Vertrag (0.353.913.61)
CH - Schweizer Bundesrecht

Vertrag

zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Bundesrepublik Deutschland über die Ergänzung des Europäischen Auslieferungsübereinkommens vom 13. Dezember 1957 und die Erleichterung seiner Anwendung Abgeschlossen am 13. November 1969 Von der Bundesversammlung genehmigt am 11. März 1971² Ratifikationsurkunden ausgetauscht am 22. März 1976 In Kraft getreten am 1. Januar 1977 (Stand am 13. Mai 2003) ¹ Der Originaltext des Vertrages enthält für Begriffe, bei denen der Sprachgebrauch beider Staaten auseinandergeht, sowohl die in Deutschland als auch die in der Schweiz gebräuchlichen Ausdrücke. Die der Bundesversammlung zur Genehmigung vorgelegte Fassung enthielt nur die in der Schweiz gebräuchlichen Bezeichnungen. In der vorliegenden Wiedergabe sind die in Deutschland verwendeten Bezeichnungen in Fussnoten beigefügt. ² Abs. 1 Ziff. 1 des BB vom 11. März 1971 ( AS 1977 85 )
Der Schweizerische Bundesrat und der Präsident der Bundesrepublik Deutschland
in dem Wunsch, die Anwendung des Europäischen Auslieferungsübereinkommens³ zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Bundesrepublik Deutsch­land zu erleichtern und die in diesem Übereinkommen vorgesehene Regelung der Auslieferung zu ergänzen,
sind übereingekommen, einen Vertrag zu schliessen und haben hierfür zu ihren Bevollmächtigten ernannt:
(Es folgen die Namen der Bevollmächtigten)
Die Bevollmächtigten haben nach Austausch ihrer in guter und gehöriger Form befundenen Vollmachten nachstehende Bestimmungen vereinbart:
³ SR 0.353.1
Art. I (Zu Artikel 1des Europäischen Auslieferungsübereinkommens ⁴ , im folgenden als Übereinkommen bezeichnet)
¹ Entscheidet über den Widerruf der bedingten Entlassung oder die Anordnung des weiteren Vollzugs einer Strafe oder sichernden Massnahme*) nach dem Recht eines oder beider Staaten eine Verwaltungsbehörde, so stehen deren Anordnungen dem Widerruf oder der Vollzugsanordnung durch eine Justizbehörde im Sinne des Arti­kels 1 des Übereinkommens gleich.

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in der Bundesrepublik: Massregel der Sicherung und Besserung

