Auslieferungsvertrag zwischen der Schweiz und Kanada
Abgeschlossen am 7. Oktober 1993 Von der Bundesversammlung genehmigt am 12. Juni 1995³ In Kraft getreten durch Notenaustausch am 19. März 1996 ¹ AS 1996 328 ; BBl 1995 I 745 ² Der französische Originaltext findet sich unter der gleichen Nummer in der entsprechenden Ausgabe dieser Sammlung. ³ Art. 1 Abs. 1 Bst. a des BB vom 12. Juni 1995 ( AS 1996 317 ).
Der Schweizerische Bundesrat und die Regierung von Kanada,
vom Wunsche geleitet, die Zusammenarbeit beider Staaten bei der Bekämpfung, der Kriminalität wirksamer zu gestalten und den Verkehr zwischen den beiden Staaten auf dem Gebiet der Auslieferung neu zu regeln,
in Bestätigung der gegenseitigen Anerkennung ihrer Rechtssysteme und rechtlichen Institutionen,
haben folgendes vereinbart:
Art. 1 Auslieferungsverpflichtung
Die Vertragsstaaten verpflichten sich, gemäss den Bestimmungen dieses Vertrages einander die Personen auszuliefern, die im ersuchenden Staat wegen einer auslieferungsfähigen strafbaren Handlung verfolgt oder zur Vollstreckung einer Strafe oder einer die Freiheit beschränkenden Massnahme gesucht werden.
Art. 2 Auslieferungsfähige Straftaten
1. Die Auslieferung wird bewilligt wegen strafbarer Handlungen, die nach dem Recht beider Staaten mit einer Freiheitsstrafe oder die Freiheit beschränkenden Massnahme im Höchstmass von mindestens einem Jahr oder mit einer schwereren Strafe bedroht sind. Bezieht sich das Auslieferungsersuchen auf eine Person, die wegen einer solchen Handlung verurteilt worden ist und die zur Vollstreckung einer Freiheitsstrafe oder die Freiheit beschränkenden sichernden Massnahme gesucht wird, so wird die Auslieferung nur bewilligt, wenn noch mindestens sechs Monate der Freiheitsstrafe oder einer die Freiheit beschränkenden Massnahme zu verbüssen sind.
2. Betrifft das Auslieferungsersuchen mehrere strafbare Handlungen, von denen jede nach dem Recht beider Staaten strafbar ist, einige aber die übrigen Bedingungen von Absatz 1 nicht erfüllen, so kann der ersuchte Staat die Auslieferung auch für diese Handlungen bewilligen.
3. Betrifft das Auslieferungsersuchen sowohl eine Freiheitsstrafe oder eine die Freiheit beschränkende sichernde Massnahme gemäss Absatz 1 als auch eine Geldstrafe, so kann der ersuchte Staat die Auslieferung auch für die Vollstreckung der Geldstrafe bewilligen.
4. Ist die strafbare Handlung, derentwegen die Auslieferung verlangt wird, ausserhalb des Hoheitsgebietes des ersuchenden Staates begangen worden, so wird die Auslieferung bewilligt, wenn die auszuliefernde Person die Staatsangehörigkeit des ersuchenden Staates besitzt. Besitzt die Person, deren Auslieferung verlangt wird, nicht die Staatsangehörigkeit des ersuchenden Staates, so liegt es im Ermessen des ersuchten Staates, die Auslieferung zu bewilligen.
5. Im Sinne dieses Artikels:
a ) gilt eine strafbare Handlung als auslieferungsfähig, ungeachtet, ob das Recht der Vertragsstaaten die strafbare Handlung in dieselbe Kategorie einordnet oder mit anderen Begriffen bezeichnet;
b) wird bei der Beurteilung, ob die Handlung im ersuchten Staat eine auslieferungsfähige Handlung darstellt, die Gesamtheit der der auszuliefernden Person zur Last gelegten strafbaren Handlungen berücksichtigt.
6. Die Auslieferung kann bewilligt werden, unabhängig davon, wann die strafbare Handlung, derentwegen die Auslieferung verlangt wird, begangen wurde, vorausgesetzt, dass die Handlung:
a) zum Zeitpunkt ihrer Begehung im ersuchenden Staat strafbar war; und
b) wäre sie im ersuchten Staat begangen worden, zum Zeitpunkt der Stellung des Auslieferungsersuchens nach dem Recht dieses Staates strafbar gewesen wäre.
