Konvention für die friedliche Regelung internationaler Streitigkeiten 2 (0.193.211)
CH - Schweizer Bundesrecht

Konvention für die friedliche Regelung internationaler Streitigkeiten 2

Abgeschlossen im Haag am 29. Juli 1899 Von der Bundesversammlung genehmigt am 10. Dezember 1900³ Schweizerische Ratifikationsurkunde hinterlegt am 29. Dezember 1900 In Kraft getreten für die Schweiz am 29. Dezember 1900 (Stand am 29. Oktober 2015) ¹ Der Originaltext findet sich unter der gleichen Nummer in der französischen Ausgabe dieser Sammlung. ² Dieses Abkommen gilt für die Schweiz nur noch für die Beziehungen zu jenen Vertrags­mächten, die dem Abk. vom 18. Okt. 1907 zur friedlichen Erledigung internationaler Streit­fälle ( SR 0.193.212 Art. 91) nicht angehören. Siehe die Liste der Vertragsstaaten am Schluss der vorliegenden Konvention. ³ Ziff. I 1 des BB vom 10. Dez. 1900 ( AS 18 448 )
Seine Majestät der Kaiser von Deutschland, König von Preussen; Seine Majestät der Kaiser von Österreich, König von Böhmen usw. und Apostolischer König von Ungarn; Seine Majestät der König der Belgier; Seine Majestät der Kaiser von China; Seine Majestät der König von Dänemark; Seine Majestät der König von Spanien und in Seinem Namen Ihre Majestät die Königin-Regentin des König- reiches; der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika; der Präsident der Vereinigten Staaten von Mexiko; der Präsident der Französischen Republik; Ihre Majestät die Königin des Vereinigten Königreichs von Grossbritannien und Irland, Kaiserin von Indien; Seine Majestät der König der Hellenen; Seine Majestät der König von Italien; Seine Majestät der Kaiser von Japan; Seine Königliche Hoheit der Grossherzog von Luxemburg, Herzog zu Nassau; Seine Hoheit der Fürst von Montenegro; Ihre Majestät die Königin der Niederlande; Seine Kaiserliche Majestät der Schah von Persien; Seine Majestät der König von Portugal und Algarbien usw.; Seine Majestät der König von Rumänien; Seine Majestät der Kaiser aller Reussen; Seine Majestät der König von Serbien; Seine Majestät der König von Siam; Seine Majestät der König von Schweden und Norwegen; der Schweizerische Bundesrat; Seine Majestät der Kaiser der Osmanen und Seine Königliche Hoheit der Fürst von Bulgarien,
von dem festen Willen beseelt, zur Erhaltung des allgemeinen Friedens beizutragen;
entschlossen, alles zu tun, was in ihrer Macht steht, um die friedliche Regelung internationaler Streitigkeiten zu begünstigen;
in Anerkennung der Solidarität, die die Glieder der Gemeinschaft der zivilisierten Staaten verbindet;
in der Absicht, die Herrschaft des Rechts auszudehnen und das Gefühl der inter­nationalen Gerechtigkeit zu stärken;
überzeugt, dass die dauernde Einrichtung einer allen zugänglichen Schiedsgerichts­barkeit im Schosse der unabhängigen Mächte zu diesem Ziele wirksam beitragen kann,
in Anbetracht der Vorteile, welche eine allgemeine und regelmässige Einrichtung des Schiedsgerichtsverfahrens gewährt;
die Überzeugung des erhabenen Urhebers der internationalen Friedenskonferenz teilend, dass es angezeigt ist, in einer internationalen Vereinbarung die Grundsätze der Billigkeit und des Rechtes feierlich auszusprechen, auf denen die Sicherheit der Staaten und die Wohlfahrt der Völker beruht;
von dem Wunsche geleitet, zu diesem Ende eine Konvention abzuschliessen, haben als ihre Bevollmächtigten ernannt:
(Es folgen die Namen der Bevollmächtigten)
welche nach Vorweisung ihrer Vollmachten, die in guter und gehöriger Form befun­den wurden, folgende Bestimmungen vereinbart haben:

Titel I Über die Erhaltung des allgemeinen Friedens

Art. 1
Um in den internationalen Beziehungen die Anwendung von Gewalt so weit als möglich zu vermeiden, kommen die Signatarmächte überein, alle ihre Bemühungen anzuwenden, um die friedliche Regelung internationaler Streitigkeiten herbeizufüh­ren.

