Zusatzprotokoll zum Europäischen Auslieferungsübereinkommen (0.353.11)
CH - Schweizer Bundesrecht

Zusatzprotokoll zum Europäischen Auslieferungsübereinkommen

Abgeschlossen in Strassburg am 15. Oktober 1975 Von der Bundesversammlung genehmigt am 13. Dezember 1984¹ Schweizerische Ratifikationsurkunde hinterlegt am 11. März 1985 In Kraft getreten für die Schweiz am 9. Juni 1985 (Stand am 26. Januar 2018) ¹ Art. 1 Abs. 1 Bst. a des BB vom 13. Dez. 1984 ( AS 1985 712 )
Die Mitgliedstaaten des Europarats, die dieses Protokoll unterzeichnen,
im Hinblick auf die Bestimmungen des am 13. Dezember 1957² in Paris zur Unterzeichnung aufgelegten Europäischen Auslieferungsübereinkommens (im folgenden als «Übereinkommen» bezeichnet), insbesondere der Artikel 3 und 9; in der Erwägung, dass es zweckmässig ist, diese Artikel zu ergänzen, um den Schutz der menschlichen Gemeinschaft und des einzelnen zu verstärken,
sind wie folgt übereingekommen:
² SR 0.353.1

Kapitel I

Art. 1
Für die Anwendung des Artikels 3 des Übereinkommens werden nicht als politische strafbare Handlungen angesehen
a. Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die in der am 9. Dezember 1948 von der Generalversammlung der Vereinten Nationen angenommenen Konven­tion über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes bezeichnet sind;
b. Verletzungen, die in Artikel 50 des Genfer Abkommens von 1949 zur Ver­besserung des Loses der Verwundeten und Kranken der bewaffneten Kräfte im Felde³, in Artikel 51 des Genfer Abkommens von 1949 zur Verbesserung des Loses der Verwundeten, Kranken und Schiffbrüchigen der bewaffneten Kräfte zur See⁴, in Artikel 130 des Genfer Abkommens von 1949 über die Behandlung der Kriegsgefangenen⁵ und in Artikel 147 des Genfer Abkom­mens von 1949 über den Schutz der Zivilpersonen in Kriegszeiten⁶ bezeich­net sind;
c. alle entsprechenden, nicht bereits von den vorgenannten Bestimmungen der Genfer Abkommen erfassten Verletzungen der beim Inkrafttreten dieses Protokolls geltenden Gesetze des Krieges und der zu diesem Zeitpunkt be­stehenden Gebräuche des Krieges.
³ SR 0.518.12
⁴ SR 0.518.23
⁵ SR 0.518.42
⁶ SR 0.518.51

Kapitel II

Art. 2
Artikel 9 des Übereinkommens wird durch den folgenden Wortlaut ergänzt, wobei der ursprüngliche Artikel 9 des Übereinkommens Absatz 1 wird und die nachste­henden Bestimmungen Absätze 2, 3 und 4 werden:
«2. Die Auslieferung einer Person, gegen die in einem dritten Staat, der Vertrags­partei des Übereinkommens ist, wegen der dem Ersuchen zugrunde­liegenden Handlung oder Handlungen ein rechtskräftiges Urteil ergangen ist, wird nicht be­willigt, a. wenn das Urteil auf Freispruch lautet;
b. wenn die verhängte Freiheitsstrafe oder andere Massnahme i) ganz vollstreckt ist,
ii) ganz oder, soweit sie nicht vollstreckt ist, Gegenstand einer Begna­digung oder ei­ner Amnestie ist;
c. wenn der Richter die Schuld des Täters festgestellt, aber keine Sanktion verhängt hat.
3. In den Fällen des Absatzes 2 kann jedoch die Auslieferung bewilligt werden, a. wenn die dem Urteil zugrundeliegende Handlung gegen eine Person, die im ersu­chenden Staat ein öffentliches Amt bekleidet, oder gegen eine öffentliche Einrich­tung oder Sache in diesem Staat begangen worden ist;
b. wenn der Verurteilte selbst im ersuchenden Staat ein öffentliches Amt bekleidet hat;
c. wenn die dem Urteil zugrundeliegende Handlung ganz oder teilweise im Hoheits­gebiet des ersuchenden Staates oder an einem Ort begangen worden ist, der als sein Hoheitsgebiet gilt.
4. Die Absätze 2 und 3 stehen der Anwendung weitergehender innerstaatlicher Be­stimmungen über die ne bis in idem- Wirkung, die ausländischen Straf­urteilen bei­gemessen wird, nicht entgegen.»

