Einführungsgesetz zur Schweizerischen Zivilprozessordnung
Einführungsgesetz zur Schweizerischen Zivilprozessordnung (EGzZPO) Vom 16. Juni 2010 (Stand 1. Januar 2022) Der Grosse Rat des Kantons Graubünden 1 ) , gestützt auf Art. 31 der Kantonsverfassung 2 ) , nach Einsichtnahme in die Botschaft der Regierung vom 23. März 2010 3 ) , beschliesst:
1. Allgemeine Bestimmungen
Art. 1 Gegenstand
1 Dieses Gesetz enthält die kantonalen Ausführungsbestimmungen zur Schweizeri - schen Zivilprozessordnung 4 ) .
2 Es regelt die Zuständigkeit der Schlichtungsbehörden und der Gerichte auf dem Gebiet der Zivilgerichtsbarkeit.
3 Die Organisation der Schlichtungsbehörden und Gerichte richtet sich nach dem Gerichtsorganisationsgesetz 5 ) , soweit die ZPO oder dieses Gesetz keine Regelung enthalten.
4 Das kantonale Zivilrecht sowie die zivilrechtlichen Zuständigkeiten von Verwal - tungsbehörden richten sich nach der Einführungsgesetzgebung zum ZGB 6 ) und zum OR
7 )
.
1) GRP 2009/2010, 853
2) BR 110.100
3) Seite 853
4) SR 272
5) BR 173.000
6) BR 210.100
7) BR 210.200
Art. 2 Verfahrenssprache
1 Die Verfahrenssprachen der Schlichtungsbehörden und der Zivilgerichte im Kanton Graubünden richten sich nach dem kantonalen Sprachengesetz
3 )
.
2. Zuständigkeit der Schlichtungsbehörden und Zivilgerichte
Art. 3 Schlichtungsbehörden
1 Die Aufgaben der Schlichtungsbehörde gemäss Zivilprozessordnung 4 ) obliegen: a) dem Vermittleramt, soweit nicht eine andere Schlichtungsbehörde zuständig ist; b) der Schlichtungsbehörde für Mietsachen bei Streitigkeiten aus Miete und Pacht von Wohn- und Geschäftsräumen; c) der Schlichtungsbehörde für Gleichstellungssachen bei Streitigkeiten nach dem bundesrechtlichen Gleichstellungsgesetz 5 ) .
2 Die örtliche Zuständigkeit der Schlichtungsbehörde richtet sich nach den Bestim - mungen der Zivilprozessordnung über den Gerichtsstand.
Art. 4 Erstinstanzliches Gericht
1. Einzelrichterin, Einzelrichter
1 Soweit das Bundesrecht oder das kantonale Recht nichts anderes bestimmt, ent - scheidet ein Mitglied des Regionalgerichts in einzelrichterlicher Kompetenz: * a) in Angelegenheiten, für die das summarische Verfahren gilt; b) bei vermögensrechtlichen Streitigkeiten im Betrag bis 5000 Franken; c) über die Ehescheidung, Ehetrennung oder die Auflösung der eingetragenen Partnerschaft auf gemeinsames Begehren bei umfassender Einigung; d) über die Vollstreckung; e) über Widerhandlungen gegen gerichtliche Verbote im Sinn der Zivilprozess - ordnung 6 ) .
2 Sie oder er erledigt Rechtshilfegesuche, soweit nicht das Kantonsgericht dafür zu - ständig ist.
Art. 5 2. Kollegialgericht
1 Das Regionalgericht amtet als erstinstanzliches Zivilgericht, soweit nicht die Ein - zelrichterin oder der Einzelrichter zuständig ist. *
2 Es entscheidet in Fünferbesetzung: a) in Angelegenheiten, für die das ordentliche Verfahren gilt;
3) BR 492.100
4) SR 272
5) SR 151.1
6) SR 272
b) wenn der Streitwert für die Beschwerde in Zivilsachen an das Bundesgericht erreicht ist; c) über Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung; d) auf Anordnung der oder des Vorsitzenden.
3 In den anderen Fällen entscheidet das Regionalgericht in Dreierbesetzung. *
Art. 6 3. Kantonsgericht
1 Das Kantonsgericht beurteilt als erstinstanzliches Gericht die Fälle, in denen das Bundesrecht eine einzige kantonale Instanz vorsieht, soweit nicht das Verwaltungs - gericht zuständig ist.
2 Es entscheidet in einzelrichterlicher Kompetenz über: a) den Rechtsschutz in klaren Fällen bei Streitigkeiten, für die das Bundesrecht eine einzige kantonale Instanz vorsieht; b) Schiedsgerichtssachen mit Ausnahme der Beurteilung von Beschwerden und Revisionsgesuchen.
