Verordnung über die wettbewerbsrechtliche Behandlung von vertikalen Abreden ... (251.6)
CH - Schweizer Bundesrecht

Verordnung über die wettbewerbsrechtliche Behandlung von vertikalen Abreden im Kraftfahrzeugsektor (KFZ-Verordnung, KFZV)

(KFZ-Verordnung, KFZV) vom 29. November 2023 (Stand am 1. Januar 2024)
¹ SR 251

1. Abschnitt: Begriffe

Art. 1
In dieser Verordnung bedeuten:
a. Kraftfahrzeuge : Fahrzeuge mit Selbstantrieb und mindestens drei Rädern, die für den Verkehr auf öffentlichen Strassen bestimmt sind, namentlich: 1. Personenkraftwagen, die der Beförderung von Personen dienen und zusätzlich zum Fahrersitz nicht mehr als acht Sitze aufweisen,
2. leichte Nutzfahrzeuge, die der Beförderung von Waren oder Personen dienen und deren zulässige Gesamtmasse 3,5 Tonnen nicht überschreitet,
3. Lastkraftwagen, die der Beförderung von Waren dienen und deren zulässige Gesamtmasse 3,5 Tonnen überschreitet,
4. Busse, die der Beförderung von Personen dienen;
b. Kraftfahrzeuganbieter: Hersteller von Kraftfahrzeugen oder deren zugelassene Importeure in der Schweiz;
c. zugelassener Händler: Händler von neuen Kraftfahrzeugen oder Ersatzteilen für Kraftfahrzeuge, der Mitglied des von einem Kraftfahrzeuganbieter eingerichteten Vertriebssystems ist;
d. zugelassene Werkstatt: Erbringer von Instandsetzungs- und Wartungsdienstleistungen für Kraftfahrzeuge, der Mitglied des von einem Kraftfahrzeuganbieter eingerichteten Vertriebssystems ist;
e. unabhängiger Händler: Händler von neuen Kraftfahrzeugen oder Ersatzteilen für Kraftfahrzeuge, der nicht Mitglied des von einem Kraftfahrzeuganbieter eingerichteten Vertriebssystems ist, oder ein zugelassener Händler im Vertriebssystem eines Kraftfahrzeuganbieters, soweit er neue Kraftfahrzeuge oder Ersatzteile für Kraftfahrzeuge vertreibt, für die er nicht Teil des Vertriebssystems des entsprechenden Kraftfahrzeuganbieters ist;
f. unabhängige Werkstatt: Erbringer von Instandsetzungs- und Wartungsdienstleistungen für Kraftfahrzeuge, der nicht dem von einem Kraftfahrzeuganbieter, dessen Kraftfahrzeuge er instand setzt oder wartet, eingerichteten Vertriebssystem angehört sowie zugelassene Werkstätten im Vertriebssystem eines Kraftfahrzeuganbieters, soweit sie Instandsetzungs- und Wartungsdienstleistungen für Kraftfahrzeuge erbringen, für die sie nicht Mitglied des Vertriebssystems des entsprechenden Kraftfahrzeuganbieters sind;
g. unabhängige Marktteilnehmer: unabhängige Händler, unabhängige Werkstätten, Ersatzteilhersteller und -händler, Hersteller von Werkstattausrüstungen oder Werkzeugen, Herausgeber von technischen Informationen und fahrzeuggenerierten Daten, Automobilclubs, Pannenhilfsdienste, Anbieter von Inspektions- und Prüfdienstleistungen sowie Einrichtungen der Aus- und Weiterbildung für Werkstattmitarbeiterinnen und -mitarbeiter;
h. Mitglieder eines Vertriebssystems: zugelassene Händler und zugelassene Werkstätten von einem Vertriebssystem eines Kraftfahrzeuganbieters;
i. Ersatzteile: Waren, die in ein Kraftfahrzeug eingebaut oder an ihm angebracht werden und ein Bauteil dieses Fahrzeugs ersetzen; dazu zählen auch Waren wie Schmieröle, die für die Nutzung des Kraftfahrzeugs erforderlich sind, mit Ausnahme von Treibstoffen;
j. Originalersatzteile oder -ausrüstungen: Teile oder Ausrüstungen, die nach den Spezifikationen und Produktionsnormen gefertigt werden, die der Kraftfahrzeughersteller für die Fertigung von Teilen oder Ausrüstungen für den Zusammenbau des betreffenden Kraftfahrzeugs vorschreibt;
k. qualitativ gleichwertige Ersatzteile: Ersatzteile, die so beschaffen sind, dass ihre Verwendung das Ansehen des betreffenden Netzes zugelassener Werkstätten nicht gefährdet.

