiligen Netzen nicht einschränken. Das bedeutet, dass keine staatlichen Eingriffe vorgenommen werden, um die maximale technische Ausnutzung der Kapazitäten zu begrenzen.
Mit diesem Artikel wird beispielsweise ausgeschlossen, dass Kapazitäten, die für die Versorgung von Schweizer Kundinnen und Kunden gebucht sind, im Rahmen der Durchführung von Solidaritätsmassnahmen enteignet werden. Umgekehrt hat auch die Schweiz dafür zu sorgen, dass keine Kapazitäten, die für die Versorgung deutscher oder italienischer Kundinnen und Kunden bestimmt sind, enteignet werden.
Art. 7
Durch Solidarität geschützte Schweizer Kundinnen und Kunden sind durch Solidarität geschützte Kundinnen und Kunden in Deutschland und Italien gleichgestellt, sofern ihre Begriffsbestimmung (Definition) mit jener in der SoS-Verordnung in Einklang steht.
Durch Solidarität geschützte Kundinnen und Kunden in der Schweiz wurden gestützt auf Artikel 2 Nummer 6 der SoS-Verordnung definiert. Diese Definition wird in der geplanten Verordnung über die Vorbereitung und Umsetzung des Solidaritätsabkommens in der Schweiz enthalten sein.
Art. 8
Sollte die Versorgung der durch Solidarität geschützten Schweizer Kundinnen und Kunden trotz der Vorgabe in Artikel 5 durch Solidaritätsmassnahmen zwischen Deutschland und Italien gefährdet werden, so sind die zuständigen Behörden verpflichtet, gemeinsam geeignete Massnahmen zu treffen (z. B. die Gewährleistung von Transportkapazitäten), damit die Versorgung der geschützten Schweizer Kundinnen und Kunden wieder sichergestellt ist.
Art. 9
Die Schweiz hat das Recht, Deutschland und Italien ein Solidaritätsersuchen zu unterbreiten. Umgekehrt haben auch Deutschland und Italien das Recht, ein solches Ersuchen an die Schweiz zu richten und zwar gemäss den Verfahren des bilateralen Abkommens zwischen Deutschland und Italien. Der Verweis auf die Regelungen des bilateralen Abkommens stellt unmissverständlich klar, dass für die Unterbreitung eines Solidaritätsersuchens die Ausrufung einer schweren Mangellage oder eines Notfalls nach Artikel 11 Absatz 1 Buchstabe c der SoS-Verordnung sowie eine Durchführung aller möglichen Massnahmen im Hoheitsgebiet vorausgesetzt werden. Im Fall der Schweiz bedeutet das, dass die vorsorglichen Massnahmen (z. B. Nutzung von Speicheranlagen) und die Massnahmen der wirtschaftlichen Landesversorgung nicht ausreichen, um die Nachfrage der geschützten Schweizer Kundinnen und Kunden zu decken. Die Schweiz muss die erforderlichen Massnahmen auch umsetzen, wenn Deutschland oder Italien ein Solidaritätsersuchen stellt. In dieser Situation ist es möglich, wenn auch nicht sehr wahrscheinlich, dass in der Schweiz noch keine Mangellage herrscht. Artikel 61 Absatz 2 LVG sieht die Möglichkeit vor, zur Erfüllung internationaler Verpflichtungen auch wirtschaftliche Interventionsmassnahmen zu ergreifen, wenn im Inland keine Mangellage droht oder besteht. Wie bereits oben erwähnt, muss die Schweiz ein Solidaritätsersuchen nach Artikel 2 des trilateralen Abkommens in Verbindung mit Artikel 3 Absatz 3 des bilateralen Abkommens immer sowohl an Deutschland als auch an Italien übermitteln. Umgekehrt müssen auch Deutschland und Italien ihre Solidaritätsersuchen immer an alle Vertragsparteien übermitteln.
In Bezug auf die Form und die Bearbeitung des Solidaritätsersuchens sowie die jeweiligen Fristen sind die entsprechenden Bestimmungen des bilateralen Abkommens massgebend. Dies gilt insbesondere für die operative Abwicklung der freiwilligen und verpflichtenden Solidaritätsmassnahmen, auch in finanzieller Hinsicht. Zudem besteht die Pflicht, eine staatliche Garantie für freiwillige Solidaritätsmassnahmen und eine staatliche Entschädigung für verpflichtende Solidaritätsmassnahmen zu gewährleisten.
Art. 10
Die zuständigen Behörden sorgen dafür, dass ihre jeweiligen Transportnetzbetreiber spätestens sechs Monate nach Inkrafttreten des trilateralen Abkommens eine Vereinbarung über das operative Verfahren abschliessen. In dieser Vereinbarung müssen insbesondere die Prozesse festgelegt werden, die auf Ebene der Transportnetzbetreiber zur Gewährleistung einer korrekten und raschen Anwendung der Solidaritätsmassnahmen einzurichten sind.
Art. 11
Streitigkeiten zwischen den Vertragsparteien sollen in einem ersten Schritt durch die zuständigen Behörden beigelegt werden. Ist dies nicht möglich, kann jede Vertragspartei die Befassung eines Ad-hoc-Schiedsgerichts verlangen. Dieses entscheidet verbindlich über alle Streitfälle, die in den Anwendungsbereich des Abkommens fallen. Für die Zusammensetzung des Schiedsgerichts ist eine Viererbesetzung vorgesehen (Abs. 3). Jede der drei Vertragsparteien nominiert einen Schiedsrichter. Diese drei Schiedsrichter einigen sich auf eine Vorsitzende oder einen Vorsitzenden (bzw. eine Obfrau oder einen Obmann) aus einem Drittstaat. Falls sie darüber nicht einig werden, wird der Vorsitz gemäss Absatz 4 über den internationalen Gerichtshof bestellt. Die Vorsitzende oder der Vorsitzende wird also mit anderen Worten entweder einvernehmlich oder über eine neutrale Instanz ernannt. Dies stellt im Verbund mit der Regelung, nach welcher die Vorsitzende oder der Vorsitzende bei Stimmengleichheit den Ausschlag gibt (Abs. 5), sicher, dass die Schweiz nicht einfach von den beiden anderen Parteien überstimmt werden kann.
