Obligatorischer Vergleichs-, Gerichts- und Schiedsvertrag zwischen der Schweiz und Rumänien
Abgeschlossen am 3. Februar 1926 Von der Bundesversammlung genehmigt am 25. Juni 1926³ Ratifikationsurkunden ausgetauscht am 27. August 1926 In Kraft getreten am 27. August 1926 ¹ BS 11 345; BB1 1926 I 525 ² Der Originaltext findet sich unter der gleichen Nummer in der französischen Ausgabe dieser Sammlung. ³ AS 42 520
Der Schweizerische Bundesrat und Seine Majestät der König von Rumänien
von dem Wunsche geleitet, die Bande althergebrachter Freundschaft, welche die Schweiz mit Rumänien verbinden, erneut zu kräftigen und zu festigen und auf dem Wege des Vergleichs-, Gerichts- und Schiedsverfahrens die etwaigen Streitigkeiten, die zwischen den beiden Ländern entstehen könnten, zu lösen, sind übereingekommen, zu diesem Zwecke einen Vertrag abzuschliessen, und haben zu ihren Bevollmächtigten ernannt:
(Es folgen die Namen der Bevollmächtigten)
die nach Vorweisung ihrer in guter und gehöriger Form befundenen Vollmachten folgende Bestimmungen vereinbart haben:
Art. 1
Alle Streitigkeiten irgendwelcher Art, die zwischen den beiden Staaten entstehen und nicht binnen angemessener Frist auf diplomatischem Wege geschlichtet werden können, sind, vorgängig jedem Verfahren vor dem Ständigen Internationalen Gerichtshof⁴ oder jeglicher Anrufung der Schiedssprechung, einer gemäss dem gegenwärtigen Vertrage gebildeten ständigen Vergleichskommission zur Herbeiführung eines Vergleichs zu unterbreiten.
Indessen steht es jedem vertragschliessenden Teile frei, von der Anwendung des gegenwärtigen Vertrages jede Streitigkeit auszuschliessen, die unmittelbar oder mittelbar auf Fragen der Unversehrtheit des Gebietes und ihrer gegenwärtigen Grenzen Bezug hat.
Die vertragschliessenden Teile behalten sich andererseits vor, zu vereinbaren, dass ein bestimmter Streitfall unmittelbar durch den Ständigen Internationalen Gerichtshof⁵ oder im Wege des Schiedsgerichtsverfahrens erledigt werde, unter Umgehung eines vorgängigen Vergleichsverfahrens.
⁴ Heute: der Internationale Gerichtshof (Art. 37 des Statuts des Internationalen Gerichts- hofes – SR 0.193.501 ).
⁵ Siehe Fussn. zu Abs. 1.
Art. 2
Handelt es sich um eine Streitigkeit, die gemäss der Landesgesetzgebung einer Partei in die Zuständigkeit ihrer Landesgerichte MIR, so wird die Streitigkeit dem in dem gegenwärtigen Vertrage vorgesehenen Verfahren erst dann unterworfen, wenn das zuständige Landesgericht eine rechtskräftige Entscheidung geffällt hat.
Art. 3
Die in Artikel 1 vorgesehene ständige Vergleichskommission besteht aus fünf Mitgliedern, die in nachstehender Weise zu bezeichnen sind: Die vertragschliessenden Teile ernennen jeder für sich ein Mitglied aus der Mitte ihrer eigenen Staatsangehörigen und bezeichnen die drei übrigen Mitglieder im gemeinsamen Einverständnis unter den Staatsangehörigen dritter Mächte; diese drei Mitglieder müssen verschiedenen Staaten angehören, und aus ihrer Mitte wählen die vertragschliessenden Teile den Vorsitzenden der Kommission.
Die Mitglieder werden für drei Jahre ernannt; ihre Berufung kann erneuert werden. Sie bleiben bis zu ihrer Ersetzung im Amte, in jedem Falle aber so lange, bis die im Zeitpunkte des Ablaufs ihrer Amtsdauer hängigen Arbeiten abgeschlossen sein werden.
