Abkommen
zwischen dem Schweizerischen Bundesrat, der Regierung der Französischen Republik und der Europäischen Organisation für Kernforschung über das Recht, das auf Unternehmen anwendbar ist, die zur Ausführung staatsübergreifender Dienstleistungen auf dem Gelände der Organisation tätig sind Abgeschlossen am 18. Oktober 2010 Von der Bundesversammlung genehmigt am 21. Juni 2013² In Kraft getreten durch Notenaustausch am 18. Januar 2014 (Stand am 18. Januar 2014) ¹ Der Originaltext findet sich unter der gleichen Nummer in der französischen Ausgabe dieser Sammlung. ² Art. 1 Abs. 1 Bst. b des BB vom 21. Juni 2013 ( AS 2013 5507 )
Der Schweizerische Bundesrat,
die Regierung der Französischen Republik
(nachfolgend «Französische Regierung» genannt)
und
die Europäische Organisation für Kernforschung
(nachfolgend «Organisation» genannt),
nachfolgend «Parteien» genannt,
eingedenk des Übereinkommens vom 1. Juli 1953³ zur Errichtung einer Europäischen Organisation für Kernforschung in der abgeänderten Fassung vom 17. Januar 1971;
in der Erwägung, dass die Schweiz und Frankreich die beiden Gaststaaten der Organisation sind;
eingedenk des Abkommens vom 11. Juni 1955⁴ zwischen dem Schweizerischen Bundesrat und der Organisation zur Festlegung des rechtlichen Statuts der Organisation in der Schweiz (nachfolgend «Sitzabkommen» genannt);
eingedenk des Abkommens vom 13. September 1965 in der revidierten Fassung vom 16. Juni 1972 zwischen der Französischen Regierung und der Organisation zur Festlegung des rechtlichen Statuts der Organisation in Frankreich (nachfolgend «Statutabkommen» genannt);
eingedenk des Abkommens vom 13. September 1965⁵ zwischen dem Schweizerischen Bundesrat und der Französischen Regierung betreffend die Ausdehnung des Geländes der Organisation auf französisches Hoheitsgebiet (nachfolgend «schweizerisch-französisches Abkommen von 1965» genannt);
in der Erwägung, dass hinsichtlich des auf dem Gelände der Organisation anwendbaren Rechts in Artikel II des schweizerisch-französischen Abkommens von 1965 das Territorialitätsprinzip verankert wurde;
in der Erwägung, dass die Anwendung dieses Prinzips auf die zur Erbringung staatsübergreifender Dienstleistungen auf dem Gelände der Organisation tätigen Unternehmen dazu führen würde, dass ein Vertrag gleichzeitig dem Recht beider Gaststaaten untersteht;
in der Erwägung, dass die Organisation deshalb die Gaststaaten gebeten hat, eine Regelung auszuarbeiten, die es erlaubt, das auf diese Unternehmen anwendbare Recht objektiv und zweckmässig festzulegen;
in der Erwägung, dass die beiden Gaststaaten aufgrund des Ersuchens der Organisation beschlossen haben, das schweizerisch-französische Abkommen von 1965 zu ändern, und zu diesem Zweck das Protokoll vom 18. Oktober 2010 zwischen dem Schweizerischen Bundesrat und der Französischen Regierung (nachfolgend «schweizerisch-französisches Protokoll» genannt) verabschiedet haben;
in der Erwägung, dass das schweizerisch-französische Abkommen von 1965 infolge des schweizerisch-französischen Protokolls vorsieht, dass das Recht, das auf Unternehmen anwendbar ist, die zur Erbringung staatsübergreifender Dienstleistungen auf dem Gelände der Organisation tätig sind, in Abweichung vom Territorialitätsprinzip gestützt auf den Grundsatz des voraussichtlichen überwiegenden Teils der zu erbringenden Dienstleistungen vorgängig festgelegt und den Unternehmen für jeden Vertrag zur Kenntnis gebracht wird;
in der Erwägung, dass die Modalitäten für die Anwendung dieses Grundsatzes durch die Organisation festgelegt werden müssen;
haben Folgendes vereinbart:
³ SR 0.424.091 ⁴ SR 0.192.122.42 ⁵ SR 0.192.122.423
Art. 1
Für die Zwecke dieses Abkommens gelten folgende Begriffsbestimmungen:
a) «Dienstleistungen» bezeichnet alle staatsübergreifenden Dienstleistungen unabhängig von ihrer Dauer, d.h. Dienstleistungen, die sowohl auf dem im schweizerischen Hoheitsgebiet als auch auf dem im französischen Hoheitsgebiet gelegenen Geländeteil der Organisation erbracht werden.