Für die Anwendung des Abkommens sieht die Schiedsgerichtsklausel in Absatz 5 unter anderem vor, dass das Abkommen in Einklang mit dem Wiener Übereinkommen vom 23. Mai 1969 ¹2 über das Recht der Verträge und anderen zwischen den Vertragsparteien geltenden völkerrechtlichen Regeln und Grundsätzen auszulegen ist. Das Schiedsgericht prüft und entscheidet, ob nationale Massnahmen im Einklang mit dem Abkommen sind. Je nach Fragestellung wird das Schiedsgericht auch die Bestimmungen des bilateralen Abkommens auslegen müssen, um einen Streitfall unter dem trilateralen Abkommen zu entscheiden, weil das trilaterale Abkommen ein Bestandteil des bilateralen Abkommens zwischen Deutschland und Italien ist und auf dieses Bezug nimmt. Das nationale Recht - und zu diesem gehört neben dem jeweils nationalen Recht im Verhältnis zu Deutschland und Italien auch das EU-Recht - kann vom Schiedsgericht als Tatsache («matter of fact») gemäss der jeweiligen vorherrschenden nationalen Praxis herangezogen werden, wobei es das Recht so auslegen und anwenden muss, wie ein nationales Gericht - beziehungsweise hinsichtlich des EU-Rechts der EuGH - dies tun würde. Diesbezüglich ist relativierend festzuhalten, dass die Auslegung des nationalen Rechts durch das Schiedsgericht keine Verbindlichkeit für die Rechtsanwendung durch die Behörden der Vertragsparteien erlangt. Auch kann das Schiedsgericht keine innerstaatlichen Rechtsakte aufheben. Die Entscheidung des Schiedsgerichts ist einzig im Verhältnis zwischen den Streitparteien wirksam.
Gemäss den trilateralen Abkommen richtet sich die Entschädigung an die nicht durch Solidarität geschützten Gaskundinnen und -kunden, vor allem die Industrie, nach nationalem Recht. Diese Kundinnen und Kunden erfahren Einschränkungen der Gasversorgung bei der Umsetzung von hoheitlichen Massnahmen. Entsprechend den Ausführungen im vorstehenden Abschnitt könnte das Schiedsgericht prüfen, ob das nationale Recht bei der Festlegung der Entschädigung gemäss der vorherrschenden nationalen Praxis angewendet wurde. Dabei kann es sich insbesondere auch zur Bemessung der Entschädigungen äussern.
Diese Schiedsabrede weist weder dem Gerichtshof der Europäischen Union noch dem schweizerischen Bundesgericht eine aktive Rolle zu.
Art. 12
Die Modalitäten für die Entschädigung durch die ersuchende Vertragspartei beruhen auf den in den Artikeln 8 und 9 des bilateralen Abkommens festgelegten Verfahren. Diese Entschädigung umfasst unter anderem den Gaspreis, die Entschädigung für Schäden im Zusammenhang mit hoheitlichen Massnahmen sowie die Kosten für den Gastransport. Artikel 12 ergänzt die Artikel 8 und 9 des bilateralen Abkommens, indem er präzisiert, wie der Gaspreis berechnet wird, wenn es sich bei der leistenden Vertragspartei um die Schweiz handelt (arithmetisches Mittel der verfügbaren Preise an den deutschen, französischen und italienischen Börsen), und er verweist in Verbindung mit Anlage 1 des trilateralen Abkommens auf Artikel 38 LVG, damit die Höhe der Entschädigung für Schäden an die betroffenen Wirtschaftszweige festgelegt werden kann.
Art. 13
Gemäss dem Vertrag vom 29. März 1923 zwischen der Schweiz und Liechtenstein über den Anschluss des Fürstentums Liechtenstein an das schweizerische Zollgebiet beteiligt sich das Fürstentum Liechtenstein an den Massnahmen zur wirtschaftlichen Landesversorgung der Schweiz. Folglich ist das Fürstentum Liechtenstein ebenfalls an die Rechte und Pflichten aus diesem Abkommen gebunden.
Art. 14
Das trilaterale Abkommen tritt in Kraft, sobald die Vertragsparteien einander mitgeteilt haben, dass die innerstaatlichen Voraussetzungen für das Inkrafttreten erfüllt sind (Abs. 2). Es wird beim Sekretariat der Vereinten Nationen registriert (Abs. 3). Die Vertragsparteien können das Abkommen jederzeit schriftlich kündigen. Gemäss Artikel 14 Absatz 2 des bilateralen Abkommens tritt das trilaterale Abkommen sechs Monate nach dem Eingang der Kündigung bei einer Vertragspartei durch die andere Vertragspartei ausser Kraft.
Die Anwendbarkeit des trilateralen Abkommens hängt vom bilateralen Abkommen ab. Mit anderen Worten: Das trilaterale Abkommen kann nicht vor dem bilateralen Abkommen in Kraft treten. Ebenso würde eine Kündigung des bilateralen Abkommens auch für das trilaterale Abkommen wirksam werden. Ausserdem ist es möglich, dass das bilaterale Abkommen vor dem trilateralen Abkommen in Kraft tritt, zum Beispiel wenn das Schweizer Parlament das trilaterale Abkommen und die Verpflichtungskredite nach den zuständigen deutschen und italienischen Instanzen annimmt.
¹2 SR 0.111

