Interkantonale Vereinbarung über die computergestützte Zusammenarbeit der Kantone bei ... (912.5)
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Interkantonale Vereinbarung über die computergestützte Zusammenarbeit der Kantone bei der Aufklärung von Gewaltdelikten

Interkantonale Vereinbarung über die computergestützte Zusammenarbeit der Kantone bei der Aufklärung von Gewaltdelikten (ViCLAS-Konkordat) vom 2. April 2009 (Stand 1. Mai 2010) Die Regierungen der Kantone schliessen in Ausführung von Art. 57 der Bundesverfassung 1 ) folgende Verwaltungsvereinbarung ab: 1 Allgmeine Bestimmungen

Art. 1 Gegenstand und Zweck

1 Die interkantonale Vereinbarung (bzw. das Konkordat; nachstehend: Vereinbarung) bezweckt die effiziente Bekämpfung der (seriellen) Gewalt- und Sexualkriminalität durch interkantonale Zusammenarbeit, indem insbesondere:
a) die rechtliche Grundlage für den kantonsübergreifenden Einsatz des Analyseinstruments ViCLAS zur Verhinderung und Aufklä - rung von Delikten gegen die physische und sexuelle Integrität ge - schaffen und
b) die überkantonale Zusammenführung und Auswertung kantonaler Ermittlungsergebnisse und Strafverfahren ermöglicht wird. 2 Diese Vereinbarung regelt, unter welchen Voraussetzungen ViCLAS durch die der Vereinbarung angeschlossenen Kantone sowie dem Fürs - tentum Liechtenstein eingesetzt wird. 1) SR 101 * Änderungstabellen am Schluss des Erlasses 1

Art. 2 Begriff

1 ViCLAS (Violent Crime Linkage Analysis System) ist ein auf bestehen - den Ermittlungsergebnissen basierendes Analysesystem für Gewalt- und Sexualdelikte, das die Grundlage für neue Ermittlungsansätze (Tat- Täter-Zusammenhänge beziehungsweise Tat-Tat-Zusammenhänge) bil - det. Es dient dazu, deliktspezifische Informationen sprachunabhängig auswertbar zu machen.

Art. 3 Anwendungsbereich

1 ViCLAS kommt zur Anwendung in Verfahren gegen eine bekannte oder unbekannte Täterschaft mit lokalen, regionalen, nationalen oder in - ternationalen Ermittlungen. 2 Mit ViCLAS werden Verhaltensweisen und/oder Umstände erfasst, welche in Zusammenhang mit Delikten gegen die physische bzw. sexu - elle Integrität stehen bzw. darauf hindeuten oder sexuell motiviert sind und sich für eine Analyse und Recherche in ViCLAS eignen. Dies bein - haltet insbesondere:
a) Tötungsdelikte (inkl. Versuche),
b) Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung (inkl. Versuche und Antragsdelikte),
c) Vermisstenfälle, wenn die Gesamtumstände auf ein Verbrechen hindeuten,
d) verdächtiges Ansprechen von Kindern und Jugendlichen, wenn auf Grund der Gesamtumstände von einem Gewalt- oder Sexual - motiv auszugehen ist,
e) Entführungen (ohne elterliche Kindesentführung und ohne Entzie - hen von Unmündigen durch Inhaber der elterlichen Gewalt),
f) Tierquälerei im Sinn von Artikel 26 Absatz 1 Buchstaben a und b des Tierschutzgesetzes vom 16. Dezember 2005 (Stand 1. Sep - tember 2008; TSchG 2 ) ), wenn auf Grund der Gesamtumstände von einem Gewalt- oder Sexualmotiv auszugehen ist. 2 Organisation, Zuständigkeiten

Art. 4 Grundsatz

1 Mit dem Betrieb von ViCLAS werden ausschliesslich bestehende Er - mittlungsdaten aus kommunalen beziehungsweise kantonalen polizeili - chen Untersuchungen kantonsübergreifend verarbeitet und analysiert. 2) SR 455 2
2 In ViCLAS werden standardmässig alle verfügbaren ermittlungsrele - vanten Informationen zu den nachfolgenden Bereichen aufgenommen:
a) Angaben über die Täterschaft und ihre Lebenssituation,
b) Angaben über die Opfer und deren Lebenssituation,
c) Angaben über Täter-Opferbeziehung,
d) Angaben zur Tat und zur Vorgehensweise der Täterschaft,
e) Angaben zu Verletzungen und Todesursachen,
f) Angaben über die Tatorte,
g) Art der verwendeten Waffen und Gegenstände,
h) Angaben zu Fahrzeugen, die in einem Zusammenhang mit der Tat und/oder der Täterschaft stehen. 3 Absatz 2 ist ebenso anwendbar auf polizeilich ermittelte, jedoch nicht oder noch nicht gerichtlich beurteilte Daten.

