Beschleunigte Erledigung von Strafverfahren im Bereich der geringfügigen und mittleren Kriminalität; Täter-Opfer-Ausgleich
DE - Landesrecht Brandenburg

Beschleunigte Erledigung von Strafverfahren im Bereich der geringfügigen und mittleren Kriminalität; Täter-Opfer-Ausgleich

Beschleunigte Erledigung von Strafverfahren im Bereich der geringfügigen und mittleren Kriminalität; Täter-Opfer-Ausgleich
vom 2. August 2024 ( JMBl/24, [Nr. 8] , S.71)
A. Zielsetzung
Das vereinfachte Ermittlungsverfahren bei der Polizei, das beschleunigte Verfahren nach den §§ 417 ff. der Strafprozessordnung (StPO) und das Strafbefehlsverfahren bilden in Verbindung mit der Einstellung aus Opportunitätsgründen sowie dem Täter-Opfer-Ausgleich und der Schadenswiedergutmachung die Eckpfeiler einer effektiven Strafverfolgung im Bereich der geringfügigen und mittleren Kriminalität.
Die nachfolgenden Grundsätze dienen der Vereinheitlichung der Sachbehandlung für diesen Bereich der Kriminalitätsbekämpfung. Sie sollen ferner die staatsanwaltschaftliche Praxis zu einer vermehrten Anwendung der beschleunigenden Verfahrensarten ermutigen, den Täter-Opfer-Ausgleich und die Schadenswiedergutmachung fördern und die Einstellung aus Opportunitätsgründen unter dem Gesichtspunkt einer möglichst effektiven Strafverfolgung regeln.
B. Allgemeine Verfahrensgrundsätze
Die Staatsanwaltschaft prüft in einem frühen Stadium des Verfahrens, in jedem Falle vor Erhebung der öffentlichen Klage, ob ein Antrag auf Erlass eines Strafbefehls oder auf Aburteilung im beschleunigten Verfahren, ein vereinfachtes Jugendverfahren (§§ 76 ff. des Jugendgerichtsgesetzes [JGG]) oder eine informelle Verfahrenserledigung in Betracht kommt.
Die Einstellung des Verfahrens nach den §§ 153 ff. StPO ist ausgeschlossen, wenn das Verfahren nach § 170 Absatz 2 StPO einzustellen oder weitergehend die Aufnahme von Ermittlungen nach § 152 Absatz 2 StPO mangels zureichender tatsächlicher Anhaltspunkte für eine Straftat abzulehnen ist.
Kommt eine informelle Verfahrensbeendigung in Betracht, ist die Eignung des Verfahrens für einen Täter-Opfer-Ausgleich zu prüfen, um diesen zur Grundlage einer Einstellung zu machen oder zumindest im gerichtlichen Verfahren strafmildernd berücksichtigen zu können. Von einem Täter-Opfer-Ausgleich ist dabei abzusehen, wenn eine sanktionslose Einstellung nach § 153 StPO oder § 45 Absatz 1 JGG angemessener erscheint. In geeigneten Fällen sollen Beschuldigte und Verletzte bereits durch die Polizei auf die Möglichkeit eines Täter-Opfer-Ausgleichs hingewiesen werden.
C. Erledigungsformen im Einzelnen
I. Einstellungen nach den §§ 153, 153a StPO
Seit 1993 ist der Anwendungsbereich der Ausnahmen vom Legalitätsprinzip von Gesetzes wegen bis in den Bereich der mittleren Kriminalität hinein erweitert und das Erfordernis der Zustimmung des Gerichts bei der Anwendung der §§ 153, 153a StPO eingeschränkt. In Fällen, die aus kriminalpolitischer Sicht ein entschlossenes Vorgehen der Strafverfolgungsbehörden notwendig machen, ist gleichwohl von der Anwendung der strafverfahrensrechtlichen Vorschriften zur Einstellung aus Opportunitätsgründen nur restriktiv Gebrauch zu machen.
1. Einstellung gegen Auflagen und Weisungen nach § 153a StPO
a. Eine Einstellung nach § 153a Absatz 1 StPO kommt grundsätzlich bei allen Vergehen in Betracht. Sie ist auch bei einer bedeutenderen Schadenshöhe nicht grundsätzlich ausgeschlossen, es sei denn, dass die Schwere der Schuld oder das Interesse der Allgemeinheit die Erhebung der öffentlichen Klage gebietet.