Titel II Gute Dienste und Vermittlung

Art. 2
Die Vertragsmächte verpflichten sich, in Fällen schwerer Meinungsverschiedenheit oder von Konflikten⁴, bevor sie zu den Waffen greifen, die guten Dienste oder die Vermittlung einer oder mehrerer befreundeten Mächte anzurufen, insoweit die Umstände es gestatten.
⁴ Berichtigung der in der AS veröffentlichten Übersetzung gemäss Originaltext.
Art. 3
Unabhängig hiervon halten die Signatarmächte es für nützlich, dass eine oder meh­rere der nicht am Streite beteiligten Mächte aus eigenem Antriebe, soweit die Um­stände es gestatten, den streitenden Staaten ihre guten Dienste oder ihre Vermittlung anbieten.
Den nicht am Streite beteiligten Staaten bleibt das Recht, ihre guten Dienste oder ihre Vermittlung anzubieten, auch während der Feindseligkeiten gewahrt. Die Aus­übung dieses Rechtes soll nie von einer der streitenden Parteien als ein unfreund­licher Akt angesehen werden.
Art. 4
Die Aufgabe des Vermittlers besteht darin, die hervorgetretenen Gegensätze auszu­gleichen und die etwa entstandene Verstimmung zwischen den streitenden Staaten zu beschwichtigen.
Art. 5
Die Aufgabe des Vermittlers ist beendet, sobald durch einen der streitenden Teile oder durch den Vermittler selbst festgestellt ist, dass die von ihm vorgeschlagenen Mittel der Verständigung nicht angenommen werden.
Art. 6
Die guten Dienste und die Vermittlung, sei es, dass sie von den streitenden Parteien nachgesucht, sei es, dass sie von den nicht am Streite beteiligten Mächten aus eige­nem Antrieb angeboten werden, haben immer nur den Charakter eines Ratschlages und niemals irgendwelche verbindliche Kraft.
Art. 7
Die Annahme einer Vermittlung kann, anderweitige Vereinbarung vorbehalten, die Mobilisierung und andere Kriegsvorbereitungen weder unterbrechen noch verzö­gern, noch hindern.
Wenn die Vermittlung nach Eröffnung der Feindseligkeiten stattfindet, so nehmen diese ihren Fortgang, falls nichts anderes vereinbart ist.
Art. 8
Die Vertragsmächte gehen einig darin, zu empfehlen, dass folgende besondere Form der Vermittlung, wenn die Umstände es gestatten, angewendet werden möchte:
Bei schweren Meinungsverschiedenheiten, die den Frieden gefährden, wählen die streitenden Staaten je eine Macht, die sie ermächtigen, in direkte Verhandlungen mit der von der anderen Partei bezeichneten Macht einzutreten, um den Bruch der friedlichen Beziehungen zu verhindern.
Während der Dauer dieses Mandates, die, anderweitige Vereinbarung vorbehalten, dreissig Tage nicht überschreiten darf, hören die streitenden Teile auf, über den zwischen ihnen obwaltenden Streit direkt miteinander zu verhandeln; die Streitfrage gilt vielmehr als an diese Mächte ausschliesslich übertragen. Es ist deren Pflicht, alle ihre Bemühungen zur Schlichtung des Streites anzuwenden.
Kommt es zum wirklichen Bruch der friedlichen Beziehungen, so bleiben jene Mächte doch mit der gemeinsamen Aufgabe betraut, jede Gelegenheit zu benutzen, um den Frieden wieder herzustellen.

Titel III Internationale Untersuchungskommissionen

Art. 9
Bei internationalen Streitigkeiten, welche weder die Ehre noch wesentliche Interes­sen des Staates berühren und auf einer verschiedenen Würdigung von Tatsachen beruhen, halten die Signatarmächte für nützlich, dass, nachdem die diplomatischen Verhandlungen erfolglos geblieben sind, die streitenden Staaten, sofern die Um­stände es gestatten, eine internationale Untersuchungskommission einsetzen mit dem Auftrag, die streitigen Tatsachen durch eine unparteiische und gewissenhafte Unter­suchung aufzuklären und dadurch die Lösung dieser Streitigkeiten zu erleichtern.
Art. 10
Die internationalen Untersuchungskommissionen werden auf Grund einer besondern Vereinbarung der streitenden Parteien gebildet.
Diese Vereinbarung bestimmt die zu untersuchenden Tatsachen und den Umfang des den Kommissarien erteilten Mandates.
Sie regelt auch das Verfahren.
Die Untersuchung hat kontradiktorisch zu erfolgen.
Die zu beobachtende Form und die Fristen werden, wenn die Spezialkonvention darüber nichts enthält, durch die Kommission bestimmt.
Art. 11
Die internationalen Untersuchungskommissionen werden, anderweitige Abmachun­gen vorbehalten, nach Artikel 32 der gegenwärtigen Konvention gebildet.
Art. 12
Die Streitteile verpflichten sich, der internationalen Untersuchungskommission alle für eine vollständige Kenntnis und genaue Feststellung der streitigen Tatsachen notwendigen Mittel und Erleichterungen in so weitem Umfange zu gewähren, als sie es für möglich erachten.
Art. 13
Die internationale Untersuchungskommission erstattet den streitenden Staaten einen Bericht, den alle Mitglieder derselben zu unterzeichnen haben.
Art. 14
Der Bericht der internationalen Untersuchungskommission beschränkt sich auf die Feststellung der Tatsachen und hat keineswegs den Charakter eines Schiedsspru­ches; er lässt den streitenden Staaten volle Freiheit für die weitere Behandlung der Angelegenheit.

Titel IV Das internationale Schiedswesen

Kapitel I Die Schiedsgerichtsbarkeit

Art. 15
Die internationale Schiedsgerichtsbarkeit bezweckt die Schlichtung von Streitigkei­ten zwischen Staaten durch Richter ihrer Wahl und nach Rechtsgrundsätzen.
Art. 16
Bei Rechtsfragen und namentlich bei Anständen betreffend die Auslegung und die Anwendung von Staatsverträgen wird die Schiedsgerichtsbarkeit von den Signatar­mächten als das wirksamste und zugleich gerechteste Mittel anerkannt, Streitigkei­ten zu erledigen, die auf diplomatischem Wege nicht haben beigelegt werden kön­nen.
Art. 17
Der Schiedsvertrag wird im Hinblick auf bereits entstandene oder etwa künftig entstehende Streitigkeiten abgeschlossen.
Er kann sich auf alle Streitigkeiten oder nur auf eine bestimmte Kategorie von Streitigkeiten erstrecken.
Art. 18
Der Schiedsvertrag schliesst die Verpflichtung in sich, sich in guten Treuen dem schiedsgerichtlichen Urteil zu unterwerfen.
Art. 19
Unabhängig von den allgemeinen und besonderen Verträgen, welche jetzt schon die Signatarmächte zur Anrufung von Schiedsgerichten verpflichten, behalten sich diese Mächte vor, sei es vor der Ratifizierung der vorliegenden Akte, sei es später, neue allgemeine oder besondere Verträge abzuschliessen, um die obligatorische Schieds­gerichtsbarkeit auf alle ihnen passend erscheinenden Fälle auszudehnen.

