Allgemeine Weisung Nr. 03/2020<br>Aufenthhalts- und Gemeinschaftsrecht<br>Allgemeine Weisung zu den Hinweisen des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat (BMI) zum unionsrechtlichen Auf...
DE - Landesrecht Brandenburg

Allgemeine Weisung Nr. 03/2020 Aufenthhalts- und Gemeinschaftsrecht Allgemeine Weisung zu den Hinweisen des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat (BMI) zum unionsrechtlichen Aufenthaltsrecht sui generis (AW-AuslR 2020.03)

Allgemeine Weisung Nr. 03/2020 Aufenthhalts- und Gemeinschaftsrecht Allgemeine Weisung zu den Hinweisen des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat (BMI) zum unionsrechtlichen Aufenthaltsrecht sui generis (AW-AuslR 2020.03)
vom 9. April 2020
Sowohl der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) als auch das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) haben zuletzt in einer Reihe von Entscheidungen Maßgaben für die aufenthaltsrechtliche Behandlung von drittstaatsangehörigen Elteteilen eines Unionsbürgers, denen ein Aufenthaltsrecht weder nach dem Aufenthaltsgesetz noch unmittelbar aus dem Freizügigkeitsgesetz/ EU
zusteht, gemacht. Insbesondere bezieht sich das BVerwG mit seinem Urteil vom 12. Juli 2018 (1 C 16.17) auf ein aus Art.
20 AEUV
(Unionsbürgerschaft) abgeleitetes unionsrechtliches Aufenthaltsrecht sui generis, das nach der Rechtsprechung des EuGH einem Drittstaatsangehörigen in ganz besonderen Ausnahmefällen zur Wahrung des Kernbestandes der Rechte seines Kindes als Unionsbürger zustehen kann.
Zu beachten ist zudem das Urteil des BVerwG vom 11. September 2019 (1 C 48/18) zum Aufenthaltsrecht für Elternteile, die die tatsächliche Sorge von Kindern eines (vormaligen) Wanderarbeitnehmers ausüben, aus Art. 10 Abs.
1 VO
(EU) Nr.
492/2011 (Wanderarbeitnehmer-Verordnung).
Auf Grundlage entsprechender aktueller Hinweise des BMI (Länderschreiben vom 7. April 2020, Az.
: M3-21002/67#1) bitte ich Sie im Rahmen der ausländerbehördlichen Umsetzung dieser höchstrichterlichen Entscheidungen zum Aufenthaltsrecht sui generis das Folgende zu beachten:

I. Drittstaatsangehöriger Elternteil eines deutschen Kindes: Unionsrechtliches Aufenthaltsrecht sui generis aus Art. 20 AEUV ¹

1. Anwendungsbereich
Ein drittstaatsangehöriger Elternteil eines deutschen Kindes erhält in der Regel eine Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG. Das nach der Rechtsprechung aus Art. 20 AEUV abgeleitete Aufenthaltsrecht sui generis ist demgegenüber nachrangig und erlangt nur Relevanz, wenn die Voraussetzungen für eine Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG
nicht vorliegen und auch keine sonstige Aufenthaltserlaubnis nach dem Aufenthaltsgesetz erteilt werden kann. Relevante Konstellationen dürften daher insofern insbesondere Fälle sein, in denen eine Aufenthaltserlaubnis wegen Nichterfüllung der Passpflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG oder wegen entgegenstehender Sicherheitsaspekte nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG versagt wurde (zur Abwägung der Sicherheitsinteressen siehe Punkt 3.).
Die bisher bekannte Praxis, in diesen Konstellationen eine Duldung nach § 60a AufenthG zu erteilen, bildet das aus Art. 20 AEUV abzuleitende Aufenthaltsrecht nicht hinreichend ab, da die Duldung gerade kein Aufenthaltsrecht begründet, sondern lediglich die Vollstreckung der Ausreisepflicht vorübergehend aussetzt.
Nach der Rechtsprechung kann „ausnahmsweise" oder „bei Vorliegen ganz besonderer Sachverhalte", das heißt in Fällen eines besonderen Abhängigkeitsverhältnisses zwischen einem minderjährigen Deutschen zum drittstaatsangehörigen Elternteil ² ein Aufenthaltsrecht sui generis aus Art. 20 AEUV entstehen, wenn die Versagung eines Aufenthaltsrechts für den drittstaatsangehörigen Elternteil dazu führen würde, dass das Kind faktisch gezwungen wäre, dem Drittstaatsangehörigen bei der Ausreise aus dem Unionsgebiet zu folgen und sich mit ihm ins außereuropäische Ausland zu begeben (BVerwG Urt.
v.
