Zusatzprotokoll zum Europäischen Übereinkommen über Staatenimmunität (0.273.11)
CH - Schweizer Bundesrecht

Zusatzprotokoll zum Europäischen Übereinkommen über Staatenimmunität

Abgeschlossen in Basel am 16. Mai 1972 Von der Bundesversammlung genehmigt am 18. Dezember 1981¹ Schweizerische Ratifikationsurkunde hinterlegt am 6. Juli 1982 In Kraft getreten für die Schweiz am 22. Mai 1985 (Stand am 1. Mai 1987) ¹ Art. 1 Abs. 1 Bst. b des BB vom 18. Dez. 1981 ( AS 1982 1790 ).
Die Mitgliedstaaten des Europarats, die dieses Protokoll unterzeichnet haben,
im Hinblick auf das Europäische Übereinkommen über Staatenimmunität² – im folgenden als «Übereinkommen» bezeichnet – und namentlich auf seine Artikel 21 und 34,
in dem Wunsch, das Vereinheitlichungswerk auf dem vom Übereinkommen erfassten Gebiet dadurch weiter auszubauen, dass das Übereinkommen durch Bestimmungen ergänzt wird, die ein europäisches Verfahren zur Beilegung von Streitigkeiten vorsehen,
haben folgendes vereinbart:
² SR 0.273.1

Teil I

Art. 1
1.  Ist gegen einen Staat, der Vertragspartei des Übereinkommens ist, eine Entscheidung ergangen und erfüllt er diese nicht, so kann die Partei, die sich auf die Entscheidung beruft, eine Feststellung darüber verlangen, ob die Entscheidung nach Artikel 20 oder 25 des Übereinkommens erfüllt werden muss, indem sie anruft
(a) nach Artikel 21 des Übereinkommens das zuständige Gericht dieses Staates oder
(b) das nach Teil III errichtete Europäische Gericht, sofern der Staat diesem Protokoll angehört, aber nicht die in Teil IV vorgesehene Erklärung abgegeben hat.
Die Wahl zwischen diesen beiden Möglichkeiten ist endgültig.
2.  Beabsichtigt der Staat, unter den Voraussetzungen des Artikels 21 Absatz 1 des Übereinkommens ein eigenes Gericht anzurufen, so hat er dies der Partei mitzuteilen, zu deren Gunsten die Entscheidung ergangen ist; er kann sein Gericht erst anrufen, wenn sich die Partei nicht innerhalb von drei Monaten nach Empfang der Mitteilung an das Europäische Gericht gewendet hat. Nach Ablauf dieser Frist kann die Partei, zu deren Gunsten die Entscheidung ergangen ist, das Europäische Gericht nicht mehr anrufen.
3.  Vorbehaltlich der Artikel 20 und 25 des Übereinkommens darf das Europäische Gericht die Entscheidung in der Sache selbst nicht nachprüfen.

Teil II

Art. 2
1.  Zwischen zwei oder mehreren Staaten, die Vertragsparteien des Übereinkommens und dieses Protokolls sind, entstehende Streitigkeiten über die Auslegung oder die Anwendung des Übereinkommens sind auf Antrag eines der an der Streitigkeit beteiligten Staaten oder im gegenseitigen Einvernehmen dem nach Teil III dieses Protokolls errichteten Europäischen Gericht vorzulegen. Die diesem Protokoll angehörenden Staaten verpflichten sich, eine solche Streitigkeit keinem anderen Verfahren zur Beilegung zu unterwerfen.
2.  Hat die Streitigkeit eine Frage zum Gegenstand, die bereits in einem vor dem Gericht eines Mitgliedstaats des Übereinkommens gegen einen anderen Mitgliedstaat des Übereinkommens eingeleiteten Verfahren oder in einem Verfahren nach Artikel 21 des Übereinkommens vor einem Gericht eines Mitgliedstaats des Übereinkommens aufgeworfen worden ist, so kann das Europäische Gericht nicht angerufen werden, bevor in dem betreffenden Verfahren endgültig entschieden worden ist.
3.  Das Europäische Gericht darf nicht wegen einer Streitigkeit angerufen werden, die sich auf eine Entscheidung bezieht, über die es aufgrund des Teiles I bereits befunden oder noch zu befinden hat.
Art. 3
Dieses Protokoll darf nicht so ausgelegt werden, dass es das Europäische Gericht daran hindert, über Streitigkeiten zu befinden, die zwischen zwei oder mehreren Mitgliedstaaten des Übereinkommens über dessen Auslegung oder Anwendung entstehen und ihm im gegenseitigen Einvernehmen vorgelegt werden, selbst wenn diese Staaten oder einzelne unter ihnen diesem Protokoll nicht angehören.

