Dekret über die Mietämter
16. März 1995 Dekret über die Mietämter Der Grosse Rat des Kantons Bern, gestützt auf die Artikel 79 Absatz 1 des Gesetzes vom 14. März 1995 über die Organisation der Gerichtsbehörden in Zivil- und Strafsachen [BSG 161.1] , auf Antrag des Regierungsrates, beschliesst: I. Zuständigkeit und Organisation
Art. 1
Zuständigkeit
1 Die Mietämter sind die zuständigen Schlichtungsbehörden in Streitsachen aus Miete und nichtlandwirtschaftlicher Pacht unbeweglicher Sachen (Art. 274 a Abs. 1 Bst. b, c und e sowie 301 OR [SR
220] ), nämlich als a Einigungs- und Entscheidungsinstanz bei Gesuchen um Herausgabe hinterlegter Miet- oder Pachtzinsen (Art. 259 h, 259 i und 288 Abs. 1 OR) sowie bei Anfechtungen von Kündigungen und bei Gesuchen um Erstreckungen von Miet- oder Pachtverträgen (Art. 273 und 300 OR); b Einigungsinstanz in den übrigen Fällen; c Schiedsgericht, wenn die Parteien es verlangen.
2 Die Beratung von Parteien in diesen Rechtssachen erfolgt durch die Sekretärin oder den Sekretär des Mietamtes (Art. 274 a Abs. 1 Bst. a und 301 OR sowie Art. 21 Abs. 3 der Bundesverordnung vom 9. Mai
1990 über die Miete und Pacht von Wohn- und Geschäftsräumen, VMWG [SR 221.213.11] ). Sie hat neutral zu erfolgen.
3 Die örtliche Zuständigkeit des Mietamtes richtet sich nach Artikel 274 b OR.
Art. 2
Präsidium und Sekretariat
1 Die Präsidentin oder der Präsident leitet die Verhandlungen des Mietamtes.
2 Die Sekretärin oder der Sekretär hat zu bestimmten, öffentlich bekanntzumachenden Zeiten in allen in den Zuständigkeitsbereich des Mietamtes fallenden Fragen unentgeltlich Rat und Auskunft zu erteilen (Art.
1), die Verhandlungen vor Mietamt vorzubereiten (Art. 19), die Einladungen zu den Sitzungen zu erlassen, das Protokoll in den Verhandlungen zu führen (Art. 13) und alle erforderlichen Ausfertigungen und Mitteilungen zu besorgen.
Art. 3
Beschlussfähigkeit Das Mietamt ist beschlussfähig, wenn die Präsidentin oder der Präsident und die Beisitzerinnen oder Beisitzer beziehungsweise deren Stellvertretung oder Ersatzleute anwesend sind. Die Sekretärin oder der Sekretär hat kein Stimmrecht.
Art. 4
Aufsicht
1 Die Aufsicht über die rechtspflegende Tätigkeit der Mietämter übt der Appellationshof aus.
2 Die Aufsicht über die übrige Tätigkeit der Mietämter übt die Justiz-, Gemeinde- und Kirchendirektion aus. Sie genehmigt ebenfalls die Reglemente, welche die Ämter zu schaffen haben.
3 Die Mietämter haben dem Appellationshof und der Justiz-, Gemeinde- und Kirchendirektion jährlich einen Bericht und eine tabellarische Übersicht über die Verrichtungen einzureichen.
Art. 5
Veröffentlichung Die Regierungsstatthalterin oder der Regierungsstatthalter veröffentlicht alle vier Jahre die Zusammensetzung der Mietämter und deren Zuständigkeit (Art. 22 Abs. 2 VMWG
Art. 6
Hinterlegung von Miet- und Pachtzinsen
1 Die Hinterlegung von Miet- oder Pachtzinsen nach den Artikeln 259 g und 288 Absatz 1 OR [SR 220] erfolgt beim Mietamt am Ort der Miet- oder Pachtsache (Art. 136 des Gesetzes vom 28. Mai 1911 betreffend die Einführung des schweizerischen Zivilgesetzbuches [BSG 211.1] ).
2 Das Mietamt hat hinterlegte Miet- oder Pachtzinse innert zehn Tagen auf einem Depositenkonto einer Bank anzulegen. Ein Zins ist nach Abzug der Depotspesen dem hinterlegten Betrag gutzuschreiben.
Art. 7
Entschädigungen der Mitglieder Die Gemeinden regeln die Entschädigungen der Mitglieder des Mietamtes im entsprechenden Reglement. II. Allgemeine Verfahrensbestimmungen
Art. 8
Schiedsgericht Für die Einsetzung der Mietämter als Schiedsgerichte und für das schiedsgerichtliche Verfahren finden die Bestimmungen des Konkordates vom 27. März 1969 über die Schiedsgerichtsbarkeit [SR 279] Anwendung.