Kapitel II Der ständige Schiedsgerichtshof

Art. 20
Um die unmittelbare Anrufung schiedsgerichtlicher Entscheidung bei Streitigkeiten zu erleichtern, welche auf diplomatischem Wege nicht geschlichtet werden konnten, verpflichten sich die Signatarmächte, einen ständigen Schiedsgerichtshof einzurich­ten, welcher zu jeder Zeit zugänglich sein soll und, anderweitige Vereinbarungen der Streitteile vorbehalten, gemäss den in vorliegender Konvention aufgestellten Regeln verfahren wird.
Art. 21
Der ständige Schiedsgerichtshof wird für alle schiedsgerichtlichen Fälle zuständig sein, es sei denn, dass die streitenden Parteien übereinkommen, ein besonderes Schiedsgericht einzusetzen.
Art. 22
Ein im Haag niedergesetztes internationales Amt dient dem Gerichtshof als Kanzlei.
Dieses Amt vermittelt alle auf den Zusammentritt des Gerichtshofes bezüglichen Mitteilungen.
Es verwahrt die Archive und besorgt die Verwaltungsgeschäfte.
Die Signatarmächte verpflichten sich, dem internationalen Amt im Haag beglaubigte Abschriften aller von ihnen abgeschlossenen Schiedsgerichtsverträge und aller sie betreffenden durch besondere Schiedsgerichte gefällten Schiedssprüche mitzuteilen.
Die Vertragsmächte verpflichten sich ferner, dem Amte alle Gesetze, Reglemente und Aktenstücke zuzustellen, welche die Vollziehung der vom Schiedsgerichtshof gefällten Urteile beurkunden.
Art. 23
Jede Vertragsmacht ernennt binnen drei Monaten nach Ratifizierung der gegenwär­tigen Übereinkunft bis zu vier Personen, welche in den Fragen des internationalen Rechtes wohl bewandert, sich ausserdem des höchsten moralischen Ansehens erfreuen und bereit sind, das Schiedsrichteramt zu übernehmen.
Die so ernannten Personen werden als Mitglieder des Schiedsgerichtshofes in eine Liste eingetragen, welche das internationale Amt allen Vertragsmächten mitzuteilen hat.
Jede Änderung in der Liste der Schiedsrichter wird durch das internationale Amt den Signatarmächten ebenfalls mitgeteilt.
Zwei oder mehrere Mächte können übereinkommen, eines oder mehrere Mitglieder gemeinsam zu ernennen.
Dieselbe Person kann von verschiedenen Mächten ernannt werden.
Die Mitglieder des Gerichtshofes sind für sechs Jahre ernannt und können immer wieder gewählt werden.
Stirbt oder tritt ein Mitglied zurück, so soll die Ersatzwahl in der gleichen Weise erfolgen, wie der zu ersetzende Schiedsrichter ernannt worden war.
Art. 24
Wenn die Vertragsmächte sich zur Schlichtung eines zwischen ihnen entstandenen Streites an den Gerichtshof wenden wollen, sind die Mitglieder des zur Aburteilung dieses Streites zuständigen Gerichtes aus der allgemeinen Liste des Gerichtshofes zu wählen.
Wenn die Parteien sich über die Bildung des Schiedsgerichtes nicht verständigen können, so wird in folgender Weise verfahren:
Jede Partei ernennt zwei Schiedsrichter, welche gemeinsam einen Obmann wählen.
Können die Schiedsrichter sich nicht einigen, so bezeichnen die Parteien im gegen­seitigen Einverständnis eine dritte Macht, welche den Obmann zu wählen hat.
Können die Parteien sich auch hierüber nicht einigen, so bezeichnet jede von ihnen eine Macht, und der Obmann wird gemeinsam von den auf diese Weise bezeichne­ten Mächten ernannt.
Ist das Schiedsgericht gebildet, so teilen die Parteien dem internationalen Amt ihre Absicht, sich an den Gerichtshof zu wenden, und die Namen der Schiedsrichter mit.
Das Schiedsgericht tritt an dem von den Parteien bestimmten Zeitpunkt zusammen.
Die Mitglieder des Gerichtshofes geniessen, solange sie in Tätigkeit sind und sich ausserhalb ihres Heimatlandes befinden, die diplomatischen Privilegien und Immu­nitäten.
Art. 25
Das Schiedsgericht tagt in der Regel im Haag.
Ausser im Notfalle kann das Schiedsgericht seinen Sitz nur mit Einwilligung der Parteien ändern.
Art. 26
Das internationale Amt im Haag ist ermächtigt, seine Räumlichkeiten und seine Einrichtungen den Signatarmächten für die Sitzungen jedes andern besonderen Schiedsgerichtes zur Verfügung zu stellen.
Dem ständigen Gerichtshof können unter den in den Reglementen festgesetzten Bedingungen auch Streitigkeiten zwischen Nichtsignatarmächten, sowie zwischen Signatar- und Nichtsignatarmächten zur Aburteilung unterbreitet werden, wenn die Parteien sich hierüber vertragsmässig geeinigt haben.
Art. 27
Die Signatarmächte halten es für ihre Pflicht, im Falle ein scharfer Konflikt zwi­schen zweien oder mehreren von ihnen auszubrechen droht, die streitenden Staaten daran zu erinnern, dass ihnen der ständige Gerichtshof offen steht.
Infolgedessen erklären die Vertragsmächte, dass es nur als ein Akt guter Dienste betrachtet werden darf, wenn sie die streitenden Parteien an die Bestimmungen der gegenwärtigen Konvention erinnern und ihnen im höheren Interesse des Friedens den Rat geben, sich an den ständigen Gerichtshof zu wenden.
Art. 28
Möglichst bald nach Ratifizierung dieser Konvention durch wenigstens neun Mächte wird im Haag ein ständiger Verwaltungsrat, bestehend aus den in dieser Stadt akkre­ditierten diplomatischen Vertretern der Signatarmächte und dem Minister des Aus­wärtigen der Niederlande als Vorsitzenden, gebildet werden.
Dieser Rat wird mit der Errichtung und Einrichtung des internationalen Amtes beauftragt, welches unter seiner Leitung und Aufsicht stehen soll.
Er wird den Mächten von der Einsetzung des Gerichtshofes Kenntnis geben und für dessen Installierung sorgen.
Er erlässt sein Reglement sowie die sonstigen erforderlichen Reglemente; entschei­det alle Verwaltungsfragen, die sich etwa mit Bezug auf die Tätigkeit des Gerichts­hofes erheben könnten; hat die Befugnis, die Beamten und Angestellten des inter­nationalen Amtes zu ernennen, zu suspendieren, zu entlassen; setzt die Gehälter und Löhne fest und kontrolliert die ganze Geldwirtschaft.
Die Anwesenheit von fünf Mitgliedern genügt zur Fassung gültiger Beschlüsse in geschäftsordnungsmässig berufenen Sitzungen; die Beschlüsse werden mit Stim­menmehrheit gefasst.
Der Verwaltungsrat teilt ohne Verzug den Mächten die von ihm angenommenen Reglemente mit; er erstattet ihnen alljährlich einen Bericht über die Arbeiten des Gerichtshofes, über die gesamte Verwaltung und die Ausgaben.
Art. 29
Die Kosten des internationalen Amtes werden von den Vertragsstaaten in dem Verhältnis getragen, wie es für das internationale Büro des Weltpostvereins festge­setzt ist.

