Durchführungsabkommen zwischen der Schweiz und Italien über kontrollierte grenz... (0.360.454.12)
CH - Schweizer Bundesrecht

Durchführungsabkommen zwischen der Schweiz und Italien über kontrollierte grenzüberschreitende Lieferungen

Abgeschlossen am 17. November 2009 In Kraft getreten am 17. November 2009 (Stand am 17. November 2009) ¹ Der Originaltext findet sich unter der gleichen Nummer in der italienischen Ausgabe dieser Sammlung.
Das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement und das Innenministerium der Italienischen Republik
(«die Vertragsparteien»);
unter Berücksichtigung der bestehenden polizeilichen und justiziellen Zusammen­arbeit zwischen der Schweiz und Italien zur Bekämpfung schwerwiegender Formen grenzüberschreitender Verbrechen;
in Achtung der nationalen Gesetzgebung der Parteien und ihrer untereinander geltenden internationalen Verpflichtungen;
eingedenk des Schengen-Besitzstandes, der Schengen-Assoziierungsabkommen der Schweiz, des Abkommens vom 10. September 1998² zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Italienischen Republik über die Zusammenarbeit der Polizei- und Zollbehörden und in Übereinstimmung mit dem EU-Schengen-Katalog «Polizeiliche Zusammenarbeit – Empfehlungen und bewährte Praktiken»;
angesichts der Tatsache, dass zur besseren Bekämpfung des internationalen Verbrechens eine weitreichende Zusammenarbeit zwischen den Polizeibehörden notwendig ist und um kontrollierte Lieferungen zu ermöglichen;
haben Folgendes vereinbart:
² SR 0.360.454.1

I. Begriff

Kontrollierte Lieferung bedeutet die diskrete, grenzüberschreitende Überwachung des Transportes oder Versands von Betäubungsmitteln und psychotropen Substanzen – einschliesslich der für deren Herstellung erforderlichen Vorläufersubstanzen – oder anderer Waren, für die eine solche Überwachung Gegenstand eines Ersuchens um Zusammenarbeit aufgrund der Artikel 11 ff. des vorliegenden Durchführungs­abkommens sein kann. Eine kontrollierte Lieferung dient dazu, Beweismittel zu sammeln oder Personen zu ermitteln und festzunehmen, die für den widerrechtlichen Transport oder Versand dieser Waren verantwortlich sind.