Art. 3 Ausnahmen von der Auslieferung
1. Die Auslieferung wird nicht bewilligt, wenn:
a) die strafbare Handlung, derentwegen die Auslieferung verlangt wird, vom, ersuchten Staat als eine politische strafbare Handlung angesehen wird;
b) ernsthafte Gründe zur Annahme bestehen, dass das Auslieferungsersuchen wegen einer nach gemeinem Recht strafbaren Handlung gestellt worden ist, um eine Person wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität oder politischen Anschauung zu verfolgen oder zu bestrafen;
c) die strafbare Handlung, derentwegen die Auslieferung verlangt wird, als strafbare Handlung gegen Militärrecht angesehen wird und keine Straftat nach gemeinem Recht darstellt;
d) gegen den Verfolgten wegen Handlungen, derentwegen die Auslieferung verlangt wird, im ersuchten Staat ein rechtskräftiges Urteil ergangen ist; oder
e) nach dem Recht eines Vertragsstaates die Strafverfolgung oder Strafvollstreckung verjährt ist.
2. Die Auslieferung kann abgelehnt werden, wenn:
a) die strafbare Handlung, derentwegen die Auslieferung verlangt wird, vom ersuchten Staat als eine fiskalische strafbare Handlung angesehen wird;
b) die Person, um deren Auslieferung ersucht wird, die Staatsangehörigkeit des ersuchten Staates besitzt. Verweigert der ersuchte Staat die Auslieferung eigener Staatsangehöriger, so hat er auf Begehren des ersuchenden Staates die Angelegenheit den zuständigen Behörden zu unterbreiten, damit ein gerichtliches Strafverfahren wegen aller oder einzelner strafbarer Handlungen, derentwegen die Auslieferung verlangt wurde, durchgeführt werden kann. Massgebender Zeitpunkt für die Bestimmung der Staatsangehörigkeit ist die Begehung der strafbaren Handlung, derentwegen die Auslieferung verlangt wird;
c) die strafbare Handlung, derentwegen die Auslieferung verlangt wird, der Gerichtsbarkeit des ersuchten Staates unterliegt und dieser die strafbare Handlung zu verfolgen beabsichtigt. In diesem Fall entscheidet die zuständige Behörde des ersuchten Staates vor Ablehnung nach Rücksprache mit den zuständigen Behörden des ersuchenden Staates, ob der Verfolgte ausgeliefert wird oder ob sie den Fall ihren zuständigen Behörden zur Strafverfolgung unterbreitet. Bei diesem Entscheid berücksichtigt der ersuchte Staat alle massgebenden Umstände, namentlich: – den Zeitpunkt und den Begehungsort jeder strafbaren Handlung oder den Ort der beabsichtigten Begehung;
– den Ort, wo die Wirkungen eingetreten sind oder hätten eintreten sollen;
– die jeweiligen Interessen der Vertragsstaaten;
– die Staatsangehörigkeit des Verfolgten und des Opfers;
– den gewöhnlichen Wohnsitz des Verfolgten; und
– die Verfügbarkeit der Beweise und den Ort, wo sich diese befinden;
d) die strafbare Handlung, derentwegen die Auslieferung verlangt wird, oder jede andere strafbare Handlung, für die der Verfolgte gemäss diesem Vertrag inhaftiert oder verurteilt werden kann, nach dem Recht des ersuchenden Staates mit dem Tod bestraft wird, es sei denn, dieser Staat veranlasst, dass die Todesstrafe nicht vollzogen wird; oder
e) gegen den Verfolgten wegen Handlungen, derentwegen die Auslieferung verlangt wird, in einem dritten Staat ein rechtskräftiges Urteil ergangen ist: – wenn das Urteil auf Freispruch lautete; oder
– wenn die Dauer der verhängten Freiheitsstrafe oder einer anderen die Freiheit beschränkenden Massnahme, zu der der Verfolgte verurteilt worden war, ganz vollzogen wurde oder Gegenstand einer Begnadigung oder Amnestie war.
Art. 4 Übermittlungswege
Auslieferungsersuchen und jede weitere Korrespondenz werden zwischen den Justizministerien der Vertragsstaaten übermittelt; der diplomatische Weg ist aber nicht ausgeschlossen.
