Verordnung über psychiatrische und aussagepsychologische Gutachten im Strafverfahren (315)
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Verordnung über psychiatrische und aussagepsychologische Gutachten im Strafverfahren

SRL-Nummer
315 Titel Verordnung über psychiatrische und aussagepsychologische Gutachten im Verordnung über psychiatrische und aussagepsychologische Gutachten im Strafverfahren Strafverfahren Abkürzung Datum
8. Januar 2002 Inkrafttreten
1. Februar 2002 Fundstelle G 2002 12 Änderungen Tabelle (36KB) Rechtstext HTML PDF (157KB) Anhang 1 (81KB) Anhang 2 (71KB)
1 Tabelle der Änderungen der Verordnung über psychiatrische und aussagepsychologische Gutachten im Strafverfahren vom 8. Januar 2002 (G 2002 12) Ändernder Erlass Datum Kantonsblatt Gesetzessammlung Geänderte Stellen
Art der Jahrgang Jahrgang
Änderung S eite Seite
1. Änderung
13. 12. 06 — G 2006 460

§§ 1, 3, Anhang 1

geändert
eingefügt
2. Änderung
19. 5. 09 — G 2009 169

§§ 3–10, 13–16, 19–23,

geändert
SRL Nr. 315 Verordnung über psychiatrische und aussagepsychologische Gutachten im Strafverfahren vom 8. Januar 2002* Das Obergericht des Kantons Luzern, gestützt auf § 111 Absatz 3 des Gesetzes über die Strafprozessordnung vom 3. Juni
1957
1 beschliesst: I. Allgemeine Bestimmungen

§ 1

Zweck
1 Diese Verordnung regelt die Modalitäten der Erstattung von psychiatrischen sowie von aussagepsychologischen Gutachten und bezweckt die Sicherung ihrer Qualität für Strafverfahren sowie den Vollzug von Strafen und Massnahmen.
2 Auf die Begutachtung von Jugendlichen im Sinn von § 204 Absatz 1 des Gesetzes über die Strafprozessordnung vom 3. Juni 1957
2 Anwendung.
3

§ 2

Begriff des Gutachtens Als Gutachten im Sinn dieser Verordnung gelten Erkenntnisse von Sachverständigen, die im Auftrag der Strafverfolgungsbehörden oder eines Gerichts nach Hinweis auf ihre * G 2002 12
1 SRL Nr. 305
2 SRL Nr. 305. Auf dieses Gesetz wird im Folgenden nicht mehr hingewiesen.
3 Fassung gemäss Änderung vom 13. Dezember 2006, in Kraft seit dem 1. Januar 2007 (G 2006 460).
2 Nr. 315 Wahrheitspflicht im Sinn von Artikel 307 des Schweizerischen Strafgesetzbuches
4 festgehalten werden und eine einlässliche Beantwortung der gestellten Fragen zum Inhalt haben. II. Sachverständige

§ 3

5 Anforderungen an sachverständige Personen
1 Zu sachverständigen Personen können nur natürliche Personen ernannt werden.
2 Aufträge für Gutachten werden erteilt an hauptsächlich in der forensischen Psychiatrie oder der Aussagepsychologie tätige Fachpersonen, die sich über besondere Qualifikationen ausweisen können.
3 Es können auch sachverständige Personen mit entsprechenden Qualifikationen aus anderen Kantonen oder benachbarten Ländern zugezogen werden.
4 Als besondere Qualifikation gilt der Besitz des Zertifikats «Forensische Psychiatrie» der SGFP bzw. eine anerkannte Ausbildung als Aussagepsychologe oder Aussagepsychologin mit zusätzlicher Erfahrung in gutachterlicher Tätigkeit. Sachverständige haben sich auf Anfrage hin über den Besitz des Zertifikats bzw. ihre Aus- und Fortbildung auszuweisen.
5 Mit der Begutachtung von Jugendlichen im Sinn von § 204 Absatz 1 des Gesetzes über die Strafprozessordnung vom 3. Juni 1957 können auch ausgewiesene sachverständige Personen aus dem Fachbereich der Psychologie beauftragt werden.