² Bei Minderjährigen, die zur Zeit der Tat noch nicht das 18. Lebensjahr vollendet und im Hoheitsgebiet des ersuchten Staates ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, prüfen die Justizbehörden, ob eine Auslieferung die Entwicklung oder Resozialisie­rung des Minderjährigen gefährden würde und daher von ihr abgesehen werden soll. Gegebenenfalls werden sich die zuständigen Behörden der beiden Staaten über die erforderlichen Massnahmen verständigen.
⁴ SR 0.353.1
Art. II (Zu Artikel 2 des Übereinkommens)
¹ Eine Auslieferung wird auch gewährt, wenn das Mass einer noch zu vollstrecken­den Strafe oder sichernden Massnahme*) oder bei mehreren noch zu vollstreckenden Strafen oder sichernden Massnahmen**) deren Summe mindestens drei Monate beträgt.
² Eine Auslieferung im Sinne des Artikels 2 Ziffer 2 des Übereinkommens wird auch wegen Handlungen gewährt, für die sie nach dem Recht eines oder beider Staaten sonst nicht zulässig wäre, insbesondere wenn die Handlungen nur mit einer Geld­strafe oder einer Geldbusse bedroht sind. Die Auslieferung im Sinne dieses Absatzes ist nur zusätzlich zu einer Auslieferung nach Artikel 2 Ziffer 1 des Übereinkommens zulässig und kann gleichzeitig mit ihr oder nachträglich gewährt werden. Artikel 3 bis 5 des Übereinkommens bleiben unberührt.
³ Die ohne Durchführung einer Hauptverhandlung erlassene rechtskräftige Entschei­dung einer Justiz‑ oder Verwaltungsbehörde steht einem Strafurteil gleich.
Art. III (Zu Artikel 7 Ziffer 1 und Artikel 8 des Übereinkommens)
¹ Der ersuchte Staat ist aufgrund dieses Vertrages berechtigt, die Auslieferung wegen Handlungen zu bewilligen, die auch seiner Gerichtsbarkeit unterliegen, wenn der Verfolgte wegen anderer strafbarer Handlungen ausgeliefert wird und seine gleichzeitige Aburteilung durch eine Justizbehörde des ersuchenden Staates ange­bracht erscheint. Das gilt auch für Nachtragsersuchen um Zustimmung zur weiteren Strafverfolgung.
² Unter den Voraussetzungen des Absatzes 1 ist der ersuchte Staat aufgrund dieses Vertrages ferner berechtigt, wegen strafbarer Handlungen, die auch seiner Gerichts­barkeit unterliegen, einer Weiterlieferung zuzustimmen. Hat einer der beiden Staaten einen dritten Staat um die Auslieferung eines eigenen Staatsangehörigen wegen einer Handlung ersucht, die auch der Gerichtsbarkeit des andern Staates unterliegt, so ist dieser berechtigt, anstatt den dritten Staat um Auslieferung den Heimatstaat um Übernahme der Strafverfolgung zu ersuchen.
Art. IV (Zu Artikel 10 des Übereinkommens)
¹ Die Auslieferung darf nicht mit der Begründung abgelehnt werden, dass die Straf-

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in der Bundesrepublik: Massregel der Sicherung und Besserung

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in der Bundesrepublik: Massregel der Sicherung und Besserung