12.07.2018 - 1 C 16.17, Rn.
35).
Dieses besondere Abhängigkeitsverhältnis besteht immer dann, wenn ein sogenannter de facto - Zwang des Kindes zur (Mit-)Ausreise des drittstaatsangehörigen Elternteils vorliegt. An die Prüfung sind hierbei aufgrund des Ausnahmecharakters des Aufenthaltsrechts sui generis aus Art. 20 AEUV hohe Maßstäbe anzulegen. Sie richtet sich nach dem rechtlichen, wirtschaftlichen oder affektiven Abhängigkeitsverhältnis zwischen Kind und Elternteil, wobei bei der Abwägung der Umstände des Einzelfalls das Wohl des Kindes vorrangig zu erwägen ist (Art. 24 Abs. 2 GR-Charta), unter Berücksichtigung des Rechts auf Achtung des Familienlebens (Art. 7 GR-Charta).
Dabei anzuwendende Kriterien basieren auf dem Urteil des EuGH im Fall Zambrano ³ und der grundlegenden Rechtsprechung des EuGH ⁴ .
2. Vorliegen eines besonderen Abhängigkeitsverhältnisses
Nach der Rechtsprechung des EuGH, auf die sich das BVerwG bezieht, dient das Aufenthaltsrecht sui generis aus Art. 20 AEUV dem Schutz des Kernbestands der Unionsbürgerrechte. Begründet wird es nicht durch jede bestehende Eltern-Kind-Beziehung; erforderlich ist vielmehr ein besonderes rechtliches, wirtschaftliches oder affektives Abhängigkeitsverhältnis. Ob ein solches besondere Abhängigkeitsverhältnis im Einzelfall vorliegt, ist anhand einer Gesamtbetrachtung aller relevanten Umstände zu beurteilen.
Zu berücksichtigen sind dabei insbesondere das Kindesalter, die körperliche und emotionale Entwicklung des Kindes sowie der Grad der affektiven Bindung zum drittstaatsangehörigen Elternteil und erwartbare Auswirkungen der Trennung für das innere Gleichgewicht des Kindes. Gegen eine entsprechende rechtliche und wirtschaftliche Abhängigkeit von einem Elternteil spricht etwa die Tatsache, dass das Kind mit dem anderen sorgeberechtigten Elternteil zusammenlebt, das über ein Daueraufenthaltsrecht verfügt und erwerbstätig sein kann. Andererseits kann auch in einer solchen Konstellation eine sehr große affektive Abhängigkeit zum drittstaatsangehörigen Elternteil bestehen, die dazu führt, dass bei einer Verweigerung eines Aufenthaltsrechts für diesen sich das Kind zum Verlassen des Unionsgebiets gezwungen sähe.
Relevante Umstände für die Beurteilung des Abhängigkeitsverhältnisses sind insbesondere:
ob der drittstaatsangehörige Elternteil tatsächlich die elterliche Sorge ausübt (rechtliche oder affektive Abhängigkeit)
Für das Vorliegen eines besonderen Abhängigkeitsverhältnisses ist es keine formale Voraussetzung, dass der Drittstaatsangehörige die rechtliche Sorge innehat. Die erforderliche ganz besondere Bindung ist zu einem nicht sorgeberechtigten Elternteil, der keine Verantwortung für zu treffende Entscheidungen im Leben des Kindes trägt, aber allenfalls unter ganz außergewöhnlichen Umständen denkbar. Umgekehrt begründet allein das Bestehen des Sorgerechts aber noch nicht das erforderliche tatsächliche besondere Abhängigkeitsverhältnis. Teilen sich die Eltern das Sorgerecht, ist dies bei der Bewertung entsprechend zu berücksichtigen. Ist der Drittstaatsangehörige alleiniger Inhaber des Sorgerechts, begründet dies ein starkes Indiz für ein besonderes Abhängigkeitsverhältnis, dieses muss aber auch ausgeübt werden. Übt ein Elternteil tatsächlich und täglich die Sorge für das Kind aus, kann daher in der Regel von einem besonderen Abhängigkeitsverhältnis ausgegangen werden. Insbesondere kann davon ausgegangen werden, wenn der Elternteil allein mit dem Kind zusammenlebt und die Sorge ausübt, der Aufenthaltsort des anderen Elternteils unbekannt oder dieser bereits verstorben ist.