Bei etwaigem Freiwerden eines Sitzes infolge Ablebens oder Rücktrittes eines Mitgliedes sind Ersatzwahlen in kürzester Frist gemäss der für die Ernennungen festgesetzten Wahlart vorzunehmen.
Art. 4
Die ständige Vergleichskommission ist innerhalb dreier Monate nach Austausch der Ratifikationsurkunden zum gegenwärtigen Vertrage zu bilden.
Hat die Ernennung der im gemeinsamen Einverständnisse zu berufenden Kommissare in der genannten Frist oder, im Falle einer Einzelwahl, innerhalb dreier Monate nach Freiwerden des Sitzes nicht stattgefunden, so sollen die erforderlichen Ernennungen, auf Begehren einer der Parteien, durch den Vorsitzenden des Ständigen Internationalen Gerichtshofes⁶ oder, falls er Angehöriger eines der vertragschliessenden Staaten ist, durch den Vizepräsidenten oder, wenn der letztere sich in der gleichen Lage befindet, durch das älteste Mitglied des Gerichtshofes vorgenommen werden.
⁶ Der Ständige Internationale Gerichtshof wurde aufgelöst durch Beschluss der Völkerbundsversammlung vom 18. April 1946 ( BBl 1946 II 1227 ) und ersetzt durch den Internationalen Gerichtshof ( SR 0.193.50 ).
Art. 5
Die Anrufung der ständigen Vergleichskommission erfolgt im Wege eines Begehrens, das von beiden Parteien im gemeinsamen Einverständnis oder, in dessen Ermangelung, von der einen oder andern Partei an den Kommissionsvorsitzenden gerichtet wird.
Das Begehren enthält nach einer gedrängten Darstellung des Streitgegenstandes die Einladung an die Kommission, alle Massnahmen zu ergreifen, die einen Vergleich herbeizuführen geeignet wären.
Geht das Begehren nur von einer der Parteien aus, so hat diese es unverzüglich der Gegenpartei zur Kenntnis zu bringen.
Art. 6
Der ständigen Vergleichskommission liegt ob, die streitigen Fragen aufzuhellen, zu diesem Zwecke im Wege einer Untersuchung oder auf andere Weise alle nützlichen Auskünfte beizubringen und die Herbeiführung eines Vergleichs zwischen den Parteien anzustreben. Nach Prüfung der Angelegenheit kann sie den Parteien die Bestimmungen des ihr angemessen erscheinenden Ausgleichs vorschlagen und ihnen für die Bekanntgabe ihrer Stellungnahme eine Frist ansetzen.
Beim Abschluss ihrer Arbeiten wird die Kommission ein Protokoll aufsetzen, worin je nach den Umständen festgestellt wird, dass die Parteien sich gütlich geeinigt haben, gegebenenfalls unter welchen Bedingungen, oder dass eine Einigung der Parteien nicht möglich war.
Die Arbeiten der Kommission müssen innerhalb eines Zeitraumes von sechs Monaten, nachdem die Kommission in einer Streitigkeit angerufen worden ist, abgeschlossen sein, es sei denn, dass die Parteien darüber eine anderweitige Vereinbarung treffen.
Art. 7
Unter Vorbehalt einer entgegenstehenden besonderen Vereinbarung setzt die ständige Vergleichskommission selbst ihr Verfahren fest, das in allen Fällen kontradiktorisch sein muss. Für die Untersuchungen hat sich die Kommission an die Bestimmungen des Titels III (Internationale Untersuchungskommissionen) des Haager Abkommens vom 18. Oktober 1907⁷ zur friedlichen Erledigung internationaler Streitfülle zu halten, es sei denn, dass sie hierüber einstimmig anders beschliesst.
⁷ SR 0.193.212
Art. 8
Die ständige Vergleichskommission tritt unter Vorbehalt entgegenstehender Vereinbarung zwischen den Parteien an dem von ihrem Vorsitzenden bezeichneten Orte zusammen.