Kapitel III Das Verfahren vor dem Schiedsgericht

Art. 30
Um die Ausdehnung des Schiedswesens zu fördern, haben die Vertragsstaaten folgende Regeln festgesetzt, welche auf das schiedsgerichtliche Verfahren anwend­bar sind, es sei denn, dass die Parteien sich über andere Regeln geeinigt hätten.
Art. 31
Die Staaten, welche übereinkommen, eine Streitigkeit schiedsrichterlich erledigen zu lassen, schliessen eine Spezialvereinbarung (Schiedsvertrag) ab, in welcher der Streitgegenstand und der Umfang der Vollmachten der Schiedsrichter klar angege­ben ist. Diese Vereinbarung schliesst die Verpflichtung der Parteien in sich, sich in guten Treuen dem Schiedsspruche zu unterwerfen.
Art. 32
Die schiedsrichterlichen Funktionen können einem einzelnen oder mehreren Schiedsrichtern übertragen werden, welche die Parteien nach freiem Ermessen ernennen oder aus der Liste der Mitglieder des durch gegenwärtige Konvention eingesetzten ständigen Schiedsgerichtshofes wählen.
Wenn das Schiedsgericht nicht auf Grund einer unmittelbaren Verständigung der Parteien gebildet wird, so wird folgendermassen verfahren:
Jede Partei ernennt zwei Schiedsrichter, und diese wählen gemeinsam einen Obmann.
Können die Schiedsrichter sich hierüber nicht einigen, so wird von den Parteien in gegenseitigem Einverständnis eine dritte Macht bezeichnet, welche den Obmann wählt.
Wird auch hierüber kein Einvernehmen erzielt, so wählt jede Partei eine Macht, und diese beiden Mächte ernennen dann zusammen den Obmann.
Art. 33
Wenn ein Souverän oder Staatsoberhaupt Schiedsrichter ist, so wird das schieds­gerichtliche Verfahren von ihm bestimmt.
Art. 34
Der Obmann ist von Rechtes wegen Vorsitzender des Schiedsgerichts.
Wenn das Schiedsgericht keinen Obmann hat, so wählt es sich selbst einen Vorsit­zenden.
Art. 35
Stirbt ein Schiedsrichter, oder legt er sein Amt nieder, oder ist er aus irgendwelchem Grund verhindert, so wird er nach dem gleichen Modus ersetzt, nach welchem der zu Ersetzende berufen worden war.
Art. 36
Der Sitz des Schiedsgerichtes wird von den Parteien bestimmt. Wenn nicht, so tagt das Gericht im Haag.
Der einmal festgestellte Gerichtssitz kann vom Schiedsgerichte nur im Falle höherer Gewalt geändert werden, es sei denn, dass die Parteien in eine Änderung einwilli­gen.
Art. 37
Die Parteien sind befugt, bei dem Schiedsgerichte Bevollmächtigte oder Spezial­agenten zu ernennen, welche als Vermittler zwischen ihnen und dem Gericht zu dienen haben.
Sie können ferner Rechtsbeistände oder Anwälte zur Vertretung ihrer Rechte und Interessen vor dem Schiedsgericht ernennen.
Art. 38
Die Sprachen, in denen verhandelt wird, bestimmt das Schiedsgericht.
Art. 39
Das schiedsrichterliche Verfahren umfasst in der Regel zwei Abschnitte: die Unter­suchung und die Verhandlung.
Die Untersuchung oder das Vorverfahren besteht darin, dass die Vertreter der Par­teien alle gedruckten oder geschriebenen Aktenstücke und alle Urkunden, die für die Entscheidung bedeutsam sind, den Mitgliedern des Gerichtes und der Gegenpartei mitteilen. Das Gericht bestimmt, gemäss Artikel 49, in welcher Weise und binnen welcher Fristen diese Mitteilung zu erfolgen hat.
Die Verhandlung besteht in der mündlichen Entwicklung der von den Parteien geltend gemachten Gründe vor Gericht.
Art. 40
Jedes von einer Partei vorgelegte Aktenstück muss auch der anderen mitgeteilt werden.
Art. 41
Die Verhandlung wird vom Vorsitzenden geleitet und ist nur dann öffentlich, wenn ein mit Zustimmung der Parteien gefasster Gerichtsbeschluss dies anordnet.
Über die Verhandlungen wird von Sekretären, die der Präsident ernennt, ein Proto­koll geführt. Dieses Protokoll allein hat authentischen Charakter.
Art. 42
Nach Schluss der Untersuchung kann das Schiedsgericht alle neuen Aktenstücke und Urkunden von der Verhandlung ausschliessen, welche eine Partei ohne Zu­stimmung der anderen ihm vorlegen möchte.
Art. 43
Das Schiedsgericht ist befugt, alle neuen Aktenstücke und Urkunden in Betracht zu ziehen, auf welche die Vertreter der Parteien sein Augenmerk lenken.