Art. 5 Ersuchen und Unterlagen
1. Alle Auslieferungsersuchen werden schriftlich abgefasst; ihnen werden beigefügt:
a) Angaben über Identität und, falls verfügbar, Staatsangehörigkeit und mutmasslichen Aufenthaltsort des Verfolgten, Signalement, Fotografie und Fingerabdrücke;
b) eine kurze Darstellung des Sachverhaltes, einschliesslich Zeit und Ort der strafbaren Handlung;
c) der Wortlaut der Gesetzesbestimmungen, welche die wesentlichen Tatbestandsmerkmale und die Bezeichnung der strafbaren Handlung, die Strafdrohung sowie die Fristen der Verjährung der Strafverfolgung oder ‑vollstreckung für die Straftat enthalten, derentwegen die Auslieferung verlangt wird; und
d) Angaben betreffend die Gerichtsbarkeit des ersuchenden Staates über die strafbare Handlung, wenn diese ausserhalb seines Hoheitsgebietes begangen wurde.
2. Dem Ersuchen um Auslieferung einer verfolgten oder in Abwesenheit verurteilten Person sind beizufügen:
a) eine Kopie des Haftbefehls; und
b) wenn es das Recht des ersuchten Staates verlangt, Beweise, die die Anordnung der Hauptverhandlung rechtfertigen würden, wenn die strafbare Handlung im ersuchten Staat begangen worden wäre. Zu diesem Zweck wird eine Sachverhaltsdarstellung, die die erhobenen Beweise umschreibt, einschliesslich des Beweises über die Identität des Straftäters, als Beweismittel der dargelegten strafbaren Handlungen zugelassen, vorausgesetzt, dass die Sachverhaltsdarstellung von einer Justizbehörde oder von einem Staatsanwalt unterzeichnet ist, welcher bestätigt, dass die in der Sachverhaltsdarstellung beschriebenen Beweise im Einklang mit dem Recht des ersuchenden Staates erhoben wurden; dabei ist unerheblich, ob diese Beweise auf dem Gebiet des ersuchenden Staates gesammelt oder erhoben wurden oder ob sie auf andere Weise nach dem Recht des ersuchten Staates zulässig wären. Der ersuchende Staat kann als Bestandteil der Sachverhaltsdarstellung Bestätigungen, Berichte, Kopien oder andere nützliche Unterlagen beifügen.
3. Dem Ersuchen um Auslieferung einer verurteilten Person sind beizufügen:
a) eine Kopie des Urteils oder, wenn der Verfolgte schuldig gesprochen, aber die Strafe noch nicht bemessen wurde, eine entsprechende Erklärung einer Justizbehörde über diesen Umstand;
b) eine Kopie oder eine Darstellung der Anklage, derentwegen der Verfolgte schuldig gesprochen wurde;
c) eine Kopie des Haftbefehls oder Angaben, dass der Verfolgte aufgrund des Strafurteils in Haft zu nehmen ist; und
d) wenn die Strafe ausgesprochen wurde, Angaben über die Strafe oder den noch zu verbüssenden Strafrest.
4. Alle Unterlagen und deren Kopien, die einem Auslieferungsersuchen beigefügt und von einer Justizbehörde oder einem Beamten des ersuchenden Staates als richtig bescheinigt, ausgestellt oder unterzeichnet wurden, sind im Auslieferungsverfahren des ersuchten Staates als Beweismittel zugelassen, ohne dass sie unter Eid oder unter Versicherung der Wahrheit abgegeben werden müssen und ohne Bestätigung der Unterschrift oder der amtlichen Stellung des Unterzeichners.
5. Jede Übersetzung der einem Auslieferungsersuchen durch den ersuchenden Staat beigefügten Unterlagen wird generell im Auslieferungsverfahren zugelassen.
Art. 6 Beglaubigung der Unterlagen
Es wird keine Beglaubigung oder andere Bestätigung der dem Auslieferungsersuchen beigefügten Unterlagen verlangt.
Art. 7 Sprache
Alle gemäss diesem Vertrag beigefügten Unterlagen werden in einer der Amtssprachen des ersuchten Staates abgefasst oder in eine dieser Sprachen übersetzt; der ersuchte Staat bezeichnet die Sprache im Einzelfall.
Art. 8 Ergänzung der Unterlagen
Ist der ersuchte Staat der Ansicht, dass die dem Auslieferungsersuchen beigefügten Unterlagen nicht ausreichen, um die Auslieferung zu bewilligen, so ersucht er darum, dass ihm innerhalb einer von ihm bestimmten Frist ergänzende Unterlagen zur Verfügung gestellt werden.