§ 4

Persönliche Ausführung des Auftrags
1 Eine interne Weiterleitung des Auftrags ist nur mit ausdrücklicher Zustimmung der auftraggebenden Behörde und nur an sachverständige Personen im Sinn von § 3 zulässig. Die auftraggebende Behörde hat sich in ihrem Auftrag ausdrücklich dazu zu äussern.
2 Die beauftragte sachverständige Person kann Teile ihrer Aufgaben an andere Fachpersonen des gleichen forensisch-medizinischen Dienstes oder an externe spezialisierte Fachpersonen delegieren. Dabei sind die §§ 10, 13 Absatz 2 und 15 Absatz
2 zu beachten.
6
4 SR 311.0
5 Fassung gemäss Änderung vom 19. Mai 2009, in Kraft seit dem 1. Juli 2009 (G 2009 169).
6 Fassung gemäss Änderung vom 19. Mai 2009, in Kraft seit dem 1. Juli 2009 (G 2009 169).
Nr. 315
3

§ 5

7 Ablehnungs- und Ausstandsgründe
1 Als sachverständige Personen können nur solche tätig sein, die für eine unbefangene Begutachtung Gewähr bieten.
2 Für sachverständige Personen und beigezogene Fachpersonen gelten die Ausstands- und Ablehnungsgründe nach §§ 29 und 30 des Gesetzes über die Strafprozessordnung vom 3. Juni 1957 sowie nach Artikel 56 Absatz 4 des Schweizerischen Strafgesetzbuches
8 .
3 Eine umfassende psychiatrische Begutachtung kann insbesondere nicht vornehmen, wer die betroffene Person in der Untersuchungshaft oder im vorzeitigen Strafvollzug über Kriseninterventionen hinaus betreut oder ihnen gegenüber in anderem Zusammenhang als Therapeut oder Therapeutin gewirkt hat. Die zuständige Behörde kann deren Feststellungen als Berichte entgegennehmen und diese nach dem Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung beachten.

§ 6

9 Mitwirkung der Parteien Die Parteien erhalten Gelegenheit, sich zu den sachverständigen Personen sowie zu den Expertenfragen zu äussern. Über die Zulässigkeit von Ergänzungsfragen der Parteien entscheidet die auftraggebende Behörde endgültig.

§ 7

Ernennung und Fragen
1 Die auftraggebende Behörde ernennt die sachverständige Person und formuliert die zu beantwortenden Fragen.
10
2 Sie orientiert sich am Fragenkatalog der Schweizerischen Konferenz der Strafverfolgungsbehörden gemäss Anhang zu dieser Verordnung.

§ 8

Inhalt des Auftrags Der Auftrag zu einem Gutachten wird schriftlich erteilt und hat zu enthalten: – die Ernennung der sachverständigen Person, – nach Möglichkeit eine Zusammenfassung des Sachverhalts, – den Auftrag und die Fragen, – den Hinweis auf die Straffolgen eines vorsätzlich falsch erstellten Gutachtens und auf die Geheimhaltungspflicht, – die Vereinbarungen mit der sachverständigen Person über die Erstellung des Gutachtens, insbesondere Abmachungen über den Termin der Fertigstellung und die Kosten der Begutachtung
11 .
7 Fassung gemäss Änderung vom 19. Mai 2009, in Kraft seit dem 1. Juli 2009 (G 2009 169).
8 SR 311.0
9 Fassung gemäss Änderung vom 19. Mai 2009, in Kraft seit dem 1. Juli 2009 (G 2009 169).
10 Fassung gemäss Änderung vom 19. Mai 2009, in Kraft seit dem 1. Juli 2009 (G 2009 169).
11 Fassung gemäss Änderung vom 19. Mai 2009, in Kraft seit dem 1. Juli 2009 (G 2009 169).
4 Nr. 315 III. Rahmenbedingungen der Begutachtung