In diesem Fall ist das Schiedsgericht berechtigt, die Vorlage dieser Aktenstücke und Urkunden zu verlangen. Hiervon hat es der Gegenpartei Kenntnis zu geben.
Art. 44
Das Schiedsgericht kann ausserdem von den Vertretern der Parteien die Vorlage aller Urkunden und die Erteilung aller erforderlichen Auskünfte verlangen. Wird dies abgelehnt, so nimmt das Schiedsgericht hiervon Vormerkung.
Art. 45
Die Vertreter der Parteien sind berechtigt, dem Gericht mündlich alles vorzutragen, was sie zur Unterstützung ihrer Sache für nützlich halten.
Art. 46
Die Parteien haben das Recht, Zwischenfragen aufzuwerfen und Prozesseinreden geltend zu machen. Die Entscheidungen des Schiedsgerichtes über solche Punkte sind endgültig und können keine weiteren Erörterungen veranlassen.
Art. 47
Die Mitglieder des Schiedsgerichtes sind berechtigt, an die Vertreter der Parteien Fragen zu stellen und von ihnen die Aufklärung zweifelhafter Punkte zu verlangen.
Weder die im Laufe der Verhandlungen gestellten Fragen noch die von den Mitglie­dern des Schiedsgerichtes gemachten Bemerkungen dürfen als Ausdruck der Mei­nung des Schiedsgerichts im allgemeinen oder seiner Mitglieder im besondern aufgefasst werden.
Art. 48
Das Schiedsgericht entscheidet über den Umfang seiner Kompetenz durch Aus­legung des Schiedsvertrages und aller sonstigen einschlägigen Staatsverträge sowie durch Anwendung der Grundsätze des Völkerrechts.
Art. 49
Das Schiedsgericht erlässt die prozessleitenden Verfügungen, bestimmt die Formen und die Fristen, binnen welcher die Parteien ihre Schlussanträge einzureichen haben, und trifft alle das Beweisverfahren betreffenden Anordnungen.
Art. 50
Nachdem die Vertreter der Parteien alle Aufklärungen gegeben und alles Beweis­material zur Stütze ihrer Sache beigebracht haben, verfügt der Präsident den Schluss der Verhandlung.
Art. 51
Die Beratungen des Schiedsgerichtes sind geheim.
Die Beschlüsse werden mit Stimmenmehrheit gefasst.
Weigert sich ein Mitglied, seine Stimme abzugeben, so muss hiervon im Protokoll Vormerkung genommen werden.
Art. 52
Der mit Mehrheit gefällte Schiedsspruch soll die Entscheidungsgründe angeben. Der Schiedsspruch ist schriftlich auszufertigen und von sämtlichen Mitgliedern des Schiedsgerichtes zu unterzeichnen.
Die in der Minderheit gebliebenen Mitglieder können bei der Unterschrift ihrer abweichenden Meinung Erwähnung tun.
Art. 53
Der Schiedsspruch wird in öffentlicher Sitzung in Gegenwart oder nach ordnungs­mässiger Vorladung der Parteivertreter verkündigt.
Art. 54
Der ordnungsmässig verkündete und den Vertretern der streitenden Parteien mit­geteilte Schiedsspruch entscheidet den Streit endgültig und ohne Berufung.
Art. 55
Die Parteien können sich im Schiedsvertrag vorbehalten, eventuell die Revision des Schiedsspruches zu verlangen.
Der Antrag muss, anderweitige Vereinbarung vorbehalten, an das Schiedsgericht gestellt werden, das den Spruch gefällt hat. Er kann nur begründet werden mit der Entdeckung einer neuen Tatsache, die bei Schluss der Verhandlung dem Schieds­gericht und dem Antragsteller unbekannt war, und welche derart ist, dass sie auf das Urteil einen entscheidenden Einfluss hätte ausüben müssen.
Das Revisionsverfahren kann nur durch einen Beschluss des Schiedsgerichts eröff­net werden, welcher ausdrücklich feststellt: das Vorhandensein der neuen Tatsache, dass sie den im ersten Absatz bezeichneten Charakter trägt, und dass demgemäss der Revisionsantrag begründet ist.
Der Schiedsvertrag setzt die Frist fest, innert welcher das Revisionsbegehren ein­zureichen ist.
Art. 56
Der Schiedsspruch ist nur für die Parteien bindend, welche den Schiedsvertrag geschlossen haben.
Wenn es gilt, eine Konvention auszulegen, an welcher noch andere Mächte als die Streitparteien beteiligt sind, so teilen letztere jenen Mächten den abgeschlossenen Schiedsvertrag mit. Jeder der Vertragsstaaten hat das Recht, an dem Prozess als Intervenient teilzunehmen. Wenn einer oder mehrere von ihnen von diesem Rechte Gebrauch machen, so wird das Urteil auch für sie bindend.
Art. 57
Jede Partei trägt ihre eigenen Kosten und einen gleichen Teil der Gerichtskosten.