Art. 9 Vereinfachte Auslieferung
Sofern der Verfolgte zustimmt, kann seine Auslieferung gemäss den Bestimmungen dieses Vertrages bewilligt werden, auch wenn die Voraussetzungen der Absätze 1, 2 und 3 des Artikels 5 nicht erfüllt sind.
Art. 10 Vorläufige Auslieferungshaft
1. In dringenden Fällen kann jeder Vertragsstaat über die Internationale Kriminalpolizeiliche Organisation (INTERPOL) oder auf andere Weise um vorläufige Verhaftung des Verfolgten ersuchen. Dieses Ersuchen kann durch jedes Nachrichtenmittel, das Schriftspuren hinterlässt, übermittelt werden.
2. Das Ersuchen um vorläufige Verhaftung enthält:
a) Angaben über Identität und, falls verfügbar, Staatsangehörigkeit und mutmasslichen Aufenthaltsort des Verfolgten und sein Signalement:
b) eine Erklärung, dass die Auslieferung verlangt werden wird;
c) die Bezeichnung, den Zeitpunkt und den Ort der Begehung der strafbaren Handlung und eine kurze Sachverhaltsdarstellung;
d) die Erklärung, dass ein Haftbefehl besteht oder dass ein Strafurteil vorliegt, mit Datum, Ort und ausstellender Behörde; und
e) die Angabe des maximalen Freiheitsentzugs, der auferlegt werden kann oder auferlegt wurde, sowie gegebenenfalls die Reststrafe.
3. Der ersuchte Staat trifft nach Eingang des Antrages auf vorläufige Auslieferungshaft die nach seinem Recht erforderlichen Massnahmen, um die Verhaftung des Verfolgten sicherzustellen; der ersuchende Staat wird umgehend vom Ergebnis seines Ersuchens in Kenntnis gesetzt.
4. Die vorläufige Auslieferungshaft wird aufgehoben, wenn die zuständige Behörde der Schweiz oder Kanadas nicht 40 Tage nach Festnahme des Verfolgten das formelle Auslieferungsersuchen und die Unterlagen erhalten hat. Diese Frist kann auf begründeten Antrag hin ausnahmsweise um höchstens 20 Tage verlängert werden.
5. Die Freilassung einer Person gemäss Absatz 4 dieses Artikels hindert die Eröffnung oder Fortsetzung des Auslieferungsverfahrens nicht, wenn das Ersuchen und die Unterlagen später eintreffen.
Art. 11 Auslieferungsersuchen mehrerer Staaten
1. Der ersuchte Staat, der Auslieferungsersuchen gegen dieselbe Person von zwei oder mehr Staaten erhält, entscheidet, an welchen Staat der Verfolgte auszuliefern ist, und teilt seinen Entscheid den ersuchenden Staaten mit.
2. Der ersuchte Staat berücksichtigt bei diesem Entscheid alle massgebenden Umstände, insbesondere die verhältnismässige Schwere der strafbaren Handlungen, sofern sich die Ersuchen auf mehrere strafbare Handlungen beziehen, den Zeitpunkt und den Begehungsort jeder strafbaren Handlung, die Zeitpunkte der Ersuchen, die Staatsangehörigkeit des Verfolgten, den Wohnort des Verfolgten und die Möglichkeit der Weiterlieferung an einen Drittstaat.
Art. 12 Entscheid und Übergabe
1. Der ersuchte Staat setzt den ersuchenden Staat unverzüglich von seiner Entscheidung über die Auslieferung in Kenntnis. Jede vollständige oder teilweise Ablehnung ist zu begründen.
2. Wird die Auslieferung bewilligt, so teilt der ersuchte Staat dem ersuchenden Staat die Dauer der vom Verfolgten erlittenen Auslieferungshaft mit.
3. Wird die Auslieferung bewilligt, so hat der ersuchte Staat den Verfolgten an einem für den ersuchenden Staat geeigneten Ort zu übergeben.
4. Der ersuchende Staat übernimmt vom ersuchten Staat den Verfolgten innert angemessener Frist, die vom ersuchten Staat festgelegt wird; dieser kann die Auslieferung des Verfolgten für dieselbe strafbare Handlung ablehnen, wenn der Verfolgte nicht innerhalb der festgelegten Frist übernommen wurde.
5. Wird die Übergabe oder Übernahme der auszuliefernden Person durch höhere Gewalt verhindert, so hat der betroffene Staat den anderen Staat davon in Kenntnis zu setzen. Beide Staaten vereinbaren einen neuen Zeitpunkt für die Übergabe, und die Bestimmungen von Absatz 4 dieses Artikels finden Anwendung.
