Verordnung über die Vermögensverwaltung im Rahmen einer Beistandschaft ... (211.223.11)
CH - Schweizer Bundesrecht

Verordnung über die Vermögensverwaltung im Rahmen einer Beistandschaft oder Vormundschaft (VBVV)

(VBVV) vom 23. August 2023 (Stand am 1. Januar 2024)
¹ SR 210
Art. 1 Gegenstand, Geltungsbereich, Begriffe
¹ Diese Verordnung regelt die Anlage und die Aufbewahrung von Vermögenswerten, die im Rahmen einer Beistandschaft oder einer Vormundschaft von einer Mandatsträgerin oder einem Mandatsträger verwaltet werden.
² Sie ist nicht anwendbar auf Beträge zur freien Verfügung im Sinne von Artikel 409 ZGB.
³ In dieser Verordnung gelten als:
a. betroffene Person: eine natürliche Person, für die die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (KESB) eine Beistandschaft oder eine Vormundschaft errichtet hat;
b. Bank: eine Bank nach dem Bankengesetz vom 8. November 1934²;
c. Mandatsträgerin oder Mandatsträger: die Beiständin oder der Beistand, die Vormundin oder der Vormund;
d. Versicherung: ein Versicherungsunternehmen, das der Aufsicht gemäss dem Versicherungsaufsichtsgesetz vom 17. Dezember 2004³ untersteht;
e. Vermögensverwalterin: eine Bank oder ein Finanzinstitut, die oder das gemäss dem Finanzinstitutsgesetz vom 15. Juni 2018⁴ über eine Bewilligung zur Tätigkeit als Vermögensverwalterin verfügt.
² SR 952.0
³ SR 961.01
⁴ SR 954.1
Art. 2 Grundsätze der Vermögensanlage
¹ Die verwalteten Vermögenswerte sind sicher und soweit möglich ertragsbringend anzulegen.
² Anlagerisiken sind durch eine angemessene Diversifikation gering zu halten.
³ Die im Rahmen der Vermögensanlage anfallenden Gebühren müssen in einem angemessenen Verhältnis zum angelegten Vermögen und zum erwarteten Ertrag stehen.
Art. 3 Bargeld
Die Mandatsträgerin oder der Mandatsträger muss Bargeld unverzüglich auf ein Konto bei einer Bank einzahlen, das auf den Namen der betroffenen Person lautet.
Art. 4 Aufbewahrung von Wertsachen
¹ Die Mandatsträgerin oder der Mandatsträger muss Wertgegenstände, wichtige Dokumente und dergleichen (Wertsachen) in einem Schrankfach oder als verschlossenes Depositum, lautend auf den Namen der betroffenen Person, bei einer Bank aufbewahren.
² Ausnahmsweise kann sie oder er Wertsachen an einem anderen Ort aufbewahren, wenn die sichere Aufbewahrung gewährleistet ist oder dies vorrangigen Interessen der betroffenen Person dient. Die Ausnahmen bedürfen einer Bewilligung der KESB.
³ Die KESB kann ausnahmsweise die Aufbewahrung von Wertsachen in ihren Räumlichkeiten anordnen, sofern der Aufbewahrungsort feuer-, wasser- und diebstahlsicher ist.
Art. 5 Berücksichtigung der persönlichen Verhältnisse der betroffenen Person
¹ Bei der Wahl der Anlage sind die persönlichen Verhältnisse der betroffenen Person zu berücksichtigen, insbesondere das Alter, die Gesundheit, die Bedürfnisse des Lebensunterhalts, das Einkommen und das Vermögen sowie der Versicherungsschutz. Der Wille der betroffenen Person ist soweit möglich ebenfalls zu berücksichtigen.
² Allfällige Versicherungsleistungen, insbesondere bei Altersrücktritt, Unfall, Krankheit oder Pflegebedürftigkeit, sowie allfällige weitere Anwartschaften sind einzubeziehen.
³ Die Anlage ist so zu wählen, dass die Mittel für den gewöhnlichen Lebensunterhalt und für zu erwartende ausserordentliche Aufwendungen im Zeitpunkt des Bedarfs verfügbar sind.