verfolgung oder die Strafvollstreckung nach den Rechtsvorschriften des ersuchten Staates verjährt ist.⁵
² ...⁶
³ Eine im ersuchten Staat erlassene Amnestie steht der Auslieferung nicht entgegen, wenn die strafbare Handlung der Gerichtsbarkeit dieses Staates nicht unterliegt.
⁴ Die Verpflichtung zur Auslieferung wird durch das Fehlen eines Strafantrages oder einer Ermächtigung, die nur nach dem Recht des ersuchten Staates erforderlich sind, nicht berührt.
⁵ Fassung gemäss Art. 1 Ziff. 1 des Vertrages vom 8. Juli 1999, genehmigt von der BVers am 26. Sept. 2000 und in Kraft seit 1. März 2002 ( AS 2003 1024 , 2002 2730 Art. 1 Abs. 1 Bst. c; BBl 2000 862 ).
⁶ Aufgehoben durch Art. 1 Abs. 2 des Vertrages vom 8. Juli 1999 und genehmigt von der BVers am 26. Sept. 2000 ( AS 2003 1024 , 2002 2730 Art. 1 Abs. 1 Bst. c; BBl 2000 862 ).
Art. V (Zu Artikel 12 des Übereinkommens)
¹ Unbeschadet des diplomatischen Weges erfolgt der Schriftverkehr
a) in Auslieferungssachen zwischen dem Bundesamt für Justiz⁷ des Eidgenös­sischen Justiz‑ und Polizeidepartementes einerseits und dem Bundesminister der Justiz oder den Justizministerien der Länder (Landesjustiz­verwaltungen) der Bundesrepublik Deutschland andererseits;
b) in Durchlieferungssachen zwischen dem Bundesamt für Justiz des Eidgenös­sischen Justiz‑ und Polizeidepartementes einerseits und dem Bundesminister der Justiz der Bundesrepublik Deutschland andererseits.
² In den Fällen des Artikels II Absatz 2 dieses Vertrages kann dem Ersuchen an Stelle eines Haftbefehls oder einer gleichwertigen Urkunde im Sinne des Artikels 12 Ziffer 2 Buchstabe a des Übereinkommens die Urschrift oder eine beglaubigte Abschrift einer richterlichen Urkunde beigefügt werden, aus der sich der dringende Tatverdacht ergibt. Das gleiche gilt in allen Fällen, in denen der Verfolgte bereits ausgeliefert worden ist und der Staat, der ihn ausgeliefert hat, um die Zustimmung zur weiteren Strafverfolgung ersucht wird.
⁷ Die Bezeichnung der Verwaltungseinheit wurde gemäss Art. 4a der Publikationsverordnung vom 15. Juni 1998 ( SR 170.512.1 ) angepasst. Die Anpassung wurde im ganzen Text vorgenommen.
Art. VI (Zu Artikel 14 des Übereinkommens)
¹ Die bedingte Freilassung ohne Anordnung einer die Bewegungsfreiheit des Aus­gelieferten beeinträchtigenden Massnahme steht seiner endgültigen Freilassung gleich.
² Der ersuchte Staat verzichtet auf die Einhaltung der in Artikel 14 des Überein­kommens festgelegten Beschränkungen, wenn sich der Verfolgte zu Protokoll einer Justizbehörde durch eine unwiderrufliche Erklärung nach Belehrung über deren Rechtswirkungen mit der uneingeschränkten Strafverfolgung oder Strafvollstreckung einverstanden erklärt.
³ Nach der Auslieferung kann diese Erklärung nur zu Protokoll eines Richters abge­geben werden. Eine als richtig bescheinigte Abschrift oder Kopie der Erklärung ist dem ersuchten Staat zu übermitteln.
⁴ Die Vollstreckung von sichernden Massnahmen*), die auch als Folge nicht auslie­ferungsfähiger strafbarer Handlungen verhängt wurden, unterliegt nicht den Beschränkungen des Artikels 14 des Übereinkommens, sofern diese Massnahmen in der Bundesrepublik: Massregeln allein schon wegen der strafbaren Handlungen angeordnet worden wären, derentwegen eine Auslieferung zulässig ist.
Art. VII (Zu Artikel 17 des Übereinkommens)
Ersuchen einer der beiden Staaten und ein dritter Staat den andern Staat zugleich um Auslieferung und wird einem dieser Ersuchen der Vorzug gegeben, so wird der ersuchte Staat mit der Entscheidung über das Auslieferungsersuchen den ersuchenden Staaten mitteilen, inwieweit er einer etwaigen Weiterlieferung des Verfolgten aus dem Staat, an den er ausgeliefert wird, an den anderen ersuchenden Staat zustimmt.
Art. VIII (Zu Artikel 19 des Übereinkommens)
¹ Dem Ersuchen, einen Verfolgten zur Durchführung bestimmter Prozesshandlungen, insbesondere der Hauptverhandlung, vorübergehend zu übergeben, wird entsprochen, sofern dadurch das Strafverfahren des ersuchten Staates nicht beeinträchtigt wird. Unverzüglich nach Durchführung dieser Prozesshandlungen oder auf Anforderung durch den ersuchten Staat gibt der ersuchende Staat den Verfolgten ohne Rücksicht auf dessen Staatsangehörigkeit zurück.
² Für die Dauer des Aufenthalts in seinem Hoheitsgebiet hat der ersuchende Staat den Verfolgten in Haft zu halten. Die Haftzeit zwischen dem Verlassen des Hoheits­gebietes des ersuchten Staates und der Rückkehr des Verfolgten in dieses Gebiet wird auf die in dem ersuchten Staat zu verhängende oder zu vollstreckende Strafe angerechnet, es sei denn, dass im Einzelfall aus besonderen Gründen etwas anderes vereinbart wird.
³ Jeder Staat trägt die in Anwendung dieses Artikels auf seinem Hoheitsgebiet ent­stehenden Kosten.
Art. IX (Zu Artikel 20 des Übereinkommens)
¹ Der ersuchte Staat gibt in den Fällen des Artikels 20 Ziffern 1 und 2 des Überein­kommens zugleich mit der Mitteilung der Sicherstellung von Gegenständen bekannt, ob der Verfolgte mit deren unmittelbaren Rückgabe an den Geschädigten einver­standen ist. Der ersuchende Staat teilt dem ersuchten Staat so bald als möglich mit,