Art. 9
Die Arbeiten der ständigen Vergleichskommission sind nur dann öffentlich, wenn die Kommission mit Zustimmung der Parteien dies beschliesst.
Art. 10
Die Parteien lassen sich bei der ständigen Vergleichskommission durch Mittelspersonen vertreten, die als Zwischenglieder zwischen den Parteien und der Kommission zu dienen haben; die Parteien können ausserdem von ihnen zu diesem Zwecke ernannte Berater und Sachverständige zur Mitarbeit heranziehen und die Einvernahme aller Personen verlangen, deren Aussage ihnen nützlich erscheinen sollte.
Die Kommission ist ihrerseits befugt, von den Mittelspersonen, Beratern und Sachverständigen der beiden Parteien sowie von allen Personen, deren Erscheinen sie mit Zustimmung ihrer Regierung für zweckmässig erachtet, mündliche Auskünfte zu verlangen.
Art. 11
Unter Vorbehalt einer entgegenstehenden Bestimmung des gegenwärtigen Vertrages trifft die Vergleichskommission ihre Beschlüsse mit Stimmenmehrheit.
Art. 12
Die vertragschliessenden Teile verpflichten sich, die Arbeiten der Vergleichskommission zu fördern und ihr insbesondere soweit immer möglich alle zweckdienlichen Dokumente und Auskünfte zukommen zu lassen sowie alle zu ihrer Verfügung stehenden Mittel anzuwenden, um es der Kommission zu ermöglichen, auf ihrem Gebiet und entsprechend ihrer Gesetzgebung Zeugen und Sachverständige vorzuladen und einzuvernehmen sowie Augenscheine durchzuführen.
Art. 13
Während der Dauer der Arbeiten der Vergleichskommission erhält jedes im gemeinsamen Einverständnis ernannte Mitglied eine Entschädigung, deren Höhe zwischen den vertragschliessenden Parteien zu vereinbaren ist und von diesen zu gleichen Teilen übernommen wird.
Art. 14
Kommt vor der ständigen Vergleichskommission ein Vergleich nicht zustande, so kann jede Partei verlangen, dass die Streitigkeit dem Ständigen Internationalen Gerichtshof⁸ unterbreitet werde.
Falls nach Ansicht des Gerichtshofes der Streitfall nicht rechtlicher Natur sein sollte, so kommen die Parteien überein, dass darüber ex aequo et bono zu entscheiden ist.
⁸ Siehe Fussn. zu Art. 1 Abs. 1.
Art. 15
Die vertragschliessenden Teile können im gemeinsamen Einverständnisse beschliessen, den Streitfall einem Schiedsgerichte zu unterbreiten, das unter Vorbehalt entgegenstehender Vereinbarung aus fünf Mitgliedern besteht, die nach der in den Artikeln 3 und 4 des gegenwärtigen Vertrages für die Bestellung der ständigen Vergleichskommission vorgesehenen Wahlart bezeichnet werden; das Schiedsgericht hat das durch das Haager Abkommen vom 18. Oktober 1907⁹ zur friedlichen Erledigung internationaler Streitfülle vorgesehene Verfahren anzuwenden.
⁹ SR 0.193.212
Art. 16
Die vertragschliessenden Parteien setzen in jedem Einzelfall eine besondere Schiedsordnung fest, worin der Streitgegenstand und die etwaigen dem Ständigen Internationalen Gerichtshof¹⁰ oder dem im vorhergehenden Artikel vorgesehenen Schiedsgerichte zu übertragenden besondern Befugnisse genau umschrieben werden.
Die Schiedsordnung wird durch Notenaustausch zwischen den Regierungen der vertragschliessenden Teile festgesetzt. Zu deren Auslegung ist in allen Stücken der Gerichtshof oder das Schiedsgericht zuständig.