Art. 13 Aufgeschobene oder vorübergehende Übergabe
1. Wird der Verfolgte gerichtlich verfolgt oder verbüsst er im ersuchten Staat eine Strafe, die er wegen einer anderen strafbaren Handlung als derjenigen verwirkt hat, derentwegen um Auslieferung ersucht worden ist, so kann der ersuchte Staat den Verfolgten übergeben oder seine Übergabe bis zum Abschluss des Verfahrens oder bis zur ganzen oder teilweisen Verbüssung der Strafe aufschieben. Der ersuchte Staat teilt dem ersuchenden Staat jeden Aufschub mit.
2. Der ersuchte Staat kann, soweit es seine Rechtsvorschriften zulassen und der Verfolgte für auslieferungsfähig befunden wurde, diesen dem ersuchenden Staat vorübergehend unter Bedingungen übergeben, die von den Vertragsstaaten zu vereinbaren sind. Der Verfolgte, der nach einer vorübergehenden Übergabe in den ersuchten Staat zurückgekehrt ist, kann gemäss den Bestimmungen dieses Vertrages endgültig zwecks Verbüssung der auferlegten Strafe übergeben werden.
Art. 14 Herausgabe von Gegenständen
1. Der ersuchte Staat beschlagnahmt und übergibt, soweit es seine Rechtsvorschriften zulassen und auf Verlangen des ersuchenden Staates, die Gegenstände:
a) die als Beweismittel dienen können; oder
b) die aus der strafbaren Handlung herrühren und die im Zeitpunkt der Festnahme im Besitz des Verfolgten gefunden worden sind oder später entdeckt wurden.
2. Alle in Absatz 1 dieses Artikels erwähnten Gegenstände werden auch dann herausgegeben, wenn die bereits bewilligte Auslieferung wegen Tod oder Flucht des Verfolgten nicht vollzogen werden kann.
3. Sind die erwähnten Gegenstände Gegenstand einer Beschlagnahme oder Einziehung im ersuchten Staat, so kann sie dieser im Zusammenhang mit einem hängigen Strafverfahren vorübergehend zurückbehalten oder unter der Bedingung der Rückgabe übergeben.
4. Sämtliche Rechte des ersuchten Staates oder Dritter an diesen Gegenständen bleiben vorbehalten. Bestehen solche Rechte, so werden die Gegenstände nach Abschluss des Verfahrens so schnell wie möglich und kostenlos dem ersuchten Staat zurückgegeben.
Art. 15 Grundsatz der Spezialität
1. Ein Ausgelieferter darf wegen einer anderen, vor seiner Übergabe begangenen Straftat als derjenigen, derentwegen er ausgeliefert worden ist, weder verfolgt, abgeurteilt oder in Haft gehalten noch einer sonstigen Beschränkung seiner Freiheit unterworfen werden, ausser in den folgenden Fällen:
a) wenn der ersuchte Staat zustimmt;
b) wenn der Ausgelieferte, obwohl er die Möglichkeit dazu hatte, den ersuchenden Staat nicht innerhalb von 45 Tagen nach seiner endgültigen Freilassung verlassen hat oder in diesen Staat zurückgekehrt ist, nachdem er ihn verlassen hatte; oder
c) wenn der Ausgelieferte vor einer richterlichen Behörde des ersuchenden Staates zustimmt.
2. Einem Ersuchen um Zustimmung durch den ersuchten Staat gemäss Absatz 1 dieses Artikels werden die in Artikel 5 erwähnten Unterlagen sowie ein Protokoll über die Erklärungen des Ausgelieferten zu der in Betracht kommenden strafbaren Handlung beigefügt.
3. Wird die Beschuldigung, für welche der Verfolgte ausgeliefert wurde, später geändert, so kann dieser verfolgt oder abgeurteilt werden, vorausgesetzt, dass die strafbare Handlung gemäss ihrer neuen Qualifikation:
a) im wesentlichen auf demselben Sachverhalt beruht, der im Auslieferungsersuchen und den Unterlagen enthalten ist; und
b) einer gleichen oder geringeren Höchststrafe unterliegt wie die strafbare Handlung, für die er ausgeliefert wurde.
