Verordnung über Massnahmen zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen un... (311.039.7)
CH - Schweizer Bundesrecht

Verordnung über Massnahmen zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (Verordnung gegen Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt)

(Verordnung gegen Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt) vom 13. November 2019 (Stand am 1. Januar 2020)
Der Schweizerische Bundesrat,
gestützt auf Artikel 386 Absatz 4 des Strafgesetzbuchs¹, und in Übereinstimmung mit dem Übereinkommen des Europarats vom 11. Mai 2011² zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (Istanbul-Konvention),
verordnet:
¹ SR 311.0 ² SR 0.311.35

1. Abschnitt: Gegenstand und Zweck

Art. 1 Gegenstand
Diese Verordnung regelt:
a. die Durchführung von Massnahmen des Bundes zur Verhütung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt;
b. die Durchführung von Massnahmen des Bundes zur Förderung der Zusammenarbeit und Koordination zwischen öffentlichen und privaten Akteuren im Bereich der Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt;
c. die Gewährung von Finanzhilfen des Bundes für Massnahmen gemäss den Buchstaben a und b, die von Dritten durchgeführt werden;
d. die Gewährung von Finanzhilfen des Bundes an Dritte, die regelmässig Massnahmen gemäss den Buchstaben a und b durchführen.
Art. 2 Zweck
Diese Verordnung soll:
a. dazu beitragen, dass Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt verhütet wird, namentlich psychische, physische und sexuelle Gewalt, sexuelle Belästigung, Nachstellung (Stalking), Zwangsheirat, Verstümmelung weiblicher Genitalien sowie Zwangsabtreibung und Zwangssterilisation;
b. die Koordination, Vernetzung und Zusammenarbeit zwischen öffentlichen und privaten Akteuren im Bereich der Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt in der Schweiz fördern.

2. Abschnitt: Massnahmen

Art. 3 Arten
¹ Als Massnahmen gelten Programme, Projekte und regelmässige Aktivitäten.
² Dabei bedeuten:
a. Programm: verschiedene untereinander koordinierte, zeitlich begrenzte Akti­vitäten, die sich an einem gemeinsamen Globalziel orientieren;
b. Projekt: ein einmaliges, zeitlich begrenztes Vorhaben, das aus mehreren einzelnen Tätigkeitsbereichen besteht und durchgeführt wird, um in einer vorgegebenen Zeit und mit vorgegebenen Ressourcen ein Ziel in einer bestimmten Qualität zu erreichen;
c. regelmässige Aktivitäten: wiederkehrende Aktivitäten mit definierten Zielen, die auf Beständigkeit oder auf Weiterentwicklung ausgerichtet sind.
Art. 4 Ziele
Die Massnahmen dienen insbesondere der:
a. Information und Sensibilisierung sowie der Wissensvermittlung für die breitere Öffentlichkeit;
b. Weiterbildung und Kompetenzentwicklung von Fachpersonen;
c. Beratung;
d. Koordination und Vernetzung von öffentlichen und privaten Organisationen;
e. Qualitätssicherung und Evaluation von Präventionsmassnahmen;
f. Forschung.
Art. 5 Massnahmen des Bundes
¹ Der Bund kann folgende Massnahmen durchführen:
a. gesamtschweizerische, sprachregionale oder kantonsübergreifende Programme und Projekte;
b. weitere Programme und Projekte mit Modellcharakter, die sich auf andere Regionen übertragen lassen oder sich zur Erprobung neuer Strategien und Methoden eignen und damit von nationalem Interesse sind.
² Er kann zur Durchführung oder Unterstützung seiner Massnahmen nicht gewinnorientierte Organisationen des privaten oder öffentlichen Rechts mit Sitz in der Schweiz beiziehen.
³ Er konsultiert die Kantone vorgängig, wenn deren Interessen unmittelbar betroffen sind.
Art. 6 Massnahmen Dritter
¹ Der Bund kann nicht gewinnorientierten, öffentlich-rechtlichen oder privatrechtlichen Organisationen mit Sitz in der Schweiz Finanzhilfen gewähren für die Durchführung von Massnahmen in der Schweiz.
² Er kann nicht gewinnorientierte, öffentlich–rechtliche oder privatrechtliche Organisationen mit Sitz in der Schweiz, die regelmässig Massnahmen in der Schweiz durchführen, mit Finanzhilfen unterstützen.
³ Der Bund gewährt keine Finanzhilfen für die Durchführung von Massnahmen, die politische Aktivitäten und Lobbyarbeit beinhalten.

