Bundesratsbeschluss über den Normalarbeitsvertrag für das Pflegepersonal (221.215.328.4)
CH - Schweizer Bundesrecht

Bundesratsbeschluss über den Normalarbeitsvertrag für das Pflegepersonal

vom 23. Dezember 1971 (Stand am 1. Januar 1972)
Der Schweizerische Bundesrat,
gestützt auf Artikel 359 a des Obligationenrechts¹,
beschliesst:
¹ SR 220
Art. 1 Geltungsbereich
¹ Dieser Normalarbeitsvertrag gilt in der ganzen Schweiz.
² Der Normalarbeitsvertrag regelt das Arbeitsverhältnis des Pflegepersonals (im fol­genden Arbeitnehmer genannt) in Anstalten, Krankenhäusern und Heimen, die der Pflege von Kranken, einschliesslich Gemüts- und Nervenkranken, von Wöch­nerin­nen und Kindern sowie Betagten und Chronischkranken dienen (in folgenden Arbeitgeber genannt). Zum Pflegepersonal gehören die diplomierten Kranken­schwe­stern und Krankenpfleger, die diplomierten Schwestern für Wo­chenpflege, Säug­lings- und Kinderkrankenpflege, die diplomierten Psychiatrie­schwestern und Psy­chi­a­triepfleger, die Hebammen, die Krankenpflegerinnen und Krankenpfleger mit Fähig­keits­ausweis des Schweizerischen Roten Kreuzes so­wie andere Arbeit­nehmer, soweit sie im Pflegedienst tätig sind.
Art. 2 Ausnahmen bei kurzfristigen Arbeitsverhältnissen und bei Teilzeitar­beit
Auf Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis auf weniger als sechs Monate verein­bart worden ist oder deren Arbeitszeit weniger als die Hälfte der Normalarbeits­zeit der betreffenden Anstalt berträgt, finden die Artikel 4 und 5 dieses Normal­ar­beitsver­trages keine Anwendung.
Art. 3 Vorbehalt günstigerer Abreden
Abreden, die dem Arbeitnehmer günstigere Ansprüche sichern, gehen diesem Nor­malarbeitsvertrag vor.
Art. 4 Probezeit
Die ersten zwei Monate des Arbeitsverhältnisses gelten als Probezeit.
Art. 5 Kündigung
¹ Das Arbeitsverhältnis kann von beiden Parteien wie folgt gekündigt werden:
a. während der Probezeit auf das Ende der der Kündigung folgenden zwei­ten Woche,
b. nach Ablauf der Probezeit auf das Ende des der Kündigung folgenden zwei­ten Monats.
² Die Kündigung hat schriftlich zu erfolgen.
³ Zwingende Vorschriften des Obligationenrechts² über die Kündigung zur Un­zeit (Art. 336 e und 336 f OR) bleiben vorbehalten.
² SR 220 . Heute: Art. 336 c und 336 d .
Art. 6 Rechte des Arbeitnehmers
¹ Der Arbeitnehmer ist seiner Ausbildung und seinen Fähigkeiten gemäss einzu­set­zen.
² Der Arbeitgeber fördert und unterstützt die innerbetriebliche Schulung und die fachliche Weiterbildung des Arbeitnehmers.
³ Dem Arbeitnehmer sind sanitäre Anlagen zur Verfügung zu stellen, die nicht von den Kranken benützt werden.
Art. 7 Geheimhaltungs- und Sorgfaltspflicht
¹ Der Arbeitnehmer darf geheim zu haltende Tatsachen, namentlich solche über Krankheiten, Verhaltensweisen und persönliche Verhältnisse der Kranken, Pfle­ge­befohlenen und ihrer Angehörigen, nicht verwerten oder andern mitteilen. Er ist auch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses zur Verschwiegenheit ver­pflichtet. Die Verletzung des Berufsgeheimnisses ist gemäss Artikel 321 des Strafgesetz­buches³ strafbar.
