Vertrag zur Erledigung von Streitigkeiten im Vergleichs- und Gerichtsverfahren ... (0.193.413.32)
CH - Schweizer Bundesrecht

Vertrag zur Erledigung von Streitigkeiten im Vergleichs- und Gerichtsverfahren zwischen der Schweiz und Spanien

Abgeschlossen am 20. April 1926 Von der Bundesversammlung genehmigt am 9. Oktober 1926¹ Ratifikationsurkunden ausgetauscht am 29. Januar 1927 In Kraft getreten am 29. Januar 1927 (Stand am 29. Januar 1927) ¹ AS 43 55
Der Schweizerische Bundesrat und Seine Majestät der König von Spanien,
vom Wunsche geleitet, die zwischen den beiden Ländern bestehenden freundschaftlichen Bande zu festigen und zur Aufrechterhaltung des allgemeinen Friedens beizutragen, indem sie in ihren gegenseitigen Beziehungen die in der Völkerbundssatzung, besonders in Artikel XIII niedergelegten Grundsätze möglichst weitgehend zur Anwendung bringen,
sind, gestützt auf Artikel XXI dieser Satzung,
übereingekommen, einen allgemeinen Vertrag zur Erledigung von Streitigkeiten im Vergleichs- und Gerichtsverfahren abzuschliessen, und haben zu diesem Zwecke zu ihren Bevollmächtigten ernannt:
(Es folgen die Namen der Bevollmächtigten)
die, nachdem sie sich ihre Vollmachten mitgeteilt und sie in guter und gehöriger Form befunden haben,
folgende Bestimmungen vereinbart haben:
Art. 1
Die vertragschliessenden Teile verpflichten sich, alle Streitigkeiten irgendwelcher Art, die zwischen ihnen entstehen sollten und nicht binnen angemessener Frist auf diplomatischem Wege geschlichtet werden können, einem Vergleichsverfahren zu unterwerfen.
Falls das Vergleichsverfahren scheitert, so ist gemäss Artikel 7 und folgenden des gegenwärtigen Vertrages eine gerichtliche Erledigung zu suchen.
Die Streitigkeiten jedoch, für deren Lösung in andern zwischen den vertragschliessenden Parteien bestehenden Abmachungen eine besondere Gerichtsbarkeit vor­gesehen ist, sollen dieser Gerichtsbarkeit unterstehen.
Art. 2
Handelt es sich um einen Anstand, der gemäss der Gesetzgebung einer der Parteien in die Zuständigkeit einer Gerichtsbehörde fällt, so kann die belangte Partei es ablehnen, dass er einem Vergleichsverfahren und gegebenenfalls einem Gerichtsverfahren unterworfen werde, solange er nicht Gegenstand einer endgültigen Entscheidung von seiten dieser Gerichtsbehörde gebildet hat. Falls die klagende Partei diesen Gerichtsentscheid bestreiten sollte, ist die Angelegenheit spätestens ein Jahr nach jenem Entscheide dem Vergleichsverfahren zu unterwerfen.
Art. 3
Die vertragschliessenden Teile bilden eine ständige Vergleichskommission von fünf Mitgliedern.
Die Parteien ernennen, jede für sich, nach freier Wahl je ein Mitglied und berufen die drei übrigen Mitglieder im gemeinsamen Einverständnis. Diese drei Mitglieder sollen nicht Angehörige der vertragschliessenden Staaten sein, noch sollen sie auf deren Gebiet ihren Wohnsitz haben oder in deren Dienste stehen. Die Parteien ernennen aus der Mitte dieser drei Mitglieder den Präsidenten im gemeinsamen Einverständnis.
Solange das Verfahren nicht eröffnet ist, kann jeder der vertragschliessenden Teile das von ihm ernannte Mitglied abberufen und dessen Nachfolger bestimmen sowie auch seine Zustimmung zur Berufung jedes der drei gemeinsam ernannten Mitglieder zurückziehen. In diesem Falle muss unverzüglich zur Ersetzung der ausscheidenden Mitglieder geschritten werden.
Die Ersetzung der Mitglieder erfolgt nach Massgabe der für ihre Ernennung geltenden Bestimmungen.
Während der tatsächlichen Dauer des Verfahrens erhalten die gemeinschaftlich berufenen Mitglieder eine Entschädigung, deren Höhe von den vertragschliessenden Parteien zu vereinbaren ist und die von ihnen zu gleichen Teilen übernommen werden soll. Dagegen bestimmt und trägt jede Partei die Entschädigung für das von ihr ernannte Kommissionsmitglied.