Kapitel III

Art. 3
1. Dieses Protokoll liegt für die Mitgliedstaaten des Europarats, die das Überein­kommen unterzeichnet haben, zur Unterzeichnung auf. Es bedarf der Ratifi­kation, Annahme oder Genehmigung. Die Ratifikations-, Annahme- oder Genehmi­gungsur­kunden werden beim Generalsekretär des Europarats hinterlegt.
2. Das Protokoll tritt 90 Tage nach Hinterlegung der dritten Ratifikations-, An­nahme- oder Genehmigungsurkunde in Kraft.
3. Für jeden Unterzeichnerstaat, der das Protokoll später ratifiziert, annimmt oder genehmigt, tritt es 90 Tage nach Hinterlegung seiner Ratifikations-, Annahme- oder Genehmigungsurkunde in Kraft.
4. Ein Mitgliedstaat des Europarats kann dieses Protokoll nicht ratifizieren, anneh­men oder genehmigen, ohne gleichzeitig oder vorher das Übereinkommen ratifiziert zu haben.
Art. 4
1. Jeder Staat, der dem Übereinkommen beigetreten ist, kann diesem Protokoll bei­treten, nachdem es in Kraft getreten ist.
2. Der Beitritt erfolgt durch Hinterlegung einer Beitrittsurkunde beim Generalsekre­tär des Europarats; die Urkunde wird 90 Tage nach ihrer Hinterlegung wirksam.
Art. 5
1. Jeder Staat kann bei der Unterzeichnung oder bei der Hinterlegung seiner Ratifi­kations-, Annahme-, Genehmigungs- oder Beitrittsurkunde einzelne oder mehrere Hoheitsgebiete bezeichnen, auf die dieses Protokoll Anwendung findet.
2. Jeder Staat kann bei der Hinterlegung seiner Ratifikations-, Annahme-, Genehmi­gungs- oder Beitrittsurkunde oder jederzeit danach durch eine an den Generalsekre­tär des Europarats gerichtete Erklärung dieses Protokoll auf jedes weitere in der Er­klärung bezeichnete Hoheitsgebiet erstrecken, dessen internationale Beziehungen er wahrnimmt oder für das er Vereinbarungen treffen kann.
3. Jede nach Absatz 2 abgegebene Erklärung kann in bezug auf jedes darin genannte Hoheitsgebiet nach Massgabe des Artikels 8 zurückgenommen werden.
Art. 6
1. Jeder Staat kann bei der Unterzeichnung oder bei der Hinterlegung seiner Ratifi­kations-, Annahme-, Genehmigungs- oder Beitrittsurkunde erklären, dass er Kapitel I oder Kapitel II nicht annimmt.
2. Jede Vertragspartei kann eine von ihr nach Absatz 1 abgegebene Erklärung durch eine an den Generalsekretär des Europarats gerichtete Erklärung zurücknehmen; die Erklärung wird mit ihrem Eingang wirksam.
3. Vorbehalte zu diesem Protokoll sind nicht zulässig.
Art. 7
Der Europäische Ausschuss für Strafrechtsfragen des Europarats wird die Durchfüh­rung dieses Protokolls verfolgen; soweit erforderlich, erleichtert er die gütliche Be­hebung aller Schwierigkeiten, die sich aus der Durchführung des Protokolls ergeben könnten.
Art. 8
1. Jede Vertragspartei kann dieses Protokoll durch eine an den Generalsekretär des Europarats gerichtete Notifikation für sich kündigen.
2. Die Kündigung wird sechs Monate nach Eingang der Notifikation beim General­sekretär wirksam.
3. Die Kündigung des Übereinkommens hat ohne weiteres auch die Kündigung die­ses Protokolls zur Folge.
Art. 9
Der Generalsekretär des Europarats notifiziert den Mitgliedstaaten des Rates und je­dem Staat, der dem Übereinkommen beigetreten ist,
a. jede Unterzeichnung;
b. jede Hinterlegung einer Ratifikations-, Annahme-, Genehmigungs- oder Bei­trittsurkunde;
c. jeden Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Protokolls nach Artikel 3;
d. jede nach Artikel 5 eingegangene Erklärung und jeder Rückzug einer sol­chen Erklärung;
e. jede nach Artikel 6 Absatz 1 abgegebene Erklärung;
f. jede nach Artikel 6 Absatz 2 erfolgte Zurücknahme einer Erklärung;
g. jede nach Artikel 8 eingegangene Notifikation und den Zeitpunkt, zu dem die Kündigung wirksam wird.

