Vertrag zwischen der Schweiz und Frankreich betreffend Fragen des Arbeitsmarktes (0.142.113.494)
CH - Schweizer Bundesrecht

Vertrag zwischen der Schweiz und Frankreich betreffend Fragen des Arbeitsmarktes

Abgeschlossen am 1. August 1946 Von der Bundesversammlung genehmigt am 18. Dezember 1946¹ Ratifikationsurkunden ausgetauscht am 3. Februar 1947 In Kraft getreten am 3. Februar 1947 (Stand am 3. Februar 1947) ¹ AS 63 433
Der Schweizerische Bundesrat und die Provisorische Regierung der Republik Frankreich,
bestrebt, den Austausch von Arbeitskräften zwischen Frankreich und der Schweiz zu fördern und zu organisieren und auf ihrem Gebiete die Gleichbehandlung ihrer Angehörigen mit denjenigen des anderen Staates in bezug auf die arbeitsrechtliche Stellung soweit als möglich herzustellen, haben beschlossen, zu diesem Zweck einen Vertrag zu schliessen und als Bevollmächtigte bezeichnet:
(Es folgen die Namen der Bevollmächtigten)
die nach Austausch ihrer in guter und gehöriger Form befundenen Vollmachten
folgendes vereinbart haben:
Art. 1
Die schweizerische Regierung und die französische Regierung verpflichten sich, der Ausreise ihrer Staatsangehörigen, die sich zur Arbeitsaufnahme in eines der beiden Länder begeben wollen, kein Hindernis in den Weg zu legen, soweit diese Ausreise von Arbeitskräften der wirtschaftlichen und bevölkerungspolitischen Lage des betreffenden Landes nicht abträglich ist.
Sie gewähren ihnen sowie ihren Ehegatten und Kindern, die sie begleiten oder die nachkommen wollen, zu diesem Zweck alle verwaltungsrechtlichen Erleichterungen. Sie händigen ihnen insbesondere die erforderlichen Identitätspapiere und Reisepässe aus.
Für den Fall, dass Arbeitnehmer des einen oder anderen Landes und ihre Familie, die im andern Staat niedergelassen sind oder sich ordnungsgemäss dort aufhalten, in ihren Heimatstaat zurückkehren wollen, gewähren ihnen die beiden Regierungen alle verwaltungsrechtlichen Erleichterungen.
Art. 2
Blankogesuche, das heisst Gesuche für nicht mit Namen genannte Arbeitnehmer, sind von durch die zuständigen Ministerien des Einreiselandes hierfür bezeichneten Behörden zu visieren und hierauf den zuständigen Behörden des andern Landes zuzustellen. Diese Gesuche haben den von den zuständigen französischen und schweizerischen Behörden auf dem Weg der Vereinbarung aufgestellten Muster­gesuchen zu entsprechen.
Gesuche für mit Namen genannte Arbeitnehmer sind in gleicher Weise zu visieren und, sei es direkt, sei es durch die Vermittlung des Arbeitgebers, den Arbeitnehmern zuzustellen.
Die von den Arbeitgebern vorgeschlagenen Arbeitsverträge und von ihnen vor­gelegten Gesuchen für Arbeitnehmer dürfen keine dem vorliegenden Vertrag widersprechende Abrede enthalten.
Art. 3
Sowohl die auf Grund eines Blankogesuches als auch die auf Grund eines nament­lichen Einzelvertrages angeworbenen Arbeitnehmer müssen vor Ankunft im einen oder anderen Lande im Besitz eine nach den Bestimmungen des Artikel 2 visierten Arbeitsvertrages sein.
Sie müssen überdies im Besitze eines ärztlichen Zeugnisses sein, das von einem von dem Lande, in dem sie beschäftigt werden sollen, hierzu ermächtigten Vertrauensarzte ausgestellt ist.
Art. 4
Die Anwerbung schweizerischer Arbeitnehmer und ihre Ausreise nach Frankreich, die unter Kontrolle der zuständigen französischen Behörden dem Vertreter des «Office National d’immigration» in der Schweiz anvertraut sind, erfolgen im Einvernehmen und unter Mitwirkung des Bundesamtes für Industrie, Gewerbe und Arbeit.
Art. 5
Die eingewanderten Arbeitnehmer erhalten bei gleicher Leistung eine Entlöhnung, die derjenigen der Arbeitnehmer der gleichen Kategorie im gleichen Betriebe oder, wenn Arbeitnehmer dieser Kategorie im gleichen Betriebe nicht vorhanden sind, der ortsüblichen Entschädigung der Arbeitnehmer dieser Kategorie entspricht.
Die Regierung des Einreiselandes übernimmt die Verpflichtung, mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln darüber zu wachen, dass auf ihrem Gebiete die ein­gewanderten Arbeitnehmer in bezug auf die Entlöhnung den eigenen Staatsange­hörigen gleichgestellt werden.
Art. 6
Die Staatsangehörigen jeder der beiden hohen vertragschliessenden Parteien genies­sen auf dem Gebiete des andern Staates den gleichen Schutz, wie er den eigenen Staatsbürgern gewährt wird, sowie Gleichbehandlung in bezug auf die das Arbeitsrecht regelnden Gesetze, im besondern auch, was die Hygiene und den Schutz der Arbeitnehmer anbelangt. Diese Gleichbehandlung erstreckt sich auch auf alle Bestimmungen, die in dieser Sache in den beiden Ländern in Zukunft erlassen werden.
