Freundschafts-, Handels- und Niederlassungsvertrag
zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und Ihrer Majestät der Königin des Vereinigten Königreichs von Grossbritannien und Irland Abgeschlossen am 6. September 1855 Von der Bundesversammlung genehmigt am 7. Februar 1856³ Ratifikationsurkunden ausgetauscht am 6. März 1856 In Kraft getreten am 6. März 1856 ¹ BS 11 653; BBl 1855 II 672 , 1856 I 167 179 ² Der französische Originaltext findet sich unter der gleichen Nummer in der französischen Ausgabe dieser Sammlung. ³ AS V 269
Die Schweizerische Eidgenossenschaft und Ihre Majestät die Königin des Vereinigten Königreichs von Grossbritannien und Irland,
von dem Wunsche beseelt, die glücklicherweise zwischen beiden Ländern bestehenden freundschaftlichen Beziehungen zu erhalten und zu befestigen und die Handelsverbindungen zwischen ihren respektiven Bürgern und Untertanen durch jedes ihnen zur Verfügung stehende Mittel zu fördern, sind übereingekommen, einen Freundschafts- und Handelsvertrag sowie über gegenseitige Niederlassung abzuschliessen und haben zu diesem Zwecke zu ihren Bevollmächtigten ernannt, und zwar:
(Es folgen die Namen der Bevollmächtigten)
welche, nach Mitteilung ihrer gegenseitigen, in gehöriger Form befundenen Vollmachten, die nachstehenden Artikel festgestellt und abgeschlossen haben:
Art. I
Schweizer Bürger werden in allen Gebieten des Vereinigten Königreichs von Grossbritannien und Irland unter denselben Bedingungen und auf dem gleichen Fusse wie britische Untertanen zum Aufenthalte in allen Kantonen der Schweiz unter den gleichen Bedingungen und auf demselben Fusse wie Schweizer Bürger anderer Kantone zugelassen.
Die Bürger und Untertanen der beiden kontrahierenden Teile können demnach, vorausgesetzt, dass sie den Landesgesetzen Genüge leisten, mit ihren Familien jeden Gebietsteil des andern Staates frei betreten, sich daselbst niederlassen, wohnen und bleibend aufhalten. Sie mögen, zum Zwecke des Aufenthaltes und des Handelsbetriebes, Wohnsitze und Warenmagazine mieten und innehaben und gemäss den Gesetzen des Landes jeden Beruf oder jedes Gewerbe ausüben, oder mit gesetzlich erlaubten Artikeln sowohl im grossen als im kleinen Handel treiben, und zwar entweder in eigener Person oder durch beliebige Unterhändler oder Agenten, welche anzustellen sie für geeignet halten, vorausgesetzt, dass diese Unterhändler oder Agenten auch ihrerseits die erforderlichen Bedingungen erfüllen, um zum Aufenthalte im Lande zugelassen zu werden. Sie werden bezüglich des Aufenthaltes, der Niederlassung, des Passwesens, der Befugnis zum Aufenthalt, zur eigenen Niederlassung oder zum Handelsbetriebe, oder in Beziehung auf Ermächtigung, ihre Geschäfte, ihren Beruf, Handel oder Erwerb auszuüben, keinen grössern oder lästigeren Gebühren, Auflagen oder Bedingungen unterworfen sein als solchen, welche den Bürgern oder Untertanen des Landes, in dem sie sich aufhalten, auferlegt sind oder auferlegt werden mögen⁴; und sie werden in allen diesen Beziehungen alle Rechte, Begünstigungen und Befreiungen geniessen, welche den Bürgern oder Untertanen des Landes oder den Bürgern oder Untertanen der am meisten begünstigten Nation gewährt sind oder gewährt werden.
⁴ Siehe auch das Abk. vom 30. September 1954 zwischen der schweizerischen Eid- genossenschaft und dem Vereinigten Königreich von Grossbritannien und Nordirland zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen ( SR 0.672.936.711 ), das Abk. vom 8. Dez. 1977 zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen ( SR 0.672.936.712 ) und das Abk. vom 12. Juni 1956 zur Milderung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Erbschaftssteuern ( SR 0.672.936.72 ).