3. Abschnitt: Finanzhilfen

Art. 7 Grundsätze
¹ Der Bund kann Finanzhilfen im Rahmen der jährlich bewilligten Kredite gewähren.
² Es besteht kein Anspruch auf finanzielle Leistungen.
³ Übersteigen die beantragten Finanzhilfen die verfügbaren Mittel, so erstellt das Eidgenössische Departement des Innern (EDI) gestützt auf Artikel 13 Absatz 2 des Subventionsgesetzes vom 5. Oktober 1990³ (SuG) eine Prioritätenordnung, nach der die Gesuche beurteilt werden.
⁴ Das EDI kann für die Gewährung von Finanzhilfen thematische Schwerpunkte und Zielvorgaben festlegen. Es konsultiert dazu vorgängig die Kantone.
³ SR 616.1
Art. 8 Materielle Voraussetzungen
Finanzhilfen für Massnahmen Dritter nach Artikel 6 werden nur gewährt, wenn die folgenden Voraussetzungen erfüllt sind:
a. Die Massnahmen werden gesamtschweizerisch, sprachregional oder kantonsübergreifend durchgeführt oder haben Modellcharakter und lassen sich auf andere Regionen übertragen.
b. Die Massnahmen weisen einen direkten Bezug zur Verhütung einer oder mehrerer der in der Istanbul-Konvention erfassten Gewaltformen auf und stellen gezielte Aktivitäten zur Verhütung dieser Gewaltformen in den Mittelpunkt.
c. Der Bedarf an den Massnahmen ist nachgewiesen, die Massnahmen sind hinreichend begründet, und das Ziel der Massnahmen lässt sich auf wirksame und wirtschaftliche Art erreichen.
d. Mit den Massnahmen kann eine möglichst grosse Breitenwirkung erzielt werden.
e. Die durchführende Organisation verfügt über Fachkompetenz im Bereich der Prävention von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt.
f. Die durchführende Organisation verpflichtet sich, allfällige Ergebnisse, Produkte und Dienstleistungen kostenlos oder zu angemessenen Preisen allgemein zugänglich zur Verfügung zu stellen und die Öffentlichkeit über die Ergebnisse, Produkte und Dienstleistungen zu informieren.
Art. 9 Höhe
¹ Die Finanzhilfen für Massnahmen Dritter nach Artikel 6 Absatz 1 betragen höchstens 50 Prozent der anrechenbaren Ausgaben der jeweiligen Massnahme. Anrechenbar sind jene Ausgaben, die unmittelbar mit der Vorbereitung und Durch­führung sowie der Evaluation der Massnahme zusammenhängen.
² Die Finanzhilfen zur Unterstützung Dritter nach Artikel 6 Absatz 2 betragen höchstens 25 Prozent der diesen jährlich zur Verfügung stehenden Mittel.
Art. 10 Bemessung
¹ Die Finanzhilfen für Massnahmen Dritter nach Artikel 6 Absatz 1 bemessen sich nach:
a. der Art, der nationalen Bedeutung und der Dringlichkeit der Massnahme;
b. dem Interesse des Bundes an der Massnahme;
c. den Eigenleistungen der Beitragsempfängerin oder des Beitragsempfängers, den Beiträgen, die gestützt auf andere Bundes­erlasse ausgerichtet werden, und den Beiträgen Dritter.
² Die Finanzhilfen zur Unterstützung Dritter nach Artikel 6 Absatz 2 bemessen sich nach:
a. der Art und der nationalen Bedeutung der Tätigkeit der Organisation;
b. dem Interesse des Bundes an der Tätigkeit der Organisation;
c. den Eigenleistungen der Beitragsempfängerin oder des Beitragsempfängers, den Beiträgen, die gestützt auf andere Bundes­erlasse ausgerichtet werden, und den Beiträgen Dritter.
Art. 11 Auszahlung
Der Bund kann die Finanzhilfen abgestimmt auf den Fortschritt der jeweiligen Massnahme gestaffelt auszahlen.

