Gesetz zur Finanzierung von Leistungsangeboten für Menschen mit Behinderung
Gesetz zur Finanzierung von Leistungsangeboten für Menschen mit Behinderung (Behindertenfinanzierungsgesetz; BeFiG) vom 1. November 2021 (Stand 14. Januar 2022) Der Kantonsrat von Appenzell Ausserrhoden, gestützt auf das Bundesgesetz über die Institutionen zur Förderung der Ein - gliederung von invaliden Personen vom 6. Oktober 2006 1 ) und Art. 42 der Verfassung des Kantons Appenzell A.Rh. 2 ) , erlässt:
1. Allgemeine Bestimmungen (1.)
Art. 1 Zweck
1 Dieses Gesetz bezweckt die Förderung der sozialen und beruflichen Inte - gration von Menschen mit Behinderung.
2 Es gewährleistet ein Leistungsangebot, das den Bedürfnissen von Men - schen mit Behinderung in angemessener Weise entspricht.
Art. 2 Grundsätze der Förderung
1 Der Kanton fördert die soziale und berufliche Integration von Menschen mit Behinderung durch finanzielle Beiträge.
2 Die Beiträge werden ausgerichtet für Leistungen zugunsten von Personen, die im Sinne des Bundessozialversicherungsrechts als invalid gelten und ih - ren Wohnsitz im Kanton haben.
1) IFEG (SR 831.26 )
2) bGS 111.1 * vgl. Änderungstabelle am Schluss des Erlasses
3 Grundlage der Förderung bildet die kantonale Angebotsplanung. Sie be - rücksichtigt den Bedarf an Leistungsangeboten, die Qualität der Leistungen und die Wirtschaftlichkeit der Leistungserbringung.
4 Die Förderung mit Beiträgen ist subsidiär zu zweckbestimmten Leistungen von Dritten. Sie gewährleistet in jedem Fall, dass Menschen mit Behinde - rung zur Deckung ihres individuellen Betreuungsbedarfs keine Sozialhilfe benötigen.
5 Menschen mit Behinderung bestimmen im Rahmen der Förderung frei dar - über, welche Leistungsangebote sie in Anspruch nehmen wollen.
2. Beiträge an Wohnheime, Werkstätten und Tagesstätten (2.)
Art. 3 Beitragsberechtigung
1 Der Kanton beteiligt sich mit Beiträgen an den Kosten der Betreuung von Menschen mit Behinderung in Wohnheimen, Werkstätten und Tagesstätten für Erwachsene. Die Beiträge werden auch gewährt, wenn Minderjährige solche Angebote nutzen.
2 Beitragsberechtigt sind Institutionen im Sinne von Art. 3 IFEG, die über eine kantonale Anerkennung als Leistungserbringer verfügen.
Art. 4 Anerkennung als Leistungserbringer
1 Institutionen im Sinne von Art. 3 IFEG werden als Leistungserbringer aner - kannt, wenn sie: a) über eine Betriebsbewilligung nach Art. 49 des Gesundheitsgeset - zes 1 ) verfügen; b) die Voraussetzungen nach Art. 5 IFEG erfüllen; c) Leistungen erbringen, die der kantonalen Angebotsplanung entspre - chen; d) einen gemeinnützigen Zweck verfolgen; e) im Rahmen ihrer Möglichkeiten angemessen zur beruflichen Aus- und Weiterbildung beitragen.
2 Die Anerkennung kann mit Bedingungen und Auflagen verknüpft werden.
1) bGS 811.1
3 Gewährung und Entzug der Anerkennung werden veröffentlicht. Die Ein - haltung der Anerkennungsvoraussetzungen wird regelmässig kontrolliert.
Art. 5 Leistungsvereinbarung
1 Anerkannte Leistungserbringer haben Anspruch auf Abschluss einer Leis - tungsvereinbarung, welche als Grundlage für die Ausrichtung von Beiträgen dient.
2 Die Leistungsvereinbarung wird für eine Dauer von maximal vier Jahren abgeschlossen. Sie regelt mindestens die Quantität und die Qualität der Leistungen, die Höhe und die Modalitäten der Leistungsabgeltung und das Controlling.
3 Lehnt die zuständige Behörde den Abschluss einer bestimmten Leistungs - vereinbarung ab, eröffnet sie ihre Gründe gegenüber dem Leistungserbrin - ger mit einer Verfügung.