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in der Bundesrepublik: Massregel der Sicherung und Besserung

ob auf die Herausgabe der Gegenstände unter der ausdrücklichen Voraussetzung verzichtet wird, dass sie gegen Vorweis einer Freigabebescheinigung der namentlich aufgeführten Strafverfolgungsbehörde dem Eigentümer oder sonst Berechtigten oder einem von diesen Beauftragten ausgehändigt werden.
² Die in Artikel 20 Ziffer 1 des Übereinkommens bezeichneten Gegenstände sowie gegebenenfalls das durch ihre Verwertung erlangte Entgelt werden auch ohne besonderes Ersuchen, wenn möglich gleichzeitig mit dem Verfolgten, übergeben.
³ Von der Herausgabe von Gegenständen, die der ersuchende Staat nicht benötigt, kann jedoch abgesehen werden, wenn eine an der strafbaren Handlung nicht betei­ligte Person Rechte an ihnen geltend macht und ihre Ansprüche weder befriedigt noch sichergestellt worden sind.
⁴ Der ersuchende Staat ist berechtigt, von der in Artikel 20 Ziffer 4 des Überein­kommens vorgesehenen Rückgabe von Gegenständen an den ersuchten Staat abzu­sehen, wenn in diesem Staat keine Rechte an diesen Gegenständen geltend gemacht werden.
⁵ Ein Zollpfandrecht oder eine sonstige dingliche Haftung nach den Vorschriften des Zoll‑ oder Steuerrechts wird der ersuchte Staat bei der Herausgabe von Gegenstän­den unter Verzicht auf deren Rückgabe nicht geltend machen, es sei denn, dass der durch die strafbare Handlung geschädigte Eigentümer der Gegenstände die Abgabe selbst schuldet.
Art. X (Zu Artikel 21 des Übereinkommens)
¹ Für die Dauer der Durchlieferung hat der darum ersuchte Staat den Verfolgten in Haft zu halten.
² Während der Durchlieferung wird jeder Staat gegen eine von dem anderen Staat an einen dritten Staat auszuliefernde Person wegen Handlungen, die vor der Durchlie­ferung begangen wurden, ohne die Zustimmung des ausliefernden Staates weder Strafverfolgungsmassnahmen noch die Vollstreckung eines Urteils anordnen.
³ Soll der Verfolgte auf dem Luftweg ohne Zwischenlandung durch das Hoheits­gebiet eines der beiden Staaten befördert werden, so teilt der ersuchende Staat auch mit, dass nach den ihm bekannten Tatsachen und den in seinem Besitz befindlichen Unterlagen der Verfolgte weder die Staatsangehörigkeit des ersuchten Staates besitzt noch diese für sich in Anspruch nimmt.
⁴ Während der Durchlieferung auf dem Luftweg kann der Verfolgte von ausländi­schen Beamten begleitet werden. Bei einer Zwischenlandung auf dem Hoheitsgebiet des ersuchten Staates treffen ausschliesslich dessen Behörden die erforderlichen Massnahmen.
Art. XI (Zu Artikel 23 des Übereinkommens)
Auslieferungsersuchen und sonstige Schriftstücke werden in der Sprache des ersu­chenden Staates abgefasst. Übersetzungen können nicht gefordert werden.
Art. XII (Zu Artikel 31 des Übereinkommens)
Kündigt eine der Vertragsparteien das Übereinkommen, so bleibt es zwischen ihnen weiterhin, zunächst für zwei Jahre, in Kraft. Diese Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, zu dem die Kündigung gegenüber den anderen Parteien des Übereinkommens wirk­sam wird. Sie gilt stillschweigend für jeweils ein Jahr erstreckt*), es sei denn, dass eine der Vertragsparteien der andern sechs Monate vor dem Ablauf der Frist schrift­lich mitteilt, sie stimme einer weiteren Erstreckung**) nicht zu.
Art. XIII
Dieser Vertrag gilt auch für das Land Berlin, sofern nicht die Regierung der Bundes­republik Deutschland gegenüber dem Schweizerischen Bundesrat innerhalb von drei Monaten nach Inkrafttreten des Vertrages eine gegenteilige Erklärung abgibt.
Art. XIV
¹ Dieser Vertrag bedarf der Ratifikation; die Ratifikationsurkunden sollen so bald wie möglich in Bern ausgetauscht werden.
² Dieser Vertrag tritt einen Monat nach Austausch der Ratifikationsurkunden in Kraft, sofern in diesem Zeitpunkt das Europäische Auslieferungsübereinkommen für beide Parteien des vorliegenden Vertrages verbindlich ist, andernfalls zugleich mit diesem Übereinkommen.
³ Dieser Vertrag kann jederzeit schriftlich gekündigt werden; er tritt sechs Monate nach der Kündigung ausser Kraft. Er tritt auch ohne besondere Kündigung in dem Zeitpunkt ausser Kraft, in dem das Europäische Auslieferungsübereinkommen zwi­schen den Parteien des vorliegenden Vertrages unwirksam wird.