Diese Form der Einstellung ist insbesondere dann zu erwägen, wenn eine Einstellung nach § 153 Absatz 1 StPO deshalb ausscheidet, weil der Beschuldigte den Schaden noch nicht ersetzt hat und die Durchführung des Täter-Opfer-Ausgleichs nicht in Betracht kommt.
Dem Beschuldigten sollte, wo dies nach seinen persönlichen Verhältnissen möglich erscheint, die Schadenswiedergutmachung auferlegt werden. Je nach Schwere der Tat können daneben auch weitere Auflagen in Betracht kommen.
b. Die Erhebung der öffentlichen Klage liegt demgegenüber nahe, wenn
aa) der Beschuldigte ein vorsätzliches Gewaltdelikt begangen hat,
bb) der Beschuldigte bei der Tat besonders roh vorgegangen ist,
cc) es nach Würdigung der Persönlichkeit des Beschuldigten und der Umstände der Tat zu befürchten ist, dass er weitere Straftaten begehen wird,
dd) einschlägige Vortaten, die sich in einer früheren Verurteilung oder Verfahrenseinstellung aus Opportunitätsgründen zeigen, erschwerende Umstände bei der Tatbegehung oder das entgegenstehende Interesse der Allgemeinheit eine Einstellung nicht angemessen erscheinen lassen.
c. Die Beantragung eines Strafbefehls liegt nahe, wenn im Falle eines Ladendiebstahls der Wert der entwendeten Sache 50 Euro überschreitet.
d. Ist Jugendstrafrecht anzuwenden, findet die Rundverfügung des Generalstaatsanwalts des Landes Brandenburg für die Bearbeitung von Jugendstrafsachen bei den Staatsanwaltschaften vom 24. August 1999 (421-2) Anwendung.
e. Bei der Bestimmung der Art und Höhe der zu erteilenden Auflage ist darauf zu achten, dass sie in einem angemessenen Verhältnis zur Rechtsgutsverletzung steht. Bei der Geldauflage sind insbesondere die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Beschuldigten angemessen zu berücksichtigen. Bei Eigentums- und Vermögensdelikten wird der doppelte Wert des erstrebten Vorteils in der Regel als Anhaltspunkt für die angemessene Höhe einer Geldauflage gelten können. Ist der Beschuldigte arbeits- oder sonst vermögenslos, so soll bevorzugt geprüft werden, ob gemeinnützige Arbeit als Auflage festgelegt werden sollte.
2. Sanktionslose Einstellung nach § 153 Absatz 1 StPO
Ergibt sich aus den Umständen von Tat und Tatbegehung, dass das strafbare Verhalten als eine ausnahmsweise Verfehlung des Beschuldigten anzusehen ist, deren Schuld unterhalb des Durchschnitts gleichartiger Taten liegt, und besteht kein öffentliches Interesse an der Verfolgung, so kann auch eine Einstellung nach § 153 Absatz 1 StPO erfolgen.
a. Das öffentliche Interesse nach dieser Vorschrift ist in der Regel zu verneinen, wenn
aa) die Tat sich auf eine Sache im Wert von nicht mehr als 25 Euro beziehungsweise einen ähnlich geringfügigen Tatvorteil bezogen hat oder eine unbedeutende Verletzung von Rechten des Opfers erfolgt ist und der Beschuldigte den eingetretenen Schaden (bei Diebstählen einschließlich einer für die Tataufklärung ausgelobten, angemessenen Prämie) ausgeglichen oder sich zumindest nach Kräften um Ausgleich bemüht hat;
bb) die Tat zwar auf eine Rechtsgutsverletzung oder einen Vorteil oberhalb der unter aa) genannten Geringfügigkeitsgrenze gerichtet war, hinzutretende besondere Umstände aber gleichwohl eine Einstellung rechtfertigen. Dies gilt nicht, sofern der Schaden bei Eigentums- und Vermögensdelikten 50 Euro überschreitet.
Besondere Umstände sind namentlich
(1) auf Tatsachen beruhende Anhaltspunkte für eine Verminderung der Schuldfähigkeit, sofern die Einholung eines Gutachtens außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache steht,
(2) eine von dem Beschuldigten glaubhaft dargelegte bereits bestehende oder bevorstehende unverschuldete wirtschaftliche Notlage,
(3) ein längeres straffreies Vorleben des Beschuldigten, das die Tat als einmaliges Fehlverhalten erscheinen lässt,
(4) eine überlange Verfahrensdauer, die die Schuld des Täters gering erscheinen lässt, oder
(5) Gegebenheiten, die die Tatbegehung im besonderen Maße gefördert haben oder zu fördern geeignet sind.
