Abkommen zwischen der Schweiz und Italien über die Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen 1
Abgeschlossen am 3. Januar 1933 Von der Bundesversammlung genehmigt am 20. Juni 1933² Ratifikationsurkunden ausgetauscht am 6. September 1933 In Kraft getreten am 6. Oktober 1933 (Stand am 1. Januar 2011) ¹ Das Übereink. vom 30. Okt. 2007 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (Lugano-Übereinkommen, LugÜ; SR 0.275.12 ) ersetzt im Rahmen seines Anwendungsbereichs dieses Abk. Vgl. Art. 65 und 66 sowie Anhang VII LugÜ. ² AS 49 799
Der Schweizerische Bundesrat und Seine Majestät der König von Italien,
von dem Wunsche geleitet, die Beziehungen zwischen den beiden Ländern im Hinblick auf die Anerkennung und Vollstreckung der Urteile zu regeln, haben beschlossen, ein Abkommen zu schliessen, und haben zu diesem Zwecke zu ihren Bevollmächtigten ernannt:
(Es folgen die Namen der Bevollmächtigten)
die nach Mitteilung ihrer Vollmachten, die in guter und gehöriger Form befunden worden sind, folgende Bestimmungen vereinbart haben:
Art. 1
Den von den Gerichten eines der beiden Staaten gefällten Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen kommt auf dem Gebiete des andern Staates Rechtskraft zu, wenn folgende Voraussetzungen erfüllt sind:
1. dass die Entscheidung von einem Gerichte gefällt wurde, das nach Massgabe des Artikels 2 dieses Abkommens oder, in Ermangelung staatsvertraglicher Bestimmungen, nach den Grundsätzen zuständig ist, die nach dem Rechte des Staates, in dem die Entscheidung geltend gemacht wird, über die internationale Zuständigkeit der Gerichte bestehen;
2. dass die Anerkennung der Entscheidung nicht gegen die öffentliche Ordnung oder gegen die Grundsätze des öffentlichen Rechts des Staates verstösst, in dem die Entscheidung geltend gemacht wird, insbesondere dass diese nicht mit einer Entscheidung im Widerspruch steht, die in der nämlichen Streitigkeit von einem Gerichte dieses Staates schon gefällt worden ist;
3. dass die Entscheidung nach dem Rechte des Staates, in dem sie gefällt wurde, die Rechtskraft erlangt hat;
4. dass im Falle eines Versäumnisurteils die den Prozess einleitende Ladung rechtzeitig der säumigen Partei oder ihrem zur Empfangnahme berechtigten Vertreter zugestellt wurde. Hatte die Zustellung im Gebiete des Staates zu geschehen, in dem die Entscheidung geltend gemacht wird, so muss sie im Rechtshilfewege bewirkt worden sein.
Das Verfahren der Anerkennung der Rechtskraft bestimmt sich nach dem Rechte des ersuchten Staates.
Art. 2
Die Zuständigkeit der Gerichte des Staates, in dem die Entscheidung gefällt wurde, ist im Sinne von Artikel 1 Ziff. 1 begründet, wenn sie durch Staatsvertrag vorgesehen ist oder in den folgenden Fällen:
1. wenn der Beklagte seinen Wohnsitz in diesem Staate hatte;
2. wenn der Beklagte durch eine ausdrückliche Vereinbarung sich mit Bezug auf bestimmte Streitigkeiten der Zuständigkeit des Gerichts unterworfen hatte, das die Entscheidung gefällt hat, es sei denn, dass sämtliche Parteien ihren Wohnsitz in dem Staate hatten, in dem die Entscheidung geltend gemacht wird.
Dasselbe gilt, wenn der Beklagte sich vorbehaltslos auf den Rechtsstreit eingelassen hat;
3. wenn der Beklagte am Orte seiner geschäftlichen Niederlassung oder Zweigniederlassung für Streitigkeiten aus dem Betriebe dieser Niederlassung belangt worden ist;
4. im Falle einer Widerklage, die mit dem in der Klage geltend gemachten Anspruch oder mit den gegen diesen vorgebrachten Verteidigungsmitteln in rechtlichem Zusammenhange steht;
5. in Personenstands‑, Handlungsfähigkeits‑ oder Familienrechtssachen von Angehörigen des Landes, in dem die Entscheidung gefällt wurde;
6. in Erbschaftsstreitigkeiten zwischen den Erben eines Angehörigen des Landes, in dem die Entscheidung gefällt wurde;
7. wenn eine dingliche Klage sich auf ein Grundstück bezieht, das im Lande gelegen ist, in dem die Entscheidung gefällt wurde.
