Abkommen (0.513.213.61)
CH - Schweizer Bundesrecht

Abkommen

zwischen dem Schweizerischen Bundesrat und der Regierung der Bundesrepublik Deutschland über die Zusammenarbeit im Bereich der Sicherheit des Luftraums bei Bedrohungen durch zivile Luftfahrzeuge Abgeschlossen am 24. April 2007 Von der Bundesversammlung genehmigt am 27. September 2007¹ In Kraft getreten durch Notenaustausch am 20. Mai 2008 (Stand am 20. Mai 2008) ¹ AS 2008 2931
Der Schweizerische Bundesrat und die Regierung der Bundesrepublik Deutschland,
nachfolgend die Parteien genannt,
in Anbetracht des Übereinkommens vom 19. Juni 1995² zwischen den Vertragsstaaten des Nordatlantikvertrages und den anderen an der Partnerschaft für den Frieden teilnehmenden Staaten über die Rechtsstellung ihrer Truppen (im Folgenden PfP-Truppenstatut) und des Zusatzprotokolls vom 19. Juni 1995³ zum PfP-Truppen­statut,
in Anbetracht des Abkommens vom 1. März 1996⁴ zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Schweizerischen Eidgenossenschaft über den gegenseitigen Schutz von Verschlusssachen/ klassifizierten Informationen,
in Anbetracht der Vereinbarung vom 16. Mai 2000⁵ zwischen dem Bundesministe­rium der Verteidigung der Bundesrepublik Deutschland und dem Eidgenössischen Department für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport über die Zusammen­arbeit der Luftstreitkräfte bei Übungen und in der Ausbildung,
eingedenk der strategischen Bedeutung des Luftraums für die Sicherheit jedes Staates und seiner Umgebung,
getragen von dem Willen, einen geeigneten Rahmen für die Zusammenarbeit im Bereich der Sicherheit des Luftraums bei Bedrohungen durch zivile Luftfahrzeuge festzulegen,
sind wie folgt übereingekommen:
² SR 0.510.1 ³ SR 0.510.11 ⁴ In der AS nicht veröffentlicht. ⁵ In der AS nicht veröffentlicht.
Art. 1 Begriffsbestimmungen
(1)  Im Sinne dieses Abkommens bedeutet «Gegenseitiges Interessengebiet» der Luftraum über den Gebieten der Parteien.
(2)  Im Sinne dieses Abkommens bedeutet «Bedrohung für die Sicherheit des Luftraums» ein ziviles Luftfahrzeug, bei dem aufgrund entsprechender Informationen oder auffälligen Verhaltens ein begründeter Verdacht besteht, dass es eine Gefahr für die Sicherheit des Luftraums darstellt.
(3)  «Massnahmen zur Sicherung des Luftraums», die auf Antrag der für die Sicherheit im Luftraum zuständigen Stellen zum Zwecke des Informationsaustauschs und der Informationsgewinnung durchgeführt werden, sind im Sinne dieses Abkommens die folgenden:
1. die Luftraumüberwachung;
2. die Identifizierung mithilfe technischer Mittel und die Klassifizierung;
3. die Sichtidentifizierung; und
4. das Begleiten mit Einsatzflugzeugen.
(4)  «Aufnahmepartei» ist im Sinne dieses Abkommens die Partei, in deren natio­nalem Luftraum die Ausführungsmassnahmen dieses Abkommens zum Tragen kommen.
(5)  «Entsendepartei» ist im Sinne dieses Abkommens die Partei, der das im Rahmen dieses Abkommens eingesetzte militärische Luftfahrzeug unterstellt ist.
Art. 2 Gegenstand
(1)  Dieses Abkommen hat zum Ziel, den Rahmen einer Zusammenarbeit zwischen den Parteien im Bereich der Sicherung des Luftraums gegen Bedrohungen für die Sicherheit des Luftraums festzulegen. Diese Zusammenarbeit dient dazu:
1. den systematischen Austausch von Auskünften zu fördern, die zu einer Erweiterung der Kenntnisse jeder Partei insbesondere bezüglich der all­ge­meinen Luftlagesituation beitragen;
2. die Möglichkeit zu schaffen, dass ein militärisches Luftfahrzeug zum Zwecke des Informationsaustauschs und der Informationsgewinnung in den Luftraum der jeweils anderen Partei einfliegt oder ihn durchfliegt;
3. die Reaktionszeiten und ‑möglichkeiten zu verbessern; und