§ 9

Vereinbarungen
1 Die auftraggebende Behörde hat mit der sachverständigen Person die Bedingungen der Begutachtung zu vereinbaren.
2 Es sind namentlich der Umfang der Begutachtung, die Notwendigkeit einer Exploration, der Aufenthaltsort des Exploranden, der Ort einer allfälligen Exploration und dergleichen abzusprechen.
3 Es ist ein Zeitpunkt für die Abgabe des Gutachtens zu vereinbaren, von dem nur in begründeten Fällen abgewichen werden darf. Über Verzögerungen ist die auftraggebende Behörde rechtzeitig zu informieren.
4 Für die mutmasslichen Kosten der Begutachtung ist ein Kostendach zu vereinbaren. Ist eine Überschreitung der in Aussicht gestellten Kosten absehbar, ist die auftraggebende Behörde darüber zu orientieren und es ist das weitere Vorgehen abzusprechen.
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§ 10

13 Verantwortlichkeit Die ernannte sachverständige Person ist für die fachgerechte Begutachtung persönlich verantwortlich. Eine erlaubte Weiterleitung des Auftrags im Sinn von § 4 Absatz 1 ändert auch die entsprechende Verantwortlichkeit. Im Übrigen ändert eine Delegation einzelner Aufgaben an andere Fachpersonen im Sinn von § 4 Absatz 2 nichts an der fachlichen Alleinverantwortung der Beauftragten für den Inhalt des Gutachtens.

§ 11

Leitung durch auftraggebende Behörde Die auftraggebende Behörde hat, soweit dies erforderlich erscheint, die Tätigkeit der sachverständigen Person zu leiten.

§ 12

Verhältnis der Sachverständigen zur auftraggebenden Behörde Die sachverständige Person wahrt primär die Interessen der auftraggebenden Behörde und lässt therapeutische Gesichtspunkte ausser Acht. Sie ist der auftraggebenden Behörde gegenüber nicht an das Arztgeheimnis gebunden, soweit die entsprechenden Tatsachen für das Gutachten relevant sind. Unklarheiten über die Relevanz von Tatsachen sind der auftraggebenden Behörde zu unterbreiten.
12 Eingefügt durch Änderung vom 19. Mai 2009, in Kraft seit dem 1. Juli 2009 (G 2009 169).
13 Fassung gemäss Änderung vom 19. Mai 2009, in Kraft seit dem 1. Juli 2009 (G 2009 169).
Nr. 315
5

§ 13

14 Darlegungspflicht
1 Die sachverständige Person hat die Erkenntnisse ihrer Abklärungen in ihrem Gutachten darzulegen. Soweit diese für eine Beantwortung der gestellten Fragen nicht relevant sind, entfällt diese Darlegungspflicht.
2 Werden andere Fachpersonen beigezogen, so sind deren Name und Stellung bekannt zu geben. Ihr Aufgabenbereich ist zu beschreiben.

§ 14

1
5 Information des Exploranden Der Explorand ist nach Möglichkeit über den Gutachtensauftrag sowie über Sinn und Zweck der Vorkehren im Rahmen der Begutachtung aufzuklären. Es ist ihm darzulegen, dass die sachverständige Person nicht als Therapeut oder Therapeutin wirkt und dass sie der zuständigen Behörde gegenüber nicht an das Arztgeheimnis gebunden ist. IV. Begutachtung
1. Methode der Begutachtung

§ 15

Grundsätzliches zur Methode
1 Das Gutachten ist nach umfassender Kenntnis des Einzelfalls zu erstellen. Es sind namentlich die Untersuchungsakten sowie allfällige bereits vorhandene psychiatrische Gutachten zu studieren.
2 persönliche Exploration des oder der Betroffenen durch die sachverständige Person zu stützen. Bei einer Weiterleitung des Auftrags im Sinn von § 4 Absatz 2 hat die für das Gutachten verantwortliche sachverständige Person an der Exploration teilzunehmen.
3 Der wesentliche Inhalt der Exploration ist im Gutachten wiederzugeben. Es ist bei der Beurteilung des Exploranden, soweit erforderlich, konkret darauf Bezug zu nehmen. Der Zeitpunkt und die Dauer der Exploration sind detailliert anzugeben.
17
4 Es kann von einer Exploration abgesehen werden, wenn eine solche bereits in anderem Zusammenhang durchgeführt worden ist und das Thema des Gutachtens eingeschränkt ist. Der konkrete Aufwand für die Exploration bestimmt sich namentlich nach der
14 Fassung gemäss Änderung vom 19. Mai 2009, in Kraft seit dem 1. Juli 2009 (G 2009 169).
15 Fassung gemäss Änderung vom 19. Mai 2009, in Kraft seit dem 1. Juli 2009 (G 2009 169).
16 Fassung gemäss Änderung vom 19. Mai 2009, in Kraft seit dem 1. Juli 2009 (G 2009 169).
17 Eingefügt durch Änderung vom 19. Mai 2009, in Kraft seit dem 1. Juli 2009 (G 2009 169).
6 Nr. 315 Komplexität der Fragestellung, dem Umfang des Sachverhalts, dem Gesprächsverhalten des Exploranden oder der Explorandin und weitere Kriterien im Einzelfall.
18