Art. 6 Beitragsbemessung
1 Die Beiträge werden als Pauschale je betreute Person ausgerichtet. Sie bemessen sich nach dem individuellen Betreuungsbedarf und den anre - chenbaren Kosten.
2 Der individuelle Betreuungsbedarf wird in einem standardisierten Verfahren erhoben.
Art. 7 Höchstansätze für anrechenbare Kosten
1 Der Regierungsrat bestimmt Höchstansätze für die anrechenbaren Kosten. Er berücksichtigt dabei die Qualität der Leistungen und die Wirtschaftlichkeit der Leistungserbringung.
2 Der Kreis der Leistungserbringer wird vorgängig angehört.
Art. 8 Betriebs- und Rechnungsführung
1 Die als Leistungserbringer anerkannten Institutionen sind zu einer wirtschaftlichen und zweckmässigen Leistungserbringung verpflichtet.
2 Sie haben eine transparente Kostenrechnung und eine lückenlose Klien - tendokumentation zu führen.
3 Überschüsse aus Beitragspauschalen sind einer zweckgebundenen Schwankungsreserve zuzuweisen, mit künftigen Ansprüchen auf Beiträge zu verrechnen und bei Aufgabe der Geschäftstätigkeit vollständig zurückzuzah - len.
4 Der Regierungsrat kann weitere Vorschriften über die Betriebs- und Rech - nungsführung erlassen.
Art. 9 Ausserkantonale Leistungserbringer
1 Ausserkantonale Leistungserbringer gelten im Sinne von Art. 3 als bei - tragsberechtigt, wenn sie über eine Anerkennung nach Art. 4 IFEG des Standortkantons verfügen.
2 Die Abgeltung von Leistungen richtet sich nach dem anwendbaren inter - kantonalen Recht. Subsidiär sind die Bestimmungen dieses Gesetzes und seiner Ausführungsbestimmungen anwendbar.
Art. 10 Nicht anerkannte Leistungserbringer
1 Der Kanton kann sich an den Kosten für die Betreuung durch nicht aner - kannte Leistungserbringer beteiligen, sofern die individuellen Betreuungsbe - dürfnisse dies rechtfertigen und kein vergleichbares Angebot eines aner - kannten Leistungserbringers zur Verfügung steht.
2 Die Kostenbeteiligung des Kantons setzt eine Leistungsvereinbarung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 voraus.
Art. 11 Kostenanteil der Leistungsnutzenden
1 Wer vom Kanton geförderte Angebote für betreutes Wohnen nutzt, hat die Pensionstaxe zu übernehmen.
2 Bei Minderjährigen übernimmt die Wohnsitzgemeinde die Pensionstaxe.
3. Investitionsdarlehen (3.)
Art. 12 Grundsatz
1 Der Kanton kann zinsfreie Darlehen an Leistungserbringer gewähren, die über eine Anerkennung nach Art. 4 verfügen.
2 Die Darlehen werden zweckgebunden für bauliche Vorhaben gewährt, die der kantonalen Angebotsplanung entsprechen.
3 Es besteht kein Rechtsanspruch auf die Gewährung von Darlehen.
Art. 13 Darlehenshöhe
1 Die vom Kanton gewährten Darlehen decken höchstens 50 Prozent der In - vestitionskosten eines Vorhabens. Die Finanzierung der restlichen Kosten muss sichergestellt sein.
2 Die Zuständigkeit für die Bewilligung von Darlehen richtet sich nach den Fi - nanzkompetenzen für neue einmalige Ausgaben.
Art. 14 Rückzahlung
1 Die Darlehen sind nach Vollendung des Vorhabens in jährlichen Teilbeträ - gen zurückzuzahlen. Die maximale Rückzahlungsfrist beträgt dreissig Jahre ab Auszahlung des Darlehens.
2 Ein Darlehen wird unverzüglich zur Rückzahlung fällig, wenn das Vorhaben aufgegeben wird oder wesentliche Bedingungen für die Gewährung des Dar - lehens entfallen.
4. Integration in Betriebe des ersten Arbeitsmarktes (4.)
Art. 15 Kantonale Leistungen
1 Der Kanton fördert die Integration von Menschen mit Behinderung in Betriebe des ersten Arbeitsmarktes mit Beratung und Beiträgen.
