Gesetz über die Einigungsämter (961.700)
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Gesetz über die Einigungsämter

Gesetz über die Einigungsämter Vom 8. März 1944 (Stand 1. Januar 2008) Der Grosse Rat des Kantons Aargau, in Ausführung des Art. 60 der Staatsverfassung 1 ) und der Art. 29–35 des Bundesgesetzes betreffend die Arbeit in den Fabriken vom 18. Juni 1914
2 ) , beschliesst:

1. Das kantonale Einigungsamt

§ 1 Befugnisse

1 Das kantonale Einigungsamt mit Sitz in Aarau vermittelt in Kollektivstreitigkeiten zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern und entscheidet in Streitfällen über die Auslegung von Gesamt- und Normalarbeitsverträgen.
2 Der Grosse Rat kann dem Einigungsamt weitere Befugnisse übertragen.

§ 2 Wahl und Bestellung

1 Der Regierungsrat wählt in das kant onale Einigungsamt für eine vierjährige Amtsdauer den Obmann, zwei Stellvertret er und den Aktuar; ferner aus der Gruppe der Arbeitgeber und Arbeitnehmer je einen st ändigen Vertreter, je drei Ersatzmänner und je drei Fachbeisitzer.

§ 3 Wählbarkeit

1 Als Obmann und dessen Stellvertreter können nur Personen gewählt werden, die weder einer Arbeitgeber- noch Arbeitnehmergruppe angehören.
1) AGS Bd. 1 S. 1; der genannten Bestimmung en tspricht heute § 98 Abs. 2 der Verfassung des Kantons Aargau vom 25. Juni 1980, in Kraft seit 1. Januar 1982 (SAR 110.000 ).
2) SR 821.41
2 Als ständiger Vert reter, als Ersatzma nn und als Fachbeisitzer ist wählbar, wer Arbeitgeber bzw. Arbeitnehmer ist. Als Vertreter der Arbeitgeber können auch Direktoren und höhere Ange stellte gewählt werden.
3 Die Fachbeisitzer unterliegen dem Amtszwang für die Dauer einer Amtsperiode, sofern sie nicht das 60. Altersjahr zurü ckgelegt haben oder wegen Krankheit oder Gebrechen ausser Stande sind, dieses Amt auszuüben.
4 Wer seine bisherige Eigenschaft als Arbeitgeber oder Arbeitnehmer verliert oder wer sonst einer Voraussetzung der Wä hlbarkeit verlustig geht, hört auf, Fachbeisitzer bzw. Mitglied des Einigungsamtes zu sein.

§ 4 Zusammensetzung als Vermittlungsinstanz, Schiedsgericht

1 Das kantonale Einigungsamt als Vermittl ungsinstanz besteht aus dem Obmann und dem ständigen Vertreter der Ar beitgeber und Arbeitnehmer.
2 Das Einigungsamt ist befugt, wenn Umfang und Bedeutung der Kollek- tivstreitigkeit es als angezeigt erscheinen lassen, je einen Fachbeisitzer beizuziehen.
3 Erklären die Parteien, sich einem verbindlichen Schiedsspruch zu unterziehen, so wird das Einigungsamt auf Wunsch beider Parteien durch die Stellvertreter des Obmannes ergänzt.

§ 5 Austritt und Ablehnung

1 Der Obmann, Beisitzer oder Aktuar darf an einer Verhandlung nicht teilnehmen und ist von Amtes wegen zum Austritt verhalten: 1 ) a) in Streitsachen, an deren Ausgang er ein persönliches Interesse hat, b) 2 ) in Streitsachen mit Personen, die mit ihm oder seinem Ehegatten beziehungsweise eingetragenen Partne r in gerader Linie oder in der Seitenlinie bis zum Grad von Geschwiste rkindern verwandt oder verschwägert sind, c) in Streitsachen, in denen er ein Gut achten abgegeben hat oder in denen er als Zeuge einvernommen worden oder noch einzuvernehmen ist.
2 Austrittsgründe sind dem Aktuar des Eini gungsamtes nach Erhalt der Einladung zu einer Verhandlung sofort mitzuteilen.
3 Die Parteien sind berechtigt, gesetzliche Ablehnungsgründe geltend zu machen. Zu diesem Zwecke ist ihnen die Zusamme nsetzung des Einigungsamtes mit der Vorladung zur Verhandlung bekannt zu geben.
4 Ist es strittig, ob ein Austrittsfall vorli egt oder ob ein Mitglied abgelehnt werden den Aktuar handelt; der Regierungsrat, wenn es sich um einen Obmann handelt.
1) Fassung des Einleitungssatzes gemäss Zi ff. 12 der Verordnung über den Vollzug des Partnerschaftsgesetzes vom 29. März 2006, in Kraft seit 1. Januar 2007 (AGS 2006 S. 117).
2) Fassung gemäss Ziff. I./12. des Gesetzes übe r die Anpassungen der kantonalen Gesetze an das Partnerschaftsgesetz vom 20. März 2007, in Kraft seit 1. Januar 2008 (AGS 2007 S. 329).

§ 6 Verfahren

1 Das Einigungsamt lässt seine Vermittlung auf Begehren der Beteiligten, auf Weisung des Regierungsrates oder von sich aus eintreten.