Hingegen
begründet eine bloße Bereitschaft und Möglichkeit des Drittstaatsangehörigen, gegenüber dem minderjährigen Kind die Sorge auszuüben, ohne dass dies tatsächlich der Fall ist, kein besonderes Abhängigkeitsverhältnis.
Gegen das Vorliegen eines besonderen Abhängigkeitsverhältnisses spricht es auch, wenn kein Umgang des Elternteils mit dem Kind erfolgt oder der Umgang nur unregelmäßig stattfindet oder nur untergeordnete erzieherische Leistungen erbracht werden.
die wirtschaftliche Abhängigkeit des Kindes vom drittstaatsangehörigen Elternteil
Ein besonderes Abhängigkeitsverhältnis liegt in der Regel vor, wenn der Drittstaatsangehörige dem Kind regelmäßig Unterhalt in einem Umfang gewährt, der in der Summe so hoch ist, dass das Kind bei Wegfall der Zahlungen gezwungen wäre, gemeinsam mit dem Elternteil das Unionsgebiet zu verlassen. Dies ist zu vermuten, wenn das Kind durch den Wegfall der Zahlungen auf existenzsichernde Sozialleistungen angewiesen wäre, eine bloße Einschränkung im Lebensstandard allein begründet hingegen nicht die erforderliche Abhängigkeit. Zu berücksichtigen ist zudem, ob der Drittstaatsangehörige die finanzielle Unterstützung auch aus dem Ausland weiter leisten könnte. Als Unterhaltszahlung können im Ausnahmefall auch solche Leistungen nicht-finanzieller Art berücksichtigt werden, die sich aus einer gewissen familiären Arbeitsteilung ergeben, bei der ein Elternteil durch Erwerbstätigkeit den Lebensunterhalt sichert und der andere mit Haus- und Erziehungsarbeit entsprechend bedeutsam zum Unterhalt beiträgt, wenn durch die nötige Kompensation der Haus- und Erziehungsarbeit wirtschaftliche Einschränkungen im o. a.
Umfang erforderlich würden.
Kein
besonderes Abhängigkeitsverhältnis ist anzunehmen, wenn es lediglich aus wirtschaftlichen Gründen oder zur Aufrechterhaltung der familiären Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet wünschenswert erscheinen könnte, dass der drittstaatsangehörige Elternteil sich gemeinsam mit dem Minderjährigen zusammen im Inland aufhalten darf.
Ist es aufgrund der familiären Situation nicht unzumutbar, eine kurzfristige Trennung z. B.
zur Beschaffung eines Passes und Nachholung eines entsprechenden Visumverfahrens in Kauf zu nehmen, besteht kein de-facto Zwang zur gemeinsamen Ausreise und das aus Art. 20 AEUV abgeleitete Aufenthaltsrecht kommt nicht zum Tragen.
3. Entgegenstehende Sicherheitsinteressen
Nach Maßgabe der Rechtsprechung des EuGH besteht kein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht nach Art. 20 AEUV, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen eine tatsächliche gegenwärtige und erhebliche Gefahr für die öffentliche Ordnung oder die öffentliche Sicherheit darstellt und die Verweigerung dieses Aufenthaltsrechts den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahrt, wobei die Begriffe eng auszulegen sind. ⁵
Die öffentliche Ordnung ist immer dann betroffen, wenn die soziale Ordnung gestört wird, was jedem Gesetzesverstoß immanent ist, oder wenn ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt ist. ⁶
Die öffentliche Sicherheit umfasst sowohl die innere als auch die äußere Sicherheit eines Mitgliedstaates. Darunter fällt die Beeinträchtigung des Funktionierens der Einrichtungen des Staates und seiner wichtigen öffentlichen Dienste, das Überleben der Bevölkerung, die Gefahr einer erheblichen Störung der auswärtigen Beziehungen oder des friedlichen Zusammenlebens der Völker oder eine Beeinträchtigung der militärischen Interessen. ⁷
Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung ist neben dem persönlichen Verhalten des Drittstaatsangehörigen auch die Dauer und Rechtmäßigkeit des Aufenthalts im Hoheitsgebiet, die Art und Schwere einer begangenen Straftat, der Grad der persönlichen Beteiligung und der gegenwärtigen Gefährlichkeit für die Gesellschaft sowie das Alter des Kindes, sein Gesundheitszustand und die familiäre und wirtschaftliche Situation zu berücksichtigen. ⁸ Eine Versagung ist daher im Ausnahmefall auch möglich, wenn der Drittstaatsangehörige das alleinige Sorgerecht eines Kleinkindes innehat. ⁹
Geringeres Gewicht hat im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung grundsätzlich:
allein das Bestehen einer strafrechtlichen Verurteilung, auch von mehr als einem Jahr Dauer,
die Ausübung einer (zuvor) nicht genehmigten Erwerbstätigkeit,
eine Tat, für die das Elternteil wegen eines Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgrundes keine strafrechtliche Verantwortung trägt,
eine lange zurückliegende Tat.