2 Der Regierungsrat kann den Vollzug dieser Aufgabe ganz oder teilweise auf geeignete Dritte übertragen.
Art. 16 Beitragsberechtigung
1 Beitragsberechtigt sind Betriebe des ersten Arbeitsmarktes, welche über anerkannte Ausbildungs- und Arbeitsplätze für Menschen mit Behinderung verfügen.
2 Ausbildungs- und Arbeitsplätze werden anerkannt, wenn das Angebot ge - eignet ist, die berufliche Integration von Menschen mit Behinderung zu för - dern, und die Kosten nicht höher sind als für vergleichbare Angebote eines anerkannten Leistungserbringers nach Art. 3 ff.
3 Der Kanton übernimmt höchstens die behinderungsbedingten Mehrkosten, soweit diese nicht durch Leistungen von Dritten gedeckt sind.
5. Weitere Fördermassnahmen (5.)
Art. 17 Förderbereiche
1 Der Kanton unterstützt weitere Massnahmen, welche die soziale und beruf - liche Integration von Menschen mit Behinderung fördern und einem aner - kannten Bedürfnis entsprechen.
2 Er kann insbesondere finanzielle Beiträge leisten für: a) die Beratung und Begleitung von Menschen mit Behinderung; b) ausserschulische Bildungsangebote; c) Unterstützungsleistungen zur Förderung des selbständigen Woh - nens; d) Fahrdienstleistungen, welche den öffentlichen Verkehr zweckdienlich ergänzen.
3 Es besteht kein Rechtsanspruch auf Beiträge nach Abs. 2.
Art. 18 Beitragsberechtigte Organisationen
1 Beiträge nach Art. 17 können an Organisationen ausgerichtet werden, wenn sie: a) Leistungen für Personen mit Wohnsitz im Kanton erbringen; b) Massnahmen zur Qualitätssicherung vorsehen; c) einen gemeinnützigen Zweck verfolgen; d) geordnete wirtschaftliche Verhältnisse aufweisen; e) über eine zugelassene Revisionsstelle verfügen.
Art. 19 Individuelle Unterstützungshilfe
1 Der Kanton kann individuelle Unterstützungshilfe an Menschen mit Behin - derung leisten, wenn dies im Einzelfall für deren soziale und berufliche Inte - gration von Vorteil ist und die Kosten nicht höher sind als bei angemessener Betreuung durch einen anerkannten Leistungserbringer nach Art. 3 ff.
2 Der Kanton übernimmt höchstens die behinderungsbedingten Mehrkosten, soweit diese nicht durch Leistungen Dritter und einen zumutbaren Selbstbe - halt gedeckt sind.
3 Der Regierungsrat kann Pauschalen und Höchstansätze für die anrechen - baren Kosten und Leistungen festlegen.
4 Es besteht kein Rechtsanspruch auf Beiträge.
Art. 20 Pilotprojekte
1 Der Kanton kann Pilotprojekte in Auftrag geben oder unterstützen, um neue Modelle zur Förderung der sozialen und beruflichen Integration von Menschen mit Behinderung zu prüfen.
2 Die Projekte sind befristet und bedürfen der Genehmigung des Regie - rungsrates. Nach Abschluss des Projekts ist ein Evaluationsbericht zu veröf - fentlichen.
6. Vollzug (6.)
Art. 21 Planung und Steuerung
1 Der Regierungsrat ermittelt periodisch den kantonalen Bedarf an Leis - tungsangeboten für Menschen mit Behinderung und erlässt gestützt darauf eine Angebotsplanung zur Koordination der kantonalen Fördermassnahmen. Er berücksichtigt dabei gesellschaftliche und ausserkantonale Entwicklun - gen.
2 Die kantonale Angebotsplanung dient als Grundlage für die Anerkennung von Leistungserbringern und die Ausrichtung von Beiträgen und Investitions - darlehen. Sie ist so zu gestalten, dass der Bedarf an Leistungsangeboten für einen mehrjährigen Planungshorizont gedeckt wird.
3 Der Kanton koordiniert seine Angebotsplanung mit anderen Kantonen. Betroffene und andere interessierte Kreise sind bei der Ermittlung des kanto - nalen Bedarfs und bei der Erstellung der kantonalen Angebotsplanung mit - einzubeziehen. Anerkannte Leistungserbringer sind zur Mitwirkung verpflich - tet.
