Verordnung betreffend das Verfahren bei der Gewährleistung im Viehhandel (221.211.22)
CH - Schweizer Bundesrecht

Verordnung betreffend das Verfahren bei der Gewährleistung im Viehhandel

vom 14. November 1911 (Stand am 1. Januar 2011)
Der Schweizerische Bundesrat,
in Ausführung von Artikel 202 Absatz 3 des Ob­ligationenrechts (OR)¹,
beschliesst:
¹ SR 220

I. Allgemeine Bestimmungen

Art. 1
Beim Handel mit Vieh (Pferden, Eseln, Maultieren, Rindvieh, Schafen, Ziegen und Schweinen) besteht eine Pflicht zur Gewährleistung nur insoweit, als der Ver­käufer sie dem Käufer schriftlich zugesichert oder den Käufer absichtlich ge­täuscht hat (Art. 198 OR).
Art. 2
¹ Gestützt auf die schriftlich übernommene Gewährleistung für Trächtigkeit haftet der Verkäufer dem Käufer nur, wenn der Mangel dem Verkäufer, nachdem sich sichere Zeichen des Nichtträchtigseins gezeigt haben oder das Tier auf den ange­gebe­nen Zeitpunkt nicht geworfen hat, sofort angezeigt und bei der zuständigen Behörde die Untersuchung des Tieres durch Sachverständige verlangt wird.
² Gestützt auf die schriftlich zugesicherte Gewährleistung dafür, dass das Tier in­nert bestimmter Frist werfe, haftet der Verkäufer dem Käufer nur, wenn sofort nach der Geburt deren Verspätung dem Verkäufer angezeigt wird.
Art. 3
¹ In den in Artikel 2 nicht genannten Fällen der Gewährleistung im Viehhandel haf­tet, sofern die schriftliche Zusicherung keine Fristbestimmung enthält, der Verkäu­fer dem Käufer nur, wenn der Mangel binnen neun Tagen, von der Überga­be oder vom Annahmeverzug (Art. 91ff. OR) an gerechnet, entdeckt und dem Verkäufer an­ge­zeigt und binnen der gleichen Frist bei der zuständigen Behörde die Untersuchung des Tieres durch Sachverständige verlangt wird (Art. 202 Abs. 1 OR).
² Enthält die schriftliche Zusicherung eine Fristbestimmung, so haftet der Verkäu­fer dem Käufer nur, wenn der Mangel sofort nach der Entdeckung und innert der Garantiefrist dem Verkäufer angezeigt und bei der zuständigen Behörde die Unter­su­chung des Tieres durch Sachverständige verlangt wird.
Art. 4 ²
¹ Bei der Berechnung der Fristen wird der Tag, an dem die Frist zu laufen beginnt, nicht mitgezählt.
² Ist der letzte Tag einer Frist ein Sonntag oder ein vom zutreffenden kantonalen Recht anerkannter Feiertag³, so endigt sie am nächstfolgenden Werktag.
³ Eine Frist gilt nur dann als eingehalten, wenn die Handlung innerhalb derselben vorgenommen wird. Schriftliche Eingaben müssen spätestens am letzten Tag der Frist an die Stelle, bei der sie einzureichen sind, gelangt oder zu deren Handen der schweizerischen Post übergeben sein.
² Fassung gemäss Ziff. I des BRB vom 31. Jan. 1969, in Kraft seit 1. März 1969 ( AS 1969 177 ).
³ Hinsichtlich der gesetzlichen Fristen des eidgenössischen Rechts und der kraft eidgenössischen Rechts von Behörden angesetzten Fristen wird heute der Samstag einem anerkannten Feiertag gleichgestellt (Art. 1 des BG vom 21. Juni 1963 über den Fristenlauf an Samstagen – SR 173.110.3 ).

