Vergleichsvertrag zwischen der Schweiz und Norwegen 3
Abgeschlossen am 21. August 1925 Von der Bundesversammlung genehmigt am 19. Februar 1926⁴ Ratifikationsurkunden ausgetauscht am 8. Juli 1926 In Kraft getreten am 8. Juli 1926 ¹ BS 11 322; BBl 1925 III 362 ² Der Originaltext findet sich unter der gleichen Nummer in der französischen Ausgabe dieser Sammlung. ³ Siehe auch den Schiedsvertrag vom 17. Dez. 1904 zwischen der Schweiz und Schweden und Norwegen ( SR 0.193.417.142 ). ⁴ AS 42 279
Der Schweizerische Bundesrat und Seine Majestät der König von Norwegen,
von dem Wunsche geleitet, die zwischen der Schweiz und Norwegen bestehenden freundschaftlichen Beziehungen zu festigen und das ihre dazu beizutragen, im Dienste des Friedensgedankens das Vergleichsverfahren zur Schlichtung zwischenstaatlicher Streitigkeiten zu fördern,
gewillt, in den Beziehungen zwischen den beiden Ländern die durch die Resolution der Völkerbundsversammlung vom 22. September 1922 gutgeheissenen Grundsätze für die Errichtung von zwischenstaatlichen Vergleichskommissionen im weitesten Masse zur Anwendung zu bringen,
haben beschlossen, zu diesem Zwecke einen Vertrag abzuschliessen, und haben zu ihren Bevollmächtigten ernannt:
(Es folgen die Namen der Bevollmächtigten)
die, nachdem sie sich ihre Vollmachten mitgeteilt und sie in guter und gehöriger Form befunden haben, über folgende Bestimmungen übereingekommen sind:
Art. 1
Die vertragschliessenden Teile verpflichten sich, vorgängig jedem gerichtlichen oder schiedsrichterlichen Verfahren alle zwischen ihnen entstehenden Streitigkeiten irgendwelcher Art, die nicht auf diplomatischem Wege geschlichtet werden können, einer ständigen Vergleichskommission zu unterbreiten.
Es steht jeder Partei zu, darüber zu befinden, von welchem Zeitpunkt an das Vergleichsverfahren an die Stelle der diplomatischen Verhandlungen zu treten hat.
Die vertragschliessenden Teile können vereinbaren, einen Streitfall unmittelbar dem Ständigen Internationalen Gerichtshofe⁵ zu unterbreiten.
⁵ Heute: der Internationale Gerichtshof (Art. 37 des Statuts des Internationalen Gerichtshofes – SR 0.193.501 ).
Art. 2
Die ständige Vergleichskommission besteht aus fünf Mitgliedern.
Die vertragschliessenden Teile ernennen, jeder für sich, nach freier Wahl je einen Kommissar und berufen die drei andern im gemeinsamen Einvernehmen. Diese drei Kommissare sollen nicht Angehörige der vertragschliessenden Staaten sein, noch sollen sie auf deren Gebiet ihren Wohnsitz haben oder in deren Dienste stehen.
Aus der Mitte der gemeinschaftlich berufenen Kommissare wird der Vorsitzende der Kommission im gemeinsamen Einverständnis ernannt.
Die Kommission ist binnen sechs Monaten nach dem Austausche der Ratifikationsurkunden zum gegenwärtigen Vertrage zu bilden.
Wenn die Ernennung der gemeinsam zu berufenden Kommissare oder des Vor.sitzenden nicht binnen sechs Monaten nach dem Austausche der Ratifikationsurkunden oder, im Falle des Rücktrittes oder Ablebens eines Kommissars, nicht binnen zwei Monaten nach dem Freiwerden des Sitzes stattgefunden hat, so sind die Wahlen auf Verlangen einer einzigen Partei durch den Präsidenten des Ständigen Internationalen Gerichtshofes⁶ oder, wenn dieser Angehöriger eines der beiden vertragschliessenden Staaten ist, durch den Vizepräsidenten oder, wenn dieser sich im gleichen Falle befindet, durch den ältesten Richter des Gerichtshofes zu vollziehen, der nicht Angehöriger eines der beiden, vertragschliessenden Staaten ist.
