Vertrag zwischen der Schweiz und der Tschechoslowakischen Republik über die Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen 1 2
Abgeschlossen am 21. Dezember 1926 Von der Bundesversammlung genehmigt am 14. Dezember 1928³ Ratifikationsurkunden ausgetauscht am 24. Januar 1929 In Kraft getreten am 24. Februar 1929 (Stand am 1. Januar 2011) ¹ Die Weitergeltung dieses Vertrages ist festgestellt worden durch den Notenaustausch zwischen den beiden Regierungen vom 2. Sept./11. Okt. 1946 ( AS 62 1184 ). Mit Briefwechsel vom 24. Febr. 1994 mit der Tschechischen Republik und Notenaustausch vom 13. Okt./25. Nov. 1994 mit der Slowakei wurde die Weitergeltung zwischen der Schweiz und den genannten Staaten bestätigt. ² Das Übereink. vom 30. Okt. 2007 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (Lugano-Übereinkommen, LugÜ; SR 0.275.12 ) ersetzt im Rahmen seines Anwendungsbereichs diesen Vertrag. Vgl. Art. 65 und 66 sowie Anhang VII LugÜ.t ³ AS 45 23
Der Bundesrat der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Präsident der Tschechoslowakischen Republik
haben es für nützlich erachtet, einen Vertrag über die Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen abzuschliessen, und haben zu diesem Zwecke zu ihren Bevollmächtigten ernannt:
(Es folgen die Namen der Bevollmächtigten)
die nach Mitteilung ihrer in guter und gehöriger Form befundenen Vollmachten die nachstehenden Artikel vereinbart haben:
Art. 1
Die im einen Vertragsstaate gefällten gerichtlichen Entscheidungen in Zivil‑ oder Handelssachen werden im andern Staat anerkannt, wenn sie folgende Voraussetzungen erfüllen:
1. dass die Grundsätze, die nach dem Rechte des Staates, wo die Entscheidung geltend gemacht wird, über die internationale Zuständigkeit der Gerichte bestehen, die Gerichtsbarkeit des andern Staates für den in Frage stehenden Fall nicht ausschliessen;
2. dass die Anerkennung der Entscheidung nicht gegen die öffentliche Ordnung oder gegen die Grundsätze des öffentlichen Rechts des Staates verstösst, wo die Entscheidung geltend gemacht wird;
3. dass die Entscheidung nach den Gesetzen des Staates, wo sie gefällt wurde, die Rechtskraft erlangt hat;
4. dass im Fall eines Versäumnisurteils die säumige Partei, gegen die die Entscheidung geltend gemacht wird, gemäss den Gesetzen des Staates, wo die Entscheidung gefällt wurde, regelrecht geladen worden ist und die Ladung rechtzeitig erhalten hat.
Die Prüfung durch die Behörden des Staates, wo die Entscheidung geltend gemacht wird, beschränkt sich auf die in Ziffern 1–4 angeführten Voraussetzungen. Diese Behörden haben von Amtes wegen zu prüfen, ob diese Voraussetzungen vorliegen.
Art. 2
In Berücksichtigung der Fälle, wo die Schweiz, gestützt auf Artikel 59 der Bundesverfassung⁴, im Sinne von Artikel 1 Ziffer 1 dieses Vertrages die Gerichtsbarkeit eines andern Staates nicht anerkennt, wird in entsprechender Weise folgendes bestimmt:
Bei persönlichen Ansprüchen gegen einen zahlungsfähigen Schuldner, der im Zeitpunkt der Erhebung der Klage seinen Wohnsitz in der Tschechoslowakei hatte, wird in der Tschechoslowakei die schweizerische Gerichtsbarkeit nicht anerkannt, sofern nicht dieser Schuldner einen Gerichtsstand in der Schweiz vereinbart oder sich vorbehaltslos auf die Klage vor dem schweizerischen Richter eingelassen hat.
Diese Bestimmung steht der Anerkennung der schweizerischen Gerichtsbarkeit nicht entgegen, wenn der Schuldner am Orte seiner geschäftlichen Niederlassung oder Zweigniederlassung für Ansprüche aus dem Betriebe dieser Niederlassung belangt worden ist oder wenn am Gerichtsstand der Hauptklage eine mit dieser zusammenhängende Widerklage erhoben worden ist.
Die familien‑ und erbrechtlichen Klagen sowie die dinglichen und gemischten Klagen gelten nicht als persönliche Ansprüche im Sinne dieser Bestimmung.
⁴ [BS 1 3]. Heute: auf Art. 30 der Bundesverfassung vom 18. April 1999 ( SR 101 ).
