Verordnung über das Kantonale Einigungsamt
Verordnung über das Kantonale Einigungsamt Vom 26. April 1989 (Stand 1. Januar 1990) Der Kantonsrat von Solothurn gestützt auf Artikel 71 Absatz 2 der Kantonsverfassung vom 8. Juni 1986, § 331 des Gesetzes über die Einführung des Schweizerischen Zivilgesetzbu - ches
1 ) sowie Artikel 30, 31 und 33-35 des Bundesgesetzes betreffend die Ar - beit in den Fabriken
2 ) vom 18. Juni 1914 nach Kenntnisnahme von Botschaft und Entwurf des Regierungsrates vom
3. Januar 1989
beschliesst:
1. Aufgabe und Organisation
§ 1 Aufgabe
1 Das Einigungsamt vermittelt zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern in Kollektivstreitigkeiten über a) das Arbeitsverhältnis; b) den Abschluss und die Auslegung von Gesamtarbeits- oder Normal - arbeitsverträgen, sofern diese kein Schiedsgericht vorsehen. Vorbe - halten bleiben freiwillige Einigungsstellen nach Artikel 33 des Bun - desgesetzes betreffend die Arbeit in den Fabriken.
2 Das Einigungsamt wird auf Antrag einer Partei oder auf Anzeige des Re - gierungsrates von Amtes wegen tätig.
3 Die Vermittlung von Amtes wegen kann erfolgen, wenn die Schlichtung oder Vermittlung einer Kollektivstreitsache von öffentlichem Interesse ist und wenn die Arbeitnehmer keiner Arbeitnehmerorganisation angehören.
4 Die Parteien können das Einigungsamt ermächtigen, als Schiedsgericht rechtsverbindlich zu entscheiden.
§ 2 Begriff der Kollektivstreitigkeit
1 Als Kollektivstreitigkeiten gelten Auseinandersetzungen zwischen Arbeit - gebern und Arbeitnehmern oder ihren Verbänden in Industrie, Gewerbe und Dienstleistungen über die Gestaltung von Arbeitsbedingungen, sofern mehrere Arbeitnehmer vom gleichen Streitgegenstand betroffen sind.
2 Nicht als Kollektivstreitigkeiten im Sinne dieser Verordnung gelten Aus - einandersetzungen zwischen Arbeitnehmern und Gemeinden, dem Kan - ton, kantonalen öffentlich-rechtlichen Anstalten und öffentlichen Spitä - lern.
1) BGS 211.1 .
2) SR 821.41 . GS 91, 316
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§ 3 Örtliche Zuständigkeit
1 Das Kantonale Einigungsamt ist zuständig, wenn ein Arbeitgeber dau - ernd Arbeitnehmer im Kanton beschäftigt oder ihren wechselnden Einsatz ausserhalb des Kantons vom Kanton aus leitet.
2 Kollektivstreitigkeiten, die über die Grenzen des Kantons hinausreichen, werden nach den Vorschriften des Bundesrechts behandelt.
§ 4 Organisation
1 Der Regierungsrat wählt a) einen ständigen Präsidenten und Vizepräsidenten; b) vier Mitglieder und vier Ersatzmitglieder; c) den Aktuar und dessen Stellvertreter.
2 Je zwei Mitglieder und Ersatzmitglieder sind aus Kreisen der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer zu wählen.
3 Das Einigungsamt besteht in der ordentlichen Zusammensetzung aus dem Präsidenten und den vier Mitgliedern.
4 Kann ein Mitglied nicht amten, bezeichnet der Präsident ein Ersatzmit - glied; die paritätische Zusammensetzung muss gewahrt bleiben. Können weder der Präsident noch der Vizepräsident amten, bezeichnet der Regie - rungsrat einen ausserordentlichen Präsidenten.
2. Verfahren
§ 5 Verfahrensstufen
1 Das Einigungsverfahren besteht aus a) dem Schlichtungsverfahren vor dem Präsidenten des Einigungsam - tes; b) dem Vermittlungsverfahren vor dem Einigungsamt, dieses wird durchgeführt, wenn im Schlichtungsverfahren keine Einigung erzielt wird; c) dem Schiedsverfahren; dieses tritt an die Stelle des Vermittlungsver - fahrens, wenn die Parteien das Einigungsamt als Schiedsgericht an - erkennen.
§ 6 Friedenspflicht
1 Die Parteien sind verpflichtet, während des Einigungsverfahrens den Ar - beitsfrieden zu wahren.
2 Die Friedenspflicht beginnt mit der Mitteilung an die Parteien, dass ein Einigungsverfahren eröffnet ist. Sie endet mit Ablauf der Frist, die für die Annahme eines Vermittlungsvorschlages gesetzt wurde oder mit Beendi - gung des Einigungsverfahrens.
§ 7 Mitwirkungspflicht
1 Die Parteien sind verpflichtet, am Einigungsverfahren mitzuwirken und zu den Verhandlungen zu erscheinen, Auskunft zu erteilen und die vom Ei - nigungsamt verlangten Unterlagen vorzulegen.
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§ 8 Allgemeine Verfahrensbestimmungen
1 Das Einigungsamt nimmt die für die Abklärung des Sachverhaltes nötigen Erhebungen selbständig vor und wendet das Recht von Amtes wegen an.
2 Die Verhandlungen vor dem Einigungsamt sind öffentlich. Zum Schutz berechtigter Interessen kann der Präsident die Öffentlichkeit ganz oder teilweise ausschliessen und die Akteneinsichtsrechte der Parteien beschrän - ken.
3 Das Schlichtungs- und Vermittlungsverfahren ist kostenlos. Die Kosten des Schiedsverfahrens können den Parteien auferlegt werden.