Jede Partei trägt einen gleichen Teil der allgemeinen Kosten der Kommission.
Die Kommission ist binnen sechs Monaten nach Austausch der Ratifikationsurkunden zum gegenwärtigen Vertrage zu bilden. Sie vereinigt sich an dem von ihrem Vorsitzenden bezeichneten Orte.
Wenn die Ernennung der gemeinsam zu berufenden Mitglieder nicht binnen sechs Monaten nach Austausch der Ratifikationsurkunden oder, im Fall einer Ergänzungswahl, nicht innerhalb von drei Monaten nach Ausscheiden eines Mitgliedes stattgefunden hat, so erfolgen die Wahlen gemäss den Bestimmungen des Artikels 45 des Haager Abkommens vom 18. Oktober 1907² zur friedlichen Erledigung internationaler Streitfälle.
² SR 0.193.212
Art 4
Unter Vorbehalt anderweitiger Abmachung ist für das Vergleichsverfahren das Haager Abkommen vom 18. Oktober 1907³ zur friedlichen Erledigung internationaler Streitfälle massgebend.
³ SR 0.193.212
Art. 5
Die Vergleichskommission kann von einer einzigen Partei angerufen werden. Diese übermittelt ihr Begehren dem Vorsitzenden der Kommission sowie der Gegenpartei.
Die Kommission kann indessen von sich aus ihre Mitwirkung anbieten, falls ihr Vorsitzender und zwei ihrer Mitglieder einverstanden sind.
Die vertragschliessenden Teile verpflichten sich, die Arbeiten der Kommission in allen Fällen und in jeder Hinsicht zu fördern und insbesondere alle ihnen zufolge ihrer Gesetzgebung zustehenden Mittel anzuwenden, um ihr dieselben Befugnisse zu verschaffen, die ihren obersten Gerichtshöfen betreffend Vorladung und Abhörung von Zeugen oder Sachverständigen sowie zur Vornahme von Augenscheinen zustehen.
Art. 6
Der Vergleichskommission liegt ob, die Einzelfragen zu prüfen, die ihr unterbreitet werden, und das Ergebnis ihrer Untersuchung in einem Berichte niederzulegen, dessen Zweck die Aufhellung des Sachverhaltes ist und der so die Erledigung der Anstände erleichtern soll. In ihrem Berichte legt sie die Meinungsverschiedenheiten, zu denen diese Fragen Anlass geben, genau dar und schliesst ihre Ausführungen ab mit Empfehlungen, die geeignet sind, eine Einigung zwischen den Parteien herbeizuführen.
Der Bericht muss binnen sechs Monaten nach Anrufung der Kommission vorgelegt werden, sofern die vertragschliessenden Teile nicht übereinkommen, diese Frist abzukürzen oder zu verlängern. Er ist in drei Ausfertigungen zu erstellen, von denen je eine jeder der Parteien übermittelt und die dritte in den Archiven der Kommission aufbewahrt wird.
Die Kommission hat die Frist festzusetzen, binnen deren sich die Parteien zu ihren Empfehlungen zu äussern haben, sowie die Frist, bis zu deren Ablaufe sie, falls das Vergleichsverfahren scheitert, die Streitigkeit einem gerichtlichen Verfahren unterwerfen können. Von diesen beiden Fristen darf jedoch die erstgenannte eine Dauer von sechs Monaten, die zweitgenannte eine Dauer von drei Monaten nicht überschreiten.
Der Bericht der Kommission hat weder in bezug auf die Tatsachen noch hinsichtlich der rechtlichen Ausführungen die Bedeutung eines endgültigen, bindenden Schiedsspruches.
Art. 7
Nehmen die Parteien die Empfehlungen der Vergleichskommission nicht an, so kann jede von ihnen binnen der von letzterer festgesetzten Frist verlangen, dass der Anstand dem Ständigen Internationalen Gerichtshof⁴ unterbreitet werde.
Falls nach der Ansicht des Gerichtshofes der Streitfall nicht rechtlicher Natur sein sollte, so kommen die Parteien überein, dass darüber ex aequo et bono zu entscheiden ist.