Dagegen hat im Rahmen der Abwägung höheres Gewicht:
die Annahme einer Wiederholungsgefahr,
strafrechtliche Verurteilungen von gewisser Schwere, insbesondere schwere Gewaltdelikte,
bandenmäßiger Handel mit Betäubungsmitteln oder Terrorismus,
die Kenntnis von oder Teilnahme an Kriegsverbrechen i. S. d.
Genfer Konvention.
4. Bescheinigung des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts sui generis
Das BVerwG hat mit Urteil vom 12. Juli 2018 - 1 C 16.17 entschieden, dass in den Fällen des Aufenthaltsrechts aus Art. 20 AEUV eine Bescheinigung über das Bestehen des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts sui generis nach Art. 20 AEUV auszustellen ist. Da das Aufenthaltsrecht bei Vorliegen der Voraussetzungen automatisch entsteht, ist eine Bescheinigung rein deklaratorisch; mit der Bescheinigung wird lediglich das Vorliegen der Voraussetzungen des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts sui generis aus Art. 20 AEUV belegt. Der Antragsteller muss sich jedoch darauf berufen und die Voraussetzungen für das Aufenthaltsrecht sui generis nach Art. 20 AEUV darlegen, § 82 AufenthG.
Die Ausländerbehörden können bereits jetzt Aufenthaltserlaubnisse an Betroffene ausstellen, die zutreffend das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht sui generis aus Art. 20 AEUV bescheinigen („Art. 20 AEUV"). Die Rechtsgrundlage wurde bereits in den Katalog für die Aufenthaltstitel-Rechtsgrundlagen mit entsprechender Druckrepräsentation aufgenommen.
Daneben soll bei der nächsten Gelegenheit in der AZRG-DV
ein neuer Speichersachverhalt geschaffen werden, der die Rechtsgrundlage des Aufenthaltsrechts korrekt wiedergibt („Art. 20 AEUV (unionsrechtliches Aufenthaltsrecht sui generis)"). Bis zur Verfügbarkeit dieses Speichersachverhalts werden die Ausländerbehörden gebeten, die Erteilung entsprechender Aufenthaltserlaubnisse gesondert statistisch zu erfassen. In der Aufenthaltserlaubnis ist zudem nach § 4a Absatz 3 AufenthG darauf hinzuweisen, dass die Erwerbstätigkeit erlaubt ist.
Eine Aufenthaltserlaubnis auf Grundlage von § 4 Abs. 2 AufenthG analog ist nicht auszustellen; die Rechtsgrundlage („§ 4 Abs. 2 AufenthG (Assoziationsrecht EWG
/Türkei)") gibt die Situation der Inhaber eines unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts sui generis aus Art. 20 AEUV falsch wieder. Die Angabe einer Rechtsgrundlage, die auf das Aufenthaltsrecht für assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige Bezug nimmt, würde im Rechtsverkehr zu nicht hinnehmbaren Unsicherheiten führen.