§ 16

19 Gefährlichkeitsprognosen Gefährlichkeitsprognosen sind aufgrund einer krisenorientierten Risikokalkulation zu stellen. Es ist auch darzulegen, auf welchen Zeitraum sich diese beziehen. Die Auswertung verwendeter Prognoseinstrumente ist dem Gutachten beizulegen.

§ 17

Eigene Abklärungen Eigene Abklärungen sind umfassend zu dokumentieren.
2. Materielle Anforderungen an Gutachten

§ 18

Aktueller Stand der Lehre Gutachten sind nach dem aktuellen Stand der forensisch-psychiatrischen oder der aussagepsychologischen Lehre zu erstellen.

§ 19

Psychiatrische Diagnostik
1 Die psychiatrische Diagnostik hat nach einem international anerkannten Diagnosesystem, wie zum Beispiel der ICD-Klassifikation der WHO, zu erfolgen.
2 Verwendete Prognoseinstrumente sind zu erläutern. Auf die Faktoren einer Risikokalkulation ist einzeln einzugehen.
3 Bei der Beurteilung der Massnahmebedürftigkeit ist auch zur möglichen Ausgestaltung des Vollzugs Stellung zu nehmen. Die Möglichkeiten einer Behandlung sind detailliert darzulegen.
21

§ 20

22 Beschränkung auf Fachfragen Die sachverständigen Personen haben sich auf die Behandlung von Fragen zu beschränken, die sich aus ihrem Fachwissen heraus ergeben. Sie haben sich insbesondere juristischer Wertungen zu enthalten.
18 Eingefügt durch Änderung vom 19. Mai 2009, in Kraft seit dem 1. Juli 2009 (G 2009 169).
19 Fassung gemäss Änderung vom 19. Mai 2009, in Kraft seit dem 1. Juli 2009 (G 2009 169).
20 Fassung gemäss Änderung vom 19. Mai 2009, in Kraft seit dem 1. Juli 2009 (G 2009 169).
21 Fassung gemäss Änderung vom 19. Mai 2009, in Kraft seit dem 1. Juli 2009 (G 2009 169).
22 Fassung gemäss Änderung vom 19. Mai 2009, in Kraft seit dem 1. Juli 2009 (G 2009 169).
Nr. 315
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§ 21

23 Vollständigkeit und Nachvollziehbarkeit Die sachverständigen Personen haben sämtliche wesentlichen Quellen und Untersuchungsbefunde darzustellen. Die Befunde sind eingehend zu begründen. Eine Diagnose muss für Dritte nachvollziehbar sein.

§ 22

24 Begründung von Abweichungen Eine Feststellung, die von der Meinung anderer sachverständiger Personen im gleichen oder in einem anderen Verfahren abweicht, ist zu erläutern.
3. Umfang der Begutachtung

§ 23

Verhältnismässigkeit, Kurzgutachten und Verweise
1 Der Umfang der Begutachtung muss verhältnismässig sein. Zu beachten ist namentlich ein sinnvolles Verhältnis der Begutachtung zum Anlass des Auftrags und zur Schwere der Tatvorwürfe.
2 Die auftraggebende Behörde kann sogenannte Kurzgutachten in Auftrag geben, indem sie sich mit der sachverständigen Person auf eine Beschränkung der Fragen oder des Untersuchungsaufwands einigt.
25
3 Die sachverständige Person kann auf Erkenntnisse anderer Fachpersonen, namentlich auf früher erstellte Gutachten oder auf Erhebungen anderer (beispielsweise über persönliche Verhältnisse des Exploranden oder der Explorandin) verweisen, sofern sie sich diesen anschliessen kann.