Teil III

Art. 4
1.  Es wird ein Europäisches Gericht für Staatenimmunität errichtet, dessen Aufgabe es ist, über die ihm gemäss den Teilen I und II unterbreiteten Angelegenheiten zu entscheiden.
2.  Das Europäische Gericht besteht aus den Mitgliedern des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und, für jeden diesem Protokoll beigetretenen Nichtmitgliedstaat des Europarats, aus einer Persönlichkeit, die die für Mitglieder des genannten Gerichtshofs erforderliche Befähigung hat und mit Zustimmung des Ministerkomitees des Europarats von der Regierung dieses Staates für die Dauer von neun Jahren ernannt ist.
3.  Präsident des Europäischen Gerichts ist der Präsident des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte.
Art. 5
1.  Wird das Europäische Gericht wegen einer Angelegenheit nach Teil I angerufen, so wird eine Kammer gebildet, die aus sieben Mitgliedern besteht. Von Amts wegen gehören dieser Kammer das Mitglied des Europäischen Gerichts an, das Angehöriger des Staates ist, gegen den die Entscheidung ergangen ist, sowie das Mitglied, das Angehöriger des Gerichtsstaats ist, oder in Ermangelung des einen oder des anderen eine von der Regierung des betreffenden Staates bestimmte Persönlichkeit, die als Mitglied der Kammer tätig werden soll. Die Namen der fünf anderen Mitglieder der Kammer werden vom Präsidenten des Europäischen Gerichts in Anwesenheit des Sekretärs des Gerichts durch das Los ermittelt.
2.  Wird das Europäische Gericht wegen einer Angelegenheit nach Teil II angerufen, so wird in der in Absatz 1 vorgesehenen Weise verfahren. Jedoch gehören dieser Kammer von Amts wegen die Mitglieder des Europäischen Gerichts an, die Angehörige eines der an der Streitigkeit beteiligten Staaten sind, oder in Ermangelung eines solchen Mitglieds eine von der Regierung des betreffenden Staates bestimmte Persönlichkeit, die als Mitglied der Kammer tätig werden soll.
3.  Stellt sich in dem von der Kammer anhängigen Verfahren eine schwerwiegende, die Auslegung des Übereinkommens oder dieses Protokolls betreffende Frage, so kann die Kammer die Sache jederzeit an die Plenarversammlung des Europäischen Gerichts zur Entscheidung überweisen. Die Sache muss überwiesen werden, wenn die Entscheidung über eine solche Frage zu einem Widerspruch mit einer früheren Entscheidung einer Kammer oder der Plenarversammlung des Europäischen Gerichts führen könnte. Die Überweisung ist endgültig. Die Entscheidung über die Überweisung bedarf keiner Begründung.
Art. 6
1.  Das Europäische Gericht entscheidet über jede Einrede, mit der seine mangelnde Zuständigkeit geltend gemacht wird.
2.  Die Verhandlungen des Europäischen Gerichts sind öffentlich, sofern es nicht wegen aussergewöhnlichen Umständen etwas anderes beschliesst.
3.  Die Entscheidungen des Europäischen Gerichts werden mit der Mehrheit der Stimmen der anwesenden Mitglieder erlassen, mit Gründen versehen und in öffent­licher Verhandlung verkündet. Bringt die Entscheidung im Ganzen oder in einzelnen Teilen nicht die übereinstimmende Ansicht des Europäischen Ge­richts zum Ausdruck, so hat jedes Mitglied das Recht, eine Darlegung seiner eigenen Ansicht beizufügen.
4.  Die Entscheidungen des Europäischen Gerichts sind endgültig und für die Parteien verbindlich.
Art. 7
1.  Das Europäische Gericht gibt sich seine Geschäftsordnung und bestimmt die Verfahrensvorschriften.
2.  Die Aufgaben des Sekretariats des Europäischen Gerichts werden vom Sekretär des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte wahrgenommen.
Art. 8
1.  Die Kosten für die Tätigkeit des Europäischen Gerichts werden vom Europarat getragen. Die Nichtmitgliedstaaten des Europarats, die dem Protokoll beigetreten sind, beteiligen sich daran in dem vom Ministerkomitee im Einvernehmen mit ihnen festzusetzenden Ausmass.
2.  Die Mitglieder des Europäischen Gerichts erhalten für jeden Arbeitstag eine Entschädigung, deren Höhe vom Ministerkomitee festzusetzen ist.