² Der Arbeitnehmer hat die ihm zugewiesenen Aufgaben nach bestem Wissen und Gewissen auszuführen und die Anordnungen der zuständigen Ärzte und Vorge­setz­ten zu befolgen.
³ Der Arbeitnehmer hat das ihm zur Verfügung gestellte Material mit Sorgfalt zu behandeln. Fügt er dem Arbeitgeber absichtlich oder grobfahrlässig Schaden zu, so kann er zu Schadenersatz herangezogen werden.
³ SR 311.0
Art. 8 Ärztliche Untersuchung
¹ Der Arbeitnehmer hat sich beim Stellenantritt ärztlich untersuchen zu lassen, so­fern er kein ärztliches Zeugnis vorweisen kann, das weniger als sechs Monate alt ist. In die Untersuchung sind Röntgenuntersuchung, Urin- und Blutanalyse sowie Tbc-Test einzubeziehen. Die Kosten der Untersuchung gehen zu Lasten des Ar­beit­gebers, sofern der Arbeitnehmer sich nicht auf eigenen Wunsch durch einen selbstge­wählten Arzt untersuchen lässt.
² Der Gesundheitszustand des Arbeitnehmers ist mindestens einmal jährlich zu kontrollieren. Vorbehalten bleibt die zusätzliche physikalische und medizinische Überwachung der strahlenexponierten Arbeitnehmer gemäss der Gesetzgebung über den Strahlenschutz.
³ Eine ärztliche Untersuchung gemäss den Absätzen 1 und 2 hat ferner beim Dienst­austritt zu erfolgen, wobei der Befund dem Arbeitnehmer auf sein Verlan­gen schriftlich mitzuteilen ist.
Art. 9 Arbeitszeit
Hat der Arbeitgeber die Arbeitszeit weder im Einzelarbeitsvertrag noch sonstwo näher geregelt, so gilt als Normalarbeitszeit diejenige der nächstliegenden öf­fent­lichen Krankenanstalt. Vorbehalten bleiben die Artikel 1–6 der Verordnung II vom 14. Ja­nuar 1966⁴ zum Arbeitsgesetz.
⁴ SR 822.112
Art. 10 Nacht- und Bereitschaftsdienst
¹ Der Arbeitnehmer darf während längstens sechs aufeinanderfolgenden Wochen zum Nachtdienst herangezogen werden. Zwischen den einzelnen Nachtdienst­­perioden ist er mindestens während der doppelten Zeit vom Nachtdienst zu befrei­en. Von dieser Bestimmung sind Dauernachtwachen ausgenommen.
² Die für den Bereitschaftsdienst in der Anstalt aufgewendete Zeit gilt als Ar­beits­zeit.
³ Die Zeit des Bereitschaftsdienstes, bei dem der Arbeitnehmer ausserhalb des Arbeitsplatzes und der normalen Arbeitszeit auf Abruf zur Verfügung des Ar­beit­gebers steht, ist durch angemessene, den Verhältnissen Rechnung tragende Freizeit auszugleichen oder angemessen in Geld zu vergüten. Sie gilt als Ar­beitszeit, so­weit der Arbeitnehmer tatsächlich zur Arbeit herangezogen wird.
Art. 11 Ferien
¹ Der Arbeitnehmer hat Anspruch auf wenigstens vier Wochen bezahlte Ferien im Jahr. Der Anspruch erhöht sich auf fünf Wochen, sofern die Arbeitnehmer der nächstliegenden öffentlichen Krankenanstalt fünf Wochen Ferien beanspru­chen können.
² Für ein angebrochenes Jahr beim Ein- und Austritt wird der Ferienanspruch im Verhältnis zur Dauer des Arbeitsverhältnisses im betreffenden Jahr berechnet.
³ Bei Abwesenheit von mehr als drei Monaten während eines Dienstjahres kann der Arbeitgeber die Ferien für jeden weiteren vollen Monat Abwesenheit um ei­nen Zwölftel kürzen. Jedoch dürfen die Ferien insgesamt nicht mehr als um die Hälfte des Gesamtanspruches gekürzt werden.
