Dekret über die Leitsätze der kantonalen Energiepolitik
741.21
21. August 1990 Dekret über die Leitsätze der kantonalen Energiepolitik Der Grosse Rat des Kantons Bern, gestützt auf Artikel 6 Absatz 3 des Energiegesetzes vom 14. Mai 1981 [BSG 741.1] nach Kenntnisnahme des Zweiten Energieberichts des Regierungsrates vom 2. Mai 1990, auf Antrag des Regierungsrates, beschliesst:
1. Allgemeine Ziele und Energieplanung
1.1 Die kantonale Energiepolitik strebt folgende Ziele an: Förderung einer wirtschaftlichen, vielseitigen, ausreichenden und umweltschonenden Energieversorgung; mittelfristig, d. h. bis 2005, eine Stabilisierung des Gesamtenergieverbrauchs; Minimierung der Umwelteinflüsse aus Energieerzeugung und Energieeinsatz; vielseitige und breit abgestützte Energieproduktion, Erhöhung des Anteils einheimischer und erneuerbarer Energien; wirtschaftliche Optimierung von Energieerzeugung und Energieeinsatz.
1.2 In allen Bereichen der kantonalen, regionalen und kommunalen Tätigkeiten ist eine möglichst sparsame und rationelle Energienutzung und -versorgung anzustreben. Besondere Beachtung ist der Koordination zwischen Energiepolitik, Wirtschaftspolitik, Umweltpolitik, Verkehrspolitik, Raumplanung und Finanzpolitik zu schenken.
1.3 Der Kanton unterstützt die Umsetzung der Leitsätze auf regionaler und kommunaler Ebene.
2. Grundsätze zur Energienutzung a) Allgemeine Grundsätze
2.1 Für Neubauten und Sanierungen soll der Regierungsrat die SIA-Empfehlung 180/1 (angepasst) möglichst rasch für verbindlich erklären. Auf den 1. Januar 1992 sollen sodann die Zielwerte der SIA-Empfehlung 380/1 («Energie im Hochbau») für verbindlich erklärt werden (Revision der Energieverordnung).
2.2 Die Entwicklung der SIA-Empfehlung 382/3 («Bedarfsermittlung von lüftungstechnischen Anlagen») ist zu verfolgen. Sobald die Empfehlung vom SIA verabschiedet ist, kann sie der Regierungsrat für verbindlich erklären.
2.3
100 Prozent der Investitionskosten für Wärmedämm-Massnahmen an bestehenden Bauten sollen bei den Einkommenssteuern innert angemessener Frist als Unterhaltskosten ungeachtet der Besitzesdauer abziehbar sein.
2.4 Der Kanton klärt durch eine Untersuchung ab, inwieweit die energietechnischen Vorschriften im Baubereich in der Praxis eingehalten werden. Wenn diese Untersuchung zeigt, dass bei der Überprüfung des Energietechnischen Massnahmennachweises oder bei der Baukontrolle Mängel bestehen, ist der Vollzug im Rahmen des Baubewilligungsverfahrens wirksamer zu gestalten.
2.5 Durch eine Revision des Energiegesetzes und der Energieverordnung wird die gesetzliche Grundlage für die rationelle Elektrizitätsnutzung in Gebäuden und Anlagen geschaffen. Die Entwicklung der SIA-Empfehlung 380/4 («Elektrizität im Hochbau») ist zu verfolgen. Sobald die Empfehlung vom SIA verabschiedet ist, kann sie vom Regierungsrat für verbindlich erklärt werden. b) Verhalten des Kantons und der Gemeinden
2.6 Kanton und Gemeinden sorgen in ihren Gebäuden und Anlagen sowie bei der Durchführung von Architekturwettbewerben für eine rationelle Energienutzung und den sinnvollen Einsatz erneuerbarer Energien, so dass die öffentlichen Gebäude und Anlagen als Vorbilder für Private dienen. Die entsprechenden Vorschriften der Energiegesetzgebung sollen sich auf den gesamten Energiehaushalt beziehen und auch für staatlich subventionierte Gebäude und Anlagen sowie für Staatsanstalten Anwendung finden (Revision des Energiegesetzes).
2.7 Das 1987 eingeleitete Programm zur energietechnischen Sanierung der kantonalen Gebäude wird weitergeführt. Dafür ist ein Betrag in der Grössenordnung von jährlich 5 Mio. Franken erforderlich (Kredit Hochbauamt).
