Europäisches Übereinkommen über die Übermittlung von Gesuchen um unentgeltliche Re... (0.274.137)
CH - Schweizer Bundesrecht

Europäisches Übereinkommen über die Übermittlung von Gesuchen um unentgeltliche Rechtspflege

Abgeschlossen in Strassburg am 27. Januar 1977 Von der Bundesverwaltung genehmigt am 9. Juni 1994¹ Schweizerische Ratifikationsurkunde hinterlegt am 1. Dezember 1994 Inkrafttreten für die Schweiz am 2. Januar 1995 (Stand am 25. Mai 2020) ¹ Art. 4 Abs. 1 des BB vom 9. Juni 1994 ( AS 1994 2807 )
Präambel
Die Mitgliedstaaten des Europarates, die dieses Übereinkommen unterzeichnen,
in der Erwägung, dass es das Ziel des Europarates ist, eine engere Verbindung zwi­schen seinen Mitgliedern zu erreichen,
in der Erwägung, dass es wünschenswert ist, die wirtschaftlichen Hindernisse für den Zugang zur Zivilgerichtsbarkeit zu beseitigen und es wirtschaftlich benachtei­ligten Personen zu ermöglichen, ihre Rechte in den Mitgliedstaaten leichter geltend zu machen,
in der Überzeugung, dass die Einrichtung eines geeigneten Systems für die Über­mittlung von Gesuchen um unentgeltliche Rechtspflege dazu beitragen würde, dieses Ziel zu erreichen,
haben folgendes vereinbart:
Art. 1
Jede Person, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt in einem Vertragsstaat hat und in einem anderen Vertragsstaat um unentgeltliche Rechtspflege in Zivil-, Handels- oder Verwaltungssachen ersuchen will, kann ihr Gesuch in dem Staat einreichen, in dem sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat. Dieser Staat übermittelt das Gesuch dem anderen Staat.
Art. 2
1.  Jeder Vertragsstaat bestimmt eine oder mehrere Übermittlungsstellen, welche die Gesuche um unentgeltliche Rechtspflege unmittelbar der nachstehend bezeichneten ausländischen Stelle übermitteln.
2.  Jeder Vertragsstaat bestimmt ferner eine zentrale Empfangsstelle, welche die aus einem anderen Vertragsstaat kommenden Gesuche um unentgeltliche Rechtspflege entgegennimmt und das Weitere veranlasst.
Bundesstaaten und Staaten mit mehreren Rechtssystemen steht es frei, mehrere zen­trale Stellen zu bestimmen.
Art. 3
1.  Die Übermittlungsstelle ist dem Gesuchsteller behilflich, damit dem Gesuch alle Unterlagen beigefügt sind, die nach ihrer Kenntnis für seine Beurteilung erforderlich sind. Sie ist dem Gesuchsteller auch beim Beschaffen der notwendigen Übersetzun­gen behilflich.
Sie kann die Übermittlung des Gesuches ablehnen, falls es offensichtlich mutwillig erscheint.
2.  Die zentrale Empfangsstelle übermittelt das Gesuch der Behörde, die zuständig ist, darüber zu entscheiden. Sie unterrichtet die Übermittlungsstelle über alle Schwierigkeiten bei der Prüfung des Gesuches sowie über die Entscheidung der zuständigen Behörde.
Art. 4
Alle aufgrund dieses Übereinkommens übermittelten Schriftstücke sind von der Beglaubigung und jeder ähnlichen Formalität befreit.
Art. 5
Die Vertragsstaaten dürfen für die aufgrund dieses Übereinkommens erbrachten Dienstleistungen keine Gebühren erheben.
Art. 6
1.  Vorbehaltlich besonderer Vereinbarungen zwischen den beteiligten Behörden von Vertragsstaaten sowie der Artikel 13 und 14
a. müssen das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und die beigefügten Unterlagen sowie alle übrigen Mitteilungen in der Amtssprache oder einer der Amtssprachen der Empfangsstelle abgefasst oder von einer Übersetzung in diese Sprache begleitet sein;
b. muss jeder Vertragsstaat das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und die beigefügten Unterlagen sowie alle übrigen Mitteilungen auch dann entge­gennehmen, wenn sie in Englisch oder Französisch abgefasst oder von einer Übersetzung in eine dieser Sprachen begleitet sind.
2.  Die Mitteilungen aus dem Staat der Empfangsstelle können in der Amtssprache oder in einer der Amtssprachen dieses Staates oder in Englisch oder Französisch abgefasst sein.
Art. 7
Um die Anwendung dieses Übereinkommens zu erleichtern, halten die zentralen Stellen der Vertragsstaaten einander über den Stand ihres Rechts auf dem Gebiet der unentgeltlichen Rechtspflege auf dem Laufenden.
Art. 8
Die in Artikel 2 genannten Stellen werden in einer an den Generalsekretär des Euro­parates gerichteten Erklärung bezeichnet, sobald der betreffende Staat gemäss den Artikeln 9 und 11 Vertragsstaat des Übereinkommens wird. Ebenso wird jede Ände­rung der Zuständigkeit dieser Stellen dem Generalsekretär des Europarates mit­geteilt.
Art. 9
1.  Dieses Übereinkommen liegt für die Mitgliedstaaten des Europarates zur Unter­zeichnung auf; sie können Vertragsstaaten werden,