Teil IV

Art. 9
1.  Jeder Staat kann bei der Unterzeichnung dieses Protokolls oder bei der Hinter­legung seiner Ratifikations‑, Annahme‑ oder Beitrittsurkunde durch eine an den Generalsekretär des Europarats gerichtete Notifikation erklären, dass er nur durch die Teile II bis V des Protokolls gebunden ist.
2.  Eine solche Notifikation kann jederzeit zurückgenommen werden.

Teil V

Art. 10
1.  Dieses Protokoll liegt für die Mitgliedstaaten des Europarats, die das Übereinkommen unterzeichnet haben, zur Unterzeichnung auf. Es bedarf der Ratifikation oder der Annahme. Die Ratifikations‑ oder Annahmeurkunden werden beim Generalsekretär des Europarats hinterlegt.
2.  Dieses Protokoll tritt drei Monate nach Hinterlegung der fünften Ratifikations‑ oder Annahmeurkunde in Kraft.
3.  Für jeden Unterzeichnerstaat, der das Protokoll später ratifiziert oder annimmt, tritt es drei Monate nach Hinterlegung seiner Ratifikations‑ oder Annahmeurkunde in Kraft.
4.  Ein Mitgliedstaat des Europarats kann dieses Protokoll nicht ratifizieren oder annehmen, ohne das Übereinkommen ratifiziert oder angenommen zu haben.
Art. 11
1.  Jeder Staat, der dem Übereinkommen beigetreten ist, kann diesem Protokoll beitreten, nachdem es in Kraft getreten ist.
2.  Der Beitritt geschieht durch Hinterlegung einer Beitrittsurkunde beim Generalsekretär des Europarats und wird drei Monate nach der Hinterlegung wirksam.
Art. 12
Vorbehalte zu diesem Protokoll sind nicht zugelassen.
Art. 13
1.  Jeder Vertragsstaat kann dieses Protokoll durch eine an den Generalsekretär des Europarats gerichtete Notifikation für sich kündigen.
2.  Die Kündigung wird sechs Monate nach Eingang der Notifikation beim Generalsekretär wirksam. Das Protokoll bleibt jedoch auf die vor Ablauf dieser Frist nach seinen Bestimmungen eingeleiteten Verfahren anwendbar.
3.  Die Kündigung des Übereinkommens bewirkt zugleich die Kündigung dieses Protokolls.
Art. 14
Der Generalsekretär des Europarats notifiziert den Mitgliedstaaten des Rates und jedem Staat, der dem Übereinkommen beigetreten ist,
(a) jede Unterzeichnung dieses Protokolls;
(b) jede Hinterlegung einer Ratifikations‑, Annahme‑ oder Beitrittsurkunde;
(c) jeden Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Protokolls nach den Artikeln 10 und 11;
(d) jede nach Teil IV eingegangene Notifikation und die Zurücknahme einer solchen Notifikation;
(e) jede nach Artikel 13 eingegangene Notifikation und den Zeitpunkt, zu dem die Kündigung wirksam wird.

Unterschriften

Zu Urkund dessen haben die hierzu gehörig bevollmächtigten Unterzeichneten dieses Protokoll unterschrieben.
Geschehen zu Basel am 16. Mai 1972 in englischer und französischer Sprache, wobei jeder Wortlaut gleichermassen verbindlich ist, in einer Urschrift, die im Archiv des Europarats hinterlegt wird. Der Generalsekretär des Europarats übermittelt allen Unterzeichnerstaaten und allen beitretenden Staaten beglaubigte Abschriften.
(Es folgen die Unterschriften)

Geltungsbereich des Protokolls am 1. Mai 1987

Vertragsstaaten

Ratifikation

Inkrafttreten

Belgien

27. Oktober

1975

22. Mai

1985

Luxemburg

11. Dezember

1986

12. März

1987

Niederlande

21. Februar

1985

22. Mai

1985

Österreich

10. Juli

1974

22. Mai

1985

Schweiz

 6. Juli

1974

22. Mai

1985

Zypern

10. März

1976

22. Mai

1985

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