Zweites Zusatzprotokoll zum Europäischen Auslieferungsübereinkommen (0.353.12)
CH - Schweizer Bundesrecht

Zweites Zusatzprotokoll zum Europäischen Auslieferungsübereinkommen

Abgeschlossen in Strassburg am 17. März 1978 Von der Bundesversammlung genehmigt am 13. Dezember 1984¹ Schweizerische Ratifikationsurkunde hinterlegt am 11. März 1985 In Kraft getreten für die Schweiz am 9. Juni 1985 (Stand am 24. September 2024) ¹ Art. 1 Abs. 1 Bst. b des BB vom 13. Dez. 1984 ( AS 1985 712 )
² SR 0.353.1

Kapitel I

Art. 1
Artikel 2 Absatz 2 des Übereinkommens wird durch folgende Bestimmung ergänzt:
«Dieses Recht gilt auch bei Handlungen, die nur mit Geldsanktionen bedroht sind.»

Kapitel II

Art. 2
Artikel 5 des Übereinkommens wird durch folgende Bestimmungen ersetzt:
«Fiskalische strafbare Handlungen
1. In Abgaben-, Steuer-, Zoll- und Devisenstrafsachen wird die Auslieferung zwischen den Vertragsparteien nach Massgabe des Übereinkommens wegen Handlungen bewilligt, die nach dem Recht der ersuchten Vertragspartei einer strafbaren Handlung derselben Art entsprechen.
2. Die Auslieferung darf nicht mit der Begründung abgelehnt werden, dass das Recht der ersuchten Vertragspartei nicht dieselbe Art von Abgaben oder Steuern oder keine Abgaben-, Steuer-, Zoll- oder Devisenbestimmungen derselben Art wie das Recht der ersuchenden Vertragspartei vorsieht.»

Kapitel III

Art. 3
Das Übereinkommen wird durch folgende Bestimmungen ergänzt:
«Abwesenheitsurteile
1. Ersucht eine Vertragspartei eine andere Vertragspartei um Auslieferung einer Person zur Vollstreckung einer Strafe oder einer sichernden Massnahme, die gegen sie in einem Abwesenheitsurteil verhängt worden ist, so kann die ersuchte Vertragspartei die Auslieferung zu diesem Zweck ablehnen, wenn nach ihrer Auffassung in dem diesem Urteil vorangegangenen Verfahren nicht die Mindestrechte der Verteidigung gewahrt worden sind, die anerkanntermassen jedem einer strafbaren Handlung Beschuldigten zustehen. Die Auslieferung wird jedoch bewilligt, wenn die ersuchende Vertragspartei eine als ausreichend erachtete Zusicherung gibt, der Person, um deren Auslieferung ersucht wird, das Recht auf ein neues Gerichtsverfahren zu gewährleisten, in dem die Rechte der Verteidigung gewahrt werden. Diese Entscheidung ermächtigt die ersuchende Vertragspartei, entweder das betreffende Urteil zu vollstrecken, wenn der Verurteilte keinen Einspruch erhebt, oder andernfalls gegen den Ausgelieferten die Strafverfolgung durchzuführen.
2. Unterrichtet die ersuchte Vertragspartei die Person, um deren Auslieferung ersucht wird, von dem gegen sie ergangenen Abwesenheitsurteil, so betrachtet die ersuchende Vertragspartei diese Mitteilung nicht als förmliche Zustellung mit Wirkung für das Strafverfahren in diesem Staat.»

Kapitel IV

Art. 4
Das Übereinkommen wird durch folgende Bestimmungen ergänzt:
«Amnestie
Die Auslieferung wird nicht bewilligt wegen einer strafbaren Handlung, die im ersuchten Staat unter eine Amnestie fällt und für deren Verfolgung dieser Staat nach seinem eigenen Strafrecht zuständig war.»

Kapitel V

Art. 5
Artikel 12 Absatz 1 des Übereinkommens wird durch folgende Bestimmungen ersetzt:
«Das Ersuchen wird schriftlich abgefasst und vom Justizministerium der ersuchenden Vertragspartei an das Justizministerium der ersuchten Vertragspartei gerichtet; der diplomatische Weg ist jedoch nicht ausgeschlossen. Ein anderer Weg kann unmittelbar zwischen zwei oder mehr Vertragsparteien vereinbart werden.»

