Übereinkunft zwischen der Schweiz und Italien über den Zolldienst in den internationalen Bahnhöfen Chiasso und Luino
Abgeschlossen am 15. Dezember 1882 Ratifikationsurkunden ausgetauscht am 9. Juli 1883 In Kraft getreten am 9. Juli 1883 ¹ BS 12 797 ² Der Originaltext findet sich unter der gleichen Nummer in der italienischen Ausgabe dieser Sammlung.
Der Bundesrat der Schweizerischen Eidgenossenschaft und Seine Majestät der König von Italien,
in der Absicht, den Dienst der in den internationalen Stationen Chiasso und Luino und in den Zwischenstationen Maccagno und Pino an der Gotthardbahn vereinigten Zollbüros der beiderseitigen Staaten, gemäss Artikel 10 der Übereinkunft vom 23. Dezember 1873³ durch eine besondere Übereinkunft zu ordnen,
haben hiefür zu ihren Bevollmächtigten ernannt:
(Es folgen die Namen der Bevollmächtigten)
welche, nach gegenseitiger Mitteilung ihrer, in guter und gehöriger Form befundenen Vollmachten, folgende Artikel vereinbart haben:
³ SR 0.742.140.12
Art. 1
Die internationale Gotthardbahn zwischen Italien und der Schweiz gilt auf den Punkten, wo sie die Grenze überschreitet, als Zollstrasse.
Alle Personen‑ und Güterzüge können, bei Beobachtung der in beiden Staaten bestehenden Vorschriften, auf genannter Strasse frei zirkulieren, sowohl nachts als am Tage, und an Feier‑ wie an Werktagen, mit Vorbehalt der in jedem der beiden Staaten in Kraft bestehenden Verbote in bezug auf Ein‑, Aus‑ oder Durchfuhr von bestimmten Warengattungen.
Art. 2
Die internationalen Stationen Chiasso und Luino und die Zwischenstationen Maccagno und Pino, wie auch die Bahnstrecken zwischen denselben und der Grenze, unterliegen der Überwachung der Zollbehörden des Staates, auf dessen Gebiet sie sich befinden.⁴
⁴ Die schweizerischen Zollämter in den Zwischenstationen Maccagno und Pino wurden aufgehoben (Art. 1 und 2 der Abmachung vom 5./26. Nov. 1924 –BS 12 804).
Art. 3
Die in vorgenannten internationalen Hauptstationen und in den Zwischenstationen zwischen jenen und der Grenze vereinigten Zollbüros werden sich gegenseitig in der kürzesten Weise die Wahrnehmungen über Vorgänge mitteilen, welche die gegenseitigen Interessen beeinträchtigt hätten oder beeinträchtigen können, oder welche Ein‑, Aus‑ oder Durchfuhr‑Verbote verletzen würden, und werden zusammenwirken, um den Schmuggel zu verhindern.
Art. 4
Die Oberbeamten jedes der vereinigten Büros und die Beamten, welche von den beiderseitigen Behörden hiezu besonders delegiert werden, können von den Registern, Zollscheinheften und ähnlichen Schriften des andern Büros betreffend die Warenbewegung Kenntnis nehmen, sowie Abschriften und Auszüge von denselben erheben.
Art. 5
Bezüglich der Wirkung oder der Folgen der Anwendung der Zollverordnungen und der Kompetenz und des Verfahrens bei Übertretungen sollen die Stationen, wo die vereinigten Zollbüros sich befinden, sowie auch die Bahnstrecke zwischen denselben und der Grenze, als in demjenigen Staate befindlich angesehen werden, unter welchem die Zollbüros stehen.
Art. 6
Die vereinigten Zollbüros sollen äusserlich mit dem Wappenschilde ihres Staates mit der entsprechenden Aufschrift versehen werden.
Das Personal derselben kann die durch die betreffenden Reglemente vorgeschriebene Uniform und Bewaffnung tragen, mit Ausnahme des Gewehrs, welches nur bei Begleitung der Züge oder zur Nachtzeit, zur Bewachung der Waren und der Kasse getragen werden darf.
Art. 7
Das Personal hat, nebst der Überwachung der Magazine und Lagerstätten für die zur Einfuhr in den eigenen Staat bestimmten Waren, das Recht des Zutritts zu allen andern Magazinen und Lagerstätten von Waren im Umkreis der Station während des Tagesdienstes, und kann den Abladungen, Verladungen und Wägungen beiwohnen, welche die Bahnangestellten vornehmen.
