Vertrag (0.193.412.63)
CH - Schweizer Bundesrecht

Vertrag (zwischen der Schweiz und Kolumbien zur Erledigung von Streitigkeiten im Vergleichs‑, Gerichts­- und Schiedsverfahren)

zwischen der Schweiz und Kolumbien zur Erledigung von Streitigkeiten im Vergleichs‑, Gerichts­- und Schiedsverfahren Abgeschlossen am 20. August 1927 Von der Bundesversammlung genehmigt am 23. März 1928³ Ratifikationsurkunden ausgetauscht am 29. Dezember 1930 In Kraft getreten am 29. Dezember 1930 ¹ BS 11 306; BB1 1927 II 449 ² Der Originaltext findet sich unter der gleichen Nummer in der französischen Ausgabe dieser Sammlung. ³ AS 47 1
Der Schweizerische Bundesrat und der Präsident der Republik Kolumbien,
geleitet von dem Wunsche, die zwischen der Schweiz und Kolumbien bestehenden freundschaftlichen Bande zu festigen und die etwaigen zwischen den beiden Ländern entstehenden Streitigkeiten einer friedlichen Regelung zu unterwerfen,
sind übereingekommen, zu diesem Zwecke einen Vertrag abzuschliessen, und haben zu ihren Bevollmächtigten ernannt:
(Es folgen die Namen der Bevollmächtigten)
die, nachdem sie sich ihre Vollmachten mitgeteilt und sie in guter und gehöriger Form befunden haben, über folgende Bestimmungen übereingekommen sind:
Art. 1
Alle Streitigkeiten irgendwelcher Natur, die zwischen den beiden Staaten sich erheben sollten und auf diplomatischem Wege binnen angemessener Frist nicht haben beigelegt werden können, sind auf Ersuchen eines der vertragschliessenden Teile einem Vergleichsverfahren zu unterwerfen.
Falls das Vergleichsverfahren misslingt, so wird die Streitigkeit auf Ersuchen eines Teiles einem gerichtlichen oder schiedsgerichtlichen Verfahren überwiesen gemäss Artikel 13 des gegenwärtigen Vertrages.
Die vertragschliessenden Teile können gleichwohl vereinbaren, dass eine bestimmte Streitigkeit auf gerichtlichem oder schiedsgerichtlichem Wege ohne vorgängiges Vergleichsverfahren erledigt wird.
Art. 2
Das Vergleichsverfahren wird einer Kommission von drei Mitgliedern anvertraut, die von Fall zu Fall durch die vertragschliessenden Teile gebildet wird.
Die vertragschliessenden Teile bezeichnen jeder für sich, nach freier Wahl, ein Mitglied und ernennen im gemeinsamen Einverständnisse das dritte Mitglied, das ohne weiteres Vorsitzender der Kommission ist, aus den Angehörigen eines dritten Staates. Der auf diese Weise gemeinsam bezeichnete Kommissar darf seinen Wohnsitz nicht auf dem Gebiete der vertragschliessenden Teile haben noch sich in ihrem Dienste befinden.
Die Vergleichskommission wird binnen einer Frist von drei Monaten von dem Tage an, wo ein vertragschliessender Teil dem andern seine Absicht, das Vergleichs­verfahren einzuleiten, zur Kenntnis gebracht hat, bestellt.
Wenn der im gemeinsamen Einverständnisse zu ernennende Kommissar binnen dieser Frist nicht ernannt ist, so wird er auf Begehren auch nur einer der Parteien, durch den Präsidenten des Ständigen Internationalen Gerichtshofes⁴ oder, falls dieser Angehöriger einer der vertragschliessenden Staaten ist, durch den Vize­präsidenten oder das älteste Mitglied des Gerichtshofes, die nicht Angehörige eines der vertragschliessenden Staaten sind, ernannt.
⁴ Der Ständige Internationale Gerichtshof wurde aufgelöst durch Beschluss der Völker­bunds­versammlung vom 18. April 1946 ( BBl 1946 II 1227 ) und ersetzt durch den Internationalen Gerichtshof ( SR 0.193.50 ).
Art. 3