Kapitel VI

Art. 6
1. Dieses Protokoll liegt für die Mitgliedstaaten des Europarats, die das Übereinkommen unterzeichnet haben, zur Unterzeichnung auf. Es bedarf der Ratifikation, Annahme oder Genehmigung. Die Ratifikations-, Annahme- oder Genehmigungsurkunden werden beim Generalsekretär des Europarats hinterlegt.
2. Das Protokoll tritt 90 Tage nach Hinterlegung der dritten Ratifikations-, Annahme- oder Genehmigungsurkunde in Kraft.
3. Für jeden Unterzeichnerstaat, der das Protokoll später ratifiziert, annimmt oder genehmigt, tritt es 90 Tage nach Hinterlegung seiner Ratifikations-, Annahme- oder Genehmigungsurkunde in Kraft.
4. Ein Mitgliedstaat des Europarats kann dieses Protokoll nicht ratifizieren, annehmen oder genehmigen, ohne gleichzeitig oder vorher das Übereinkommen ratifiziert zu haben.
Art. 7
1. Jeder Staat, der dem Übereinkommen beigetreten ist, kann diesem Protokoll beitreten, nachdem es in Kraft getreten ist.
2. Der Beitritt erfolgt durch Hinterlegung einer Beitrittsurkunde beim Generalsekretär des Europarats; die Urkunde wird 90 Tage nach ihrer Hinterlegung wirksam.
Art. 8
1. Jeder Staat kann bei der Unterzeichnung oder bei der Hinterlegung seiner Ratifikations-, Annahme-, Genehmigungs- oder Beitrittsurkunde einzelne oder mehrere Hoheitsgebiete bezeichnen, auf die dieses Protokoll Anwendung findet.
2. Jeder Staat kann bei der Hinterlegung seiner Ratifikations-, Annahme-, Genehmigungs- oder Beitrittsurkunde oder jederzeit danach durch eine an den Generalsekretär des Europarats gerichtete Erklärung dieses Protokoll auf jedes weitere in der Erklärung bezeichnete Hoheitsgebiet erstrecken, dessen internationale Beziehungen er wahrnimmt oder für das er Vereinbarungen treffen kann.
3. Jede nach Absatz 2 abgegebene Erklärung kann in bezug auf jedes darin genannte Hoheitsgebiet durch eine an den Generalsekretär des Europarats gerichtete Notifikation zurückgenommen werden. Die Zurücknahme wird sechs Monate nach Eingang der Notifikation beim Generalsekretär des Europarats wirksam.
Art. 9
1. Die von einem Staat zu einer Bestimmung des Übereinkommens angebrachten Vorbehalte finden auch auf dieses Protokoll Anwendung, sofern dieser Staat bei der Unterzeichnung oder bei der Hinterlegung seiner Ratifikations-, Annahme-, Genehmigungs- oder Beitrittsurkunde keine anderslautende Absicht zum Ausdruck bringt.
2. Jeder Staat kann bei der Unterzeichnung oder bei der Hinterlegung seiner Ratifikations-, Annahme-, Genehmigungs- oder Beitrittsurkunde erklären, dass er sich das Recht vorbehält:
a. Kapitel I nicht anzunehmen;
b. Kapitel II nicht oder nur hinsichtlich bestimmter in Artikel 2 bezeichneter strafbarer Handlungen oder Kategorien von strafbaren Handlungen anzunehmen;
c. Kapitel III nicht anzunehmen oder nur Artikel 3 Absatz 1 anzunehmen;
d. Kapitel IV nicht anzunehmen;
e. Kapitel V nicht anzunehmen.
3. Jede Vertragspartei kann einen von ihr nach Absatz 2 angebrachten Vorbehalt durch eine an den Generalsekretär des Europarats gerichtete Erklärung zurückziehen; die Erklärung wird mit ihrem Eingang wirksam.
4. Eine Vertragspartei, die einen Vorbehalt zu einer Bestimmung des Übereinkommens auf dieses Protokoll angewendet oder einen Vorbehalt zu einer Bestimmung des Protokolls angebracht hat, kann nicht verlangen, dass eine andere Vertragspartei diese Bestimmung anwendet; sie kann jedoch, wenn es sich um einen Teilvorbehalt oder einen bedingten Vorbehalt handelt, die Anwendung der betreffenden Bestimmung insoweit verlangen, als sie selbst sie angenommen hat.
5. Andere Vorbehalte zu diesem Protokoll sind nicht zulässig.
Art. 10
Das Europäische Komitee für Strafrechtsfragen des Europarats wird die Durchführung dieses Protokolls verfolgen; soweit erforderlich, erleichtert er die gütliche Behebung aller Schwierigkeiten, die sich aus der Durchführung des Protokolls ergeben könnten.
Art. 11
1. Jede Vertragspartei kann dieses Protokoll durch eine an den Generalsekretär des Europarats gerichtete Notifikation für sich kündigen.
2. Die Kündigung wird sechs Monate nach Eingang der Notifikation beim Generalsekretär wirksam.
3. Die Kündigung des Übereinkommens hat ohne weiteres auch die Kündigung dieses Protokolls zur Folge.
Art. 12
Der Generalsekretär des Europarats notifiziert den Mitgliedstaaten des Rates und jedem Staat, der dem Übereinkommen beigetreten ist:
a. jede Unterzeichnung dieses Protokolls;
b. jede Hinterlegung einer Ratifikations-, Annahme-, Genehmigungs- oder Beitrittsurkunde;
c. jeden Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Protokolls nach seinen Artikeln 6 und 7;
d. jede nach Artikel 8 Absätze 2 und 3 eingegangene Erklärung;
e. jede nach Artikel 9 Absatz 1 eingegangene Erklärung;
f. jeden nach Artikel 9 Absatz 2 angebrachten Vorbehalt;
g. jeder Rückzug eines Vorbehalts nach Artikel 9 Absatz 3;
h. jede nach Artikel 11 eingegangene Notifikation und den Zeitpunkt, zu dem die Kündigung wirksam wird.