4 Der Regierungsrat kann eine kantonale Stelle bezeichnen, welche die Zu - sammenarbeit zwischen Institutionen, Organisationen und Verbänden sowie den zuständigen Stellen anderer Gemeinwesen unterstützt und koordiniert.
Art. 22 Aufsicht
1 Wer Beiträge und Darlehen nach diesem Gesetz bezieht, hat der zuständi - gen Behörde unentgeltlich alle nötigen Unterlagen und Auskünfte zur Über - prüfung der Bezugsberechtigung zur Verfügung zu stellen.
2 Anerkannte Leistungserbringer sind verpflichtet, der zuständigen Behörde jeweils unaufgefordert die Jahresrechnung, den Geschäftsbericht und die Kostenrechnung einzureichen.
3 Die zuständige Behörde kann jederzeit weitere Geschäftsunterlagen einfor - dern, den Betrieb vor Ort kontrollieren und Klientendokumentationen einse - hen.
Art. 23 Rückerstattungspflicht
1 Zu Unrecht bezogene oder zweckwidrig verwendete Beiträge sind vollstän - dig zurückzuerstatten. Der Rückforderungsanspruch verjährt zehn Jahre nach Ausrichtung der Beiträge.
Art. 24 Mitwirkungspflicht von Leistungsnutzenden
1 Wer Leistungen nutzt, die nach diesem Gesetz finanziert werden, hat der zuständigen kantonalen Behörde die nötigen Auskünfte über den behinde - rungsbedingten Betreuungsbedarf und die finanziellen Verhältnisse zu ge - ben und allfällige Dritte zur sachdienlichen Auskunft zu ermächtigen.
2 Die Leistungsnutzenden sind verpflichtet, ihnen zustehende Ansprüche auf zweckbestimmte Leistungen von Sozialversicherungen, Privatversicherun - gen und anderen Pflichtigen geltend zu machen.
Art. 25 Datenbearbeitung
1 Die zuständigen kantonalen Behörden erheben die Personen- und Betriebsdaten, die für die Planung und Steuerung der kantonalen Leistungen erforderlich sind.
2 Sie bearbeiten besonders schützenswerte Daten, soweit sie zur Erfassung des behinderungsbedingten Betreuungsbedarfs und zur Überprüfung von Leistungsansprüchen notwendig sind. Dazu gehören namentlich Daten über die Gesundheit und die Intimsphäre sowie über Massnahmen im Bereich des Kindes- und Erwachsenschutzrechts und der Sozialhilfe.
3 Die Datenbearbeitung kann nach Massgabe des Datenschutzgesetzes 1 ) auf Dritte übertragen werden.
4 Betriebsdaten anerkannter Leistungserbringer können zu statistischen Zwecken ausgewertet und veröffentlicht werden. Die Daten sind für die Ver - öffentlichung so zu anonymisieren, dass keine Rückschlüsse auf Betroffene möglich sind.
Art. 26 Schlichtungsstelle
1 Der Regierungsrat bezeichnet eine unabhängige Schlichtungsstelle, wel - che bei Streitigkeiten zwischen Menschen mit Behinderung und Leistungser - bringern vermittelt.
2 Das Schlichtungsverfahren ist freiwillig und kostenlos. Es hemmt keine ge - setzlichen Fristen.
Art. 27 Strafbestimmungen
1 Mit Busse bis zu 10‘000 Franken wird bestraft: a) wer zur Erlangung von Leistungen nach diesem Gesetz über erhebli - che Tatsachen unrichtige oder unvollständige Angaben macht; b) wer eine Amtsstelle über erhebliche Tatsachen im Zusammenhang mit der Leistung eines Beitrags in Unkenntnis lässt; c) wer Leistungen zweckwidrig verwendet.
2 Versuch und Gehilfenschaft sind strafbar.
3 Das Verfahren richtet sich nach der Schweizerischen Strafprozessord - nung 2 ) .
1) bGS 146.1
2) StPO (SR 312.0 )
Art. 28 Verordnungsrecht
1 Der Regierungsrat erlässt die notwendigen Ausführungsbestimmungen.
Art. 29 Übergangsbestimmung
1 Institutionen im Sinne des IFEG, die über eine altrechtliche Anerkennung verfügen, sind ab Inkrafttreten dieses Gesetzes für eine Dauer von drei Jahren weiterhin beitragsberechtigt. Nach Ablauf dieser Frist bedürfen sie ei - ner Anerkennung nach neuem Recht.
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