2.8 Für kantonale Gebäude soll der Regierungsrat die Zielwerte der SIA-Empfehlung 380/1 («Energie im Hochbau») auf den 1. Juni 1991 für verbindlich erklären.
2.9 Die Direktion für Bau, Verkehr und Energie [Fassung vom 24. 3. 1993] ist für die Koordination bei der energietechnischen Sanierung der kantonalen Gebäude verantwortlich. Sie bereitet bis Ende 1990 zusammen mit den betroffenen Direktionen Richtlinien über die Verantwortlichkeiten in allen energierelevanten Bereichen (Bau, Betrieb, Unterhalt, Statistik, Ausbildung usw.) vor.
2.10 Die erforderlichen finanziellen Mittel für Pilotprojekte in kantonalen Gebäuden und Anlagen sind in die Budgets der zuständigen Ämter aufzunehmen und separat auszuweisen.
2.11 Mit einer Pilotuntersuchung soll die Ausbildung von Fachleuten im Elektrizitätsbereich in Zusammenarbeit mit den entsprechenden Fachverbänden verbessert und koordiniert werden. Mit einem Gesamtkredit von 250 000 Franken sollen einige öffentliche Gebäude als Ausbildungsmodelle detailliert untersucht und anschliessend saniert werden, wobei eine Erfolgskontrolle durchzuführen ist.
3. Grundsätze zur Energieversorgung a) Tarifgrundsätze zu den leitungsgebundenen Energien
3.1 Gestützt auf die «Empfehlungen für Tarife von leitungsgebundenen Energien sowie für Anschlussbedingungen von Eigenerzeugern» des Eidgenössischen Verkehrs- und Energiewirtschaftsdepartements vom 31. Mai 1989 sollen Tarifgrundsätze geprüft werden. b) Erdölversorgung
3.2 Der Verbrauch von Erdöl soll möglichst gering gehalten werden, damit die vom Bundesrecht verlangten Grenzwerte für Luftschadstoffe eingehalten und zudem eine substantielle Reduktion der CO 2Belastung erreicht werden kann. Zu diesem Zwecke sollen die kantonalen Handlungsmöglichkeiten insbesondere in den Bereichen Verkehr, Raumwärme und Prozessenergie voll ausgeschöpft werden.
3.3 Energieverbrauch und Umweltbelastung durch den Verkehr sollen möglichst gering gehalten werden. Der Regierungsrat wird beauftragt, die erforderlichen Massnahmen vorzubereiten, wobei insbesondere die Verkehrsteilung in den Agglomerationen zugunsten des öffentlichen Verkehrs verschoben werden soll. Die Strassenverkehrsabgaben (Motorfahrzeugsteuern) sind aufgrund des Energieverbrauchs und der Umweltbelastung der Fahrzeuge zu gestalten. c) Erdgasversorgung
3.4 Die Erdgasversorgung fällt in die Zuständigkeit der Gemeinden. Der Kanton kann die Versorgung weiterer Regionen finanziell unterstützen, sofern die Projekte den regionalen und kommunalen Energiekonzepten entsprechen.
3.5 Der Staat fördert die Suche nach Erdgasvorkommen im Kanton. Im Falle einer Fündigkeit sorgt er dafür, dass die energiepolitischen Ziele des Kantons (insbesondere längerfristige Ausbeutung des Vorkommens, Gewährleistung der bernischen Erdgasversorgung) gewahrt werden. d) Fern- und Nahwärmeversorgung
3.6 Mit dem Ausbau von Fern- und Nahwärmeversorgungen soll ein Beitrag zur Erdölsubstitution geleistet werden, indem insbesondere Abwärme und Umweltwärme besser genutzt und die Einsatzmöglichkeiten der Wärme-Kraft-Kopplung erweitert werden.
3.7 Die Versorgung mit Nah- und Fernwärme fällt in die Zuständigkeit der Gemeinden. Der Kanton berät die Gemeinden und leistet ihnen im Rahmen des Dekrets über die Staatsleistungen an die Energieversorgung und auf der Grundlage genehmigter Energiekonzepte finanzielle Unterstützung. Für die Realisierung eines Pilotprojekts wird ein Betrag von max. 2,5 Mio. Franken eingesetzt. Mit diesem Projekt soll die Rolle einer Gemeinde bei Planung, Bau und Betrieb einer Nahwärmeversorgung als Fallbeispiel dargestellt und erläutert werden.