II. Voraussetzungen

Art. 1
1.  In Übereinstimmung mit dem geltenden nationalen Recht der Vertragsparteien und nach vorgängigem Ersuchen einer zuständigen Behörde der ersuchenden Vertragspartei kann die ersuchte Vertragspartei die kontrollierte Einfuhr in ihr Hoheitsgebiet, die kontrollierte Durchfuhr oder die kontrollierte Ausfuhr bewilligen.
2.  Einmal erteilt, gilt die Bewilligung für das gesamte Hoheitsgebiet der ersuchten Vertragspartei.
Art. 2
1.  Nach vorheriger Bewilligung durch die zuständigen nationalen Behörden sowie gegenseitiger Absprache der Vertragsparteien kann eine Sendung, welche Gegen-stand einer kontrollierten Lieferung ist, abgefangen werden und danach ohne Veränderungen oder nach der Entnahme von Proben oder mit einem teilweise oder vollständig ersetzten Inhalt weitergesendet werden.
2.  Stellt die Ware, die Gegenstand einer kontrollierten Lieferung ist, ein übermässig hohes Risiko für die an deren Transport Beteiligten oder für die Allgemeinheit dar, kann die ersuchte Vertragspartei unter Angabe der Gründe ein Ersuchen beschränken oder ablehnen.
Art. 3 Grenzübertritt
1.  Die ersuchte Vertragspartei übernimmt die Verantwortung für die Überwachung der illegalen Sendung beim Grenzübertritt oder an einem vorher vereinbarten Übergabeort, um eine fortlaufende Kontrolle einer Lieferung zu gewährleisten.
2.  Die ersuchte Vertragspartei stellt die lückenlose Überwachung der Sendung sicher, damit der Zweck der kontrollierten Lieferung erreicht wird.
3.  Wird der Erfolg einer Überwachung durch den Eintritt unvorhergesehener Ereignisse gefährdet, kann die ersuchte Vertragspartei die kontrollierte Lieferung abbrechen. Sie stellt dabei die Sendung, die Gegenstand der kontrollierten Lieferung ist, sicher und gewährleistet die im Folgenden zu ergreifenden polizeilichen Massnahmen. Die ersuchte Vertragspartei unterrichtet unverzüglich die ersuchende Vertragspartei.
Art. 4 Drittstaaten
Ersuchen um Bewilligung einer kontrollierten Lieferung, die einen Drittstaat betreffen, werden nur stattgegeben, wenn auch der betroffene Drittstaat zusichert, die in Artikel 3 dieses Durchführungsabkommens genannten Bedingungen einzuhalten.
Art. 5 Weiterführung der Überwachung im ersuchten Staat durch Beamte der ersuchenden Vertragspartei
1.  Nach vorheriger Vereinbarung mit der ersuchten Vertragspartei können Beamte der ersuchenden Vertragspartei die Überwachung der illegalen Sendung zusammen mit den Beamten der ersuchten Vertragspartei auch weiterführen, nachdem Letztere die Verantwortung für die kontrollierte Lieferung übernommen haben. In diesem Fall sind die Beamten gehalten, die Bestimmungen dieses Durchführungsabkommens zu respektieren, die Gesetze des ersuchten Staates zu befolgen und den Anordnungen der ersuchten Vertragspartei Folge zu leisten.
2.  Im Rahmen der jeweiligen nationalen Rechtsbestimmungen und nach Einwilligung der zuständigen Behörden verpflichten sich die Vertragsparteien bei einer kontrollierten Lieferung zur weitest möglichen Zusammenarbeit. Die kontrollierte Lieferung kann auch durch den Einsatz von verdeckten Ermittlern in einem vorgängig im Einzelnen festgelegten Rahmen erfolgen. Jede zusätzliche Aktivität muss der anderen Vertragspartei unverzüglich mitgeteilt und von jener genehmigt werden.
3.  Die Vertragsparteien verpflichten sich dazu, ihre Beamten, die im Zuge einer kontrollierten Lieferung im Hoheitsgebiet der ersuchten Vertragspartei im Einsatz sind, detailliert über den Rahmen ihres Auftrags zu instruieren. Dieser wird in Absprache mit der ersuchten Vertragspartei im Voraus festgelegt.
4.   Beamte der ersuchenden Vertragspartei, die eine kontrollierte Lieferung begleiten, unterstehen den zivil- und strafrechtlichen Haftungsvorschriften der Vertragspartei, in deren Hoheitsgebiet sie im Einsatz sind.
Art. 6 Mitwirkung am weiteren Verfahren und technische Mittel
1.  Die Vertragspartei, in dessen Hoheitsgebiet eine kontrollierte Lieferung stattgefunden hat, kann die zuständigen Behörden der Vertragspartei, deren Beamte an den diesbezüglichen Aktivitäten beteiligt gewesen sind, ersuchen, am weiteren, aus der Überwachung resultierenden Verfahren mitzuwirken.
2.  Zur Überwachung einer kontrollierten, grenzüberschreitenden Lieferung dürfen technische Hilfsmittel eingesetzt werden, vorausgesetzt das innerstaatliche Recht der Vertragspartei, in dessen Hoheitsgebiet eine kontrollierte Lieferung durchgeführt wird, lässt die Verwendung solcher Hilfsmittel zu und die zuständigen Behörden haben vorgängig deren Verwendung bewilligt.
Art. 7 Mitführen von Ordonanzwaffen
Nach vorheriger Bewilligung durch die ersuchte Vertragspartei dürfen Beamte der ersuchenden Vertragspartei ihre Ordonanzwaffe mit sich führen. Sie dürfen ihre Ordonanzwaffe nur in gerechtfertigter Notwehr verwenden.
Art. 8 Beistand und Dienstverhältnis
Während der Ausübung des Dienstes sind die Vertragsparteien gegenüber den Beamten, die sich an der Überwachung einer kontrollierten Lieferung im Hoheitsgebiet der anderen Vertragspartei beteiligen, zu gleichem Schutz und Beistand verpflichtet wie gegenüber den eigenen Beamten.
Art. 9 Verantwortlichkeit
Der Artikel 43 des Schengener Durchführungsübereinkommens gilt sinngemäss.
Art. 10 Verfahren nach Abschluss einer Überwachung
Nach jeder Durchführung einer kontrollierten Lieferung wird zuhanden der im Artikel 13 dieses Durchführungsabkommens aufgeführten Behörden ein kurzer schriftlicher Bericht verfasst.