§ 24

Erweiterung des Auftrags Falls die gestellten Fragen nach Auffassung der sachverständigen Person nicht umfassend genug sind, hat sie dies der auftraggebenden Behörde mitzuteilen und eine mögliche Erweiterung ihres Auftrags mit dieser abzusprechen.
4. Massgebender Sachverhalt für Gutachten

§ 25

Akteneinsicht Der sachverständigen Person sind alle notwendigen Akten zu überlassen.
23 Fassung gemäss Änderung vom 19. Mai 2009, in Kraft seit dem 1. Juli 2009 (G 2009 169).
24 Fassung gemäss Änderung vom 19. Mai 2009, in Kraft seit dem 1. Juli 2009 (G 2009 169).
25 Fassung gemäss Änderung vom 19. Mai 2009, in Kraft seit dem 1. Juli 2009 (G 2009 169).
8 Nr. 315

§ 26

Massgebender Sachverhalt
1 Die sachverständige Person hat dem Gutachten denjenigen Sachverhalt zu Grunde zu legen, den ihr die auftraggebende Behörde mitteilt oder der sich aus den Akten klar ergibt.
2 Zweifel über den Sachverhalt sind der auftraggebenden Behörde rechtzeitig zur Kenntnis zu bringen. Allenfalls sind bei der Begutachtung mehrere mögliche Varianten des Sachverhalts zu berücksichtigen.

§ 27

Sachverhalt und Exploration
1 Die auftraggebende Behörde ist auf Widersprüche zwischen den fachlichen Erkenntnissen der sachverständigen Person und Aussagen des Exploranden aufmerksam zu machen. Die sachverständige Person hat zur Frage der Glaubhaftigkeit solcher Aussagen eines Exploranden gegebenenfalls Stellung zu nehmen.
2 Macht der Explorand im Rahmen der Begutachtung erstmals Angaben zum Sachverhalt oder gibt er wesentliche neue Tatsachen bekannt, ist dies der auftraggebenden Behörde mitzuteilen.
5. Ergänzung der Beweise

§ 28

Zusatztatsachen und zusätzliche Abklärungen
1 Sogenannte Zusatztatsachen, die sachverständige Personen ausserhalb ihres Fachgebiets oder ihres konkreten Auftrags in Erfahrung bringen, finden grundsätzlich nur auf dem Weg des Beweisverfahrens Beachtung, welches durch die zuständige Behörde durchgeführt wird.
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2 Hält die sachverständige Person zusätzliche Abklärungen zum Sachverhalt für erforderlich, teilt sie dies der zuständigen Behörde mit.

§ 29

27 Zusätzliche fachliche Erhebungen Die sachverständige Person kann zusätzlich fachspezifische Erhebungen, beispielsweise die Edition von Krankengeschichten, ärztlichen Berichten oder dergleichen, selbst vornehmen. Solche Unterlagen sind dem Gutachten beizulegen. Die sachverständige Person hat darauf zu achten, dass eine Entbindung vom Arztgeheimnis vorliegt.
26 Fassung gemäss Änderung vom 19. Mai 2009, in Kraft seit dem 1. Juli 2009 (G 2009 169).
27 Fassung gemäss Änderung vom 19. Mai 2009, in Kraft seit dem 1. Juli 2009 (G 2009 169).
Nr. 315
9