Der Vergleichskommission liegt ob, die Fragen, welche den Gegenstand des Streites bilden, aufzuhellen und in einem Berichte Vorschläge zur Beilegung des Anstandes zu machen.
Die Anrufung der Kommission erfolgt im Wege eines Begehrens, das von einem der vertragschliessenden Teile an den Kommissionsvorsitzenden gerichtet wird. Dieses Begehren wird gleichzeitig durch die Partei, von der es ausgeht, der Gegenpartei zur Kenntnis gebracht.
Art. 4
Die Vergleichskommission tritt, unter Vorbehalt entgegenstehender Vereinbarung zwischen den Parteien, an dem von ihrem Vorsitzenden bezeichneten Orte zusammen.
Art. 5
Das Verfahren vor der Vergleichskommission ist kontradiktorisch.
Die Kommission setzt selbst das Verfahren fest, indem sie, unter Vorbehalt eines einstimmig gefassten entgegenstehenden Beschlusses, den im dritten Titel des Haager Abkommens vom 18. Oktober 1907⁵ zur friedlichen Erledigung inter­nationaler Streitfälle enthaltenen Bestimmungen Rechnung trägt.
⁵ SR 0.193.212
Art. 6
Die Beratungen der Vergleichskommission sind nicht öffentlich, es sei denn, dass die Kommission im Einverständnisse mit den Parteien anders beschliesst.
Art. 7
Die vertragschliessenden Teile sind berechtigt, bei der Vergleichskommission besondere Agenten zu ernennen, die gleichzeitig als Mittelspersonen zwischen ihnen und der Kommission zu wirken haben.
Art. 8
Unter Vorbehalt von Artikel 5 Absatz 2 trifft die Vergleichskommission ihre Entschei­dungen mit einfacher Stimmenmehrheit.
Art. 9
Die vertragschliessenden Teile verpflichten sich, die Arbeiten der Vergleichs­kommission in möglichst weitgehendem Masse zu fördern und insbesondere alle ihnen nach ihrer internen Gesetzgebung zur Verfügung stehenden Mittel anzu­wenden, um es der Kommission zu ermöglichen, auf ihrem Gebiete Zeugen und Sachverständige vorzuladen und zu vernehmen sowie Augenscheine vorzunehmen.
Art. 10
Die Vergleichskommission hat ihren Bericht innerhalb von sechs Monaten zu erstatten, nachdem sie in einer Streitigkeit angerufen worden ist, es sei denn, dass die vertragschliessenden Teile diese Frist im gemeinsamen Einverständnisse verlängern. Jeder der Parteien wird eine Ausfertigung des Berichtes ausgehändigt.
Der Kommissionsbericht hat weder in bezug auf den Tatbestand noch hinsichtlich der rechtlichen Erwägungen die Bedeutung eines Schiedsspruches.
Art. 11
Die Vergleichskommission hat die Frist festzusetzen, binnen deren die Parteien sich zu ihren Vorschlägen zu äussern haben. Diese Frist darf indessen drei Monate nicht überschreiten.
Art. 12
Während der Dauer der Arbeiten der Vergleichskommission erhält jeder Kommissar eine Entschädigung, deren Höhe zwischen den vertragschliessenden Teilen zu vereinbaren ist.
Jede Partei übernimmt ihre eigenen Kosten und einen gleichen Teil der Kosten der Kommission.
Art. 13
Nimmt eine der Parteien die Vorschläge der Vergleichskommission nicht an oder äussert sie sich nicht binnen der in dem Berichte festgesetzten Frist, so kann jede von ihnen durch einfaches Begehren den Ständigen Internationalen Gerichtshof⁶ anrufen, falls gemäss Artikel 36 Absatz 2 des Gerichtsstatuts⁷ die Streitigkeit zum Gegenstand hat:
a) die Auslegung eines Staatsvertrages;
b) irgendwelche Fragen des internationalen Rechtes;
c) die Existenz einer Tatsache, die, wenn sie bewiesen wäre, der Verletzung einer internationalen Verpflichtung gleichkommen würde;
d) die Art oder den Umfang einer wegen Verletzung einer internationalen Verpflichtung geschuldeten Wiedergutmachung.
