Vertrag (0.360.514.1)
CH - Schweizer Bundesrecht

Vertrag

zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und dem Fürstentum Liechtenstein über die Zusammenarbeit im Rahmen der schweizerischen Informationssysteme für Fingerabdrücke und DNA-Profile Abgeschlossen am 15. Dezember 2004 Von der Bundesversammlung genehmigt am 16. Dezember 2005¹ Ratifikationsurkunden ausgetauscht am 30. April 2006 In Kraft getreten am 1. Mai 2006 (Stand am 20. Mai 2016) ¹ AS 2006 2029
Die Schweizerische Eidgenossenschaft und das Fürstentum Liechtenstein,
nachfolgend die Vertragsstaaten genannt,
eingedenk der althergebrachten Freundschaft zwischen den beiden Staaten,
in der Absicht, zur Wahrnehmung gemeinsamer Sicherheitsinteressen zusammenzuarbeiten,
in der Absicht, die polizeiliche Zusammenarbeit im Sinne des Vertrages zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft, der Republik Österreich und dem Fürstentum Liechtenstein über die grenzüberschreitende Zusammenarbeit der Sicherheits- und Zollbehörden vom 27. April 1999², in Kraft seit 1. Juli 2001, weiterzuent­wickeln,
in der Absicht, insbesondere im Bereich der polizeilichen Informationssysteme enger zusammenzuarbeiten,
im Bestreben, den grenzüberschreitenden Gefahren durch eine enge Sicherheits­kooperation wirksam zu begegnen,
sind wie folgt übereingekommen:
² SR 0.360.163.1