4. einer illegalen Nutzung des gegenseitigen Interessengebiets im Zusammenhang mit einer Bedrohung für die Sicherheit des Luftraums mit den Massnahmen nach Artikel 1 Absatz 3 zu begegnen.
(2)  Im Rahmen dieses Abkommens bemüht sich jede Partei den Regierungsbehörden und dem Militärkommando der anderen Partei die Informationen zur Luftlage­situation zu liefern, damit die Entscheidungsträger die ihnen obliegenden Entscheidungen treffen können. Ferner bemühen sich die Parteien die Massnahmen zur Sicherung des Luftraums nach Artikel 1 Absatz 3 im Luftraum der Aufnahmepartei auf Antrag der für die Sicherheit im Luftraum zuständigen Stellen zu ergreifen. Dies bedeutet unter anderem das Bestreben,
1. die Annäherungen im Luftraum an das gegenseitige Interessengebiet der Parteien zu überwachen;
2. die Bedrohung für die Sicherheit des Luftraums auszumachen und zu bewerten; und
3. einer Bedrohung für die Sicherheit des Luftraums im gegenseitigen Interessengebiet vorzubeugen und darauf zu reagieren.
(3)  Zur Ausführung und Umsetzung der in diesem Abkommen festgelegten Zusam­menarbeit schliessen das Bundesministerium der Verteidigung und das Eid­genös­sische Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport eine technische Vereinbarung ab.
Art. 3 Austausch von Informationen
(1)  Der gegenseitige Austausch von Informationen zur allgemeinen Luftlagesitua­tion jeder Partei erfolgt auf der Grundlage der den Parteien zur Verfügung stehenden Systeme. Die Parteien tauschen nach der Vereinbarung über den gegenseitigen Schutz von Verschlusssachen/klassifizierten Informationen vom 1. März 1996 die Auskünfte und Informationen operationeller Art aus, die zu einer Erweiterung der Kenntnisse jeder Partei beitragen könnten.
(2)  Die Parteien sorgen dafür, dass die für den Einsatz nach diesem Abkommen zuständigen Organe und die jeweils zuständigen Flugverkehrskontrollstellen den gegenseitigen Daten- und Informationsaustausch sicherstellen, um die Sicherheit und Ordnung im Luftraum insbesondere in Hinblick auf die Luftfahrt zu gewähr­leisten.
Art. 4 Souveränität
Die in diesem Abkommen vorgesehene Zusammenarbeit erfolgt unter Einhaltung der Souveränität sowie der jeweiligen Befugnisse der Parteien.
Art. 5 Datenschutz
Soweit aufgrund dieses Abkommens nach Massgabe des innerstaatlichen Rechts personenbezogene Daten übermittelt werden, gelten die nachfolgenden Bestimmungen unter Beachtung der für jede Partei geltenden Rechtsvorschriften:
1. Der Empfänger unterrichtet die übermittelnde Stelle auf Ersuchen über die Verwendung der übermittelten Daten und über die dadurch erzielten Ergebnisse.
2. Die Verwendung der Daten durch den Empfänger ist nur zu den in diesem Abkommen bezeichneten Zwecken und zu den von der übermittelnden Stelle vorgesehenen Bedingungen zulässig. Die Verwendung ist darüber hinaus zulässig zur Verhütung und Verfolgung von Straftaten von erheblicher Bedeutung sowie zum Zwecke der Abwehr erheblicher Gefahren für die öffent­liche Sicherheit.
3. Die übermittelnde Stelle ist verpflichtet, auf die Richtigkeit der zu übermittelnden Daten sowie auf die Erforderlichkeit und Verhältnismässigkeit in Bezug auf den mit der Übermittlung verfolgten Zweck zu achten. Dabei sind die nach dem jeweiligen innerstaatlichen Recht geltenden Übermittlungs­verbote zu beachten. Die Übermittlung der Daten unterbleibt, wenn die über­mittelnde Stelle Grund zu der Annahme hat, dass dadurch gegen den Zweck eines innerstaatlichen Gesetzes verstossen würde oder schutzwürdige Interessen der betroffenen Personen beeinträchtigt würden. Sind Daten unrichtig oder unbefugt übermittelt worden, so ist dies dem Empfänger unverzüglich mitzuteilen. Er ist verpflichtet, die Daten unverzüglich zu berichtigen oder zu löschen.