Unterschriften

Zu Urkund dessen haben die Bevollmächtigten diesen Vertrag unterschrieben und mit ihren Siegeln versehen.
Geschehen zu Bonn, am 13. November 1969, in zwei Urschriften in deutscher Sprache.

Für die
Schweizerische Eidgenossenschaft:

Hans Lacher

Für die
Bundesrepublik Deutschland:

Duckwitz
H. Maassen

*)

in der Bundesrepublik: verlängert

**)

in der Bundesrepublik: Verlängerung

Bemerkungen

Anlässlich der Verhandlungen vom 21. bis 25. März 1966 in Bonn und vom 20. Fe­bruar bis 2. März 1967 in Bern über den Abschluss eines Vertrages zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Bundesrepublik Deutschland über die Ergänzung des Europäischen Auslieferungsübereinkommens vom 13. Dezember 1957 und die Erleichterung seiner Anwendung haben die beiden Delegationen ihren Beratungen folgende Erwägungen zugrunde gelegt und Besonderheiten der beste­henden und durch den Vertrag geschaffenen Rechtslage im Interesse der einheit­lichen Anwendung des Übereinkommens und dieses Vertrages festgehalten.

Allgemeines:

a) Zu den auslieferungsfähigen strafbaren Handlungen gehören alle Arten der Teilnahme sowie der Versuch, sofern sie nach dem Recht beider Staaten mit Strafe bedroht sind.
b) Deutscher im Sinne des Artikels 6 Ziffer 1 des Übereinkommens ist jeder, der die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt oder dem die deutschen Gesetze die Rechtsstellung eines deutschen Staatsangehörigen zuerkennen (Artikel 116 Absatz 1 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland vom 23. Mai 1949).

Zu Art. I

Die bedingte Entlassung aus dem Vollzug einer Strafe oder einer sichernden Mass­nahme (Massregel der Sicherung und Besserung) im Sinne des Artikels 25 des Übereinkommens und deren Widerruf sowie die Anordnung des weiteren Vollzugs der Strafe oder Massnahme können nach schweizerischem Recht einer Verwal­tungsbehörde übertragen sein, die nicht zu den Justizbehörden im Sinne des Über­einkommens gehört. Wird daher die Auslieferung aufgrund einer Entscheidung ver­langt, die eine solche Behörde im Rahmen ihrer gesetzlichen Zuständigkeit getroffen hat, so gilt dieses Ersuchen als ein von einer Justizbehörde im Sinne von Artikel 1 des Übereinkommens gestelltes Ersuchen.