Kapitel I: Allgemeine Bestimmungen

Art. 1 Gegenstand und Zweck
(1)  Dieser Vertrag regelt die Zusammenarbeit zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und dem Fürstentum Liechtenstein in den Bereichen des automa­tisierten Fingerabdruck-Identifikationssystems (AFIS) und des DNA-Profil-Infor­mationssystems.
(2)  Er bezweckt eine Verbesserung der Effizienz der Strafverfolgung unter Wahrung des Datenschutzes und dient im Besonderen der Erkennung von Tatzusammenhängen sowie der Identifikation von lebenden, toten und vermissten Personen.
Art. 2 Vertragsprinzip
(1)  Das Fürstentum Liechtenstein übernimmt, im Sinne der nachstehenden Bestimmungen, die in der Anlage zu diesem Vertrag aufgeführten materiellen Vorschriften der schweizerischen Bundesgesetzgebung in sein Landesrecht. Zudem beachten die im Fürstentum Liechtenstein zuständigen Behörden die diesbezüglich von den schweizerischen Bundesbehörden erlassenen Weisungen und Reglemente. Änderungen und Ergänzungen der Anlage erfolgen nach dem Verfahren gemäss den Absätzen 2 und 3.
(2)  Die Anlage bildet einen integrierenden Bestandteil des Vertrages. Sie kann auf diplomatischem Weg geändert werden.
(3)  Die Schweizerische Eidgenossenschaft teilt dem Fürstentum Liechtenstein rechtzeitig geplante Änderungen des Rechtes bezüglich der Bestimmungen in der Anlage und seiner Anwendung im Hinblick auf die Übernahme durch das Fürstentum Liechtenstein mit. Bei möglichen Interessenkollisionen bemühen sich die Vertragsstaaten, gemeinsame Lösungen zu finden.
Art. 3 Grundsatz der Zusammenarbeit
Sofern in diesem Vertrag nichts anderes bestimmt ist, kommen bei der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit im Rahmen dieses Vertrages den zuständigen Behörden des Fürstentums Liechtenstein die gleichen Rechte und Pflichten zu wie den entsprechenden kantonalen Behörden der Schweizerischen Eidgenossenschaft. Die schweizerischen Bundesbehörden nehmen gegenüber dem Fürstentum Liechtenstein dieselben Rechte und Pflichten wahr wie gegenüber den kantonalen Behörden.
Art. 4 Zuständige Behörden
Zuständig für den Vollzug dieses Vertrages und das Verfahren gemäss Artikel 2 Absätze 2 und 3 sind in der Schweizerischen Eidgenossenschaft das Bundesamt für Polizei im Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement und im Fürstentum Liechtenstein die Landespolizei.
Art. 5 Gemischte Kommission
Die beiden Vertragsstaaten setzen eine Gemischte Kommission ein. Diese behandelt die mit der Auslegung und der Anwendung dieses Vertrages zusammenhängenden Fragen. Sie handelt im gegenseitigen Einvernehmen.
Art. 6 Datenschutz
Sofern in diesem Vertrag nichts anderes bestimmt ist, gelten für die Zusammenarbeit im Rahmen dieses Vertrages die jeweiligen nationalen Datenschutzbestimmungen.
Art. 7 Weitergabe an Drittstaaten
Die im Rahmen dieses Vertrages übermittelten Daten dürfen nur mit vorgängiger schriftlicher Zustimmung des Vertragsstaates, der die Daten erhoben und übermittelt hat, an Drittstaaten weitergegeben werden.
Art. 8 Auskunftsrecht
(1) Jede Person hat das Recht, darüber Auskunft zu verlangen, ob unter ihrem Namen ein DNA-Profil oder biometrische erkennungsdienstliche Daten in den Informa­tionssystemen gespeichert sind.³
(2)  Die liechtensteinischen Behörden leiten an sie gerichtete Ersuchen direkt an das Bundesamt für Polizei weiter.
(3)  Für Gesuchstellerinnen und Gesuchsteller, deren Daten durch liechtensteinische Behörden erhoben wurden, beantwortet das Bundesamt für Polizei das Gesuch in der Regel schriftlich und kostenlos nach vorgängiger Rücksprache mit der Landespolizei des Fürstentums Liechtenstein. Das Fürstentum Liechtenstein kann die Auskunfts­erteilung durch das Bundesamt für Polizei verhindern, einschränken oder aufschieben, wenn:
a) es ein Gesetz des Fürstentums Liechtenstein vorsieht;
b) es wegen überwiegender Interessen eines Dritten erforderlich ist;
c) es wegen überwiegender öffentlicher Interessen, insbesondere der inneren oder äusseren Sicherheit, des Fürstentums Liechtenstein erforderlich ist;
d) die Auskunft den Zweck einer Strafuntersuchung oder eines anderen Untersuchungsverfahrens in Frage stellt.
³ Fassung gemäss Notenaustausch vom 20. Mai 2016, in Kraft getreten am 20. Mai 2016 ( AS 2016 1613 ).
Art. 9 ⁴ Datenbearbeitung in anderen Systemen
Die von den liechtensteinischen Behörden im Rahmen dieses Vertrages übermittelten Daten können hinsichtlich der Prozesskontrollnummer und der entsprechenden Personendaten oder Tatortangaben im informatisierten Personennachweis-, Aktennachweis- und Verwaltungssystem (IPAS) oder im Zentralen Migrationsinformationssystem (ZEMIS) bearbeitet werden.
⁴ Fassung gemäss Notenaustauch vom 10. März 2011, in Kraft seit 1. Jan. 2011 ( AS 2011 2293 ).
Art. 10 Archivierung von Daten
Sofern die zuständigen schweizerischen Behörden dem schweizerischen Bundes­archiv Daten anbieten und auch abliefern, ist in Bezug auf Daten, die von den liechtensteinischen Behörden abgenommen und im Rahmen dieses Vertrages übermittelt wurden, vorgängig die Bewilligung der Regierung des Fürstentums Liechtenstein einzuholen.
Art. 11 Haftung
(1)  Wird einer Person durch den Vollzug dieses Vertrages widerrechtlich ein Schaden zugefügt, so haften die Vertragsstaaten nach Massgabe ihres nationalen Rechts.
(2)  Für den an die Geschädigten oder ihre Rechtsnachfolger geleisteten Schaden­ersatz kann der ersuchte Vertragsstaat nach Massgabe des Verschuldens des anderen Vertragsstaates auf diesen teilweise oder gänzlich Regress nehmen.
Art. 12 Kosten
(1)  Für die Bereitstellung der Infrastruktur, des Personals, der Datenübermittlung, der Organisation von Aus- und Weiterbildung, die Gewährleistung des Unterhalts und des Supports des automatisierten Fingerabdruck-Identifikationssystems (AFIS) und des DNA-Profil-Informationssystems sowie für den administrativen Aufwand bei der Bearbeitung von Schriftverkehr bezahlt das Fürstentum Liechtenstein der Schweizerischen Eidgenossenschaft eine Jahrespauschale von 30 000 Franken. Die Pauschale kann auf diplomatischem Weg geändert werden.
(2)  Weitere Kosten für Leistungen anderer Dienstleister sind nicht Gegenstand dieses Vertrages.