§ 30

28 Einholen von Auskünften
1 Die sachverständige Person kann nach Rücksprache mit der auftraggebenden Behörde von dieser schriftlich ermächtigt werden, bei Parteien oder Dritten für das Gutachten relevante Auskünfte einzuholen. Sie macht dabei Dritte auf ihr Schweigerecht aufmerksam.
2 Die Ergebnisse solcher Vorkehren sind unter Angabe von Name und Funktion der Auskunftsperson zu protokollieren. Werden sie nicht im Gutachten ausführlich wiedergegeben, sind die Protokolle dem Gutachten als Anhang beizufügen.
3 Ist die Einholung solcher unentbehrlicher Auskünfte durch die sachverständige Person nicht möglich, sind die fraglichen Personen durch die zuständige Behörde als Partei oder Zeugen einzuvernehmen. Die sachverständige Person kann solchen Beweisvorkehren beiwohnen und Ergänzungsfragen an diese Personen stellen.
6. Form des Gutachtens

§ 31

Schriftlichkeit Das Gutachten ist der auftraggebenden Behörde in der Regel schriftlich und dreifach zusammen mit der Rechnung einzureichen. V. Verwendung und Funktion von Gutachten
1. Kenntnisnahme des Gutachtens

§ 32

Akteneinsicht, Zustellung des Gutachtens
1 Das Gutachten wird den Parteien in geeigneter Form zur Kenntnis gebracht.
2 Das psychiatrische Gutachten über eine angeschuldigte Person wird dem Verteidiger oder der Verteidigerin ausgehändigt.
3 Im Interesse der betroffenen Person kann die zuständige Behörde in Ausnahmefällen die persönliche Einsichtnahme der angeschuldigten Person in das Gutachten verweigern. Dies ist namentlich zulässig, wenn die konkrete Gefahr besteht, dass die betroffene Person durch den Inhalt des Gutachtens schwer belastet und dadurch gesundheitlich akut beeinträchtigt werden könnte.
29
28 Fassung gemäss Änderung vom 19. Mai 2009, in Kraft seit dem 1. Juli 2009 (G 2009 169).
29 Fassung gemäss Änderung vom 19. Mai 2009, in Kraft seit dem 1. Juli 2009 (G 2009 169).
10 Nr. 315
2. Ergänzung von Gutachten

§ 33

30 Erläuterungs- und Ergänzungsfragen der Parteien Nach Erstellung des Gutachtens gibt die auftraggebende Behörde den Parteien Gelegenheit, Erläuterungs- und Ergänzungsfragen zu stellen. Über deren Zulässigkeit entscheidet die auftraggebende Behörde endgültig.

§ 34

Ergänzung und Erläuterung durch Sachverständige
1 Sind gutachterliche Feststellungen unvollständig oder nicht mehr aktuell, ordnet die zuständige Behörde eine Ergänzung des Gutachtens durch die sachverständige Person an, welche das Gutachten erarbeitet hat.
2 Erscheinen die gutachterlichen Feststellungen nicht schlüssig, namentlich unklar oder widersprüchlich, fordert die zuständige Behörde die sachverständige Person zur Erläuterung ihrer Feststellungen auf.

§ 35

Formen der Ergänzung und Erläuterung
1 Ergänzungen oder Erläuterungen eines Gutachtens können in Absprache mit der auftraggebenden Behörde in Form eines Berichts abgegeben werden.
2 Sachverständige Personen können zum Zweck der Erläuterung des Gutachtens an der Gerichtsverhandlung als sachverständige Zeugen oder Zeuginnen befragt werden.
31
3. Weiteres Gutachten

§ 36

Gründe für ein weiteres Gutachten Die zuständige Behörde holt ein weiteres Gutachten durch eine andere sachverständige Person ein, wenn ein Gutachten – eindeutig unsorgfältig oder auftragswidrig erstellt worden ist, – zu ernsthaften Zweifeln an der Sachkunde oder der persönlichen Eignung der sachverständigen Person Anlass gibt, – ernsthafte Bedenken gegen die Richtigkeit von wesentlichen Tatsachen weckt, die dem Gutachten zu Grunde gelegt worden sind, – aus anderen Gründen nicht beweistauglich erscheint und eine Ergänzung des Erstgutachtens nicht mehr möglich oder sinnvoll ist.
30 Fassung gemäss Änderung vom 19. Mai 2009, in Kraft seit dem 1. Juli 2009 (G 2009 169).
31 Fassung gemäss Änderung vom 19. Mai 2009, in Kraft seit dem 1. Juli 2009 (G 2009 169).
Nr. 315
11
4. Beweiswert von Gutachten, Privatgutachten und ärztlichen Dokumenten

§ 37

32 Richterliche Beweiswürdigung Gutachten unterliegen der freien richterlichen Beweiswürdigung. Abweichungen von den Feststellungen sachverständiger Personen sind aber nur aus triftigen Gründen zulässig und besonders zu begründen.