5 Inhalt der Kreditbeschlüsse

5.1 Antrag des Bundesrats und Begründung

Hinsichtlich der Regelung der finanziellen Auswirkungen verweist das trilaterale Abkommen in Ziffer 8 auf das bilaterale Abkommen. Die Auswirkungen gestalten sich unterschiedlich, je nachdem ob die Schweiz selbst um Solidarität ersucht oder um Solidarität ersucht wird. In beiden Fällen entstünden dem Bund im Prinzip nur vorübergehend Kosten. Ersucht die Schweiz um Solidarität, würden sämtliche Kosten auf die geschützten Schweizer Kundinnen und Kunden überwälzt. Wird die Schweiz um Solidarität ersucht, müssten Deutschland oder Italien für die dem Bund entstandenen Kosten aufkommen.
Kosten eines Solidaritätsersuchens der Schweiz
Erst wenn sämtliche freiwilligen Massnahmen (z. B. freiwillige Umschaltung der Zweistoffanlagen) sowie die hoheitlichen Massnahmen der wirtschaftlichen Landesversorgung nicht mehr ausreichen, um die geschützten Kundinnen und Kunden mit Gas zu versorgen, würde als letzte Massnahme ein Ersuchen um Solidarität an Deutschland und Italien gestellt. Die ersuchten Solidaritätsmassnahmen wären mit Kosten verbunden. Deren Höhe hängt von mehreren Faktoren ab: Entscheidend sind zunächst der Umfang und die Dauer der Solidarität. Der Gaspreis hängt von der Marktsituation in den Nachbarländern ab. Hinzu kommen die Transportkosten. Im Falle von verpflichtenden Solidaritätsmassnahmen kommen weitere Kosten hinzu, insbesondere die Entschädigungen, die den ausländischen Gaskunden für hoheitlich verfügte Lieferkürzungen zu leisten wären.
Dem Bundesrat respektive dem BWL als zuständiger Behörde bieten sich drei Instrumente an, um die Höhe der Kosten zu begrenzen: Erstens kann der Bundesrat ganz grundsätzlich entscheiden, ob er um Solidarität ersuchen will oder nicht. Zweitens kann an jedem Tag neu über die ersuchte Gasmenge und die Fortsetzung der Solidaritätsmassnahmen entschieden werden (Art. 3 Abs. 6 des bilateralen Abkommens). Drittens könnte die Schweiz bewusst nur freiwillige Solidaritätsmassnahmen in Anspruch nehmen. Diese sind weniger teuer, da keine Entschädigungen für hoheitliche Massnahmen zu leisten sind. Zudem sind die Kosten im Voraus bekannt.
Bei freiwilligen Solidaritätsmassnahmen richten sich die Kosten nach den getroffenen Verträgen. Die Gasliefergeschäfte können direkt unter den Marktteilnehmern der beteiligten Staaten abgeschlossen werden. Zur Sicherstellung der Forderungen der Gegenseite müsste der Bund aber, wenn er nicht selber als Vertragspartei auftritt und daher beschliesst, den Kauf von Gas aus freiwilligen Solidaritätsmassnahmen an einen Dritten zu delegieren, eine Staatsgarantie abgeben (Art. 4 Abs. 3 des bilateralen Abkommens).
Bei hoheitlichen Solidaritätsmassnahmen werden die Kosten nicht vereinbart. Vielmehr müsste der Bund nachträglich für sämtliche Kosten aufkommen, die auf Seiten des solidaritätsleistenden Staates tatsächlich entstanden sind (Art. 5 Abs. 12 und Art. 8 des bilateralen Abkommens). Zu bezahlen wären zunächst die Gasmengen. Gegenüber Deutschland richtete sich der Preis nach dem deutschen Spotgrosshandelsmarktpreis. Im Verhältnis zu Italien wäre entweder auf den Preis von Ausgleichsenergie (der «Short»-Position) oder auf den Preis für ergriffene Notfallmassnahmen abzustellen - massgebend wäre der höhere der beiden Preise (Art. 8 des bilateralen Abkommens). Weiter müsste der Bund sämtliche Entschädigungen ausgleichen, die gemäss dem jeweiligen innerstaatlichen Recht aufgrund der verpflichtenden Solidaritätsmassnahmen zu entrichten wären. Genannt werden im bilateralen Abkommen namentlich die Entschädigung der Wirtschaftszweige, die von Lieferreduzierungen betroffen sind (Kontingentierung), Schäden bei Gasspeicheranlagen aufgrund ausserordentlicher Nutzung und Kosten für aussergerichtliche und gerichtliche Verfahren. Ferner müsste der Bund auch für die Transportkosten bis zum Lieferpunkt aufkommen. Diese Zahlungspflichten gelten unabhängig von der tatsächlich bezogenen Gasmenge (Art. 6 Abs. 6 des bilateralen Abkommens).
Die Zahlungsmodalitäten für verpflichtende Solidaritätsmassnahmen sind in Artikel 9 des bilateralen Abkommens geregelt. Vorgesehen ist, dass sich die Vertragsparteien nach Beendigung der Solidaritätsmassnahmen über die Notwendigkeit und den Zeitpunkt der Übermittlung der abschliessenden Rechnung verständigen. Es kann vorher eine Zwischenrechnung gestellt werden. Die Zahlungsfrist beträgt 30 Tage nach Erhalt der Rechnung respektive der Zwischenrechnung. Der Verzugszins liegt fünf Prozentpunkte über dem jeweils aktuellen Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank.
Falls die Schweiz der Ansicht ist, dass die in Rechnung gestellten Kosten zu hoch sind, kann sie gemäss Artikel 11 des trilateralen Abkommens das Schiedsgericht anrufen. Das Schiedsgericht wird dann prüfen, ob die Rechnungsstellung mit dem Recht der leistenden Vertragspartei konform ist.