b. Dagegen soll in der Regel von einer sanktionslosen Einstellung abgesehen werden,
aa) wenn der Beschuldigte innerhalb der letzten zwei Jahre wegen einer einschlägigen Vortat verurteilt oder ein Ermittlungsverfahren gegen ihn wegen einer einschlägigen Vortat aus Opportunitätsgründen eingestellt worden ist,
bb) wenn die Tat unter erschwerenden äußeren Umständen begangen worden ist. Das ist insbesondere der Fall, wenn
(1) ein systematisches Vorgehen bei der Tat,
(2) ein Handeln zum Nachteil wehrloser oder sonst hilfloser Opfer,
(3) ein Zusammenwirken mehrerer Täter oder
(4) sonstige Umstände, die auf eine erhebliche kriminelle Energie schließen lassen,
erkennbar geworden sind,
cc) wenn der Täter durch sein Verhalten zeigt, dass es ihm an Einsicht in das Unrecht seines Tuns fehlt, oder
dd) wenn das reaktionslose Hinnehmen der Tat die Rechtstreue der Allgemeinheit nicht unerheblich beeinträchtigen würde.
3. Geringe Schuld, Öffentliches Interesse
Ob das Maß der Schuld gering ist, beurteilt sich nach der Gesamtheit der schuldbezogenen Umstände. Anhaltspunkte für die vorzunehmende Gesamtabwägung im Übrigen können neben den zu 2. genannten die in § 46 Absatz 2 des Strafgesetzbuches (StGB) angeführten Gesichtspunkte sein.
4. Beteiligung der Gerichte
Soweit es der Zustimmung des Gerichts zur Einstellung des Verfahrens bedarf, legt die Staatsanwaltschaft in kurzer Form dar, aus welchem Grunde die Schuld des Täters als gering anzusehen wäre und ein öffentliches Interesse an der Verfolgung nicht besteht (§ 153 StPO) beziehungsweise warum Auflagen oder Weisungen geeignet sind, bei geringer Schuld das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung zu beseitigen (§ 153a StPO).
II. Täter-Opfer-Ausgleich
1. Vorbemerkungen
Der Täter-Opfer-Ausgleich ist darauf gerichtet, die nach einer Straftat zwischen Täter und Opfer bestehenden Probleme, Belastungen und Konflikte mit Unterstützung durch einen neutralen Vermittler (Schlichter) im persönlichen Kontakt zu bereinigen. Der Täter erhält dabei die Gelegenheit, einen Ausgleich für den materiellen oder immateriellen Schaden, den er dem Opfer zugefügt hat, zu leisten oder zumindest ernsthaft anzustreben. Dadurch soll die Unrechtseinsicht des Täters gefördert und so eine spezialpräventive Wirkung erzielt werden. Auf der Seite des Opfers soll ein Abbau oder jedenfalls eine Verminderung der tatbedingten seelischen und gegebenenfalls auch materiellen Belastung erreicht oder zumindest ernsthaft angestrebt werden.
2. Rechtliche Grundlagen
Die Rechtsgrundlage für den Täter-Opfer-Ausgleich mit der Folge einer Verfahrenseinstellung bilden bei erwachsenen Beschuldigten § 153a Absatz 1 Satz 1 Nummer 5, Absatz 2, § 155a StPO sowie § 153b Absatz 1 StPO in Verbindung mit § 46a StGB. Bei jugendlichen und ihnen gleichstehenden heranwachsenden Beschuldigten eröffnen § 45 Absatz 2 und 3, § 47 Absatz 1 Nummer 2 und 3, § 10 Absatz 1 Satz 3 Nummer 7, §§ 105, 109 Absatz 2 JGG diesen Weg. Führt der durchgeführte Täter-Opfer-Ausgleich nicht zur Einstellung, so ermöglicht er es nach § 46a StGB dem Gericht, die Strafe nach § 49 Absatz 1 StGB zu mildern oder - bei Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen - von Strafe abzusehen.
3. Voraussetzungen
Täter und Opfer müssen zu einem Ausgleich auf freiwilliger Basis bereit sein. Dazu gehört auch, dass beide Parteien einen noch regulierungsbedürftigen Schaden und die Form der Wiedergutmachung anerkennen. Dies setzt im Regelfall einen geständigen Beschuldigten voraus, der bestrebt ist, einen Beitrag zur Wiedergutmachung der von ihm begangenen Tat zu erbringen. Durch den Täter-Opfer-Ausgleich darf jedoch nicht unter dem Druck des Ermittlungsverfahrens ein ansonsten umstrittener Anspruch geregelt werden. Im Übrigen reicht die Erfüllung von Schadensersatzansprüchen allein nicht aus; vielmehr muss der Täter einen Beitrag zur Wiedergutmachung der von ihm begangenen Tat erbringen, der durch persönliche Leistungen oder persönlichen Verzicht friedensstiftend wirkt.
