Statut vom 14. April 1921 über die Freiheit des Durchgangsverkehrs (0.740.41)
CH - Schweizer Bundesrecht

Statut vom 14. April 1921 über die Freiheit des Durchgangsverkehrs

Gutgeheissen in Barcelona am 14. April 1921 Von der Bundesversammlung genehmigt am 21. Juni 1924¹ Schweizerische Ratifikationsurkunden hinterlegt am 14. Juli 1924 In Kraft getreten für die Schweiz am 12. Oktober 1924 ¹ Ziff. I des BB vom 21. Juni 1924 ( AS 40 441 )
Art. 1
Als im Durchgangsverkehr durch das Hoheits‑ oder Herrschaftsgebiet irgendeines der Vertragsstaaten befindlich gelten Personen, Gepäck, Güter sowie See‑ und Binnenschiffe, Personen‑ und Güterwagen oder andere Beförderungsmittel, deren Beförderung durch die genannten Gebiete nur einen Bruchteil der Gesamtbeförderung ausmacht, die ausserhalb der Grenzen des Staates, durch dessen Gebiete sich der Durchgangsverkehr vollzieht, begonnen hat und enden soll, gleichviel, ob diese Beförderung mit oder ohne Umladung, mit oder ohne Einlagerung, mit oder ohne Teilung oder sonstige Behandlung der Ladung, mit oder ohne Änderung der Beförderungsart erfolgt.
Derartige Transporte werden in dem Statut als «Durchgangstransporte» bezeichnet.
Art. 2
Vorbehältlich der übrigen Bestimmungen dieses Statuts sollen die von den Vertragsstaaten getroffenen Massnahmen zur Regelung und Durchführung der Transporte durch ihre Hoheits‑ oder Herrschaftsgebiete den freien Durchgangsverkehr auf den in Betrieb befindlichen und für den internationalen Durchgangsverkehr geeigneten Eisenbahnen und Wasserwegen erleichtern. Es wird dabei kein Unterschied gemacht, weder auf Grund der Staatsangehörigkeit der Personen, der Flagge, des Ursprungs‑, Herkunfts‑, Eintritts‑, Austritts‑ oder Bestimmungsortes noch auf Grund irgendeiner Erwägung, hergeleitet aus den Eigentumsverhältnissen der Güter, See‑ und Binnenschiffe, Personen‑ und Güterwagen oder anderer Beförderungsmittel.
Um die Anwendung der Bestimmungen des Statuts sicherzustellen, gestatten die Vertragsstaaten den Durchgangsverkehr durch ihre Territorialgewässer nach Massgabe der üblichen Bedingungen und Vorbehalte.
Art. 3
Die Durchgangstransporte werden keinen besonderen Gebühren oder Abgaben auf Grund ihrer Durchfuhr (Ein‑ und Austritt einbegriffen) unterworfen. Jedoch können diese Durchgangstransporte mit solchen Gebühren oder Abgaben belegt werden, die lediglich zur Deckung der durch ihre Durchfuhr veranlassten Überwachungs‑ und Verwaltungskosten dienen. Die Höhe aller derartigen Gebühren und Abgaben soll soweit wie möglich den Aufwendungen entsprechen, zu deren Deckung sie bestimmt sind. Auf diese Gebühren und Abgaben findet der im vorstehenden Artikel niedergelegte Grundsatz der Gleichheit mit der Einschränkung Anwendung, dass sie auf bestimmten Verkehrswegen mit Rücksicht auf Unterschiede in der Höhe der Überwachungskosten herabgesetzt oder sogar aufgehoben werden können.
