Abkommen zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der libanesischen ... (0.211.230.489)
CH - Schweizer Bundesrecht

Abkommen zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der libanesischen Republik über die Zusammenarbeit in bestimmten Familienangelegenheiten

Abgeschlossen am 31. Oktober 2005 In Kraft getreten durch Notenaustausch am 1. März 2006 (Stand am 21. Februar 2006) ¹ Der französische Originaltext findet sich unter der gleichen Nummer in der entsprechenden Ausgabe dieser Sammlung.
Die Schweizerische Eidgenossenschaft und die libanesische Republik,
nachfolgend «die Vertragsparteien»,
zur Bekräftigung ihrer gegenseitigen Beziehungen,
eingedenk des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte des Kindes, abgeschlossen in New York am 20. November 1989², und insbesondere von Artikel 11, gemäss dem die Vertragsstaaten, einschliesslich der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der libanesischen Republik,, Massnahmen treffen, um das rechtswidrige Verbringen von Kindern ins Ausland und ihre rechtswidrige Nichtrückgabe zu bekämpfen, und zu diesem Zweck den Abschluss zwei- oder mehrseitiger Übereinkünfte fördern,
eingedenk des Wiener Übereinkommens über konsularische Beziehungen, abgeschlossen am 24. April 1963³, dem die Schweizerische Eidgenossenschaft und die libanesische Republik beigetreten sind, und insbesondere von Artikel 5 Buchstabe e) und h), gemäss dem die konsularischen Aufgaben unter anderem darin bestehen, den Angehörigen des Entsendestaats Hilfe zu leisten und im Rahmen der Gesetze und sonstigen Rechtsvorschriften des Empfangsstaats die Interessen der Kinder zu wahren, die Angehörige des Entsendestaats sind,
in der Erkenntnis, dass Familienangelegenheiten, einschliesslich von Fragen im Zusammenhang mit dem Sorgerecht für Kinder und dem Besuchsrecht, oft zu menschlichen Tragödien führen und dass es eine besondere Herausforderung darstellen kann, auf zweiseitigem Weg rasch eine gerechte und menschliche Lösung zu finden,
vom Wunsch geleitet, die Zusammenarbeit zwischen den beiden Staaten im Hinblick auf die Regelung dieser Fragen zu fördern und zu unterstützen,
sind wie folgt übereingekommen:
² SR 0.107 ³ SR 0.191.02

I.  Geltungsbereich

Art. 1
Dieses Abkommen ist auf Familienangelegenheiten anwendbar, die von einer der beiden Vertragsparteien eingebracht werden, selbst wenn der Sachverhalt, auf dem sie beruhen, vor dem Inkrafttreten des Abkommens eingetreten ist.