Die Finanzierung und Überwälzung der Kosten auf die inländischen Gaskundinnen und -kunden gestaltet sich sowohl bei freiwilligen als auch bei verpflichtenden Solidaritätsmassnahmen wie folgt: Gestützt auf Artikel 60 Absatz 1 Buchstabe c LVG würde die Swissgas mit der operativen Umsetzung betraut. Die weiteren Marktteilnehmer würden vom Bundesrat gestützt auf die Artikel 31 und 32 LVG zur Mitwirkung verpflichtet. Die Swissgas wäre insbesondere zuständig für den Kauf der Gasmengen und deren diskriminierungsfreie Weitergabe an Lieferanten, die in der Schweiz (inkl. Fürstentum Liechtenstein) tätig sind. Diese Aufgabenübertragung wäre Bestandteil der zweiten Verordnung über die Umsetzung der Solidaritätsmassnahmen, die in einer Mangellage in Kraft treten würde.
Bei freiwilligen Solidaritätsmassnahmen würde der Bund die Mittel, die für die Swissgas zum vorgängigen Erwerb von Gas notwendig sind, entweder per Staatsgarantie absichern (erster Kredit) oder der Swissgas Geld vorschiessen (Finanzierungskredit, resp. zweiter Kredit). Refinanziert würde diese Vorleistung aus dem von der Swissgas erzielten Verkaufserlös. Damit würden allfällige Vorschüsse des Bundes zurückbezahlt. Durch den Weiterverkauf der Gasmengen ist eine Überwälzung der Kosten über das Netznutzungsentgelt nicht notwendig und das Verursacherprinzip ist sichergestellt.
Bei den hoheitlichen Solidaritätsmassnahmen würde der Bund durch die Annahme des hoheitlichen Angebots direkt Vertragspartei. Der Bund würde die Kosten für die hoheitlich geleistete Solidarität an die Swissgas verrechnen. Diese würde wiederum die Kosten an die Gasverbraucher weiterverrechnen.
Kosten eines Solidaritätsersuchens an die Schweiz
Im Falle eines Solidaritätsersuchens aus Deutschland oder Italien gestalten sich die finanziellen Auswirkungen spiegelbildlich. Grundlegend ist auch hier die Unterscheidung zwischen freiwilligen und verpflichtenden Solidaritätsmassnahmen. Bei freiwilligen Solidaritätsmassnahmen wäre der Bund finanziell nicht involviert. Die Gaslieferverträge würden von den betreffenden Marktteilnehmern der Schweiz selbstständig beziehungsweise von der Swissgas abgeschlossen und ihre Forderungen würden vom ausländischen Staat garantiert (Art. 4 Abs. 2 des bilateralen Abkommens). Bei hoheitlichen Solidaritätsmassnahmen müsste der Bundesrat diejenigen Schweizer Gaskundinnen und Gaskunden, die nicht durch Solidarität geschützt sind, gestützt auf Artikel 61 Absatz 2 LVG rationieren. Gestützt auf Artikel 38 LVG könnte der Bund diesen Kundinnen und Kunden Abgeltungen zusprechen. Das um Solidarität ersuchende Land würde gegenüber dem Bund kompensationspflichtig. Zunächst müsste es für den Gaspreis und die Transportkosten aufkommen. Der Gaspreis ermittelt sich gemäss Artikel 12 des trilateralen Abkommens aus dem Durchschnitt der letzten verfügbaren Spotmarktpreise in Italien, Frankreich und Deutschland. Weiter müssten insbesondere die besagten Abgeltungen ausgeglichen werden. Auch hier entstünde dem Bund demnach nur vorübergehend eine finanzielle Last. Es ist jedoch nicht auszuschliessen, dass die Abgeltung, die den ungeschützten Schweizer Kundinnen und Kunden vorläufig ausgezahlt wurde, nicht vollständig durch die von Deutschland oder Italien geschuldete Zahlung gedeckt wird, zum Beispiel wenn das Schiedsgericht entscheidet, dass die Abgeltung zu hoch angesetzt wurde. Dieses Risiko ist aber insofern beschränkt, als dass das Schiedsgericht nachweisen müsste, dass Gesetz und Verordnung durch die Schweiz unzutreffend ausgelegt und angewendet worden sind.
Abschätzung der möglichen Kosten
Eine Studie im Auftrag des Bundesamtes für Energie (BFE) ¹3 zeigt für ein Solidaritätsersuchen der Schweiz, abhängig vom jeweiligen Szenario, Kosten in einer Bandbreite von 304 Millionen bis 3 704 Millionen Franken. Die Kostenschätzung im Szenario «schlimmster Fall» ist demnach mehr als zehnmal so hoch wie die Kostenschätzung für das Szenario «Basis». Die Dauer der Solidaritätsmassnahmen ist im Szenario «Basis» nur halb so lang, gleichzeitig sind die nachgefragte Menge und die Kosten pro Mengeneinheit (CHF/MWh) um mehr als die Hälfte geringer, da im Szenario «Basis» von freiwilligen und im «schlimmsten Fall» von hoheitlichen Massnahmen ausgegangen wird und im Szenario «Basis» weiterhin ein Teil der Gasmengen aus Frankreich bezogen werden kann.
Da die potenziell zu kontingentierenden Gasmengen geringer sind als die Mengen, welche bei einem Solidaritätsersuchen der Schweiz aus dem Ausland benötigt würden - der Gasverbrauch der geschützten Kundinnen und Kunden ist grösser als der Gasverbrauch der nicht geschützten Kundinnen und Kunden -, ist davon auszugehen, dass die Bandbreite der möglichen Kosten im Falle eines Solidaritätsersuchen aus Deutschland oder aus Italien vergleichsweise tiefer liegt.
¹3 www.bfe.admin.ch > Versorgung > Gasversorgung > Gasversorgungsgesetz