Art. 6 Sicherstellung des gewöhnlichen Lebensunterhalts
Für Vermögenswerte, die der Sicherstellung des gewöhnlichen Lebensunterhalts der betroffenen Person dienen, sind, unter Vorbehalt von Artikel 8 Absatz 3, folgende Anlagen zulässig:
a. auf den Namen der betroffenen Person lautende Einlagen bei Banken, einschliesslich Kassenobligationen und Festgelder;
b. festverzinsliche Obligationen der Schweizerischen Eidgenossenschaft, von Kantonen und Gemeinden sowie Pfandbriefanleihen der schweizerischen Pfandbriefzentralen;
c. Exchange Traded Funds (ETF) und Indexfonds, sofern diese Fonds ausschliesslich in Anlagen nach Buchstabe b investieren und nach Artikel 10 Absatz 2 des Kollektivanlagengesetzes vom 23. Juni 2006⁵ (KAG) sämtlichen Anlegerinnen und Anlegern offenstehen;
d. Obligationen von Unternehmen, an denen Bund, Kantone oder Gemeinden mehrheitlich beteiligt sind, und Einlagen in Mitarbeiterkonten bei solchen Unternehmen;
e. Einlagen in Einrichtungen der beruflichen Vorsorge;
f. Einlagen in Einrichtungen der gebundenen Selbstvorsorge;
g. Anteilscheine von Baugenossenschaften in Verbindung mit einem bestehenden Mietvertrag;
h. Anteilscheine von Banken in Verbindung mit einem bestehenden Vertragsverhältnis zur Bank sowie Beteiligungen an solchen Banken;
i. wertbeständige Grundstücke, die selber genutzt werden;
j. pfandgesicherte Forderungen mit einem wertbeständigen Pfand.
⁵ SR 951.31
Art. 7 Anlagen für weitergehende Bedürfnisse
¹ Sofern es die persönlichen Verhältnisse der betroffenen Person erlauben, sind für Bedürfnisse, die über den gewöhnlichen Lebensunterhalt hinausgehen, zusätzlich zu den Anlagen nach Artikel 6 folgende Anlagen mit guter Bonität zulässig:
a. Obligationen in Schweizerfranken;
b. Aktien von Schweizer Aktiengesellschaften;
c. folgende Fonds in Schweizerfranken, die nach Artikel 10 Absatz 2 KAG⁶ sämtlichen Anlegerinnen und Anlegern offenstehen: 1. Obligationenfonds,
2. Aktienfonds,
3. ETF oder Indexfonds mit Anlagen in Aktien und Obligationen,
4. gemischte Anlagefonds mit einem Anteil von höchstens 25 Prozent Aktien und höchstens 50 Prozent Titeln ausländischer Unternehmen,
5. Immobilienfonds von schweizerischen Emittenten;
d. Lebensversicherungen, Leibrentenversicherungen und Kapitalisationsgeschäfte ohne fonds- und anteilsgebundene Erträge bei Versicherungen;
e. strukturierte Produkte schweizerischer Emittenten in Schweizerfranken, die an einer schweizerischen Börse kotiert sind, über 100 Prozent Kapitalschutz verfügen und mit einer entsprechenden Pfandbesicherung ausgestattet sind;
f. wertbeständige Grundstücke, die nicht selber genutzt werden;
g. Beteiligungen an Gesellschaften;
h. Treuhandanlagen in Schweizerfranken;
i. börsengehandelte Fonds mit Anlagen in Gold oder Silber mit vollständig physischer Verwahrung des Edelmetalls.
² Für die folgenden Anlagen sind, bezogen auf das Gesamtvermögen, folgende Obergrenzen als Richtwerte einzuhalten:
a. Aktien in den Anlagen nach Absatz 1 Buchstaben b, c Ziffern 2–4 und d sowie Beteiligungen an Gesellschaften nach Absatz 1 Buchstabe g: 25 Prozent;
b. Anteil der Titel von ausländischen Unternehmen an den Anlagen nach Buchstabe a: 50 Prozent;
c. Immobilienfonds nach Absatz 1 Buchstabe c Ziffer 5: 10 Prozent;
d. Fonds mit Anlagen in Gold oder Silber nach Absatz 1 Buchstabe i: 10 Prozent.
³ Sind die finanziellen Verhältnisse der betroffenen Person besonders günstig, so kann die KESB weitergehende Anlagen bewilligen.
⁶ SR 951.31
Art. 8 Umwandlung in zulässige Anlagen
¹ Erfüllen Vermögensanlagen, die im Zeitpunkt der Errichtung der Beistandschaft oder Vormundschaft bestehen, und Vermögenswerte, die der betroffenen Person nach diesem Zeitpunkt zufliessen, die Voraussetzungen nach den Artikeln 6 und 7 nicht, so müssen sie innert angemessener Frist in zulässige Anlagen umgewandelt werden.