Art. 9
Rechtshilfe Gesuche um Rechtshilfe sind von den Mietämtern an die zuständigen Zivilgerichte zu richten.
Art. 10
Ausstand und Ablehnung Für Ausstand und Ablehnung von Mitgliedern des Mietamtes gelten die Bestimmungen des Gesetzes vom
7. Juli 1918 betreffend die Zivilprozessordnung für den Kanton Bern [BSG 271.1] (Art. 10 ff. ZPO).
Art. 11
Zustellungen Die Zustellung von Vorladungen und anderen Urkunden oder Mitteilungen des Mietamtes erfolgt nach den Vorschriften der Zivilprozessordnung (Art. 102 ff., 284 Abs. 1, 310 und 311 ZPO [BSG 271.1] ).
Art. 12
Öffentlichkeit
1 Die Sitzungen und Beratungen der Mietämter sind öffentlich.
2 Wo es die Sittlichkeit oder ein schutzwürdiges Interesse der Beteiligten gebietet, darf die Öffentlichkeit durch das Mietamt für die ganze oder einen Teil der Verhandlung ausgeschlossen werden.
Art. 13
Protokoll Über die Verhandlungen ist ein Protokoll aufzunehmen. Dieses hat zu enthalten: a die Namen der Mitglieder des Mietamtes sowie der Parteien, b die Anträge der Parteien, c die Anordnungen des Mietamtes, d allfällige Beweiserhebungen und e den von den Parteien unterzeichneten Vergleich oder f den Abstand einer Partei oder g den Entscheid des Mietamtes oder h eine Feststellung über das Nichtzustandekommen der Einigung.
Art. 14
Ordnungsbusse Wer im Verfahren Sitte und Anstand verletzt oder den Geschäftsgang stört, kann durch das Mietamt mit Verweis oder Busse bis zu 500 Franken bestraft werden.
Art. 15
Kosten
1 Das Verfahren vor dem Mietamt ist kostenlos.
2 Bei mutwilliger Prozessführung können der fehlbaren Partei die Beweiskosten sowie Gebühren von 50 bis 1000 Franken ganz oder teilweise auferlegt werden.
Art. 16
Ergänzung durch die Zivilprozessordnung Soweit dieses Dekret keine Vorschriften enthält, sind die Bestimmungen der Zivilprozessordnung anwendbar. III.
Art. 17
Gesuch
1 Das Gesuch um Durchführung des Schlichtungsverfahrens ist schriftlich oder mündlich beim zuständigen Mietamt einzureichen.
2 Es hat die Namen der Parteien und das Rechtsbegehren mit kurzer Begründung zu enthalten. Alle für die Beurteilung des Streitfalles notwendigen Unterlagen wie Miet- oder Pachtvertrag, Schreiben betreffend Kündigung oder Zinserhöhung und dergleichen sind ihm beizulegen.
3 Fristen gelten durch rechtzeitiges Einreichen des Gesuches bei jedem bernischen Mietamt oder Zivilgericht als gewahrt. Das Gesuch ist unverzüglich an das zuständige Mietamt weiterzuleiten.
Art. 18
Ausweisungsverfahren Wird während eines hängigen Ausweisungsverfahrens eine ausserordentliche Kündigung angefochten oder um Erstrecken eines aus wichtigen Gründen vorzeitig gekündigten Miet- oder Pachtverhältnisses nachgesucht (Art. 274 g OR [SR 220] das für die Ausweisung zuständige Zivilgericht (Art. 274 a Abs. 1 Bst. d und 301 OR).
Art. 19
Vorbereitung der Verhandlung
1 Nach Eingang eines Gesuches beim Mietamt orientiert die Sekretärin oder der Sekretär unverzüglich die Gegenpartei und versucht, eine gütliche Einigung der Parteien herbeizuführen. Ist eine solche nicht möglich, werden die Parteien zu einer Schlichtungsverhandlung vorgeladen.
2 In der Regel ist eine Vorladungsfrist von wenigstens 48 Stunden zu beachten. Betrifft das Gesuch eine Anfechtung der Kündigung oder eine Erstreckung des Mietverhältnisses, hat die Verhandlung innert zehn Tagen seit der Einreichung des Gesuches stattzufinden.
3 Mit der Vorladung sind die Parteien aufzufordern, noch nicht eingereichte Unterlagen zum Termin mitzubringen.
Art. 20
Persönliches Erscheinen Vertretung und Verbeiständung
1 Die Parteien haben persönlich zu erscheinen.
2 Die am persönlichen Erscheinen verhinderte natürliche Person kann sich durch eine erwachsene Familienangehörige oder einen erwachsenen Familienangehörigen vertreten lassen.
