Vereinbarung
zwischen der Regierung der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Regierung der Bundesrepublik Deutschland über die gegenseitige Unterrichtung beim Bau und Betrieb grenznaher kerntechnischer Einrichtungen Abgeschlossen am 10. August 1982 Von der Bundesversammlung genehmigt am 23. Juni 1983¹ In Kraft getreten durch Notenaustausch am 19. September 1983 ¹ AS 1983 1335
Die Regierung der Schweizerischen Eidgenossenschaft und die Regierung der Bundesrepublik Deutschland,
im Hinblick auf ihr gemeinsames Interesse an einer Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Sicherheit kerntechnischer Einrichtungen,
in dem Bestreben, zur Sicherheit kerntechnischer Einrichtungen beizutragen und nachteiligen Auswirkungen auf die Umwelt vorzubeugen,
in der Absicht, dass bei Entscheidungen über den Standort, die Errichtung und den Betrieb kerntechnischer Einrichtungen für das Nachbarland wichtige Belange mitberücksichtigt werden,
sind wie folgt übereingekommen:
Art. 1
Die Vertragsparteien unterrichten sich gegenseitig über grenznahe kerntechnische Einrichtungen und machen sich die dazu geeigneten Unterlagen zugänglich. Dies gilt für Bewilligungen über den Standort, den Bau und den Betrieb und für wesentliche Änderungen solcher Bewilligungen sowie für die Stillegung kerntechnischer Einrichtungen. Kerntechnische Einrichtungen im Sinne dieser Vereinbarung sind Einrichtungen zur Erzeugung von Kernenergie oder zur Gewinnung, Aufbereitung, Lagerung oder Unschädlichmachung von radioaktiven Kernbrennstoffen und Rückständen.
Art. 2
(1) Die Unterrichtung nach Artikel 1 mit den dazu geeigneten Unterlagen betrifft kerntechnische Einrichtungen in einem Bereich von 20 km beiderseits der gemeinsamen Grenze.
(2) Auf begründeten Wunsch kann eine Unterrichtung auch über kerntechnische Einrichtungen ausserhalb des Bereichs von 20 km stattfinden.
Art. 3
(1) Die Unterrichtung nach Artikel 1 erfolgt zu einem Verfahrenszeitpunkt, der es der anderen Vertragspartei ermöglicht, sich rechtzeitig zum Projekt zu äussern.
(2) Erforderliche Unterlagen werden zur Vermeidung von Verzögerungen des landesinternen Bewilligungsverfahrens in gegenseitiger Absprache laufend zur Verfügung gestellt. Auf begründeten und rechtzeitig geäusserten Wunsch einer Vertragspartei können zur Unterrichtung auch Gespräche zwischen den Vertragsparteien geführt werden.
Art. 4
Auf Aufforderung der einen Vertragspartei trägt die andere Vertragspartei dazu bei, die für die Beurteilung einer kerntechnischen Einrichtung notwendigen Angaben insbesondere über Bevölkerungsverteilung sowie über solche Verhältnisse, die für die sicherheitstechnische Beurteilung von Belang sind, zu beschaffen.
Art. 5
Für durch gegenseitige Unterrichtung anfallende Kosten können keine Erstattungsansprüche geltend gemacht werden. Falls die Beschaffung von Unterlagen mit erheblichen Kosten verbunden ist, so hat die ersuchende Vertragspartei diese zu tragen.
Art. 6
(1) Die Vertragsparteien verpflichten sich, die nachfolgend festgelegten Beschränkungen hinsichtlich der Weitergabe und der Veröffentlichung der in Erfüllung dieser Vereinbarung mitgeteilten Unterlagen zu beachten. Hierbei werden drei Kategorien von Unterlagen unterschieden:
a) unbeschränkt verwendbare Unterlagen,
b) vertrauliche Unterlagen,
c) Unterlagen über bauliche und betriebliche Vorkehrungen zum Schutz gegen Störmassnahmen und gegen die Einwirkung unbefugter Personen auf kerntechnische Einrichtungen.