Art. 4
Die Vertragsstaaten verpflichten sich, für die Durchgangstransporte auf staatlich betriebenen, verwalteten oder konzessionierten Verkehrswegen ohne Rücksicht auf den Abgangs‑ oder Bestimmungsort Tarife festzusetzen, die sowohl in ihren Sätzen wie in ihrer Anwendungsart der Billigkeit entsprechen, wobei den Verkehrsverhältnissen wie auch dem wirtschaftlichen Wettbewerb zwischen den verschiedenen Verkehrswegen Rechnung zu tragen ist. Diese Tarife sollen so gestaltet werden, dass sie den internationalen Verkehr möglichst erleichtern. Keine Vergütung, Erleichterung oder Einschränkung darf unmittelbar oder mittelbar von der Staatsangehörigkeit oder der Eigenschaft des Eigentümers des Schiffes oder irgendeines andern Verkehrsmittels, das während eines Teils der Gesamtbeförderung benutzt worden ist oder noch benutzt werden soll, abhängig gemacht werden.
Art. 5
Keiner der Vertragsstaaten wird durch das Statut verpflichtet, die Durchreise solcher Personen, denen das Betreten seines Gebietes verboten ist, oder den Durchgang solcher Güter zu gewährleisten, deren Einfuhr aus Gründen der öffentlichen Gesundheitspflege oder der öffentlichen Sicherheit oder zur Verhütung der Einschleppung von Tier‑ und Pflanzenkrankheiten untersagt ist.
Jeder Vertragsstaat ist berechtigt, die erforderlichen Vorkehrungen zu treffen, um sich zu vergewissern, dass die Personen, das Gepäck und die Güter, insbesondere die einem Monopol unterworfenen Güter, die See‑ und Binnenschiffe, Personenund Güterwagen oder andern Beförderungsmittel sich tatsächlich im Durchgangsverkehr befinden sowie um sich davon zu überzeugen, dass die auf der Durchreise befind­lichen Personen in der Lage sind, ihre Reise zu beendigen, und um zu verhüten, dass die Sicherheit der Verkehrswege und Verkehrsmittel gefährdet wird.
Das Statut kann in keiner Weise die Massnahmen berühren, die irgendeiner der Vertragsstaaten auf Grund allgemeiner internationaler Vereinbarungen, an denen er beteiligt ist, oder die späterhin abgeschlossen werden sollten, zu treffen sich veranlasst sieht oder sehen könnte. Namentlich gilt dies für Vereinbarungen, die unter dem Schutz des Völkerbundes²* abgeschlossen sind und den Durchgangsverkehr, die Ein‑ oder Ausfuhr bestimmter Warengattungen, wie Opium und anderer schäd­licher Drogen, Waffen und Fischereierzeugnisse betreffen, und ebenso für allge­meine Vereinbarungen, die die Verhütung irgendwelcher Beeinträchtigung von gewerb­lichen, literarischen oder künstlerischen Eigentumsrechten zum Gegenstand haben oder sich auf die Anwendung falscher Waren‑ oder Ursprungsbezeichnungen oder anderer Mittel des unlautern Wettbewerbs beziehen.
Falls auf den für den Durchgangsverkehr benutzten schiffbaren Wasserwegen ein Schleppmonopol eingerichtet ist, muss dessen Betrieb derart sein, dass er den Durchgangsverkehr für See‑ und Binnenschiffe nicht hindert.
² Der Völkerbund wurde aufgelöst durch Beschluss seiner Versammlung vom 18. April 1946 ( BBl 1946 II 1233 ).
Art. 6
Das Statut legt mit diesen Bestimmungen keinem der Vertragsstaaten eine neue Verpflichtung auf zur Gewährung des freien Durchgangsverkehrs für Staatsangehörige und deren Reisegepäck oder für die Flagge eines Staates, der nicht Vertragsteil ist, ebensowenig für die Güter, Personen‑ und Güterwagen oder andere Beförderungsmittel, die aus einem Staat stammen oder eingehen, oder nach einem Staat ausgehen oder bestimmt sind, der nicht Vertragsteil ist, es sei denn, dass von irgendeinem der anderen beteiligten Vertragsstaaten triftige Gründe zugunsten eines derartigen Durchgangsverkehrs geltend gemacht werden sollten. Dabei besteht für die Anwendung dieses Artikels Einverständnis, dass die unter der Flagge eines der Vertragsstaaten ohne Umladung durchgehenden Güter die dieser Flagge zugestandenen Vorteile geniessen.