5.2 Zweck und Höhe der Verpflichtungskredite

Damit Solidaritätsleistungen in einem Notfall effektiv in Anspruch genommen werden können, sind zwei Verpflichtungskredite notwendig. Der erste Kredit wird für die Staatsgarantie benötigt, mit welcher der Bund für die Bezahlung von freiwilligen Massnahmen von Deutschland oder Italien durch die Swissgas garantieren muss. Dieser erste Kredit dient einzig dieser Garantie. Der zweite Kredit ist erstens zur Bezahlung der verschiedenen Entschädigungen vorgesehen, die im Zusammenhang mit verpflichtenden Solidaritätsmassnahmen zu leisten sind. Er wird also zum einen für den Fall benötigt, dass der Bund für hoheitliche Massnahmen, die in Deutschland oder Italien ergriffen werden, Entschädigung leisten muss. Zum anderen deckt dieser zweite Kredit Entschädigungen ab, die an inländische Kundinnen und Kunden geleistet werden müssen, wenn die Schweiz für Deutschland oder Italien Solidaritätsleistungen erbringen und hierzu hoheitliche Massnahmen verhängen muss. Zweitens könnte der zweite Kredit auch für die Bezahlung von freiwilligen Solidaritätsmassnahmen von Deutschland oder Italien in Anspruch genommen werden, falls diese von der Gasbranche, insbesondere der Swissgas, nicht aus eigenen Mitteln finanziert werden können.
Die Höhe des ersten beantragten Verpflichtungskredits beträgt 300 Millionen Franken für eine Staatsgarantie. Dieser Betrag leitet sich aus dem Szenario «Basis» der Studie zu Kostenschätzungen ab (Ziff. 5.1), welche im Auftrag des BFE durchgeführt wurde. Das Szenario «Basis» geht von Solidaritätsleistungen seitens Deutschlands oder Italiens an die Schweiz aufgrund freiwilliger Massnahmen aus. Bei freiwilligen Massnahmen würde die Swissgas das Gas im Auftrag des Bundes kaufen, der Bund sichert die Käufe mit einer Staatsgarantie ab.
Die Höhe des zweiten beantragten Verpflichtungskredits für eine allfällige Finanzierung des Bundes ist im unteren Bereich der Kostenabschätzungen angesiedelt und beträgt 1 Milliarde Franken. Damit wird der Eintretenswahrscheinlichkeit der verschiedenen Szenarien Rechnung getragen. Zudem hat der Bundesrat täglich die Möglichkeit, die Mengen und damit die Kosten zu bestimmen. Gemäss dem Szenario «schlimmster Fall» mit hoheitlichen Massnahmen seitens Deutschlands oder Italiens zugunsten der Schweiz würde der zweite Kredit von 1 Milliarde Franken für gut eine Woche Inanspruchnahme von Solidarität reichen. Sollte sich in der konkreten Versorgungskrise abzeichnen, dass die Verpflichtungskredite nicht ausreichen, werden Zusatzkredite beantragt. Dazu wird angesichts der mutmasslichen Zeitverhältnisse in der Regel das dringliche Verfahren unter Einbezug der Finanzdelegation nötig sein. Im Falle von Zahlungen des Bundes an die in der Schweiz kontingentierten Kundinnen und Kunden könnten Zwischenrechnungen an Deutschland oder Italien für die erbrachten Solidaritätsleistungen gestellt werden.