4. Personenkreis und Deliktsgruppen
Der Täter-Opfer-Ausgleich ist regelmäßig nur für solche Verfahren geeignet, in denen es um Straftaten gegen ein persönlich geschädigtes Opfer geht. Darüber hinaus ist der Täter-Opfer-Ausgleich aber auch dann anwendbar, wenn eine juristische Person geschädigt worden ist, deren Interessen im Verfahren von einer Person wahrgenommen werden (personifiziertes Opfer).
a. Für einen Täter-Opfer-Ausgleich mit der Folge der Verfahrensbeendigung durch die Staatsanwaltschaft sind grundsätzlich alle leichten bis mittelschweren Straftaten geeignet. Um solche handelt es sich in der Regel, wenn sich der hinreichende Tatverdacht auf die Begehung eines der folgenden Delikte bezieht:
aa) Hausfriedensbruch, Beleidigung, Körperverletzung, Nötigung, Bedrohung, Sachbeschädigung, soweit nicht eine Erledigung durch Verweisung auf den Privatklageweg in Betracht zu ziehen ist;
bb) Diebstahl, Betrug und sonstige Vermögensdelikte;
cc) in besonders gelagerten Fällen Erpressung.
b. Für den Täter-Opfer-Ausgleich mit der Folge der Sanktionsminderung sind grundsätzlich alle Straftaten zum Nachteil eines personifizierbaren Opfers geeignet (vergleiche § 46a StGB). Bei schwerwiegenden Straftaten, insbesondere solchen gegen Leib, Leben oder die sexuelle Selbstbestimmung des Opfers wird ein Täter-Opfer-Ausgleich nur auf dessen ausdrücklichen Wunsch in Betracht kommen, sofern nicht ohnehin die Traumatisierung des Opfers dem Täter-Opfer-Ausgleich entgegensteht.
5. Verfahren
a. Fachstellen zur Durchführung des Täter-Opfer-Ausgleichs
Zur Durchführung des Täter-Opfer-Ausgleichs stehen in den Dienstsitzen der Sozialen Dienste der Justiz besonders ausgebildete Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter (zertifizierte Mediatorinnen und Mediatoren in Strafsachen) zur Verfügung. Sofern Täter und Opfer das 21. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, führen auch vom Ministerium für Bildung, Jugend und Sport (MBJS) beauftragte freie Träger der Jugendhilfe unter Einsatz hierfür besonders ausgebildeter Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter den Täter-Opfer-Ausgleich durch. Falls diese freien Träger nicht bekannt sind, können entsprechende Informationen bei den Sozialen Diensten der Justiz oder beim MBJS eingeholt werden. Darüber hinaus können auch Schiedspersonen, die über eine Qualifikation als Mediatorin oder Mediator in Strafsachen verfügen, den Täter-Opfer-Ausgleich durchführen, wobei in diesem Fall die Kostentragungspflicht des Beschuldigten gemäß § 38 Absatz 1 Satz 2 des Brandenburgischen Schiedsstellen- und Gütestellengesetzes zu berücksichtigen ist.
Das weitere Verfahren richtet sich nach § 155b StPO. Der Fachstelle wird von der Staatsanwaltschaft Einsicht in die Ermittlungsakten gewährt. Sie darf die übermittelten personenbezogenen Daten nur verarbeiten und nutzen, soweit dies für die Durchführung des Täter-Opfer-Ausgleichs erforderlich ist und schutzwürdige Interessen der Betroffenen nicht entgegenstehen. Sie darf personenbezogene Daten nur selbst erheben, verarbeiten und nutzen, soweit der Beschuldigte eingewilligt hat und dies für die Durchführung des Täter-Opfer-Ausgleichs erforderlich ist. Nach Abschluss des Verfahrens gibt die Fachstelle die erhaltenen Unterlagen zurück. Die Unterlagen sind, soweit sie personenbezogene Daten enthalten, von der Fachstelle spätestens nach Ablauf eines Jahres seit Abschluss des Strafverfahrens zu vernichten. Im Übrigen gelten die allgemeinen datenschutzrechtlichen Vorschriften.