Art. 8
Die vereinigten Zollbüros sind ermächtigt, ihren Dienst und die Zollabfertigung der Waren, Postsendungen und Passagiereffekten gemäss den Gesetzen und Verordnungen des eigenen Staates zu besorgen, wobei insbesondere für die Durchfuhr alle mit der Beobachtung der genannten gesetzlichen Erlasse vereinbarlichen Erleichterungen gewährt werden sollen.
Art. 9
Die vereinigten Zollbüros haben das Recht, in den Fällen und in der Weise, wie dies im betreffenden Staate vorgeschrieben ist, strafrechtlich gegen jede Verletzung der Zollvorschriften vorzugehen, welche in den Stationen oder auf der Bahnstrecke zwischen diesen und der Grenze begangen werden sollte.
Die kompetenten Behörden des Staates, zu dem das Büro gehört, sind berechtigt, Untersuchungen behufs Feststellung solcher Übertretungen vorzunehmen, die vom genannten ausgeführten Sequester zu bestätigen und die Übertretungen selbst, den betreffenden Strafgesetzen gemäss, abzuurteilen.
Art. 10
Auf Ansuchen der erwähnten Behörden haben die Behörden des Staates, in welchem die internationale Station liegt, bei Übertretungen der Zollvorschriften des andern Staates
1. Zeugen und Sachverständige einzuvernehmen;
2. amtliche Besichtigungen und Durchsuchungen zu pflegen und das Ergebnis derselben zu bescheinigen;
3. den Angeschuldigten die Vorladungen und Erkenntnisse der Behörden des andern Staates zu behändigen.
Art. 11
Um den Angestellten und den Agenten des Zollbüros des Nachbarstaates die Erfüllung ihrer Aufgabe zu erleichtern, soll das Zollbüro des Staates, in welchem die Station liegt, jeweilen auf gestelltes Verlangen, sofort seine Wächter anweisen, den genannten Angestellten und Agenten Beistand zu leisten, ohne dass dafür der Verwaltung des andern Staates irgendwelche Kosten überbunden werden dürfen.
Art. 12
Die Befugnisse der vereinigten Zollbüros sind beiderseits diejenigen, wie sie in Italien den Zollbüros erster Klasse und zweiten Ranges, und in der Schweiz den Hauptzollbüros zukommen; wobei jedoch jede Verwaltung denselben je nach Gutfinden ausgedehntere Befugnisse übertragen kann.
Die Zwischenzollbüros Maccagno und Pino, welche in den Stationen vereinigt sind, die zwischen den internationalen Stationen und der Grenze bestehen, haben diejenigen Befugnisse, welche in Italien den Zollbüros letzten Ranges und letzter Klasse und in der Schweiz den Nebenzollbüros zukommen.⁵
Die Beförderung der Waren zwischen den Zwischenstationen und den internationalen Hauptstationen ist mit Zirkulations‑ oder Begleitscheinen auszuweisen, um denselben die Zollbefreiung zu sichern.⁶
⁵ Siehe Fussnote zu Art. 2.
⁶ Heute ist die Warenbeförderung zwischen den Stationen Maccagno und Pino und dem internationalen Bahnhof Luino schweizerischerseits von allen Zollformalitäten oder Zollfesseln befreit (Art. 2 Abs. 1 der Abmachung vom 5./26. Nov. 1924 – BS 12 804).
Art. 13
Die Revision des Gepäcks, mit Inbegriff des kleinen Handgepäcks der Passagiere, und die betreffenden Zollabfertigungen sind gleichzeitig durch die beiden Büros in dem hiezu bestimmten gemeinschaftlichen Saale und sofort nach Ankunft des Zuges vorzunehmen, damit die Weiterbeförderung der genannten Gegenstände und Passagiere mit dem gleichen Zuge möglich sei.
Art. 14
Die Waren sollen unmittelbar aus der Hand der einen Zollverwaltung in die Hand der andern übergehen, mit Vorbehalt der notwendigen Behandlung durch die Bahnagenten.
Art. 15
Die Kontrollierung und Revision der Waren ist zuerst von den Angestellten des Staates, aus welchem sie austreten, und sodann von den Angestellten des Staates, in welchen sie eingeführt werden sollen, vorzunehmen. Soweit möglich soll diese Zollbehandlung von den Angestellten beider Staaten gleichzeitig besorgt werden.