a. indem sie es ohne Vorbehalt der Ratifikation, Annahme oder Genehmigung unterzeichnen;
b. indem sie es mit Vorbehalt der Ratifikation, Annahme oder Genehmigung unterzeichnen und später ratifizieren, annehmen oder genehmigen.
2.  Die Ratifikations-, Annahme- und Genehmigungsurkunden werden beim General­sekretär des Europarates hinterlegt.
Art. 10
1.  Dieses Übereinkommen tritt einen Monat, nachdem zwei Mitgliedstaaten des Europarates gemäss Artikel 9 Vertragsstaaten geworden sind, in Kraft.
2.  Für jeden Mitgliedstaat, der das Übereinkommen später ohne Vorbehalt der Rati­fikation, Annahme oder Genehmigung unterzeichnet oder es ratifiziert, annimmt oder genehmigt, tritt es einen Monat, nachdem er es unterzeichnet oder die Ratifika­tions-, Annahme- oder Genehmigungsurkunde hinterlegt hat, in Kraft.
Art. 11
1.  Nach Inkrafttreten dieses Übereinkommens kann das Ministerkomitee des Euro­parates jeden Staat, der nicht Mitglied des Europarates ist, einladen, diesem Über­einkommen beizutreten.
2.  Der Beitritt erfolgt durch Hinterlegung einer Beitrittsurkunde beim General­sekretär des Europarates und wird einen Monat danach wirksam.
Art. 12
1.  Jeder Staat kann bei der Unterzeichnung oder bei der Hinterlegung seiner Ratifi­kations-, Annahme-, Genehmigungs- oder Beitrittsurkunde das oder die Hoheits­gebiete bezeichnen, für die dieses Übereinkommen gelten soll.
2.  Jeder Staat kann bei der Hinterlegung seiner Ratifikations-, Annahme-, Genehmi­gungs- oder Beitrittsurkunde oder jederzeit danach durch eine an den Generalse­kre­tär des Europarates gerichtete Erklärung den Anwendungsbereich dieses Über­ein­kommens auf jedes weitere in der Erklärung bezeichnete Hoheitsgebiet ausdeh­nen, dessen internationale Beziehungen er wahrnimmt oder für das er Vereinbarun­gen treffen kann. Die Ausdehnung wird einen Monat nach Eingang der Erklärung wirk­sam.
3.  Jede Erklärung nach Absatz 2 kann für jedes darin bezeichnete Hoheitsgebiet durch eine an den Generalsekretär des Europarates gerichtete Notifikation zurück­gezogen werden. Der Rückzug wird sechs Monate nach Eingang der Notifikation beim Generalsekretär des Europarates wirksam.
Art. 13
1.  Jeder Staat kann bei der Unterzeichnung oder der Hinterlegung seiner Ratifika­ti­ons-, Annahme-, Genehmigungs- oder Beitrittsurkunde erklären, dass er die Anwen­dung des Artikels 6 Absatz 1 Buchstabe b ganz oder teilweise ausschliesst. Ein anderer Vorbehalt zu diesem Übereinkommen ist nicht zulässig.
2.  Jeder Vertragsstaat kann seinen Vorbehalt durch eine an den Generalsekretär des Europarates gerichtete Erklärung ganz oder teilweise zurückziehen. Der Vorbehalt wird unwirksam, sobald die Erklärung eingegangen ist.
3.  Hat ein Vertragsstaat einen Vorbehalt gemacht, so kann jeder andere Vertrags­staat ihm gegenüber denselben Vorbehalt anwenden.
Art. 14
1.  Jeder Vertragsstaat mit mehreren Amtssprachen kann für die Anwendung des Artikels 6 Absatz 1 Buchstabe a durch eine Erklärung die Sprache bekanntgeben, in der das Gesuch und die beigefügten Unterlagen abgefasst oder in die sie übersetzt sein müssen, wenn sie in die in der Erklärung bezeichneten Teile seines Hoheits­gebietes übermittelt werden sollen.
2.  Die Erklärung nach Absatz 1 wird bei der Unterzeichnung des Übereinkommens durch den betreffenden Staat oder bei der Hinterlegung seiner Ratifikations-, Annahme-, Genehmigungs- oder Beitrittsurkunde an den Generalsekretär des Euro­pa­rates gerichtet. Die Erklärung kann später jederzeit nach demselben Verfahren zurückgezogen oder geändert werden.
Art. 15
1.  Jeder Vertragsstaat kann, für sich selbst, dieses Übereinkommen durch eine an den Generalsekretär des Europarates gerichtete Notifikation kündigen.
2.  Die Kündigung wird sechs Monate nach Eingang der Notifikation beim General­sekretär wirksam.
Art. 16
Der Generalsekretär des Europarates notifiziert den Mitgliedstaaten des Rates und jedem Staat, der diesem Übereinkommen beigetreten ist:
a. jede Unterzeichnung ohne Vorbehalt der Ratifikation, Annahme oder Ge­neh­migung;
b. jede Unterzeichnung mit Vorbehalt der Ratifikation, der Annahme oder Genehmigung;
c. jede Hinterlegung einer Ratifikations-, Annahme-, Genehmigungs- oder Bei­trittsurkunde;
d. jede Erklärung nach Artikel 8;
e. jedes Inkrafttreten dieses Übereinkommens nach Artikel 10;
f. jede Erklärung nach Artikel 12 Absätze 2 und 3;
g. jeden Vorbehalt nach Artikel 13 Absatz 1;
h. jeden Rückzug eines Vorbehalts nach Artikel 13 Absatz 2;
i. jede Erklärung nach Artikel 14;
j. jede Notifikation nach Artikel 15 und den Tag, an dem die Kündigung wirk­sam wird.