b. Polizei
Die Polizei soll in allen Ermittlungsverfahren, in denen Täter und Opfer personifizierbar sind (bei öffentlichen Einrichtungen oder Unternehmen als Geschädigten gegebenenfalls über eine dortige Ansprechperson) und ein noch ungeklärter Konflikt vorliegt, im Rahmen des unmittelbaren Kontakts mit den Verfahrensbeteiligten prüfen, ob Interesse an einem Täter-Opfer-Ausgleich besteht. Ist dies der Fall, soll den Verfahrensbeteiligten das Formular „Einwilligung zur Datenweitergabe an eine Vermittlungsstelle für Opfer und Täter im Land Brandenburg“ ausgehändigt werden. Die Polizei soll bei Vorliegen der ausgefüllten Formulare diese umgehend an die Sozialen Dienste der Justiz (bei Erwachsenen) oder einen freien Träger (bei Jugendlichen / Heranwachsenden) weiterleiten, damit dort die notwendigen Vorbereitungen getroffen werden können. Die Akte soll anschließend der Staatsanwaltschaft zugeleitet werden. Bei entsprechender Eignung leitet die Staatsanwaltschaft die Akte an die Fachstelle weiter. Der Täter-Opfer-Ausgleich soll in jedem Fall erst nach der Übersendung der Akten an die Fachstelle durchgeführt werden.
c. Staatsanwaltschaften
Der Täter-Opfer-Ausgleich sollte bei den Staatsanwaltschaften in der Regel wie folgt ablaufen:
Die Staatsanwaltschaft prüft unter Zugrundelegung der zu 1. bis 4. dargestellten Grundsätze bereits bei der Erstvorlage der Ermittlungsakten, ob ein Täter-Opfer-Ausgleich in Betracht kommt. Dabei berücksichtigt sie insbesondere einen geäußerten Wunsch des Opfers oder des Beschuldigten und Anregungen, die seitens der Polizei, der Jugendgerichtshilfe oder sonstiger Dritter gegeben worden sind.
Bejaht die Staatsanwaltschaft die grundsätzliche Eignung zum Täter-Opfer-Ausgleich, so beauftragt sie eine Fachstelle mit dessen Durchführung.
Hat der Täter von sich aus allein oder gemeinsam mit dem Opfer eine Fachstelle aufgesucht und um Durchführung des Täter-Opfer-Ausgleichs gebeten, so unterrichtet die Fachstelle die zuständige Staatsanwaltschaft.
Ist der Täter-Opfer-Ausgleich erfolgreich abgeschlossen worden oder hat sich der Täter ernsthaft um einen Täter-Opfer-Ausgleich bemüht, stellt die Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren - gegebenenfalls mit Zustimmung des Gerichts - ein beziehungsweise sieht von der weiteren Verfolgung ab. Bei schwerer wiegenden Taten oder erheblichen Vorbelastungen des Täters erhebt sie unverzüglich die öffentliche Klage gegen den geständigen (vergleiche Nummer 3) Beschuldigten, wobei sie das Gericht in geeigneter Form ausdrücklich auf den durchgeführten Täter-Opfer-Ausgleich hinweist und diesen auch bei ihren Anträgen berücksichtigt.
III. Beschleunigtes Verfahren
1. Vorbemerkungen
Die §§ 417 bis 420 StPO ermöglichen mit einer Straffung vor allem des organisatorischen Vorlaufs der Hauptverhandlung eine erhebliche zeitliche Abkürzung des Strafverfahrens. Das beschleunigte Verfahren ergänzt den verfahrensbeschleunigenden Strafbefehl für diejenigen Fälle, in denen die Durchführung einer Hauptverhandlung aus präventiven Gründen erforderlich erscheint, ohne dass nach der Sachlage der organisatorische Aufwand einer herkömmlich vorbereiteten Hauptverhandlung notwendig ist.
2. Voraussetzungen
Das beschleunigte Verfahren ist in allen Fällen in Betracht zu ziehen, in denen die Sache aufgrund eines einfachen Sachverhalts oder einer klaren Beweislage zur sofortigen Verhandlung geeignet ist (§ 417 StPO), die zu verhängende Strafe eine Freiheitsstrafe von einem Jahr (§ 419 Absatz 1 StPO) nicht überschreitet und die Durchführung einer Hauptverhandlung aus präventiven Gründen erforderlich erscheint; anderenfalls ist der Erlass eines Strafbefehls zu beantragen, falls dies rechtlich möglich ist und nach der Sachlage tunlich erscheint.
Das beschleunigte Verfahren ist grundsätzlich für alle Strafverfahren, die den genannten Anforderungen entsprechen, geeignet.