Art. 16
Die Angestellten jedes der vereinigten Büros sind befugt, den Amtshandlungen der Agenten des andern Staates beizuwohnen.
Art. 17
Die vereinigten Büros können sich gegenseitig Bescheinigungen über Einfuhr und Ausfuhr von Waren ausstellen.
Keines der beiden Büros kann die Auflassung der Sicherstellungen, welche für die Ausfuhr der transitierenden Waren aus dem eigenen Staate oder für die Wiederausfuhr aus den Entrepôts geleistet worden sind, bewilligen, noch die Zollrückvergütungen oder andere durch die betreffenden Gesetze für die Ausfuhr eingeräumte Erleichterungen gewähren, bevor der Nachweis vom Büro des andern Staates beigebracht ist, dass die Ware diesem letzern Büro vorgewiesen worden ist.
Die genannten Bescheinigungen sind in summarischer Form, d. h. mittelst einfacher Anmerkungen auf den Begleitschriften des andern Büros auszustellen.
Art. 18
Die an den Waggons oder an den einzelnen Kollis angebrachten zollamtlichen Verbleiungen, Siegel und Vorhäng‑Schlösser dürfen von den Angestellten des Ausgangs‑Zollbüros nur in Gegenwart der Angestellten des andern Staates gelöst werden, welche eventuell sofort die ihrigen anbringen werden.
Art. 19
Gemäss Artikel 11 der Übereinkunft von Bern vom 23. Dezember 1873⁷ können die beiden Zollverwaltungen durch ihr Personal die Züge von der internationalen Station bis zur ersten Station jenseits der Grenze, und umgekehrt, begleiten lassen.
⁷ SR 0.742.140.12
Art. 20
Alle Züge, welche in den internationalen Stationen Chiasso und Luino mit Waren anlangen, die für den andern Staat bestimmt sind, müssen von Ladlisten begleitet sein, in welchen alle durch die betreffenden Züge beförderten Waren und Gegenstände, mit Ausnahme des Passagiergepäcks, verzeichnet sind.
Diese Ladlisten müssen sofort nach Ankunft des Zuges den Zollbüros mit allen vorgeschriebenen Begleitpapieren zugestellt werden, und es sollen dieselben in der Weise und Anzahl aufgesetzt sein, wie es von den betreffenden Verwaltungen vorgeschrieben ist, soweit tunlich für beide Büros gleichförmig.
Art. 21
Von der Ankunft in der betreffenden Station bis zum Abgang unterliegen die Waren für die Kontrollierung, Abladung, Verladung und Überwachung den Bestimmungen des Zollbüros des Staates, in dessen Gebiet die Waren eintreten sollen, unter Berücksichtigung der berechtigten Anforderungen des Büros des andern Staates.
Art. 22
Die Aufsicht jedes der vereinigten Büros über die Magazine, Lagerstätten usw. für die zum Eingange in den betreffenden Staat bestimmten Waren hat die Wahrung der Finanz‑ oder Zollinteressen im Auge, und dieselbe vermindert nicht die Verantwortlichkeit der Bahnverwaltung für die Sicherheit der Waren gegenüber den Eigentümern und Adressaten.
Art. 23
Die Bahnverwaltung ist verpflichtet, alle erforderlichen Massnahmen zu treffen, damit die den Zollvorschriften unterworfenen Waren, Passagiere und Effekten nur durch diejenigen Zugänge in die Stationen eingehen und von denselben ausgehen, welche im Interesse des Dienstes der beiderseitigen Zollbüros hiefür bestimmt sein werden.
Art. 24
Die Bahnverwaltung hat die vereinigten Zollbüros rechtzeitig von den gewöhnlichen oder aussergewöhnlichen Änderungen in den Fahrtenplänen der Personen- und der Waren‑Züge sowie von der allfälligen Veranstaltung ausserordentlicher Züge in Kenntnis zu setzen.
Art. 25
Die Verwaltung der Gotthardbahn und die Verwaltung der Bahnen von Oberitalien⁸, und für dieselben ihre Büros in den internationalen Stationen müssen bei Verantwortlichkeit verhindern, dass irgendwelche Ware die Station verlasse, ohne dass die betreffenden Zollformalitäten, seien es italienische oder schweizerische, erfüllt worden sind.