III. Verfahren

Art. 11 Behörden, die befugt sind, ein Ersuchen zu stellen
1.  Die folgenden Behörden sind dazu befugt, Ersuchen um eine kontrollierte Lieferung zu stellen:
– in der Schweizerischen Eidgenossenschaft: – das Bundesamt für Polizei,
– die kantonalen Polizeikorps,
– die Schweizer Justizbehörden, und
– die Eidgenössische Zollverwaltung;
– in der Italienischen Republik: – das Ministero dell’Interno – Dipartimento della Pubblica Sicurezza:
– Direzione Centrale della Polizia Criminale – Servizio Cooperazione Internazionale di Polizia,
– Direzione Centrale per i Servizi Antidroga – Servizio III Operazioni.
2.  Die Schweiz und Italien können die Liste der befugten Behörden in Artikel 11 Absatz 1 auf diplomatischem Wege jederzeit durch eine neue ersetzen.
Art. 12 Form und Inhalt des Ersuchens
1.  Ersuchen um Bewilligung einer kontrollierten Lieferung werden schriftlich gestellt. In dringlichen Fällen dürfen die in Artikel 11 Absatz 1 aufgeführten Behörden ein Ersuchen auch auf eine andere Art stellen; das schriftliche Ersuchen muss unverzüglich nachgereicht werden.
2.  Das Ersuchen muss die folgenden Angaben enthalten:
a) der Name der ersuchenden Behörde;
b) die Bezeichnung der verfolgten strafbaren Handlung, der Grund für das Ersuchen und eine Zusammenfassung des Falls und der bislang unternommenen Schritte;
c) die Art und Menge der widerrechtlichen Substanzen, die im Zuge der kontrollierten Lieferung überwacht werden sollen, und möglicherweise angewandte Methoden zu deren Verbergung;
d) der Ort, an dem die Substanzen wahrscheinlich in das Hoheitsgebiet der ersuchten Vertragspartei eingeführt werden und der Ort, an dem die Substanzen möglicherweise in einen Drittstaat ausgeführt werden;
e) das mutmasslich verwendete Transportmittel und der Transportweg;
f) sachdienliche Angaben zur Identität der Personen, die verdächtigt werden, in den widerrechtlichen Verkehr der Substanzen verwickelt zu sein;
g) die Bezeichnung der Behörde, die die Bewilligung für eine kontrollierte Lieferung erteilt. Eine Kopie der Anordnung muss dem Ersuchen beigelegt werden;
h) der Name der für die Durchführung der kontrollierten Lieferung verantwortlichen Person und Kontaktmöglichkeiten (Kommunikations- und Transportmittel);
i) spezielle Ersuchen bezüglich der Erledigung von Zollformalitäten;
j) Überwachungsverfahren und die erforderlichen technischen Mittel;
k) sonstige sachdienliche Hinweise.
3.  Die in Artikel 13 aufgeführten Behörden oder die Behörde, welche die Bewilligung für eine kontrollierte Lieferung erteilt, können bei Bedarf weitere Angaben verlangen.
Art. 13 Behörden, die befugt sind, ein Ersuchen entgegenzunehmen
Ersuchen um Bewilligung einer kontrollierten Lieferung sind zu richten:
– in der Schweizerischen Eidgenossenschaft: an die zuständigen Strafverfolgungsbehörden via das Polizei- und Zollkooperationszentrum in Chiasso;
– in der Italienischen Republik: – an das Ministero dell’Interno – Dipartimento della Pubblica Sicurezza,
– an die Direzione Centrale della Polizia Criminale – Servizio Cooperazione Internazionale di Polizia,
– an die Direzione Centrale per i Servizi Antidroga – Servizio III Operazioni bei Straftaten im Zusammenhang mit dem illegalen Handel von Betäubungsmitteln und psychotropen Stoffen wie auch deren Vorläuferstoffen.

IV. Schlussbestimmungen

Art. 14 Regelmässige Bilanz der Zusammenarbeit
Die zuständigen Dienste der Vertragsparteien treten regelmässig zusammen, um über die Zusammenarbeit aufgrund der gemachten Erfahrungen Bilanz zu ziehen. Die Ergebnisse dieser Treffen werden in einem schriftlichen Bericht festgehalten.
Art. 15 Inkrafttreten und Kündigung
1.  Dieses Durchführungsabkommen tritt mit dessen Unterzeichnung in Kraft.
2.  Dieses Durchführungsabkommen wird auf unbefristete Zeit geschlossen. Beide Vertragsparteien können es unter Einhaltung einer Frist von sechs Monaten kündigen.
Geschehen zu Rom, am 17. November 2009, in zwei Originalausfertigungen in italienischer Sprache.

Die Vorsteherin des
Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements
der Schweizerischen Eidgenossenschaft:

Der Innenminister
der Italienischen Republik:

Eveline Widmer-Schlumpf

Roberto Maroni

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