Art. 16 Weiterlieferung an einen dritten Staat
1. Der ersuchende Staat darf den ihm Ausgelieferten nicht an einen dritten Staat wegen einer vor der Übergabe begangenen strafbaren Handlung ausliefern, es sei denn:
a) der ersuchte Staat stimme dieser Auslieferung zu;
b) der Ausgelieferte habe die Möglichkeit gehabt, den ersuchenden Staat innerhalb von 45 Tagen nach seiner endgültigen Freilassung im Verfahren, für das er vom ersuchten Staat übergeben wurde, zu verlassen, oder er sei in den ersuchenden Staat zurückgekehrt, nachdem er ihn verlassen hatte; oder
c) der Ausgelieferte stimme dieser Auslieferung vor einer richterlichen Behörde des ersuchenden Staates zu.
2. Der ersuchte Staat kann die Vorlage der in Artikel 5 erwähnten Unterlagen bezüglich der Zustimmung gemäss Absatz 1 Buchstabe a dieses Artikels verlangen.
Art. 17 Durchlieferung
Die Durchlieferung durch das Hoheitsgebiet eines der Vertragsstaaten wird, soweit es dessen Rechtsvorschriften zulassen, auf schriftliches Ersuchen des anderen Vertragsstaates bewilligt. Das Durchlieferungsersuchen:
a) kann durch jedes Nachrichtenmittel, das Schriftspuren hinterlässt, übermittelt werden; und
b) enthält alle Angaben gemäss Artikel 10 Absatz 2.
Art. 18 Kosten
1. Der ersuchte Staat trifft die notwendigen Vorkehrungen für die aus dem Auslieferungsersuchen entstehenden Verfahren und übernimmt die entsprechenden Kosten. einschliesslich jener einer Verfolgung infolge Ablehnung der Auslieferung aus, Gründen der Staatsangehörigkeit.
2. Der ersuchte Staat trägt die Kosten, die auf seinem Hoheitsgebiet durch Festnahme und Inhaftierung der auszuliefernden Person bis zur Übergabe an eine vom ersuchenden Staat bezeichnete Person entstehen.
3. Der ersuchende Staat hat die Transportkosten des Verfolgten ab dem Gebiet des ersuchten Staates zu tragen.
Art. 19 Leitung des Verfahrens
1. Im Falle eines schweizerischen Auslieferungsersuchens leitet der Attorney General von Kanada das Auslieferungsverfahren.
2. Im Falle eines kanadischen Auslieferungsersuchens leitet das Bundesamt für Polizeiwesen das Auslieferungsverfahren.
Art. 20 Andere Verpflichtungen
Dieser Vertrag beeinträchtigt keine Verpflichtung, welche die Vertragsstaaten gemäss einem multilateralen Abkommen, das beide Vertragsparteien bindet, eingegangen sind oder eingehen werden.
Art. 21 Meinungsaustausch
Auf Ersuchen eines Vertragsstaates wird über die Auslegung oder Anwendung dieses Vertrages oder in Zusammenhang mit einem bestimmten Fall ein Meinungsaustausch durchgeführt.
Jede Meinungsverschiedenheit, die von den Vertragsstaaten nicht bereinigt werden kann, ist Gegenstand von Verhandlungen über die Auslegung oder Anwendung dieses Vertrages.
Art. 22 Inkrafttreten und Kündigung
1. Dieser Vertrag tritt 180 Tage nach dem Datum in Kraft, an welchem sich die Vertragsstaaten schriftlich mitgeteilt haben, dass ihre jeweiligen Voraussetzungen für das Inkrafttreten des Vertrages erfüllt sind.
2. Ausser bei formellen Ersuchen, die vor dem Inkrafttreten dieses Vertrages gestellt wurden, gelten ab diesem Datum folgende Vereinbarungen zwischen der Schweiz und Kanada als aufgehoben:
a) der Auslieferungsvertrag zwischen Grossbritannien und der Schweiz, unterzeichnet in Bern am 26. November 1880⁴; und
b) das Zusatzabkommen zum obgenannten Vertrag, abgeschlossen am 29. Juni 1904 in London.
3. Jeder der beiden Vertragsstaaten kann diesen Vertrag jederzeit durch schriftliche Notifikation kündigen; die Kündigung wird 180 Tage nach Notifikation der Kündigung wirksam.
⁴ SR 0.353.936.7
Unterschriften
Zu Urkund dessen haben die von ihren Regierungen gehörig Bevollmächtigten diesen Vertrag unterzeichnet.
So geschehen in Bern am 7. Oktober 1993 in englischer und französischer Sprache, wobei jeder Wortlaut in gleicher Weise verbindlich ist.
Für den | Für die |
Arnold Koller | Jacques S. Roy |
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