Europäisches Übereinkommen über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (0.312.5)
CH - Schweizer Bundesrecht

Europäisches Übereinkommen über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten

Abgeschlossen in Strassburg am 24. November 1983 Von der Bundesversammlung genehmigt am 20. Juni 1991¹ Schweizerische Ratifikationsurkunde hinterlegt am 7. September 1992 In Kraft getreten für die Schweiz am 1. Januar 1993 (Stand am 8. Mai 2019) ¹ AS 1993 1151
Die Mitgliedstaaten des Europarats, die dieses Übereinkommen unterzeichnen –
von der Erwägung geleitet, dass es das Ziel des Europarats ist, eine engere Verbindung zwischen seinen Mitgliedern herbeizuführen;
in der Erwägung, dass es aus Gründen der Gerechtigkeit und der sozialen Solidarität notwendig ist, sich mit der Lage der Opfer vorsätzlicher Gewalttaten, die eine Körperverletzung oder Gesundheitsschädigung erlitten haben, sowie der unterhaltsberechtigten Hinterbliebenen der infolge solcher Straftaten verstorbenen Opfer zu befassen;
in der Erwägung, dass es notwendig ist, Regelungen einzuführen oder zu entwickeln, wie diese Opfer durch den Staat zu entschädigen sind, in dessen Hoheitsgebiet sol­che Straftaten begangen wurden, insbesondere, wenn der Täter nicht bekannt oder mittellos ist;
in der Erwägung, dass es notwendig ist, auf diesem Gebiet Mindestvorschriften zu schaffen;
in Hinblick auf die Entschliessung (77) 27 des Ministerkomitees des Europarats über die Entschädigung für Opfer von Straftaten –
sind wie folgt übereingekommen:

Teil I Grundsätze

Art. 1
Die Vertragsparteien verpflichten sich, die erforderlichen Massnahmen zu treffen, um die in Teil I dieses Übereinkommens enthaltenen Grundsätze zu verwirklichen.
Art. 2
(1) Soweit eine Entschädigung nicht in vollem Umfang aus anderen Quellen erhältlich ist, trägt der Staat zur Entschädigung bei
a) für Personen, die eine schwere Körperverletzung oder Gesundheitsschädigung erlitten haben, die unmittelbar auf eine vorsätzliche Gewalttat zurückzuführen ist;
b) für die unterhaltsberechtigten Hinterbliebenen der infolge einer solchen Straftat verstorbenen Personen.
(2) Eine Entschädigung nach Absatz 1 wird auch dann gewährt, wenn der Täter nicht verfolgt oder bestraft werden kann.
Art. 3
Die Entschädigung wird von dem Staat gewährt, in dessen Hoheitsgebiet die Straftat begangen worden ist,
a) an Staatsangehörige von Vertragsstaaten dieses Übereinkommens;
b) an Staatsangehörige aller Mitgliedstaaten des Europarats, die ihren ständigen Aufenthalt in dem Staat haben, in dessen Hoheitsgebiet die Straftat begangen worden ist.
Art. 4
Die Entschädigung muss je nach Lage des Falles zumindest die folgenden Schadenselemente decken: Verdienstausfall Heilbehandlungs‑ und Krankenhauskosten, Bestattungskosten sowie bei Unterhaltsberechtigten Ausfall von Unterhalt.
Art. 5
Die Entschädigungsregelung kann, soweit erforderlich, jeden Entschädigungsteil oder die gesamte Entschädigung nach oben begrenzen sowie für beides eine Schadensgrenze festsetzen, unterhalb deren Entschädigung nicht geleistet wird.
Art. 6
Die Entschädigungsregelung kann eine Frist bestimmen, innerhalb deren ein Antrag auf Entschädigung gestellt werden muss.
Art. 7
Die Entschädigung kann im Hinblick auf die wirtschaftlichen Verhältnisse des Antragstellers gekürzt oder versagt werden.
Art. 8
(1) Die Entschädigung kann wegen des Verhaltens des Opfers oder des Antragstellers vor, während oder nach der Straftat oder in bezug auf den verursachten Schaden gekürzt oder versagt werden.
(2) Die Entschädigung kann auch gekürzt oder versagt werden, wenn das Opfer oder der Antragsteller in das organisierte Verbrechen verwickelt ist oder einer Organisation angehört, die Gewalttaten begeht.
(3) Die Entschädigung kann auch gekürzt oder versagt werden, wenn eine volle oder teilweise Entschädigung im Widerspruch zum Gerechtigkeitsempfinden oder zur öffentlichen Ordnung (ordre public) stünde.
Art. 9
Um eine doppelte Entschädigung zu vermeiden, kann der Staat oder die zuständige Stelle alle Beträge auf die Entschädigung anrechnen oder von dem Entschädigungsempfänger zurückfordern, die dieser wegen des Schadens von dem Täter, der Sozialversicherung oder einer anderen Versicherung erhalten hat oder die aus einer anderen Quelle stammen.
Art. 10
Der Staat oder die zuständige Stelle kann in Höhe des gezahlten Entschädigungsbetrags in die Rechte des Entschädigungsempfängers eintreten.
Art. 11
Jede Vertragspartei trifft angemessene Massnahmen, um sicherzustellen, dass den Personen, die als Antragsteller in Betracht kommen, Informationen über die Entschädigungsregelung zur Verfügung stehen.