Unterschriften

Zu Urkund dessen haben die hierzu gehörig befugten Unterzeichneten dieses Über­einkommen unterschrieben.
Geschehen zu Strassburg am 27. Januar 1977 in englischer und französischer Spra­che, wobei jeder Wortlaut gleichermassen verbindlich ist, in einer Urschrift, die im Archiv des Europarates hinterlegt wird. Der Generalsekretär des Europarates über­mittelt jedem Staat, der das Übereinkommen unterzeichnet hat oder ihm beigetreten ist, beglaubigte Abschriften.
(Es folgen die Unterschriften)

Geltungsbereich am 25. Mai 2020 ²

² AS 1994 2851 , 1995 967 , 2004 3457 , 2007 3849 , 2011 3307 , 2020 2621 . Eine aktualisierte Fassung des Geltungsbereiches findet sich auf der Internetseite des EDA (www.eda.admin.ch/vertraege).

Vertragsstaaten

Ratifikation

Beitritt (B)

Nachfolgeerklärung (N)

Unterzeichnet ohne Ratifikationsvorbehalt (U)

Inkrafttreten

Albanien

17. Mai

2001

18. Juni

2001

Aserbaidschan*

28. März

2000 B

29. April

2000

Belgien*

10. Mai

1978

11. Juni

1978

Bosnien und Herzegowina*

30. April

2009

31. Mai

2009

Bulgarien*

31. Mai

1996

  1. Juli

1996

Dänemark*

11. Oktober

1979 U

12. November

1979

Estland*

16. Dezember

1998

17. Januar

1999

Finnland*

26. Juni

1980 B

27. Juli

1980

Frankreich*

21. Dezember

1979

22. Januar

1980

Georgien*

17. Juli

2006

18. August

2006

Griechenland*

27. Januar

1977 U

28. Februar

1977

Irland*

15. November

1988 U

16. Dezember

1988

Italien*

  6. Juni

1983

  7. Juli

1983

Lettland*

30. Mai

2001

  1. Juli

2001

Litauen*

16. Oktober

1996

17. November

1996

Luxemburg*

27. Januar

1977 U

28. Februar

1977

Montenegro

  6. Juni

2006 N

  6. Juni

2006

Niederlande*

12. März

1992

13. April

1992

    Karibische Gebiete (Bonaire,     Sint Eustatius und Saba)