5. Rechtsfolgen
Das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht sui generis aus Art. 20 AEUV entsteht kraft Gesetzes bei Erfüllung der Voraussetzungen und erlischt ebenso kraft Gesetzes bei Entfallen der Voraussetzungen. Die Erteilung und die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis, mit der das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht aus Art. 20 AEUV bescheinigt wird, ist daher lediglich deklaratorisch. Bei der Entscheidung über die Erteilung und die Verlängerung einer entsprechenden Aufenthaltserlaubnis werden durch die Ausländerbehörden jedoch zugleich die materiellen Voraussetzungen des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts sui generis aus Art. 20 AEUV geprüft.
Für die Aufenthaltserlaubnis aufgrund eines unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts sui generis aus Art. 20 AEUV gilt darüber hinaus:
Das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht sui generis resultiert aus dem besonderen Abhängigkeitsverhältnis zwischen Kind und drittstaatsangehörigem Elternteil. Es besteht daher auch nur, solange dieses besondere Abhängigkeitsverhältnis besteht; analog zur Maßgabe des Familiennachzugs längstens bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres. Nur im besonderen Einzelfall, z. B. bei starker geistiger oder körperlicher Behinderung des Kindes, kann dies im Einzelfall auch darüber hinaus möglich sein.
Auf die Aufenthaltserlaubnis sind die §§ 7, 8 AufenthG anwendbar. Die Aufenthaltserlaubnis sollte jeweils für maximal drei Jahre ausgestellt und bei Verlängerung das Fortbestehen seiner Voraussetzungen geprüft werden. Zudem ist von der Möglichkeit Gebrauch zu machen, die Geltungsdauer zu verkürzen, wenn das besondere Abhängigkeitsverhältnis nicht mehr gegeben ist.
Der Ablauf der Aufenthaltserlaubnis führt abweichend von § 50 AufenthG nicht zur Ausreisepflicht. Das Aufenthaltsrecht besteht unabhängig von seiner lediglich deklaratorischen Bescheinigung durch die Aufenthaltserlaubnis.
Aufenthaltszeiten nach einem unionsrechtlichen Aufenthaltsrecht sui generis aus Art. 20 AEUV sind nicht als Voraufenthaltszeiten für eine Niederlassungserlaubnis berücksichtigungsfähig. 1⁰
Der EuGH hat entschieden, dass bei Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 20 AEUV auch eine Arbeitserlaubnis nicht verweigert werden darf. Anderenfalls bestehe die Gefahr, dass der drittstaatsangehörige Elternteil nicht über die für seinen Unterhalt und den seiner Angehörigen erforderlichen Mittel verfüge, was ebenfalls zur Folge haben könnte, dass sich sein Unionsbürgerkind gezwungen sehen könnte, das Unionsgebiet zu verlassen. 1¹
Reisen im Schengen-Raum sind mit der Aufenthaltserlaubnis möglich.
Sozialleistungen können Inhaber der Aufenthaltserlaubnis unter den gesetzlichen Voraussetzungen erhalten; sie sind von den Sozialleistungsausschlüssen nach § 7 Abs. 1 S.
2 SGB II
, § 23 Abs. 3 S. 1 SGB XII
grundsätzlich nicht erfasst. Allerdings dürfen die betreffenden Ausländer nicht erst in das Bundesgebiet eingereist sein, um Sozialhilfe zu erlangen, vgl.
§ 23 Abs. 3, S.1 Nr. 4 SGB XII.

II. Drittstaatsangehöriger Elternteil eines Kindes mit der Staatsangehörigkeit eines anderen EU-Mitgliedstaates: Unionsrechtliches Aufenthaltsrechts sui generis aus Art. 20, 21 AEUV ¹2

Die unter I. dargestellten Maßgaben haben auch Auswirkungen auf Konstellationen, in denen ein drittstaatsangehöriger Elternteil mit einem Kind in Deutschland lebt, das Staatsangehöriger eines anderen EU-Mitgliedstaates ist. Ein aus Art. 20, 21 AEUV abgeleitetes Aufenthaltsrecht zugunsten des drittstaatsangehörigen Familienangehörigen eines Unionsbürgers kann bestehen, wenn es erforderlich ist, damit der Unionsbürger sein Recht auf Freizügigkeit wirksam ausüben kann.
Auch hier ist für den drittstaatsangehörigen Elternteil vorrangig ein Aufenthaltsrecht aus Freizügigkeitsgesetz/EU oder Aufenthaltsgesetz zu prüfen ( s.
hierzu auch IV.).