3 Die Vermieterin oder der Vermieter, die am persönlichen Erscheinen verhindert sind, können sich auch durch die für die Hausverwaltung zuständige Person vertreten lassen.
4 Juristische Personen sowie Kollektiv- oder Kommanditgesellschaften können sich durch eine mit der
Geschäftsführung betraute Person mit Unterschriftsberechtigung für die streitige Sache vertreten lassen.
Art. 21
Ergänzung der Parteibegehren In der Verhandlung kann die gesuchstellende Partei ihre Begehren ergänzen. Die Gegenpartei kann selbständige Begehren stellen, wenn diese das gleiche Rechtsverhältnis betreffen und in die Zuständigkeit des Mietamtes fallen.
Art. 22
Einigungsversuch, Beweisverfahren
1 Nach einer mündlichen Stellungnahme der Parteien und einer Überprüfung der vorgelegten Unterlagen versucht das Mietamt die Parteien zu einigen.
2 Soweit das Mietamt als Entscheidungsinstanz zuständig ist, hat es zur Abklärung des Sachverhaltes notwendige Beweisergänzungen im Sinne der Artikel 212 ff. ZPO [BSG 271.1] anzuordnen und nötigenfalls einen weiteren Termin festzusetzen.
Art. 23
Abschluss des Verfahrens ohne Einigung
1 Kommt keine Einigung zustande, so fällt das Mietamt in den vom Gesetz vorgesehenen Fällen einen Entscheid. In den übrigen Fällen stellt es das Nichtzustandekommen der Einigung fest.
2 Der Entscheid des Mietamtes ist den Parteien im Anschluss an die Beratung sofort mündlich zu eröffnen und kurz zu begründen. Wird das ordentliche Gericht angerufen, so ist auf Verlangen des Gerichts oder der Parteien dem Urteil binnen zehn Tagen eine kurze Begründung beizufügen und den Parteien zuzustellen.
3 Der Entscheid sowie die Bescheinigung über das Nichtzustandekommen einer Einigung sind den Parteien sofort schriftlich auszuhändigen. Die Frist zur Anrufung des ordentlichen Gerichts läuft ab dieser schriftlichen Mitteilung.
Art. 24
Rechtsbelehrung Im schriftlichen Entscheid oder in der Bescheinigung über das Nichtzustandekommen einer Einigung sind die Parteien über Frist, Form und Einreichungsstelle einer Klage beim ordentlichen Gericht zu belehren. IV.
Art. 25
Ausbleiben der Parteien
1 Erscheint die gesuchstellende Partei ohne genügende Entschuldigung nicht zur Verhandlung, so gilt das Gesuch als zurückgezogen.
2 Wenn die Gegenpartei unentschuldigt bei der Verhandlung ausbleibt, entscheidet das Mietamt in den gesetzlich vorgesehenen Fällen aufgrund der Vorbringung der anwesenden Partei, der vorgelegten Unterlagen und der allfällig vom Mietamt vorgenommenen Beweisergänzungen. In den übrigen Fällen stellt es das Nichtzustandekommen der Einigung fest.
Art. 26
Wiedereinsetzung
1 Die Wiedereinsetzung richtet sich nach den Artikeln 288 ff. ZPO [BSG 271.1]
2 Die Frist zur Einreichung eines Wiedereinsetzungsgesuches beim Mietamt beträgt zehn Tage.
3 Zur Behandlung des Gesuches werden die Parteien zu einer neuen Verhandlung vorgeladen.
4 Wird dem Gesuch entsprochen, ist sogleich in der Sache weiter zu verhandeln. V. Schluss- und Übergangsbestimmungen
Art. 27
Übergangsrecht
Das Dekret findet auch Anwendung auf die im Zeitpunkt des Inkrafttretens vor einem Mietamt hängigen Schlichtungsverfahren.
Art. 28
Aufhebung von Erlassen Folgende Erlasse werden aufgehoben:
1. Verordnung vom 18. August 1971 über die Mietämter (BSG 222.131.1),
2. Verordnung vom 4. Juli 1990 betreffend die Einführung des neuen Miet- und Pachtrechtes (Titel
8 und 8 bis OR, Änderung vom 15. Dezember 1989) (222.131.2).
Art. 29
Inkrafttreten
1 Der Regierungsrat bestimmt den Zeitpunkt des Inkrafttretens.
2 Das Inkrafttreten kann zeitlich gestaffelt erfolgen. Bern, 16. März 1995 Marthaler Nuspliger RRB 2348 vom 6. September 1995: Inkraftsetzung auf den 1. Januar 1997 Anhang Änderungen
16. 3. 1995 D BAG 95-70, in Kraft am 1. 1. 1997
Feedback