² Bei der Umwandlung sind die Wirtschaftsentwicklung, die persönlichen Verhältnisse und soweit möglich der Wille der betroffenen Person zu berücksichtigen.
³ Auf eine Umwandlung kann verzichtet werden, wenn die Vermögenswerte für die betroffene Person oder für ihre Familie einen besonderen Wert haben und der gewöhnliche Lebensunterhalt sichergestellt ist. Der Verzicht bedarf der Bewilligung der KESB.
Art. 9 Entscheide und Bewilligungen der KESB
¹ Die KESB entscheidet auf Antrag der Mandatsträgerin oder des Mandatsträgers oder von Amtes wegen:
a. ob Vermögenswerte für Anlagen nach Artikel 7 Absatz 1 oder 3 zur Verfügung stehen;
b. ob Anlagen nach Artikel 7 Absatz 1 der Bewilligung der KESB bedürfen;
c. über welche Vermögenswerte die Mandatsträgerin oder der Mandatsträger nur mit Bewilligung der KESB verfügen darf;
d. über das Recht auf Zugang zu Schrankfächern.
² Anlagen nach Artikel 7 Absatz 3 sowie Verträge nach Artikel 10 Absatz 1 über Anlagen nach Artikel 7 Absatz 1 bedürfen mit Ausnahme der Fälle nach Artikel 416 Absatz 2 ZGB der Bewilligung der KESB.
³ Eine Bewilligung der KESB nach dieser Verordnung ersetzt deren Zustimmung zu Geschäften nach den Artikeln 416 Absätze 1 und 3 sowie 417 ZGB nicht.
⁴ Die KESB teilt ihre Entscheide der Mandatsträgerin oder dem Mandatsträger sowie der betreffenden Bank, Versicherung oder Vermögensverwalterin mit.
Art. 10 Verträge über die Anlage, Aufbewahrung und Verwaltung von Vermögenswerten; Belege, Auskunft und Einsicht
¹ Verträge über die Anlage, Aufbewahrung und Verwaltung von Vermögenswerten sind von der Mandatsträgerin oder dem Mandatsträger im Namen der betroffenen Person abzuschliessen.
² Die Belege im Zusammenhang mit der Vermögensverwaltung sind auf den Namen der betroffenen Person auszustellen. Die Mandatsträgerin oder der Mandatsträger muss die Belege aufbewahren.
³ Die Mandatsträgerin oder der Mandatsträger kann von der Bank, der Versicherung oder der Vermögensverwalterin ab dem Zeitpunkt der Übernahme des Mandats jederzeit Auskunft über die Bank- und Vermögensverwaltungsbeziehung und die Versicherungen der betroffenen Person sowie Einsicht in die dazugehörigen Akten verlangen. Soweit es für die Ausübung oder die Beendigung des Mandats erforderlich ist, kann sie oder er diese Auskunft und Einsicht auch für die Zeit vor der Übernahme und nach Beendigung des Mandats verlangen.
⁴ Die KESB holt bei der Mandatsträgerin oder dem Mandatsträger Konto- und Depotauszüge sowie weitere Auskünfte über die Bank- und Vermögensverwaltungsbeziehung und die Versicherungen der betroffenen Person ein.
⁵ Sofern dies erforderlich ist, kann sie die Auszüge und Auskünfte direkt bei der Bank, der Versicherung oder der Vermögensverwalterin einholen. Sie erlässt dazu eine Verfügung.
Art. 11 Dokumentationspflicht und Weisungsrecht
¹ Die Mandatsträgerin oder der Mandatsträger muss alle Entscheidungen im Bereich der Vermögensverwaltung sorgfältig und ausführlich dokumentieren.
² Im Rahmen ihrer Aufsicht kann die KESB Weisungen erlassen oder Musterformulare sowie Standardverträge zur Verfügung stellen.
Art. 12 Aufhebung eines anderen Erlasses
Die Verordnung vom 4. Juli 2012⁷ über die Vermögensverwaltung im Rahmen einer Beistandschaft oder Vormundschaft wird aufgehoben.
⁷ [ AS 2012 3947 ]
Art. 13 Übergangsbestimmungen
¹ Vermögensanlagen, die im Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Verordnung bestehen und dazu in Widerspruch stehen, müssen unter Vorbehalt von Artikel 8 Absätze 2 und 3 so rasch wie möglich, spätestens aber innert zwei Jahren, in zulässige Anlagen umgewandelt werden.
² Die KESB kann diese Frist ausnahmsweise um maximal zwei Jahre verlängern.
Art. 14 Inkrafttreten
Diese Verordnung tritt am 1. Januar 2024 in Kraft.
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