(2) Unterlagen gemäss Absatz 1 Buchstabe b sind auch von der anderen Vertragspartei vertraulich zu behandeln. Unterlagen nach Absatz 1 Buchstabe c werden grundsätzlich nicht ausgetauscht.
(3) Informationen über Geschäftsverhältnisse werden nicht ausgetauscht.
Art. 7
Wenn eine Vertragspartei eine Information nicht bei der anderen Vertragspartei, sondern nur bei Dritten einholen kann, so unterstützt die andere Vertragspartei die Einholung durch Weiterleitung der Anfragen.
Art. 8
(1) Zur Durchführung dieser Vereinbarung sowie zur Behandlung anderer, beide Vertragsparteien interessierender Fragen wird eine
«Schweizerisch‑Deutsche Kommission für die Sicherheit kerntechnischer Einrichtungen»
geschaffen.
(2) Die Kommission gibt sich eine Geschäftsordnung.
(3) Die Vorsitzenden der beiden Delegationen verkehren unmittelbar miteinander.
Art. 9
Die Vereinbarung gilt auch für das Land Berlin, sofern nicht die Regierung der Bundesrepublik Deutschland gegenüber der Regierung der Schweizerischen Eidgenossenschaft innerhalb von drei Monaten nach Inkrafttreten der Vereinbarung eine gegenteilige Erklärung abgibt.
Art. 10
Diese Vereinbarung tritt an dem Tag in Kraft, an welchem die Vertragsparteien einander bekanntgegeben haben, dass die innerstaatlichen Voraussetzungen für das Inkrafttreten erfüllt sind. Sie kann von einer Vertragspartei jederzeit gekündigt werden; die Kündigung wird ein Jahr nach ihrem Eingang bei der anderen Vertragspartei wirksam.
Geschehen zu Bonn, am 10. August 1982 in zwei Urschriften in deutscher Sprache.
Für die Regierung | Für die Regierung |
Ch. Müller | Lautenschlager |
Anhang
Erläuterungen
Zu Artikel 1:
1. Unter «kerntechnischen Einrichtungen» nach dem jetzigen Stand sind insbesondere Kernkraftwerke, Wiederaufarbeitungsanlagen, KernbrennstoffVerarbeitungsanlagen sowie Anlagen zur Beseitigung (Konditionierung, Zwischenlagerung, Endlagerung) radioaktiver Abfälle zu verstehen.
2. Unter «Bewilligung» sind die Bewilligungen nach schweizerischem Atomrecht und Genehmigungen und Planfeststellungen nach deutschem Atomrecht zu verstehen.
Zu Artikel 6, Absätze 1 und 2:
Alle ausgetauschten Dokumente und Auskünfte, die nicht bereits öffentlich aufgelegt wurden, werden als «vertraulich» und deshalb nicht für Drittpersonen zugänglich bezeichnet.
Zu Artikel 6, Absatz 3:
Unter «Geschäftsverhältnissen» sind die wirtschaftlichen und finanziellen Verhältnisse zu verstehen.
Zu Artikel 7:
Die Regelung in Artikel 7 begründet jedoch keine Verpflichtung Dritter zur Erteilung solcher Informationen.
Zu Artikel 8:
1. Unter «gemeinsam interessierender Fragen» im Sinne des Absatzes 1 sind insbesondere zu verstehen: – Sicherheit kerntechnischer Einrichtungen,
– Strahlenschutz,
– Schutz der Bevölkerung in der Umgebung einschliesslich Beweissicherung und Notfallschutz.
2. Die Geschäftsordnung regelt insbesondere die Einberufung und die Frequenz der Kommissionssitzungen, die Zusammensetzung der Kommissionsdelegationen, die Zuziehung von Experten, den Einsatz von Arbeitsgruppen sowie die Einsetzung je einer Verbindungsstelle.
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