Zu Art. II

a) Ist die Dauer einer noch zu vollstreckenden sichernden Massnahme (Mass­regel der Sicherung und Besserung), einer Jugendstrafe oder einer sonstigen strafrechtlichen Massnahme gegen Jugendliche unbestimmt, so wird in den Unterlagen des Ersuchens zu bestätigen sein, dass dem Verfolgten nach sei­ner Auslieferung während mindestens drei Monaten die Freiheit entzogen wird.
b) Nach Artikel 3 des schweizerischen Bundesgesetzes vom 22. Januar 1892⁸ betreffend Auslieferung gegenüber dem Ausland ist die Auslieferung nur wegen bestimmter dort näher bezeichneter Handlungen zulässig. Es lässt je­doch die Möglichkeit zu, im Rahmen der akzessorischen Auslieferung auch wegen Handlungen auszuliefern, die für sich allein betrachtet nicht ausliefe­rungsfähig sind. Wegen der zunehmenden Bedeutung der Zuwiderhandlun­gen gegen Strassenverkehrsvorschriften ist die akzessorische Auslieferung auch auf Handlungen ausgedehnt worden, die nur mit Geldstrafe oder Geld­busse bedroht sind.
c) Welche Behörden nach schweizerischem Recht als Justizbehörden anzuse­hen sind, ergibt sich aus der schweizerischen Erklärung zu Artikel 1 des Europäischen Übereinkommens vom 20. April 1959⁹ über die Rechtshilfe in Strafsachen.
⁸ [BS 3 509. AS 1982 846 Art. 109 Abs. 1]. Siehe heute das Rechtshilfegesetz vom 20. März 1981 ( SR 351.1 ).
⁹ SR 0.351.1

Zu Art. IV

a) Nach Artikel 72 Ziffer 2 bzw. Artikel 75 Absatz 1 des Schweizerischen Strafgesetzbuches¹⁰ wird die Verjährung der Strafverfolgung und Strafvoll­streckung nicht nur durch richterliche Handlungen, sondern auch durch bestimmte Handlungen der Strafverfolgungs­und Strafvollstreckungsbehörden unterbrochen.
b) Ein Abwesenheitsurteil ist rechtskräftig, wenn es mit ordentlichen Rechts­mitteln nicht mehr angefochten werden kann.
c) Eine Amnestie im ersuchten Staat steht der Auslieferung nur dann entgegen, wenn der ersuchte Staat wegen der dem Auslieferungsersuchen zugrunde liegenden strafbaren Handlungen einen eigenen Strafanspruch und nicht nur einen Strafanspruch aufgrund stellvertretender Strafrechtspflege hatte.
¹⁰ SR 311.0

Zu Art. VI

a) Die von dem Verfolgten bzw. bereits Ausgelieferten abzugebende Erklärung wirkt für alle strafbaren Handlungen, die ihm zur Last gelegt werden können oder derentwegen er verurteilt worden ist. Er wird demgemäss so behandelt, als habe er sich freiwillig gestellt.
b) Richter im Sinne des Absatzes 3 sind in der Schweiz je nach kantonalem Recht die Untersuchungsrichter und die mit richterlichen Aufgaben betrau­ten Amtspersonen.
c) Hat der Ausgelieferte einen Verteidiger, so soll dieser zu der richterlichen Anhörung zugezogen werden.

Zu Art. VII

Die Regelung dient ausschliesslich der Erleichterung des Auslieferungsverkehrs im Verhältnis zwischen der Schweiz und der Bundesrepublik Deutschland. Ein an dem Verfahren beteiligter dritter Staat kann aus ihr keine Rechte herleiten.