2. Abschnitt: Geltungsbereich

Art. 2
¹ Diese Verordnung gilt für vertikale Wettbewerbsabreden beim Vertrieb von neuen Kraftfahrzeugen und Ersatzteilen sowie bei der Erbringung von Instandsetzungs- und Wartungsdienstleistungen.
² Die Anwendung dieser Verordnung schliesst nicht aus, dass ein Sachverhalt ganz oder teilweise als horizontale Wettbewerbsabrede qualifiziert oder von Artikel 7 KG erfasst wird. Diesfalls ist der Sachverhalt unabhängig von dieser Verordnung gemäss den einschlägigen Vorschriften des KG zu beurteilen.
³ Soweit sich diese Verordnung nicht äussert, sind die Vorschriften der Vertikalbekanntmachung vom 12. Dezember 2022² anwendbar.
² BBl 2022 3231

3. Abschnitt: Qualitativ schwerwiegende Beeinträchtigungen des Wettbewerbs

Art. 3 Grundsatz
¹ Vertikale Abreden, die nicht von Artikel 5 Absatz 4 KG erfasst werden, gelten als qualitativ schwerwiegende Beeinträchtigungen des Wettbewerbs, wenn sie eine der in den Artikeln 4–8 aufgeführten Beschränkungen zum Gegenstand haben.
² Bei diesen qualitativ schwerwiegenden Beeinträchtigungen sind die Erheblichkeit der Wettbewerbsbeschränkung und die Möglichkeit einer Rechtfertigung aus Gründen der wirtschaftlichen Effizienz im Einzelfall zu prüfen.
Art. 4 Beschränkungen betreffend den Bestimmungsort des Kraftfahrzeugs und die Garantie
Die folgenden Beschränkungen betreffend den Bestimmungsort des Kraftfahrzeugs und die Garantie gelten als qualitativ schwerwiegende Beeinträchtigungen des Wettbewerbs:
a. Abreden zwischen Kraftfahrzeuganbietern und zugelassenen Händlern, die den Verkauf von Kraftfahrzeugen durch zugelassene Händler an Endverbraucher einschränken, indem beispielsweise: 1. die Vergütung des zugelassenen Händlers oder der Verkaufspreis vom Bestimmungsort des Kraftfahrzeugs oder vom Wohnort des Endverbrauchers abhängig gemacht wird,
2. eine auf den Bestimmungsort des Kraftfahrzeugs bezogene Prämienregelung oder jede Form einer diskriminierenden Produktlieferung an zugelassene Händler vereinbart wird;
b. Abreden zwischen Kraftfahrzeuganbietern und zugelassenen Werkstätten, die diese verpflichten, der Herstellergarantie sowie der kostenlosen Wartung und sämtlichen Arbeiten im Rahmen von Rückrufaktionen in Bezug auf jedes in der Schweiz oder im Europäischen Wirtschaftsraum verkaufte Kraftfahrzeug der betroffenen Marke nicht nachzukommen;
c. Abreden zwischen Kraftfahrzeuganbietern und zugelassenen Händlern oder zugelassenen Werkstätten, die die gesetzliche Gewährleistung oder (erweiterte) Herstellergarantie davon abhängig machen, dass die Endverbraucherin oder der Endverbraucher nicht unter die Garantie fallende Instandsetzungs- und Wartungsdienste nur innerhalb des Netzes zugelassener Werkstätten ausführen lässt oder dass bei nicht unter die Garantie fallenden Austauschmassnahmen nur Ersatzteile mit Markenzeichen des Kraftfahrzeuganbieters verwendet werden.
Art. 5 Beschränkungen betreffend den Vertrieb von Ersatzteilen, Instandsetzungs- und Wartungsdienstleistungen
Die folgenden Beschränkungen betreffend den Vertrieb von Ersatzteilen, Instandsetzungs- und Wartungsdienstleistungen gelten als qualitativ schwerwiegende Beeinträchtigungen des Wettbewerbs:
a. die Verpflichtung eines zugelassenen Händlers, den Vertrieb von neuen Kraftfahrzeugen mit der Erbringung von Instandsetzungs- und Wartungsdienstleistungen oder mit dem Vertrieb von Ersatzteilen zu verknüpfen;
b. die Verpflichtung einer zugelassenen Werkstatt, die Erbringung von Instand-setzungs- und Wartungsdienstleistungen mit dem Vertrieb von neuen Kraftfahrzeugen oder mit dem Vertrieb von Ersatzteilen zu verknüpfen;
c. die Verpflichtung eines für den Vertrieb von Ersatzteilen zugelassenen Händlers, den Vertrieb von Ersatzteilen mit dem Vertrieb von neuen Kraftfahrzeugen oder mit der Erbringung von Instandsetzungs- und Wartungsdienstleistungen zu verknüpfen;
d. die Beschränkung der Möglichkeit eines zugelassenen Händlers, die Erbringung von Instandsetzungs- und Wartungsdienstleistungen an zugelassene Werkstätten untervertraglich weiter zu vergeben; der Kraftfahrzeuganbieter kann jedoch verlangen, dass der zugelassene Händler der Endverbraucherin oder dem Endverbraucher vor Abschluss des Kaufvertrags den Namen und die Anschrift der zugelassenen Werkstätten mitteilt und, sollte sich eine der zugelassenen Werkstätten nicht in der Nähe der Verkaufsstelle befinden, die Endverbraucherin oder den Endverbraucher über die Entfernung der fraglichen Werkstätten von der Verkaufsstelle unterrichtet;