Kommt die Schiedsordnung nicht binnen sechs Monaten, nachdem einer Partei ein Antrag auf Einleitung eines Gerichtsverfahrens unterbreitet worden ist, zustande, so kann jede Partei auf dem Wege eines einfachen Begehrens den Gerichtshof anrufen. Falls die Parteien vereinbart haben, die Streitigkeit einem Schiedsgerichte zu unterbreiten und binnen sechs Monaten nach Empfang des Begehrens für eine schiedsrichterliche Erledigung sie sich nicht über den Wortlaut der Schiedsordnung haben einigen können, so ist hierfür ohne weiteres das Verfahren einzuschlagen, das im Titel IV des Haager Abkommens vom 18. Oktober 1907¹¹ zur friedlichen Erledigung internationaler Streitfülle vorgesehen und das in diesem Falle für die Berufung an das Schiedsgericht massgebend ist.
¹⁰ Siehe Fussn. zu Art. 1 Abs. 1.
¹¹ SR 0.193.212
Art. 17
Der vom Ständigen Internationalen Gerichtshof¹² oder von dem Schiedsgerichte gefällte Spruch ist von den Parteien nach Treu und Glauben zu erfüllen.
Allfällige Streitigkeiten über die Auslegung des Schiedsspruchs sind durch das Gericht zu entscheiden, welches denselben gefällt hat. Jede Partei kann dasselbe zu diesem Zwecke im Wege eines einfachen Begehrens anrufen. Falls indessen das Schiedsgericht, welches den Schiedsspruch gefällt hat, nicht mehr oder innerhalb einer angemessenen Frist nicht zusammentreten könnte, kann der Streitfall im Wege eines einfachen Begehrens dem Ständigen Internationalen Gerichtshof¹³ unterbreitet werden.
¹² Siehe Fussn. zu Art. 1 Abs. 1.
¹³ Siehe Fussn. zu Art. 1 Abs. 1.
Art. 18
Während der Dauer des Vergleichs-, Gerichts- oder Schiedsverfahrens enthalten sich die vertragschliessenden Teile jeglicher Massnahme, die auf die Zustimmung zu den Vorschlägen der Vergleichskommission oder auf die Erfüllung der Entscheidung des Ständigen Internationalen Gerichtshofes¹⁴ oder des Spruchs des Schiedsgerichts nachteilig zurückwirken kann.
¹⁴ Siehe Fussn. zu Art. 1 Abs. 1.
Art. 19
Allfällige Streitigkeiten über die Auslegung oder Durchführung des gegenwärtigen Vertrages sind, unter Vorbehalt anderweitiger Vereinbarung, im Wege eines einfachen Begehrens unmittelbar dem Ständigen Internationalen Gerichtshofe¹⁵ zu unterbreiten.
¹⁵ Siehe Fussn. zu Art. 1 Abs. 1.
Art. 20
Falls im Zeitpunkte des Ablaufes des gegenwärtigen Vertrages irgendein Verfahren kraft und in Anwendung dieses Vertrages bei der ständigen Vergleichskommission, beim Ständigen Internationalen Gerichtshof¹⁶ oder bei einem Schiedsgerichte hängig sein sollte, so wäre dieses Verfahren bis zu seinem Abschlusse durchzuführen.
¹⁶ Siehe Fussn. zu Art. 1 Abs. 1.
Art. 21
Der gegenwärtige Vertrag soll ratifiziert werden, und die Ratiflikationsurkunden sollen sobald als möglich in Bern ausgetauscht werden.
Der gegenwärtige Vertrag tritt mit dem Austausche der Ratifikationsurkunden in Kraft und hat eine Dauer von fünf Jahren, gerechnet vom Tage des Inkrafttretens an. Wird er nicht sechs Monate vor Ablauf dieser Frist gekündigt, so bleibt er weiterbestehen bis zum Ablauf einer Frist von einem Jahre, von dem Zeitpunkte an gerechnet, in dem eine Partei der andern ihre Absicht mitgeteilt hat, ihm ein Ende zu setzen.
Unterschriften
Zu Urkund dessen haben die Bevollmächtigten den gegenwärtigen Vertrag unterzeichnet.
So geschehen, in doppelter Urschrift, zu Bern, am dritten Februar eintausendneunhundertsechsundzwanzig.
Motta | N. P. Comnène |
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