Warenlieferungen, die in keinem Zusammenhang mit diesen Dienstleistungen stehen, fallen nicht unter dieses Abkommen.
b) «Unternehmen» bezeichnet Unternehmen ungeachtet ihrer Staatsangehörigkeit, die im Rahmen eines mit der Organisation abgeschlossenen Vertrags Dienstleistungen gemäss Buchstabe a) erbringen. Der Begriff «Unternehmen» bezieht sich auf Unternehmen, die einen Vertrag mit der Organisation abgeschlossen haben, sowie auf ihre allfälligen Subunternehmen.
c) «Anwendbares Recht» bezeichnet das in Artikel 1 des Anhangs 2 des schweizerisch-französischen Abkommens von 1965 definierte Recht, das sich für jeden Vertrag aus der Anwendung des Grundsatzes des voraussichtlichen überwiegenden Teils gemäss Artikel 2 dieses Vertrags ergibt.
Art. 2
1. Die Organisation legt für jeden Vertrag fest, wo genau auf dem französischen oder schweizerischen Teil ihres Geländes voraussichtlich der überwiegende Teil der Dienstleistungen zu erbringen ist.
2. Bei der Festlegung der Örtlichkeit, an der voraussichtlich der überwiegende Teil der Dienstleistungen zu erbringen ist, sind folgende Kriterien zu berücksichtigen:
a) die Örtlichkeiten, an denen sich die Arbeitsplätze befinden;
b) die voraussichtliche Zahl und Dauer der Dienstleistungen;
c) die Anzahl der Anlagen oder Bestandteile, für die die Dienstleistungen erbracht werden sollen;
d) die Anzahl oder die Fläche der Räumlichkeiten, in denen oder für die die Dienstleistungen erbracht werden sollen;
e) die Anzahl Abgabestellen.
3. Die Organisation hält für jeden Vertrag das Kriterium bzw. die Kriterien fest, die je nach Relevanz bei der Festlegung der Örtlichkeit anzuwenden sind, an der dieser überwiegende Teil zu erbringen ist, wobei auf objektive und quantifizierbare Elemente abzustellen ist.
Art. 3
1. Das gemäss diesem Abkommen für anwendbar erklärte Recht gilt unverändert bis Vertragsende, einschliesslich Vertragsverlängerungen.
2. Die Organisation stellt sicher, dass der überwiegende Teil der vertraglich vereinbarten Dienstleistungen tatsächlich an der Örtlichkeit erbracht wird, an der voraussichtlich der überwiegende Teil der Leistungen gemäss Artikel 2 dieses Abkommens erbracht werden soll.
3. Für Subunternehmen eines zwischen der Organisation und einem Erstunternehmen abgeschlossenen Dienstleistungsvertrags gilt dasselbe Recht, das nach den oben aufgeführten Regeln festgelegt wurde, wie für das Erstunternehmen. Wenn das Subunternehmen jedoch nur auf dem schweizerischen oder nur auf dem französischen Geländeteil der Organisation Dienstleistungen erbringt, so sind die Bestimmungen dieses Abkommens nicht auf es anwendbar.
Art. 4
1. Die Organisation teilt den Unternehmen bei der Ausschreibung mit, an welcher Örtlichkeit voraussichtlich der überwiegende Teil der Dienstleistungen zu erbringen ist und welches Recht infolgedessen anwendbar ist, so dass sie diesen Aspekt bei der Einreichung ihres Angebots berücksichtigen können. Die Mitteilung enthält einen Verweis auf dieses Abkommen und auf das schweizerisch-französische Abkommen von 1965. Sie präzisiert die Bereiche gemäss den Bestimmungen von Artikel 1 Absatz 1 des Anhangs 2 des schweizerisch-französischen Abkommens von 1965, in denen dieses Recht auf die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer anwendbar ist, die für diese Tätigkeit eingesetzt werden.
2. Ändert die Örtlichkeit, an der voraussichtlich der überwiegende Teil der Dienstleistungen zu erbringen ist, nach dem Eingang der Angebote und vor der Unterzeichnung des Vertrags, so schreibt die Organisation den Auftrag noch einmal aus, damit die Gleichbehandlung aller Anbieter gewährleistet ist.
3. Die Organisation nimmt geeignete Bestimmungen in die Verträge mit den Unternehmen auf, um sie zu verpflichten:
a) ihre Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer über das gemäss diesem Abkommen anwendbare Recht zu informieren sowie: – über die Tatsache, dass sich das anwendbare Recht im Sinne dieses Abkommens auf die Bereiche von Artikel 1 Absatz 1 des Anhangs 2 des schweizerisch-französischen Abkommens von 1965 beschränkt,
– über die Tatsache, dass gemäss Artikel 1 Absatz 3 des besagten Anhangs die übrigen Bereiche weiterhin dem Territorialitätsprinzip gemäss Artikel II Absatz 1 des schweizerisch-französischen Abkommens von 1965 unterliegen,
– über die Tatsache, dass die Anwendung dieser Regeln der Aufrechterhaltung der erworbenen Rechte nicht entgegensteht, die beim Abschluss des Vertrags zwischen dem Unternehmen und der Organisation bestanden,
– gegebenenfalls über jede Änderung ihres Arbeitsvertrags, die sich aufgrund des anwendbaren Rechts ergibt;
b) ihre allfälligen Subunternehmen schriftlich über das anwendbare Recht gemäss Artikel 3 Absatz 3 dieses Abkommens zu informieren;
c) geeignete Bestimmungen in den Verträgen mit ihren allfälligen Subunternehmen vorzusehen, um diese zu verpflichten, ihre Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu den in Buchstabe a) dieses Absatzes festgehaltenen Bedingungen schriftlich über das anwendbare Recht zu informieren.