Allgemeine Bestimmungen

Art. 58
Die gegenwärtige Konvention soll sobald als möglich ratifiziert werden.
Die Ratifikationsurkunden sollen im Haag hinterlegt werden.
Über die Hinterlegung der Ratifikationsurkunden ist ein Protokoll aufzunehmen, wovon eine authentische Abschrift allen Mächten, welche an der internationalen Friedenskonferenz im Haag vertreten waren, auf diplomatischem Wege mitgeteilt werden wird.
Art. 59
Die Nichtsignatarmächte, welche an der internationalen Friedenskonferenz vertreten waren, können der gegenwärtigen Konvention beitreten. Zu diesem Zwecke haben sie ihren Beitritt den Vertragsmächten in der Weise zur Kenntnis zu bringen, dass sie eine schriftliche Mitteilung an die Regierung der Niederlande richten, welche sie allen andern Vertragsmächten zugehen lässt.
Art. 60
Die Bedingungen, unter welchen die an der internationalen Friedenskonferenz nicht vertretenen Mächte der gegenwärtigen Konvention beitreten können, werden durch eine weitere Vereinbarung zwischen den Vertragsmächten festgesetzt werden.
Art. 61
Wenn eine der hohen vertragschliessenden Parteien diese Konvention kündigen sollte, so wird diese erst ein Jahr nach der schriftlich an die Regierung der Nieder­lande und durch diese unmittelbar darauf an alle andern Vertragsmächte ergangenen Mitteilung ausser Kraft treten.
Diese Kündigung wird ihre Wirkung nur gegenüber derjenigen Macht äussern, von welcher sie ausgegangen ist.

Unterschriften

Zu Urkund dessen haben die Bevollmächtigten die gegenwärtige Konvention unter­zeichnet und mit ihren Siegeln versehen.
Ausgefertigt am neunundzwanzigsten Juli eintausendachthundertneunundneunzig in Den Haag, und zwar in einem einzigen Exemplar, welches im Archiv der Regierung der Niederlande verwahrt bleiben wird und wovon authentische Abschriften den Vertragsmächten auf diplomatischem Wege zugestellt werden sollen.
(Es folgen die Unterschriften)

Geltungsbereich am 29. Oktober 2015 ⁵

⁵ AS 1971 1805 , 1977 1472 , 1982 2259 , 1985 1370 , 2006 621 , 2009 3143 und 2015 4447 . Eine aktualisierte Fassung des Geltungsbereiches findet sich auf der Internetseite des EDA (www.eda.admin.ch/vertraege).

Vertragsstaaten

Ratifikation

Beitritt (B)

Nachfolge­erklärung (N)

Inkrafttreten

Argentinien

15. Juni

1907 B

15. Juni

1907

Äthiopien

30. Juli

2003 B

30. Juli

2003

Australien

  1. April

1960 B

  1. April

1960

Belarus

  4. Juni

1962 B

  4. Juni

1962

Belgien

  4. September

1900

  4. September

1900

Bolivien

15. Juni

1907 B

15. Juni

1907

Brasilien

15. Juni

1907 B

15. Juni

1907

Bulgarien

  4. September

1900

  4. September

1900

Burkina Faso

30. August

1961 B

30. August

1961

Chile

15. Juni

1907 B

15. Juni

1907

China

21. November

1904

21. November

1904

Dänemark

  4. September

1900

  4. September

1900

Deutschland

  4. September

1900

  4. September

1900

Dominikanische Republik

15. Juni

1907 B

15. Juni

1907

Ecuador

  3. Juli

1907 B

  3. Juli

1907

El Salvador

20. Juni

1907 B

20. Juni

1907

Fidschi

26. Januar

1973 N

10. Oktober

1970

Frankreich

  4. September

1900

  4. September

1900

Griechenland

  4. April

1901

  4. April

1901

Guatemala

15. Juni

1907 B

15. Juni

1907

Haiti

15. Juni

1907 B

15. Juni

1907

Honduras

  1. Dezember

1961 B

  1. Dezember

1961

Indien

29. Juli

1950 B

29. Juli

1950

Irak

31. August

1970 B

31. August

1970

Iran

  4. September

1900

  4. September

1900

Island

  8. Dezember

1955 B

  8. Dezember

1955

Italien

  4. September

1900

  4. September

1900

Japan

  6. Oktober

1900

  6. Oktober

1900

Kambodscha

  4. Januar

1956 B

  4. Januar

1956

Kamerun

  1. August

1961 B

  1. August

1961

Kanada

19. August

1960 B

19. August

1960

Kirgisistan

  4. Juni

1992 N

31. August

1991

Kolumbien

15. Juni

1907 B

15. Juni

1907

Kongo (Kinshasa)

25. März

1961 B

25. März

1961

Kroatien

  7. Oktober

1998 N

  8. Oktober

1991

Kuba

15. Juni

1907 B

15. Juni

1907

Laos

18. Juli

1955 B

18. Juli

1955

Libanon

14. Februar

1968 B

14. Februar

1968

Luxemburg

12. Juli

1901

12. Juli

1901

Mauritius

  3. August

1970 N

12. März

1968

Mazedonien

19. Dezember

2000

17. November

1991

Mexiko

17. April

1901

17. April

1901

Montenegro

  1. März

2007 N

  3. Juni

2006

Neuseeland

10. Februar

1959 B

10. Februar

1959

Nicaragua

15. Juni

1907 B

15. Juni

1907

Niederlande

  4. September

1900

  4. September

1900

    Aruba

  4. September

1900

  4. September

1900

    Curaçao

  4. September

1900

  4. September

1900

    Karibische Gebiete (Bonaire,     Sint Eustatius und Saba)