5.3 Bundesbeschluss zum Verpflichtungskredit zur Gewährung einer staatlichen Garantie im Rahmen des trilateralen Gas-Solidaritätsabkommens

Art. 1
Artikel 1 enthält den Verpflichtungskredit für staatliche Garantien, die der Bund bei der Inanspruchnahme freiwilliger Solidaritätsmassnahmen aus Deutschland oder Italien gegebenenfalls aussprechen muss. Eine staatliche Garantie ist namentlich dann erforderlich, wenn der Bund bei den Gaslieferverträgen mit den ausländischen Marktteilnehmern nicht selbst als Vertragspartei auftritt. Der Verpflichtungskredit beläuft sich auf 300 Millionen Franken.
Art. 2
Artikel 2 hält fest, dass es sich um einen einfachen Bundesbeschluss handelt (vgl. dazu Art. 25 des Bundesgesetzes über die Bundesversammlung vom 13. Dezember 2002 ¹4 [ParlG]). Dieser untersteht nicht dem Referendum.
¹4 SR 171.10

5.4 Bundesbeschluss zum Verpflichtungskredit zur Finanzierung von Solidaritätsmassnahmen im Rahmen des trilateralen Gassolidaritätsabkommens

Art. 1
Artikel 1 enthält den Verpflichtungskredit für Zahlungsverpflichtungen des Bundes im Falle verpflichtender Solidaritätsmassnahmen. Solche Zahlungsverpflichtungen entstünden sowohl dann, wenn die Schweiz verpflichtende Solidaritätsmassnahmen von Deutschland und Italien in Anspruch nähme, als auch dann, wenn sie um die Ergreifung von verpflichtenden Solidaritätsmassnahmen ersucht würde. Im ersten Fall geht es insbesondere um Zahlungen für die gelieferten Gasmengen und Ersatzzahlungen für die Entschädigung der von hoheitlichen Massnahmen betroffenen Gaskundinnen und -kunden im Ausland. Im zweiten Fall geht es um Entschädigungen, die an inländische Gaskundinnen und -kunden geleistet werden müssen, die von hoheitlichen Massnahmen (z. B. Umschaltung oder Kontingentierung) betroffen wären.
Art. 2
Artikel 2 hält fest, dass es sich um einen einfachen Bundesbeschluss handelt (vgl. dazu Art. 25 ParlG). Dieser untersteht nicht dem Referendum.

5.5 Teuerungsannahmen

Auf eine Indexierung der Verpflichtungskredite wird verzichtet, da mit diesen keine konkreten, einzelnen Jahren zuordenbaren Auszahlungen verbunden sind. Zudem ist gemäss den Szenarien der Energieperspektiven 2050+ ¹5 damit zu rechnen, dass der Gasverbrauch über die nächsten Jahre rückläufig sein wird, womit die zu erwartenden Kosten sinken.
¹5 EP 2050+ Szenarienergebnisse ZERO BASIS, Ergebnissynthese, Tabellen 9. Kann abgerufen werden unter:
www.bfe.admin.ch > Politik > Energieperspektiven 2050+ > Dokumente.