3.8 Die Gemeinden berücksichtigen bei der Planung von Fernwärmeversorgungen das kantonale Abfall-Leitbild und prüfen die örtlichen Gegebenheiten hinsichtlich einer geothermischen Speisung.
3.9 Die Kehrichtverbrennungsanlagen sollen verpflichtet werden, die Abwärme zu konkurrenzfähigen Preisen an Fernwärmeversorgungen abzugeben (Revision des Abfall- bzw. des Energiegesetzes). e) Elektrizitätsversorgung
3.10 Der Kanton strebt durch die Förderung der rationellen Elektrizitätsverwendung reduzierte Zuwachsraten und längerfristig eine Stabilisierung des Stromverbrauchs an. Die notwendige Elektrizitätsproduktion soll primär - soweit dies mit den Erfordernissen des Umwelt- und Landschaftsschutzes vereinbar ist - aus Wasserkraft und aus dezentralen Energiequellen gewonnen werden. Die längerfristige Stabilisierung des Stromverbrauchs darf die wirtschaftliche Entwicklung des Kantons nicht gefährden. Die Elektrizitätserzeugung aus erneuerbaren Energien soll sowohl in Forschung wie in Produktion gefördert werden. Solange zur Deckung des Elektrizitätsbedarfs keine besseren Alternativen zur Verfügung stehen, wird an der Nutzung der Kernenergie festgehalten. Der Regierungsrat setzt sich dafür ein, dass das Kernkraftwerk Graben nicht als Ersatz für Kaiseraugst realisiert wird.
3.11 Die Vorteile des internationalen Stromverbunds sind weiterhin zu nutzen. Allerdings ist der rationellen Elektrizitätsverwendung und der Anpassung der inländischen Produktionskapazität der Vorrang vor weitern Strombezügen aus dem Ausland zu gehen.
3.12 Das Mitspracherecht des Kantons bei neuen Beteiligungen an ausländischen Stromproduktionsanlagen oder bei entsprechenden Bezugsverträgen soll im Rahmen der aktienrechtlichen Möglichkeiten, gegebenenfalls auch durch eine Revision des Energiegesetzes, angemessen ausgebaut werden. f) Wärme-Kraft-Kopplung (WKK)
3.13 Als Mittel zur rationellen Brennstoffnutzung, zur Erdölsubstitution und zur Diversifikation der Stromproduktion ist die gasbetriebene Wärme-Kraft-Kopplung vor allem in geeigneten Industriebetrieben verstärkt auszubauen. Beim Ausbau der Wärme-Kraft-Kopplung sind die lufthygienischen Randbedingungen des Bundes einzuhalten. Die CO 2 2 zu berücksichtigen. Finanzielle Unterstützungen des Kantons an Gemeinden, Private und Energieversorgungsunternehmen werden, gestützt auf genehmigte Energiekonzepte, in erster Linie für die Startphase eingesetzt. g) Erneuerbare/einheimische Energien
3.14 Der Kanton unterstützt die Erneuerung und den massvollen Ausbau der bestehenden Wasserkraftwerke sowie die Erstellung und Modernisierung von Kleinwasserkraftwerken unter Berücksichtigung der Erfordernisse des Umweltschutzes und der Restwassermengen. Im Anschluss an die Revision der Bundesgesetzgebung (Gewässerschutzgesetz, Wasserrechtsgesetz) wird eine Totalrevision des kantonalen Wassernutzungsgesetzes in die Wege geleitet.
3.15 Die Nutzung erneuerbarer und einheimischer Energien soll weiterhin gezielt gefördert werden. Schwerpunkte bilden dabei die Umweltwärme, die Abwärme, die Sonnenenergie sowie die Holzenergie, die insbesondere in den Berg- und Randregionen gefördert werden soll. Anlagen mit Modell- und Pioniercharakter haben den Vorrang.
100 Prozent der Investitionskosten für Wärmepumpen, für Sonnenenergie- sowie für grössere Holzenergieanlagen sollen bei den Einkommenssteuern innert angemessener Frist als Unterhaltskosten abziehbar sein. Bei Holzfeuerungsanlagen ist auch der Jahresverbrauch massgebend. Der Kanton setzt sich dafür ein, dass sich die Anschlussbedingungen (Rückliefertarife) für umweltschonende Produktionsanlagen nach den Kosten für die Beschaffung gleichwertiger Energie aus neuen Produktionsanlagen richten.
