Vertrag zwischen der Schweiz und Griechenland zur Erledigung von Streitigkeiten... (0.193.413.72)
CH - Schweizer Bundesrecht

Vertrag zwischen der Schweiz und Griechenland zur Erledigung von Streitigkeiten im Vergleichs‑ und Gerichtsverfahren

Abgeschlossen am 21. September 1925 Von der Bundesversammlung genehmigt am 25. Juni 1926³ Ratifikationsurkunden ausgetauscht am 28. Februar 1929 In Kraft getreten am 28. Februar 1929 ¹ BS 11 292; BBl 1926 I 379 ² Der Originaltext findet sich unter der gleichen Nummer in der französischen Ausgabe dieser Sammlung. ³ AS 45 57
Der Schweizerische Bundesrat und der Präsident der Hellenischen Republik,
geleitet von dem Wunsche, die zwischen der Schweiz und Griechenland bestehenden freundschaftlichen Bande zu festigen und die etwaigen zwischen den beiden Ländern entstehenden Streitigkeiten auf dem Wege des Vergleichs‑ oder Gerichtsverfahrens soweit möglich beizulegen,
sind übereingekommen, zu diesem Zwecke einen Vertrag abzuschliessen, und haben zu ihren Bevollmächtigten ernannt:
(Es folgen die Namen der Bevollmächtigten)
die, nachdem sie sich ihre Vollmachten mitgeteilt und sie in guter und gehöriger Form befunden haben, über folgende Bestimmungen übereingekommen sind:
Art. 1
Die vertragschliessenden Parteien verpflichten sich, alle Streitigkeiten irgendwelcher Art, die zwischen ihnen entstehen und nicht auf diplomatischem Wege in angemessener Zeit geschlichtet werden könnten, dem Vergleichsverfahren zu unterwerfen.
Falls das Vergleichsverfahren scheitert, so ist gemäss Artikel 15 und folgende des gegenwärtigen Vertrages eine gerichtliche Erledigung zu suchen.
Vorbehalten bleiben die Streitigkeiten, für deren Schlichtung ein besonderes Verfahren durch andere zwischen den vertragschliessenden Teilen bestehende Verein­barungen bestimmt wird.
Art. 2
Handelt es sich um eine Streitigkeit, die gemäss der Landesgesetzgebung einer der Parteien in die Zuständigkeit der Gerichte fällt, so kann die belangte Partei es ablehnen, dass diese Streitigkeit einem Vergleichsverfahren und gegebenenfalls einem Gerichtsverfahren unterworfen werde, bevor das zuständige Gericht eine endgültige Entscheidung gefällt hat.
In diesem Falle muss das Begehren auf Einleitung eines Vergleichsverfahrens spä­tes­tens ein Jahr nach dieser Entscheidung gestellt werden.
Art. 3
Die vertragschliessenden Teile bilden eine ständige Vergleichskommission von drei Mitgliedern.
Sie ernennen, jeder für sich, nach freier Wahl je ein Mitglied und berufen den Vorsitzenden im gemeinsamen Einverständnisse. Der Vorsitzende soll weder Angehöriger der vertragschliessenden Staaten sein, noch soll er auf deren Gebiet seinen Wohnsitz haben oder in deren Diensten stehen.
Solange das Verfahren nicht eröffnet ist, steht jedem vertragschliessenden Teile das Recht zu, das von ihm ernannte Mitglied abzuberufen und dessen Nachfolger zu ernennen sowie auch seine Zustimmung zur Ernennung des Vorsitzenden zurück­zuziehen. In diesem Falle muss unverzüglich zur Ersetzung der ausscheidenden Mitglieder geschritten werden.
Die Ersetzung der Mitglieder erfolgt nach Massgabe der für ihre Ernennung geltenden Bestimmungen.
Art. 4
Die Vergleichskommission ist binnen sechs Monaten nach Austausch der Ratifikationsurkunden zum gegenwärtigen Vertrage zu bilden.
Wenn die Ernennung des Vorsitzenden nicht innerhalb dieser Frist oder, im Falle einer Ergänzungswahl, nicht innerhalb von drei Monaten nach dem Ausscheiden stattgefunden hat, so ist sie, bei mangelnder Übereinstimmung der Parteien, auf Begehren einer derselben durch den Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika, sofern dieser darin einwilligt, zu vollziehen.