Art. 7
Ausnahmsweise und für eine möglichst beschränkte Zeit können die Vorschriften der vorstehenden Artikel durch besondere oder allgemeine Massnahmen abgeändert werden, die ein Vertragsstaat beim Eintreten schwerwiegender, die Sicherheit des Staates oder die Lebensinteressen des Landes berührender Ereignisse zu treffen genötigt ist. Es besteht Einverständnis darüber, dass dabei der Grundsatz der Freiheit des Durchgangsverkehrs in möglichst vollem Umfange gewahrt werden muss.
Art. 8
Das Statut ordnet nicht die Rechte und Pflichten der Kriegführenden und Neutralen in Kriegszeiten, bleibt jedoch auch in Kriegszeiten in Geltung, soweit es mit diesen Rechten und Pflichten vereinbar ist.
Art. 9
Das Statut legt keinem der Vertragsstaaten Verpflichtungen auf, die seinen Rechten und Pflichten als Mitglied des Völkerbundes zuwiderlaufen könnten.
Art. 10
Die von den Vertragsstaaten vor dem 1. Mai 1921 abgeschlossenen Verträge, Übereinkommen oder Vereinbarungen über den Durchgangsverkehr verlieren durch Inkrafttreten des Statuts nicht ihre Gültigkeit.
In Anbetracht dessen verpflichten sich die Vertragsstaaten entweder bei Erlöschen solcher Vereinbarungen oder sobald die Verhältnisse es ermöglichen, diejenigen unter den danach aufrechterhaltenen Vereinbarungen, die den Bestimmungen des Statuts zuwiderlaufen sollten, durch entsprechende Abänderungen so weit mit ihnen in Einklang zu bringen, wie die geographischen, wirtschaftlichen und technischen Verhältnisse der Länder oder Gebiete, die den Gegenstand jener Vereinbarungen bilden, es irgend gestatten.
Die Vertragsstaaten verpflichten sich, überdies künftig keine Verträge, Übereinkommen oder Vereinbarungen abzuschliessen, die den Bestimmungen des Statuts zuwiderlaufen, sofern nicht geographische, wirtschaftliche oder technische Beweggründe ausnahmsweise Abweichungen rechtfertigen sollten.
Ferner können die Vertragsstaaten über den Durchgangsverkehr für bestimmte Gebiete geltende Vereinbarungen treffen, die mit den Grundsätzen des Statuts in Einklang stehen.
Art. 11
Das Statut hat keineswegs die Aufhebung von Erleichterungen zur Folge, die in einem weitergehenden Masse, als es durch seine Bestimmungen geschehen ist, für Durchgangstransporte durch das Hoheits‑ oder Herrschaftsgebiet irgendeines der Vertragsstaaten unter Bedingungen bereits zugestanden sein sollten, die mit seinen Grundsätzen vereinbar sind. Ebensowenig will es die Gewährung solcher Erleichterungen für die Zukunft ausschliessen.
Art. 12
Jeder Vertragsstaat, der gegen die Anwendung irgendeiner Bestimmung des Statuts auf seinem Gesamtgebiet oder auf einem Teil desselben mit triftigen Gründen den Ernst seiner wirtschaftlichen Lage als Folge der Verwüstungen während des Krieges von 1914–1918 auf seinem Gebiete geltend machen kann, gilt gemäss Artikel 23 (e) des Völkerbundsvertrages³ vorübergehend von den Verpflichtungen aus jener Bestimmung als befreit, wobei jedoch der Grundsatz der Freiheit des Durchgangsverkehrs soweit wie möglich zu wahren ist.
³ Den Wortlaut dieses Artikels siehe in der Fussn. zur Präambel des Übereink. vom 20. April 1921 über die Freiheit des Durchgangsverkehrs ( SR 0.740.4 ).