II. Das Vorverfahren

Art. 5
¹ Die Kantone bezeichnen die zur Leitung des Vorverfahrens kompetente Behörde.
² Zur Leitung des Vorverfahrens örtlich zuständig ist die Behörde, in deren Amts­kreis sich das Tier befindet.
Art. 6
Auf Begehren des Käufers (Art. 2 Abs. 1 und Art. 3) ordnet die Behörde sofort ei­ne Untersuchung des Tieres durch einen oder mehrere Sachverständige an.
Art. 7
Sind mehrere Sachverständige ernannt worden und können sie sich über ein gemeinsamens Gutachten nicht einigen, so kann die zuständige Behörde auf Begeh­ren einer Partei eine Oberexpertise anordnen.
Art. 8
¹ Als Sachverständige sind in der Regel Inhaber eines eidgenössischen tierärztli­chen Diploms beizuziehen.
² Die Behörde bezeichnet die Sachverständigen, ohne über die zu ernennenden Per­sonen Vorschläge von den Parteien einzuholen.
Art. 9
¹ Wer nach der Zivilprozessordnung vom 19. Dezember 2008⁴ (ZPO) in dem Rechtsstreit das Richteramt nicht ausüben könnte und wer das Tier unmittelbar vor oder nach dem Abschluss des Kaufvertrages tierärztlich behandelt hat, darf als Sachverständiger nicht berufen werden.⁵
² Die Behörde hat den Parteien Gelegenheit zu geben, Einspruch gegen die von ihr bezeichneten Sachverständigen zu erheben.
⁴ SR 272
⁵ Fassung gemäss Ziff. II 3 der V vom 18. Juni 2010 über die Anpassung von Verordnungen an die Schweizerische Zivilprozessordnung, in Kraft seit 1. Jan. 2011 ( AS 2010 3053 ).
Art. 10
¹ Die Untersuchung des Tieres ist von den Sachverständigen innert 48 Stunden nach der Mitteilung ihrer Ernennung vorzunehmen.
² Mehrere Sachverständige haben die Untersuchung gemeinsam vorzunehmen.
³ Von Zeit und Ort der Untersuchung hat die Behörde den Parteien Kenntnis zu geben.
Art. 11
¹ Die Sachverständigen prüfen, ob das Tier mit dem gerügten Mangel behaftet ist.
² Bejahen sie die Frage, so haben sie den Minderwert des Tieres und den Schaden festzustellen, den der Käufer infolge des Mangels erleidet.
³ Als Minderwert gilt in allen Fällen die Differenz zwischen dem Verkehrswert, den das Tier in vertragsgemässem Zustand gehabt hätte, und dem Werte des mit dem gerügten Mangel behafteten Tieres.
Art. 12
¹ Ist nach dem Gutachten der Sachverständigen zur Feststellung des Tatbestandes die Tötung des Tiers unerlässlich, so hat die Behörde nach Anhörung der Parteien hierüber zu entscheiden.
² Steht das Tier während des Verfahrens um, oder ist dessen Notschlachtung er­for­derlich, nachdem bereits eine Expertise stattgefunden hat, so kann die Behörde, auf Verlangen einer Partei, am toten Körper eine weitere Untersuchung anordnen.
Art. 13
¹ Die Sachverständigen haben ohne Verzug der Behörde ein schriftliches, moti­vier­tes Gutachten einzureichen.
² Die Behörde stellt eine Abschrift des Gutachtens ungesäumt den Parteien zu.
Art. 14
¹ Nach Eingang des Gutachtens ordnet die Behörde, sofern die Besichtigung des Tieres nicht mehr erforderlich ist, auf Verlangen einer Partei und unter Benach­rich­tigung der Beteiligten, die öffentliche Versteigerung des Tieres an und nimmt den Erlös in amtliche Verwahrung.
² Es steht jedoch den Parteien zu, durch Sicherheitsleistung die Versteigerung aus­zuschliessen.

III. Das Hauptverfahren

Art. 15 ⁶
Auf die Gewährleistungsprozesse der Artikel 2 und 3 ist die ZPO⁷ anwendbar.
⁶ Fassung gemäss Ziff. II 3 der V vom 18. Juni 2010 über die Anpassung von Verordnungen an die Schweizerische Zivilprozessordnung, in Kraft seit 1. Jan. 2011 ( AS 2010 3053 ).
⁷ SR 272
Art. 16
Im Hauptverfahren wird auch darüber entschieden, wer die Kosten des Vorverfah­rens zu tragen hat.

IV. Anwendungs- und Einführungsbestimmungen

Art. 17
Die Bestimmungen dieser Verordnung über das Verfahren bei der Gewährleistung beim Viehkauf finden auf den Tauschvertrag (Art. 237 und 238 OR) entspre­chende Anwendung.
Art. 18
¹ Diese Verordnung tritt am 1. Januar 1912 in Kraft.
² Ihre Vorschriften finden auf die vor dem 1. Januar 1912 abgeschlossenen Ver­äus­serungsverträge keine Anwendung.
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