Zu Art. VIII

a) Unter den Begriff «Prozesshandlungen» im Sinne des Absatzes 1 fallen in der Regel nur Massnahmen, die der Strafverfolgung dienen. Die Vorschrift wird nur in Ausnahmefällen die vorübergehende Übergabe zum Zwecke der Strafverbüssung rechtfertigen.
b) Die schweizerische Delegation ist über die Entscheidung des Bundes­gerichtshofs unterrichtet worden, wonach das Verbot der Auslieferung deut­scher Staatsangehöriger in Artikel 16 Absatz 2 Satz 1 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland der Rücklieferung eines den deutschen Behörden übergebenen deutschen Staatsangehörigen in das Ausland nicht ent­gegensteht (BGH ST 5, 393). Dagegen habe das Bundesverfassungs­gericht diese Frage noch nicht entschieden.¹¹*)
c) Absatz 2 Satz 2 verfolgt u. a. den Zweck zu vermeiden, dass ein Beschul­digter, der im ersuchenden Staat freigesprochen wird, Nachteile durch die dort verbrachte Haftzeit erleidet. Als besonderer Grund im Sinne dieser Bestimmung ist z. B. die vorübergehende Übergabe zur Vollstreckung einer Strafe anzusehen.
¹¹*) Die Bemerkung unter Buchstabe b zu Artikel VIII ist durch den Entscheid des Bundesverfassungsgerichts vom 13. Oktober 1970 gegenstandslos geworden, wonach Artikel 16 Absatz 2 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland der Rücklieferung nicht entgegensteht.

Zu Art. IX

a) Bei der in Absatz 3 getroffenen Regelung wurde davon ausgegangen, dass Gegenstände grundsätzlich nur dann herauszugeben sind, wenn sie wirklich von dem ersuchenden Staat benötigt werden. Auf jeden Fall stellt die Bestimmung sicher, dass durch die Herausgabe von Gegenständen, die im ersu­chenden Staat nicht als Beweismittel benötigt werden, weder die Rechtslage des Gewahrsaminhabers erschwert noch ein strafrechtliches Interesse des er­suchten Staates beeinträchtigt werden.
b) Die Absätze 1, 3 und 4 enthalten keine ausschliessliche Regelung, da nicht alle denkbaren Fälle erfasst werden können. Sie sollen vielmehr darauf hin­weisen, dass bei der Anwendung des Artikels 20 des Übereinkommens in der Praxis den Umständen des Einzelfalles Rechnung zu tragen ist. Die Bestimmungen beruhen auf der Erwägung, dass eine Herausgabe oder eine Rückgabe von Gegenständen jedenfalls dann unterbleiben sollte, wenn eine solche Massnahme eindeutig nicht sinnvoll wäre. Sie sind nicht anzuwenden auf Beweisstücke, die nicht durch eine strafbare Handlung erlangt worden sind.

Zu Art. X

a) Nach schweizerischem Recht ist es erforderlich, in den Vertrag einen selb­ständigen Haftgrund aufzunehmen.
b) Die in Artikel 21 Ziffer 4 des Übereinkommens und Artikel X Absatz 3 die­ses Vertrages vorgesehenen Mitteilungen sollten möglichst nicht später als fünf Tage vor der beabsichtigten Durchbeförderung bei dem ersuchten Staat eingehen.

Zu Art. XI

In einigen Kantonen der Schweiz ist die französische oder die italienische Sprache Amtssprache. Auslieferungsersuchen und sonstige Schriftstücke aus diesen Kanto­nen sind daher in einer dieser Sprachen abgefasst.

Zu Art. XII und Art. XIV Absatz 3

Die Kündigung des Übereinkommens kann aus Gründen erfolgen, die nicht seinen Inhalt betreffen. Für diese Fälle, aber auch im Interesse der Vermeidung eines ver­tragslosen Zustandes ist die befristete Weitergeltung des Inhalts des Übereinkom­mens im Verhältnis zwischen der Schweiz und der Bundesrepublik Deutschland vorgesehen worden. Da die Weitergeltung des Ergänzungsvertrages für sich allein keinen Sinn haben würde, ist vorgesehen worden, dass dieser Vertrag auch ohne Kündigung ausser Kraft tritt, wenn das Übereinkommen zwischen den beiden Ver­tragsparteien unwirksam wird.
Bern und Bonn, den 11. April 1969

Der Leiter
der schweizerischen Delegation:

O. Schürch

Der Leiter
der deutschen Delegation:

D. Grützner

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