Unterschriften

Zu Urkund dessen haben die hierzu gehörig befugten Unterzeichneten dieses Protokoll unterschrieben.
Geschehen zu Strassburg am 17. März 1978 in englischer und französischer Sprache, wobei jeder Wortlaut gleichermassen verbindlich ist, in einer Urschrift, die im Archiv des Europarats hinterlegt wird. Der Generalsekretär des Europarats übermittelt allen Unterzeichnerstaaten und allen beitretenden Staaten beglaubigte Abschriften.
(Es folgen die Unterschriften)

Geltungsbereich am 24. September 2024 ³

³ Diese Veröffentlichung ergänzt die früheren in AS 1985 724 ; 1987  774 ; 1990  1174 ; 1995  1123 ; 2004  4985 ; 2007  1387 ; 2012  4499 ; 2020  3809 ; 2024 525 . Eine aktualisierte Fassung des Geltungsbereichs ist auf der Publikationsplattform des Bundesrechts «Fedlex» unter folgender Adresse veröffentlicht: www.fedlex.admin.ch/de/treaty .

Vertragsstaaten

Ratifikation
Beitritt (B)
Nachfolge-

erklärung (N)

Inkrafttreten

Albanien

19. Mai

1998

17. August

1998

Armenien

18. Dezember

2003

17. März

2004

Aserbaidschan*

28. Juni

2002

26. September

2002

Belgien*

18. November

1997

16. Februar

1998

Bosnien und Herzegowina

25. April

2005

24. Juli

2005

Bulgarien*

17. Juni

1994

14. September

1994

Dänemark

  7. März

1983

  5. Juni

1983

Deutschland

  8. März

1991

  6. Juni

1991

Estland

28. April

1997

27. Juli

1997

Finnland

30. Januar

1985 B

30. April

1985

Frankreich*

10. Juni

2021

  8. September

2021

Georgien*

15. Juni

2001

13. September

2001

Irland*

22. März

2019

21. Juni

2019

Island

20. Juni

1984

18. September

1984

Italien

23. Januar

1985

23. April

1985

Korea (Süd-)*

29. September

2011 B

29. Dezember

2011

Kroatien

25. Januar

1995 B

25. April

1995

Lettland*

  2. Mai

1997

31. Juli

1997

Litauen

20. Juni

1995

18. September

1995

Malta*

20. November

2000

18. Februar

2001

Nordmazedonien

28. Juli

1999

26. Oktober

1999

Moldau

27. Juni

2001

25. September

2001

Monaco*

30. Januar

2009

  1. Mai

2009

Montenegro

  6. Juni

2006 N

  6. Juni

2006

Niederlande*

12. Januar

1982

  5. Juni

1983

    Aruba

12. Januar

1982

  5. Juni

1983

    Curaçao

12. Januar

1982

  5. Juni

1983

    Karibische Gebiete (Bonaire,
    Sint Eustatius und Saba)

12. Januar

1982

  5. Juni

1983

    Sint Maarten

12. Januar

1982

  5. Juni

1983

Norwegen*

11. Dezember

1986

11. März

1987

Österreich*

  2. Mai

1983

31. Juli

1983

Polen

15. Juni

1993

13. September

1993

Portugal

25. Januar

1990

25. April

1990

Rumänien

10. September

1997

  9. Dezember

1997

Russland*

10. Dezember

1999

  9. März

2000

Schweden

13. Juni

1979

  5. Juni

1983

Schweiz*

11. März

1985

  9. Juni

1985

Serbien

23. Juni

2003 B

21. September

2003

Slowakei

23. September

1996

22. Dezember

1996

Slowenien

16. Februar

1995

17. Mai

1995

Spanien*

11. März

1985

  9. Juni

1985

Südafrika

12. Februar

2003 B

13. Mai

2003

Tschechische Republik

19. November

1996

17. Februar

1997

Türkei*

10. Juli

1992

  8. Oktober

1992

Ukraine*

11. März

1998

  9. Juni

1998

Ungarn

13. Juli

1993

11. Oktober

1993

Vereinigtes Königreich*

  8. März

1994

  6. Juni

1994

    Gibraltar

29. Juli

2019

27. Oktober

2019

    Guernsey*

25. April

2003

25. April

2003

    Insel Man*

25. April

2003

25. April

2003

Zypern

13. April

1984

12. Juli

1984

* Vorbehalte und Erklärungen.
Die Vorbehalte und Erklärungen werden in der AS nicht veröffentlicht, mit Ausnahme jener der Schweiz. Die französischen und englischen Texte können auf der Internetseite des Europarats: http://conventions.coe.int eingesehen oder bei der Direktion für Völkerrecht, Sektion Staatsverträge, 3003 Bern, bezogen werden.

Vorbehalte und Erklärungen

Schweiz ⁴
Die Schweiz erklärt, Kapitel II nicht anzunehmen.
⁴ Art. 1 Abs. 1 Bst. b des BB vom 13. Dez. 1984 ( AS 1985 712 )
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