Unterschriften

Zu Urkund dessen haben dir hierzu gehörig befugten Unterzeichneten dieses Proto­koll unterschrieben.
Geschehen zu Strassburg am 15. Oktober 1975 in englischer und französischer Sprache, wobei jeder Wortlaut gleichermassen verbindlich ist, in einer Urschrift, die im Archiv des Europarats hinterlegt wird. Der Generalsekretär des Europarats über­mittelt allen Unterzeichnerstaaten und allen beitretenden Staaten beglaubigte Ab­schriften.
(Es folgen die Unterschriften)

Geltungsbereich am 26. Januar 2018 ⁷

⁷ AS 1985 719 , 1987 773 , 1990 1173 , 1995 1122 , 2004 4983 , 2007 1385 , 2013 1551 und 2018 729 . Eine aktualisierte Fassung des Geltungsbereiches findet sich auf der Internetseite des EDA (www.eda.admin.ch/vertraege).

Vertragsstaaten

Ratifikation

Beitritt (B)

Nachfolge­erklärung (N)

Inkrafttreten

Albanien

19. Mai

1998

17. August

1998

Andorra

13. Oktober

2000

11. Januar

2001

Armenien

18. Dezember

2003

17. März

2004

Aserbaidschan*

28. Juni

2002

26. September

2002

Belgien

18. November

1997

16. Februar

1998

Bosnien und Herzegowina

25. April

2005

24. Juli

2005

Bulgarien

17. Juni

1994

14. September

1994

Dänemark*

13. September

1978

20. August

1979

Estland

28. April

1997

27. Juli

1997

Georgien*

15. Juni

2001

13. September

2001

Island*

20. Juni

1984

18. September

1984

Korea (Süd-)

29. September

2011 B

29. Dezember

2011

Kroatien

25. Januar

1995 B

25. April

1995

Lettland

  2. Mai

1997

31. Juli

1997

Liechtenstein

  4. Februar

2004

  4. Mai

2004

Litauen

20. Juni

1995

18. September

1995

Luxemburg*

12. September

2001

11. Dezember

2001

Malta*

20. November

2000

18. Februar

2001

Mazedonien

28. Juli

1999

26. Oktober

1999

Moldau

27. Juni

2001

25. September

2001

Monaco

30. Januar

2009

  1. Mai

2009

Montenegro

  6. Juni

2006 N

  6. Juni

2006

Niederlande*

12. Januar

1982

12. April

1982

    Aruba

12. Januar

1984

12. April

1982

    Curaçao

12. Januar

1982

12. April

1982

    Karibische Gebiete (Bonaire,
    Sint Eustatius und Saba)

12. Januar

1982

12. April

1982

    Sint Maarten

12. Januar

1982

12. April

1982

Norwegen*

11. Dezember

1986

11. März

1987

Polen

15. Juni

1993

13. September

1993

Portugal

25. Januar

1990

25. April

1990

Rumänien

10. September

1997

  9. Dezember

1997

Russland*

10. Dezember

1999

  9. März

2000

Schweden*

  2. Februar

1976

20. August

1979

Schweiz

11. März

1985

  9. Juni

1985

Serbien

23. Juni

2003 B

21. September

2003

Slowakei

23. September

1996

22. Dezember

1996

Slowenien

16. Februar

1995

17. Mai

1995

Spanien

11. März

1985

  9. Juni

1985

Südafrika

12. Februar

2003 B

13. Mai

2003

Tschechische Republik

19. November

1996

17. Februar

1997

Türkei*

11. Juli

2016

  9. Oktober

2016

Ukraine*

11. März

1998

  9. Juni

1998

Ungarn*

13. Juli

1993

11. Oktober

1993

Zypern

22. Mai

1979

20. August

1979

* Vorbehalte und Erklärungen.
Die Vorbehalte und Erklärungen werden in der AS nicht veröffentlicht.
Die französischen und englischen Texte können auf der Internetseite des Europarates: http://conventions.coe.int eingesehen oder bei der Direktion für Völkerrecht, Sektion Staatsverträge, 3003 Bern, bezogen werden.
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