Art. 5 Organisation

1 Der Betrieb des Analysesystems ViCLAS wird durch die Kantonspoli - zei Bern als Zentralstelle und als verantwortliche Lizenznehmerin der Royal Canadian Mounted Police (RCMP) gewährleistet. 2 Die Zentralstelle ViCLAS wird im Betrieb durch fünf regionale Aussen - stellen unterstützt. Diese Aussenstellen werden durch je einen Vertre - terkanton der bestehenden vier Polizeikonkordate sowie die Kantons- oder Stadtpolizei Zürich besetzt. Die Aussenstellen sind für die Bearbei - tung und Analyse der Fälle der Kantone ihres Konkordates zuständig. 3 Jeder Kanton bezeichnet zwei Koordinatoren, welche für den In - formationsaustausch mit den Aussenstellen beziehungsweise der Zentralstelle zuständig sind. 4 Die strategische Leitung von ViCLAS wird durch den Lenkungsaus - schuss ViCLAS wahrgenommen. Diesem gehören der Chef bzw. Chefin Kriminalabteilung der Zentralstelle (Vorsitz) und die Chefs bzw. Chefin - nen der Kriminalpolizei der fünf Aussenstellen an. Der Lenkungsaus - schuss ist der Konferenz der kantonalen Polizeikommandanten (KKPKS) rechenschaftspflichtig. Diese übt die Aufsicht über die Einhal - tung der Vereinbarung aus. 3
3 Betrieb und Datenschutz

Art. 6 Informationsaustausch

1 Die beteiligten Kantone sind ermächtigt, die unter Artikel 3 und 4 be - zeichneten Daten gemäss den Grundsätzen von Artikel 8 gegenseitig auszutauschen, in einem zentralen System zu speichern sowie elektro - nisch auszuwerten. 2 Die Vereinbarungspartner haben sämtliche ViCLAS-relevanten Daten der gemäss Artikel 5 zuständigen Aussenstelle mitzuteilen.

Art. 7 Betriebsbewilligung

1 Das Datenbearbeitungssystem wird von der Kantonspolizei Bern für die ganze Schweiz betrieben. Der Betrieb des Analysesystems ViCLAS wird mit der Betriebsbewilligung des Regierungsrates des Kantons Bern gemäss Artikel 52 Absatz 5 des Polizeigesetzes des Kantons Bern vom 8. Juni 1997 (PolG 3 ) ) geregelt.

Art. 8 Speicherung und Datenpflege

1 Die physische Speicherung der ViCLAS-Daten erfolgt ausschliesslich bei der Zentralstelle. Bezüglich der Datenpflege in ViCLAS gelten die folgenden Grundsätze:
a) Die Aussenstellen können ihre eigenen Daten mutieren und ha - ben ein Leserecht für die Daten der anderen Aussenstellen sowie der Zentralstelle.
b) Das Recht, den ganzen Datensatz, d.h. auch die Daten der fünf ViCLAS-Aussenstellen zu mutieren, kommt ausschliesslich der Zentralstelle zu.
c) Die Löschung erfolgt durch die Zentralstelle.

Art. 9 Verantwortlichkeit

1 Die Verantwortung für die Einhaltung des Datenschutzes und die Ge - währleistung der Datensicherheit liegt beim Polizeikommandanten be - ziehungsweise bei der Polizeikommandantin des Kantons Bern. Die ViCLAS-Mitarbeiter und - Mitarbeiterinnen der Zentralstelle sowie der Aussenstellen sind daneben auch persönlich für die Einhaltung der An - liegen und Vorgaben des Datenschutzes verantwortlich. 3) BSG 551.5 4