Art. 5
Der Vergleichskommission liegt ob, die Schlichtung der Streitigkeit zu erleichtern, indem sie in unparteiischer und gewissenhafter Prüfung den Tatbestand klarlegt und Vorschläge für die Beilegung der Streitigkeit macht.
Die Anrufung der Kommission erfolgt durch ein dahinzielendes Begehren, das von einem der vertragschliessenden Teile an deren Vorsitzenden gestellt wird.
Dieses Begehren wird von der Partei, welche die Eröffnung des Vergleichsverfahrens verlangt, gleichzeitig der Gegenpartei notifiziert.
Art. 6
Unter Vorbehalt anderweitiger Vereinbarung tritt die Kommission an dem von ihrem Vorsitzenden bezeichneten Orte zusammen.
Art. 7
Das Verfahren vor der Kommission ist kontradiktorisch.
Die Kommission setzt selbst das Verfahren fest, wobei sie, falls nicht einstimmig ein anderweitiger Beschluss gefasst wird, die Bestimmungen in Titel III des Haager Abkommens vom 18. Oktober 1907⁴ zur friedlichen Erledigung internationaler Streitfälle berücksichtigt.
⁴ SR 0.193.212
Art. 8
Die Verhandlungen der Kommission sind geheim, es sei denn, dass die Kommission im Einvernehmen mit den Parteien anders beschliesst.
Art. 9
Die vertragschliessenden Teile können besondere Vertreter bei der Kommission ernennen, die gleichzeitig als Mittelpersonen zwischen ihnen und der Kommission dienen.
Art. 10
Unter Vorbehalt anderweitiger Bestimmungen des gegenwärtigen Vertrages trifft die Kommission ihre Beschlüsse mit einfacher Stimmenmehrheit.
Art. 11
Die vertragschliessenden Teile verpflichten sich, die Arbeiten der Kommission soweit als immer möglich zu fördern und insbesondere alle nach der Landesgesetzgebung zu ihrer Verfügung stehenden Mittel anzuwenden, um es der Kommission zu er­möglichen, auf ihrem Gebiete Zeugen und Sachverständige vorzuladen und zu ver­nehmen sowie Augenscheine durchzuführen.
Art. 12
Die Kommission hat ihren Bericht binnen sechs Monaten zu erstatten, nachdem sie in einer Streitigkeit angerufen worden ist, es sei denn, dass die vertragschliessenden Teile diese Frist im gemeinsamen Einverständnisse verlängern.
Jeder Partei wird eine Ausfertigung des Berichtes ausgehändigt.
Der Bericht der Kommission hat weder in bezug auf den Tatbestand noch hinsichtlich der rechtlichen Erwägungen die Bedeutung eines Schiedsspruches.
Art. 13
Die Vergleichskommission setzt die Frist fest, innerhalb deren sich die Parteien zu ihren Vorschlägen zu äussern haben.
Diese Frist darf indessen die Zeit von drei Monaten nicht überschreiten.
Art. 14
Während der tatsächlichen Dauer des Verfahrens erhalten die Mitglieder der Vergleichskommission eine Entschädigung, deren Höhe von den vertragschliessenden Teilen zu vereinbaren ist.
Jede Partei kommt für ihre eigenen Kosten auf; die Kosten für die Kommission werden von den Parteien zu gleichen Teilen getragen.
Art. 15
Nimmt einer der vertragschliessenden Teile die Vorschläge der ständigen Vergleichskommission nicht an oder äussert er sich nicht innerhalb der im Berichte der Kommission festgesetzten Frist dazu, so kann jeder von ihnen verlangen, dass die Streitigkeit dem Ständigen Internationalen Gerichtshof⁵ unterbreitet werde.
Falls nach Ansicht des Gerichtshofes der Streitfall nicht rechtlicher Natur sein sollte, so kommen die Parteien überein, dass darüber ex aequo et bono zu entscheiden ist.
⁵ Heute: der Internationale Gerichtshof (Art. 37 des Statuts des Internationalen Gerichtshofs – SR 0.193.501 ).
Art. 16