3. Verfahren
a. Wenn der ermittelnden Polizei vor Ort - gegebenenfalls nach fernmündlicher Rücksprache mit der Staatsanwaltschaft - die Strafsache für ein beschleunigtes Verfahren geeignet erscheint, trifft sie die notwendigen Feststellungen im Wege des vereinfachten Verfahrens oder in einer entsprechend gestrafften Form.
Sofern noch nicht geschehen, unterrichtet die Polizei zeitnah die zuständige Staatsanwaltschaft fernmündlich. Diese trifft sofort die Entscheidung, ob ein beschleunigtes Verfahren durchgeführt werden soll. Die Polizei stellt sicher, dass die schriftlichen Aufzeichnungen der Staatsanwaltschaft unverzüglich, in der Regel als Fernkopie, zur Verfügung gestellt werden. Darüber hinaus sorgt die Polizei in den Fällen, in denen die Hauptverhandlung sofort durchgeführt wird, für den Transport von Beschuldigten und gegebenenfalls Zeugen. Die Vorführung vorläufig Festgenommener vor den Richter gemäß § 127b Absatz 3 sowie § 128 StPO obliegt ebenfalls der Polizei. Allgemeine Regelungen zur Amtshilfe bleiben davon unberührt.
b. Die Staatsanwaltschaft stellt die Vorstrafen des Beschuldigten durch Einsichtnahme in das staatsanwaltschaftliche Verfahrensregister und Anfrage beim Bundeszentralregister fest. Sie setzt sich mit dem Gericht in Verbindung und vereinbart einen Hauptverhandlungstermin. Wenn dies ohne eine wesentliche Zeitverzögerung möglich ist, stellt sie den Antrag auf Entscheidung im beschleunigten Verfahren schriftlich in knapp gefasster Form (§ 417 StPO).
c. In den Fällen des § 418 Absatz 4 StPO stellt sie den Kontakt zwischen dem Beschuldigten und einem Rechtsanwalt her, der bereit ist, die Verteidigung kurzfristig zu übernehmen.
d. Die Staatsanwaltschaft wirkt auf einen Hauptverhandlungstermin möglichst noch am selben oder am folgenden Tag hin. Von der Möglichkeit, einen Antrag nach § 127b StPO (Hauptverhandlungshaft) zu stellen, macht sie zurückhaltend Gebrauch, wenn die Durchführung des beschleunigten Verfahrens auf andere Weise nicht sichergestellt werden kann. Dabei ist zu beachten, dass der Antrag nach § 127b StPO unter anderem voraussetzt, dass eine unverzügliche Entscheidung im beschleunigten Verfahren wahrscheinlich ist, also dessen gesetzliche und organisatorische Voraussetzungen erkennbar vorliegen.
4. Organisatorische Maßnahmen
a. Die Leitenden Oberstaatsanwältinnen und Oberstaatsanwälte führen nach Bedarf Dienstbesprechungen mit der Polizeipräsidentin oder dem Polizeipräsidenten beziehungsweise den Leiterinnen und Leitern der Polizeidirektionen des Polizeipräsidiums des Landes Brandenburg zur Koordinierung der Zusammenarbeit der Strafverfolgungsbehörden im beschleunigten Verfahren durch. Die Präsidentinnen und Präsidenten der Landgerichte, die Präsidentin oder der Präsident des Amtsgerichts Potsdam und die Direktorinnen und Direktoren der Amtsgerichte sollen soweit möglich hinzugezogen werden. Absprachen zwischen den jeweiligen Mitarbeitenden mit dem Ziel einer an den örtlichen Gegebenheiten orientierten Verbesserung der Zusammenarbeit sind zu fördern.
b. Die Staatsanwaltschaften richten einen besonderen Eildienst zur Durchführung des beschleunigten Verfahrens ein und halten standardisierte Formulare für die wesentlichen Verfahrensschritte bereit.
c. Zur Feststellung, welche Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte bereit sind, kurzfristig die Verteidigung im beschleunigten Verfahren zu übernehmen, können die Gerichte und Staatsanwaltschaften auf die Pflichtverteidigerliste der Rechtsanwaltskammer des Landes Brandenburg zurückgreifen.
D. Zusammenarbeit mit der Polizei
I. Allgemeines
Maßnahmen zur Verfahrensstraffung werden vor allem dann wirksam, wenn sie bereits zu Beginn des Verfahrens, möglichst schon unmittelbar nach der Tat am Tatort eingeleitet werden. Hier kommt den ersten Verfahrensschritten der am Tatort ermittelnden Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten sowie einem engen Kontakt zwischen Polizei und Staatsanwaltschaft besondere Bedeutung zu.
