Zusammenarbeit von Staatsanwaltschaft und Polizei; Beschleunigung der Verfahrensabläufe insbesondere in sog. Umfangsverfahren
DE - Landesrecht Niedersachsen

Zusammenarbeit von Staatsanwaltschaft und Polizei; Beschleunigung der Verfahrensabläufe insbesondere in sog. Umfangsverfahren

Zusammenarbeit von Staatsanwaltschaft und Polizei; Beschleunigung der Verfahrensabläufe insbesondere in sog. Umfangsverfahren

Gem. RdErl. d. MI u. d. MJ v. 1. 1. 2019 - 23.11-01447/5 -
Vom 1. Januar 2019 (Nds. MBl. S. 3) (1)
- VORIS 21021 -
Bezug:
a)
Gem. RdErl. d. MJ u. d. MI v. 16. 9. 1996 (Nds. Rpfl. S. 262) - VORIS 33210 00 00 00 005 -
b)
AV d. MJ v. 22. 11. 1976 (Nds. Rpfl. S. 250), zuletzt geändert durch AV v. 5. 9. 2016 (Nds. Rpfl. S. 328) - VORIS 33300 00 00 00 003 -
Redaktionelle InhaltsübersichtAbschnitt
Allgemeines, Begriffsbestimmung und -eingrenzung1
Handlungsrahmen2
Beschleunigung der Verfahrensabläufe durch verfahrenssteuernde Absprachen, Strategieentwicklung und Konzeptionserstellung3
Erfahrungsaustausch, Überprüfung der Zielerreichung4
Schlussbestimmungen5
(1) Red. Anm.:
Nds. Rpfl. S. 113

Abschnitt 1 PolUVfRdErl - Allgemeines, Begriffsbestimmung und -eingrenzung

Staatsanwaltschaft und Polizei werden regelmäßig mit umfangreichen, (rechtlich) schwierigen und mit hohem Ermittlungs- und Hauptverhandlungsaufwand behafteten Ermittlungsverfahren konfrontiert, insbesondere im Bereich der Wirtschafts-, Landwirtschafts-, Steuer- oder Zollkriminalität, der Korruptionsdelinquenz, des Betäubungsmittelhandels, der gewerbs- und bandenmäßigen Schleusung oder des Menschenhandels, des Bandendiebstahls oder der Cybercrime.
Aufgrund begrenzter personeller und finanzieller Ressourcen, aber auch der besonders zeit- und personalintensiven, über Länder- und Staatsgrenzen hinausgreifenden Ermittlungen in sog. Umfangsverfahren werden zur Zusammenarbeit von Staatsanwaltschaft und Polizei und zur Beschleunigung (der Abläufe) dieser Verfahren die Regelungen der Nummern 2 bis 4 getroffen.
Umfangsverfahren i. S. dieses Gem. RdErl. sind Verfahren, die durch
eine Vielzahl der zu verfolgenden Straftaten und/oder Tatverdächtigen,
den Umfang der auszuwertenden Beweismittel sowie
eine prognostizierte Ermittlungsdauer von mehr als sechs Monaten
gekennzeichnet sind und somit den für durchschnittliche Ermittlungsverfahren aufzuwendenden Einsatz an personellen und sachlichen Mitteln bei Polizei und Staatsanwaltschaft nicht unerheblich übersteigen.
Sie sind in der Regel der Organisierten Kriminalität und/oder den Kriminalitätsfeldern gemäß Absatz 1 zuzuordnen und erfordern regelmäßig einen Bearbeitungsaufwand von mehr als sechs Monaten.
Red. Hinweis zur Geltungsdauer
Außer Kraft am 1. Januar 2025 durch Nummer 5 des Runderlasses vom 1. Januar 2019 (Nds. MBl. S. 3, Nds. Rpfl. Nr. 4/2019 S. 113)

Abschnitt 2 PolUVfRdErl - Handlungsrahmen

Die Strafverfolgungsbehörden sind dem Legalitätsprinzip ( § 152 Abs. 2 , § 163 Abs. 1 StPO ) verpflichtet, das ihnen zum einen gebietet, Strafverfolgung gleichmäßig zu betreiben (Willkürverbot, Artikel 3 Abs. 1 GG ), ihnen zum anderen aber auch aufgibt, bei grundrechtsrelevanten Eingriffen in Rechte der betroffenen Bürgerin oder des betroffenen Bürgers das Verhältnismäßigkeitsprinzip zu beachten. Umgekehrt verpflichtet das GG - als Ausfluss von Rechtsstaats- und Sozialstaatsprinzip - den Staat zu effektiver Strafverfolgung.
Das Gebot effektiven Staatshandelns kann aber auch bedeuten, dass Prioritäten gesetzt und Schwerpunkte gebildet werden, wenn eine gleichmäßige Verfolgung aller Straftaten, für die ein Anfangsverdacht besteht, effektiv nicht gewährleistet werden kann. Eine solche Schwerpunktbildung ist in den §§ 154 , 154a , 421 StPO sowie § 143 Abs. 4 GVG geregelt.
Red. Hinweis zur Geltungsdauer
Außer Kraft am 1. Januar 2025 durch Nummer 5 des Runderlasses vom 1. Januar 2019 (Nds. MBl. S. 3, Nds. Rpfl. Nr. 4/2019 S. 113)