Art. 10 Akteneinsichtsrecht

1 Verlangt eine Person nach Massgabe des anwendbaren kantonalen Datenschutzrechts Auskunft oder Einsicht in die von der Polizei über sie bearbeiteten Daten, ist die zuständige kantonale Polizeibehörde zur Weiterleitung des Gesuchs als Teilgesuch an die zuständige Aussen - stelle verpflichtet, wenn
a) sich aus den bearbeiteten Daten Anhaltspunkte für einen ViC - LAS-Eintrag ergeben oder
b) der Gesuchsteller oder die Gesuchstellerin dies verlangt. 2 Es ist zulässig, Gesuche um Auskunft und Einsicht unmittelbar an die Aussenstelle oder die Zentralstelle zu richten. 3 Die Aussenstelle hat das Gesuch stets an die Zentralstelle weiterzulei - ten. 4 Die Zentralstelle behandelt das Gesuch und gibt dem Gesuchsteller oder der Gesuchstellerin Auskunft oder Einsicht. Bestehen für das Aus - kunfts- und Einsichtsrecht vor der zuständigen kantonalen Polizeibehör - de Einschränkungen, hat die Zentralstelle diese zu beachten.

Art. 11 Berichtigung von Daten

1 Jede Person hat Anspruch darauf, dass Personendaten, die über sie in ViCLAS unrichtig erfasst worden sind oder nicht notwendig sind, berich - tigt oder vernichtet werden. 2 Zur Vornahme der Berichtigung zuständig ist die Zentralstelle.

Art. 12 Verfahren und Rechtsschutz

1 Die im Zusammenhang mit ViCLAS stehenden Auskunfts- und Berich - tigungsgesuche sowie alle anderen im Zusammenhang mit der vorlie - genden Vereinbarung stehenden datenschutzrechtlichen Ansprüche richten sich – soweit diese Vereinbarung keine abweichenden Regelun - gen enthält – nach dem Datenschutzgesetz des Kantons Bern vom 19. Februar 1986 (KDSG 4 ) ). 2 Zuständige Datenaufsichtsstelle ist die Datenaufsichtsstelle des Kantons Bern. 4) BSG 152.04 5

Art. 13 Löschung von Daten

1 Die in ViCLAS erfassten Datensätze werden gemäss den nachfolgen - den Fristen gelöscht:
a) Die Datensätze werden im Analysesystem grundsätzlich 40 Jahre ab Eingabe gespeichert. Die Daten werden nach dieser Frist oder nach Ableben der Tatbeteiligten gelöscht.
b) Die Frist kann in Fällen erheblicher Wiederholungsgefahr und in Absprache mit der betroffenen Polizei auf Antrag der Zentralstelle durch die zuständige richterliche Behörde des betreffenden Kantons um jeweils fünf Jahre verlängert werden.
c) Bei Wiederholungstätern ist für den Beginn des Fristenlaufs das letzte im Analysesystem erfasste Delikt massgebend.
d) Der Fristenlauf steht still während dem Vollzug einer Freiheits - strafe oder einer stationären Massnahme.
e) Die gespeicherten Datensätze über die (mutmassliche) Täter - schaft sind von Amtes wegen zu löschen: 1. unter Vorbehalt von Buchstabe f nach einem Freispruch bezüglich der Daten, welche diesen Freispruch betreffen, oder 2. sobald gegen einen (mutmasslich) Tatbeteiligten ein Ver - dacht definitiv ausgeräumt ist.
f) Erfolgte ein Freispruch oder die Verfahrenseinstellung wegen Schuldunfähigkeit des Täters, so wird bezüglich der Datenlö - schung gemäss den Grundsätzen von Buchstaben a bis d vorge - gangen. 2 Für Daten von Opfern und bei Registrierungen nach Artikel 3 Absatz 2 Buchstabe d überprüft die Zentralstelle auf Gesuch hin unabhängig von den festgelegten Fristen, ob die vorhandenen Daten noch benötigt wer - den. Alle nicht mehr benötigten Daten werden im Analysesystem ge - löscht. Daten von Opfern können auf Gesuch anonymisiert werden. 3 Die Behörden, die für die Meldung der löschungspflichtigen Daten be - ziehungsweise des Friststillstands während des Vollzugs einer Frei - heitsstrafe oder einer Massnahme zuständig sind, werden durch das kantonale Recht bestimmt. 6
4 Finanzierung

Art. 14 Kostenregelung

1 Die Kantonspolizei Bern trägt sämtliche aus dem Betrieb der Zentral - stelle resultierenden Personal- und Infrastrukturkosten. 2 Die Betriebs- und Investitionskosten der Aussenstellen werden durch die an der jeweiligen Aussenstelle angeschlossenen Kantone oder durch das Polizeikonkordat des entsprechenden Aussenstellenstandorts getragen. 3 Anfallende Lizenzkosten sowie vom Lenkungsausschuss beschlosse - ne Ausgaben für systembedingte Erneuerungen und Anschaffungen werden auf die Vereinbarungspartner proportional zur Einwohnerzahl aufgeteilt. 5 Schlussbestimmungen