§ 38

Alter der Gutachten Als rechtsgenügliche Entscheidungsgrundlage können nur Gutachten neueren Datums dienen. Wird auf frühere Gutachten abgestellt, muss sichergestellt sein, dass sich die Verhältnisse nicht geändert haben.

§ 39

Widersprüchliche Gutachten Bei Vorliegen mehrerer voneinander abweichender Gutachten stützt die zuständige Behörde ihren Entscheid auf diejenigen Feststellungen, die am besten überzeugen. Die Wahl ist zu begründen.

§ 40

Privatgutachten Von einer Partei privat in Auftrag gegebene Gutachten können von der zuständigen Behörde entgegengenommen werden. Sie finden als Parteivorbringen Beachtung.

§ 41

Ärztliche Dokumente Soweit Arztberichte oder ärztliche Zeugnisse zu den Akten genommen werden, kommt diesen Erkenntnissen gegenüber gutachterlichen Feststellungen eine untergeordnete Bedeutung zu.

§ 42

Gutachten aus anderen Verfahren Gutachten aus anderen Verfahren, beispielsweise solche betreffend vormundschaftliche Massnahmen und den fürsorgerischen Freiheitsentzug, können beigezogen werden. Sie vermögen jedoch die im Strafverfahren notwendigen Gutachten in der Regel nicht zu ersetzen.
32 Fassung gemäss Änderung vom 19. Mai 2009, in Kraft seit dem 1. Juli 2009 (G 2009 169).
12 Nr. 315 VI. Verschiedene Bestimmungen

§ 43

33 Entschädigung der sachverständigen Person
1 Die sachverständige Person ist für ihre Arbeit zu entschädigen. Die auftraggebende Behörde entscheidet darüber nach freiem Ermessen.
2 Aus der Honorarnote müssen Zeitpunkt und Dauer der Exploration, der Zeitaufwand für die Erstellung des Gutachtens sowie zusätzliche Kosten ersichtlich sein.

§ 44

34 Diskussionsrunden Unter der Leitung des Obergerichts werden nach Bedarf Diskussionsrunden zwischen Strafverfolgungsbehörden, Gerichten und sachverständigen Personen durchgeführt. In der Regel sind auch Verteidiger und Verteidigerinnen einzuladen.