4. Dem Betroffenen ist auf Antrag über die zu seiner Person übermittelten Informationen sowie über den vorgesehenen Verwendungszweck Auskunft zu erteilen. Eine Verpflichtung zur Auskunftserteilung besteht nicht, sofern eine Abwägung ergibt, dass das öffentliche Interesse, die Auskunft nicht zu erteilen, das Interesse des Betroffenen an der Auskunftserteilung überwiegt. Im Übrigen richtet sich das Recht des Betroffenen, über die zu seiner Person vorhandenen Daten Auskunft zu erhalten, nach dem innerstaatlichen Recht der Partei, in deren Hoheitsgebiet die Auskunft beantragt wird.
5. Wird jemand im Zusammenhang mit Datenübermittlungen nach diesem Abkommen rechtswidrig geschädigt, so haftet ihm hierfür der Empfänger nach Massgabe seines innerstaatlichen Rechts. Er kann sich im Verhältnis zum Geschädigten zu seiner Entlastung nicht darauf berufen, dass der Schaden durch die übermittelnde Stelle verursacht worden ist.
6. Soweit das für die übermittelnde Stelle geltende nationale Recht in Bezug auf die übermittelten personenbezogenen Daten besondere Löschungsfristen vorsieht, weist die übermittelnde Stelle den Empfänger darauf hin. Unabhängig von diesen Fristen sind die übermittelten personenbezogenen Daten zu löschen, sobald sie für den Zweck, für den sie übermittelt worden sind, nicht mehr erforderlich sind.
7. Die übermittelnde Stelle und der Empfänger sind verpflichtet, die Über­mittlung und den Empfang von personenbezogenen Daten aktenkundig zu machen.
8. Die übermittelnde Stelle und der Empfänger sind verpflichtet, die übermittelten personenbezogenen Daten wirksam gegen unbefugten Zugang, unbefugte Veränderung und unbefugte Bekanntgabe zu schützen.
Art. 6 Luftsicherungsmassnahmen
Zur Sicherung des Luftraums können unter Einhaltung der geltenden nationalen Regelungen zum Verhalten im Luftraum folgende Massnahmen ergriffen werden:
1. das Operieren in einem Bereitstellungsluftraum und der Überflug eines jeden militärischen Luftfahrzeugs einer der Parteien im nationalen Luftraum der anderen Partei;
2. die Nachbetankung eines jeden Luftfahrzeuges einer der Parteien auf einem Flughafen der anderen Partei und Nutzung dieser Flughäfen als mögliche Ausweichflughäfen;
3. die Luft-Luftbetankung von Flugzeugen der beiden Parteien im Luftraum einer Partei;
4. die taktische Kontrolle von Luftfahrzeugen einer der Parteien durch ein Organ der Luftraumkontrolle der anderen Partei;
5. das Mitführen von Personal und Ausrüstungen einer der Parteien an Bord eines Luftfahrzeugs der anderen Partei, sobald deren Anwesenheit zu Ein­satzzwecken gerechtfertigt ist; und
6. die in Artikel 1 Absatz 3 genannten Massnahmen im Luftraum der Aufnahmepartei, sofern ein entsprechender Antrag der für die Sicherheit im Luftraum zuständigen Stellen vorliegt.
Art. 7 Einsatz
(1)  Die für die Sicherheit im Luftraum zuständige Stelle der Aufnahmepartei beschliesst auf Antrag der für die Sicherheit im Luftraum zuständigen Stelle der Entsendepartei, wenn von einem Luftfahrzeug der Entsendepartei Massnahmen nach Artikel 1 Absatz 3 innerhalb des Luftraums der Aufnahmepartei durchgeführt werden sollen. Zuvor muss die für die Sicherheit im Luftraum zuständige Stelle der Entsendepartei dem Luftfahrzeug die Erlaubnis zum Einsatz im Luftraum der Aufnahmepartei erteilt haben.
(2)  Die Ergreifung von grenzüberschreitenden Massnahmen zur Sicherung des Luftraumes erfordert eine Koordination zwischen den zuständigen Stellen und mit Grenzübertritt einen Transfer der taktischen Kontrolle (Transfer of Authority) der Luftfahrzeuge der Parteien.
(3)  Die Parteien verpflichten sich, regelmässig grenzüberschreitende Übungen zur Sicherung des Luftraums durchzuführen. Die Leitung, Überwachung und Abstimmung der Luftraumnutzung hierfür erfolgt gemeinsam über die zuständigen Stellen.
Art. 8 Technische Sicherheit und Bewachung