Art. 13
Alle Streitfälle, die zwischen den Staaten wegen Auslegung oder Anwendung des Statuts entstehen sollten und nicht durch eine unmittelbare Verständigung beigelegt werden, sind dem Ständigen Internationalen Gerichtshof⁴ zu unterbreiten, es sei denn, dass sie auf Grund eines besonderen Übereinkommens oder einer allgemeinen Schiedsgerichtsklausel durch Schiedsspruch oder auf andere Weise geschlichtet werden.
Die Anrufung des Ständigen Internationalen Gerichtshofes erfolgt gemäss Artikel 40 seines Statuts⁵.
Um jedoch diese Streitfälle möglichst auf gütlichem Wege beizulegen, verpflichten sich die Vertragsstaaten, vor Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens und vorbehältlich der Rechte und Befugnisse des Völkerbundsrates und der Völkerbundsversammlung, diese Streitfälle zur Begutachtung der Stelle vorzulegen, die von dem Völkerbund als beratendes, fachmännisches Organ der Mitglieder in Fragen der Verkehrswege und des Durchgangsverkehrs eingesetzt werden sollte. In dringenden Fällen kann ein vorläufiger Bescheid die Anwendung einstweiliger Massnahmen empfehlen, die insbesondere dazu dienen, dem freien Durchgangsverkehr wieder alle diejenigen Erleichterungen zu gewähren, die vor der Handlung oder vor dem Vorfall, die den Streitfall herbeiführten, bestanden haben.
⁴ Der Ständige Internationale Gerichtshof wurde aufgelöst durch Beschluss der Völkerbundsversammlung vom 18. April 1946 (BB1 1946 II 1227) und ersetzt durch den Internationalen Gerichtshof ( SR 0.193.50 ).
⁵ [ AS 37 768 ]. Diesem Artikel entspricht heute Art. 40 des Statuts des Internationalen Gerichtshofes vom 26. Juni 1945 ( SR 0.193.501 ).
Art. 14
Angesichts der Tatsache, dass es im Innern gewisser Vertragsstaaten oder unmittelbar an deren Grenzen Zonen oder eingeschlossene Gebietsteile gibt, die im Verhältnis zu dem Gesamtgebiet sehr geringe Ausdehnung und Bevölkerung aufweisen und abgetrennte Teile desselben bilden oder Niederlassungen von anderen Mutterstaaten darstellen, und dass es anderseits aus verwaltungstechnischen Gründen unmöglich ist, die Bestimmungen des Statuts auf die genannten Zonen oder eingeschlossenen Gebietsteile anzuwenden, wird vereinbart, dass diese Bestimmungen auf sie keine Anwendung finden.
Ein gleiches gilt, wenn eine Kolonie oder ein abhängiges Gebiet eine im Verhältnis zum Flächeninhalt besonders lange Grenze besitzt, die die zollamtliche und polizeiliche Überwachung tatsächlich unmöglich macht.
Immerhin werden die beteiligten Staaten in den obengenannten Fällen eine Ordnung zur Anwendung bringen, die die Grundsätze des Statuts soviel als möglich wahren und den Durchgangsverkehr sowie die Verkehrsverbindungen erleichtern wird.
Art. 15
Es besteht Einverständnis darüber, dass das Statut nicht in dem Sinne ausgelegt werden darf, als ob es in irgendeiner Beziehung die Rechte und Pflichten von Gebieten unter sich (inter se) berühre, die Bestandteile eines und desselben souveränen Staates bilden oder unter seinem Schutze stehen, gleichviel, ob diese Gebiete, jedes für sich, Mitglieder des Völkerbundes sind oder nicht.

Geltungsbereich des Statuts ⁶

⁶ Siehe den Geltungsbereich des Übereink. vom 20. April 1921 über die Freiheit des Durchgangsverkehrs ( SR 0.740.4 ).
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