  4. September

1900

  4. September

1900

    Sint Maarten

  4. September

1900

  4. September

1900

Norwegen

  4. September

1900

  4. September

1900

Österreich

  4. September

1900

  4. September

1900

Pakistan

  5. August

1950 B

  5. August

1950

Panama

15. Juni

1907 B

15. Juni

1907

Paraguay

15. Juni

1907 B

15. Juni

1907

Peru

15. Juni

1907 B

15. Juni

1907

Portugal

  4. September

1900

  4. September

1900

Rumänien*

  4. September

1900

  4. September

1900

Russland

  4. September

1900

  4. September

1900

Schweden

  4. September

1900

  4. September

1900

Schweiz

29. Dezember

1900

29. Dezember

1900

Senegal

  1. August

1977 B

  1. August

1977

Serbien*

  7. September

2001 N

11. April

1992

Simbabwe

19. September

1984 N

18. April

1980

Slowenien

  1. Oktober

1996 N

25. Juni

1991

Spanien

  4. September

1900

  4. September

1900

Sri Lanka

  9. Februar

1955 B

  9. Februar

1955

Thailand

  4. September

1900

  4. September

1900

Türkei*

12. Juni

1907

12. Juni

1907

Ukraine

  4. April

1962

  4. April

1962

Ungarn

  4. September

1900

  4. September

1900

Uruguay

17. Juni

1907 B

17. Juni

1907

Venezuela

15. Juni

1907 B

15. Juni

1907

Vereinigte Staaten*

  4. September

1900

  4. September

1900

Vereinigtes Königreich

  4. September

1900

  4. September

1900

Vietnam

29. Dezember

2011 B

29. Dezember

2011

* Vorbehalte und Erklärungen siehe hiernach.

Vorbehalte und Erklärungen

Rumänien
«Die königliche Regierung von Rumänien, vollkommen einverstanden mit dem Prinzip des fakultativen S chiedswesens, dessen ganze Bedeutung in den internatio­nalen Beziehungen sie wohl schätzt, erklärt indessen, durch Artikel 15⁶ nicht die Verpflichtung einzugehen, in allen dort vorgesehenen Fällen eine Schiedsgerichts­barkeit anzuerkennen, und sie glaubt, diesbezüglich ausdrückliche Vorbehalte anbringen zu müssen.
Sie kann daher diesem Artikel nur unter diesem Vorbehalt zustimmen.»
«Die königliche Regierung von Rumänien erklärt, dem Artikel 16⁷ nur beipflichten zu können unter dem ausdrücklichen, im Protokoll festgehaltenen Vorbehalt, dass sie entschlossen ist, in keinem Fall eine internationale Schiedsgerichtsbarkeit anzu­nehmen in Anständen und Streitigkeiten, die vor dem Abschluss dieser Konvention entstanden sind.»
«Die königliche Regierung von Rumänien erklärt, dass sie durch die Annahme von Artikel 18⁸ der Konvention keinerlei Verpflichtung übernehmen will in Bezug auf die obligatorische Schiedsgerichtsbarkeit.»
Serbien
«Im Namen der königlichen Regierung von Serbien haben wir die Ehre zu erklären, dass unsere Zustimmung zum Grundsatz der guten Dienste und der Vermittlung nicht bedeutet, dass wir den nicht am Streite beteiligten Staaten das Recht zuerken­nen, diese Mittel anders anzuwenden als mit der äussersten Zurückhaltung, die die heikle Natur dieser Schritte erheischt.
Wir werden die guten Dienste und die Vermittlung nur unter der Bedingung gelten lassen, dass ihnen voll und uneingeschränkt der Charakter eines rein freundschaft­lichen Ratschlages gewahrt bleibt, und wir könnten sie nie unter Formen oder Umständen annehmen, die ihnen den Charakter einer Intervention verleihen könn­ten.»
Türkei
«Die ottomanische Delegation, in der Erwägung, dass die Arbeiten der Konferenz ein Werk hoher Loyalität und Humanität gewesen sind, das einzig bestimmt ist, unter Wahrung der Interessen und Rechte des Einzelnen den allgemeinen Frieden zu stärken, erklärt im Namen ihrer Regierung dem Entwurf in seiner Gesamtheit, so wie er eben angenommen wurde, beizupflichten unter folgenden Bedingungen:
1. Es wird in aller Form festgestellt, dass die Anrufung der guten Dienste, der Vermittlung, der Untersuchungskommissionen und des Schiedswesens rein fakultativ ist und nie und in keinem Falle den Charakter von etwas Verbind­lichem annehmen oder in eine Intervention umgestaltet werden kann.
2. Die kaiserliche Regierung wird selbst zu beurteilen haben, in welchen Fällen ihre Interessen ihr gestatten, diese Mittel gelten zu lassen, ohne dass ihr Ver­zicht darauf oder ihre Weigerung, diese Mittel anzurufen, von den Vertrags­staaten als unfreundlicher Akt ausgelegt werden kann.
Es ist selbstverständlich, dass die erwähnten Mittel in gar keinem Fall in Fragen der inneren Ordnung zur Anwendung kommen können.»
Vereinigte Staaten von Amerika
«Nichts von dem, was in dieser Konvention enthalten ist, kann dahin ausgelegt werden, dass die Vereinigten Staaten verpflichtet wären, ihre überlieferte Politik zu verlassen, die darin besteht, dass sie sich jeder Intervention, jeder Anmassung und jeder Einmischung in politische Fragen oder in die innere Politik oder Verwaltung jedes andern Staates enthalten. Es ist ebenso wohlverstanden, dass nichts in der Konvention dahin ausgelegt werden kann, dass sich für die Vereinigten Staaten daraus die Aufgabe ihrer überlieferten Haltung gegenüber den rein amerikanischen Fragen ergeben müsste.»
⁶ Es handelt sich um Art. 15 des Entwurfes. In der endgültigen Fassung (hiervor) ist es Art. 16.
⁷ Es handelt sich um Art. 16 des Entwurfes. In der endgültigen Fassung (hiervor) ist es Art. 17.
⁸ Es handelt sich um Art. 18 des Entwurfes. In der endgültigen Fassung (hiervor) ist es Art. 19.