§ 45

Inkrafttreten Die Verordnung tritt am 1. Februar 2002 in Kraft. Sie ist zu veröffentlichen. Luzern, 8. Januar 2002 Im Namen des Obergerichtes Der Präsident: Michael Kreienbühl Der Kanzleichef: Marco Meier
33 Fassung gemäss Änderung vom 19. Mai 2009, in Kraft seit dem 1. Juli 2009 (G 2009 169).
34 Fassung gemäss Änderung vom 19. Mai 2009, in Kraft seit dem 1. Juli 2009 (G 2009 169).
Anhang
1
1 Fragenkatalog für forensisch-psychiatrische Gutachten
1. Zur Frage nach einer psychischen Störung Hat die psychiatrische Untersuchung ergeben, dass die beschuldigte Person zur Zeit der Tat(en) an einer psychischen Störung gelitten hat? Wenn ja, an welcher und welchen Ausmasses?
2. Zur Frage der Schuldfähigkeit (Art. 19 Abs. 1 und 2 StGB)
2.1. War die beschuldigte Person zur Zeit der Tat(en) wegen dieser psychischen
2.2. War die beschuldigte Person zur Zeit der Tat(en) wegen dieser psychischen – zur Einsicht in das Unrecht der Tat(en) oder – zum Handeln gemäss dieser Einsicht (Art. 19 Abs. 2 StGB)?
3. Zur Rückfallgefahr
3.1. Besteht bei der beschuldigten Person die Gefahr, erneut Straftaten zu begehen?
3.2. Welche Straftaten sind mit welcher Wahrscheinlichkeit zu erwarten?
3 . 3 .
1 Fassung gemäss Änderung vom 13. Dezember 2006, in Kraft seit dem 1. Januar 2007 (G 2006 460).
2
4. Zu einer Massnahme (Art. 59–61 und 63 StGB)
4.1. Besteht die für die Tatzeit festgestellte psychische Störung weiterhin? Stand(en)
4.2. Gibt es für die festgestellte psychische Störung eine Behandlung? Lässt sich durch
4.3. Ist die beschuldigte Person bereit, sich dieser Behandlung zu unterziehen? Könnte
4.4. Ist die Anordnung einer stationären therapeutischen Massnahme im Sinne von Art.
4.5. Kann der Art der Behandlung auch bei gleichzeitigem oder vorherigem
4 . 6 .
4.6.1 Ist die beschuldigte Person in ihrer Persönlichkeitsentwicklung erheblich gestört?
4.6.2 Besteht ein Zusammenhang zwischen Tat und Störung der
4.6.3 Kann die Massnahme für junge Erwachsene im Sinne von Art. 61 StGB die
5. Zusätzliche Fragen
6. Haben Sie noch weitere Bemerkungen?
Anhang
2
1 Erläuterung zum Fragenkatalog für forensisch- psychiatrische Gutachten Allgemeines Im Hinblick auf den neuen Allgemeinen Teil des Strafgesetzbuches (AT StGB) per
1.1.2007 hat die Arbeitsgruppe Forensische Psychiatrie und Rechtsmedizin der Konferenz der Strafverfolgungsbehörden der Schweiz (KSBS) zusammen mit der Schweizerischen Gesellschaft für Forensische Psychiatrie (SGFP) einen neuen Fragebogen für forensisch-psychiatrische Gutachten ausgearbeitet. Gemäss SGFP kennen die Personen, die forensisch-psychiatrische Gutachten im Strafverfahren erstellen, die Bestimmungen des Strafgesetzbuches. Der Fragebogen ist vollständig und muss von der auftraggebenden Strafbehörde dem Einzelfall angepasst werden (Fragen zur Verwahrung oder zu Massnahmen für junge Erwachsene).
1. Zur Frage nach einer psychischen Störung Zu den psychischen Störungen gemäss ICD-10 gehören auch die Sucht und Abhängigkeiten.
2. Zur Frage der Schuldfähigkeit Die Beurteilung der Verminderung der Schuldfähigkeit muss mit einem der drei Adjektive leicht, mittel oder schwer eingeschätzt werden. Bei der Frage nach der teilweisen Fähigkeit zur Einsicht in das Unrecht oder Einsicht, ist auch und zu verstehen.
3. Zur Frage für die Verwahrung (Art. 64 StGB) Bei den Fragen zur Rückfallgefahr ist für die Delikte, die in Art. 64 StGB aufgezählt sind, auch diejenige zur Verwahrung untergebracht. Liegt kein Delikt nach Art. 64 StGB vor, so hat die auftraggebende Strafbehörde diese Frage wegzulassen.
1 Eingefügt durch Änderung vom 13. Dezember 2006, in Kraft seit dem 1. Januar 2007 (G 2006 460).
2
4. Zu den Fragen für eine Massnahme (Art. 59–61 und 63 StGB) Gemäss Art. 56a Abs. 2 StGB können auch mehrere Massnahmen angeordnet werden. Dies ist in der Diskussion der einzelnen möglichen Massnahmen zu berücksichtigen und gilt auch bei jungen Erwachsenen. War die beschuldigte Person zur Zeit der Tat älter als
25, so sind die Fragen zu 4.6 von der auftraggebenden Strafbehörde wegzulassen.
5. Zu «6. Haben Sie noch weitere Bemerkungen?» Die abschliessende Frage ist wichtig, damit die Gutachterin oder der Gutachter berechtigt und verpflichtet ist, weitere für die Beurteilung wichtige Feststellungen mitzuberücksichtigen.
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