Teil II Internationale Zusammenarbeit

Art. 12
Vorbehaltlich der Anwendung von zwischen Vertragsstaaten geschlossenen zwei‑ oder mehrseitigen Übereinkünften über Rechtshilfe leisten die zuständigen Behörden jeder Vertragspartei den zuständigen Behörden einer anderen Vertragspartei auf Ersuchen die grösstmögliche Unterstützung in Angelegenheiten, die von diesem Übereinkommen erfasst sind. Zu diesem Zweck bestimmt jeder Vertragsstaat eine zentrale Behörde, welche die Rechtshilfeersuchen entgegennimmt und bearbeitet, und teilt dies dem Generalsekretär des Europarats bei der Hinterlegung seiner Ratifikations‑, Annahme‑, Genehmigungs‑ oder Beitrittsurkunde mit.
Art. 13
(1) Der Europäische Ausschuss für Strafrechtsfragen (CDPC) des Europarats wird über die Anwendung dieses Übereinkommens auf dem laufenden gehalten.
(2) Zu diesem Zweck übermittelt jede Vertragspartei dem Generalsekretär des Europarats alle sachdienlichen Informationen über ihre Gesetze und sonstigen Vorschriften betreffend die von diesem Übereinkommen erfassten Angelegenheiten.

Teil III Schlussklauseln

Art. 14
Dieses Übereinkommen liegt für die Mitgliedstaaten des Europarats zur Unterzeichnung auf. Es bedarf der Ratifikation, Annahme oder Genehmigung. Die Ratifikations‑, Annahme‑ oder Genehmigungsurkunden werden beim Generalsekretär des Europarats hinterlegt.
Art. 15
(1) Dieses Übereinkommen tritt am ersten Tag des Monats in Kraft, der auf einen Zeitabschnitt von drei Monaten nach dem Tag folgt, an dem drei Mitgliedstaaten des Europarats nach Artikel 14 ihre Zustimmung ausgedrückt haben, durch das Übereinkommen gebunden zu sein.
(2) Für jeden Mitgliedstaat, der später seine Zustimmung ausdrückt, durch das Übereinkommen gebunden zu sein, tritt es am ersten Tag des Monats in Kraft, der auf einen Zeitabschnitt von drei Monaten nach Hinterlegung der Ratifikations‑, Annahme‑ oder Genehmigungsurkunde folgt.
Art. 16
(1) Nach Inkrafttreten dieses Übereinkommens kann das Ministerkomitee des Europarats durch einen mit der in Artikel 20 Buchstabe d der Satzung des Europarats² vorgesehenen Mehrheit und mit einhelliger Zustimmung der Vertreter der Vertragsstaaten, die Anspruch auf einen Sitz im Komitee haben, gefassten Beschluss jeden Nichtmitgliedstaat des Europarats einladen, dem Übereinkommen beizutreten.
(2) Für jeden beitretenden Staat tritt das Übereinkommen am ersten Tag des Monats in Kraft, der auf einen Zeitabschnitt von drei Monaten nach Hinterlegung der Beitrittsurkunde beim Generalsekretär des Europarats folgt.
² SR 0.192.030
Art. 17
(1) Jeder Staat kann bei der Unterzeichnung oder bei der Hinterlegung seiner Ratifikations‑, Annahme‑, Genehmigungs‑ oder Beitrittsurkunde einzelne oder mehrere Hoheitsgebiete bezeichnen, auf die dieses Übereinkommen Anwendung findet.
(2) Jeder Staat kann jederzeit danach durch eine an den Generalsekretär des Europarats gerichtete Erklärung die Anwendung dieses Übereinkommens auf jedes weitere in der Erklärung bezeichnete Hoheitsgebiet erstrecken. Das Übereinkommen tritt für dieses Hoheitsgebiet am ersten Tag des Monats in Kraft, der auf einen Zeitabschnitt von drei Monaten nach Eingang der Erklärung beim Generalsekretär folgt.
(3) Jede nach den Absätzen 1 und 2 abgegebene Erklärung kann in bezug auf jedes darin bezeichnete Hoheitsgebiet durch eine an den Generalsekretär gerichtete Notifikation zurückgenommen werden. Die Rücknahme wird am ersten Tag des Monats wirksam, der auf einen Zeitabschnitt von sechs Monaten nach Eingang der Notifikation beim Generalsekretär folgt.
Art. 18
(1) Jeder Staat kann bei der Unterzeichnung oder bei der Hinterlegung seiner Ratifikations‑, Annahme‑, Genehmigungs‑ oder Beitrittsurkunde erklären, dass er von einem oder mehreren Vorbehalten Gebrauch macht.
(2) Jeder Vertragsstaat, der einen Vorbehalt nach Absatz 1 angebracht hat, kann ihn durch eine an den Generalsekretär des Europarats gerichtete Notifikation ganz oder teilweise zurücknehmen. Die Rücknahme wird mit dem Eingang der Notifikation beim Generalsekretär wirksam.
(3) Eine Vertragspartei, die einen Vorbehalt zu einer Bestimmung dieses Übereinkommens angebracht hat, kann nicht verlangen, dass eine andere Vertragspartei diese Bestimmung anwendet; sie kann jedoch, wenn es sich um einen Teilvorbehalt oder einen bedingten Vorbehalt handelt, die Anwendung der betreffenden Bestimmung insoweit verlangen, als sie selbst sie angenommen hat.
Art. 19
(1) Jede Vertragspartei kann dieses Übereinkommen jederzeit durch eine an den Generalsekretär des Europarats gerichtete Notifikation kündigen.
(2) Die Kündigung wird am ersten Tag des Monats wirksam, der auf einen Zeitabschnitt von sechs Monaten nach Eingang der Notifikation beim Generalsekretär folgt.
Art. 20
Der Generalsekretär des Europarats notifiziert den Mitgliedstaaten des Rates und jedem Staat, der diesem Übereinkommen beigetreten ist,
a) jede Unterzeichnung;
b) jede Hinterlegung einer Ratifikations‑, Annahme‑, Genehmigungs‑ oder Beitrittsurkunde;
c) jeden Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Übereinkommens nach den Artikeln 15, 16 und 17,
d) jede andere Handlung, Notifikation oder Mitteilung im Zusammenhang mit diesem Übereinkommen.