⁶ Der Ständige Internationale Gerichtshof wurde aufgelöst durch Beschluss der Völkerbundsversammlung vom 18. April 1946 ( BBl 1946 II 1227 ) und ersetzt durch den Internationalen Gerichtshof ( SR 0.193.50 ).
Art. 3
Die Mitglieder der Vergleichskommission sind für drei Jahre gewählt. Unter Vorbehalt entgegenstehender Vereinbarung zwischen den vertragschliessenden Teilen können sie während ihrer Amtsdauer nicht abberufen werden. Im Falle des Ablebens oder des Rücktrittes eines Kommissars ist für den Rest seiner Amtsdauer eine Ersatzwahl vorzunehmen.
Endigt die Amtsdauer eines gemeinsam gewählten Kommissars, ohne dass eine Partei gegen deren Verlängerung Einspruch erhebt, so gilt sie als für drei weitere Jahre erneuert. Desgleichen gilt die Amtsdauer eines von nur einer Partei gewählten Kommissars als für drei weitere Jahre verlängert, wenn bei deren Ablauf keine Ersatzwahl vorgenommen worden ist.
Ein Mitglied, dessen Amt während eines Verfahrens abläuft, nimmt weiterhin bis zu dessen Abschluss an der Behandlung des Streitfalles teil.
Art. 4
Es steht jeder Partei zu, innerhalb von vierzehn Tagen, nachdem der Vergleichskommission das Begehren nach Einleitung eines Vergleichsverfahrens bekanntgegeben worden ist, den von ihr in freier Wahl bezeichneten Kommissar durch eine auf dem Gebiete des betreffenden Streitfalles besonders sachverständige Persönlichkeit zu ersetzen.
Will eine der Parteien von diesem Rechte Gebrauch machen, so soll sie unverzüglich die Gegenpartei davon in Kenntnis setzen; in diesem Falle kann die Gegenpartei in einem Zeitraume von vierzehn Tagen nach Empfang der Mitteilung von demselben Rechte Gebrauch machen.
Art. 5
Der Vergleichskommission liegt ob, die Schlichtung der Streitigkeit zu erleichtern, indem sie in unparteiischer und gewissenhafter Prüfung den Sachverhalt aufhellt und Vorschläge für die Beilegung der Streitigkeit macht.
Die Anrufung der Kommission erfolgt durch ein dahinzielendes Begehren, das von einem der vertragschliessenden Teile an den Kommissionsvorsitzenden gerichtet wird.
Dieses Begehren wird von der Partei, welche die Eröffnung des Vergleichsverfahrens verlangt, gleichzeitig der Gegenpartei bekanntgegeben.
Der Vorsitzende hat die Kommission innert kürzester Frist einzuberufen.
Art. 6
Unter Vorbehalt entgegenstehender Vereinbarung tritt die Vergleichskommission an dem von ihrem Vorsitzenden bezeichneten Orte zusammen.
Art. 7
Die vertragschliessenden Teile können besondere Vertreter bei der Vergleichskommission ernennen, die gleichzeitig als Mittelspersonen zwischen ihnen und der Kommission dienen.
Art. 8
Die vertragschliessenden Teile verpflichten sich, die Arbeiten der Vergleichskommission soweit als möglich zu fördern und insbesondere alle nach der Landesgesetzgebung zu ihrer Verfügung stehenden Mittel anzuwenden, um es der Kommission zu ermöglichen, auf ihrem Gebiete Zeugen und Sachverständige vorzuladen und zu vernehmen, wie auch Augenscheine durchzuführen.
Art. 9
Die Verhandlungen der Vergleichskommission sowie ihre Beratungen sind geheim, es sei denn, dass die Kommission im Einvernehmen mit den Parteien anders beschliesst.
Art. 10
Das Verfahren vor der Vergleichskommission ist kontradiktorisch.
Die Kommission setzt selbst das Verfahren fest, wobei sie, falls nicht einstimmig ein entgegenstehender Beschluss gefasst wird, die Bestimmungen in Titel III des Haager Abkommens vom 18. Oktober 1907⁷ zur friedlichen Erledigung internationaler Streitfälle berücksichtigt.
⁷ SR 0.193.212
Art. 11
Die Vergleichskommission ist verhandlungsfähig, wenn alle Kommissare ordnungsgemäss geladen wurden und der Vorsitzende und mindestens zwei weitere Kommissare anwesend sind.