10. Oktober

2010

10. Oktober

2010

Nordmazedonien*

15. Januar

2003

16. Februar

2003

Norwegen*

24. Juni

1977

25. Juli

1977

Österreich*

15. Februar

1982

16. März

1982

Polen*

18. März

1997

19. April

1997

Portugal*

16. Juni

1986

17. Juli

1986

Rumänien*

15. Februar

2006

16. März

2006

Schweden*

27. Januar

1977 U

28. Februar

1977

Schweiz*

  1. Dezember

1994

  2. Januar

1995

Serbien*

  9. Februar

2005

10. März

2005

Spanien*

29. November

1985

30. Dezember

1985

Tschechische Republik*

  8. September

2000

  9. Oktober

2000

Türkei*

22. März

1983

23. April

1983

Ukraine*

12. September

2017

13. Oktober

2017

Vereinigtes Königreich*

17. Januar

1978

18. Februar

1978

Insel Man

18. Mai

1995

19. Juni

1995

* Vorbehalte und Erklärungen.
Die Vorbehalte und Erklärungen werden in der AS nicht veröffentlicht, mit Ausnahme
jener der Schweiz. Die französischen und englischen Texte können auf der Internetseite
des Europarates: www.coe.int > Deutsch > Mehr > Vertragsbüro > Gesamtverzeichnis
eingesehen oder bei der Direktion für Völkerrecht, Sektion Staatsverträge, 3003 Bern,
bezogen werden.

Vorbehalte und Erklärungen

Schweiz ³
1.  Zu Artikel 2
Gemäss Artikel 8 bezeichnet die Schweiz als zentrale Empfangs- und Übermitt­lungsstellen im Sinne von Artikel 2 des Übereinkommens die nachstehend genann­ten kantonalen Behörden. Aus dem Ausland stammende Gesuche um Erteilung der unentgeltlichen Rechtspflege werden nebst den genannten Zentralbehörden auch vom Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement in Bern entgegengenommen und an die im Einzelfall zuständigen Zentralbehörden weitergeleitet.
Sofern die unentgeltliche Rechtspflege Verfahren betrifft, die aufgrund der inner­staatlichen Kompetenzordnung oder aufgrund des innerstaatlichen Instanzenzuges vor Behörden des Bundes stattzufinden haben, leitet das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement die entsprechenden Gesuche an die zuständigen Bundesbehör­den weiter. Werden solche Verfahren betreffende Gesuche bei den kantonalen Zen­tralbehörden eingereicht, leiten sie diese von Amtes wegen an das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement weiter.
2.  Zu Artikel 6
Gemäss den Artikeln 13 und 14 erklärt die Schweiz zu Artikel 6, dass Gesuche um Bewilligung der unentgeltlichen Rechtspflege und deren Beilagen in der Sprache der ersuchten Behörde, d. h. auf deutsch, französisch oder italienisch abgefasst oder mit einer Übersetzung in eine dieser Sprachen versehen sein müssen, je nachdem in wel­chem Teil der Schweiz das Gesuch zu erledigen ist (s. nachstehende Liste der schweizerischen Behörden). Schriftstücke, die in einer anderen als der Sprache der ersuchten Behörde abgefasst oder von einer Übersetzung in eine andere als diese Sprache begleitet werden, können in jedem Fall zurückgewiesen werden.
Liste der schweizerischen Behörden ⁴
a)  kantonale Zentralbehörden
Eine aktualisierte Liste der kantonalen Zentralbehörden mit den vollständigen Adressen ist im Internet an folgender Adresse abrufbar: http://www.rhf.admin.ch/rhf/de/home/zivil/behoerden/zentral.html
b)  Bundesbehörden
Eidgenössisches Justiz- und Polizeidepartement, EJPD, Bundesamt für Justiz, 3003 Bern
³ Art. 4 Abs. 3 des BB vom 9. Juni 1994 ( AS 1994 2807 ).
⁴ Diese Liste ersetzt diejenige in AS 1995 971 und wurde in Anwendung von Art. 16 Abs. 3 der Publikations­verordnung vom 17. Nov. 2004 ( AS 2004 4937 ) angepasst.
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