Unterschriften

Zu Urkund dessen haben die hiezu gehörig befugten Unterzeichneten dieses Übereinkommen unterschrieben.
Geschehen zu Strassburg am 24. November 1983 in englischer und französischer Sprache, wobei jeder Wortlaut gleichermassen verbindlich ist, in einer Urschrift, die im Archiv des Europarats hinterlegt wird. Der Generalsekretär des Europarats übermittelt allen Mitgliedstaaten des Europarats und allen zum Beitritt zu diesen Übereinkommen eingeladenen Staaten beglaubigte Abschriften.
(Es folgen die Unterschriften)

Geltungsbereich am 8. Mai 2019 ³

³ AS 1993 1152 , 2005 1149 , 2007 1371 , 2010 939 , 2014 637 , 2019 1561 . Eine aktualisierte Fassung des Geltungsbereiches findet sich auf der Internetseite des EDA (www.eda.admin.ch/vertraege).

Vertragsstaaten

Ratifikation

Beitritt (B)

Inkrafttreten

Albanien*

26. November

2004

  1. März

2005

Aserbaidschan

28. März

2000 B

  1. Juli

2000

Belgien

23. März

2004

  1. Juli

2004

Bosnien und Herzegowina

25. April

2005

  1. August

2005

Dänemark a

  9. Oktober

1987

  1. Februar

1988

Deutschland*

27. November

1996

  1. März

1997

Estland

26. Januar

2006

  1. Mai

2006

Finnland

15. November

1990

  1. März

1991

Frankreich*

  1. Februar

1990

  1. Juni

1990

Kroatien

  4. Juli

2008

  1. November

2008

Liechtenstein

17. Dezember

2008

  1. April

2009

Luxemburg

21. Mai

1985

  1. Februar

1988

Malta

  3. März

2015

  1. Juli

2015

Montenegro

19. März

2010

  1. Juli

2010

Niederlande b

16. Juli

1984

  1. Februar

1988

Norwegen

22. Juni

1992

  1. Oktober

1992

Österreich*

30. August

2006

  1. Dezember

2006

Portugal

13. August

2001

  1. Dezember

2001

Rumänien

15. Februar

2006

  1. Juni

2006

Schweden

30. September

1988

  1. Januar

1989

Schweiz

  7. September

1992

  1. Januar

1993

Slowakei*

12. März

2009

  1. Juli

2009

Spanien*

31. Oktober

2001

  1. Februar

2002

Tschechische Republik*

  8. September

2000

  1. Januar

2001

Vereinigtes Königreich

 7. Februar

1990

 1. Juni

1990

    Insel Man

  1. Juni

1995

  1. Juni

1995

Zypern*

17. Januar

2001

  1. Mai

2001

* Vorbehalte und Erklärungen (die Erklärungen aller Vertragsstaaten über die zuständigen Behörden, gemäss Art. 12, sind im oben erwähnten Geltungsbereich nicht mit * aufgeführt).
Die Vorbehalte, Erklärungen und zuständigen Behörden werden in der AS nicht
veröffentlicht. Die französischen und englischen Texte können auf der Internetseite des
Europarates: http://conventions.coe.int eingesehen oder bei der Direktion für Völkerrecht, Sektion Staatsverträge, 3003 Bern, bezogen werden.
a
Das Übereinkommen gilt nicht für die Färöer-Inseln und Grönland.
b
Das Übereinkommen gilt nur für das Königreich in Europa.
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