Wenn die Frage bestritten ist, ob die Streitigkeit einer gerichtlichen Erledigung im Sinne des vorstehenden Absatzes fähig ist, entscheidet der Gerichtshof.
Alle andern Streitigkeiten werden auf Ersuchen einer Partei auf schiedsgericht­lichem Wege unter den im Artikel 14 des gegenwärtigen Vertrages vorgesehenen Bedingungen erledigt.
⁶ Heute: der Internationale Gerichtshof (Art. 37 des Status des Internationalen Gerichtshofes – SR 0.193.501 ).
⁷ ( AS 37 768 ). Diesem Artikel entspricht heute Art. 36 Ziff. 2 des Statuts des Internatio­nalen Gerichtshofes vom 26. Juni 1945 ( SR 0.193.501 ).
Art. 14
Für die Anrufung der Schiedsgerichtsbarkeit ist das Haager Abkommen vom 18. Oktober 1907⁸ zur friedlichen Erledigung internationaler Streitfälle massgebend.
Kann das Schiedsgericht innerhalb eines Zeitraumes von drei Monaten, nachdem eine der Parteien die schiedsgerichtliche Austragung der Streitigkeit verlangt hat, nicht im Einverständnisse der Parteien gebildet werden, so wird das Schiedsgericht aus fünf Schiedsrichtern, die aus der Liste der Mitglieder des Ständigen Schieds­gerichtshofes im Haag auszuwählen sind, zusammengesetzt. Jede Partei ernennt einen Schiedsrichter nach freier Wahl; die drei andern, und unter diesen den Obmann, bezeichnen die Parteien im gemeinsamen Einverständnisse. Diese drei Schiedsrichter dürfen weder Angehörige der vertragschliessenden Teile sein noch auf deren Gebiet ihren Wohnsitz haben oder in deren Dienste stehen.
Hat die Ernennung der gemeinsam zu bezeichnenden Schiedsrichter oder die Bezeichnung des Obmannes binnen sechs Monaten, nachdem eine Partei das Begehren um schiedsgerichtliche Austragung der Streitigkeit gestellt hat, nicht stattgefunden, so werden die Ernennungen gemäss Artikel 45 des Haager Abkom­mens vom 18. Oktober 1907⁹ zur friedlichen Erledigung internationaler Streitfälle vorgenommen.
⁸ SR 0.193.212
⁹ SR 0.193.212
Art. 15
Während des Verlaufs des Vergleichs‑, Gerichts‑ oder Schiedsgerichtsverfahrens enthalten sich die vertragschliessenden Teile jeglicher Massnahme, die eine nachteilige Rückwirkung auf die Annahme der Vorschläge der Vergleichs­kommission oder auf die Ausführung des Urteils des Ständigen Internationalen Gerichtshofes¹⁰ oder des Spruchs des Schiedsgerichtes haben könnte.
¹⁰ Siehe Fussn. 5 zu Art. 13.
Art. 16
Etwaige Anstände über die Auslegung oder Ausführung des gegenwärtigen Vertrages sind, unter Vorbehalt anderweitiger Vereinbarung zwischen den Parteien, im Wege eines einfachen Begehrens dem Ständigen Internationalen Gerichtshofe zu unterbreiten.
Art. 17
Der gegenwärtige Vertrag soll ratifiziert werden. Die Ratifikationsurkunden sollen sobald als möglich in Bern ausgetauscht werden.
Der Vertrag tritt mit dem Austausche der Ratifikationsurkunden in Kraft. Er ist abgeschlossen für die Dauer von zehn Jahren, gerechnet vom Tage des Inkrafttretens an. Wird er nicht sechs Monate vor Ablauf dieser Frist gekündigt, so gilt er als für einen neuen Zeitraum von fünf Jahren verlängert und so fort.
Falls im Zeitpunkte des Ablaufs des gegenwärtigen Vertrages ein Vergleichs‑, Gerichts‑ oder Schiedsverfahren hängig sein sollte, so wäre dieses Verfahren nach den Bestimmungen des gegenwärtigen Vertrages durchzuführen.

Unterschriften

Zu Urkund dessen haben die Bevollmächtigten den gegenwärtigen Vertrag unterzeichnet.
So geschehen zu Bern, in doppelter Urschrift, den zwanzigsten August tausend­neunhundertsiebenundzwanzig.

Motta

de Urrutia

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