Die Leitenden Oberstaatsanwältinnen und Oberstaatsanwälte stellen im Einvernehmen mit den Leiterinnen und Leitern der Polizeidirektionen des Polizeipräsidiums des Landes Brandenburg sicher, dass für bei der Zusammenarbeit auftretende Probleme Lösungen gemeinsam erarbeitet werden. Hierzu führen sie auch Dienstbesprechungen durch, zu denen nach Bedarf weitere Personen hinzugezogen werden, die den Kontakt zwischen Staatsanwaltschaft und Polizei fördern.
II. Vereinfachtes Verfahren
Das „Vereinfachte Verfahren zur Bearbeitung minderschwerer Delikte“ soll die Ermittlungen, insbesondere die Ermittlungshandlungen der Polizei, mit Hilfe standardisierter Formulare so weit beschränken, wie die Erhebung aller für die Strafverfolgung notwendigen tatsächlichen Feststellungen dies zulässt. Insbesondere verfolgt die Vorgehensweise den Zweck, in den geeigneten Fällen die notwendigen Entscheidungsgrundlagen für die beschleunigenden Verfahrenserledigungen (Opportunitätseinstellung, Täter-Opfer-Ausgleich, beschleunigtes Verfahren und Strafbefehl) möglichst schnell bereitzustellen.
1. Deliktskatalog
Das vereinfachte Ermittlungsverfahren ist grundsätzlich auf alle Straftaten der einfacheren Kriminalität anwendbar, bei denen sich die Beweislage klar und der Sachverhalt einfach darstellt.
a. Insbesondere sind folgende Straftaten Gegenstand des vereinfachten Verfahrens:
aa) Privatklagedelikte
Hausfriedensbruch (§ 123 StGB)
Beleidigung (§ 185 StGB)
üble Nachrede (§ 186 StGB)
Verleumdung (§ 187 StGB)
Verletzung des Briefgeheimnisses (§ 202 StGB)
vorsätzliche und fahrlässige Körperverletzungen (§§ 223, 229 StGB), sofern nach den erkennbaren Umständen keine schwerwiegende Folge (stationärer Krankenhausaufenthalt etc.) zu erwarten ist, einschließlich der fahrlässigen Körperverletzung im Straßenverkehr
Nötigung (§ 240 Absatz 1 bis 3 StGB)
Bedrohung (§ 241 Absatz 1 bis 3 StGB)
Sachbeschädigung (§ 303 StGB)
Straftaten nach dem
Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (§ 16)
Geschäftsgeheimnisgesetz (§ 23)
Patentgesetz (§ 52 Absatz 2, § 142 Absatz 1)
Gebrauchsmustergesetz (§ 25 Absatz 1)
Halbleiterschutzgesetz (§ 10 Absatz 1)
Sortenschutzgesetz (§ 39 Absatz 1)
Markengesetz (§ 143 Absatz 1, § 144 Absatz 1, 2)
Designgesetz (§ 51 Absatz 1, § 65 Absatz 1)
Urheberrechtsgesetz (§§ 106 bis 108)
Gesetz betreffend das Urheberrecht an Werken der Bildenden Künste und der Photographie (§ 33)
bb) Offizialdelikte
Missbrauch von Notrufen (§ 145 StGB)
einfacher Diebstahl, einschließlich des Diebstahls geringwertiger Sachen sowie des Haus- und Familiendiebstahls (§§ 242, 247, 248a StGB)
Unterschlagung (§ 246 StGB)
unbefugter Gebrauch von Kraftfahrzeugen (§ 248b StGB)
Entziehung elektrischer Energie (§ 248c StGB)
Betrug (§ 263 StGB)
Leistungserschleichung (§ 265a StGB)
Fischwilderei (§ 293 StGB)
Fahren ohne Fahrerlaubnis (§ 21 des Straßenverkehrsgesetzes [StVG])
Kennzeichenmissbrauch (§ 22 StVG)
Fahren ohne Versicherungsschutz (§§ 1, 6 des Pflichtversicherungsgesetzes)
Vergehen gegen das
Betäubungsmittelgesetz (§ 29 Absatz 1), soweit es sich um eine geringe, zum Eigenverbrauch bestimmte Drogenmenge (in keinem Falle mehr als drei Konsumeinheiten) handelt
Tierschutzgesetz (§ 17)
Asylgesetz (§ 85 Absatz 1)
Aufenthaltsgesetz (§ 95 Absatz 1 und 1a).
