Schiedsordnung zwischen der Schweiz und Frankreich bezüglich der Freizonen Hochsavoyens und der Landschaft Gex
Abgeschlossen am 30. Oktober 1924 Von der Bundesversammlung genehmigt am 26. März 1925³ Ratifikationsurkunden ausgetauscht am 21. März 1928 In Kraft getreten am 21. März 1928 ¹ BS 11 127; BBl 1924 III 941 ² Der Originaltext findet sich unter der gleichen Nummer in der französischen Ausgabe dieser Sammlung. ³ Art. 1 Abs. 1 des BB vom 26. März 1925 (BS 11 129).
Der Schweizerische Bundesrat und der Präsident der Französischen Republik,
in der Erwägung, dass sich die Schweiz und Frankreich über die Auslegung des Artikels 435 Absatz 2 des Versailler Vertrages⁴, mit seinen Beilagen, nicht haben verständigen und dass die daselbst vorgesehene Einigung im Wege unmittelbarer Verhandlungen nicht hat erzielt werden können,
haben beschlossen, zum Schiedsverfahren zu greifen, um diese Auslegung festzustellen und die Gesamtheit der Fragen zu regeln, welche die Durchführung des Absatzes 2 von Artikel 435 des Versailler Vertrages stellt,
und haben in dem Wunsche, eine Schiedsordnung abzuschliessen, die gleicherweise den Willen der Schweiz wie denjenigen Frankreichs zur ehrlichen Erfüllung ihrer zwischenstaatlichen Verpflichtungen bezeugt,
zu ihren Bevollmächtigten ernannt:
(Es folgen die Namen der Bevollmächtigten)
die, nachdem sie sich ihre Vollmachten mitgeteilt und sie in guter und gehöriger Form befunden haben, über folgende Bestimmungen übereingekommen sind:
⁴ Der Wortlaut dieses Artikels findet sich in der Fussnote des Ingr. zur Erkl. vom 16. März 1928 betreffend die Abschaffung der Neutralisierung Nordsavoyens ( SR 0.515.293.49 ).
Art. 1
Es steht dem Ständigen Internationalen Gerichtshofe zu, darüber zu befinden, ob der Artikel 435 Absatz 2 des Versailler Vertrages⁵, mit seinen Beilagen, zwischen der Schweiz und Frankreich die Bestimmungen des Protokolls der Pariser Konferenzen vom 3. November 1815, des Pariser Vertrages vom 20. November 1815, des Turiner Vertrages vom 16. März 1816 und des Manifests des Rechnungshofes von Sardinien vom 9. September 1829 betreffend die Zoll‑ und Wirtschaftsordnung der Freizonen Hochsavoyens und der Landschaft Gex, aufgehoben oder ob er zum Zwecke hat, diese Bestimmungen aufheben zu lassen, dabei hat der Gerichtshof alle zeitlich vor dem Versailler Vertrag liegenden Tatsachen, wie die im Jahre 1849 erfolgte Errichtung der eidgenössischen Zollämter, in Berücksichtigung zu ziehen, soweit der Gerichtshof diese Tatsachen als rechtserheblich erklärt.
Die Hohen vertragschliessenden Teile sind damit einverstanden, dass der Ständige Gerichtshof nach Abschluss seiner Beratung über diese Frage und vor der Fällung irgendeines Spruches den beiden Parteien eine angemessene Frist einräume, damit sie nach Massgabe des Artikels 435 Absatz 2 des erwähnten Vertrages die neue Rechtsordnung der genannten Gebiete untereinander so regeln können, wie beide Parteien es für zweckmässig erachten. Die Frist kann auf Ansuchen beider Parteien verlängert werden.
⁵ Der Wortlaut dieses Artikels findet sich in der Fussnote des Ingr. zur Erkl. vom 16. März 1928 betreffend die Abschaffung der Neutralisierung Nordsavoyens ( SR 0.515.293.49 ).
Art. 2
Falls ein Abkommen von den Parteien in der festgesetzten Frist nicht abgeschlossen und ratifiziert werden kann, steht es dem Gerichtshofe zu, durch ein und denselben Spruch, der gemäss Artikel 58 des Status des Gerichtshofes erlassen wird, seinen Entscheid über die in Artikel 1 hiervor umschriebene Frage zu fällen und für eine Dauer, deren Festsetzung ihm zusteht, und unter Berücksichtigung der gegenwärtigen Verhältnisse die Gesamtheit der Fragen zu regeln, welche die Durchführung des Absatzes 2 von Artikel 435 des Versailler Vertrages⁶ stellt.
Sieht der Spruch vor, dass Waren zollfrei oder zu ermässigten Ansätzen durch die schweizerische Zolllinie oder durch die französische Zolllinie eingeführt werden dürfen, so kann diese Einfuhr nur mit Zustimmung beider Parteien geregelt werden.
⁶ Siehe Fussnote 3 auf Seite 1.
Art. 3
Jeder der Hohen vertragschliessenden Teile wird bei der Gerichtsschreiberei des Ständigen Gerichtshofes folgende Prozessschriften in der nach Artikel 34 des Reglements des Gerichtshofes vorgeschriebenen Anzahl von Ausfertigungen hinterlegen:
1. innerhalb von sechs Monaten, gerechnet von der Ratifikation der gegenwärtigen Schiedsordnung an, seinen Schriftsatz über die in Artikel 1 Absatz 1 umschriebene Frage, unter Beilage der beglaubigten wortgetreuen Abschriften aller zugehörigen Dokumente und Schriftstücke;
2. innerhalb von fünf Monaten, gerechnet vom Ablauf der vorhergehenden Frist an, seinen Gegenschriftsatz, unter Beilage der beglaubigten wortgetreuen Abschriften aller zugehörigen Dokumente und Schriftstücke;
3. innerhalb von fünf Monaten, gerechnet vom Ablauf der vorhergehenden Frist an, seine Rückäusserung, unter Beilage der beglaubigten wortgetreuen Abschriften aller zugehörigen Dokumente und Schriftstücke und seine Schlussanträge.
Art. 4
Ist der Gerichtshof nach Massgabe von Artikel 2 berufen, selbst die Gesamtheit der Fragen zu regeln, welche die Durchführung des Artikels 435 Absatz 2 des Versailler Vertrages⁷ stellt, so räumt er den Parteien angemessene Fristen ein für die Vorlage jeglicher Dokumente, Entwürfe und Bemerkungen, die sie dem Gerichtshof im Hinblick auf diese Regelung unterbreiten zu sollen glauben sowie für deren Beantwortung.
Überdies kann der Gerichtshof zur Erleichterung der genannten Regelung von jeder Partei ersucht werden, eines oder drei seiner Mitglieder abzuordnen, um Erhebungen an Ort und Stelle vorzunehmen und alle Interessenten anzuhören.
⁷ Siehe Fussnote 3 auf Seite 1.
Art. 5
Die gegenwärtige Schiedsordnung soll ratifiziert und die Ratifikationsurkunden sollen sobald als möglich in Paris ausgetauscht werden.
So geschehen zu Paris, in doppelter Urschrift, den 30. Oktober 1924.
Dunant | E. Herriot |
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