Art. 7 Rechtsmittelinstanz
1 Das Kantonsgericht beurteilt als Rechtsmittelinstanz zivilrechtliche Berufungen und Beschwerden.
2 Es entscheidet in einzelrichterlicher Kompetenz, wenn: a) der Streitwert 5000 Franken nicht überschreitet; b) ein Rechtsmittel offensichtlich unzulässig oder offensichtlich begründet oder unbegründet ist.
3. Ergänzende Bestimmungen
3.1. RECHTSHILFE UND MITWIRKUNG VON BEHÖRDEN
Art. 8 Rechtshilfe
1 Das Kantonsgericht ist die kantonale Zentralbehörde für Rechtshilfegesuche aus dem Ausland im Sinne der Staatsverträge.
2 Die Zustellung ins Ausland erfolgt direkt von Behörde zu Behörde. Wenn der di - rekte Verkehr durch Bundesrecht oder Staatsvertragsrecht ausgeschlossen ist, erfolgt die Zustellung über das Kantonsgericht.
Art. 9 Mitwirkung von Behörden
1 Das für die Vollstreckung zuständige Gericht kann für Zwangsmassnahmen im Rahmen des Bundesrechts die Kantons- oder die Gemeindepolizei beiziehen.
2 Geht es um Kinderbelange, kann das Gericht die Kindesschutzbehörde am Aufent - haltsort der Kinder mit dem Vollzug beauftragen. *
3 Mitwirkungspflichten in anderen kantonalen Erlassen bleiben vorbehalten.
Art. 9a * Elektronische Überwachung
1 Das Amt für Justizvollzug vollstreckt elektronische Überwachungen gemäss Arti - kel 28c ZGB
1 )
.
2 Es wertet die erhobenen Daten periodisch oder auf Antrag des anordnenden Ge - richts hin aus. Erhält das Amt für Justizvollzug Kenntnis von einer Verletzung des zu überwachenden Verbots, informiert es das anordnende Gericht. Es ist berechtigt, der Kantonspolizei und den Gemeindepolizeien eine solche Verletzung zu melden.
3 Missachtet die zu überwachende Person die Instruktionen des Amts für Justizvoll - zug und vereitelt sie dadurch die elektronische Überwachung, kann das Amt für Jus - tizvollzug beim anordnenden Gericht die Aufhebung der elektronischen Überwa - chung beantragen.
4 Nach Ablauf der Massnahmendauer erstattet das Amt für Justizvollzug dem anord - nenden Gericht Bericht.
5 Im Übrigen bearbeitet es die Überwachungsdaten nach den Regeln, die für die elektronische Überwachung von strafrechtlichen Kontakt- und Rayonverboten gel - ten.
6 Das Amt für Justizvollzug stellt die Kosten der elektronischen Überwachung dem anordnenden Gericht in Rechnung. Dieses trägt die Vollstreckungskosten, soweit sie nicht der überwachten Person überbunden werden können.
3.2. BESONDERE BESTIMMUNGEN
Art. 10 Schlichtungsverfahren
1 Mit der Einladung zur Vermittlung weist die Schlichtungsbehörde auf die Möglich - keit einer Mediation hin. Sie kann eine solche auch empfehlen.
2 Die Schlichtungsverhandlung findet in einem Amtslokal am Wohnsitz, Sitz oder Aufenthaltsort der beklagten Partei statt, sofern dieser im Gerichtssprengel liegt. In den übrigen Fällen oder mit Zustimmung der Parteien findet die Verhandlung am Sitz des Vermittleramts statt.
1) SR 210
Art. 11 Ausnahmen vom Anwaltszwang
1 Die Vertretung durch eine handlungsfähige, nicht im Anwaltsregister eingetragene oder Freizügigkeit nach dem BGFA
1 ) geniessende Person ist auf begründetes Gesuch im Einzelfall mit Genehmigung der oder des Vorsitzenden möglich: a) zur nichtberufsmässigen Vertretung; b) in Schuldbetreibungs- und Konkurssachen nach Massgabe der Zivilprozess - ordnung 2 ) ; c) in miet- und arbeitsrechtlichen Streitigkeiten durch beruflich qualifizierte Per - sonen.
Art. 12 Unentgeltliche Rechtspflege
1 Vor Einreichung der Klage beim Gericht entscheidet die oder der Vorsitzende des erstinstanzlichen Gerichts über Gesuche um unentgeltliche Rechtspflege.
2 Der Kanton ist in der Regel anzuhören. Die Steuerverwaltung teilt dem für die Stellungnahme zuständigen Amt oder dem Gericht die notwendigen Daten mit. Es kann die Daten mittels Abrufverfahren zugänglich machen.