Dabei ist zu beachten, dass ein in Deutschland aufhältiges Unionsbürgerkind, das sein Freizügigkeitsrecht selbst nur als Familienangehöriger von einem Unionsbürgerelternteil ableitet (s. § 2 Abs. 2 Nr. 6 FreizügG/EU), keinem drittstaatsangehörigen Elternteil ein Freizügigkeitsrecht nach FreizügG/EU vermitteln kann. Ein abgeleitetes Freizügigkeitsrecht des drittstaatsangehörigen Elternteils wäre nur in der Sonderkonstellation denkbar, dass ein minderjähriger, nicht erwerbstätiger Unionsbürger die Voraussetzungen des § 2 Abs. 2 Nr. 5 i. V. m.
§ 4 FreizügG/EU erfüllt, d. h.
ihm ausreichender Krankenversicherungsschutz und ausreichende Existenzmittel zur Verfügung stehen, dieser zusätzlich seinem drittstaatsangehörigen Elternteil Unterhalt gewährt und der Elternteil selbst ebenfalls über ausreichenden Krankenversicherungsschutz und ausreichende Existenzmittel verfügt (s. § 2 Abs. 2 Nr. 6 i. V. m. § 3 Abs. 1 Satz 2, § 4 FreizügG/EU).
Steht dem drittstaatsangehörigen Elternteil kein Aufenthaltsrecht aus Freizügigkeitsgesetz/EU oder Aufenthaltsgesetz zu, gelten die Ausführungen unter
I.2. und I.3.
für folgenden Anwendungsbereich:
Das unter
I.
dargestellte Aufenthaltsrecht sui generis aus Art. 20 AEUV beruht darauf, dass ohne dieses das deutsche Kind sein aus seiner Unionsbürgerschaft resultierendes Recht auf Aufenthalt im Unionsgebiet verlieren würde, da es gezwungen wäre, dieses mit dem drittstaatsangehörigen Elternteil zu verlassen. Diese Gefahr besteht bei einem Kind, das die Staatsangehörigkeit eines anderen EU-Mitgliedstaats besitzt, grundsätzlich nicht, da es mit einem Verlassen der Bundesrepublik nicht zugleich das Unionsgebiet verlassen müsste, sondern mit seinem drittstaatsangehörigen Elternteil auch in dem Mitgliedstaat leben könnte, dessen Staatsangehörigkeit es besitzt. Ein Konflikt mit Art. 20 AEUV bestünde insofern nicht. Allerdings leitet das Kind seinen Aufenthalt in Deutschland regelmäßig von seinem freizügigkeitsberechtigten Elternteil ab, der mit seinem Aufenthalt in Deutschland von Art. 21 AEUV Gebrauch macht. Dessen Recht auf Freizügigkeit aus Art. 21 AEUV würde in seinem „effet utile" beeinträchtigt, wenn er aufgrund des Abhängigkeitsverhältnisses seines Kindes von ihm gezwungen wäre, wegen des drittstaatsangehörigen Elternteils mit dem Kind Deutschland zu verlassen und in seinem Heimat-Mitgliedstaat zu leben.
Besteht ein unter
I.2.
dargestelltes besonderes Abhängigkeitsverhältnis des Kindes sowohl zum drittstaatsangehörigen Elternteil als auch zum Unionsbürger-Elternteil, steht dem drittstaatsangehörigen Elternteil somit ein Aufenthaltsrecht sui generis aus Art. 20, 21 AEUV zu, da anderenfalls der Unionsbürger-Elternteil gezwungen wäre, Deutschland zu verlassen und sein Freizügigkeitsrecht nicht ausgeübt werden könnte.
Besteht ein unter
I.2.
dargestelltes besonderes Abhängigkeitsverhältnis des Kindes hingegen nur zum drittstaatsangehörigen Elternteil, nicht jedoch auch zum Unionsbürger-Elternteil, kann der drittstaatsangehörige Elternteil darauf verwiesen werden, mit seinem Kind in dem Mitgliedstaat zu leben, dessen Staatsangehörigkeit das Kind besitzt. Steht dem drittstaatsangehörigen Elternteil in diesem Mitgliedstaat kein nationales Aufenthaltsrecht zu, so gilt für ihn das unter I. dargestellte Aufenthaltsrecht sui generis aus Art. 20 AEUV.