Unter Vorbehalt entgegenstehender Bestimmungen des gegenwärtigen Vertrages trifft die Kommission ihre Beschlüsse mit einfacher Stimmenmehrheit, wobei der Vorsitzende bei Stimmengleichheit entscheidet.
Art. 12
Die Vergleichskommission hat ihren Bericht binnen sechs Monaten zu erstatten, nachdem sie in einer Streitigkeit angerufen worden ist, es sei denn, dass die vertragschliessenden Teile diese Frist im gemeinsamen Einverständnisse verlängern.
Die mit Begründung versehene Ansicht der in der Minderheit verbliebenen Mitglieder ist in den Bericht aufzunehmen.
Der Kommissionsbericht ist vom Vorsitzenden zu unterzeichnen und unverzüglich den Parteien zur Kenntnis zu bringen.
Der Bericht hat weder in bezug auf die Tatsachen noch hinsichtlich der rechtlichen Ausführungen die Bedeutung eines Schiedsspruches.
Es steht den Parteien zu, im gemeinsamen Einverständnisse zu beschliessen, ob der Kommissionsbericht veröffentlicht werden soll für den Fall, dass die darin enthaltenen Vorschläge von den beiden Parteien nicht angenommen worden sind.
Art. 13
Die Vergleichskommission hat die Frist festzusetzen, innerhalb deren sich die Parteien gegenseitig mitzuteilen haben, ob sie die Kommissionsvorschläge annehmen. Diese Frist darf indessen die Zeit von drei Monaten nicht überschreiten.
Nimmt einer der vertragschliessenden Teile die Vorschläge der Vergleichskommission nicht an oder äussert er sich nicht innerhalb der in ihrem Berichte festgesetzten Frist dazu und gehört andererseits der Anstand zu den in Artikel 36 des Statuts des Ständigen Internationalen Gerichtshofes⁸ aufgeführten Arten von Streitfällen, so kann jede Partei den Gerichtshof im Wege eines einfachen Begehrens anrufen.
⁸ [ AS 37 768 ]. Diesem Artikel entspricht heute Art. 36 des Statuts des Internationalen Gerichtshofes vom 26. Juni 1945 ( SR 0.193.501 ).
Art. 14
Während der tatsächlichen Dauer des Verfahrens erhalten die Mitglieder der Vergleichskommission eine Entschädigung, deren Höhe von den vertragschliessenden Teilen zu vereinbaren ist.
Jede Partei kommt für ihre eigenen Kosten auf; die Kosten für die Kommission werden von den Parteien zu gleichen Teilen getragen.
Art. 15
Während der Dauer des Vergleichsverfahrens enthalten sich die vertragschliessenden Teile jeglicher Massnahme, die auf die Zustimmung zu den Vorschlägen der Vergleichskommission nachteilig zurückwirken könnte.
Art. 16
Allfällige Anstände zwischen den Parteien über die Auslegung oder Durchführung des gegenwärtigen Vertrages können von jeder der Parteien unmittelbar dem Ständigen Internationalen Gerichtshof⁹ unterbreitet werden.
⁹ Siehe Fussn. zu Art. 1.
Art. 17
Der gegenwärtige Vertrag soll ratifiziert und die Ratifikationsurkunden sollen sobald als möglich in Bern ausgetauscht werden.
Der Vertrag gilt für die Dauer von zehn Jahren, gerechnet vom Austausche der Ratifikationsurkunden an. Wird er nicht sechs Monate vor Ablauf dieser Frist gekündigt, so bleibt er für einen weitern Zeitraum von fünf Jahren in Kraft und so fort für je fünf Jahre.
Schwebt bei Ablauf des gegenwärtigen Vertrages ein Vergleichsverfahren, so nimmt es seinen Lauf nach den Bestimmungen dieses Vertrages oder jedes andern Abkommens, das die vertragschliessenden Teile an dessen Stelle vereinbart haben würden.
Unterschriften
Zu Urkund dessen haben die beiderseitigen Bevollmächtigten den gegenwärtigen Vertrag unterzeichnet und mit ihren Siegeln versehen.
Ausgefertigt, in doppelter Urschrift, zu Oslo, den 21. August 1925.
Charles L. E. Lardy | Joh. Ludw. Mowinckel |
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