Art. 7
Für den Fall, dass in einem der beiden Staaten ordnungsgemäss zum Aufenthalt berechtigte Arbeitnehmer des andern Staates arbeitslos werden, haben sie sich an die zuständige öffentliche Arbeitsnachweisstelle zu wenden, die sich bemühen wird, ihnen eine Anstellung zu verschaffen.
Diese Arbeitnehmer geniessen in bezug auf die Arbeitslosenversicherung im eigentlichen Sinne und die nationalen Hilfswerke bei Arbeitslosigkeit die gleichen Vorteile, wie sie den Angehörigen des Aufenthaltsstaates zustehen.²
² Siehe auch das Prot. hiernach.
Art. 8
Alle Beschwerden der Arbeitnehmer, insbesondere solche, die sich auf die von den Arbeitgebern gebotenen Arbeits- und Lebensbedingungen beziehen, sind, sei es direkt, sei es durch Vermittlung diplomatischer oder konsularischer Behörden, an die zuständigen Behörden des Aufenthaltsstaates zu richten oder weiterzuleiten, gleichgültig, ob sie in der Sprache des Aufenthalts- oder Heimatstaates des Arbeitnehmers abgefasst sind; die zuständige Behörde des Aufenthaltsstaates ist allein berechtigt, die erforderlichen Untersuchungen durchzuführen und zwecks Herbeiführung einer gütlichen Regelung zu intervenieren.
Jede Regierung kann ihrer diplomatischen Vertretung beim andern Staat einen Sonderbeauftragten für Arbeitsfragen und für den Verkehr mit den zuständigen Verwaltungsbehörden des Landes, in dem die Arbeitnehmer des andern Staates beschäftigt sind, beiordnen. Die beiden Regierungen werden die Aufgaben dieser Attachés erleichtern.
Durch die Bestimmungen dieses Artikels werden die Befugnisse der Konsulate, wie sie sich aus den Verträgen und Vereinbarungen und der Gesetzgebung des Aufenthaltsstaates ergeben, nicht berührt.
Art. 9
Soweit die Zusammenarbeit beider Verwaltungen der Vertragsländer erforderlich ist, vereinbaren sie gemeinsam die für die Vollziehung der Bestimmungen des vorliegenden Vertrages erforderlichen Einzelmassnahmen und Ausführungsvorschriften.
Sie bestimmen ebenfalls, in welchen Fällen und unter welchen Voraussetzungen die Verwaltungsdienste direkt miteinander verkehren.
Überdies wechseln sie alle sachdienlichen Auskünfte über die Arbeits- und Lebensbedingungen der Arbeitnehmer des einen Landes die im andern Lande beschäftigt sind, und über die diese Arbeitnehmer betreffenden gesetzlichen, reglementarischen und administrativen Bestimmungen aus.
Art. 10
Die beiden Regierungen bestellen eine gemischte Konsultativkommission, die auf Antrag der einen oder anderen Vertragsparteien jährlich mindestens einmal abwechslungsweise in Frankreich und in der Schweiz zusammentritt.
Diese Kommission ist zur Prüfung der Fragen zuständig, die sich aus der Anwendung dieses Vertrages sowie der Gesetze und Reglemente jedes Vertragsstaates ergeben, die auf die Arbeitnehmer des anderen Staates Anwendung finden.
Sie hat ferner die Aufgabe, gegebenenfalls die Revision oder Erweiterung des vorliegenden Vertrages und der im vorangehenden Absatz erwähnten Gesetze und Reglemente vorzuschlagen.
Die Kommission setzt sich zusammen aus höchstens sechs Vertretern der zuständigen Verwaltungen jedes Staates. Jede Delegation kann Experten zuziehen.
Art. 11
Alle sich aus der Anwendung des vorliegenden Vertrages ergebenden Schwierigkeiten sind auf diplomatischem Wege zu beheben, gegebenenfalls nach Anhören der gemäss Artikel 10 bestellten gemischten Kommission.
Kann auf diesem Wege keine Lösung gefunden werden, so ist die strittige Sache nach einem Schiedsgerichtsverfahren zu behandeln, das in einer besonderen von den Regierungen noch zu treffenden Abmachung geregelt wird. Das Schiedsgericht hat die strittige Sache nach den Grundsätzen und dem Geist des vorliegenden Vertrages zu schlichten.
Art. 12
Der vorliegende Vertrag muss ratifiziert werden; die Ratifikationsurkunden sind sobald als möglich auszutauschen.
Er tritt sogleich nach Austausch der Ratifikationsurkunde in Kraft.
Er ist vom Zeitpunkt seiner Unterzeichnung an provisorisch anwendbar.
Art. 13
Der vorliegende Vertrag bleibt in Kraft bis zum 31. Dezember 1947.
Ohne Kündigung durch die eine oder andere Vertragspartei gilt er jeweils für ein weite­res Jahr als stillschweigend erneuert.
Die Kündigung hat sechs Monate vor Ablauf der jeweiligen Geltungsdauer zu erfolgen.

