Interkantonale Vereinbarung über die Zusammenarbeit im Bereich der Sonderpädagogik
Interkantonale Vereinbarung über die Zusammenarbeit im Bereich der Sonderpädagogik vom 25. Oktober 2007 I. Zweck und Grundsätze der Vereinbarung
Art. 1 Zweck
Die Vereinbarungskantone arbeiten im Bereich der Sonderpädagogik zusammen mit dem Ziel, den in der Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft
1) , in der Interkantonalen Vereinbarung über die Harmonisierung der obligatorischen Schule und im Bundesgesetz über die Beseitigung von Benachteiligungen von Menschen mit Behinderungen
2) statuierten Verpflichtungen nachzukommen. Insbesondere a) legen sie das Grundangebot fest, welches die Bildung und Betreuung von Kindern und Jugendlichen mit besonderem Bildungsbedarf garantiert, b) fördern sie die Integration dies er Kinder und Jugendlichen in der Regelschule, c) verpflichten sie sich zur An wendung gemeinsamer Instrumente.
Art. 2 Grundsätze
Die Bildung im Bereich der Sonderpädagogik basiert auf folgenden Grundsätzen: a) die Sonderpädagogik ist Teil des öffentlichen Bildungsauftrages; b) integrative Lösungen sind separi erenden Lösungen vorzuziehen, unter Beachtung des Wohles und der Entwicklungsmöglichkeiten des Kindes oder des Jugendlichen sowie unter Berücksichtigung des schulischen Umfeldes und der Schulorganisation;
1) BV (SR 101)
2) Behindertengleichstellungs gesetz (BehiG; SR 151.3)
c) für den Bereich der Sonderpädagogi k gilt der Grundsatz der Unentgelt- lichkeit; für Verpflegung und Betreuung kann von den Erziehungsberech- tigten eine finanzielle Beteiligung verlangt werden; d) die Erziehungsberechtigten sind in den Prozess betreffend die Anordnung sonderpädagogischer Massnahmen mit einzubeziehen. II. Anspruch auf sonderpädagogische Massnahmen
Art. 3 Berechtigte
Kinder und Jugendliche ab Geburt bis zum vollendeten 20. Lebensjahr, die in der Schweiz wohnen, haben unter folgenden Voraussetzungen ein Recht auf angemessene sonderpädagogische Massnahmen: a) vor der Einschulung: Wenn festgestellt wird, dass ihre Entwicklung einge- schränkt oder gefährdet ist oder sie dem Unterricht in der Regelschule ohne spezifische Unterstützung nicht werden folgen können, b) während der obligatorischen Schulzeit: Wenn festgestellt wird, dass sie in ihren Entwicklungs- und Bildungsmöglichkeiten so stark beeinträchtigt sind, dass sie dem Unterricht in der Regelschule ohne spezifische Unterstützung nicht beziehungsweise nicht mehr folgen können oder wenn ein anderer besonderer Bildungsbedarf festgestellt worden ist. III. Festlegung des sonderpädagogischen Grundangebots
Art. 4 Grundangebot
1 Das sonderpädagogische Grundangebot umfasst a) Beratung und Unterstützung, heilpädagogische Früherziehung, Logopädie und Psychomotorik, b) sonderpädagogische Massnahmen in einer Regelschule oder in einer Sonderschule, sowie c) Betreuung in Tagesstrukturen oder stationäre Unterbringung in einer sonderpädagogischen Einrichtung.
2 Die Kantone sorgen für die Organisation notwendiger Transporte und übernehmen deren Kosten für Kinder und Jugendliche, die aufgrund ihrer Behinderung den Weg zwischen Wohnort, Schule und/oder Therapiestelle nicht selbstständig bewältigen können.
Art. 5 Verstärkte Massnahmen
1 Erweisen sich die vor der Einschulung oder die in der Regelschule getroffenen Massnahmen als ungenügend, ist aufgrund der Ermittlung des individuellen Bedarfs über die Anordnung verstärkter Massnahmen zu entscheiden.
2 Verstärkte Massnahmen zeichnen sich durch einzelne oder alle der folgenden Merkmale aus: a) lange Dauer, b) hohe Intensität, c) hoher Spezialisierungsgrad der Fachpersonen sowie d) einschneidende Konsequenzen auf d en Alltag, das soziale Umfeld oder den Lebenslauf des Kindes oder des Jugendlichen.