Schlussprotokoll der internationalen Friedenskonferenz

Unterzeichnet im Haag am 29. Juli 1899
Die internationale Friedenskonferenz, von Seiner Majestät dem Kaiser aller Preus­sen in einem erhabenen Gefühle von Humanität berufen, ist auf Einladung der Regierung Ihrer Majestät der Königin der Niederlande am 18. Mai 1899 im Huis ten Bosch im Haag zusammengetreten.
Die nachgenannten Mächte haben an der Konferenz teilgenommen, für welche sie folgende Delegierte bezeichnet hatten:
(Es folgen die Namen der Delegierten)
In einer Reihe von Sitzungen, abgehalten vom 18. Mai bis zum 29. Juli 1899, in denen die vorhin genannten Delegierten unablässig von dem Wunsche beseelt waren, in möglichst vollkommenem Masse das edelmütige Ziel des hohen Urhebers der Konferenz und die Absichten ihrer Regierungen zu verwirklichen, hat die Kon­ferenz den Text der nachstehend aufgezählten, diesem Akt angefügten Konventio­nen und Erklärungen festgestellt, um sie den Bevollmächtigten zur Unterzeichnung vorzulegen:
I. Konvention für die friedliche Regelung internationaler Streitigkeiten⁹;
II. Konvention betreffend die Gesetze und Gebräuche des Landkrieges¹⁰;
III. Konvention betreffend die Anwendung der Grundsätze der Genfer Konven­tion vom 22. August 1864¹¹ auf den Seekrieg;
IV. drei Erklärungen betreffend: 1. das Verbot, Geschosse oder Explosivstoffe aus Luftballons oder auf ähnli­che andere neue Art zu werfen¹²;
2. das Verbot, Geschosse zu verwenden, deren einziger Zweck ist, ersti­ckende oder giftige Gase zu verbreiten¹³;
3. das Verbot, Geschosse zu verwenden, die sich leicht im menschlichen Körper ausbreiten oder platt drücken¹⁴, wie Kugeln mit hartem Mantel, welcher den Kern nicht ganz umhüllt oder mit Einschnitten versehen ist.
Diese Konventionen und Erklärungen bilden ebenso viele getrennte Akte. Diese Akte tragen das Datum des heutigen Tages und können bis zum 31. Dezember 1899 von den Bevollmächtigten der auf der internationalen Friedenskonferenz im Haag vertretenen Staaten unterzeichnet werden.
Demselben Verlangen gehorchend, hat die Konferenz einstimmig folgende Resolu ­t i on angenommen:
Die Konferenz ist der Ansicht, dass die Beschränkung der gegenwärtig die Welt bedrückenden Militärlasten im hohen Masse wünschenswert ist für die Förderung des materiellen und sittlichen Wohles der Menschheit.
Sie hat ausserdem noch folgende Wünsche zum Ausdruck gebracht:
1. Die Konferenz spricht im Hinblick auf die bereits von der Schweizerischen Bundesregierung für die Revision der Genfer Konvention unternommenen Schritte den Wunsch aus, dass binnen kurzem eine besondere Konferenz einberufen werde, um diese Konvention einer Durchsicht zu unterziehen.
Dieser Wunsch ist einstimmig angenommen worden.
2. Die Konferenz spricht den Wunsch aus, dass die Frage der Rechte und Pflich­ten der Neutralen auf das Programm einer folgenden Konferenz gesetzt werde.
3. Die Konferenz spricht den Wunsch aus, dass die auf die Gewehre und die Marinegeschütze bezüglichen Fragen, die sie zu prüfen hatte, von den Regie­rungen zum Gegenstand des Studiums gemacht werden, um hinsichtlich der Einführung eines neuen Kalibers und neuer Typen zu einem Einverständnis zu gelangen.
4. Die Konferenz spricht den Wunsch aus, dass die Regierungen, die auf der Konferenz gemachten Vorschläge berücksichtigend, die Frage prüfen, ob es nicht möglich sei, über eine Beschränkung der Streitkräfte zu Wasser und zu Land und der Kriegsbudgets ein Einvernehmen zu erzielen.
5. Die Konferenz spricht den Wunsch aus, dass der Vorschlag, welcher bezweckt, das Privateigentum im Seekrieg unverletzlich zu erklären, einer spätern Konferenz zur Prüfung überwiesen werde.
6. Die Konferenz spricht den Wunsch aus, dass der Vorschlag, die Frage der Beschiessung von Häfen, Städten und Dörfern durch eine Kriegsflotte zu regeln, gleichfalls der Prüfung einer späteren Konferenz vorbehalten bleibe.
Die fünf letzten Wünsche sind bei einigen Stimmenthaltungen einstimmiger Annahme begegnet.
Zu Urkund dessen haben die Bevollmächtigten unter Beifügung ihres Siegels diesen Akt unterzeichnet.
Ausgefertigt Im Haag, am neunundzwanzigsten Juli eintausendachthundertneunund­neunzig in einem einzigen Exemplar, das im Ministerium des Auswärtigen hinterlegt wird und von dem beglaubigte Abschriften allen auf der Konferenz vertretenen Regierungen ausgehändigt werden sollen.
(Es folgen die Unterschriften)
⁹ Siehe hiervor.
¹⁰ SR 0.515.111
¹¹ [BS 11 516]
¹² [BS 18 540]
¹³ SR 0.515.102
¹⁴ SR 0.515.103
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