⁴ Feiertage und Abwesenheiten, für welche der Arbeitgeber nach Artikel 15 zur Lohnzahlung verpflichtet ist, dürfen nicht mit den Ferien verrechnet werden.
⁵ Der Arbeitgeber bestimmt den Zeitpunkt der Ferien und nimmt dabei auf die Wün­sche des Arbeitnehmers soweit Rücksicht, als dies mit den Interessen der An­stalt vereinbar ist.
Art. 12 Urlaub
Der Arbeitnehmer hat bei folgenden Ereignissen Anrecht auf Urlaub bis zu je drei Tagen, ohne dass ihm deswegen der Lohn gekürzt wird oder diese Tage an die Ferien oder Ruhetage angerechnet werden:
a. eigene Heirat,
b. Niederkunft der Ehegattin des Arbeitnehmers,
c. Tod des Ehegatten, von Blutsverwandten in auf- und absteigender Linie, von Stief- und Adoptivkindern,
d. eigener Wohnungswechsel,
e. militärische Waffen- und Ausrüstungsinspektionen
Art. 13 Bruttolohn
¹ Der Bruttolohn soll dem Aufgabenbereich, dem Ausbildungsstand und den Fä­hig­keiten des Arbeitnehmers entsprechen. Er wird jährlich wenigstens einmal neu überprüft und den Leistungen und Dienstjahren des Arbeitnehmers sowie ei­ner all­fälligen Teuerung angepasst. Soweit die Kantone für das Pflegepersonal öf­fentli­cher Anstalten Besoldungsvorschriften aufgestellt haben, gelten die dort aufgestell­ten Ansätze sinngemäss. Hat ein Kanton keine Besoldungsvorschriften für das Pflege­personal, so richten sich die Ansätze nach jenen der Nachbarkan­to­ne.
² Der Lohn ist monatlich auszuzahlen.
Art. 14 Naturalleistungen
¹ Für erbrachte Naturalleistungen darf der Arbeitgeber den Lohn entsprechend kür­zen, sofern die Naturalleistungen im Bruttolohn inbegriffen sind oder hiefür be­son­dere Entschädigungen ausgerichtet werden. Vom Lohn darf nicht mehr ab­ge­zogen werden als für die entsprechenden Naturalleistungen in kantonalen öf­fent­lichen Anstalten der betreffenden Region.
² Solange für das Zimmer ein Abzug vom Lohn erfolgt, kann der Arbeitgeber nur mit dem Einverständnis des Arbeitnehmers frei über das Zimmer verfügen.
³ Der Arbeitgeber besorgt auf eigene Kosten die Reinigung der Berufskleider des Arbeitnehmers.
Art. 15 Lohn bei Arbeitsverhinderung
Der Arbeitnehmer, der an der Arbeitsleistung durch Krankheit, Unfall ohne sein Verschulden, Schwangerschaft, Wochenbett, obligatorischen schweizerischen Mili­tär- oder Zivilschutzdienst sowie Frauenhilfs- oder Rotkreuzdienst verhin­dert ist, hat innerhalb von zwölf Monaten Anspruch auf den vollen Lohn wäh­rend:
a. vierzehn Tagen im ersten Dienstmonat,
b. eines Monats vom Anfang des zweiten bis Ende des sechsten Dienstmo­nats,
c. zwei Monaten vom Anfang des siebten bis Ende des zwölften Dienst­mo­nats,
d. drei Monaten im zweiten Dienstjahr,
e. vier Monaten im dritten Dienstjahr,
f. fünf Monaten im vierten Dienstjahr,
g. sechs Monaten vom Anfang des fünften Dienstjahres an.
Art. 16 Spitalbehandlung des Arbeitnehmers
Bei Spitalbehandlung in der eigenen Anstalt hat der Arbeitnehmer Anspruch auf Pflege in einem Einer- oder Zweierzimmer zum Tarif der allgemeinen Abtei­lung.