Art. 15 Beitritt und Kündigung

1 Jeder Kanton kann der Vereinbarung jederzeit beitreten. Der Beitritt wird sofort wirksam. 2 Jeder Vertragspartner kann seine Mitgliedschaft unter Einhaltung einer Frist von sechs Monaten auf das Ende eines Kalenderjahres kündigen. Ein Austritt hat keinen Einfluss auf den bis dahin eingegebenen Daten - bestand. 3 Das Beitrittsgesuch sowie die Kündigung sind an die KKJPD zu rich - ten.

Art. 16 Vollzug

1 Die Kantone erlassen die zum Vollzug dieser Vereinbarung erforderli - chen Bestimmungen. 2 Die Polizeikonkordate bestimmen die für sie zuständige Aussenstelle gemäss Art. 5 Abs. 2.

Art. 17 Inkrafttreten

1 Die Vereinbarung tritt in Kraft, sobald ihm der Kanton Bern sowie min - destens zwei weitere Kantone beigetreten sind 5 ) . 5) Datum des Inkrafttretens: 1. Mai 2010 7
2 Änderungen der Vereinbarung bedürfen der Zustimmung aller Ver - tragspartner.

Art. 18 Notifikation an den Bund

1 Das Generalsekretariat der Konferenz der Kantonalen Justiz- und Poli - zeidirektorinnen und - direktoren (KKJPD) informiert die Bundeskanzlei über die vorliegende Vereinbarung. Das Verfahren richtet sich nach Arti - kel 27o RVOV (SR 172.010.1).

Art. 19 Fürstentum Liechtenstein

1 Dieser Vereinbarung kann das Fürstentum Liechtenstein auf der Grundlage seiner eigenen Gesetzgebung beitreten. Ihm stehen alle Rechte und Pflichten der anderen Vereinbarungspartner zu.

Art. 20 Rechtspflege

1 Für allfällige, sich aus der Anwendung und Auslegung dieser Verein - barung ergebende Streitigkeiten zwischen den Vereinbarungskantonen wird ein Schiedsgericht eingesetzt. 2 Schiedsgerichtsinstanz ist der Vorstand der KKJPD. 3 Die Bestimmungen des Konkordats über die Schiedsgerichtsbarkeit vom 27. März 1969 6 ) finden Anwendung. 4 Das Schiedsgericht entscheidet endgültig. 5 Für besondere Fälle kann es ein unabhängiges Schiedsgericht einset - zen.

Art. 21 Übergangsbestimmungen

1 Auf die seit der operativen Inbetriebnahme von ViCLAS per Mai 2003 im Analysesystem erfassten Daten findet die vorliegende Vereinbarung sinngemässe Anwendung. Die entsprechenden Daten bleiben gespei - chert und dürfen unter Einhaltung der in dieser Vereinbarung aufgestell - ten Grundsätze verwendet werden. 2 Eine Neuerfassung von Daten für Vorkommnisse nach Art. 3, welche sich vor Inkrafttreten der vorliegenden Vereinbarung ereignet haben, ist für Tötungsdelikte bis 1978 und für Sexualdelikte bis 1993 möglich, so - fern eine ViCLAS-Relevanz gegeben ist und die Daten in einer verwert - baren Qualität vorliegen. 6) BSG 279.2 8
3 Daten, welche nach dem massgeblichen kantonalen Recht bereits ge - löscht sein müssten, dürfen in ViCLAS nicht erfasst werden. 4 Vor Inkrafttreten dieser Vereinbarung bereits erfasste Daten sind zu löschen, wenn sie gemäss den in dieser Vereinbarung aufgestellten Grundsätzen nicht neu erfasst werden dürfen. 5 Daten von Vorkommnissen nach Art. 3, welche sich vor Inkrafttreten dieser Vereinbarung ereignet haben, dürften nur dann neu erfasst wer - den, sofern diese den in dieser Vereinbarung aufgestellten Grundsätzen nicht widersprechen. 9
Änderungstabelle - Nach Beschluss Beschluss Inkrafttreten Element Änderung Fundstelle 02.04.2009 01.05.2010 Erlass Erstfassung 2009, 1527 10
Änderungstabelle - Nach Artikel Element Beschluss Inkrafttreten Änderung Fundstelle Erlass 02.04.2009 01.05.2010 Erstfassung 2009, 1527 11
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