6 Auswirkungen

6.1 Auswirkungen auf den Bund

6.1.1 Finanzielle Auswirkungen

Wie unter Ziffer 5.2 erläutert, lassen sich die Kosten der Anwendung des Abkommens kaum abschätzen. Die untersuchten Szenarien zeigen eine Bandbreite zwischen 304 und 3 704 Millionen Franken.
Dem Bund entstehen im Prinzip nur vorübergehend Kosten (s. a. Ziff. 5.1). Alle dem Bund entstehenden Kosten werden - je nach Solidaritätsfall - durch Deutschland, Italien oder die Schweizer Gaskonsumentinnen und -konsumenten ausgeglichen. Der Mechanismus des Abkommens macht es aber in einzelnen Fällen nötig, dass der Bund zahlungsseitig involviert ist:
-
Bei einem Solidaritätsersuchen der Schweiz in der freiwilligen Phase müsste die Swissgas kurzfristig im Ausland Gas kaufen. Sollte die Swissgas nicht über die nötige Liquidität verfügen, müsste der Bund die nötigen Mittel mit dem Finanzierungskredit (zweiter Kredit) vorschiessen.
-
Stellt die Schweiz das Solidaritätsersuchen in der hoheitlichen Phase, müsste der Bund direkt an den ausländischen Staat zahlen.
-
Bei einem Solidaritätsersuchen aus dem Ausland in der hoheitlichen Phase würde der Bund allenfalls Abgeltungen nach Artikel 38 LVG an die in der Schweiz kontingentierten Kunden ausrichten.
In allen drei Fällen wären Voranschlagskredite nötig. Auf die vorsorgliche Beantragung eines Voranschlagskredits wird jedoch verzichtet, da ausser im Notfall keine Gelder fliessen und die Wahrscheinlichkeit gering ist, dass der Kredit beansprucht wird. Stattdessen würde der Bundesrat entsprechende Nachtragskredite erst in der konkreten Situation beantragen. Angesichts der zeitlichen Verhältnisse dürfte dies in der Regel auf dem dringlichen Weg unter Einbezug der Finanzdelegation erfolgen (vgl. auch die Ausführungen zu den Verpflichtungskrediten unter Ziff. 5).
Unabhängig vom Eintreten eines Solidaritätsfalls soll die Swissgas eine Abgeltung für die Sicherstellung ihrer Bereitschaft zur Umsetzung des Solidaritätsabkommens erhalten. Dieser Betrag soll bis zum Inkrafttreten des geplanten Gasversorgungsgesetzes aus den bestehenden Mitteln des BWL finanziert werden. Der Aufwand wird nach dem Aufbau der Organisation gering sein.

6.1.2 Personelle Auswirkungen

Eine Umsetzung der Solidaritätsmassnahmen führt vor allem auf Seiten der wirtschaftlichen Landesversorgung zu einem Mehraufwand, welcher jedoch intern kompensiert wird. Es gibt somit keinen personellen Mehrbedarf.

6.2 Auswirkungen auf Kantone und Gemeinden sowie auf urbane Zentren, Agglomerationen und Berggebiete

Die Gemeinden sind indirekt betroffen, insbesondere als Eigentümerinnen von Gasversorgungsbetrieben. Falls die Schweiz um Solidarität anfragen würde, würde das Gas von der Swissgas zum Selbstkostenpreis weiterverkauft.

6.3 Auswirkungen auf die Volkswirtschaft und die Gaswirtschaft

Falls sich die Schweiz nicht in einer Gasmangellage befindet, hat das trilaterale Abkommen keine Auswirkungen auf die Volkswirtschaft.
Im Falle einer Mangellage eröffnet es die Möglichkeit, dass die Haushalte und die weiteren geschützten Gaskundinnen und -kunden unter Anwendung des trilateralen Abkommens weiterhin mit Gas aus Deutschland oder Italien beliefert werden können. Wie unter Ziffer 5.1 erwähnt, werden die Kosten, die durch den Kauf von Gas im Rahmen der Solidaritätsmassnahmen entstehen, von den Endkundinnen und -kunden getragen, die von diesen Massnahmen profitieren, d. h. von den geschützten Kundinnen und -kunden. Zweistoffanlagen sowie die industriellen Gasverbraucher, welche nicht unter die Kategorie der geschützten Kundinnen und Kunden fallen, könnten im Falle einer Notlage in Deutschland oder in Italien freiwillig Gas zu einem selbst gewählten Preis anbieten. Zudem könnten sie im Rahmen hoheitlicher Massnahmen (verpflichtende Solidarität) gegen eine Entschädigung umgeschaltet respektiv kontingentiert werden. Geschützte Kundinnen und Kunden könnten auch verpflichtet werden, ihren Verbrauch zu beschränken.
Für die Vorbereitung und Umsetzung des Abkommens ist eine Vereinbarung über das operative Verfahren zwischen den Schweizer, den deutschen und den italienischen Transportnetzbetreibern notwendig. Zudem dürfte die Swissgas mit einem Auftrag für Vorbereitungsarbeiten betraut und entsprechend abgegolten werden. Ansonsten fallen im Normalbetrieb keine Kosten an. Im Notfall werden alle Schweizer Gaslieferanten und Netzbetreiber von der Umsetzung der Massnahmen betroffen sein. Die Vorbereitung und Umsetzung wird in den entsprechenden noch zu erlassenden Verordnungen der wirtschaftlichen Landesversorgung konkretisiert (vgl. Ziff. 3.2).

6.4 Auswirkungen auf die Gesellschaft

Das Abkommen eröffnet die Möglichkeit, in einer Mangellage im Rahmen einer Anforderung von Solidarität weiterhin Gas zum Heizen der Haushalte oder für den Betrieb essenzieller Dienste bereitzustellen.