Art. II
Die Bürger oder Untertanen des einen der kontrahierenden Staaten, welche in den Gebieten des andern wohnen oder niedergelassen sind und in ihre Heimat zurückkehren wollen, oder welche durch gerichtliches Urteil, durch auf gesetzliche Weise angewendete und vollzogene Polizeimassregeln, oder kraft der Gesetze über Bettel oder Sittlichkeit in ihre Heimat zurückgewiesen werden, werden mit ihren Familien zu allen Zeiten und unter allen Umständen in dem Lande, welchem sie ursprünglich angehören und wo sie ihre Rechte den Gesetzen gemäss beibehalten haben, aufgenommen werden.
Art. III
Die Wohnungen und Magazine der Bürger oder Untertanen eines der beiden kontrahierenden Teile in dem Gebiete des andern nebst aller zu Wohnungs- oder Handelszwecken bestimmten Zugehör werden geachtet werden. Keine Durchsuchung oder Untersuchung dieser Wohnungen oder Magazine, keine Untersuchung oder Einsichtnahme der Bücher, Schriften oder Rechnungen der respektiven Bürger und Untertanen darf willkürlich vorgenommen werden, sondern solche Verfügungen sind nur kraft eines schriftlich abgefassten, rechtmässigen Urteils, Erlasses oder Befehles eines Gerichtes oder einer Behörde, die verfassungsgemässe oder gesetzliche Kompetenz hiezu besitzt, zu vollziehen.
Die Bürger und Untertanen eines der beiden kontrahierenden Teile haben überdies in den Gebieten des andern freien und offenen Zutritt zu den Gerichtshöfen zur Verfolgung und Verteidigung ihrer Rechte.Sie geniessen in dieser Beziehung die gleichen Rechte und Begünstigungen wie die Bürger oder Untertanen des Landes, und sie können gleichermassen in ihren Rechtssachen ihre Advokaten, Anwälte oder Agenten unter denjenigen Personen wählen, die nach den Landesgesetzen zur Ausübung dieser Berufsarten befugt sind.
Art. IV
Die Bürger und Untertanen eines jeden der beiden kontrahierenden Staaten können auf dem Gebiete des andern jede Art von Eigentum vollkommen frei erwerben, besitzen und darüber verfügen, sei es durch Kauf, Verkauf, Schenkung, Tausch, Heirat, testamentarische oder Intestat-Erbfolge oder auf jede andere Art, soweit die Gesetze des Landes den Angehörigen irgendeiner fremden Nation das Innehaben gestatten.
Ihre Erben und deren Vertreter können in eigener Person oder durch Bevollmächtigte, welche an ihrer Statt handeln, in der gewöhnlichen, gesetzlichen Form und auf die gleiche Weise wie Bürger oder Untertanen des Landes dieses Eigentum antreten und in Besitz nehmen, und in Abwesenheit solcher Erben und Vertreter wird das Eigentum auf die gleiche Weise behandelt wie dasjenige eines Bürgers oder Untertans des Landes unter ähnlichen Umständen.
In keiner dieser Beziehungen werden sie von dem Werte solchen Eigentums eine andere oder höhere Abgabe, Gebühr oder Auflage bezahlen, als von den Bürgern oder Untertanen des Landes entrichtet werden muss.
In jedem Falle wird es den Bürgern und Untertanen der beiden kontrahierenden Teile gestattet, ihr Vermögen ausser Landes zu ziehen, nämlich den Schweizer Bürgern aus britischem Gebiete und den britischen Untertanen aus schweizerischem Gebiete, frei und ohne bei einem solchen Aushinzuge zur Zahlung einer Gebühr als Ausländer verpflichtet zu sein, und ohne eine andere oder höhere Gebühr bezahlen zu müssen, als die Bürger oder Untertanen des Landes zu entrichten haben.
Art. V
Die Bürger oder Untertanen jedes der beiden kontrahierenden Teile sind auf dem Gebiete des andern von obligatorischem Militärdienste jeder Art, sei es in der Armee oder in der Marine, sei es in der Nationalgarde oder Miliz, befreit. Sie sind gleichfalls von allen Geld- oder Naturalleistungen, welche als Ersatz für den persönlichen Militärdienst auferlegt werden, sowie von militärischen Requisitionen befreit, mit Ausnahme der Einquartierung und Lieferungen, welche nach Landesgebrauch von Bürgern und Ausländern für Truppen auf dem Marsch gleichmässig gefordert werden.
