KANTONALE VOLLZIEHUNGSVERORDNUNG zum Bundesgesetz betreffend Massnahmen gegen gemeingefährliche Epidemien
1 KANTONALE VOLLZIEHUNGSVERORDNUNG zum Bundesgesetz betreffend Massnahmen gegen gemeingefährliche Epidemien (LRB vom 29. Februar 1888 1 ; Stand am 1. Januar 2007) Der Landrat des Kantons Uri, in Ausführung des Bundesgesetzes betreffend Massnahmen gegen gemein- gefährliche Epidemien vom 2. Juli 1886 2 , und des bundesrätlichen Kreis- schreibens vom 4. November 1887, auf Antrag des Regierungsrates, verordnet:
Artikel 1 Beim Herann ahen einer gemeingefährlichen Epidemie, nämlich Pocken, asiatische Cholera, Fleckfieber (Kriegs- und Hungertyphus) und Pest, wo- von den Gemeinden von der Oberbehörde Kenntnis gegeben wird, oder beim plötzlichen Ausbruch einer solchen Krankheit haben die Gemeinderäte
1. sofort einen Ausschuss von 3 Mitgliedern zu wählen, der eine genaue und fortwährende Kontrolle über die Qualität des zur Verwendung kom- menden Trinkwassers, der Lebensmittel, der Getränke und der Wohnun- gen nach bereits bestehenden oder noch zu erlassenden Vorschriften tunlichste Beseitigung derselben zu sorgen hat;
2. für ein angemessenes Absonderungslokal zu sorgen, bzw. ein solches gegen Entschädigung zu requirieren, das folgende Eigenschaften besit- zen soll: a) es soll freistehend, nicht innert Häusermassen, aber auch nicht zu entfernt von einer Ortschaft und nicht sehr einsam liegen; b) in der Nähe gutes und genügendes Trinkwasser haben, in gesunder Lage und in gutem baulichem Zustande sich befinden; c) nebst der Küche mindestens zwei geräumige, bewohn- und heizbare Zimmer haben, welche mit allem zur Aufnahme von mindestens drei Kranken und eines Wärters nötigen Mobiliar ausgerüstet sein sollen;
3. rechtzeitig ein je nach der Einwohnerzahl und den Verkehrsverhältnissen zu bestimmendes genügendes, zuverlässiges Wärter- und Transport- Personal zu beschaffen; ___________
1 in Kraft gesetzt auf den 1 August 1888 (AB vom 12. Juli 1888)
2 BS 4/345
2
4. geeignete Transportmittel: Tragbahre, Wagen etc. samt Decken bereit zu halten;
5. auf ein angemessenes Lokal zur allfälligen Aufnahme auslogierter «Ge- sunder» Bedacht zu nehmen.
Artikel 2
1 Bei jedem in Artikel 1 genannten Krankheitsfalle hat vorab der Inhaber der Wohnung oder im Unterlassungsfalle jeder volljährige Hausgenosse die Pflicht, dem Gemeindepräsidenten oder dessen Stellvertreter unverzüglich Anzeige zu machen. Diese Anzeigepflicht liegt auch dem allfälligen behan- delnden Arzte ob, welcher sofort die notwendigen Anordnungen zu treffen und hievon sowohl dem betreffenden Gemeindepräsidenten als auch behufs Genehmigung der zuständigen Direktion 3 direkt Kenntnis zu geben hat.
2 Unabhängig von der allfälligen ärztlichen Mitteilung übermittelt auch der Gemeindepräsident die Anzeige nach ärztlicher Feststellung der Krankheit — unverweilt der zuständigen Direktion 4 , welche nach Erhalt derselben so- fort einen patentierten Arzt mit den erforderlichen Instruktionen an Ort und Stelle senden wird, der während der ganzen Dauer der Epidemie sowohl die Ausführungen dieser Verordnung als auch die Tätigkeit allfällig weiterer Ärz- te unter Verantwortlichkeit zu überwachen hat.