3 Die Kosten der unentgeltlichen Rechtspflege werden auf die Gerichtskasse genom - men, soweit sie gemäss Zivilprozessordnung 3 ) zu Lasten des Kantons gehen.
4 Die Zuständigkeit und das Verfahren zur Nachzahlung richten sich nach dem Ver - waltungsrechtpflegegesetz 4 ) .
5 Die Bestimmungen über die unentgeltliche Rechtspflege gelten für die Mediation im Sinn der Zivilprozessordnung 5 ) , wenn: a) die Parteien nicht über die erforderlichen Mittel verfügen; b) ihr Rechtsbegehren oder die Mediation nicht aussichtslos erscheinen und; c) sie durch eine anerkannte Mediatorin oder einen anerkannten Mediator durch - geführt wird.
Art. 13 Entscheid über bestrittene Ausstandsbegehren
1 Ist der Ausstand streitig, entscheidet in Abwesenheit der betroffenen Person: a) das in der Hauptsache zuständige Gericht; b) das Gericht in Ausstandsfällen bei einzelrichterlichen Zuständigkeiten; c) * das Regionalgericht in Ausstandsfällen bei Schlichtungsbehörden.
2 Die Beschlussfähigkeit richtet sich nach dem Gerichtsorganisationsgesetz
6 )
.
1) SR 935.61
2) SR 272
3) SR 272
4) BR 370.100
5) SR 272
6) BR 173.000
Art. 14 Aktenaufbewahrung und Akteneinsicht
1 Die Akten des Schlichtungsverfahrens werden bei der Schlichtungsbehörde und die Gerichtsakten beim Gericht aufbewahrt.
2 Über die Akteneinsicht über abgeschlossene Verfahren entscheidet die Behörde oder das Gericht, welche oder welches die Akten aufbewahrt.
3 Die Akteneinsicht wird gewährt, wenn ein schutzwürdiges Interesse geltend ge - macht werden kann.
4 Entscheide über die Akteneinsicht können schriftlich innert 30 Tagen mit Be - schwerde bei der Aufsichtsbehörde angefochten werden.
3.3. VERFAHRENSKOSTEN UND RECHNUNGSWESEN
Art. 15 Verfahrenskosten
1 Die Tragung der Prozesskosten richtet sich nach der Zivilprozessordnung
2 )
.
2 Die Pauschalen für das Schlichtungsverfahren und die Entscheidgebühr bemessen sich nach dem Aufwand, dem Interesse und den wirtschaftlichen Verhältnissen der kostenpflichtigen Person.
3 Die Pauschale beträgt höchstens 30 000 Franken. In Verfahren, die einen besonders grossen Aufwand verursachen, erhöht sich der Gebührenrahmen auf 100 000 Fran - ken. Bei Einigung oder Verzicht auf ein vollständig begründetes Urteil wird die Pauschale für das Schlichtungsverfahren beziehungsweise die Entscheidgebühr angemessen reduziert.
4 Das Kantonsgericht regelt die Höhe der Pauschalen in einer Verordnung
3 )
.
Art. 16 Entschädigungen
1 Die Entschädigung der Parteivertretung sowie der unentgeltlichen Rechtspflege richten sich nach der Zivilprozessordnung 4 ) und der Anwaltsgesetzgebung 5 ) .
2 Die Entschädigung von Zeuginnen und Zeugen für den Erwerbsausfall beträgt höchstens 500 Franken pro Tag. Die Entschädigung der Spesen erfolgt höchstens zu den für die Angestellten des Kantons geltenden Ansätzen. Das Kantonsgericht regelt die Einzelheiten in einer Verordnung
6 )
.
Art. 17 Rechnungswesen und Inkasso
1 Die Schlichtungsbehörden und Zivilgerichte führen für jeden Fall eine eigene Rechnung.
2) SR 272
3) BR 320.210
4) SR 272
5) BR 310.100 und BR 310.250
6) BR 310.210
2 Im Übrigen richten sich das Rechnungswesen und das Inkasso nach den Bestim - mungen über die Gerichtsorganisation 1 ) .
4. Zivilverfahren vor Verwaltungsbehörden
Art. 18 Grundsatz
1 Die Zuständigkeit von Verwaltungsbehörden auf dem Gebiet des Zivilrechts sowie das Verfahren richten sich insbesondere nach den Einführungsgesetzen zum Zivilge - setzbuch 2 ) und zum Obligationenrecht 3 ) .