Indessen sind die Bestimmungen der Ziff. 1–4 hievor auf Streitigkeiten nicht anzuwenden, in denen das Recht des ersuchten Staates dessen eigene Gerichte oder diejenigen eines dritten Staates als ausschliesslich zuständig anerkennt.
Art. 3
Die von den Gerichten des einen der beiden Staaten gefällten Entscheidungen, die die im Artikel 1 aufgeführten Voraussetzungen erfüllen, können im andern Staate nach ihrer Vollstreckbarerklärung zur Zwangsvollstreckung gelangen oder die Grundlage für Förmlichkeiten, wie die Eintragung oder Einschreibung in öffentliche Register, bilden.
Im ersuchten Staate werden nur Entscheidungen vollstreckbar erklärt, die im Staate, in dem sie gefällt wurden, volle Vollstreckungskraft besitzen.
Das Verfahren bestimmt sich nach dem Rechte des ersuchten Staates.
Art. 4
Die Gerichte des Staates, in dem die Entscheidung geltend gemacht wird, sind bei der Prüfung der Tatsachen, die die Zuständigkeit der Gerichte des andern Staates begründen, nicht an die tatsächlichen Feststellungen der Entscheidung gebunden.
Eine Nachprüfung der Gesetzmässigkeit der Entscheidung findet nicht statt.
Art. 5
Die Partei, die die Entscheidung geltend macht, hat beizubringen:
1. eine Ausfertigung der Entscheidung, die die für ihre Beweiskraft erforderlichen Voraussetzungen erfüllt;
2. die Urkunden, die dartun, dass die Entscheidung in Rechtskraft erwachsen ist und gegebenenfalls, dass sie vollstreckbar ist;
3. die Urschrift oder eine beglaubigte Abschrift der Ladung der nicht erschienenen Partei;
4. die von einem diplomatischen oder konsularischen Vertreter eines der beiden Staaten als richtig bescheinigte Übersetzung der vorstehend aufgeführten Urkunden, sofern nicht die zuständige Behörde von der Verpflichtung hierzu befreit hat.
Sind diese Urkunden von den Gerichten eines der beiden hohen vertragschliessenden Teile oder von den in Artikel 11 dieses Abkommens genannten Behörden aufgenommen, ausgestellt oder beglaubigt, so bedürfen sie zum Gebrauch im Gebiete des andern Staates keiner Beglaubigung, wenn sie mit dem Stempel oder Siegel des Gerichts oder der erwähnten Behörde versehen sind.
Art. 6
Die in einem der beiden Staaten zum Armenrecht zugelassene Partei geniesst von Rechts wegen auf dem Gebiete des andern Staates das Armenrecht im Verfahren der Anerkennung oder der Vollstreckbarerklärung der zu ihren Gunsten ergangenen Entscheidung.
Art. 7
Die in einem der beiden Staaten gefällten Schiedssprüche, die dort dieselbe Wirksamkeit wie die gerichtlichen Entscheidungen haben, werden im andern Staat anerkannt und für vollstreckbar erklärt, wenn sie den Vorschriften der vorstehenden Artikel genügen, soweit diese Anwendung finden können.
Dasselbe gilt für die gerichtlichen Vergleiche.
Art. 8
Auf Begehren einer Partei haben die Gerichte eines der beiden Staaten das Eintreten auf ihnen vorgelegte Streitigkeiten abzulehnen, wenn diese Streitigkeiten schon vor einem Gerichte des andern Staates anhängig sind, vorausgesetzt, dass dieses Gericht nach Massgabe der Bestimmungen des gegenwärtigen Abkommens zuständig ist.
Art. 9
Auf Arreste und andere einstweilige Verfügungen sowie auf die in einem Strafverfahren ergangenen Entscheidungen über privatrechtliche Ansprüche und auf Entscheidungen in Konkurssachen findet dieses Abkommen keine Anwendung.
Art. 10
Die in der Gesetzgebung eines der beiden Staaten vorgesehenen vorläufigen oder sichernden Massnahmen können bei den Behörden dieses Staates nachgesucht werden, welches immer auch die Gerichtszuständigkeit zur Entscheidung über die Sache selbst sei.