4. Flankierende Massnahmen und Vollzugsunterstützung
4.1 Das Angebot der bernischen HTLs an Energietechnologien und der Wissenstransfer zur Privatwirtschaft und zu den Energieversorgungsunternehmen werden gezielt ausgebaut. Für die Finanzierung entsprechender Projekte werden in den nächsten fünf Jahren 1,2 Mio. Franken jährlich bereitgestellt (Kredit Volkswirtschaftsdirektion).
4.2 Der Kanton fördert, abgestimmt auf die Bundesprogramme und in enger Zusammenarbeit mit den bestehenden Institutionen, die Aus-, Fort- und Weiterbildung im Energiebereich. Schwerpunkte sollen dabei bei der Professionalisierung der planenden und ausführenden Fachleute sowie in den Bereichen rationelle Energieverwendung, bauliche Erneuerung und Einsatz erneuerbarer Energien gelegt werden.
4.3 Die Energieberatung ist in Zusammenarbeit mit den Gemeinden in allen Regionen des Kantons anzubieten. Das Beratungsangebot soll zudem auf den gesamten Energiebereich (Wärme, Kälte, Klima, Kraft, Elektronik, Apparate und Beleuchtung) ausgedehnt und mit den Beratungsleistungen der Energieversorgungsunternehmen sowie Dritter koordiniert werden.
4.4 Der Information ist als zentrales und übergreifendes Element beim Vollzug der Energiepolitik grosse Beachtung zu schenken. Die Information soll den Vollzug und die Beratung wirkungsvoll unterstützen sowie die freiwilligen Bemühungen von Privaten fördern und motivieren.
4.5 Die Zusammenarbeit zwischen Staat und Energieversorgungsunternehmen ist im Rahmen der bestehenden Planungen (kommunale und regionale Energiekonzepte, Zweiter Energiebericht des Regierungsrats, Regierungsrichtlinien, Unternehmungsplanungen) weiterzuführen und zu intensivieren. Die wesentlichen staatlichen Grundsätze für die Energieversorgungsunternehmen sind im Energiegesetz allgemein gültig zu verankern.
4.6 Der Regierungsrat wird beauftragt, dem Grossen Rat darüber Bericht zu erstatten, ob die Massnahmen zur rationellen Energieverwendung und zur Förderung erneuerbarer Energien durch zweckgebundene Abgaben finanziert werden können.
4.7 Der Kanton beteiligt sich zusammen mit Regionen, Gemeinden, Energieversorgungsunternehmen und Privaten an einer neuen Organisation ausserhalb der Verwaltung, welche die Energiepolitik in den Bereichen Ausbildung, Beratung und Information wirkungsvoll unterstützen soll. Die bisher erarbeiteten Grundlagen der entsprechenden Berufs- und Fachorganisationen sollen dabei ausgenutzt werden.
4.8 Der Regierungsrat wird beauftragt, eine Erfolgskontrolle der energiepolitischen Massnahmen aufzubauen. Der Grosse Rat ist regelmässig über die Ergebnisse zu orientieren.
4.9 Der Regierungsrat wird beauftragt, sich bei den Bundesbehörden für die rasche Realisierung der in der Kompetenz des Bundes liegenden Massnahmen einzusetzen (vgl. Energiepolitisches Programm Bund/Kantone). Von besonderer Dringlichkeit sind die Festlegung von Verbrauchsstandards für elektrische Seriengeräte und für Motorfahrzeuge. Falls der Bund bei den elektrischen Geräten bis 1993 keine konkreten Massnahmen trifft, ist eine Lösung durch direkte Zusammenarbeit mit andern Kantonen in die Wege zu leiten.
5. Leitsatz-Dekret vom 10. Februar 1986 Das Dekret vom 10. Februar 1986 über die Leitsätze der kantonalen Energiepolitik wird aufgehoben.
6. Inkrafttreten Dieses Dekret tritt mit der Publikation im Amtsblatt in Kraft [24. 10. 1990] . Bern, 21. August 1990
Rychen Krähenbühl Anhang Änderungen
24. 3. 1993 V GS 1993, in Kraft am 1. 1. 1993
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