Die beiden Bahngesellschaften sind für die Ausserachtlassung dieser Vorschrift verantwortlich, auf Grund der Strafbestimmungen der Zollgesetzgebung der beiden Vertragsstaaten.
Ebenso haben die beiden Gesellschaften, unter ihrer Verantwortlichkeit, darüber zu wachen, dass die Collis, welche in die zur Aufnahme der von einem der Staaten im Transit mit Bestimmung nach dem andern Staate angelangten Waren dienenden Lokale eingelagert worden sind, aus diesen Lokalen, für eine anderweitige Bestimmung, nicht ohne die ausdrückliche Einwilligung der Zollbüros der beiden Staaten entfernt werden können.
⁸ Heute: Die Verwaltung der Schweizerischen Bundesbahnen und die Verwaltung der Italienischen Staatseisenbahnen (Ziff. 1 ad Art. 1 des Schlussprot. zum Staatsvertrag vom 13. Okt. 1909 zwischen der Schweiz, Deutschland und Italien betreffend die Gotthardbahn – SR 0.742.140.11 .).
Art. 26
Die Behörden des Staates, auf dessen Gebiet die internationale Station sich befindet, werden den Zollangestellten des andern Staates bei den Amtshandlungen ihres Dienstes den gleichen Schutz und Beistand leisten, wie den Angestellten des eigenen Staates.
Den Angestellten der Zoll‑, Eisenbahn‑, Post‑, Telegrafen‑ und Polizei‑Büros des Nachbarstaates, weiche auf dem Gebiet, wo die internationale Station steht, sich befinden, sowie ihren bei ihnen wohnenden Familien soll von Seite des Staates, auf dessen Gebiet sie wohnen, der gleiche Schutz zuteil werden, den derselbe den eigenen Bürgern gewährt.
Art. 27
Die genannten Angestellten stehen in bezug auf Dienst und Disziplin ausschliesslich unter den Behörden des Staates, dem sie angehören.
Dieselben müssen jedoch die Strafgesetze und Polizeireglemente des Staates, auf dessen Gebiet sie wohnen, beobachten und unterliegen in dieser Hinsicht der Gerichtsbarkeit dieses Staates.
Wird wegen Übertretung der genannten Gesetze ein Angestellter oder Agent verhaftet, so ist der ihm vorgesetzten Behörde hiervon sofort Kenntnis zu geben.
Art. 28
Die vorgenannten Angestellten und die Mitglieder ihrer Familien sind frei von jeder Art Militärdienst oder von irgendwelcher andern persönlichen Leistung in dem Staat, auf dessen Gebiet sie wohnen.
Art. 29
Die Angestellten und ihre Familien geniessen, bei Anlass ihrer ersten Niederlassung, von Seite des Staates, in welchem die internationale Station liegt, Zollfreiheit für ihre gebrauchten und zu brauchenden Mobilien und Effekten und für die ausschliesslich zu ihrem Gebrauche bestimmten Uniformen und Waffen.
Von jeder Eingangs‑ oder Ausgangs‑Gebühr befreit sind die für genannte Büros benötigten Mobilien, Werkzeuge, Geräte, Register, Formulare usw.
Art. 30
Gegenwärtige Übereinkunft tritt mit dem Datum ihrer Bekanntmachung in Kraft, zunächst für die Dauer bis zum 31. Dezember 1884; sie verbleibt ferner von Jahr zu Jahr in Kraft, sofern nicht eine Aufkündung oder ein Revisionsbegehren von Seite der einen oder andern der kontrahierenden Regierungen wenigstens sechs Monate vor Ende des Jahres erfolgt sein wird.
Durch gegenwärtige Übereinkunft werden die mit Protokoll vom 8. September 1876⁹ angenommenen provisorischen Dienstvorschriften betreffend das internationale Zollamt Chiasso aufgehoben.
⁹ In der AS nicht veröffentlicht.
Art. 31
Die vertragschliessenden Regierungen behalten sich die Ratifikation gegenwärtiger Übereinkunft vor.
Unterschriften
Zu Urkund dessen haben die beiderseitigen Bevollmächtigten ihre Unterschriften und Siegel hier beigesetzt.
So geschehen zu Bern, den 15. (fünfzehnten) Dezember 1882.
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