⁴ Heute: dem Internationalen Gerichtshof (Art. 37 des Statuts des Internationalen Gerichtshofes – SR 0.193.501 ).
Art. 8
Die vertragschliessenden Parteien können jedoch vereinbaren, irgendwelche Streitigkeit einem Schiedsgerichte zu unterbreiten, für dessen Bestellung Artikel 55 und folgende des Haager Abkommens vom 18. Oktober 1907⁵ für die friedliche Erledigung internationaler Streitfälle oder irgendeine andere zwischen ihnen getroffene Vereinbarung massgebend ist.
⁵ SR 0.193.212
Art. 9
Die vertragschliessenden Teile setzen eine Schiedsordnung fest zwecks genauer Bestimmung des Streitgegenstandes, der etwaigen dem Gericht zu übertragenden besondern Befugnisse sowie aller zwischen den Parteien vereinbarten Einzelheiten. Die Parteien haben sich hierbei an die Bestimmungen des Statuts und des Reglements des Ständigen Internationalen Gerichtshofes⁶ zu halten.
Die Schiedsordnung wird durch Notenaustausch zwischen den Regierungen der vertragschliessenden Teile festgesetzt und in allen Stücken vom Gerichtshof aus­gelegt.
Kommt die Schiedsordnung nicht innerhalb von drei Monaten zustande, nachdem einer Partei ein Antrag auf Einleitung eines Gerichtsverfahrens unterbreitet worden ist, so kann jede Partei auf dem Wege eines einfachen Begehrens den Gerichtshof anrufen.
⁶ Heute: der Internationale Gerichtshof ( SR 0.193.501 ).
Art. 10
Stellt ein gemäss vorliegendem Vertrage gefüllter Schiedsspruch fest, dass eine von einem Gericht oder irgendeiner andern Behörde einer vertragschliessenden Partei getroffene Entscheidung ganz oder teilweise mit dem Völkerrecht in Widerspruch steht, können aber nach dem Verfassungsrechte dieser Partei die Folgen der Entscheidung durch Verwaltungsmassnahmen nicht oder nicht vollständig beseitigt werden, so soll der Schiedsspruch der verletzten Partei auf andere Weise eine angemessene Genugtuung zuerkennen.
Art. 11
Der vom Ständigen Internationalen Gerichtshofe⁷ geffällte Spruch ist von den Parteien nach Treu und Glauben zu erfüllen.
Die vertragschliessenden Teile verpflichten sich, während der Dauer des Vergleichs- oder Gerichtsverfahrens sich soweit wie möglich jeglicher Massnahme zu enthalten, die auf die Zustimmung zu den Vorschlägen der Vergleichskommission oder auf die Erfüllung des Schiedsspruches nachteilig zurückwirken kann.
⁷ Siehe Fussn. zu Art. 7.
Art. 12
Allfällige Streitigkeiten über die Auslegung oder Durchführung des gegenwärtigen Vertrages sind unter Vorbehalt anderweitiger Vereinbarung dem Ständigen Inter­nationalen Gerichtshof⁸ auf dem Wege eines einfachen Begehrens zu unterbreiten.
⁸ Siehe Fussn. zu Art. 7.
Art. 13
Der gegenwärtige Vertrag soll binnen möglichst kurzer Frist ratifiziert werden. Die Ratifikationsurkunden sind in Bern auszutauschen.
Der Vertrag gilt für eine Dauer von zehn Jahren, gerechnet vom Tage des Austausches der Ratifikationsurkunden an. Wird er nicht sechs Monate vor Ablauf dieser Frist gekündigt, so bleibt er für einen weitern Zeitraum von fünf Jahren in Kraft und so fort.
Sollte im Zeitpunkt des Ablaufs des gegenwärtigen Vertrages ein Vergleichsoder Gerichtsverfahren hängig sein, so nimmt dieses seinen Fortgang gemäss den Bestimmungen des gegenwärtigen Vertrages oder irgendeines andern Abkommens, das die vertragschliessenden Teile im gegenseitigen Einvernehmen an dessen Stelle gesetzt haben sollten.

Unterschriften

Zu Urkund dessen haben die Bevollmächtigten den gegenwärtigen Vertrag unterzeichnet.
So geschehen, in doppelter Urschrift, zu Madrid, am zwanzigsten April neunzehnhundertsechsundzwanzig.

M. de Stoutz

José de Yanguas

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