Art. 17 Krankenversicherung
¹ Der Arbeitnehmer ist verpflichtet, sich gegen Krankheit zu versichern. Die Ver­si­cherung hat mindestens die Deckung der Heilungskosten zu umfassen.
² Die Hälfte der Prämien für die Heilungskostenversicherung wird vom Arbeit­ge­ber getragen.
Art. 18 Unfallversicherung
¹ Der Arbeitgeber hat den Arbeitnehmer gegen die Folgen von Betriebsunfällen, mit Einschluss von Infektionen, soweit diese Folge der beruflichen Tätigkeit sind, und von Nichtbetriebsunfällen zu versichern, und zwar:
a. für ein Taggeld von 80 Prozent des Lohnes für die Dauer eines Jahres, aus­zu­richten nach Erfüllung der Lohnzahlungspflicht gemäss Artikel 15,
b. für die Heilungskosten für die Dauer von wenigstens zwei Jahren,
c. für eine Geldleistung bei Unfalltod im Ausmass von mindestens dem 1000fa­chen Tagesverdienst bei Verheirateten und Unterhaltspflichtigen und dem 500fachen Tagesverdienst bei Ledigen ohne Unterhaltspflichten,
d. für eine Geldleistung bei gänzlicher Invalidität im Ausmass von minde­stens dem 2000fachen Tagesverdienst.
² Die Beiträge für die Versicherung gegen Betriebsunfall sind vom Arbeitgeber, diejenigen für die Nichtbetriebsunfallversicherung vom Arbeitnehmer zu leisten.
Art. 19 Alters- und Invalidenversicherung
¹ Der Arbeitgeber ist verpflichtet, für den Arbeitnehmer, unabhängig von den öffentlichen obligatorischen Versicherungen, eine zusätzliche Alters- und Invali­den­versicherung abzuschliessen. Als Beitrag an diese Versicherung haben Ar­beitge­ber und Arbeitnehmer mindestens je 6 Prozent des für die eidgenössische AHV mass­gebenden Lohnes zu leisten.
² Der Arbeitgeber hat für die Durchführung der zusätzlichen Alters- und Invali­den­versicherung zu sorgen. Er ist berechtigt, den Beitrag des Arbeitnehmers vom Lohn abzuziehen und, zusammen mit seinem eigenen Beitrag, an den Ver­siche­rungsträger zu überweisen. Ist der Arbeitnehmer im Umfange von Absatz 1 bereits versichert, so hat ihm der Arbeitgeber zur Abgeltung seiner Versiche­rungspflicht vom Zeit­punkt des Stellenantrittes an eine Vergütung auszuzahlen, die dem Versi­cherungs­beitrag entspricht, den er gemäss Absatz 1 zu leisten hätte.
³ Die zusätzliche Alters- und Invalidenversicherung kann durch eine vom Ar­beit­­geber oder einen Dritten errichtete Kasse, durch Einzel- oder Gruppenversi­che­rung verwirklicht werden. Ist eine Versicherung aus Gesundheitsgründen oder we­gen des fortgeschrittenen Alters des Arbeitnehmers nicht möglich, so kann sie durch ein Sparsystem ersetzt werden.
Art. 20 Geltung des Obligationenrechts, Vorbehalt des öffentlichen Rechts
¹ Soweit das Arbeitsverhältnis nicht durch diesen Normalarbeitsvertrag geregelt wird, gelten die Bestimmungen des Obligationenrechts⁵.
² Vorbehalten bleiben die Vorschriften des öffentlichen Rechts.
⁵ SR 220
Art. 21 Inkrafttreten
¹ Der Normalarbeitsvertrag tritt am 1. Januar 1972 in Kraft.
² Auf den gleichen Zeitpunkt wird der Bundesratsbeschluss vom 7. Mai 1963⁶ über den Normalarbeitsvertrag für das diplomierte Pflegepersonal aufgehoben.
⁶ [ AS 1963 391 ]
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