Artikel 3 Die Gemeinde räte respektive deren Präsidenten haben inzwischen für exak- te Isolierung des Kranken zu sorgen. Diese besteht darin, dass derselbe:
1. entweder allein oder nur mit gleichartigen Kranken in ein Zimmer einge- schlossen wird;
2. dass die Personen, welche die Krankenpflege besorgen, mit dem Kran- ken im gleichen oder in einem anstossenden, ebenfalls abgeschlosse- nen Zimmer verbleiben und nicht mit den übrigen Hausgenossen verkeh- ren;
3. dass der Austausch der Gefässe, Arzneien, Lebensmittel etc. vor der Türe des Krankenzimmers, mit sorgfältiger Vermeidung eines unmittel- baren Personenverkehrs und unter Anwendung passender Desinfektion nach später zu erlassenden Vorschriften, stattfinde.
Artikel 4 Der Kranke kann in seiner Wohnung und die übrigen Bewohner ausserhalb der Absperrung im Hause verbleiben, insofern die Isolierung gehörig durch- geführt werden kann und auch durchgeführt wird und hat in diesem Falle die Isolierung ungeschwächt fortzudauern, bis der Krankheitsfall ganz ___________
3 Fassung gemäss Art. 86 Anh. II Ziff. 46 Organisationsverordnung (RB 2.3321)
4 Fassung gemäss Art. 86 Anh. II Ziff. 46 Organisationsverordnung (RB 2.3321)
3 abgelaufen und die Desinfektion in ihrem ganzen Umfange vollständig aus- geführt worden ist.
Artikel 5
1 Wo aber die Durchführung der Isolierung ohne Gefahr für die öffentliche Sicherheit nicht möglich oder nicht befolgt wird, soll der Gemeinderat entwe- der den Kranken im Hause belassen und alle übrigen gesunden Hausbe- wohner in andere Lokalitäten (siehe oben) auslogieren, oder aber den Kran- ken selbst in das oben bezeichnete Absonderungslokal transportieren.
2 Letzteres hat bei Reisenden und solchen, die im Orte keine Wohnung be- sitzen, immer zu geschehen.
3 Das Auslogieren Gesunder darf und soll auch stattfinden aus Häusern, in denen eine gemeingefährliche Krankheit zwar noch nicht ausgebrochen, die aber wegen Übervölkerung, Armut, Unreinlichkeit etc. voraussichtlich oder vielleicht schon erfahrungsgemäss eine stetige drohende Gefahr eines An- steckungsherdes in sich bergen.
4 Die Auslogierten dürfen ihren Geschäften nachgehen, solange sie gesund und unverdächtig sind.
5 Kinder aber aus Pocken- und Fleckfieberhäusern, obwohl selbst gesund, müssen von der Schule und Kirche zurückgehalten werden.
6 Der Arzt ist jedoch berechtigt, unter Umständen noch weitere Verkehrsbe- schränkungen vorübergehend anzuordnen.
Artikel 6
1 Die zuständige Direktion 5 wird überdies sowohl die Bewohner des Hauses, worin ein Kranker liegt, und die Personen, die mit demselben in Berührung gekommen, als auch die Auslogierten und endlich das ganze Quartier, worin ein derartiger Krankheitsfall vorgekommen, einer beständigen Überwachung unterstellen, welche durch den dazu beorderten patentierten Arzt, der mit bestimmten Vollmachten ausgerüstet ist, durch zeitweilige Besuche und Untersuche am Orte selbst oder durch periodische Stellung der Überwach- ten im Hause des Arztes oder einem hiezu bezeichneten Orte ausgeübt wird.
2 Der betreffende Gemeinderat hat dem Arzte dabei bereitwillig an die Hand zu gehen, ihn zu unterstützen und die von ihm als notwendig bezeichneten Massnahmen auszuführen.