5. Schlussbestimmungen
Art. 19 Aufhebung von Erlassen
1 Mit dem Inkrafttreten dieses Gesetzes werden folgende Erlasse aufgehoben: a) Zivilprozessordnung des Kantons Graubünden vom 1. Dezember 1985
4 ) ; b) Beitritt vom 2. März 1975 zum Konkordat vom 28. Oktober 1971 über die Gewährung gegenseitiger Rechtshilfe zur Vollstreckung öffentlich-rechtlicher Ansprüche 5 ) ; c) Beitritt vom 14. Juni 1987 zum Konkordat über die Vollstreckung von Zivil - urteilen vom 10. März 1977 6 ) ; d) Beitritt vom 2. März 1975 zum Konkordat vom 27. März 1969 über die Schiedsgerichtsbarkeit
7 ) ; e) Beitritt vom 28. Mai 1978 zum Konkordat über die Gewährung gegenseitiger Rechtshilfe in Zivilsachen vom 26. April 1974 und 8./9. November 1974
8 ) ; f) Beitritt vom 28. Februar 1904 zum Konkordat betreffend Befreiung von der Verpflichtung zur Sicherheitsleistung für die Prozesskosten vom 5./20. No - vember 1903 9 ) .
2 Verweisen geltende Erlasse auf Bestimmungen, die durch dieses Gesetz aufgeho - ben werden, finden die entsprechenden Bestimmungen der Schweizerischen Zivil - prozessordnung
10 ) sowie dieses Gesetzes Anwendung.
1) BR 173.000
2) BR 210.100
3) BR 210.200
4) AGS 1985, 1516; BR 320.000
5) AGS 1975, 871; BR 220.300
6) AGS 1987, 1974; BR 320.030
7) AGS 1975, 747; BR 320.050
8) AGS 1978, 333; BR 320.065
9) aRB 574; BR 320.400
10) SR 272
Art. 20 Änderung bisherigen Rechts
1 Die Änderung von Gesetzen wird im Anhang 2 ) geregelt.
2 Soweit grossrätliche Verordnungen, die den Vorgaben von Artikel 32 Absatz 1 Kantonsverfassung
3 ) nicht entsprechen, den Bestimmungen der Schweizerischen Zi - vilprozessordnung 4 ) oder deren Umsetzung in diesem Gesetz widersprechen, kann der Grosse Rat sie durch Verordnung an diese Erlasse anpassen.
Art. 21 Übergangsrecht
1 Verfahren, die bei Inkrafttreten dieses Gesetzes hängig sind, werden von den nach neuem Recht sachlich zuständigen Behörden weitergeführt. Im Übrigen richtet sich das Verfahren nach dem bisherigen Recht.
2 Welches Gemeinwesen die Kosten für die unentgeltliche Rechtspflege in hängigen Verfahren zu tragen hat, richtet sich nach dem bisherigen Recht.
3 Für die Rückforderung der Kosten für die unentgeltliche Rechtspflege ist das Gemeinwesen zuständig, das die Kosten getragen hat. Im Übrigen richtet sich das Verfahren nach dem neuen Recht.
Art. 22 Referendum und Inkrafttreten
1 Dieses Gesetz untersteht dem fakultativen Referendum 5 ) .
2 Die Regierung bestimmt den Zeitpunkt des Inkrafttretens 6 ) .
2) Der Anhang ist nicht im BR enthalten, siehe KA 2010, S. 2483 ff.
3) BR 110.100
4) SR 272
5) Die Referendumsfrist ist am 29. September 2009 ungenutzt abgelaufen.
6) Mit RB vom 21. Dezember 2010 auf den 1. Januar 2011 in Kraft gesetzt.
Änderungstabelle - Nach Beschluss Beschluss Inkrafttreten Element Änderung AGS Fundstelle
16.06.2010 01.01.2011 Erlass Erstfassung -
11.12.2012 01.01.2013 Art. 9 Abs. 2 geändert -
02.02.2016 01.01.2017 Art. 4 Abs. 1 geändert 2016-001
02.02.2016 01.01.2017 Art. 5 Abs. 1 geändert 2016-001
02.02.2016 01.01.2017 Art. 5 Abs. 3 geändert 2016-001
02.02.2016 01.01.2017 Art. 13 Abs. 1, c) geändert 2016-001
27.08.2021 01.01.2022 Art. 9a eingefügt 2021-049
Änderungstabelle - Nach Artikel Element Beschluss Inkrafttreten Änderung AGS Fundstelle Erlass 16.06.2010 01.01.2011 Erstfassung -
Art. 4 Abs. 1 02.02.2016 01.01.2017 geändert 2016-001
Art. 5 Abs. 1 02.02.2016 01.01.2017 geändert 2016-001
Art. 5 Abs. 3 02.02.2016 01.01.2017 geändert 2016-001
Art. 9 Abs. 2 11.12.2012 01.01.2013 geändert -
Art. 9a 27.08.2021 01.01.2022 eingefügt 2021-049
Art. 13 Abs. 1, c) 02.02.2016 01.01.2017 geändert 2016-001
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