Art. 5
1. Falls gemäss der Gesetzgebung des Gaststaates, auf dessen Hoheitsgebiet der überwiegende Teil der mit der Organisation vertraglich vereinbarten Dienstleistungen zu erbringen ist, eine Arbeitsbewilligung für die ausländischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer erforderlich ist, so informiert die Organisation die Unternehmen über die Tatsache, dass das Bewilligungsgesuch an die zuständigen Behörden dieses Gaststaates zu richten ist.
2. Die Organisation informiert die Unternehmen über die Tatsache, dass für Fragen im Zusammenhang mit dem Aufenthalt der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer weiterhin das Territorialitätsprinzip des Rechts gemäss Artikel II Absatz 1 des schweizerisch-französischen Abkommens von 1965 gilt.
Art. 6
1. Die Organisation verabschiedet geeignete Massnahmen, um die in diesem Abkommen festgelegten Grundsätze und Pflichten in ihrer internen Regelung zu verankern und sie umzusetzen.
2. Die Unternehmen und die betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer können sich nicht auf die Haftung der Organisation berufen, wenn sich die ordnungsgemäss nach Artikel 4 und 5 dieses Abkommens informierten Unternehmen gegenüber ihren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern oder ihren allfälligen Subunternehmen nicht an die Verpflichtungen dieses Abkommens in Bezug auf das anwendbare Recht halten.
Art. 7
Dieses Abkommen ist auf die von der Organisation abgeschlossenen Verträge über staatsübergreifende Dienstleistungen anwendbar, die nach seinem Inkrafttreten ausgeschrieben werden.
Art. 8
1. Die zuständigen Behörden der beiden Gaststaaten sorgen für die ordnungsgemässe Anwendung dieses Abkommens auf dem Gelände der Organisation sowie insbesondere für die Einhaltung des anwendbaren Rechts durch die Unternehmen und die Bestrafung allfälliger strafbarer Handlungen. Ein Informationsaustausch zwischen der Organisation und den betroffenen zuständigen Behörden wird gewährleistet.
2. Die Organisation arbeitet mit den beiden Gaststaaten zusammen, um diese Kontrolle zu erleichtern.
3. Die Organisation arbeitet mit den beiden Gaststaaten zusammen, um die angemessene Information der Sozialpartner über die Umsetzung dieses Abkommens zu ermöglichen.
Art. 9
Die Parteien treten auf Ersuchen einer der Parteien zusammen, um die Umsetzung dieses Abkommens zu evaluieren und wenn notwendig allfällige Streitigkeiten über dessen Auslegung oder Anwendung beizulegen. Je nach Zweck des Treffens bezeichnet jede Partei eine oder mehrere Personen als Vertretung und teilt deren Namen den beiden anderen Parteien mit.
Art. 10
Jede Streitigkeit über die Auslegung und Anwendung dieses Abkommens, die nicht nach Artikel 9 dieses Abkommens beigelegt werden konnte, wird gemäss den freiwilligen Schiedsverfahrensregeln des Ständigen Schiedshofs für internationale Organisationen und Staaten einer einzigen Schiedsrichterin oder einem einzigen Schiedsrichter überwiesen.
Art. 11
Dieses Abkommen kann auf Verlangen einer der Parteien geändert werden. In diesem Fall verständigen sich die Parteien über die an diesem Abkommen vorzunehmenden Änderungen.
Art. 12
Dieses Abkommen kann von einer Partei unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von zwölf Monaten gekündigt werden. Die Kündigung hat keine Auswirkungen auf die Verträge, die vor ihrem Wirksamwerden abgeschlossen wurden.
Art. 13
Jede Partei notifiziert den anderen beiden Parteien den Vollzug der Formalitäten, die nach ihrem innerstaatlichen Recht zur Inkraftsetzung dieses Abkommens erforderlich sind. Das Abkommen tritt drei Monate nach Eingang der letzten Notifikation, frühestens aber am Tag des Inkrafttretens des schweizerisch-französischen Protokolls vom 18. Oktober 2010 in Kraft.
Ausgefertigt in Genf, am 18. Oktober 2010, in französischer Sprache, in drei Exemplaren.
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