3 Freiwillig Auslogierte, Choleraflüchtige und dergleichen sind auf gleiche Weise, jedoch auf deren eigene Kosten zu kontrollieren. ___________
5 Fassung gemäss Art. 86 Anh. II Ziff. 46 Organisationsverordnung (RB 2.3321)
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Artikel 7 Bei a llfälligen Todesfällen ist dem Gemeindepräsidenten und durch diesen der zuständigen Direktion 6
sofort Anzeige zu machen, der Leichnam nach stattgehabter ärztlicher Totenschau beförderlichst von den Wärtern einzu- sargen und von denselben, nachdem sie sich selbst desinfiziert, innert 24 Stunden nach erfolgtem Tode zur Nachtzeit und ohne alle Ceremonien mit tunlichster Vermeidung jeder Annäherung von andern Menschen, zu begra- ben. Die Isolierung der bisher bewohnten Räumlichkeiten hat bis zur erfolg- ten vollständigen Desinfektion derselben strengstens fortzudauern.
Artikel 8
1 Die Gemeinderäte sind gehalten, die aus der Durchführung dieser Verord- nung erwachsenden Kosten zu bezahlen.
2 Dagegen ersetzt der Kanton den Gemeinden ¾ der Auslagen: a) für Unterbringung von Kranken, Verpflegung und ärztliche Behandlung der unfreiwillig internierten und der in Krankenasylen untergebrachten Kranken; b) für Isolierung, Überwachung und Auslogierung von Gesunden und für daherige Erwerbsverluste; c) für Desinfektion und sanitarische Überwachung des Verkehrs, insofern den zur Vollziehung dieser Verordnung verpflichteten Behörden und An- gestellten der Gemeinde hinsichtlich der rechtzeitigen und vollständigen Durchführung derselben keine Pflichtverletzung oder Nachlässigkeit zur Last fällt und dem Kanton die im Artikel 8 des zitierten Bundesgesetzes vorgesehene Entschädigung vom Bunde ausbezahlt wird. Diese Entschädigung fällt in die Staatskasse. 7
Artikel 9
1 Die Nichtbeachtung oder Umgehung der in dem Gesetze und in dieser Verordnung vorgeschriebenen Massregeln wird laut Gesetz 8 mit einer Bus- se von Fr. 10.— bis 500.— bestraft. 9
2 In schweren Fällen, insbesondere bei absichtlicher Umgehung sanitäts- polizeilicher Anordnungen kann die Geldbusse bis auf Fr. 1 000.— erhöht werden 10 und werden unerhältliche Geldbussen, nach dem Massstabe von Fr. 5.— per Tag 11 , in Gefängnisstrafe umgewandelt.
3 Den oben vorgesehenen Strafen unterliegen auch im besondern: ___________
6 Fassung gemäss Art. 86 Anh. II Ziff. 46 Organisationsverordnung (RB 2.3321)
7 Fassung gemäss LRB vom 15. Dezember 1999, in Kraft gesetzt auf den 1. Januar 2001 (AB vom 24. Dezember 1999).
8 Hier handelt es sich um Wiedergabe der Strafbestimmungen in Art. 9 des BG
9 EG/StGB Art. 20
10 Hier handelt es sich um Wiedergabe der Strafbestimmungen in Art. 9 des BG
11 Diese Vorschrift ist überholt durch Art. 6 des EG/StGB
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1. diejenigen, welche die Anzeige vom Ausbruche einer der in Artikel 1 ge- nannten Krankheiten zu spät, nämlich bei Cholera nicht innert den ersten 12 und bei den übrigen Fällen nicht innert den ersten 24 Stunden ma- chen;
2. diejenigen, welche den Anordnungen der kompetenten Behörde zuwi- derhandeln.
Artikel 10 Der Regierun gsrat überwacht die Vollziehung dieser Verordnung und trifft die hiefür erforderlichen Massregeln.
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