(1)  Die technische Sicherheit von Materialien, Waffen, Munition, Fahrzeugen und Luftfahrzeugen, die sich im Rahmen einer in diesem Abkommen vorgesehenen Massnahme im Hoheitsgebiet der Aufnahmepartei befinden, wird durch die Entsendepartei gewährleistet.
(2)  Die Bewachung obliegt der Aufnahmepartei. Die Streitkräfte der Entsendepartei arbeiten mit der Aufnahmepartei zusammen.
Art. 9 Sicherheits- und Umweltschutzvorschriften
Die Parteien beachten die geltenden Sicherheits- und Umweltschutzvorschriften und die Sicherheitsvorschriften für Material, Waffen, Munition, Fahrzeuge und Luftfahrzeuge.
Art. 10 Untersuchung von Flugunfällen oder ‑zwischenfällen
Im Falle eines Flugunfalls oder eines Zwischenfalls im Luftraum der einen Partei, in den ein Luftfahrzeug der anderen Partei verwickelt ist und der im Zusammenhang mit Massnahmen nach diesem Abkommen steht, ist es den zivilen und beziehungsweise oder militärischen Experten dieser anderen Partei erlaubt, an der Unter­suchungskommission der Partei, auf deren Hoheitsgebiet der Unfall oder Zwischenfall stattgefunden hat, teilzunehmen.
Art. 11 Medizinische Versorgung
(1)  Die Parteien stellen im Falle schwerer Erkrankung, Verletzung oder Verwundung nach den für sie geltenden Bestimmungen die notfallmedizinische Versorgung des Personals sicher.
(2)  Die Kosten für die medizinische Versorgung nach Absatz 1 gehen bis zur Feststellung der Transportfähigkeit des Patienten zu Lasten des Aufnahmestaates. Jede weitergehende Versorgung geht zu Lasten des Entsendestaates.
Art. 12 Kosten
Jede Partei trägt die mit der Umsetzung dieses Abkommens verbundenen Kosten ihrer jeweiligen Streitkräfte. Die Kostentragungspflicht für die medizinische Versorgung richtet sich nach Artikel 11 Absatz 2.
Art. 13 Rechtsstellung der Streitkräfte
Während des Einsatzes der Streitkräfte der Parteien im Zusammenhang mit diesem Abkommen sind die Bestimmungen des Übereinkommens vom 19. Juni 1995 zwischen den Vertragsstaaten des Nordatlantikvertrages und den anderen an der Partnerschaft für den Frieden teilnehmenden Staaten über die Rechtsstellung ihrer Truppen und des Zusatzprotokolls vom 19. Juni 1995 zum Übereinkommen zwischen den Vertragsstaaten des Nordatlantikvertrages und den anderen an der Partnerschaft für den Frieden teilnehmenden Staaten über die Rechtsstellung ihrer Truppen anwendbar.
Art. 14 Schadensregulierung
Artikel I des PfP-Truppenstatuts findet in Verbindung mit Art. VIII des NATO-Truppenstatuts Anwendung.
Art. 15 Suspendierung
Jede Partei kann dieses Abkommen im Falle eines Krieges, eines Belagerungs­zustandes, einer Krise oder aus einem anderen wichtigen Grund von nationalem Interesse durch Notifizierung an die andere Partei suspendieren. Die Suspendierung kann mit sofortiger Wirkung erfolgen.
Art. 16 Schlussbestimmungen
(1)  Dieses Abkommen tritt an dem Tag in Kraft, an dem die Parteien einander notifiziert haben, dass die innerstaatlichen Voraussetzungen für das Inkrafttreten erfüllt sind. Massgebend ist der Tag des Eingangs der letzten Notifikation.
(2)  Dieses Abkommen kann durch die Parteien jederzeit einvernehmlich schriftlich geändert oder aufgehoben werden.
(3)  Dieses Abkommen gilt für eine unbestimmte Dauer. Jede Partei kann es unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von sechs (6) Monaten jederzeit durch schriftliche Notifikation an die andere Partei kündigen.
(4)  Meinungsverschiedenheiten zwischen den Parteien über die Auslegung oder Anwendung dieses Abkommens werden ausschliesslich auf dem Verhandlungswege beigelegt.
Geschehen zu Luzern am 24. April 2007 in zwei Urschriften, jede in deutscher Sprache.

Für den
Schweizerischen Bundesrat:

Für die Regierung der
Bundesrepublik Deutschland:

Samuel Schmid

Franz Josef Jung

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