7 Rechtliche Aspekte

7.1 Verfassungsmässigkeit

Nach Artikel 54 Absatz 1 der Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft (BV) ¹6 sind die auswärtigen Angelegenheiten Sache des Bundes. Artikel 184 Absatz 2 BV ermächtigt den Bundesrat, völkerrechtliche Verträge zu unterzeichnen und zu ratifizieren. Die Bundesversammlung ist nach Artikel 166 Absatz 2 BV für die Genehmigung völkerrechtlicher Verträge zuständig, sofern für deren Abschluss nicht gemäss Gesetz oder völkerrechtlichem Vertrag der Bundesrat zuständig ist (vgl. auch Art. 24 Abs. 2 ParlG und Art. 7 a Abs. 1 des Regierungs- und Verwaltungsorganisationsgesetzes vom 21. März 1997 ¹7 ).
Nach Artikel 61 Absatz 1 LVG ist der Bundesrat befugt, völkerrechtliche Verträge zur Sicherstellung der wirtschaftlichen Landesversorgung in gewissen Bereichen abzuschliessen. Das vorliegende Abkommen übersteigt inhaltlich indessen den Rahmen dieser Kompetenz des Bundesrates, insbesondere weil durch seine Umsetzung auch die Rechtsstellung schweizerischer Gaskonsumenten beeinträchtigt werden könnte. Er muss darum vom Parlament genehmigt werden. Die zur Umsetzung des Abkommens notwendigen Verpflichtungskredite bedürfen nach Artikel 167 BV der Zustimmung des Parlaments.
¹6 SR 101
¹7 SR 172.010

7.2 Vereinbarkeit mit internationalen Verpflichtungen der Schweiz

Das vorliegende Abkommen enthält keine Bestimmungen, welche mit den bestehenden internationalen Verpflichtungen der Schweiz einschliesslich derer im Rahmen der WTO nicht vereinbar sind.

7.3 Unterstellung unter das fakultative Referendum

Nach Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe d Ziffer 3 BV unterliegen völkerrechtliche Verträge dem fakultativen Referendum, wenn sie wichtige rechtsetzende Bestimmungen enthalten (vgl. Art. 164 Abs. 1 BV und Art. 22 Abs. 4 ParlG) oder wenn deren Umsetzung den Erlass von Bundesgesetzen erfordert. Ein Solidaritätsersuchen kann zur Folge haben, dass die Gasversorgung der nicht durch Solidarität geschützten Schweizer Kundinnen und Kunden eingeschränkt werden muss. Dementsprechend enthält das vorliegende trilaterale Abkommen wichtige und grundlegende Bestimmungen über die Rechte und Pflichten von Personen. Der Bundesbeschluss über die Genehmigung des trilateralen Abkommens ist deshalb dem fakultativen Referendum nach Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe d Ziffer 3 BV zu unterstellen.

7.4 Unterzeichnung, Inkraftsetzung und Beendigung des Abkommens

Das bilaterale Abkommen zwischen Deutschland und Italien tritt an dem Tag in Kraft, an dem die Vertragsparteien einander mitgeteilt haben, dass die innerstaatlichen Voraussetzungen für das Inkrafttreten erfüllt sind. Es endet sechs Monate nach Erhalt einer Kündigung durch eine der beiden Vertragspartien.
Für die Inkraftsetzung des trilateralen Abkommens gilt dieselbe Regelung, sie ist indes auf das Dreiparteienverhältnis angepasst. Auf Schweizer Seite steht die Inkraftsetzung unter Vorbehalt der Genehmigung durch das Parlament respektive der Bevölkerung, sofern das Referendum ergriffen wird. Das trilaterale Abkommen tritt in Kraft, sobald die innerstaatlichen Genehmigungsprozesse in der Schweiz und in den beiden anderen Vertragsstaaten abgeschlossen sind und sich die drei Parteien mittels Notifikation gegenseitig darüber unterrichtet haben.
Es ist nicht ausgeschlossen, dass das bilaterale vor dem trilateralen Abkommen in Kraft tritt - nämlich dann, wenn die genannten Prozesse im Ausland vor der Verabschiedung der entsprechenden Vorlage durch das Schweizer Parlament erfolgen und die beiden Nachbarstaaten mit der Inkraftsetzung nicht zuwarten wollen, bis auch in der Schweiz alle erforderlichen Prozesse abgeschlossen sind.
Die Möglichkeiten zur Beendigung des trilateralen Abkommens gestalten sich ebenfalls analog zu denjenigen des bilateralen Abkommens. Die Schweiz oder eine der anderen Parteien können das trilaterale Abkommen einseitig kündigen. Die Kündigung des trilateralen Abkommens beeinträchtigt die Weitergeltung des bilateralen Abkommens zwischen Deutschland und Italien nicht. Umgekehrt bewirkt eine Kündigung des bilateralen Abkommens durch Deutschland oder Italien automatisch auch den Wegfall des trilateralen Abkommen, da dieses einen Bestandteil des bilateralen Abkommens bildet. Die Kündigungsfristen sind analog ausgestaltet und betragen sechs Monate.

7.5 Unterstellung unter die Ausgabenbremse

Da sich beide beantragten Verpflichtungskredite auf über 20 Millionen Franken belaufen, bedürfen die beiden Bundesbeschlüsse zu den Verpflichtungskrediten nach Artikel 159 Absatz 3 Buchstabe b BV der Zustimmung der Mehrheit der Mitglieder beider Räte.

7.6 Einhaltung der Grundsätze des Subventionsgesetzes

Der vorgelegte Beschluss sieht keine neuen Finanzhilfen oder Abgeltungen im Sinne des Subventionsgesetzes vom 5. Oktober 1990 ¹8 vor.
¹8 SR 616.1
Bundesrecht
Botschaft zur Genehmigung des Abkommens über Solidaritätsmassnahmen zur Gewährleistung der sicheren Gasversorgung zwischen der Schweiz, Deutschland und Italien
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