Die vertragschliessenden Teile setzen in jedem Einzelfall eine besondere Schiedsordnung fest, worin der Streitgegenstand, die etwaigen dem Ständigen Internationalen Gerichtshofe⁶ zu übertragenden besondern Befugnisse sowie alle sonstigen zwischen den Parteien vereinbarten Einzelheiten genau bestimmt werden.
Die Schiedsordnung wird durch Notenaustausch zwischen den Regierungen der vertragschliessenden Teile festgesetzt.
Zu deren Auslegung ist in allen Stücken der Gerichtshof zuständig.
Kommt die Schiedsordnung nicht innerhalb von drei Monaten zustande, nachdem einer Partei ein Antrag auf Einleitung des Gerichtsverfahrens unterbreitet worden ist, so kann jede Partei auf dem Wege eines einfachen Begehrens den Gerichtshof anrufen.
⁶ Heute: der Internationale Gerichtshof (Art. 37 des Statuts des Internationalen Gerichtshofs – SR 0.193.501 ).
Art. 17
Stellt der Ständige Internationale Gerichtshof’⁷ fest, dass eine von einem Gerichte oder irgendeiner andern Behörde einer vertragschliessenden Partei getroffene Entscheidung ganz oder teilweise mit dem Völkerrecht in Widerspruch steht, können aber nach dem Verfassungsrechte dieser Partei die Folgen der Entscheidung durch Verwaltungsmassnahmen nicht oder nicht vollständig beseitigt werden, so ist der verletzten Partei auf andere Weise eine angemessene Genugtuung zuzuerkennen.
⁷ Heute: der Internationale Gerichtshof (Art. 37 des Statuts des Internationalen Gerichtshofs – SR 0.193.501 ).
Art. 18
Der vom Ständigen Internationalen Gerichtshofe⁸ gefällte Spruch ist von den Parteien nach Treu und Glauben zu erfüllen.
Über Schwierigkeiten, zu denen seine Auslegung Anlass geben könnte, entscheidet der Gerichtshof, den jede Partei zu diesem Zwecke auf dem Wege eines einfachen Begehrens anrufen kann.
⁸ Heute: der Internationale Gerichtshof (Art. 37 des Statuts des Internationalen Gerichtshofs – SR 0.193.501 ).
Art. 19
Während der Dauer des Vergleichs‑ oder Gerichtsverfahrens enthalten sich die vertragschliessenden Teile jeglicher Massnahmen, die auf die Zustimmung zu den Vorschlägen der Vergleichskommission oder auf die Erfüllung des Spruches des Ständigen Internationalen Gerichtshofes⁹ nachteilig zurückwirken könnten.
⁹ Siehe Fussn. zu Art. 15.
Art. 20
Allfällige Streitigkeiten über die Auslegung oder Durchführung des gegenwärtigen Vertrages sind, unter Vorbehalt anderweitiger Vereinbarung, unmittelbar auf dem Wege eines einfachen Begehrens dem Ständigen Internationalen Gerichtshofe¹⁰ zu unterbreiten.
¹⁰ Siehe Fussn. zu Art. 15.
Art. 21
Der gegenwärtige Vertrag soll ratifiziert werden. Die Ratifikationsurkunden sollen sobald als möglich in Bern ausgetauscht werden.
Der Vertrag tritt mit dem Austausche der Ratifikationsurkunden in Kraft. Er gilt für die Dauer von zehn Jahren, gerechnet vom Tage des Inkrafttretens an. Wird er nicht sechs Monate vor Ablauf dieser Frist gekündigt, so gilt er als für einen neuen Zeitraum von fünf Jahren erneuert, und so fort für je einen Zeitraum von fünf Jahren.
Ist im Zeitpunkte des Ablaufes des gegenwärtigen Vertrages ein Vergleichsoder Gerichtsverfahren anhängig, so nimmt dieses seinen Fortgang gemäss den Bestimmungen des gegenwärtigen Vertrages oder irgendeiner andern Vereinbarung, welche die vertragschliessenden Teile im gegenseitigen Einvernehmen an dessen Stelle gesetzt haben sollten.

Unterschriften

Zu Urkund dessen haben die Bevollmächtigten den gegenwärtigen Vertrag unterzeichnet.
So geschehen, in doppelter Urschrift, zu Genf, am einundzwanzigsten September neunzehnhundertfünfundzwanzig.

Motta

Al. C. Carapano

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