Art. VI
Unter keinen Umständen, weder in Friedens- noch in Kriegszeiten, wird auf das Eigentum eines Bürgers oder Untertans des einen der beiden kontrahierenden Teile in dem Gebiete des andern irgendeine andere oder höhere Gebühr, Taxe, Auflage oder Abgabe gelegt oder in bezug auf dasselbe erhoben, als auf das gleiche Eigentum gelegt oder in bezug auf dasselbe bezogen werden kann, wenn es einem Bürger oder Untertan des Landes oder einem Bürger oder Untertan der am meisten begünstigten Nation angehört.
Ebensowenig wird einem Bürger oder Untertan des einen der beiden kontrahierenden Teile in dem Gebiete des andern irgendeine andere oder höhere Taxe oder Steuer auferlegt oder von ihm erhoben, als solche einem Bürger oder Untertan des Landes oder einem Bürger oder Untertan der am meisten begünstigten Nation auferlegt oder von demselben erhoben wird.
Art. VII
Jedem der beiden kontrahierenden Staaten steht es zu, Konsuln zur Residenz auf den Gebieten des andern Staates zu ernennen; kein Konsul aber kann als solcher handeln, bevor er in der üblichen Form von der Regierung, bei welcher er bestellt ist, genehmigt und anerkannt ist. Jeder der kontrahierenden Teile kann, je nachdem er es für geeignet erachtet, bestimmte Plätze vorbehalten, welche zu Konsularsitzen durch den andern nicht bezeichnet werden dürfen.
Die Konsuln eines jeden der kontrahierenden Teile in den Gebieten des andern geniessen jegliche Begünstigungen, Freiheiten und Gerechtsnahme, welche daselbst den Konsuln der am meisten begünstigten Nation gewährleistet sind oder noch gewährleistet werden.
Art. VIII
In allem, was die Einfuhr, die Niederlage, die Durchfuhr und die Ausfuhr von gesetzlich erlaubten Handelsartikeln betrifft, verpflichten sich die beiden kontrahierenden Teile, ihre gegenseitigen Bürger und Untertanen auf den gleichen Fuss zu stellen wie Bürger und Untertanen des Landes oder wie die Bürger oder Untertanen der am meisten begünstigten Nation, insofern die letztern einen ausnahmsweisen Vorteil, der den eigenen Angehörigen nicht gewährt ist, geniessen.
Art. IX ⁵
Keiner der beiden kontrahierenden Teile wird von der Einfuhr, der Niederlage, der Durchfuhr oder der Ausfuhr aller Artikel, welche Natural- oder Gewerbserzeugnisse der Gebiete des andern sind, eine andere oder höhere Gebühr erheben, als die, mit welcher der gleiche Artikel, wenn er das Natural- oder Gewerbserzeugnis irgendeines andern fremden Landes ist, belegt wird oder werden mag.
⁵ Siehe jedoch Art. 1 der Zusatzübereink. vom 30. März 1914 ( SR 0.142.113.671.1 )
Art. X ⁶
Die beiden kontrahierenden Teile verpflichten sich ferner, jede Begünstigung, welche in Handelssachen einer von ihnen späterhin einem dritten Staate gewähren wird, auf gleiche Weise und zu gleicher Zeit auch auf den andern kontrahierenden Teil auszudehnen.
⁶ Siehe jedoch Art. 1 der Zusatzübereink. vom 30. März 1914 ( SR 0.142.113.671.1 )
Art. XI
Gegenwärtiger Vertrag wird für den Zeitraum von zehn Jahren, vom Tage der Auswechslung der Ratifikationsurkunden an gerechnet, in Kraft bestehen und für weitere zwölf Monate, vom Zeitpunkt an gerechnet, an welchem der eine der beiden kontrahierenden Teile dem andern von seiner Absicht, denselben aufzuheben, Kenntnis gegeben hat; jeder der kontrahierenden Teile hat das Recht zu solcher Kenntnisgabe an den andern nach Ablauf der besagten Zeit von zehn Jahren oder zu jedem spätern Zeitpunkte.
Art. XII
Gegenwärtiger Vertrag soll ratifiziert und die Ratifikationen in Bern sobald als möglich innerhalb zwölf Monaten nach seiner Unterzeichnung ausgewechselt werden.
Unterschriften
Zu Urkund dessen haben die beiderseitigen Bevollmächtigten diesen Vertrag in französischer und englischer Sprache unterzeichnet und ihre Siegel beigesetzt.
Geschehen, in doppelter Ausfertigung, in Bern am sechsten Tage des Monats September im Jahre des Heils eintausendachthundertfünfzigundfünf.
Furrer | G. J. Gordon |
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