§ 7 Anzeigepflicht

1 Der Ausbruch einer Kollektivstreiti gkeit ist dem Einigungsamt schriftlich anzuzeigen, sobald direkte Verständigungsvers uche der Parteien zu keinem Erfolg geführt haben oder sobald eine wirtscha ftliche Kampfhandlung, wie Streik, Sperre, Kollektivkündigung, Boykott, Aussperrung vorgenommen wird.

§ 8 Erscheinungspflicht

1 Alle vor das Einigungsamt oder den Ob mann Vorgeladenen sind bei Busse von Fr. 5.– bis 500.– verpflichtet, zu erscheinen , zu verhandeln, Auskunft zu erteilen und sich bis zum Schlusse des Verfahrens aller eigenmächtigen Vorkehren gegenüber der Gegenpartei zu enthalten.
2 Das Einigungsamt ist befugt, den Partei en unter Hinweis auf die Strafandrohung des Art. 292 des Schweizerischen Stra fgesetzbuches Weisungen zu erteilen.

§ 9 Vertretung

1 Jede Partei ist berechtigt, zur Verhandl ung höchstens drei Vertreter abzuordnen.
2 In besonderen Fällen kann einer Pa rtei auf Ansuchen hin vom Obmann eine grössere Anzahl von Vertretern bewillig t werden. Die Gegenpartei ist hievon rechtzeitig zu verständigen, und es ist ihr die gleiche Befugnis einzuräumen.

§ 10 Vermittlungsverfahren

1 Der Obmann kann in jedem Stadium der Verhandlung den Parteien einen Vorschlag machen oder sie zu einer Präs idialverhandlung vorladen. Kommt eine Einigung nicht zu Stande, so stellt das Einigungsamt nach Abschluss der Verhandlungen einen Vermittlungsvorschlag au f und eröffnet ihn den Parteien unter Einräumung einer angemessenen Frist zur Abgabe einer Erklärung über Annahme oder Ablehnung.

§ 11 Schiedsverfahren

1 Sind die Vermittlungsverhandl ungen gescheitert, so sind die Parteien zu befragen, ob sie sich in Bezug auf die unerledigten, vom Einigungsamt genau zu umschreibenden Streitpunkte einem verbindlichen Sc hiedsspruch unterziehen wollen. Erklären sich beide Parteien hiezu bereit, so wird sofort das Schiedsverfahren eingeleitet.
2 Der Schiedsspruch ist für beide Parteien verbindlich und kann nicht weitergezogen werden.

§ 12 Beschlussfassung

1 Die Beschlüsse und Schiedssprüch e des Einigungsamtes werden mit Stimmenmehrheit in geheimer Sitzung ge fasst. Bei Stimmenglei chheit entscheidet der Vorsitzende. Sämtliche Mitglieder de s Einigungsamtes sind zur Stimmabgabe verpflichtet.
2 Der Aktuar hat beratende Stimme.

§ 13 Kosten

1 Die Kosten des Verfahrens trägt der Staat.
2 Der Grosse Rat setzt die Entschädigungen für den Vorsitzenden, die Mitglieder des Einigungsamtes und die Sachverständigen fest.

§ 14 Aufsicht

1 Das Einigungsamt steht unter der Aufsicht des Regierungsrates, dem es alljährlich zuhanden des Grossen Rates über se ine Tätigkeit Bericht erstattet.
2 Beschwerden gegen seine Amtsführung und gegen seine Bussenverfügungen sind innert zehn Tagen beim Re gierungsrat anzubringen.

2. Einigungsstellen von Berufsverbänden

§ 15 Verbandsmässige Einigungsstelle

1 Errichten mehrere Arbeitgeber und die Arbeitnehmer desselben Wirt- schaftszweiges eine Einigungsstelle, so tritt diese statt des kantonalen Einigungsamtes in Tätigkeit.

§ 16 Verbindliche Schiedssprüche

1 Die Parteien können der verbandsmässige n Einigungsstelle allg emein die Befugnis übertragen, verbindliche Schiedssprüche zu fällen.

§ 17 Besetzung der Einigungsstellen

1 Bei der Besetzung der Eini gungsstellen sind die Arbe itgeber und Arbeitnehmer gleichmässig zu berücksichtigen.
2 Wenn die Parteien über die Zusammens etzung oder Tätigkeit der Einigungsstelle keine oder ungenügende Vereinbarung en getroffen haben oder wenn die Einigungsstelle nicht oder nicht rechtzeitig amtet, kann der Regierungsrat auf Antrag einer Partei den Streitfall dem kantonalen Einigungsamt überweisen.

3. Schlussbestimmungen

§ 18 Aufgehobenes Recht

1 Durch dieses Gesetz werden die Bestimmungen über di e Einigungsämter, insbesondere die §§ 47–51 des Geset zes betreffend die gewerblichen Schiedsgerichte und Einigungsämter vom 4. Dezember 1908 sowie alle entgegenstehenden gesetzlichen Be stimmungen und Verordnungen aufgehoben.

§ 19 Inkrafttreten

1 Der Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes wird durch den Regierungsrat bestimmt.
2 Er erlässt die nötigen Vollzugsvorschriften. Aarau, den 8. März 1944 Präsident des Grossen Rates D R
. AUMANN Der Staatsschreiber D R
. EUBERGER Inkrafttreten: 1. Januar 1945
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