Kapitel II: Besondere Bestimmungen

A. DNA-Profile

Art. 13 ⁵ Probenahme, Übermittlung und Bearbeitung
In Bezug auf Proben, die von liechtensteinischen Behörden abgenommen wurden und zur Bearbeitung in den schweizerischen Informationssystemen übermittelt werden, sind die Bedingungen für die Probenahme und Profilerstellung nach den diesbezüglichen Bestimmungen der schweizerischen Bundesgesetzgebung gemäss Anlage zu erfüllen sowie die Vergleichbarkeit der DNA-Profile sicherzustellen.
⁵ Fassung gemäss Notenaustausch vom 20. Mai 2016, in Kraft getreten am 20. Mai 2016 ( AS 2016 1613 ).

B. ⁶ Biometrische erkennungsdienstliche Daten (AFIS)

⁶ Fassung gemäss Notenaustausch vom 20. Mai 2016, in Kraft getreten am 20. Mai 2016 ( AS 2016 1613 ).
Art. 14 Abnahme, Übermittlung und Bearbeitung im Asylwesen
Für die Abnahme von biometrischen erkennungsdienstlichen Daten, die bei Asylsuchenden und Schutzbedürftigen durch liechtensteinische Behörden vorgenommen wurden und zur Bearbeitung in den schweizerischen Informationssystemen über­mittelt werden, gelten die diesbezüglichen Bestimmungen der schweizerischen Bundesgesetzgebung.

Kapitel III: Schlussbestimmungen

Art. 15 Inkrafttreten und Kündigung
(1)  Dieser Vertrag bedarf der Ratifikation. Er tritt am Tag nach dem Austausch der Ratifikationsurkunden in Kraft.
(2)  Dieser Vertrag wird auf unbestimmte Zeit geschlossen. Er kann von jedem Vertragsstaat auf diplomatischem Weg schriftlich gekündigt werden. Er tritt sechs Monate nach Erhalt der Kündigung ausser Kraft.
(3)  Die Registrierung des Vertrags beim Generalsekretariat der Vereinten Nationen nach Artikel 102 der Charta der Vereinten Nationen⁷ wird von schweizerischer Seite wahrgenommen.
⁷ SR 0.120

Unterschriften

Zu Urkund dessen haben die Bevollmächtigten diesen Vertrag mit ihren Unterschriften versehen.
Geschehen in Vaduz, in doppelter Ausführung in deutscher Sprache, am 15. Dezember 2004.

Für die
Schweizerische Eidgenossenschaft:

Jean-Luc Vez

Für das
Fürstentum Liechtenstein:

Adrian Hasler

Anlage ⁸

⁸ Fassung gemäss Notenaustausch vom 20. Mai 2016, in Kraft getreten am 20. Mai 2016 ( AS 2016 1613 ).

Liste der schweizerischen Rechtsvorschriften, die nach Artikel 2 dieses Vertrages im Fürstentum Liechtenstein zur Anwendung gelangen:

SR Nr.

Erlass

AS

312.0

Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO)

anwendbar sind Art. 255–259 zur DNA-Analyse betr. die Probenahme und die Profilerstellung im Rahmen eines Strafverfahrens im Hinblick auf eine Übermittlung an die schweizerischen Behörden zur weiteren Bearbeitung

2010 1881

2014 2055

363

Bundesgesetz vom 20. Juni 2003 über die Verwendung von DNA-Profilen im Strafverfahren und zur Identifizierung von unbekannten oder vermissten Personen (DNA-Profil-Gesetz)

anwendbar sind Art. 1a, 2, 6, 8, 9, 11 Abs. 1, 2 und 4, Art. 13 Abs. 2, Art. 14, 15 Abs. 1, Art. 16 Abs. 1 Bst. a–f und Abs. 2–4, Art. 17 Abs. 1, Art. 18, 19, 20 Abs. 2 und Art. 23 Abs. 1

2004 5269

2010 1573

2014 2055

363.1

Verordnung vom 3. Dezember 2004 über die Verwendung
von DNA-Profilen im Strafverfahren und zur Identifizierung
von unbekannten oder vermissten Personen
(DNA-Profil-Verordnung)

anwendbar sind Art. 1, 2 Abs. 1, Art. 6, 6a, 8, 9, 10, 11, 12
Abs. 1 und 2, Art. 14–15a und 19

2004 5279

2005 3337

2008 4943

2014 3467

361.3

Verordnung vom 6. Dezember 2013 über die Bearbeitung biometrischer erkennungsdienstlicher Daten

anwendbar sind Art. 2, 8 Abs. 1 Bst. a–c und e, Art. 9, 10, 14, 16 Abs. 1, 17–22 und Art. 26

2014 4479

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