§ 9 Einleitung des Einigungsverfahrens
1 Wer das Einigungsamt anrufen will, hat dem Präsidenten ein schriftliches Gesuch einzureichen.
2 Das Gesuch soll die Parteien, den Streitgegenstand, die Anträge und de - ren Begründung umschreiben. Beweismittel sind nach Möglichkeit beizule - gen oder zu bezeichnen.
3 Das Gesuch wird der Gegenpartei unverzüglich mitgeteilt. In schwierigen Fällen kann sie zu einer schriftlichen Stellungnahme aufgefordert werden.
§ 10 Eintretensentscheid
1 Wird die Zuständigkeit des Einigungsamtes bestritten, verfügt der Präsi - dent über das Eintreten auf die Streitsache.
2 Gegen den Eintretensentscheid kann Verwaltungsgerichtsbeschwerde ge - führt werden.
§ 11 Schlichtungsverfahren
1 Im Schlichtungsverfahren versucht der Präsident, die Parteien in einer formlosen Besprechung zu einer gütlichen Einigung zu führen. Es können mehrere Besprechungen durchgeführt werden.
§ 12 Vermittlungsverfahren
1 Erzielen die Parteien im Schlichtungsverfahren keine gütliche Einigung, eröffnet der Präsident das Vermittlungsverfahren. Er veranlasst die Partei - en zur Erklärung, ob sie das Einigungsamt als Schiedsgericht anerkennen.
2 Es kann ein weiterer Schriftenwechsel angeordnet werden. In jedem Fall findet eine Verhandlung statt.
3 Der Präsident leitet das Vermittlungsverfahren. Er trifft alle verfahrenslei - tenden Anordnungen und bestimmt die Beweismassnahmen.
§ 13 Verhandlung
1 In der Verhandlung erhält jede Partei das Recht zum Parteivortrag.
2 Sind für die Formulierung des Vermittlungsvorschlages oder des Schieds - urteiles weitere Abklärungen nötig, ordnet das Einigungsamt weitere Be - weismassnahmen an.
3 Im Anschluss an die Parteivorträge und allfällige Beweismassnahmen for - muliert das Einigungsamt in geheimer Beratung einen Vermittlungsvor - schlag oder das Schiedsurteil.
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§ 14 Vermittlungsvorschlag
1 Der Vermittlungsvorschlag wird den Parteien mündlich oder schriftlich er - öffnet; die Parteien können die schriftliche Eröffnung verlangen. Mit der Eröffnung wird eine Frist zur Annahme des Vorschlages angesetzt.
2 Der Vermittlungsvorschlag gilt als angenommen, wenn er nicht innert der gesetzten Frist schriftlich abgelehnt wird.
3 Der angenommene Vermittlungsvorschlag steht einem vollstreckbaren Gerichtsurteil gleich.
4 Das Ergebnis des Vermittlungsverfahrens kann in geeigneter Weise veröf - fentlicht werden; das Einigungsamt kann dazu eine Stellungnahme abge - ben.
§ 15 Schiedsverfahren
1 Haben die Parteien das Einigungsamt als Schiedsgericht anerkannt (§ 12 Abs. 1), tritt das Schiedsurteil an die Stelle des Vermittlungsvorschla - ges.
2 Das Schiedsurteil wird den Parteien mündlich oder schriftlich, in jedem Falle mit Begründung, eröffnet; die Parteien können die schriftliche Eröff - nung verlangen.
3 Gegen das Schiedsurteil können die Rechtsmittel nach den Bestimmungen über die Schiedsgerichtsbarkeit ergriffen werden.
3. Strafbestimmungen
§ 16 Ordnungsbussen
1 Parteien, welche die Friedenspflicht (§ 6) oder die Mitwirkungspflicht (§ 7) verletzen oder welche die Verhandlungen trotz Mahnung trölerisch führen, können vom Präsidenten mit Ordnungsbussen von 200 bis 2000 Franken, im Wiederholungsfalle bis 5000 Franken, bestraft werden.
2 Die Bussenverfügung kann in geeigneter Weise veröffentlicht werden.
3 Gegen die Bussenverfügung kann Verwaltungsgerichtsbeschwerde ge - führt werden.
4. Schluss- und Übergangsbestimmungen
§ 17 Ergänzendes Recht
1 Soweit diese Verordnung keine Regelung enthält, gilt das Gesetz über den Rechtsschutz in Verwaltungssachen.
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2 Die Ausstandsbestimmungen des Gesetzes über die Gerichtsorganisation
2 ) gelten sinngemäss.
1) BGS 124.11 .
2) BGS 125.12 .
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§ 18 Aufhebung bisherigen Rechts
1 Die Verordnung vom 18. März 1918 über das Kantonale Einigungsamt
1 ) und der Regierungsratsbeschluss vom 3. Januar 1919 betreffend die for - melle Vorfrage der Zuständigkeit des Kantonalen Einigungsamtes
2 ) sind aufgehoben.
§ 19 Übergangsbestimmungen
1 Die für die Amtsdauer 1985-1989 gewählten Mitglieder des Einigungsam - tes bleiben bis zum Inkrafttreten dieser Verordnung im Amt.
2 Beim Inkrafttreten dieser Verordnung hängige Verfahren werden nach neuem Recht durchgeführt.
§ 20 Inkrafttreten
1 Diese Verordnung untersteht dem fakultativen Referendum und bedarf der Genehmigung durch den Bundesrat.
2 Der Regierungsrat regelt das Inkrafttreten. Die Referendumsfrist ist am 16. August 1989 unbenutzt abgelaufen. Vom Bundesrat am 19. Februar 1990 genehmigt. Inkrafttreten am 1. Januar 1990.
1) GS 66, 1005.
2) GS 67, 3.
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