Art. 11
Entscheidungen anderer als gerichtlicher Behörden, die in der Schweiz zur Anordnung und Beaufsichtigung der Vormundschaft berufen sind, werden nur, soweit sie schweizerische Staatsangehörige betreffen, in Ansehung des gegenwärtigen Abkommens den gerichtlichen Entscheidungen gleichgestellt.
Art. 12
Der Ausdruck «Wohnsitz» bedeutet im Sinne des gegenwärtigen Abkommens:
1. für den handlungsfähigen Volljährigen, für den mündig Erklärten und für den Volljährigen, der bloss zur Vornahme gewisser Handlungen der Mitwirkung eines Beirates bedarf, den Ort, wo er sich in einem der beiden Staaten mit der Absicht dauernden Verbleibens aufhält oder, in Ermangelung eines solchen Ortes, den Ort in einem der beiden Staaten, an dem sich der hauptsächliche Sitz seiner Interessen befindet;
2. für Personen, die unter elterlicher Gewalt oder unter Vormundschaft stehen, den Ort des Wohnsitzes ihres gesetzlichen Vertreters;
3. für die Ehefrau den Ort des Wohnsitzes des Ehemannes. Ist jedoch der Wohnsitz des Ehemannes unbekannt, oder ist die Ehefrau von Tisch und Bett getrennt oder berechtigt, einen selbständigen Wohnsitz zu haben, so bestimmt sich der Wohnsitz der Ehefrau nach Massgabe von Ziff. 1;
4. für Gesellschaften den Ort, an dem sich der Gesellschaftssitz befindet.
Art. 13
Die Bestimmungen der Vereinbarungen, die hinsichtlich besonderer Rechtsgebiete die Gerichtszuständigkeit und die Urteilsvollstreckung regeln, werden durch das gegenwärtige Abkommen nicht berührt.
Art. 14
Die in Artikel 18 Absatz 1 und 2 der Haager Übereinkunft vom 17. Juli 1905³ über Zivilprozessrecht genannten Kostenentscheidungen, die in einem der beiden Staaten ergangen sind, werden im Gebiete des andern Staates auf ein von der beteiligten Partei unmittelbar zu stellendes Begehren als vollstreckbar erklärt.
³ [BS 12 277. AS 2009 7101 ]. Zwischen der Schweiz und Italien gilt heute die Internationale Übereinkunft vom 1. März 1954 ( SR 0.274.12 ).
Art. 15
Die Bestimmungen dieses Abkommens sind ohne Rücksicht auf die Staatsangehörigkeit der Parteien anzuwenden.
Art. 16
Die hohen vertragschliessenden Teile behalten sich vor, im gemeinsamen Einverständnis durch Notenaustausch das gegenwärtige Abkommen auf die italienischen Kolonien auszudehnen.
Art. 17
Allfällige Streitigkeiten zwischen den hohen vertragschliessenden Teilen über die Auslegung oder Anwendung dieses Abkommens sollen nach Massgabe der Bestimmungen des Vertrages vom 20. September 1924⁴ zur Erledigung von Streitigkeiten im Vergleichs‑ und Gerichtsverfahren erledigt werden, es sei denn, dass die hohen vertragschliessenden Teile übereinkommen, eine andere Art der Regelung vorzusehen.
⁴ SR 0.193.414.54
Art. 18
Dieses Abkommen soll ratifiziert werden. Die Ratifikationsurkunden sollen sobald als möglich in Bern ausgetauscht werden.
Das Abkommen tritt einen Monat nach dem Austausch der Ratifikationsurkunden in Kraft. Es findet keine Anwendung auf Entscheidungen oder Schiedssprüche, die vor seinem Inkrafttreten rechtskräftig geworden sind, und auf Vergleiche, die vor diesem Zeitpunkt abgeschlossen worden sind.
Das Abkommen kann von jedem der beiden Staaten gekündigt werden. Es bleibt jedoch nach erfolgter Kündigung noch ein Jahr in Kraft.
Unterschriften
Zu Urkund dessen haben die Bevollmächtigten dieses Abkommen unterzeichnet.
So geschehen, in doppelter Ausfertigung, in Rom, am 3. Januar 1933.
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