e. die Beschränkung der Möglichkeit eines zugelassenen Händlers, Instandsetzungs- und Wartungsdienstleistungen als unabhängige Werkstatt für Kraftfahrzeuge konkurrierender Kraftfahrzeuganbietern zu erbringen;
f. die Beschränkung des Verkaufs von Ersatzteilen durch Mitglieder eines selektiven Vertriebssystems an unabhängige Werkstätten, welche diese Teile für die Instandsetzung und Wartung eines Kraftfahrzeugs verwenden;
g. die Beschränkung der Möglichkeit eines Herstellers von Ersatzteilen, Instandsetzungsgeräten, Diagnose- oder Ausrüstungsgegenständen, diese Waren an Mitglieder eines Vertriebssystems, unabhängige Marktteilnehmer oder an Endverbraucherinnen oder Endverbraucher zu verkaufen;
h. die Beschränkung der Möglichkeit eines Mitglieds eines Vertriebssystems, Originalersatzteile und -ausrüstungen oder qualitativ gleichwertige Ersatzteile von einem Hersteller oder einem Händler dieser Waren ihrer Wahl zu erwerben und diese Teile für die Instandsetzung oder Wartung von Kraftfahrzeugen zu verwenden; davon unberührt bleibt das Recht der Kraftfahrzeuganbieter für Arbeiten im Rahmen der Gewährleistung, des unentgeltlichen Kundendienstes oder von Rückrufaktionen die Verwendung von Originalersatzteilen, die vom Kraftfahrzeughersteller bezogen wurden, vorzuschreiben.
Art. 6 Beschränkungen betreffend den Zugang zu technischen Informationen, Werkzeugen und fachliche Unterweisungen
¹ Abreden zwischen Kraftfahrzeuganbietern und Mitgliedern eines Vertriebssystems, die den Zugang von unabhängigen Marktteilnehmern zu den für die Instandsetzung und Wartung von Kraftfahrzeugen oder für Umweltschutzmassnahmen erforderlichen technischen Informationen, Diagnosegeräten sowie anderen Geräten und Werkzeugen nebst einschlägiger Software oder die fachlichen Unterweisungen verweigern, gelten als qualitativ schwerwiegende Beeinträchtigungen des Wettbewerbs.
² Absatz 1 umfasst insbesondere folgende Informationen und Werkzeuge:
a. elektronische Kontroll- und Diagnosesysteme eines Kraftfahrzeugs und deren Programmierung gemäss den Standardverfahren des Kraftfahrzeuganbieters;
b. Servicehandbücher und elektronische Servicehefte;
c. Instandsetzungs- und Wartungsanleitungen;
d. Informationen über Bauteile, Diagnose- und Wartungsgeräte (z. B. untere und obere Grenzwerte für Messungen) sowie über sonstige Ausrüstungen;
e. Schaltpläne;
f. Fehlercodes des Diagnosesystems (einschliesslich herstellerspezifischer Codes);
g. die für den Fahrzeugtyp geltende Kennnummer der Softwarekalibrierung;
h. Informationen über Datenspeicherung und bidirektionale Kontroll- und Prüfdaten;
i. moderne Fahrerassistenzsysteme und Batteriemanagementsysteme von Elektrofahrzeugen;
j. Ersatzteilnummern und deren Aktivierungscodes.
Art. 7 Beschränkungen betreffend den Mehrmarkenvertrieb
Die Verpflichtung eines Mitglieds eines Vertriebssystems, Kraftfahrzeuge oder Ersatzteile konkurrierender Kraftfahrzeuganbietern nicht zu verkaufen oder Instandsetzungs- und Wartungsdienstleistungen für Kraftfahrzeuge konkurrierender Kraftfahrzeuganbieter nicht zu erbringen, gilt als qualitativ schwerwiegende Beeinträchtigung des Wettbewerbs.
Art. 8 Beschränkungen betreffend die Vertragsauflösung
Bestimmungen über Vertragsauflösungen gelten als qualitativ schwerwiegende Beeinträchtigungen des Wettbewerbs, wenn sie den folgenden Kündigungsmodalitäten nicht entsprechen:
a. Bei befristeten Verträgen von mindestens fünf Jahren ist die Nichtverlängerung mindestens sechs Monate im Voraus anzukündigen.
b. Bei unbefristeten Verträgen ist eine Kündigungsfrist von mindestens zwei Jahren einzuhalten.
c. Bei unbefristeten Verträgen ist eine verkürzte Kündigungsfrist von mindestens einem Jahr einzuhalten, sofern die Kündigung schriftlich begründet ist und: 1. der Kraftfahrzeuganbieter aufgrund gesetzlicher Bestimmungen oder aufgrund besonderer Absprachen bei Vertragsbeendigung eine angemessene Entschädigung zu zahlen hat; oder
2. sich für den Kraftfahrzeuganbieter die Vertragsbeendigung durch die Notwendigkeit ergibt, das Vertriebsnetz insgesamt oder zu einem wesentlichen Teil umzustrukturieren.

4. Abschnitt: Inkrafttreten

Art. 9
Diese Verordnung tritt am 1. Januar 2024 in Kraft.
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