Abschnitt 3 PolUVfRdErl - Beschleunigung der Verfahrensabläufe durch verfahrenssteuernde Absprachen, Strategieentwicklung und Konzeptionserstellung

3.1 Ziele
Mit dem Ziel einer effektiven Strafverfolgung unter Nutzung der vorhandenen Ressourcen
haben Polizei und Staatsanwaltschaft
frühzeitig einen wechselseitigen Austausch über das mögliche Entstehen eines Umfangsverfahrens herzustellen und das Vorliegen eines derartigen Falles festzustellen,
Einvernehmen bezüglich der Übernahme eines solchen Verfahrens zu erzielen und
über juristische und kriminalistische Auswertungs- und Analyseergebnisse eine Ermittlungskonzeption festzulegen, die insbesondere die einzusetzenden Personalressourcen, die wesentlichen Ermittlungsphasen und den Zeitrahmen bestimmt.
Dabei ist in allen Phasen des Verfahrens ein intensiver Informationsaustausch, der
auch verfahrenssteuernde Absprachen beinhaltet, sicherzustellen.
Dieser Gem. RdErl. bezweckt eine planvolle und Ressourcen schonende Steuerung des
polizeilichen Personaleinsatzes sowie die Beschleunigung der Ermittlungen in Umfangsverfahren.
Die Sachleitungsbefugnis der Staatsanwaltschaft im Strafverfahren ( § 152 Abs. 1 GVG , § 161 Abs. 1 Satz 2 StPO ) bleibt hiervon unberührt. Sie wird insbesondere nicht durch die nach Nummer 3.2 herbeizuführende Verständigung eingeschränkt, von der die Staatsanwaltschaft abzuweichen berechtigt ist, wenn ihr dies sachlich geboten erscheint.
3.2 Verfahrensbeschreibung
Zur Zielerreichung und unter Beachtung des Legalitätsprinzips treffen Polizei und Staatsanwaltschaft folgende Maßnahmen oder verständigen sich über folgende Punkte:
Die Polizei stellt Straftaten, Strafzusammenhänge und Täterbeziehungen sowie kriminalistische Bewertungen, insbesondere zum prognostizierbaren oder zu erwartenden Umfang und Schwerpunkt eines Verfahrens (Nummer 26 RiStBV - siehe Bezugs-AV zu b), möglichst in Form eines Analyseberichts oder einer vorläufigen Ermittlungskonzeption, dar und legt diesen oder diese frühzeitig der Staatsanwaltschaft zwecks Abstimmung der weiteren Verfahrensweise vor.
Die Staatsanwaltschaft prüft zeitnah die Übernahme komplexer und überregionaler Ermittlungsverfahren mit unterschiedlichen staatsanwaltschaftlichen Zuständigkeiten und teilt ihre Entscheidung der Polizei mit.
Die Polizei stellt die vorhandenen personellen und materiellen Ressourcen dar.
Staatsanwaltschaft und Polizei bestimmen einen zeitlichen Rahmen für die Durchführung des Ermittlungsverfahrens und unterscheiden dabei nach verdeckter und offener Ermittlungsphase für die Bearbeitung, bis hin zur Anklageerhebung.
Vor Aufnahme der Ermittlungen sind grundsätzlich von Polizei und Staatsanwaltschaft gemeinsam erarbeitete und abgestimmte Ermittlungskonzepte zu fertigen und regelmäßig und/oder anlassbezogen fortzuschreiben.
Die Staatsanwaltschaft legt die sachbearbeitende Dezernentin oder den sachbearbeitenden Dezernenten einschließlich der Stellvertreterin oder des Stellvertreters fest und gibt die jeweiligen Erreichbarkeiten bekannt.
Bei der Erledigung umfangreicher Ermittlungsverfahren prüft die Staatsanwaltschaft, ob von der Möglichkeit der Übertragung der staatsanwaltschaftlichen Zuständigkeit ( § 145 GVG ) Gebrauch gemacht werden kann.
Staatsanwaltschaft und Polizei treffen frühzeitig Absprachen bezüglich des Aktenaufbaus und legen die für die Täterermittlung zwingend erforderlichen Ermittlungshandlungen fest.