II.  Gemischte Kommission

Art. 2 Einsetzung einer gemischten Kommission
1.  Mit dem Inkrafttreten dieses Abkommens wird eine gemischte Kommission eingesetzt, der Vertreter des Departements für Auswärtige Angelegenheiten und des Justiz- und Polizeidepartements der Schweizerischen Eidgenossenschaft sowie Vertreter des Aussen-, des Justiz- und des Innenministeriums der libanesischen Republik angehören.
2.  Entsprechend den Angelegenheiten, die der Kommission vorgelegt werden, kann jede Vertragspartei ihrer Vertretung weitere Experten zur Seite stellen.
3.  Jede Vertragspartei bestimmt einen Koordinator, um regelmässige Kontakte mit der anderen Partei sicherzustellen.
Art. 3 Auftrag und Grundsätze
1.  Die Kommission wirkt als beratendes und für die Zusammenarbeit zuständiges Organ für die Behörden, die mit Angelegenheiten befasst sind, die sich auf die Rechte des Kindes oder das Sorge- oder Besuchsrecht beziehen, unter der Voraussetzung, dass die Kinder Staatsangehörige einer der Vertragsparteien sind oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt auf dem Hoheitsgebiet einer der Vertragsparteien haben. Die Kommission strebt in ihrer Zusammenarbeit die Herbeiführung einer gütlichen Regelung an.
2.  Bei ihrer Tätigkeit stützt sich die Kommission auf:
a) die allgemeinen völkerrechtlichen Grundsätze, den Grundsatz der Billigkeit und das Recht jedes Kindes, mit beiden Elternteilen gegenseitige Zuneigung zu erfahren und zu teilen;
b) das Recht des Kindes, das von einem oder beiden Elternteilen getrennt lebt, auf regelmässigen persönlichen Verkehr und unmittelbare Kontakte zu beiden Elterteilen, soweit dies nicht in Ausnahmefällen seinem Wohl widerspricht;
c) die Wahrung des Besuchsrechts des nicht sorgeberechtigten Elternteils.
Art. 4 Aufgaben
1.  Jede der Vertragsparteien kann der Kommission auf diplomatischem Weg Einzelfälle unterbreiten, die die Rechte des Kindes, die Sorge für das Kind und das Besuchsrecht betreffen.
2.  Die Kommission muss entsprechend den Rechtsvorschriften der Vertragsstaaten:
a) alle geeigneten Massnahmen treffen, um eine gütliche Regelung zwischen den Eltern herbeizuführen, indem insbesondere die unverzügliche Rückkehr des Kindes in das Land, in dem es vor dem Verbringen oder Zurückhalten seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, oder die grenzüberschreitende Ausübung des Besuchsrechts des nicht sorgeberechtigten Elternteils angestrebt wird;
b) den Verlauf der eingeleiteten Verfahren verfolgen und nach Möglichkeit unterstützen und die Eltern über den Aufenthaltsort und über den körper­lichen und seelischen Gesundheitszustand des Kindes sowie über den Verlauf der eingeleiteten Verfahren informieren;
c) die tatsächliche Ausübung des Rechts des Kindes erleichtern, regelmässig Verkehr und unmittelbare Kontakte zu beiden Elternteilen zu pflegen, sofern dies nicht mit der schwer wiegenden Gefahr eines körperlichen oder see­lischen Schadens für das Kind verbunden ist oder das Kind dadurch auf andere Weise in eine unzumutbare Lage gebracht wird;
d) bei Bedarf Anträge auf Erteilung eines Visums oder einer Ausreisegenehmigung für das Kind oder den nicht sorgeberechtigten Elternteil unterstützen;
e) die Informationen und Dokumente im Zusammenhang mit den Fällen entgegennehmen und austauschen und die Weiterleitung dieser Informationen und Dokumente an die zuständigen Behörden der Vertragsparteien erleichtern.
3.  Gegebenenfalls kann die Kommission Empfehlungen an die zuständigen Behörden abgeben, um die Umsetzung einer privaten Vereinbarung zwischen den Personen zu erleichtern, die an einem Einzelfall beteiligt sind.
Art. 5 Verfahren
1.  Die Kommission tritt auf Ersuchen einer der Vertragsparteien am gemeinsam vereinbarten Termin und in dringenden Fällen so rasch als möglich zusammen. Sie tagt mindestens einmal pro Jahr.
2.  Die Kommission führt über ihre Beratungen und Beschlüsse Protokoll. Sie gewährleistet die vertrauliche Behandlung der Auskünfte zu den bearbeiteten Einzelfällen.
3.  Die Kommission kann alle Personen anhören, die ihr Aufschluss über einen Einzelfall geben können.
Art. 6 Kosten
Jede Vertragspartei trägt die Kosten, die ihr durch die Vertretung in der Kommission entstehen.

III.  Weitere Bestimmungen

Art. 7 Weitere Instrumente zur Streitbeilegung
Das Bestehen oder die Tätigkeit der Kommission darf:
a) andere Instrumente für die Kommunikation und die Prüfung von Familienangelegenheiten zwischen den Vertragsparteien nicht ersetzen oder behindern;
b) die Regelung von Einzelfällen auf anderem Weg nicht behindern.
Art. 8 Unentgeltliche Rechtshilfe
1.  Jede Vertragspartei gewährt dem Elternteil, der Staatsangehöriger der anderen Partei ist oder dort seinen Wohnsitz hat, bei Gerichtsverfahren, die auf die Wahrung eines bestehenden Sorge- oder Besuchsrechts ausgerichtet sind, unentgeltliche Rechtshilfe in Bezug auf die Gerichts- und Anwaltskosten, sofern die Bedingungen für die Gewährung von unentgeltlicher Rechtshilfe nach dem Gesetz dieser Partei erfüllt sind.
2.  Die unentgeltliche Rechtshilfe darf nicht aus Gründen wie Religion, Staatsangehörigkeit, Geschlecht, Rasse oder Alter verweigert werden.
Art. 9 Weitere Verträge
Keine Bestimmung dieses Abkommens beschränkt oder beeinträchtigt die Rechte und Verpflichtungen einer der Vertragsparteien, die sich aus anderen zwischen den Vertragsparteien anwendbaren völkerrechtlichen Verträgen ergeben.

IV.  Schlussbestimmungen

Art. 10 Inkrafttreten, Dauer, Kündigung
1.  Jede der Vertragsparteien notifiziert der anderen den Abschluss des innerstaat­lichen Verfahrens, das für das Inkrafttreten notwendig ist. Das Abkommen tritt am ersten Tag des zweiten Monats in Kraft, der auf die zweite Notifikation folgt.
2.  Dieses Abkommen ist unbefristet.
3.  Jede der Vertragsparteien kann der anderen auf diplomatischem Weg jederzeit die Kündigung des Abkommens notifizieren. Die Kündigung wird sechs Monate nach Erhalt der Notifikation wirksam.
Geschehen in Beirut am 31. Oktober 2005, im Doppel, in arabischer und französischer Sprache, wobei jeder Wortlaut gleichermassen verbindlich ist.

Für die
Schweizerische Eidgenossenschaft:

Für die
libanesische Republik:

Micheline Calmy-Rey

Fawzi Salloukh

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