Hinsichtlich der Bescheinigung des Aufenthaltsrechts und der Rechtsfolgen gelten die Ausführungen unter
I.4. und I.5.
entsprechend, wobei die Rechtsgrundlage in der Aufenthaltserlaubnis mit „Art. 20, 21 AEUV" anzugeben ist.

III. Drittstaatsangehöriger Elternteil eines Kindes eines Wanderarbeitnehmers: Freizügigkeitsrecht aus Art. 10 Abs. 1 VO (EU) Nr. 492/2011

Mit Urteil vom 11. September 2019 (1 C 48/18) hat das BVerwG ausgeführt, dass aus Art. 10 Abs. 1 VO (EU) Nr. 492/2011 nicht nur dem in Ausbildung befindlichen Kind eines Unionsbürgers, der in einem anderen Mitgliedstaat beschäftigt ist oder beschäftigt war, ein originäres Recht nach § 2 Abs. 1 FreizügigG/EU zusteht, sondern auch dem Elternteil, das die elterliche Sorge für das betreffende Kind tatsächlich wahrnimmt, ohne dass dieser Elternteil selbst der vormalige Wanderarbeitnehmer sein oder die in der Freizügigkeitsrichtlinie festgelegten Voraussetzungen ¹3 erfüllen muss (Rn. 19 des Urteils). ¹4
Konsequenterweise muss dies auch für einen drittstaatsangehörigen Elternteil gelten, wenn die unter
I.2. und I.3.
dargestellten Voraussetzungen gegeben sind bei Vorliegen eines besonderen Abhängigkeitsverhältnisses des Kindes zum drittstaatsangehörigen Elternteil, da ohne dieses Aufenthaltsrecht das Kind zum Verlassen des Aufenthalts-Mitgliedstaats gemeinsam mit dem drittstaatsangehörigen Elternteil und somit zum Abbruch seiner Ausbildung gezwungen wäre und folglich an der Ausübung seines Freizügigkeitsrechts aus Art. 10 Abs. 1 VO (EU) Nr. 492/2011 gehindert würde.
In dieser Konstellation sind die Zeiten, in denen sich der drittstaatsangehörige Elternteil allein auf der Grundlage des Art. 10 Abs. 1 VO (EU) Nr. 492/2001 in Deutschland aufhält, nicht für den Erwerb des Rechts auf Daueraufenthalt im Sinne der Richtlinie 2004/38/EG zu berücksichtigen. ¹5
Das abgeleitete Freizügigkeitsrecht des Elternteils erlischt grundsätzlich, sobald das Kind die Volljährigkeit erreicht. Nur im besonderen Einzelfall kann das Aufenthaltsrecht darüber hinaus fortbestehen, wenn die Anwesenheit und Fürsorge des Elternteils erforderlich ist, damit das volljährige Kind die Ausbildung fortzusetzen und abschließen kann. ¹6

IV. Verhältnis der unter II. und Ill. dargestellten Aufenthaltsrechte zueinander

Erfüllt ein Lebenssachverhalt sowohl die Voraussetzungen eines Aufenthaltsrechts sui generis aus Art. 20, 21 AEUV als auch aus Art. 10 Abs. 1 VO (EU) Nr. 492/2011 i. V. m. Art. 21 AEUV, so ist das aus Art. 10 Abs. 1 VO (EU) Nr. 492/2011 vermittelte Freizügigkeitsrecht als das stärkere vorrangig.

V. Inkrafttreten

Die o. a. Hinweise werden mit Veröffentlichung dieser allgemeinen Weisung im Land Brandenburg verbindlich in Kraft gesetzt. Insbesondere bitte ich Sie - bis zur Verfügbarkeit des angekündigten AZR-Speichersachverhalts (s.
I.4.
) - ab sofort die Erteilung entsprechender Aufenthaltsrechte gesondert statistisch zu erfassen und vorzuhalten.