Art. 3
Die im einen Vertragsstaate gefällten gerichtlichen Entscheidungen können im andern Staate vollstreckt werden, wenn sie im Staate, wo sie ergangen sind, vollstreckbar sind und die in Artikel 1 Ziffern 1–4 angeführten Voraussetzungen erfüllen.
Die Prüfung durch die Behörden des Staates, wo die Vollstreckung beantragt wird, beschränkt sich auf die im vorstehenden Absatz genannten Erfordernisse. Diese Behörden haben von Amtes wegen zu prüfen, ob diese Voraussetzungen vorliegen.
Art. 4
Die Partei, die die Entscheidung geltend macht oder die Vollstreckung beantragt, hat beizubringen:
1. eine Ausfertigung der Entscheidung, die die für ihre Beweiskraft erforderlichen Voraussetzungen erfüllt;
2. die Urkunden, die dartun, dass die Entscheidung in Rechtskraft erwachsen ist und, gegebenenfalls, dass sie vollstreckbar ist;
3. eine beweiskräftige Abschrift der Ladung (Art. 1 Ziff. 4) der säumigen Partei;
4. eine nach den Bestimmungen eines der beiden Staaten als richtig bescheinigte Übersetzung der vorstehend angeführten Urkunden, sofern nicht die zuständige Behörde von dieser Verpflichtung befreit hat; die Übersetzung ist in der Tschechoslowakei in tschechoslowakischer Sprache, in der Schweiz in der Sprache der ersuchten Behörde einzureichen.
Art. 5
Die Schiedssprüche, die im einen Vertragsstaate gefällt werden und dort dieselbe Wirksamkeit wie die gerichtlichen Entscheidungen haben, werden im andern Staate anerkannt und vollstreckt, wenn sie den Vorschriften der vorstehenden Artikel, soweit diese Anwendung finden können, genügen.
Dies gilt auch für gerichtliche Vergleiche und für vor Schiedsgerichten abgeschlossene Vergleiche.
Art. 6
Die Zuständigkeit und das Verfahren für die Vollstreckung bestimmen sich nach den Gesetzen des ersuchten Staates.
Art. 7
Die Bestimmungen dieses Vertrages sind ohne Rücksicht auf die Staatsangehörigkeit der Parteien anzuwenden.
Art. 8
Dieser Vertrag soll ratifiziert werden und die Ratifikationsurkunden sollen in Prag ausgetauscht werden.
Der Vertrag tritt einen Monat nach dem Austausche der Ratifikationsurkunden in Kraft und bleibt nach Kündigung, die jederzeit zulässig ist, noch ein Jahr in Kraft.
Unterschriften
Zu Urkund dessen haben die Bevollmächtigten diesen Vertrag in doppelter Ausfertigung unterzeichnet.
So geschehen in Bern, am einundzwanzigsten Dezember eintausendneunhundertsechsundzwanzig.
H. Häberlin | Emil Spira |
Zusatzprotokoll
Bei der Unterzeichnung des Vertrages zwischen der Schweiz und der Tschechoslowakischen Republik über die Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen haben die Bevollmächtigten der beiden Staaten in gegenseitigem Einverständnis folgendes festgestellt:
I
Als gerichtliche Entscheidungen im Sinne des Vertrages gelten die Entscheidungen in Zivil‑ oder Handelssachen, die im streitigen oder nichtstreitigen Verfahren von den ordentlichen Gerichten, von Spezialgerichten, von Schiedsgerichten oder von vormundschaftlichen Behörden (Pflegschaftsbehörden) gefällt werden.
Die in einem Strafverfahren ergangenen Entscheidungen über Anträge der Zivilpartei sowie die Entscheidungen über Konkurseröffnung oder über Bestätigung eines Nachlassvertrages gelten nicht als gerichtliche Entscheidungen in Zivil‑ oder Handelssachen im Sinne des Vertrages.
II
Wenn über die Tragweite des Artikels 2 Zweifel auftauchen, werden das Eidgenössische Justiz‑ und Polizeidepartement und das tschechoslowakische Justizministerium einander zweckdienliche Auskunft erteilen, immerhin unter Vorbehalt der Entscheidungsfreiheit der Gerichte.
III
Auf Wunsch des schweizerischen Bevollmächtigten wird festgestellt, dass der Vertrag auch auf die vor seinem Inkrafttreten in Rechtskraft erwachsenen gerichtlichen Entscheidungen, Schiedssprüche und gerichtlichen Vergleiche anzuwenden ist.
IV
Dieses Protokoll bildet einen integrierenden Bestandteil des Vertrages.
Zu Urkund dessen haben die Bevollmächtigten dieses Protokoll unterzeichnet.
So geschehen in Bern, in doppelter Ausfertigung, am einundzwanzigsten Dezember eintausendneunhundertsechsundzwanzig.
H. Häberlin | Emil Spira |
Feedback