Staatsanwaltschaft und Polizei treffen frühzeitige Absprachen zum Umfang der Sicherstellung und Beschlagnahme von Beweismitteln und der Auswertetiefe.
Staatsanwaltschaft und Polizei prüfen sorgfältig die Notwendigkeit von personal- und kostenintensiven Ermittlungshandlungen zu Beginn der operativen Ermittlungsphase (Ermittlungstiefe) mit Blick auf weniger belastende Maßnahmen zur Stützung des Tatverdachts oder zur Bestimmung des Kreises der Tatverdächtigen.
Staatsanwaltschaft und Polizei verständigen sich darüber, ob im Fall durchgeführter Telekommunikationsüberwachungsmaßnahmen von der Protokollierung solcher Telefongespräche abgesehen werden kann, die von vornherein erkennbar nicht dazu geeignet sind, den Tatvorwurf zu verifizieren.
Die Staatsanwaltschaft trifft frühzeitig die Entscheidung zur gezielten Ermittlung von Teilkomplexen.
Die Staatsanwaltschaft prüft eine Anwendung der §§ 154 und 154a StPO unter Beachtung des § 421 StPO und des § 143 Abs. 4 GVG bereits während der laufenden Ermittlungen.
Die Staatsanwaltschaft trifft frühzeitige Entscheidungen zu verfahrensbeschränkenden Maßnahmen (Abtrennungen, Abgaben und Einstellungen nach § 154 StPO wie z. B. Entscheidungen über den Umgang mit Randerkenntnissen).
Die Polizei strebt an, dass die zur Bewältigung eines Umfangsverfahrens eingerichtete polizeiliche Besondere Aufbauorganisation (BAO) so lange mit angemessener Personalstärke bestehen bleibt, bis die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen weitestgehend abgeschlossen sind.
Alle angesprochenen Möglichkeiten zur frühzeitigen Strukturierung der Ermittlungen in Umfangsverfahren und Begrenzung des damit verbundenen Ermittlungsaufwands bedingen eine möglichst frühzeitige Abstimmung zwischen Staatsanwaltschaft und Polizei. Sie hat am Anfang, nicht erst am Ende der Ermittlungen zu stehen und sich auf alle verfahrensrelevanten Aspekte zu erstrecken. Dabei sollte nicht nur Einvernehmen darüber bestehen, innerhalb welcher Zeit die Ermittlungen nach Möglichkeit abgeschlossen werden sollen, sondern vor allem auch darüber, wie mit anfallenden, einem zügigen Verfahrensabschluss entgegenstehenden Gesichtspunkten oder Ermittlungsergebnissen umgegangen werden soll.
Wesentliche verfahrenssteuernde und ggf. -beschränkende Absprachen sowie Aussagen oder Entscheidungen zu relevanten Rahmenbedingungen sind in allen Phasen schriftlich festzulegen, jedoch nicht zu den Verfahrensakten zu nehmen.
Red. Hinweis zur Geltungsdauer
Außer Kraft am 1. Januar 2025 durch Nummer 5 des Runderlasses vom 1. Januar 2019 (Nds. MBl. S. 3, Nds. Rpfl. Nr. 4/2019 S. 113)

Abschnitt 4 PolUVfRdErl - Erfahrungsaustausch, Überprüfung der Zielerreichung

Die Behörden von Staatsanwaltschaft und Polizei überprüfen die Zielerreichung in ihrem Zuständigkeitsbereich und erörtern diese im Rahmen der regelmäßigen Zusammenkünfte auf allen staatsanwaltschaftlichen und polizeilichen Entscheidungsebenen (vgl. Bezugserlass zu a).
Red. Hinweis zur Geltungsdauer
Außer Kraft am 1. Januar 2025 durch Nummer 5 des Runderlasses vom 1. Januar 2019 (Nds. MBl. S. 3, Nds. Rpfl. Nr. 4/2019 S. 113)

Abschnitt 5 PolUVfRdErl - Schlussbestimmungen

Dieser Gem. RdErl. tritt am 1. 1. 2019 in Kraft und mit Ablauf des 31. 12. 2024 außer Kraft.
Red. Hinweis zur Geltungsdauer
Außer Kraft am 1. Januar 2025 durch Nummer 5 des Runderlasses vom 1. Januar 2019 (Nds. MBl. S. 3, Nds. Rpfl. Nr. 4/2019 S. 113)
An die Polizeibehörden und -dienststellen Justizbehörden
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