¹ EuGH, Urt. v. 19.10.2004, C-200/02 - Zhu und Chen; EuGH, Urt. v. 08.03.2011, C-34/09 - Zambrano, Rn. 41 ff.; EuGH, Urt. v. 15.11.2011, C-256/11 - Dereci; EuGH, Urt. v. 08.11.2012, C-40/11 - lida; EuGH Urt. v. 13.09.2016, C-165/14 - Rendön Marin; EuGH Urt. v. 10.05.2017, C-133/15 - Chavez-Vilchez; EuGH, Urt. v. 08.05.2018, C-82/16 - K.A; BVerwG, Urt. v. 30.07.2013, 1 C 15.12 - BVerwGE 147, 278; BVerwG, Urt. v. 12.07.2018, 1 C 16/17 -, BVerwGE 162, 349-363.
² Gemeint sind neben den Eltern gegebenenfalls auch andere Bezugspersonen, soweit zu diesen das geforderte Abhängigkeitsverhältnis besteht. Der Einfachheit halber wird im Rundschreiben der Terminus „Elternteil" verwendet, da dies der Regelfall ist.
³ EuGH, Urt. v. 08.03.2011, C-35/09 - Zambrano.
⁴ EuGH, Urt. v. 19.10.2004, C-200/02 - Zhu und Chen; EuGH, Urt. v. 13.09.2016, C-165/14 - Rendön Martin; EuGH, Urt. v. 10.05.2017, C-133/15 - Chavez-Vilchez; EuGH Urt. v. 08.05.2018, C-82/16 - K.A; EuGH, Urt. v. 15.11.2011, C-256/11 - Dereci; EuGH, Urt. v. 08.11.2012, C-40/11 - lida.
⁵ s. EuGH, v. 13.09.2016, C-165/14, NVwZ 2017, 218, Rn. 59, 81 f.- Rendön Merin, EuGH, Urt. v. 13.09.2016, C- 304/14 - CS, Rn. 36 f. - CS.
⁶ s. EuGH, Urt. v. 27.11.1977, C-30/77 - Bouchereau, Rn. 33.
⁷ s. EuGH, Urt. v. 23. 11. 2010 - C-145/09, NVwZ 2011, 221, Rn.43 f. - Tsakouridis.
⁸ sog.
„Boultif/Üner-Kriterien, s. EuGH, Urt. v. 13.09.2016, C-165/14, NVwZ 2017, 218, Rn. 86 - Rendön Merin.
⁹ s. EuGH, Urt. v. 13.09.2016, C- 304/14 - CS, Rn. 36 f.
1⁰ vgl. BVerwG, Urt. v. 12.07.2018, 1 C 16.17, Rn. 36.
1¹ vgl. EuGH, Lid. v. 08.03.2011, C-34/09 - Zambrano, Rn. 44.
¹2 vgl. EuGH. Urt. v. 12.03.2014, C-456/12 - O. und B., juris, Rn. 44 if.; EuGH, Urt. v. 10.05.2017, C-133/15 - Chavez-Vilchez u.a., juris, Rn. 54; EuGH, Urt. v. 14.11.2017, C-165/16 - Lounes, juris, Rn. 45 ff; EuGH, Urt. v. 05.06.2018, C-673/16 - Coman, juris, Rn. 23 f.; EuGH, Urt. v. 27.06.2018, C-230/17 - Altiner u. Ravn, juris, Rn. 27 m.w.N.
¹3 Das betrifft ausreichenden Krankenversicherungsschutz und ausreichende Existenzmittel (s. BVerwG, Urt. v. 11.09.2019, 1 C 48/18, Rn. 21; vgl. dazu EuGH, Urt. v. 23.09.2010, C-310/08 - Ibrahim, Rn. 59).
¹4 Grundlegend hierzu EuGH, Urt. v. 13.06.2013, C-45/12 - Hadj Ahmed; EuGH, Urt. v. 23.02.2010, C-310/08 - Ibrahim; EuGH, Urt. v. 23.02.2010, C-480/08 - Teixeira; EuGH, Urt. v. 17.09.2002, C-413/99 - Baumbast und R.
¹5 s. EuGH, Urt. v. 08.05.2013, C-529/11- Alarape, Rn. 39f. und 48, der Anwendungsbereich schließt auch die Ausübung eines Hochschulstudiums mit ein, s. dort Rn. 25, mit Verweis auf EuGH, Urt. v. 23.02.2010, C-480/08 - Teixeira, Rn. 78 f.
¹6 s. EuGH, Urt. v. 08.05.2013, C-529/11- Alarape, 1. Leitsatz; EuGH, Urt. v. 23.02.2010, C- 480/08 - Teixeira, Rn. 86f.
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