b. Nach dem Vereinfachten Ermittlungsverfahren wird insbesondere dann nicht verfahren, wenn mehr als zwei Täter gemeinschaftlich gehandelt haben, wenn nach dem Wissensstand der ermittelnden Beamten Anhaltspunkte für eine antisemitische, fremdenfeindliche oder extremistische Motivation des Täters oder für eine Serientat vorliegen oder wenn zu erwarten ist, dass die Tat über den unmittelbaren Bereich hinaus öffentliches Interesse hervorrufen wird. Im Übrigen soll der eingetretene Schaden oder der Wert des mit der Tat erstrebten Vermögensvorteils in aller Regel einen Betrag in Höhe von 500 Euro nicht übersteigen.
2. Verfahren
a. Art und Umfang der Ermittlungstätigkeit der Polizei werden je nach Bedeutung der Tat nach Entscheidung der Polizei unter Beachtung der folgenden Gesichtspunkte eingeschränkt:
aa) Geringfügige Straftaten
Bei geringfügigen Straftaten genügt es, wenn der Beschuldigte nach einer Belehrung gemäß § 163a in Verbindung mit § 136 StPO durch Ankreuzen oder Unterschreiben des Anhörungsformulars die Tat einräumt. Auf Befragen soll er Gelegenheit erhalten, sein Einverständnis mit einer etwaigen Einstellung nach § 153a StPO oder gegebenenfalls der Durchführung des Täter-Opfer-Ausgleichs zu erklären. Bei den nach den erkennbaren Umständen geringfügigen fahrlässigen Körperverletzungen im Straßenverkehr wird sichergestellt werden müssen, dass der Unfall ausreichend dokumentiert wird, um bei erst später hervortretenden schwereren Schäden vollständige Feststellungen treffen zu können.
Zu den geringfügigen Straftaten zählen diejenigen Fälle, in denen in der Regel von einer öffentlichen Klage abgesehen und entweder das Verfahren wegen geringer Schuld eingestellt oder der Verletzte auf den Privatklageweg verwiesen wird.
bb) Übrige Delikte
Bei den übrigen für das vereinfachte Ermittlungsverfahren geeigneten Delikten wird die Ermittlungstätigkeit gegenüber den geringfügigen Taten entsprechend den Umständen des Falles ausgeweitet, ohne das Ausmaß normaler Ermittlungen zu erreichen.
Die Polizei fertigt eine gestraffte Niederschrift über die Vernehmung des Beschuldigten und etwaiger Zeugen an und stellt den Sachverhalt in stichwortartiger Form dar. Darüber hinaus wird der Beschuldigte auf die Möglichkeit hingewiesen, sein Einverständnis mit einer Einstellung des Verfahrens nach § 153a StPO beziehungsweise seine Bereitschaft zur Durchführung des Täter-Opfer-Ausgleichs in die Niederschrift aufzunehmen.
b. Allgemeine Verfahrensgrundsätze
Die Polizei trifft die notwendigen Feststellungen unmittelbar am Tatort und hört dort den Beschuldigten und Zeugen zur Sache an.
In Zweifelsfällen, insbesondere in den Verfahren, in denen ihr ein beschleunigtes Verfahren angemessen erscheint, setzt sich die Polizei fernmündlich mit der Staatsanwaltschaft in Verbindung. Die Staatsanwaltschaften halten einen Bereitschaftsdienst vor, der in diesen Fällen unmittelbar entscheidet und gegebenenfalls die notwendigen Vorbereitungen trifft.
E. Inkrafttreten, Außerkrafttreten
Diese Allgemeine Verfügung tritt am 1. September 2024 in Kraft. Gleichzeitig tritt die Allgemeine Verfügung „Beschleunigte Erledigung von Strafverfahren im Bereich der geringfügigen und mittleren Kriminalität; Täter-Opfer-Ausgleich“ vom 24. August 2000 ( JMBl.
S.
114), die durch Allgemeine Verfügung vom 28. November 2002 (JMBl. 2003 S. 2) geändert worden ist, außer Kraft.
F. Wirkung auf andere Verwaltungsvorschriften
Die Rundverfügung „Einstellung von Jugendstrafverfahren nach §§ 45, 47 JGG (Diversion)“ vom 22. Dezember 2000 (JMBl. 2001 S. 23), die durch Gemeinsamen Runderlass vom 6. Februar 2003 (JMBl. S. 30) geändert worden ist, bleibt unberührt.
Potsdam, den 2. August 2024
Die Ministerin der Justiz
Susanne Hoffmann
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