Unterschriften

Zu Urkund dessen haben die oben erwähnten, in gehöriger Weise Bevollmächtigten den Vertrag unterzeichnet und ihre Siegel beigesetzt.
So geschehen in doppelter Ausfertigung in Paris am 1. August 1946.
C. Burckhardt Bidault

Protokoll

Mit der Unterzeichnung des Vertrages betreffend Fragen des Arbeitsmarktes am heutigen Tage geben die unterzeichneten Bevollmächtigten folgende gemeiname Erklärung ab:
1) Was die Anwendung des Artikels 7 Absatz 2 des Vertrages betrifft, besteht Einverständnis darüber, dass das Abkommen vom 9. Juni 1933³ zwischen der Schweiz und Frankreich betreffend die gegenseitige Unterstützung der Arbeitslosen und der beigeschlossene Brief⁴ vom gleichen Tage in Kraft bleiben. Die beiden Staaten erklären sich bereit, in nächster Zukunft zu prüfen, welche Abänderungen und Ergänzungen an diesem Abkommen vor­genommen werden könnten, um insbesondere die Lage der Saisonarbeiter und der Grenzgänger zu regeln.
2) Nach einem vorläufigen Meinungsaustausch bezüglich verschiedener Prob­leme des sozialen Schutzes und im besondern der Sozialversicherungen, der Fürsorge für Unbemittelte und des Familienschutzes ist man übereingekommen, dass diese Fragen Gegenstand besonderer Verhandlungen bilden sollen. Zu diesem Zweck wird eine Sammlung aller in Kraft stehenden Bestimmungen zwischen den zuständigen Verwaltungen der beiden Staaten durch Vermittlung der schweizerischen Gesandtschaft in Frankreich und der französischen Botschaft in der Schweiz ausgetauscht. Was speziell die Alters- und Hinterbliebenenversicherung⁵ anbelangt, ist man übereingekommen, dass diese Frage an einer gemeinsamen Konferenz geprüft werden soll, die spätestens im Laufe des Monats November 1946 zusammenzutreten hat, die zuständigen französischen Behörden geben zum voraus ihre Wünsche betreffend die Behandlung ihrer Angehörigen in der Schweiz bekannt, unter Angabe der Leistungen, die den Schweizern in Frankreich zukommen.
3) Es gilt als vereinbart, dass ebenfalls die Frage geprüft werden soll, ob und wieweit den Angehörigen eines der beiden Staaten, die auf dem Gebiet des anderen wohnen, bezüglich des Erwerbes, des Besitzes und der Übertragung des kleinen ländlichen und städtischen Grundbesitzes die gleichen Rechte und Vorteile zugesichert werden können, wie sie den eigenen Staatsange­hörigen zustehen. Zu diesem Zwecke wird unter den zuständigen Verwaltungen der beiden Länder nach dem in der vorangehenden Ziffer für die verschiedenen Probleme des sozialen Schutzes vorgesehenen Verfahren eine Sammlung der einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen ausgetauscht.
So geschehen in doppelter Ausfertigung in Paris am 1. August 1946.
C. Burckhardt Bidault
³ SR 0.837.934.92
⁴ In der AS nicht veröffentlicht.
⁵ Siehe heute das Abk. vom 3. Juli 1975 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Französischen Republik über Soziale Sicherheit ( SR 0.831.109.349.1 ) und das Son­der­prot. vom 3. Juli 1975 ( SR 0.831.109.349.10 ) sowie die Verwaltungsvereinb. vom 3. Dez. 1976 ( SR 0.831.109.349.12 ).
Markierungen
Leseansicht