4. Abschnitt: Verfahrensbestimmungen

Art. 12 Grundlage und Rechtsform
¹ Das Verfahren für die Gewährung von Finanzhilfen richtet sich nach den Bestimmungen des SuG⁴.
² Der Bund gewährt die Finanzhilfen auf der Grundlage:
a. einer Verfügung nach Artikel 16 Absatz 1 SuG für Massnahmen Dritter nach Artikel 6 Absatz 1;
b. eines Leistungsvertrags nach Artikel 16 Absatz 2 SuG für die Unterstützung Dritter nach Artikel 6 Absatz 2.
³ Die Finanzhilfen werden unter Kreditvorbehalt für die Dauer von höchstens vier Jahren gesprochen.
⁴ SR 616.1
Art. 13 Gesuche
¹ Gesuche um Finanzhilfe sind dem Eidgenössischen Büro für die Gleichstellung von Frau und Mann (EBG) einzureichen.
2 Sie müssen eine umfassende Beurteilung der beabsichtigten Präventionswirkung ermöglichen. Erachtet das EBG ein Gesuch als unvollständig, so räumt es der Gesuchstellerin oder dem Gesuchsteller die Möglichkeit der Ergänzung ein.
³ Die Gesuche um Finanzhilfe für Massnahmen Dritter nach Artikel 6 Absatz 1 müssen insbesondere enthalten:
a. umfassende Angaben über die Gesuchstellerin oder den Gesuchsteller;
b. eine ausführliche Beschreibung der Massnahme mit Angaben über Ziel, Vorgehen und erwartete Wirkungen;
c. den Zeitplan für die Durchführung der Massnahme;
d. einen detaillierten Kostenvoranschlag.
⁴ Die Gesuche um Finanzhilfe zur Unterstützung Dritter nach Artikel 6 Absatz 2 müssen insbesondere enthalten:
a. umfassende Angaben über die Gesuchstellerin oder den Gesuchsteller;
b. eine ausführliche Beschreibung der regelmässig durchgeführten Massnahmen mit Angaben über Ziel, Vorgehen und erwartete Wirkungen;
c. die Finanzierung und das Budget der Organisation.
⁵ Das EBG erlässt Richtlinien für das Gesuchsverfahren. Darin legt es namentlich fest, welche Unterlagen den Gesuchen beigelegt werden müssen.
Art. 14 Prüfung der Gesuche und Entscheid
¹ Das EBG prüft die Gesuche und entscheidet über die Gewährung von Finanzhilfen.
² Es kann zur Prüfung der Gesuche externe Gutachten einholen.
³ Der Entscheid hält insbesondere fest:
a. den Zweck der Finanzhilfe;
b. die Höhe der Finanzhilfe;
c. die Berichterstattung.
⁴ Die Ablehnung eines Gesuchs erfolgt schriftlich und begründet.
Art. 15 Bedingungen und Auflagen
Die Gewährung einer Finanzhilfe kann namentlich mit folgenden Auflagen versehen oder an folgende Bedingungen geknüpft werden:
a. Koordination mit anderen Massnahmen;
b. Zusammenarbeit mit anderen Akteurinnen und Akteuren;
c. Beizug von Fachpersonen;
d. Überprüfung der Durchführung und der Wirkung der Massnahme (Evalua­tion).

5. Abschnitt: Pflichten der Beitragsempfängerinnen und -empfänger

Art. 16 Auskunft und Rechenschaft
¹ Wer Beiträge nach Artikel 6 erhält, muss dem EBG über die Verwendung der Finanzhilfe jederzeit Auskunft erteilen und Einsicht in die relevanten Unterlagen gewähren.
² Wer Beiträge zur Unterstützung Dritter nach Artikel 6 Absatz 2 erhält, ist zusätzlich verpflichtet, dem EBG über ihre Geschäfts- und Rechnungsführung regelmässig Rechenschaft abzulegen.
Art. 17 Berichterstattung
¹ Wer Beiträge für Massnahmen Dritter nach Artikel 6 Absatz 1 erhält, muss dem EBG Bericht über den Verlauf und den Abschluss der Massnahme erstatten.
² Wer Beiträge zur Unterstützung Dritter nach Artikel 6 Absatz 2 erhält, muss dem EBG jährlich über die regelmässig durchgeführten Massnahmen Bericht erstatten.
³ Das EBG legt die Form der Berichterstattung in der Verfügung oder im Leistungsvertrag über die Finanzhilfe fest.
Art. 18 Offenlegung der Unterstützung durch den Bund
Beitragsempfängerinnen und -empfänger sind verpflichtet, in ihren Jahresberichten und in den öffentlichen Projektunterlagen auf die vom EBG erhaltene Finanzhilfe hinzuweisen.

6. Abschnitt: Schlussbestimmungen

Art. 19 Evaluation
¹ Das EBG überprüft regelmässig die Zweckmässigkeit und Wirksamkeit der nach dieser Verordnung vom Bund durchgeführten Massnahmen und der gewährten Finanz­hilfen.
² Es kann externe Fachpersonen mit der Evaluation beauftragen.
Art. 20 Rechtsschutz
Der Rechtsschutz richtet sich nach den allgemeinen Bestimmungen über die Bundesrechtspflege.
Art. 21 Inkrafttreten
Diese Verordnung tritt am 1. Januar 2020 in Kraft.
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