Art. 6 Anordnung der Massnahmen
1 Die Vereinbarungskantone bezeichnen die für die Anordnung sonderpäda- gogischer Massnahmen zuständigen Behörden.
2 Die für die Anordnung sonderpädagogischer Massnahmen zuständigen Behörden bestimmen die Leistungsanbieter.
3 Die Ermittlung des individuellen Bedarfs gemäss Art. 5 Abs. 1 erfolgt im Rahmen eines standardisierten Abklärungsverfahrens durch die von den zuständigen Behörden betrauten Abklärungsstellen, die nicht identisch sind mit den Leistungsanbietern.
4 Die Zweckmässigkeit der angeordneten Massnahmen ist periodisch zu überprüfen. IV. Harmonisierungs- und Koordinationsinstrumente
Art. 7 Gemeinsame Instrumente
1 Die Vereinbarungskantone benutzen im kantonalen Recht, im kantonalen Konzept für den Bereich der Sonderpädagogik sowie in den entsprechenden Richtlinien a) eine einheitliche Terminologie, b) einheitliche Qualitätsstandards für die Anerkennung der Leistungsanbieter und c) ein standardisiertes Abklärungsverfahren zur Ermittlung des individuellen Bedarfs gemäss Art. 6 Abs. 3.
2 Die Schweizerische Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK) ist verantwortlich für die wissenschaftliche Entwicklung und Validierung der gemeinsamen Instrumente gemäss Abs. 1. Sie konsultiert zu diesem Zweck die nationalen Dachverbände der Lehrpe rsonen, der Erziehungsberechtigten und der Institutionen für Kinder und Jugendliche mit einer Behinderung.
3 Die gemeinsamen Instrumente werden von der Plenarversammlung der EDK mit einer Mehrheit von zwei Dritteln ihrer Mitglieder verabschiedet. Die Revision erfolgt durch die Vereinbarungskantone in einem analogen Verfahren.
4 Das sonderpädagogische Grundangebot ist Gegenstand des nationalen Bildungsmonitorings.
Art. 8 Lernziele
Die Anforderungsniveaus für den Bereich der Sonderpädagogik werden auf der Basis der in den Lehrplänen festgelegten Lernziele und der Bildungs- standards der Regelschule angepasst; sie berücksichtigen die individuellen Bedürfnisse und Fähigkeiten des Kindes oder des Jugendlichen.
Art. 9 Ausbildung der Lehrpersonen und des sonderpädagogischen
Fachpersonals
1 Die Grundausbildung der Lehrpersonen in Schulischer Heilpädagogik und des sonderpädagogischen Fachpersonals für Kinder und Jugendliche wird in den Anerkennungsreglementen der EDK oder im Bundesrecht geregelt.
2 Die Vereinbarungskantone arbeiten in der Entwicklung eines geeigneten Weiterbildungsangebots zusammen.
Art. 10 Kantonale Kontaktstelle
Jeder Vereinbarungskanton bezeichnet gegenüber der EDK eine kantonale Kontaktstelle, die für sämtliche den Bereich der Sonderpädagogik betreffenden Fragen zuständig ist.
Art. 11 Ausserkantonale Leistungen
Die Finanzierung von Leistungen ausserkan tonaler stationärer Einrichtungen und ausserkantonaler Einrichtungen der externen Sonderschulung richtet sich nach der Interkantonalen Vereinbarung für soziale Einrichtungen
1)
. V. Schlussbestimmungen
Art. 12 Beitritt
Der Beitritt zu dieser Vereinbarung wird dem Vorstand der EDK gegenüber erklärt.
Art. 13 Austritt
Der Austritt aus der Vereinbarung muss dem Vorstand der EDK gegenüber erklärt werden. Er tritt auf Ende des dritten der Austrittserklärung folgenden Kalenderjahres in Kraft.
Art. 14 Umsetzungsfrist
Die Kantone, die der Vereinbarung nach dem 1. Januar 2011 beitreten, müssen diese innerhalb von sechs Monaten nach dem Zeitpunkt der Ratifizierung umsetzen.
Art. 15 Inkrafttreten
1 Der Vorstand der EDK setzt die Vereinbarung in Kraft, wenn ihr mindestens zehn Kantone beigetreten sind, jedoch frühestens auf den
1. Januar 2011.
2 Das Inkrafttreten ist dem Bund zur Kenntnis zu geben.
Art. 16 Fürstentum Liechtenstein
Das Fürstentum Liechtenstein kann de r Vereinbarung beitreten. Ihm stehen alle Rechte und Pflichten eines Vereinbarungskantons zu.
1) IVSE (bGS 852.5)
Heiden, 25. Oktober 2007 Im Namen der Schweizerischen Konferenz der kantonalen Erziehungs- direktoren Die Präsidentin: Der Generalsekretär: sig. sig. Isabelle Chassot Hans Ambühl
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